Bundesgerichtshof Urteil, 21. Feb. 2018 - 5 StR 267/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR267.17.0
bei uns veröffentlicht am21.02.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 267/17
(alt: 5 StR 504/15)
vom
21. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR267.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Dr. Berger als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W. als Verteidiger,
Rechtsanwalt K. , Rechtsanwältin B. als Vertreter der Nebenklägerinnen,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 13. Dezember 2016 dahingehend geändert, dass
a) für den Mord lebenslange Freiheitsstrafe festgesetzt wird,
b) der Angeklagte wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt ist.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die hierdurch den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Jedoch werden die Gebühr für das Revisionsverfahren um ein Achtel ermäßigt und der Staatskasse ein Achtel der in der Rechtsmittelinstanz entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hatte den Angeklagten durch Urteil vom 1. April 2015
1
wegen Mordes in Tateinheit mit Störung der Totenruhe schuldig gesprochen, eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten festgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dieses Urteil hat der Senat auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten mit den Feststellungen aufgehoben (BGH, Urteil vom 6. April 2016 – 5 StR 504/15, NStZ 2016, 469). Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht den Angeklagten wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sieben Monaten verurteilt und bei den Taten verwendete Gegenstände eingezogen. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, sachlichrechtlich begründeten, auf Teile des Rechtsfolgenausspruchs beschränkten und vom Generalbundesanwalt insofern vertretenen Revision Erfolg, als sie die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe für die Mordtat sowie als Gesamtstrafe erstrebt; im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Das Landgericht hat zu den Taten folgende Feststellungen getroffen:
2
Anfang September 2013 registrierte sich der Angeklagte auf einer Inter3 netplattform, deren Nutzer sich mit kannibalistischen Phantasien beschäftigten. In der Folge verfasste der Angeklagte eine Vielzahl von Nachrichten an unter- schiedliche Chatpartner. Dabei stellte er heraus, an der „realen Schlachtung“ eines Menschen interessiert zu sein, diese jedoch nur mit dem Einverständnis des anderen durchführen zu wollen, und bemühte sich, Treffen zu vereinbaren. Hierzu kam es in zwei Fällen.
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Am 12. September 2013 holte der Angeklagte den Zeugen Bu. in dessen über 450 km entferntem Wohnort ab. Dessen Wunsch, vom Angeklagten aufgespießt und gegrillt zu werden, wurde jedoch nicht erfüllt, weil der Angeklagte zögerte und schließlich mitteilte, dass er hierzu nicht mehr bereit sei; der Zeuge Bu. sei „zu jung zum Sterben“.
Bei seinen Versuchen, ein Treffen zu vereinbaren, hatte der Angeklagte
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nur noch bei dem 59 Jahre alten St. Erfolg. Dieser war zumindest seit 2011 im Internet auf der Suche nach einer Person, die ihn „schlachten und verspeisen“ würde. Auch er hatte sich bei der genannten Inter- netplattform angemeldet. Am 2. Oktober 2013 nahm er Kontakt zum Angeklagten auf. In der Folge kam es wiederholt zu schriftlicher und telefonischer Kommunikation. Immer wieder drang St. hierbei auf eine konkrete Verabredung. Am 4. November 2013 reiste er schließlich vereinbarungsgemäß mit dem Bus nach Dresden, wo der Angeklagte ihn abholte. In der Nacht zuvor war dieser in seinem im Keller des Hauses befindlichen SM-Studio vor eine Videokamera getreten. An seinem Geschlechtsteil manipulierend, kündigte er an: „Morgen ist großes Schlachtfest hier. Da wird der Schwanz abgeschnitten und die Eier rausgeschnitten. Das wird geil für mich morgen werden. Sein fleischiges Etwas – wird sehr lecker sein. Das kann ich versprechen.“ Auf der Fahrt vom Busbahnhof unterhielten sie sich über das gemeinsa6 me Vorhaben, zu dem St. im Unterschied zum Angeklagten fest entschlossen war und auf dessen Umsetzung er auch nach der Ankunft im Haus des Angeklagten drang. Beide kamen schließlich überein, dass der Angeklagte, „der wegen der unmittelbar vor ihm stehenden Verwirklichung seiner sexuell motivierten Schlacht-Phantasien seine dagegenstehende Hemmung, einen Menschen zu töten, daraufhin endgültig überwunden hatte,“ ihn im Kellerstudio erhängen, zerlegen und verspeisen sollte.
Dort war an einem Deckenbalken ein elektrischer Seilhebezug ange7 bracht. An einem Kletterseil wurde ein sogenannter Henkersknoten geknüpft. Die vorgefertigte Schlinge legte sich St. um seinen Hals. Das andere Ende des Seiles verknotete der Angeklagte an dem am Ende des zuvor heruntergelassenen Seilzuges befindlichen Karabinerhaken. Auf St. ´ Aufforderung fesselte der Angeklagte ihm die Hände auf dem Rücken mit Kabelbindern und verklebte den Mund mit Panzertape.
Zwischen 17.43 Uhr und 17.47 Uhr setzte der Angeklagte den Seilhebe8 zug mittels der Fernbedienung in Bewegung. Infolge der sich um den Hals zuziehenden Henkersschlaufe wurde(n) die Halsschlagader(n) des anfangs noch aufrecht stehenden St. abgedrückt; dieser wurde nach wenigen Sekunden bewusstlos, was der voll schuldfähige Angeklagte erkannte. Er handelte , um St. in dessen Einverständnis zu töten. Durch die Tötung woll- te er die anschließende Zerstückelung des Körpers ermöglichen, „wovon er sich sexuellen Lustgewinn versprach. Die Vorstellung der Empfindung sexueller Befriedigung verband er insbesondere mit dem Herauspräparieren des Ge- schlechtsteils“. Der Angeklagtefertigte ab 17.47 Uhr Videoaufnahmen an, um sich diese später zur eigenen sexuellen Befriedigung anschauen zu können. Er wusste, dass die „Schlachtung“ und die Aufnahmen von der Zerstückelung der Leiche gegen das Pietätsgefühl der Allgemeinheit verstießen.
Nachdem der Körper des Tatopfers noch mehrfach deutlich sichtbar ge9 zuckt hatte, schaltete der Angeklagte die Kamera aus und ließ die Seilwinde herunter. Dann durchschnitt er die Kehle des zu diesem Zeitpunkt möglicherweise schon Verstorbenen und trennte den Kopf ab. Nachdem er die Kamera
erneut eingeschaltet hatte, legte er Penis und beide Hoden frei, bevor er sie mit dem Messer komplett abtrennte. Sodann eröffnete er mit einem größeren Messer die Bauchhöhle durch die vordere Rumpfwand. Um 18.14 Uhr stellte er die Kamera wieder aus. Als er sie um 19.02 Uhr erneut aktivierte, hatte er den Körper bereits weitgehend zerteilt. Er hatte den Rumpf durchschnitten und die Or- gane der Brust- und Bauchhöhle entfernt. Auf einem mit einer weißen Decke versehenen Biertisch hatte er einzelne Körperteile abgelegt. Die Hoden und den Penis hatte er dort auf einer Servierschale „drapiert“. Um 19.14 Uhr filmte sich der Angeklagte dabei, wie er – nunmehr vollständig unbekleidet – die rechte Hand von dem auf einem Schneidebrett liegenden Arm abtrennte und im Anschluss daran mit seinen blutigen Händen an seinem Penis manipulierte. Den Kopf kochte er; anschließend zertrümmerte er ihn mit einem Vorschlaghammer. Er zerlegte die Leiche noch in derselben Nacht in kleine Teile und vergrub sie im Garten, wo sie später fast vollständig aufgefunden wurden; lediglich ein Hoden und der Penis fehlten.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen
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(§ 216 StGB) verneint; der Tötungswunsch von St. sei für den Angeklagten nicht handlungsleitend gewesen. Es ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte wegen Mordes und Störung der Totenruhe schuldig gemacht habe. Er habe sowohl zur Befriedigung des Geschlechtstriebs als auch zur Ermöglichung einer Störung der Totenruhe (§ 168 Abs. 1 StGB) gehandelt.
Von der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe gemäß § 211 Abs. 1
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StGB für den Mord hat das Landgericht abgesehen und die Strafe „ungeachtet des Fehlens eines typisierten Strafmilderungsgrundes“ dem nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Eine dem entgegenstehende Bindungswirkung des ersten Senatsurteils in dieser Sache hat es verneint.
Vielmehr sei die Anwendung der sogenannten Rechtsfolgenlösung geboten, da es einen „fundamentalen Unterschied“ darstelle, ob ein Mensch gegen seinen Willen oder auf seinen Wunsch hin getötet werde; der Angeklagte habe zudem das Leben St. ´ seinen sexuellen Wünschen gerade nicht untergeordnet.
3. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
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a) Die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ergänzend, bemerkt der
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Senat zu den erhobenen Verfahrensrügen: aa) Die Rüge, es habe mit der 5. Großen Strafkammer kein Schwurge14 richt entschieden, ist jedenfalls unbegründet. Denn diese war vom Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Dresden als alleiniger „Auffangspruchkörper“ für zurückverwiesene Verfahren der 1. Großen Strafkammer vorgesehen; dieser wiederum waren nach dem Vortrag der Revision ausschließlich Schwurgerichtssachen zugewiesen. Es versteht sich danach von selbst, dass die 5. Große Strafkammer insofern (jedenfalls auch) als Schwurgericht tätig werden sollte.
bb) Soweit die Revision einen Verstoß gegen das Gebot fairen Prozes15 sierens geltend macht, weil der Angeklagte und seine Verteidiger schon im Vorfeld und während der Hauptverhandlung durch falsche Erwartungen weckende Bemerkungen des Vorsitzenden „gezielt hinters Licht geführt“ worden seien, dringt sie damit nicht durch. Der Vorsitzende hat in einer ausführlichen dienstlichen Erklärung dargelegt, die behaupteten Äußerungen nicht oder anders getätigt zu haben. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Verfahrensrüge aus diesem Grund bereits unzulässig sein könnte. Jedenfalls ist sie unbegründet , weil sich dem (erwiesenen) Verhalten des Vorsitzenden auch in einer Gesamtschau kein täuschendes Element entnehmen lässt.
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cc) Die Rüge eines Verstoßes gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG erweist sich als unbegründet. Der Senat kann aus den von dem Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgeführten Gründen ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass der Angeklagte in seinem letzten Wort oder seine Verteidiger in den Schlussvorträgen zusätzliche entlastende Umstände wegen der anwesenden Öffentlichkeit nicht vorgebracht hat.

b) Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat ebenfalls keinen
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den Angeklagten belastenden Rechtsfehler aufgedeckt.
aa) Die (revisionsgerichtlicher Prüfung nur eingeschränkt zugängliche)
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Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat sich mit den während des Verfahrens mehrfach wechselnden Angaben des Angeklagten auseinandergesetzt und diese danach zum Kerngeschehen mit plausiblen Erwägungen als unzutreffend bewertet. Insbesondere erweisen sich die zum festgestellten Tötungsgeschehen angestellten Berechnungen als richtig, die daraus gezogenen Schlüsse als möglich und somit rechtsfehlerfrei. Das Landgericht hat seine aufgrund einer Gesamtschau aller wesentlichen Umstände gewonnene Überzeugung, St. habe sich nicht selbst getötet, tragfähig begründet. Angesichts dessen war es nicht geboten, den im ersten Urteil des Senats (BGH, Urteil vom 6. April 2016 – 5 StR 504/15, NStZ 2016, 469) bezeichneten Rekonstruktionsversuch durchzuführen.
bb) Auch die vom Tatgericht vorgenommene rechtliche Würdigung ist
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nicht zu beanstanden. Insbesondere hat es rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) verneint. Hierfür hätte der Angeklagte durch St. zur Tötung bestimmt worden, d. h. dessen Tötungsverlangen hätte handlungsleitend gewesen sein müssen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 91 f.). Das war nach den Feststellungen aber nicht der Fall. Zwar sah der Angeklagte das Einverständnis seines Opfers als Voraussetzung für die Tat an. Bei der Tötung zielte er aber darauf ab, seinen Geschlechtstrieb zu befriedigen und durch die Zerstückelung der Leiche die Totenruhe zu stören, so dass die Verwirklichung der beiden vom Landgericht zutreffend bejahten Mordmerkmale im Vordergrund stand (vgl. BGH, aaO, 86 ff. einer- und 88 ff. andererseits).
cc) Einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten weist die Strafzu20 messung nicht auf.
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im eingangs dargelegten Um21 fang Erfolg. Hierauf sowie auf die Entscheidung nach den §§ 57a, 57b StGB ist sie beschränkt. Das Rechtsmittel erfasst daher nicht die für die Störung der Totenruhe zugemessene fünfmonatige Freiheitsstrafe und die Einziehungsentscheidung.

a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft ihre Revision mit der Begründungs22 schrift auf den „Rechtsfolgenausspruch“ insgesamt beschränkt. Sie hat aber lediglich beantragt, „als Einsatzstrafe eine lebenslange Freiheitsstrafe zu ver- hängen und den Angeklagten zu einer Gesamtstrafe von lebenslanger Frei- heitsstrafe zu verurteilen“. Auch die folgende Begründung befasst sich aus- schließlich mit der vom Landgericht angewendeten sogenannten Rechtsfolgenlösung und wendet sich nicht gegen die übrigen Rechtsfolgenaussprüche.
Die Beschränkung der Revision in dem dargestellten Umfang ist auch
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wirksam. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Aussprüche über einzelne Rechtsfolgen grundsätzlich selbständig angegriffen werden können. Voraussetzung ist jedoch, dass zwischen angefochtenen und übrigen Rechtsfolgen keine Wechselwirkung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 – 3 StR 122/09). So verhält es sich hier. Dem Urteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass zwischen der unterbliebenen Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe und der weiteren festgesetzten Einzelstrafe bzw. der Einziehungsentscheidung ein innerer Zusammenhang besteht und das Landgericht bei Festsetzung der absoluten Strafe die beiden genannten Rechtsfolgen anders bestimmt hätte. Hingegen kann die nachgeordnete Frage, ob die besondere Schwere der Schuld zu bejahen ist, nicht vom Revisionsangriff ausgenommen werden.

b) Das Landgericht hat zu Unrecht davon abgesehen, den Mord mit le24 benslanger Freiheitsstrafe zu sanktionieren. Dabei kann dahinstehen, ob es bereits durch die sich aus § 358 Abs. 1 StPO ergebende Bindungswirkung gehindert war, wiederum die sogenannte Rechtsfolgenlösung heranzuziehen.
Denn die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Landge25 richt unter Heranziehung der sogenannten Rechtsfolgenlösung von der Verhängung der nach § 211 Abs. 1 StGB bei einer Verurteilung wegen Mordes vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen hat, weil die Voraussetzungen dieser Milderungsmöglichkeit nicht erfüllt sind. Der Senat kann daher auch die Fragen unbeantwortet lassen, ob er selbst an seine in der ersten Entscheidung in dieser Sache (BGH, Urteil vom 6. April 2016 – 5StR 504/15, NStZ 2016, 469) vertretene diesbezügliche Rechtsansicht gebunden ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. November 1985 – GSSt 1/85, BGHSt 33, 356, 360 ff.; Beschluss vom 10. Januar 2007 – 5 StR 305/06, BGHSt 51, 202, 204 f.; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 358 Rn. 15) und ob an der sogenannten Rechtsfolgenlösung überhaupt festzuhalten ist.
aa) Die ihr zugrundeliegende Entscheidung des Großen Senats für Straf26 sachen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, BGHSt 30, 105) betraf allein das Mordmerkmal der Heimtücke. Eine Anwendung der insofern aufgestellten Grundsätze auch auf die hier erfüllten Mordmerkmale der Befriedigung des Geschlechtstriebes sowie der Ermöglichungsabsicht ist weder von Verfassungs wegen (BVerfG, NJW 2009, 1061, 1062 ff.) noch einfachgesetzlich geboten (ebenso zur Habgier BGH, Urteil vom 15. November 1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301, 304).Dies käme allenfalls in Betracht, wenn Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben,“ vorlägen, so „dass jener ‚Grenzfall‘ (BVerfGE 45, 187, 266, 267) eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich geminderter Schuld unverhältnismä- ßig wäre“ (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt1/81, BGHSt 30, 105, 118 f.). Dies soll etwa bei Taten in Betracht gezogen werden können, die durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motiviert, in großer Ver- zweiflung begangen, aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“ auf Grund einer schweren Provokation verübt worden sind oder in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer ihren Grund haben, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen (BGH, aaO, 119). Es müssten schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind und im Hinblick auf die überragende Bedeutung des geschützten Rechtsguts nicht voreilig bejaht werden dürfen (BGH, Urteile vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7; vom 23. November 2004 – 1 StR 331/04, NStZ 2005, 154, 155).
bb) Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Der Angeklagte handelte
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nicht aus einer außergewöhnlichen Notlage heraus; er befand sich auch nicht in einer den angeführten Beispielen entsprechenden notstandsnahen Bedrängnis. Vielmehr tötete er primär zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs. Dabei erwächst der gesteigerte Unwert der Tat aus dem groben Missverhältnis von Mittel und Zweck, indem der Täter das Leben eines anderen Menschen der Befriedigung eigener Geschlechtslust unterordnet (BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2StR 310/04, BGHSt 50, 80, 86). In einem solchen Fall ist die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nur dann unverhältnismäßig, wenn der (konkreten ) Tat das Merkmal einer besonderen Verwerflichkeit nicht anhaftet (BVerfG, NJW 2009, 1061, 1063). Dies ist hier nicht gegeben. Denn die vom Angeklagten erstrebte sexuelle Befriedigung bezog sich auf den Lustgewinn während des Zerstückelns der Leiche (UA S. 74). Sie war damit in spezifischer Weise auf den Tötungsakt selbst bezogen.
An der sich hierauf gründenden besonderen Verwerflichkeit der Tötung
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vermochte im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung auch der Wunsch des Tatopfers, getötet zu werden, nichts zu ändern. Ihm kommt daher eine besondere schuldmindernde Wirkung nicht zu. Das menschliche Leben steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter (BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279). Hierdurch wird auch die sich aus § 216 StGB ergebene Einwilligungssperre legitimiert (BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NStZ 2003, 537). Nur unter den engen – vom Landgericht rechtsfehlerfrei verneinten – Voraussetzungen dieser Vorschrift kann eine Einwilligung bei einer vorsätzlichen Tötung eines Menschen Bedeutung erlangen und die Tat in einem milderen Licht erscheinen lassen. Ein Absehen von der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt mithin vorliegend nicht in Betracht.

c) An die Stelle der vom Landgericht für den Mord verhängten Freiheits29 strafe von acht Jahren und sechs Monaten tritt daher lebenslange Freiheitsstrafe , auf die der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2000 – 2 StR 550/99, NStZ-RR 2000, 168). Aus dieser Einsatzstrafe und der wegen Störung der Totenruhe festgesetzten fünfmonatigen Freiheitsstrafe hat er die nach § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB allein zulässige lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe gebildet.

d) Einer Zurückverweisung der Sache im Übrigen bedurfte es nicht. Zwar
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handelt es sich bei der Frage, ob die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt (vgl. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB), um eine primär tatgerichtliche Wertung (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 366 f.; Urteil vom 2. Februar 2000 – 2 StR 550/99, NStZ-RR 2000, 168). In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt schließt der Senat aber angesichts der besonderen Tatumstände, namentlich des vom Opfer gebilligten Vorgehens des Angeklagten, aus, dass ein neu entscheidendes Tatgericht sie aufgrund der gebotenen zusammenfassenden Würdigung der Straftaten (§ 57b StGB) bejahen würde. Die Revision der Staatsanwaltschaft war aus diesem Grund insoweit zu verwerfen.
5. Die Entscheidung über die Kosten der Revision des Angeklagten folgt
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aus § 473 Abs. 1 StPO, diejenige über die Kosten der teilweise erfolglosen Revision der Staatsanwaltschaft aus § 473 Abs. 4 StPO. Der Senat sieht keinen Anlass, den Angeklagten von einem Teil der notwendigen Auslagen der Neben- klägerinnen im Revisionsverfahren zu entlasten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 1993 – 2 StR 384/93, BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 7; vom 17. September 1998 – 5 StR 224/98).
Mutzbauer Sander Schneider
Dölp Berger

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 21. Feb. 2018 - 5 StR 267/17

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Mai 2003 - 5 StR 66/03

bei uns veröffentlicht am 20.05.2003

Nachschlagewerk: nein BGHSt : nein Veröffentlichung: ja StGB § 222 Wer infolge einer Täuschung durch das Opfer vorsatzlos aktive Sterbehilfe leistet, nimmt nicht an einer tatbestandslosen Selbstgefährdung teil. BGH, Urteil vom 20. Mai 2003

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Apr. 2016 - 5 StR 504/15

bei uns veröffentlicht am 06.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 504/15 vom 6. April 2016 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2016:060416U5STR504.15.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der te
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 21. Feb. 2018 - 5 StR 267/17.

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2018 - 2 StR 245/17

bei uns veröffentlicht am 04.07.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 245/17 vom 4. Juli 2018 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja StGB § 30 Abs. 2 Var. 1, § 211 Abs. 2 Wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Tötungsverbrechen kann sich

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 504/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U5STR504.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dr. Berger, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W. , Rechtsanwältin B. als Verteidiger, Rechtsanwalt N. , Rechtsanwalt K. als Nebenklagevertreter,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. April 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit
1
Störung der Totenruhe zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen das Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die vom Angeklagten zudem erhobene Verfahrensbeanstandung nicht ankommt.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Nach der Trennung von seiner Ehefrau ging der nicht vorbestrafte Ange3 klagte, der bis zu seiner Inhaftierung als Handschriftensachverständiger im Landeskriminalamt Sachsen tätig war, im Jahr 2000 eine Beziehung zu einem Mann ein. Im Jahr 2003 erfolgte nach der Ehescheidung die Eintragung der Lebenspartnerschaft. In der neuen Beziehung lebte der Angeklagte die Freiheit zu weiteren sexuellen Kontakten offen aus. Nachdem er etwa im Jahr 2005 erstmals mit sadomasochistischen Praktiken in Kontakt gekommen war, registrierte er sich Anfang September 2013 auf einer Internetseite, deren Nutzer sich mit kannibalistischen Phantasien beschäftigen. Vom 6. September bis 5. November 2013 verfasste der Angeklagte eine Vielzahl von Nachrichten an unter- schiedliche Chatpartner. Dabei stellte er klar, an der „realen Schlachtung“ eines anderen Menschen interessiert zu sein, und bemühte sich, Treffen zu vereinbaren. Hierbei verwies er mit Blick auf das im Keller des von ihm bewohnten Hauses eingerichtete SM-Studio darauf, über geeignete Räumlichkeiten für die „Schlachtung“ zu verfügen, diese jedoch nur mit dem Einverständnis des ande- ren durchführen zu wollen. Fast ausnahmslos blieb es beim schriftlichen Austausch. Nur in zwei Fällen kam es zu persönlichen Treffen.
Am Abend des 12. September 2013 holte der Angeklagte den damals
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30 Jahre alten Zeugen Bu. in dessen Wohnung in BadenWürttemberg ab. Dessen Wunsch, vom Angeklagten aufgespießt und gegrillt zu werden, wurde jedoch nicht erfüllt, weil der Angeklagte zögerte und schließlich mitteilte, dass er zur Mitwirkung nicht mehr bereit sei; der Zeuge Bu. sei „zu jung zum Sterben“.
Bei seinen Versuchen, ein Treffen zu vereinbaren, hatte der Angeklagte
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nur noch bei dem 59-jährigen Tatopfer St. Erfolg. Dieser war zumindest seit dem Jahr 2011 im Internet auf der Suche nach einer Person, die ihn „schlachten und verspeisen“ würde. Auch er hatte sich auf der genann- ten Internetseite angemeldet. Am 2. Oktober 2013 nahm er Kontakt zum Angeklagten auf. In der Folge kam es zu wiederholten schriftlichen und telefonischen Kontakten. Immer wieder drang St. hierbei auf eine konkrete Verabredung. Am 4. November 2013 reiste er schließlich vereinbarungsgemäß mit dem Bus nach Dresden, wo er vom Angeklagten abgeholt wurde. In der Nacht zuvor war dieser in seinem SM-Studio vor eine Kamera getreten. Mit den Händen an seinem Geschlechtsteil manipulierend sprach er darüber, dass „morgen großes Schlachtfest sei, was für ihn sehr geil werde“. Auf der Fahrt vom Busbahnhof unterhielten sie sich über das gemeinsame Vorhaben, zu dem St. im Unterschied zum Angeklagten fest entschlossen war und auf dessen Umsetzung er auch nach der Ankunft im Haus des Angeklagten drang. Beide kamen schließlich überein, dass der Angeklagte ihn im Kellerstudio erhängen sollte.
Mit einem ca. 4,10 m langen und 10,90 mm starken Kletterseil wurde ein
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sogenannter Henkersknoten mit fünf bis fünfeinhalb Wicklungen geknüpft. Das andere Ende des Seiles verknotete der Angeklagte an einem Karabinerhaken, der sich am Ende des Seilzuges einer an einem Deckenbalken befestigten elektrischen Drahtseilwinde befand. St. legte sich die Schlinge um den Hals und zog sie zu. Auf seine Aufforderung verknotete der Angeklagte ihm die Hände auf dem Rücken mit Plastikkabelbindern.
Zwischen 17:43 Uhr und 17:45 Uhr zog der Angeklagte
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St. mittels der Seilwinde nach oben. Durch die Einwirkung des Körpergewichts von 83 kg zog sich die Schlinge zu und komprimierte die Halsschlagadern mit der Folge einer bereits nach wenigen Sekunden eintretenden Bewusstlosigkeit. Durch das Zusammenziehen der Schlinge sowie der Knoten und die Belastungsdehnung des Materials verlängerte sich das Seil, so dass St. mit den Füßen den Boden wieder berührte. Wegen der unmittelbar nach Kompressionsbeginn eingetretenen Bewusstseinstrübung bestand jedoch für ihn keine Möglichkeit mehr, sich aus der Schlinge zu befreien.
Der Angeklagte handelte, um St. in dessen Einverständnis zu
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töten. Durch die Tötung wollte der – voll schuldfähige – Angeklagte die anschließende Zerstückelung des Körpers, insbesondere die Präparation der Genitalien , ermöglichen, von der er sich sexuellen Lustgewinn versprach.
Um 17:47 Uhr schaltete der Angeklagte eine Videokamera an, die er be9 reitgestellt hatte, um sich durch die späteren Aufnahmen der Zerstückelung des Leichnams eine dauerhaft verfügbare sexuelle Stimulanz zu verschaffen. Nachdem bis ca. 17:49 Uhr der Körper des Tatopfers noch mehrfach deutlich sichtbar gezuckt hatte, ließ der Angeklagte die Seilwinde wieder herunter und schaltete die Videokamera aus. Todeszeitpunkt und -ursache konnten nicht festgestellt werden. St. verstarb entweder durch Ersticken infolge des Hängens oder durch einen ihm durch den Angeklagten später beigebrachten Kehlschnitt, sofern dieser noch vor Eintritt des Hirntodes erfolgte.
Nachdem der Angeklagte den Leichnam an den Füßen aufgehängt hatte,
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schaltete er die Kamera erneut ein. In den folgenden 15 Minuten legte er Penis und beide Hoden frei, bevor er sie mit dem Messer komplett abtrennte. Sodann eröffnete er mit einem größeren Messer die Bauchhöhle durch die vordere Rumpfwand. Danach stellte er die Kamera aus. Als er sie um 19:02 Uhr erneut aktivierte, hatte er den Körper bereits weitgehend zerteilt. Er hatte den Kopf abgetrennt, den Rumpf durchschnitten und die Organe der Brust- und Bauch- höhle entfernt. Auf einem mit einer weißen Decke versehenen Tisch hatte er einzelne Körperteile abgelegt. Die Hoden und den Penis hatte er dort auf einer silbernen Servierschale „drapiert“. Um 19:07 Uhr filmte sich der Angeklagte dabei , wie er – nunmehr vollständig unbekleidet – mit einem Messer die rechte Hand von dem auf einem Schneidebrett liegenden Arm abtrennte und im Anschluss daran mit seinen blutigen Händen an seinem Penis manipulierte. Den Kopf kochte er; anschließend zertrümmerte er ihn mit einem Vorschlaghammer. Er zerlegte die Leiche in kleine Teile und vergrub diese im Garten, wo sie später fast vollständig aufgefunden wurden; lediglich ein Hoden und der Penis fehlten.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen
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(§ 216 StGB) verneint; der Tötungswunsch von St. sei für den Angeklagten nicht handlungsleitend gewesen. Sein Entschluss habe schon festgestanden , bevor es zum Kontakt mit dem Geschädigten gekommen sei. Der Angeklagte habe seit Beginn seiner Chat-Aktivitäten aus eigenem Antrieb nach Personen gesucht, die bereit wären, sich von ihm töten, insbesondere schlachten zu lassen. Sein entsprechender Entschluss habe mithin bereits festgestanden , bevor St. sich ihm als Opfer anbot. Dass dieser dabei den ernstlichen Wunsch hatte, getötet und verspeist zu werden, sei für den Angeklagten zwar notwendige Voraussetzung zur Durchführung der Tat, aber nicht handlungsleitendes Motiv gewesen.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte we12 gen Mordes in Tateinheit mit Störung der Totenruhe schuldig gemacht habe. Er habe sowohl zur Befriedigung des Geschlechtstriebs als auch zur Ermöglichung einer Störung der Totenruhe (§ 168 Abs. 1 StGB) gehandelt. Von der „Schlachtung“ habe er sich sexuelle Befriedigung, zumindest aber sexuellen Lustgewinn versprochen und das Geschehen deswegen teilweise auf Video aufgenommen.
Das Ausweiden und Zerlegen eines getöteten Menschen dokumentiere eine grob ungehörige und eine rohe Gesinnung zeigende Handlung, die eine menschenunwürdige und die Würde des Menschen als Gattungswesen missachtende Behandlung darstelle.
Von der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe gemäß § 211 Abs. 1
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StGB hat das Landgericht abgesehen und die Strafe dem nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Zwar habe der Angeklagte zwei Mordmerkmale verwirklicht. Das in seiner Entschlussfähigkeit nicht beeinträchtigte Tatopfer sei aber mit der Tötung nicht nur einverstanden gewesen, sondern habe diese unbedingt gewollt. Angesichts der Nähe zum Tatbestand der Tötung auf Verlangen mit einem von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen sei die Verhängung lebenslanger Frei- heitsstrafe unverhältnismäßig. Der „unbedingte Todeswunsch“ stelle einen „außergewo ̈hnlichen Umstand“ im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten sogenannten Rechtsfolgenlösung dar. Vom Angeklagten seien keine weiteren gleichartigen Taten zu erwarten. Er habe nach der Tat seine Suche nach Opfern eingestellt und seine Aktivitäten im Internet beendet. Das von der Tat angefertigte Video habe er gelöscht. Er habe Reue gezeigt und sich bei den Angehörigen des Tatopfers entschuldigt.
3. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die revisi14 onsgerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn sie erweist sich als lückenhaft und nicht frei von Widersprüchen. Das Landgericht hat die Möglichkeit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass St. sich selbst getötet hat.
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a) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung , St. habe sich stehend in die Schlinge fallen lassen und somit selbst getötet, als unwahre Schutzbehauptung angesehen. Es sei nicht möglich gewesen, dass dieser vor Einwirkung seines Körpergewichts auf das Kletterseil mit den Füßen Kontakt zum Fußboden gehabt habe (UA S. 53). Zwar habe St. am Ende des Erhängungsvorgangs wieder Bodenkontakt gehabt, wobei „ca. fünf Zentimeter Spiel im Seil“ für ein aufrechtes Stehen vorhanden gewesen seien (UA S. 56). Durch das Körpergewicht habe sich das Seil jedoch nach Ansicht des sachverständig beratenen Landgerichts während der Belastung im Bereich von der Oberkante des am Karabinerhaken befestigten Ankerstegs bis zur Unterkante des Henkersknotens von ca. 20,5 cm auf ca. 43,4 cm, mithin um 22,9 cm verlängert. Angesichts dessen sei sicher auszuschließen , dass St. vor Belastung des Seils mit seinem Körpergewicht auch nur mit den Zehenspitzen Bodenkontakt gehabt habe (UA S. 58).

b) Diese Bewertung steht in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu der
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vom Landgericht getroffenen Feststellung, St. habe sich vor dem Tätigwerden des Angeklagten die Schlinge des Henkersknotens selbst um den Hals gelegt und zugezogen (UA S. 24). Denn dies kann er nur getan haben, wenn er – wenigstens auf Zehenspitzen – stand.

c) Diese Ausgangsposition kann – ungeachtet der abweichend getroffe17 nen Feststellung – auch nicht aufgrund der vom Landgericht mitgeteilten Berechnungen des Sachverständigen ausgeschlossen werden. Nach den insofern relevanten Daten befand sich die Unterkante des Lasthakens in einer Höhe von 196,5 cm. Infolge der Einwirkung des Körpergewichts verlängerte sich das Seil im Bereich von der Oberkante des Ankerstegs bis zur Unterkante des Henkersknotens von ca. 20,5 cm auf 43,4 cm (UA S. 58). Unbelastet befand sich die
Unterkante des Henkersknotens somit in einer Höhe von 176 cm. Von diesem Knoten ging die Schlinge nach unten ab. Angesichts dessen erscheint es ohne Weiteres möglich, dass der 171 cm große St. in der ursprünglichen Position Kontakt zum Boden hatte. Es stellt eine Lücke dar, dass das Landgericht sich hiermit nicht näher auseinandergesetzt hat.
Das gilt umso mehr, als es im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausführt,
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dass das verwendete Seil sich bereits „unmittelbar nach Einwirkung der Belastung“ durch das Körpergewicht um 16,21 % gedehnt habe (UA S. 56), und dementsprechend feststellt, dass „St. mit den Füßen wieder auf dem Boden zu stehen kam“ (UA S. 25). Es wäre zu erörtern gewesen, dass dadurch ein eventueller Verlust des Kontaktes zum Boden nur von kurzer Dauer gewesen sein kann.

d) Allerdings hat das auch insofern sachverständig beratene Landgericht
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in diesem Zusammenhang ausgeführt, das durch das festgestellte Betätigen des Seilzuges erfolgte Zuziehen des Seils habe eine Kompression der Hals- weichteile bewirken sowie „unmittelbar mit ihrem Beginn“ eine Bewusstseinstrübung und „binnen weniger Sekunden“ eine Bewusstlosigkeit nach sich ziehen können. Schon die Bewusstseinstrübung habe eine Selbstbefreiung aus der Schlinge ausgeschlossen (UA S. 61).
Danach stünde der ursprüngliche und möglicherweise andauernde oder
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nach kurzer Zeit wieder bestehende Bodenkontakt dem vom Landgericht festgestellten Geschehen nicht zwingend entgegen. Dies wäre freilich ebenso, wenn St. – wie der Angeklagte es behauptet – sich selbst in die Schlinge hätte fallen lassen. Auch dann hätte die unmittelbar nach dem Beginn der Kompression einsetzende Bewusstseinstrübung es ihm unmöglich gemacht , die lebensgefährliche Lage insbesondere durch einen abstützenden Einsatz seiner Beine wieder zu beenden. Auch hiermit hat sich das Landgericht nicht befasst.

e) Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass in die durchgeführten Be21 rechnungen ein Vergleich zwischen der sich am unteren Rand des rechten Ohrläppchens des Getöteten befindlichen Unterkante des Henkersknotens (153,1 cm) und der Höhe dieses Knotens bei einer stehenden und den Kopf neigenden, jedoch einen Zentimeter kleineren Vergleichsperson einbezogen worden ist, ohne zu erörtern, ob sich Ohrläppchen beim Menschen stets im selben Verhältnis zur Gesamtkörpergröße befinden.
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt aus den genannten Gründen
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(3.) zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) ebenfalls zur Aufhebung des Urteils. Im Übrigen hat sie hinsichtlich der Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses sowie des Rechtsfolgenausspruchs zum Nachteil des Angeklagten Erfolg.

a) Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe den Mord
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und die Störung der Totenruhe tateinheitlich verwirklicht, weil er die Zerstückelung des Leichnams von Anfang an geplant und in räumlich-zeitlichem Zusammenhang mit der Tötung vorgenommen hat. Diese Umstände vermögen jedoch die – angesichts der fehlenden identischen Ausführungshandlung (§ 52 Abs. 1 StGB) – notwendige wertende Verknüpfung beider Tatbestände nicht zu tragen. Vielmehr stehen beide Delikte im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), weil der für die Begehung des § 168 StGB erforderliche vorherige Tod des Opfers als maßgebliche Zäsur anzusehen ist.

b) Die Staatsanwaltschaft beanstandet weiter zu Recht, dass das Land24 gericht von der Verhängung der nach § 211 Abs. 1 StGB bei einer Verurteilung wegen Mordes vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen hat,
weil es deren Milderung nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187) und des Großen Senats für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, BGHSt 30, 105) „aus Gründen des verfas- sungsrechtlich verankerten Übermaßverbots für zwingend geboten“ (UA S. 88) erachtet hat. Denn die hierfür herangezogene sogenannte Rechtsfolgenlösung ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
aa) Die ihr zugrundeliegende Entscheidung des Großen Senats für Straf25 sachen (BGH, aaO) betraf allein das Mordmerkmal der Heimtücke. Eine Anwendung der insofern aufgestellten Grundsätze auch auf die hier erfüllten Mordmerkmale der Befriedigung des Geschlechtstriebes sowie der Ermöglichungsabsicht ist von Verfassungs wegen nicht ohne Weiteres geboten (BVerfG, NJW 2009, 1061, 1062 ff.).
bb) Die Voraussetzungen der Rechtsfolgenlösung sind nicht erfüllt.
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(1) Diese eröffnet nicht allgemein einen Sonderstrafrahmen für „minder
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schwere“ Fälle. Vielmehr müssen „Entlastungsfaktoren, die den Charakter au- ßergewöhnlicher Umstände haben“, vorliegen, so „dass jener ‚Grenzfall‘ (BVerfGE 45, 187, 266, 267) eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen er- heblich geminderter Schuld unverhältnismäßig wäre“ (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, aaO, 118 f.). Dies soll etwa bei Taten in Betracht gezogen werden können, die durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweiflung begangen, aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“ auf Grundeiner schweren Provokation verübt worden sind oder in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Op- fer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, aaO, 119). Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind und im Hinblick auf die überragende Bedeutung des geschützten Rechtsguts nicht voreilig bejaht werden dürfen (BGH, Urteile vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7; vom 23. November 2004 – 1 StR 331/04, NStZ 2005, 154,

155).


(2) Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Der Angeklagte handelte
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nicht aus einer außergewöhnlichen Notlage heraus; er befand sich auch nicht in einer den angeführten Beispielen entsprechenden notstandsnahen Bedrängnis. Vielmehr tötete er nach den Feststellungen primär zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und damit in besonders verwerflicher Weise. Dabei erwächst der gesteigerte Unwert der Tat aus dem groben Missverhältnis von Mittel und Zweck, indem der Täter das Leben eines anderen Menschen der Befriedigung eigener Geschlechtslust unterordnet (BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 86; BVerfG, NJW 2009, 1061, 1063).
(3) Hieran vermochte auch der Wunsch des Tatopfers, getötet zu wer29 den, nichts zu ändern. Das menschliche Leben steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter (BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279). Hierdurch wird auch die sich aus § 216 StGB ergebende Einwilligungssperre legitimiert (BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NStZ 2003, 537). Nur unter den engen – vom Landgericht auf der Basis der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneinten (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 91 f.) – Voraussetzungen dieser
Vorschrift kann eine Einwilligung bei einer vorsätzlichen Tötung eines Menschen Bedeutung erlangen und die Tat in einem milderen Licht erscheinen lassen. Ein Absehen von der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt mithin vorliegend nicht in Betracht und konnte vom Landgericht auch nicht auf die kaum verständliche Erwägung gestützt werden, St. habe getötet, zerstückelt und verspeist werden wollen und sei nicht lediglich – wie das Opfer in dem Fall, der der Entscheidung aus dem Jahr 2005 zugrunde lag (BGH, aaO) – mit seiner Tötung einverstanden gewesen, um das Ziel einer Penisamputation zu verwirklichen (UA S. 88).
cc) Angesichts dessen braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die
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tatgerichtliche Einschätzung, St. sei nicht „infolge einer psychischen Erkrankung o.ä. in seiner Entschlussfreiheit beeinträchtigt gewesen“ (UA S. 87), auf einer hinreichenden Prüfung beruht. Er kann auch offen lassen, ob an der sogenannten Rechtsfolgenlösung überhaupt festzuhalten ist.
5. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierfür
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weist der Senat auf das Folgende hin:
a) Sollte das neue Tatgericht sich nicht davon überzeugen können, dass
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der Angeklagte St. erhängt hat, wäre bei der strafrechtlichen Bewertung die von ihm jedenfalls beigebrachte „glattrandige Durchtren- nung der Halsweichteile einschließlich des Kehldeckels“ (UA S. 66, auch 26) in den Blick zu nehmen. Hierbei wäre zu würdigen, dass der Angeklagte im Rahmen seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter gegenüber der Polizei angegeben hat, St. „mit einem Messer … die Kehle durchgeschnitten“ und ihn dadurch getötet zu haben, was dessen „erster Wunsch“ gewesen sei (UA S. 30) und im Übrigen mit den von diesem für die Tat gemachten Vorgaben übereinstimmt. St. hatte insofern u.a. als „No Go’s“ mitgeteilt: „Keine Verletzungen im Kopfbereich, außer natürlich den Kopf abschneiden, solange ich noch lebe“ (UA S. 17). Sollte sich wiederum nicht feststellen lassen, ob St. zum Zeitpunkt des Schnittes noch lebte, so wäre eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB) in Betracht zu ziehen.

b) Sofern es ungeachtet der sonstigen auf eine durch den Angeklagten
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begangene Tötung hindeutenden Indizien (etwa Geständnis bei der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung; durch St. geäußerter Wunsch, in näher beschriebener Weise getötet zu werden; gegen eine Selbsttötung sprechende sexuell untermauerte Phantasie, geschlachtet zu werden) erneut auf die vom Tatgericht angestellten Berechnungen ankommen sollte, wird die Durchführung eines Versuchs mit einer derartigen Anordnung in Betracht zu ziehen sein, die mit der auf dem Video festgestellten Hängesituation im Ergebnis identisch und dieser nicht nur ähnlich ist.

c) Zudem wird gegebenenfalls auch die Gelegenheit bestehen, näher
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darzulegen, welche konkreten Auswirkungen die seitens des rechtsmedizini- schen Sachverständigen diskutierte „Bewusstseinstrübung“ gehabt hat bzw. gehabt haben könnte und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Einschätzung zugrunde liegen. Denn die vom Landgericht festgestellte unmittelbar nach Kompressionsbeginn einsetzende, zumindest weitgehende Handlungsunfähigkeit versteht sich nicht von selbst.

d) Sollte das neue Tatgericht erneut feststellen, dass der Angeklagte vor
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dem Geschehen im Keller-Studio Crystal konsumiert und sich anschließend „entspannter gefühlt“ hat (UA S. 24 und 34), so darf ihm wegen des zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Tatplans bei der Bemessung einer eventuell zu verhängenden zeitigen Freiheitsstrafe eine „gewisse Enthemmung“ nicht zugutegehalten werden.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.

(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.

(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.

(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.

(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
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vom
6. April 2016
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ECLI:DE:BGH:2016:060416U5STR504.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dr. Berger, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W. , Rechtsanwältin B. als Verteidiger, Rechtsanwalt N. , Rechtsanwalt K. als Nebenklagevertreter,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. April 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit
1
Störung der Totenruhe zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen das Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die vom Angeklagten zudem erhobene Verfahrensbeanstandung nicht ankommt.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Nach der Trennung von seiner Ehefrau ging der nicht vorbestrafte Ange3 klagte, der bis zu seiner Inhaftierung als Handschriftensachverständiger im Landeskriminalamt Sachsen tätig war, im Jahr 2000 eine Beziehung zu einem Mann ein. Im Jahr 2003 erfolgte nach der Ehescheidung die Eintragung der Lebenspartnerschaft. In der neuen Beziehung lebte der Angeklagte die Freiheit zu weiteren sexuellen Kontakten offen aus. Nachdem er etwa im Jahr 2005 erstmals mit sadomasochistischen Praktiken in Kontakt gekommen war, registrierte er sich Anfang September 2013 auf einer Internetseite, deren Nutzer sich mit kannibalistischen Phantasien beschäftigen. Vom 6. September bis 5. November 2013 verfasste der Angeklagte eine Vielzahl von Nachrichten an unter- schiedliche Chatpartner. Dabei stellte er klar, an der „realen Schlachtung“ eines anderen Menschen interessiert zu sein, und bemühte sich, Treffen zu vereinbaren. Hierbei verwies er mit Blick auf das im Keller des von ihm bewohnten Hauses eingerichtete SM-Studio darauf, über geeignete Räumlichkeiten für die „Schlachtung“ zu verfügen, diese jedoch nur mit dem Einverständnis des ande- ren durchführen zu wollen. Fast ausnahmslos blieb es beim schriftlichen Austausch. Nur in zwei Fällen kam es zu persönlichen Treffen.
Am Abend des 12. September 2013 holte der Angeklagte den damals
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30 Jahre alten Zeugen Bu. in dessen Wohnung in BadenWürttemberg ab. Dessen Wunsch, vom Angeklagten aufgespießt und gegrillt zu werden, wurde jedoch nicht erfüllt, weil der Angeklagte zögerte und schließlich mitteilte, dass er zur Mitwirkung nicht mehr bereit sei; der Zeuge Bu. sei „zu jung zum Sterben“.
Bei seinen Versuchen, ein Treffen zu vereinbaren, hatte der Angeklagte
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nur noch bei dem 59-jährigen Tatopfer St. Erfolg. Dieser war zumindest seit dem Jahr 2011 im Internet auf der Suche nach einer Person, die ihn „schlachten und verspeisen“ würde. Auch er hatte sich auf der genann- ten Internetseite angemeldet. Am 2. Oktober 2013 nahm er Kontakt zum Angeklagten auf. In der Folge kam es zu wiederholten schriftlichen und telefonischen Kontakten. Immer wieder drang St. hierbei auf eine konkrete Verabredung. Am 4. November 2013 reiste er schließlich vereinbarungsgemäß mit dem Bus nach Dresden, wo er vom Angeklagten abgeholt wurde. In der Nacht zuvor war dieser in seinem SM-Studio vor eine Kamera getreten. Mit den Händen an seinem Geschlechtsteil manipulierend sprach er darüber, dass „morgen großes Schlachtfest sei, was für ihn sehr geil werde“. Auf der Fahrt vom Busbahnhof unterhielten sie sich über das gemeinsame Vorhaben, zu dem St. im Unterschied zum Angeklagten fest entschlossen war und auf dessen Umsetzung er auch nach der Ankunft im Haus des Angeklagten drang. Beide kamen schließlich überein, dass der Angeklagte ihn im Kellerstudio erhängen sollte.
Mit einem ca. 4,10 m langen und 10,90 mm starken Kletterseil wurde ein
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sogenannter Henkersknoten mit fünf bis fünfeinhalb Wicklungen geknüpft. Das andere Ende des Seiles verknotete der Angeklagte an einem Karabinerhaken, der sich am Ende des Seilzuges einer an einem Deckenbalken befestigten elektrischen Drahtseilwinde befand. St. legte sich die Schlinge um den Hals und zog sie zu. Auf seine Aufforderung verknotete der Angeklagte ihm die Hände auf dem Rücken mit Plastikkabelbindern.
Zwischen 17:43 Uhr und 17:45 Uhr zog der Angeklagte
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St. mittels der Seilwinde nach oben. Durch die Einwirkung des Körpergewichts von 83 kg zog sich die Schlinge zu und komprimierte die Halsschlagadern mit der Folge einer bereits nach wenigen Sekunden eintretenden Bewusstlosigkeit. Durch das Zusammenziehen der Schlinge sowie der Knoten und die Belastungsdehnung des Materials verlängerte sich das Seil, so dass St. mit den Füßen den Boden wieder berührte. Wegen der unmittelbar nach Kompressionsbeginn eingetretenen Bewusstseinstrübung bestand jedoch für ihn keine Möglichkeit mehr, sich aus der Schlinge zu befreien.
Der Angeklagte handelte, um St. in dessen Einverständnis zu
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töten. Durch die Tötung wollte der – voll schuldfähige – Angeklagte die anschließende Zerstückelung des Körpers, insbesondere die Präparation der Genitalien , ermöglichen, von der er sich sexuellen Lustgewinn versprach.
Um 17:47 Uhr schaltete der Angeklagte eine Videokamera an, die er be9 reitgestellt hatte, um sich durch die späteren Aufnahmen der Zerstückelung des Leichnams eine dauerhaft verfügbare sexuelle Stimulanz zu verschaffen. Nachdem bis ca. 17:49 Uhr der Körper des Tatopfers noch mehrfach deutlich sichtbar gezuckt hatte, ließ der Angeklagte die Seilwinde wieder herunter und schaltete die Videokamera aus. Todeszeitpunkt und -ursache konnten nicht festgestellt werden. St. verstarb entweder durch Ersticken infolge des Hängens oder durch einen ihm durch den Angeklagten später beigebrachten Kehlschnitt, sofern dieser noch vor Eintritt des Hirntodes erfolgte.
Nachdem der Angeklagte den Leichnam an den Füßen aufgehängt hatte,
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schaltete er die Kamera erneut ein. In den folgenden 15 Minuten legte er Penis und beide Hoden frei, bevor er sie mit dem Messer komplett abtrennte. Sodann eröffnete er mit einem größeren Messer die Bauchhöhle durch die vordere Rumpfwand. Danach stellte er die Kamera aus. Als er sie um 19:02 Uhr erneut aktivierte, hatte er den Körper bereits weitgehend zerteilt. Er hatte den Kopf abgetrennt, den Rumpf durchschnitten und die Organe der Brust- und Bauch- höhle entfernt. Auf einem mit einer weißen Decke versehenen Tisch hatte er einzelne Körperteile abgelegt. Die Hoden und den Penis hatte er dort auf einer silbernen Servierschale „drapiert“. Um 19:07 Uhr filmte sich der Angeklagte dabei , wie er – nunmehr vollständig unbekleidet – mit einem Messer die rechte Hand von dem auf einem Schneidebrett liegenden Arm abtrennte und im Anschluss daran mit seinen blutigen Händen an seinem Penis manipulierte. Den Kopf kochte er; anschließend zertrümmerte er ihn mit einem Vorschlaghammer. Er zerlegte die Leiche in kleine Teile und vergrub diese im Garten, wo sie später fast vollständig aufgefunden wurden; lediglich ein Hoden und der Penis fehlten.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen
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(§ 216 StGB) verneint; der Tötungswunsch von St. sei für den Angeklagten nicht handlungsleitend gewesen. Sein Entschluss habe schon festgestanden , bevor es zum Kontakt mit dem Geschädigten gekommen sei. Der Angeklagte habe seit Beginn seiner Chat-Aktivitäten aus eigenem Antrieb nach Personen gesucht, die bereit wären, sich von ihm töten, insbesondere schlachten zu lassen. Sein entsprechender Entschluss habe mithin bereits festgestanden , bevor St. sich ihm als Opfer anbot. Dass dieser dabei den ernstlichen Wunsch hatte, getötet und verspeist zu werden, sei für den Angeklagten zwar notwendige Voraussetzung zur Durchführung der Tat, aber nicht handlungsleitendes Motiv gewesen.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte we12 gen Mordes in Tateinheit mit Störung der Totenruhe schuldig gemacht habe. Er habe sowohl zur Befriedigung des Geschlechtstriebs als auch zur Ermöglichung einer Störung der Totenruhe (§ 168 Abs. 1 StGB) gehandelt. Von der „Schlachtung“ habe er sich sexuelle Befriedigung, zumindest aber sexuellen Lustgewinn versprochen und das Geschehen deswegen teilweise auf Video aufgenommen.
Das Ausweiden und Zerlegen eines getöteten Menschen dokumentiere eine grob ungehörige und eine rohe Gesinnung zeigende Handlung, die eine menschenunwürdige und die Würde des Menschen als Gattungswesen missachtende Behandlung darstelle.
Von der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe gemäß § 211 Abs. 1
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StGB hat das Landgericht abgesehen und die Strafe dem nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Zwar habe der Angeklagte zwei Mordmerkmale verwirklicht. Das in seiner Entschlussfähigkeit nicht beeinträchtigte Tatopfer sei aber mit der Tötung nicht nur einverstanden gewesen, sondern habe diese unbedingt gewollt. Angesichts der Nähe zum Tatbestand der Tötung auf Verlangen mit einem von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen sei die Verhängung lebenslanger Frei- heitsstrafe unverhältnismäßig. Der „unbedingte Todeswunsch“ stelle einen „außergewo ̈hnlichen Umstand“ im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten sogenannten Rechtsfolgenlösung dar. Vom Angeklagten seien keine weiteren gleichartigen Taten zu erwarten. Er habe nach der Tat seine Suche nach Opfern eingestellt und seine Aktivitäten im Internet beendet. Das von der Tat angefertigte Video habe er gelöscht. Er habe Reue gezeigt und sich bei den Angehörigen des Tatopfers entschuldigt.
3. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die revisi14 onsgerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn sie erweist sich als lückenhaft und nicht frei von Widersprüchen. Das Landgericht hat die Möglichkeit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass St. sich selbst getötet hat.
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a) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung , St. habe sich stehend in die Schlinge fallen lassen und somit selbst getötet, als unwahre Schutzbehauptung angesehen. Es sei nicht möglich gewesen, dass dieser vor Einwirkung seines Körpergewichts auf das Kletterseil mit den Füßen Kontakt zum Fußboden gehabt habe (UA S. 53). Zwar habe St. am Ende des Erhängungsvorgangs wieder Bodenkontakt gehabt, wobei „ca. fünf Zentimeter Spiel im Seil“ für ein aufrechtes Stehen vorhanden gewesen seien (UA S. 56). Durch das Körpergewicht habe sich das Seil jedoch nach Ansicht des sachverständig beratenen Landgerichts während der Belastung im Bereich von der Oberkante des am Karabinerhaken befestigten Ankerstegs bis zur Unterkante des Henkersknotens von ca. 20,5 cm auf ca. 43,4 cm, mithin um 22,9 cm verlängert. Angesichts dessen sei sicher auszuschließen , dass St. vor Belastung des Seils mit seinem Körpergewicht auch nur mit den Zehenspitzen Bodenkontakt gehabt habe (UA S. 58).

b) Diese Bewertung steht in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu der
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vom Landgericht getroffenen Feststellung, St. habe sich vor dem Tätigwerden des Angeklagten die Schlinge des Henkersknotens selbst um den Hals gelegt und zugezogen (UA S. 24). Denn dies kann er nur getan haben, wenn er – wenigstens auf Zehenspitzen – stand.

c) Diese Ausgangsposition kann – ungeachtet der abweichend getroffe17 nen Feststellung – auch nicht aufgrund der vom Landgericht mitgeteilten Berechnungen des Sachverständigen ausgeschlossen werden. Nach den insofern relevanten Daten befand sich die Unterkante des Lasthakens in einer Höhe von 196,5 cm. Infolge der Einwirkung des Körpergewichts verlängerte sich das Seil im Bereich von der Oberkante des Ankerstegs bis zur Unterkante des Henkersknotens von ca. 20,5 cm auf 43,4 cm (UA S. 58). Unbelastet befand sich die
Unterkante des Henkersknotens somit in einer Höhe von 176 cm. Von diesem Knoten ging die Schlinge nach unten ab. Angesichts dessen erscheint es ohne Weiteres möglich, dass der 171 cm große St. in der ursprünglichen Position Kontakt zum Boden hatte. Es stellt eine Lücke dar, dass das Landgericht sich hiermit nicht näher auseinandergesetzt hat.
Das gilt umso mehr, als es im Rahmen seiner Beweiswürdigung ausführt,
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dass das verwendete Seil sich bereits „unmittelbar nach Einwirkung der Belastung“ durch das Körpergewicht um 16,21 % gedehnt habe (UA S. 56), und dementsprechend feststellt, dass „St. mit den Füßen wieder auf dem Boden zu stehen kam“ (UA S. 25). Es wäre zu erörtern gewesen, dass dadurch ein eventueller Verlust des Kontaktes zum Boden nur von kurzer Dauer gewesen sein kann.

d) Allerdings hat das auch insofern sachverständig beratene Landgericht
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in diesem Zusammenhang ausgeführt, das durch das festgestellte Betätigen des Seilzuges erfolgte Zuziehen des Seils habe eine Kompression der Hals- weichteile bewirken sowie „unmittelbar mit ihrem Beginn“ eine Bewusstseinstrübung und „binnen weniger Sekunden“ eine Bewusstlosigkeit nach sich ziehen können. Schon die Bewusstseinstrübung habe eine Selbstbefreiung aus der Schlinge ausgeschlossen (UA S. 61).
Danach stünde der ursprüngliche und möglicherweise andauernde oder
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nach kurzer Zeit wieder bestehende Bodenkontakt dem vom Landgericht festgestellten Geschehen nicht zwingend entgegen. Dies wäre freilich ebenso, wenn St. – wie der Angeklagte es behauptet – sich selbst in die Schlinge hätte fallen lassen. Auch dann hätte die unmittelbar nach dem Beginn der Kompression einsetzende Bewusstseinstrübung es ihm unmöglich gemacht , die lebensgefährliche Lage insbesondere durch einen abstützenden Einsatz seiner Beine wieder zu beenden. Auch hiermit hat sich das Landgericht nicht befasst.

e) Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass in die durchgeführten Be21 rechnungen ein Vergleich zwischen der sich am unteren Rand des rechten Ohrläppchens des Getöteten befindlichen Unterkante des Henkersknotens (153,1 cm) und der Höhe dieses Knotens bei einer stehenden und den Kopf neigenden, jedoch einen Zentimeter kleineren Vergleichsperson einbezogen worden ist, ohne zu erörtern, ob sich Ohrläppchen beim Menschen stets im selben Verhältnis zur Gesamtkörpergröße befinden.
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt aus den genannten Gründen
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(3.) zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) ebenfalls zur Aufhebung des Urteils. Im Übrigen hat sie hinsichtlich der Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses sowie des Rechtsfolgenausspruchs zum Nachteil des Angeklagten Erfolg.

a) Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe den Mord
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und die Störung der Totenruhe tateinheitlich verwirklicht, weil er die Zerstückelung des Leichnams von Anfang an geplant und in räumlich-zeitlichem Zusammenhang mit der Tötung vorgenommen hat. Diese Umstände vermögen jedoch die – angesichts der fehlenden identischen Ausführungshandlung (§ 52 Abs. 1 StGB) – notwendige wertende Verknüpfung beider Tatbestände nicht zu tragen. Vielmehr stehen beide Delikte im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), weil der für die Begehung des § 168 StGB erforderliche vorherige Tod des Opfers als maßgebliche Zäsur anzusehen ist.

b) Die Staatsanwaltschaft beanstandet weiter zu Recht, dass das Land24 gericht von der Verhängung der nach § 211 Abs. 1 StGB bei einer Verurteilung wegen Mordes vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen hat,
weil es deren Milderung nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Blick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe (BVerfGE 45, 187) und des Großen Senats für Strafsachen (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, BGHSt 30, 105) „aus Gründen des verfas- sungsrechtlich verankerten Übermaßverbots für zwingend geboten“ (UA S. 88) erachtet hat. Denn die hierfür herangezogene sogenannte Rechtsfolgenlösung ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
aa) Die ihr zugrundeliegende Entscheidung des Großen Senats für Straf25 sachen (BGH, aaO) betraf allein das Mordmerkmal der Heimtücke. Eine Anwendung der insofern aufgestellten Grundsätze auch auf die hier erfüllten Mordmerkmale der Befriedigung des Geschlechtstriebes sowie der Ermöglichungsabsicht ist von Verfassungs wegen nicht ohne Weiteres geboten (BVerfG, NJW 2009, 1061, 1062 ff.).
bb) Die Voraussetzungen der Rechtsfolgenlösung sind nicht erfüllt.
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(1) Diese eröffnet nicht allgemein einen Sonderstrafrahmen für „minder
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schwere“ Fälle. Vielmehr müssen „Entlastungsfaktoren, die den Charakter au- ßergewöhnlicher Umstände haben“, vorliegen, so „dass jener ‚Grenzfall‘ (BVerfGE 45, 187, 266, 267) eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen er- heblich geminderter Schuld unverhältnismäßig wäre“ (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, aaO, 118 f.). Dies soll etwa bei Taten in Betracht gezogen werden können, die durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweiflung begangen, aus tiefem Mitleid oder aus „gerechtem Zorn“ auf Grundeiner schweren Provokation verübt worden sind oder in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Op- fer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1981 – GSSt 1/81, aaO, 119). Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind und im Hinblick auf die überragende Bedeutung des geschützten Rechtsguts nicht voreilig bejaht werden dürfen (BGH, Urteile vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7; vom 23. November 2004 – 1 StR 331/04, NStZ 2005, 154,

155).


(2) Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Der Angeklagte handelte
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nicht aus einer außergewöhnlichen Notlage heraus; er befand sich auch nicht in einer den angeführten Beispielen entsprechenden notstandsnahen Bedrängnis. Vielmehr tötete er nach den Feststellungen primär zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs und damit in besonders verwerflicher Weise. Dabei erwächst der gesteigerte Unwert der Tat aus dem groben Missverhältnis von Mittel und Zweck, indem der Täter das Leben eines anderen Menschen der Befriedigung eigener Geschlechtslust unterordnet (BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 86; BVerfG, NJW 2009, 1061, 1063).
(3) Hieran vermochte auch der Wunsch des Tatopfers, getötet zu wer29 den, nichts zu ändern. Das menschliche Leben steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter (BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279). Hierdurch wird auch die sich aus § 216 StGB ergebende Einwilligungssperre legitimiert (BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NStZ 2003, 537). Nur unter den engen – vom Landgericht auf der Basis der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneinten (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 91 f.) – Voraussetzungen dieser
Vorschrift kann eine Einwilligung bei einer vorsätzlichen Tötung eines Menschen Bedeutung erlangen und die Tat in einem milderen Licht erscheinen lassen. Ein Absehen von der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt mithin vorliegend nicht in Betracht und konnte vom Landgericht auch nicht auf die kaum verständliche Erwägung gestützt werden, St. habe getötet, zerstückelt und verspeist werden wollen und sei nicht lediglich – wie das Opfer in dem Fall, der der Entscheidung aus dem Jahr 2005 zugrunde lag (BGH, aaO) – mit seiner Tötung einverstanden gewesen, um das Ziel einer Penisamputation zu verwirklichen (UA S. 88).
cc) Angesichts dessen braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die
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tatgerichtliche Einschätzung, St. sei nicht „infolge einer psychischen Erkrankung o.ä. in seiner Entschlussfreiheit beeinträchtigt gewesen“ (UA S. 87), auf einer hinreichenden Prüfung beruht. Er kann auch offen lassen, ob an der sogenannten Rechtsfolgenlösung überhaupt festzuhalten ist.
5. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierfür
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weist der Senat auf das Folgende hin:
a) Sollte das neue Tatgericht sich nicht davon überzeugen können, dass
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der Angeklagte St. erhängt hat, wäre bei der strafrechtlichen Bewertung die von ihm jedenfalls beigebrachte „glattrandige Durchtren- nung der Halsweichteile einschließlich des Kehldeckels“ (UA S. 66, auch 26) in den Blick zu nehmen. Hierbei wäre zu würdigen, dass der Angeklagte im Rahmen seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter gegenüber der Polizei angegeben hat, St. „mit einem Messer … die Kehle durchgeschnitten“ und ihn dadurch getötet zu haben, was dessen „erster Wunsch“ gewesen sei (UA S. 30) und im Übrigen mit den von diesem für die Tat gemachten Vorgaben übereinstimmt. St. hatte insofern u.a. als „No Go’s“ mitgeteilt: „Keine Verletzungen im Kopfbereich, außer natürlich den Kopf abschneiden, solange ich noch lebe“ (UA S. 17). Sollte sich wiederum nicht feststellen lassen, ob St. zum Zeitpunkt des Schnittes noch lebte, so wäre eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB) in Betracht zu ziehen.

b) Sofern es ungeachtet der sonstigen auf eine durch den Angeklagten
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begangene Tötung hindeutenden Indizien (etwa Geständnis bei der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung; durch St. geäußerter Wunsch, in näher beschriebener Weise getötet zu werden; gegen eine Selbsttötung sprechende sexuell untermauerte Phantasie, geschlachtet zu werden) erneut auf die vom Tatgericht angestellten Berechnungen ankommen sollte, wird die Durchführung eines Versuchs mit einer derartigen Anordnung in Betracht zu ziehen sein, die mit der auf dem Video festgestellten Hängesituation im Ergebnis identisch und dieser nicht nur ähnlich ist.

c) Zudem wird gegebenenfalls auch die Gelegenheit bestehen, näher
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darzulegen, welche konkreten Auswirkungen die seitens des rechtsmedizini- schen Sachverständigen diskutierte „Bewusstseinstrübung“ gehabt hat bzw. gehabt haben könnte und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Einschätzung zugrunde liegen. Denn die vom Landgericht festgestellte unmittelbar nach Kompressionsbeginn einsetzende, zumindest weitgehende Handlungsunfähigkeit versteht sich nicht von selbst.

d) Sollte das neue Tatgericht erneut feststellen, dass der Angeklagte vor
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dem Geschehen im Keller-Studio Crystal konsumiert und sich anschließend „entspannter gefühlt“ hat (UA S. 24 und 34), so darf ihm wegen des zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Tatplans bei der Bemessung einer eventuell zu verhängenden zeitigen Freiheitsstrafe eine „gewisse Enthemmung“ nicht zugutegehalten werden.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Ist auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt, so werden bei der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 122/09
vom
7. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Mai 2009,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
der Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 20. Oktober 2008 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung für schuldig befunden, für diese Tat eine Freiheitsstrafe von drei Jahren festgesetzt und ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen (dreimal sechs Jahre und zweimal drei Jahre Freiheitsstrafe ) aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 22. Februar 2008 (rechtskräftig seit dem 10. September 2008) unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den "Rechtsfolgenausspruch" beschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
3
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Das Rechtsmittel erfasst deshalb nicht die im angefochtenen Urteil unterbliebene Erörterung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung, obwohl unter Berücksichtigung der einbezogenen Strafen und der ihnen zugrunde liegenden Taten die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB erfüllt waren (vgl. BGH NStZ 2002, 536, 537; 2007, 212; Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66 Rdn. 84 und 107). Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung ist vielmehr vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
4
a) Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift eine Beschränkung auf den "Rechtsfolgenausspruch" erklärt und am Ende ihrer Ausführungen als Ziel ihres Rechtsmittels die Aufhebung des Urteils im "Rechtsfolgenausspruch" und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung über die "Rechtsfolgen" benannt. Mit diesem den gesamten Rechtsfolgenausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil nur deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Einzelstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und sowohl die Einzel- als auch die Gesamtfreiheitsstrafe unangemessen milde bemessen habe. Dass das Landgericht, wie der Generalbundesanwalt meint, es auch rechtsfehlerhaft unterlassen habe, die Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung zu prüfen, beanstandet die Beschwerdeführerin in ihrer Revisionsbegründung nicht.
5
Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das An- griffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; BGH NStZ-RR 2004, 118; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 10). Nach dem insoweit maßgeblichen und hier eindeutigen Sinn der Revisionsbegründung ist deshalb allein der Strafausspruch angefochten und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Senat bemerkt jedoch, dass, zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft, der Revisionsantrag deckungsgleich mit dem Inhalt der Revisionsbegründung sein sollte. Das Revisionsverfahren wird unnötig belastet, wenn der Umfang der Anfechtung erst durch Auslegung ermittelt werden muss (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 118; Nr. 156 Abs. 2 RiStBV).
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b) Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Aussprüche über einzelne Rechtsfolgen selbständig angegriffen werden können (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 12 m. w. N.). Voraussetzung ist jedoch, dass zwischen der angefochtenen und den übrigen Rechtsfolgen keine Wechselwirkung besteht (vgl. Kuckein aaO). So kann die Staatsanwaltschaft ihre Revision etwa wirksam auf die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränken, wenn davon auszugehen ist, dass die Nichtanordnung der Maßregel die Strafe nicht beeinflusst hat, diese also nicht niedriger ausgefallen wäre, wenn auf Sicherungsverwahrung erkannt worden wäre (vgl. BGH NStZ 2007, 212; BGH, Urt. vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98). Für den hier vorliegenden umgekehrten Fall - Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf den Strafausspruch unter Ausnahme der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung vom Rechtsmittelangriff - gilt nichts anderes, wenn eine Wechselwirkung zwischen Strafe und unterbliebener Maßregelanordnung auszuschließen ist.
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So verhält es sich hier. Dem Urteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass zwischen einer unterbliebenen Anordnung der Sicherungsverwahrung und der vom Landgericht festgesetzten Einzel- und Gesamtstrafe ein innerer Zusammenhang besteht und das Landgericht im Falle einer Maßregelanordnung die Strafen anders als geschehen bemessen hätte.
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2. Der damit der revisionsrechtlichen Überprüfung allein unterliegende Strafausspruch hat keinen Bestand.
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a) Nach den Feststellungen des Landgerichts erschlich sich der Angeklagte in Raubabsicht den Zutritt in das Wohnhaus der zu dieser Zeit allein anwesenden Zeugin P. . Er bedrohte die Zeugin sogleich mit einer geladenen Gaswaffe und zwang sie zunächst zur Übergabe der von ihr getragenen Schmuckstücke und zur Herausgabe von 6.000 Euro Bargeld. Da der Angeklagte aufgrund des Hinweises seines Tippgebers davon ausging, dass im Haus noch weitere Wertgegenstände verwahrt wurden, fesselte er die Zeugin im Schlafzimmer des 1. Obergeschosses mit Kabelbindern an Händen und Füßen und begann, das Haus zu durchsuchen. Währenddessen gelang es der Zeugin, die Hand-, nicht aber die Fußfesseln zu lösen. Sie hüpfte, in der Absicht von dort zu fliehen, auf den Balkon. Durch Hilferufe der Zeugin aufmerksam geworden , erkannte der Angeklagte die Fluchtabsicht der Zeugin, die bereits die Balkonbrüstung überstiegen hatte. Es kam zu einem Handgemenge zwischen der Zeugin und dem Angeklagten, der versuchte, die Zeugin von einer Flucht abzuhalten. In dessen Verlauf stürzte die Zeugin vom Balkon etwa drei Meter in die Tiefe und verletzte sich dabei schwer. Der Angeklagte hatte diese Gefahr erkannt , jedoch darauf vertraut, dass diese sich nicht realisiert. Ihm gelang die Flucht mit der bereits erzielten Beute.
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b) Das Landgericht hat die Tat als einen minder schweren Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB gewertet. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
12
Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (vgl. BGHSt 26, 97 ff.; BGH NStZ-RR 2004, 80).
13
Umstände, die geeignet sind, diesen an das Vorliegen eines minder schweren Falles zu stellenden Anforderungen zu genügen, zeigt das Landgericht nicht auf. Vielmehr überwiegen die strafschärfenden Faktoren in einer Weise, dass die Annahme eines minder schweren Falles unvertretbar ist.
14
Zu Lasten des Angeklagten hat das Landgericht die bei Begehung der Tat zum Ausdruck gekommene erhebliche kriminelle Energie des Angeklagten berücksichtigt. Er habe die Tat umfangreich geplant, sich mit einer geladenen Gaswaffe und mit Fesselungswerkzeug ausgestattet und sei davon ausgegangen , Bargeld in Höhe von 100.000 bis 150.000 Euro sowie gleichwertigen Schmuck im Hause des Tatopfers erbeuten zu können. Er sei in die Privatsphäre des Opfers eingedrungen und habe es nicht nur bedroht sondern auch gefesselt. Zudem seien dem Angeklagten die schweren physischen (Bruch der Wirbelsäule, Gefahr der Querschnittslähmung, Notoperation, fünfmonatige Metallstabilisierung , anhaltende starke Schmerzen) und psychischen Tatfolgen zuzurechnen, die das Opfer erlitten habe. Diese vom Landgericht zu Recht strafschärfend herangezogenen Umstände heben jedoch schon das Tatbild deutlich vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle einer (besonders ) schweren räuberischen Erpressung nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m.
§§ 253, 255 StGB ab. Hinzu kommt, dass der Angeklagte bereits erheblich vorbestraft ist und mehrere Jahre im Strafvollzug verbrachte. Schließlich hat die Strafkammer straferschwerend zutreffend darauf verwiesen (vgl. BGH NStZ 2006, 343; BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung 2), dass die verfahrensgegenständliche Tat Auftakt einer Serie von fünf weiteren Überfällen war, die der Angeklagte jeweils unter Einsatz einer scharfen Schusswaffe auf Banken und einen Supermarkt beging.
15
Dieser großen Anzahl gewichtiger Strafschärfungsgründe hat das Landgericht lediglich das tataufklärende Geständnis, seine - allerdings nur eingeschränkte - Aufklärungshilfe bei Ermittlung der Tatbeteiligten, sowie die Entschuldigung gegenüber gestellt, die der Angeklagte gegenüber dem Tatopfer in der Hauptverhandlung zum Ausdruck brachte.
16
In Anbetracht des Gewichts und des eindeutigen Überwiegens strafschärfender Gesichtspunkte war für die Anwendung eines minder schweren Falles hier kein Raum. Die fehlerhafte Strafrahmenwahl führt zur Aufhebung der Einzelstrafe und damit einhergehend zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
17
3. Der Strafausspruch weist, was der Senat gemäß § 301 StPO zu prüfen hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Schäfer

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Zum Widerruf der Bewilligung von Rechtshilfen durch Überstellung
von Unterlagen, wenn diese bereits abschließend verwerttet
wurden.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 – 5 StR 305/06
LG Augsburg –
(alt: 5 StR 299/03)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2007

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. Dezember 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die weitergehende Revision wird – unter Ablehnung der Gegenvorstellung gegen den Senatsbeschluss vom 11. November 2004 – nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Je ein Drittel der gerichtlichen Auslagen im Revisionsverfahren und der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Der Haftbefehl des Landgerichts Augsburg in der Fassung des Beschlusses vom 19. Dezember 2005 wird aufgehoben; der Haftverschonungsbeschluss ist damit gegenstandslos.
G r ü n d e
1
Nachdem der Senat eine frühere Verurteilung des Angeklagten zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben hatte (BGHSt 49, 317), hat das Landgericht den Angeklagten nunmehr wegen Untreue und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Der Bundesgerichtshof hat in seiner im ersten Rechtsgang erlassenen Revisionsentscheidung die Schuldsprüche gegen den Angeklagten wegen Untreue und wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen bestätigt und die Feststellungen zu einzelnen Zuwendungen von Karlheinz Schreiber an den Angeklagten aufrechterhalten. Das landgerichtliche Urteil hat er teilweise aufgehoben, weil das Landgericht von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen war. Das Landgericht hatte damals in seiner Entscheidung dem Angeklagten weitere Zuwendungen von Karlheinz Schreiber zugerechnet, die nicht rechtsfehlerfrei belegt waren. Insoweit hat der Bundesgerichtshof das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen. Nach Zurückverweisung hat das Landgericht die weitergehenden Zuwendungen nicht mehr verfolgt und das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf die Schuldsprüche im Umfang der Zuwendungen beschränkt, wie sie der Bundesgerichtshof unter Bestehenlassen der Feststellungen bestätigt hat.
3
Nach diesen vom Bundesgerichtshof im ersten Rechtsgang aufrechterhaltenen Feststellungen war der Angeklagte Mitglied des Vorstandes der Thyssen-Henschel Kassel, eines Geschäftsbereichs der Thyssen Industrie AG Essen. In dieser Funktion war er im Jahr 1991 ganz wesentlich an dem Verkauf von 36 Panzern der Marke Fuchs beteiligt. Für dieses Geschäft wurden von der saudischen Käuferseite Schmiergelder in Höhe von insgesamt 210 Mio. DM – getarnt als Provisionen – gezahlt, die in einem „Logistikpaket“ zusammengefasst waren. Aus diesem Logistikpaket erhielt Karlheinz Schrei- ber über von ihm kontrollierte Gesellschaften ca. 26 Mio. DM ausbezahlt. Für diese Gelder bildete er Rubrikkonten, so unter anderem auch das dem Angeklagten zugerechnete Unterkonto „J. “, für das aber allein Schreiber verfügungsbefugt war. Auf dieses Konto flossen insgesamt 10,8 Mio. DM. Hiervon übergab Schreiber dem Angeklagten in den Jahren von 1991 bis 1994 insgesamt 2,8 Mio. DM. Der Angeklagte verkürzte in den Jahren 1991 bis 1993 die Einkommensteuer um insgesamt über 1,2 Mio. DM.
4
Das Landgericht hat die gesamten, dem Angeklagten zugeflossenen Zahlungen in Höhe von 2,8 Mio. DM der Untreue als Schuldumfang zugrunde gelegt und hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt. Die Steuerhinterziehungen hat es mit acht Monaten Freiheitsstrafe (1991 – 160.000 DM Steuerverkürzung), einem Jahr sechs Monaten Freiheitsstrafe (1992 – 800.000 DM Steuerverkürzung) und zehn Monaten Freiheitsstrafe (1993 – 290.000 DM Steuerverkürzung) geahndet.

II.


5
Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.
6
1. Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Verteidigung bleiben ohne Erfolg. Das nunmehr vom Schweizer Bundesamt für Justiz angeordnete Verwertungsverbot bezüglich im Wege der Rechtshilfe überlassener Unterlagen berührt den Bestand des angefochtenen Urteils nicht.
7
a) Diesem vom Schweizer Bundesamt ausgesprochenen Verwertungsverbot liegt folgendes Geschehen zugrunde: Die Beweiswürdigung hinsichtlich sämtlicher Tatvorwürfe stützte sich ganz wesentlich auf in der Schweiz beschlagnahmte Unterlagen von Karlheinz Schreiber. Dabei bildeten vor allem die auf den Kontoauszügen Schweizer Banken belegten Geldbewegungen ein gewichtiges Indiz für die an den Angeklagten geflossenen Zahlungen. Im vorgehenden Revisionsverfahren hat der Angeklagte die Ver- wertung der Unterlagen, die von den Schweizer Behörden unter einen Spezialitätsvorbehalt gestellt worden waren, mit einer Verfahrensrüge erfolglos gerügt (BGHSt 49, 317, 322 ff.).
8
Nunmehr hat das Schweizer Bundesamt für Justiz, nachdem es zunächst das deutsche Bundesministerium der Justiz um Auskünfte ersucht und diese auch erhalten hatte, mit Schreiben vom 7. November 2006 mitgeteilt , dass die im Beschluss des Senats erwähnten Beweismittel in dem gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren nicht verwendet werden dürften. Das Schweizer Bundesamt hat seine Entscheidung damit begründet, die Staatsanwaltschaft Augsburg habe in ihrem Rechtshilfeersuchen wesentliche Umstände verschwiegen, nämlich dass das Finanzamt für die Konzernprüfung (FA Düsseldorf II) die steuerliche Abzugsfähigkeit von rund 47 % des Angebotspreises anerkannt habe; dies könne nur dann erfolgen, wenn die Empfänger der Provisionen keine im Inland steuerpflichtigen Personen seien, deshalb habe die Provisionsauszahlung über Konten ausländischer Banken abgewickelt werden sollen. Das Schweizer Bundesamt behauptet, dass die Schweizer Rechtshilfeorgane, wären sie von diesem Umstand in Kenntnis gesetzt worden, die Rechtshilfe nicht bewilligt hätten; ein so gelagerter Sachverhalt erfülle nämlich „weder den (die Rechtshilfe ermöglichenden) Tatbestand des Abgabebetrugs noch eines anderen Delikts nach schweizerischem Recht“.
9
b) Das nunmehr ausgesprochene Verwertungsverbot des Schweizer Bundesamts für Justiz berührt die vom Landgericht zugrunde gelegten Feststellungen nicht.
10
aa) Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2004 ist horizontale Teilrechtskraft eingetreten, weil hierin der gesamte Schuldspruch bestätigt worden ist. Zugleich hat der Senat die Feststellungen zu den der Verurteilung zugrunde liegenden Geldflüssen aufrechterhalten. Infolge der hieraus sich für das Landgericht ergebenden Bindungswirkung waren Beweiserhebungen zu den aufrechterhaltenen Feststellungen nicht mehr zulässig (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Deshalb hat sich für das Landgericht nicht mehr die Frage gestellt, ob die im Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismittel verwertet werden dürfen. Eine solche Verwertung würde nämlich eine zulässige Beweiserhebung voraussetzen, die hier dem Landgericht aufgrund der Teilrechtskraft und der daraus resultierenden Bindungswirkung gerade verschlossen war.
11
bb) Hat nach der Zurückverweisung der neue Tatrichter nicht mehr über eine Verwertung von Beweismitteln zu entscheiden, gilt dies in gleicher Weise für die Revisionsinstanz. Deren Entscheidungsumfang reicht nicht weiter als diejenige des Tatrichters, dessen Entscheidung das Revisionsgericht auf Rechtsfehler überprüft. Demnach stellt sich in der Revisionsinstanz ebenfalls nicht mehr die Frage nach einer Verwertung der Beweismittel, die von der Schweiz im Wege der Rechtshilfe übermittelt wurden. Diese ist nicht mehr Gegenstand des jetzigen Revisionsverfahrens.
12
Zudem bindet seine erste Entscheidung in diesem Verfahren, mit der die Feststellungen zu den einzelnen Zuwendungen aufrechterhalten worden sind und er den Schuldspruch bestätigt hat, den Senat auch selbst. Das Revisionsgericht darf im zweiten Rechtsgang von den Aufhebungsgründen nicht abweichen (BGHSt –GS– 33, 356, 360; BGH NJW 1953, 1880; vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 358 StPO Rdn. 13; ferner GmS OGB BGHZ 60, 392, 397). Deshalb darf der Senat in dem jetzigen Verfahren unter dem Gesichtspunkt der Eigenbindung nicht von der von ihm bereits bejahten Zulässigkeit der Verwertung dieser Schweizer Unterlagen abweichen.
13
c) Aus dem Schreiben des Schweizer Bundesamts für Justiz erwächst weder für das Verfahren insgesamt noch für die Verfolgung der Steuerhinterziehung ein Verfahrenshindernis (§ 206a StPO), das ungeachtet der bereits eingetretenen Rechtskraft der Schuldsprüche zu beachten wäre.
14
Das Bestehen eines Verfahrenshindernisses führt dazu, dass das Gericht nicht mehr zu einem Sachurteil hinsichtlich des Tatvorwurfs gelangen darf (vgl. BGHSt 10, 74, 75). Insoweit bezeichnet der Terminus Verfahrenshindernis das Fehlen einer Prozessvoraussetzung. Deren Fehlen bewirkt, dass entweder eine Befassung des Gerichts mit dem Vorwurf oder eine Bestrafung durch das Gericht wegen des Vorwurfs verboten wird (vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. K Rdn. 37 ff.; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. Einl. 143 ff.).
15
Eine solche Wirkung kommt der Entscheidung des Schweizer Bundesamts für Justiz nicht zu. Denn die Rechtshilfe betraf nur die Beschlagnahme und Überstellung einzelner Urkunden. Nur auf die Voraussetzungen ihrer Verwertbarkeit bezog sich auch der von den Schweizer Justizbehörden formulierte Spezialitätsvorbehalt.
16
Ein Spezialitätsvorbehalt kann zwar – was insbesondere in Auslieferungssachen in Betracht kommen wird (vgl. §§ 11, 41 IRG) – auch eine Einschränkung der Verfolgbarkeit einzelner Taten insgesamt begründen. Im vorliegenden Fall bezieht sich jedoch die Rechtshilfe lediglich auf die bei Karlheinz Schreiber beschlagnahmten Unterlagen. Die Zustimmung der Schweizer Justizbehörden bzw. ihre nunmehrige Versagung kann deshalb auch nur die Verwertbarkeit dieser Unterlagen betreffen. Dies lässt aber die Möglichkeit einer Verfolgung der angeklagten Taten und eines Tatnachweises gegen den deutschen, in Deutschland verhafteten Angeklagten aufgrund anderer Beweismittel unberührt. Demnach wirkt sich eine etwaige Bindung der deutschen Strafverfolgungsbehörden an die später ausgesprochene Untersagung der Verwertung der im Wege der Rechtshilfe beschlagnahmten Unterlagen allein auf ihre Verwendung als Beweismittel, nicht aber auf die Verfolg- oder Bestrafbarkeit der Tat an sich aus. Ein Verfahrenshindernis ist daher durch die anderweitige Entscheidung des Schweizer Bundesamts für Justiz nicht entstanden.
17
d) Entgegen der Auffassung der Verteidigung hat das „Aberkennen der Rechtshilfefähigkeit von Beweismitteln“ auch nicht dieselbe Rechtsqualität wie ein Verfahrenshindernis. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtshilfe leistende Staat „die Beweismittel ausdrücklich zurückfordert“. Die hier gegebene Fallkonstellation ist mit der prozessualen Lage im Falle des nachträglichen Eintritts eines Verfahrenshindernisses nicht vergleichbar. Deshalb verbietet sich die sinngemäße Anwendung der Grundsätze über die Behandlung von Verfahrenshindernissen bei teilrechtskräftigen Entscheidungen.
18
Insoweit bestehen durchgreifende strukturelle Unterschiede. Während der nachträgliche Eintritt oder auch nur das spätere Erkennen eines bereits bestehenden Verfahrenshindernisses die Verfolgbarkeit der Tat beeinflusst und die Bestrafung an sich betrifft, beschränkt sich das ausgesprochene Verwertungsverbot allein auf ein Beweismittel. Es geht deshalb ins Leere, sobald das Beweismittel verwertet ist und diese Verwertung – wie hier durch die Teilrechtskraft und die Bindungswirkung der Feststellungen – nicht mehr angefochten werden kann. Anders als bei einem Verfahrenshindernis, das der Verfolgung entgegensteht, berührt ein später ausgesprochenes Verwertungsverbot die inhaltliche Richtigkeit von Schuldspruch und Strafe im Ergebnis nicht unmittelbar.
19
Dem Landgericht lag in der wieder eröffneten Tatsacheninstanz ein hinsichtlich des Schuldspruchs und der aufrechterhaltenen Feststellungen teilrechtskräftig entschiedener Sachverhalt vor, der materiell- und verfahrensrechtlich rechtsfehlerfrei war. Insoweit unterscheidet sich diese Verfahrensgestaltung von den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die von der Verteidigung für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze über Verfahrenshindernisse in Bezug genommen werden.
20
Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. April 1982 (BGHSt 31, 51) betraf die Frage, inwieweit sich die geänderte Rechtsauffassung des um Rechtshilfe ersuchten Staates in einem Auslieferungsverfahren für das inner- staatliche Recht als Verfahrenshindernis auswirken kann. Dies hat der Bundesgerichtshof für den Fall einer mit Zustimmung des Beschuldigten erfolgten Auslieferung verneint, es aber offen gelassen, ob der ersuchte Staat nachträglich die Bedingungen einer Auslieferung einseitig ändern kann und ob hieraus ein Verfahrenshindernis für das Strafverfahren in Deutschland erwachsen würde (BGHSt 31, 51, 54). Abgesehen davon, dass die von der Verteidigung in Bezug genommenen Rechtsfragen gerade offen gelassen wurden, stand dort im Unterschied zu der hier zu beurteilenden Verfahrenskonstellation ein Verfahrenshindernis in Frage. In dem jetzt zu entscheidenden Fall geht aber das nunmehr von der Schweiz ausgesprochene Verwertungsverbot ins Leere, weil aufgrund der eingetretenen horizontalen Teilrechtskraft des Urteils keine Verwertung der Beweismittel mehr stattfindet und die im ersten Rechtsgang erfolgte Verwertung keiner Überprüfung unterzogen werden darf. Anders als beim Verfahrenshindernis, das bis zum Eintritt vollständiger Rechtskraft immer zu beachten ist, stehen die einzelnen Beweismittel in einem Bezug zu konkreten Tatsachen, die sie belegen sollen. Relevanz können sie deshalb insoweit nur erlangen, als noch eine Tatsachenfeststellung stattfinden kann, für die sie von Bedeutung sind. Hierin liegt der wesentliche strukturelle Unterschied zu einem Verfahrenshindernis, das auch bei Teilrechtskraft zu beachten ist.
21
Ebenso wenig kann aus den weiteren Entscheidungen, auf die sich die Revision beruft (BGHSt 13, 128; 15, 203), für die hier zu beurteilende Fragestellung etwas hergeleitet werden. Sie betreffen das Verfahrenshindernis der Verjährung und nicht – wie hier – ein bloßes Verwertungsverbot.
22
e) Eine Durchbrechung der Teilrechtskraft kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Ein Teil der Literatur nimmt dies in den Fällen an, in denen die Wiederaufnahmevoraussetzungen im Sinne des § 359 StPO vorliegen (vgl. Gössel in Festschrift für Peter Ries 2002 S. 118 ff. m.w.N.; vgl. auch Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 21; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 353 Rdn. 30 f.; offen gelassen in BGH NJW 1982, 1295, 1296; a.A. Temming in Heidelberger Kommentar 3. Aufl. § 353 Rdn. 10). Maßgebliche Erwägung insoweit ist, dass der Angeklagte sich bei Teilrechtskraft nicht auf das Wiederaufnahmeverfahren verweisen lassen müsse, wenn noch innerhalb des Verfahrens eine Korrekturmöglichkeit bestehe (vgl. Gössel aaO).
23
aa) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob diesem Ansatz zu folgen ist. Auch wenn man unter den Voraussetzungen eines Wiederaufnahmegrunds im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO die Berücksichtigung neuer Tatsachen zuließe, führt das vom Schweizer Bundesamt für Justiz ausgesprochene Verwertungsverbot nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
24
Das nachträglich ausgesprochene Verwertungsverbot ist eine sogenannte Rechtstatsache, weil es lediglich die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts betrifft und eine Rechtsfolge setzt (BGHSt 39, 75, 79 f.). Dies begründet aber keine neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO (MeyerGoßner aaO § 359 Rdn. 24 f.; W. Schmidt in KK 5. Aufl. § 359 StPO Rdn. 19). Das Schreiben bezieht sich im Übrigen nur auf das dem strafrechtlichen Erkenntnis zugrunde liegende Verfahren, ohne die Tat selbst unmittelbar zu berühren. Solche allein das Verfahren betreffende Umstände begründen keinen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO (vgl. BGHSt 42, 314, 319 zu § 79 Abs. 1 BVerfGG).
25
bb) Eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmebestimmungen würde aber auch aus einem weiteren Grund hier nicht zu einer Aufhebung führen. Eine Wiederaufnahme kann sich nicht gegen ein Revisionsurteil richten (Meyer-Goßner aaO § 359 Rdn. 22). Dies ist mit dem Wesen des Revisionsverfahrens nicht vereinbar. Ausgangspunkt einer möglichen analogen Anwendung der Grundsätze des Wiederaufnahmerechts ist die verfahrensökonomische Erwägung, dass der neue Tatrichter, in dessen Verhandlung sich ein neuer tatsächlicher Gesichtspunkt herausstellt, die Möglichkeit ha- ben solle, unter den Voraussetzungen des § 359 Nr. 5 StPO die Rechtskraft durchbrechen und das Verfahren insoweit neu beurteilen zu können.
26
Dies gilt nicht für einen neuen Umstand, der sich erst im Revisionsverfahren herausstellt. Da dort keine Tatsachenfeststellungen stattfinden, kann das Revisionsgericht schon allein deshalb nicht das Wiederaufnahmeverfahren vorwegnehmen. Abgesehen davon, dass entsprechendes Rügevorbringen zu möglichen Tatsachen im Sinne eines Wiederaufnahmegrundes nach § 359 Nr. 5 StPO sich auch praktisch kaum in den Rahmen des Revisionsverfahrens einfügen ließe, bliebe der verfahrensökonomische Nutzen gering. Das Revisionsgericht hätte nämlich letztlich keine andere Möglichkeit, als die Sache an den Tatrichter zurückzuverweisen. Dann entsteht aber auch kein Effizienzgewinn gegenüber dem gesetzlich hierfür vorgesehenen Wiederaufnahmeverfahren , in dem ebenfalls zu prüfen ist, ob wegen neuer Tatsachen im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO ein neues tatrichterliches Verfahren eröffnet wird. Für das Revisionsverfahren kommt deshalb die Durchbrechung der Rechtskraft gemäß § 359 StPO analog nicht in Betracht.
27
So liegt der vorliegende Fall. Die neue Entschließung des Schweizer Bundesamts für Justiz ist erst nach Abschluss des hier angefochtenen neuen tatgerichtlichen Verfahrens erfolgt.
28
f) Der Senat hat erwogen, ob in Fällen mit internationaler Berührung dann ausnahmsweise eine Durchbrechung der Teilrechtskraft und der aus § 353 Abs. 2 StPO folgenden Bindungswirkung in Betracht kommt, wenn anderweitig die Einhaltung völkerrechtlicher Vereinbarungen nicht gewährleistet ist. Dies kann jedoch in dem hier zu entscheidenden Fall dahinstehen, weil ein zwischenstaatlicher Rechtsverstoß nicht ersichtlich ist.
29
aa) Ein solcher Verstoß würde freilich voraussetzen, dass dem Rechtshilfe leistenden Staat auch dann noch eine völkerrechtlich erhebliche Rechtsposition zukäme, wenn das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen ist, mithin also beschlagnahmte Urkunden an die bundesdeutsche Justiz überstellt worden sind. Nur für diese Fallkonstellation ist überhaupt eine Konfliktsituation mit dem innerstaatlichen Recht denkbar, weil nur dann die spätere Untersagung der – vorliegend zudem abgeschlossenen – Verwertung beachtlich sein könnte. Dabei kann offen bleiben, ob die im Einzelfall geleistete Rechtshilfe als spezieller (fallbezogener) völkerrechtlicher Vertrag zwischen den beteiligten Staaten anzusehen ist (für das Auslieferungsverfahren offen gelassen in BGHSt 31, 51, 54). Selbst wenn man eine solche Bindung annähme , ergäben sich für den ersuchten Staat allenfalls völkerrechtliche Ansprüche , wenn er sich aus der völkervertraglichen Bindung lösen könnte und hieraus Restitutionsansprüche entstünden. Dies wäre der Fall, wenn eine völkervertragliche Vereinbarung wegen Irrtums (vgl. Art. 48 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) oder Täuschung (vgl. Art. 49 dort) anfechtbar wäre (vgl. Ipsen, Völkerrecht 5. Aufl. S. 182, der zutreffend darauf hinweist, dass die deutsche Übersetzung des Vertragstextes zu Art. 49, die von „Betrug“ spricht, der Sache nach aber „Täuschung“ meint, unklar ist).
30
bb) Ob ein solcher Grund besteht, haben die Justizorgane des ersuchenden Staates eigenverantwortlich zu prüfen. Insoweit gilt keine dem Spezialitätsvorbehalt (§ 72 IRG) entsprechende Bindung an die Entscheidung des ersuchten Staates, weil das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen ist. Der Abschluss des Rechtshilfeverfahrens ergibt sich – entgegen der Auffassung der Verteidigung – aus den Entscheidungen der Schweizer Justizorgane. Dabei war die Erlaubnis zur Verwertung der Unterlagen, wie das Kantonsgericht Graubünden in seinem Entscheid vom 24. Juni 1998 (S. 24) ausdrücklich klargestellt hat, auch gegenüber dem Angeklagten erlaubt. Lediglich weitere Verwendungen der überlassenen Unterlagen – so das Kantonsgericht – bedürften einer neuerlichen Genehmigung durch die Schweizer Justizbehörden.
31
Die Rechtshilfe war demnach auch gegenüber dem Angeklagten mit Überstellung der Unterlagen – nach bestandskräftiger Rechtshilfebewilli- gung – geleistet. Jedenfalls wenn es um die Frage der Verwertung nach geleisteter Rechtshilfe oder gar der Durchbrechung der Rechtskraft geht, muss das Gericht des ersuchenden Staates, das über die Verwendung der Beweismittel erneut entscheiden soll, auch die sachliche Berechtigung eines späteren Widerrufs der Rechtshilfebewilligung überprüfen. Die sachliche Berechtigung muss zumindest plausibel sein. Der Senat verkennt dabei nicht, dass dies de facto auf eine Überprüfung von Hoheitsakten eines anderen Staates durch deutsche Gerichte hinausläuft. Dies ist aber deshalb hinnehmbar , weil der ersuchte Staat seinerseits autonom entschieden hat, ohne dass den betroffenen Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates insoweit eigene prozessuale Rechte zugestanden haben. Im Übrigen hatte der ersuchte Staat auch hinreichend die Gelegenheit – zum Beispiel durch eine entsprechende Formulierung des Spezialitätsvorbehaltes –, seine Interessen schon bei der Rechtshilfeleistung zu schützen (BGHSt 31, 51, 54).
32
cc) Einen plausiblen Grund für die nunmehrige Untersagung der Verwertung vermag der Senat nicht zu erkennen. Das Schweizer Bundesamt für Justiz behauptet in seinem Schreiben vom 7. November 2006, die Schweizer Behörden hätten die Rechtshilfe in Unkenntnis dessen bewilligt, dass das Konzernbetriebsfinanzamt Düsseldorf II die steuerliche Abzugsfähigkeit von rund 47 % des Angebotspreises anerkannt hatte. Dies ist nicht nachvollziehbar.
33
Es liegt auf der Hand, dass die im Logistikpaket zusammengefassten Leistungen, die fast ausschließlich Schmiergeldzahlungen betrafen, vom Thyssen-Konzern steuermindernd geltend gemacht werden mussten. Andernfalls hätte Thyssen die Leistungen, obwohl sie nicht im Konzern verblieben , als Gewinn versteuern müssen. Insoweit ist nicht ersichtlich, wieso der Umstand, dass das Konzernbetriebsfinanzamt von der abstrakten Tatsache wusste, dass es sich bei dem Logistikpaket um sogenannte nützliche Aufwendungen handelte, die steuerstrafrechtliche Bewertung des Verhaltens Schreibers und seiner Tatgenossen, insbesondere auch des Angeklagten, ändern soll. Abgesehen davon, dass sich die Relevanz einer Anerkennung der dem Thyssen-Konzern zugute kommenden steuerlichen Abzugsfähigkeit der Zahlungen auf das Logistikpaket für den Tatbestand eines Abgabebetrugs des Angeklagten nach Schweizer Recht (Art. 14 Abs. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht) durch Nichtversteuerung der auf verschleierten Wegen empfangenen Schmiergelder nicht erschließt, hatte das Konzernbetriebsfinanzamt gerade darüber keine Kenntnis, dass die Gelder teilweise über von Schreiber kontrollierte Domizilgesellschaften an den Angeklagten zurückflossen.
34
Entgegen der Auffassung der Verteidigung führt auch der vom Schweizer Bundesamt für Justiz angeführte Gesichtspunkt, dass eine Nachforschungspflicht des Konzernbetriebsfinanzamts bestanden habe und deren Verletzung für die strafrechtliche Bewertung der Tat als Abgabebetrug erheblich sein solle, nicht zu einer anderen Würdigung. Zwar mag eine entsprechende Verletzung der Aufklärungspflicht der Annahme von betrügerischen Machenschaften im Sinne des Abgabebetrugs entgegenstehen. Hier sind aber, weil die Provisionen tatsächlich ins Ausland abgeflossen sind, keine entsprechenden Verdachtsmomente oder Ermittlungsansätze erkennbar gewesen. Aus den Unterlagen des Thyssen-Konzerns ergab sich kein Anhalt. Im Übrigen ist Gegenstand des hiesigen Verfahrens nicht eine mögliche Steuerunehrlichkeit des Thyssen-Konzerns, sondern die Steuerhinterziehung von Privatpersonen, die unter vielfältigen Verdeckungs- und Verschleierungshandlungen die Gelder vereinnahmten und auch deshalb vor dem für sie zuständigen Finanzamt versteckt halten konnten.
35
Die Anerkennung der Zahlungen als sogenannte nützliche Aufwendungen war den Schweizer Rechtshilfebehörden auch bekannt. Das ergibt sich aus der Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts vom 13. Januar 1999, in der (S. 15 der Entscheidungsgründe) ausdrücklich gewürdigt wurde, dass die Berufung von Karlheinz Schreiber auf die Anerkennung der Abzugsfähigkeit von sogenannten nützlichen Aufwendungen als Be- triebsausgaben irreführend sei. Dass damit – wie die Verteidigung jetzt vorbringt – andere Zuwendungen an Domizilgesellschaften des Schreibers gemeint gewesen sein sollen, ist fernliegend, weil diese gar nicht Gegenstand des Rechtshilfeverfahrens waren. Zudem würde dies die Grundaussage des Schweizer Bundesgerichts nicht ändern, wonach die Anerkennung der Abzugsfähigkeit der Provisionszahlungen für den Konzern nicht die Strafbarkeit der Empfänger wegen Abgabebetrugs berührt. Ob die Staatsanwaltschaft Augsburg einen Vermerk über Absprachen des Thyssen-Konzerns mit seinem Betriebsfinanzamt ihrem Rechtshilfeersuchen beigefügt hat, erscheint deshalb gänzlich unerheblich.
36
2. Die Revision des Angeklagten führt jedoch zu einer Ermäßigung der Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Jahre, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
37
a) Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts begegnen rechtlichen Bedenken.
38
aa) Hinsichtlich der Verurteilung wegen Untreue hat das Landgericht nicht erkennbar berücksichtigt, dass die Aufwendungen für die Schmiergeldzahlungen tatsächlich die saudi-arabischen Geschäftspartner getragen haben , denen gegenüber der Angeklagte nicht in einem Vermögensbetreuungsverhältnis stand. Eine Strafbarkeit wegen Untreue ist für den Angeklagten nur deshalb entstanden, weil die Auszahlung der Schmiergelder über den Thyssen-Konzern gelaufen war, demgegenüber er in einem Vermögensbetreuungsverhältnis stand und demgegenüber er nicht berechtigt war, die Gelder zu vereinnahmen (BGHSt 49, 317, 332 ff.). Dies hätte im Rahmen der gebotenen Schadensbewertung bedacht werden müssen (vgl. Raum in Wabnitz/Janovski, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl. S. 298) und hätte angesichts des Umstandes, dass das Landgericht die Höhe des Untreueschadens als einzigen Strafschärfungsgrund erwähnt hat, ausdrücklicher Erörterung bedurft.
39
bb) Die Revision macht zudem, auch hinsichtlich der Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung, zutreffend geltend, dass das Landgericht die Dauer des Ermittlungsverfahrens – und damit die Belastungen des Angeklagten durch dieses Verfahren –, in der ein maßgeblicher Strafmilderungsgrund zu finden war, mit nur neun Jahren zu kurz bemessen hat.
40
b) Der Senat setzt nunmehr die Strafen selbständig fest. Ein anderes Ergebnis als eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe erscheint in Anbetracht des zeitlichen Abstands zur Tat im jetzigen Zeitpunkt nicht mehr vertretbar. Der Senat sieht deshalb von einer erneuten Zurückverweisung ab, die zu einem weiteren nicht mehr verantwortbaren Zeitverlust führen würde. Als neue Einzelstrafe wird für die Untreue eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten festgesetzt. Hinsichtlich der Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung reduziert der Senat die Einzelfreiheitsstrafen um jeweils einen Monat. Damit wird der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung hinsichtlich des Jahres 1991 zu sieben Monaten Freiheitsstrafe, hinsichtlich des Jahres 1992 zu einem Jahr fünf Monaten Freiheitsstrafe und hinsichtlich des Jahres 1993 zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
41
Hieraus ist eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zu bilden. Diese ist angesichts des bisher straffreien Lebens des Angeklagten und seines Alters bei den besonderen zeitlichen Begleitumständen dieses Verfahrens nach § 56 StGB zur Bewährung auszusetzen. Die Folgeentscheidungen (§ 268a StPO) hat das Landgericht nachzuholen.
42
c) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts liegt keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vor. Dies betrifft insbesondere auch das erste Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof. Angesichts dessen, dass der Senat einen Einzelstrafausspruch gegen den damaligen Mitangeklagten H. bei gleicher Sachlage aufrechterhalten hat, sah sich das Landgericht im Hinblick auf das Verfahren bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts im ersten Rechtsgang zu Recht an der Annahme eines sol- chen Verstoßes gehindert (§ 358 Abs. 1 StPO). Im Übrigen liegt auch in der Sache die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 MRK fern. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr begründet angesichts des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens – abgesehen von anderweit starker Belastung des Senats im damaligen Zeitraum – keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, zumal gegen den Angeklagten keine Untersuchungshaft vollzogen wurde. Dies gilt auch angesichts dessen, dass der Verteidiger des Angeklagten selbst erst sechs Monate später auf die äußerst umfangreiche Antragsschrift des Generalbundesanwalts erwidert hat. Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK im zweiten tatgerichtlichen Verfahren ist nicht ersichtlich.
43
3. Die von dem Angeklagten erhobene Gegenvorstellung gegen die Entscheidung des Senats im ersten Rechtsgang ist nicht statthaft. Der Senat kann einen Beschluss, mit dem er die Teilrechtskraft des tatrichterlichen Urteils herbeigeführt hat, weder aufheben noch ändern (BGHSt 17, 94).
44
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO; der vom Angeklagten erzielte Teilerfolg rechtfertigt die vom Senat vorgenommene Quotelung der Kosten und notwendigen Auslagen.
Basdorf Häger Gerhardt Raum Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 30/05
vom
10. Mai 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Mai 2005,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 28. Juli 2004 im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 4. April 2003 wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils durch den Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 4. November 2003 (1 StR 395/03) wegen Überschreitens der Urteilsabsetzungsfrist hat das Landgericht unter Anwendung der in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet
insbesondere, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen erschoß der Angeklagte, der aus Anatolien stammt, in den Mittagsstunden des 24. August 2002 seinen Landsmann H. Y. , der mit dem Bruder der Ehefrau des Angeklagten an einem Stehtisch eines Imbiß in der Ortsmitte von D. stand, sich unterhielt und Tee trank. Der Angeklagte ging zielstrebig auf die beiden Männer zu, nahm in einer Entfernung von mindestens zwei, höchstens vier Metern seine Hand aus der Tasche, wie wenn er die Anwesenden begrüßen wollte. Er zog jedoch eine in seiner Hosentasche verborgene Pistole heraus und gab sodann mit gestrecktem Arm, die Pistole in Augenhöhe haltend, auf den Kopf desH. Y. zielend, in dichter Folge zwei Schüsse ab, sodann ohne Unterbrechung in Richtung auf den zu Boden sinkenden H. Y. zwei weitere Schüsse schräg nach unten, bevor sich die fünfte Patrone in der Pistole verklemmte. H. Y. verstarb im Niedersinken an den Folgen des ersten Schusses unmittelbar vor den Augen seines ebenfalls anwesenden 11jährigen Sohnes.
Zu seinem Motiv erklärte der Angeklagte, vor einigen Jahren habe eine ihm bekannte Frau gesagt, seine - des Angeklagten Frau - habe mit H. Y. Tee getrunken, während er - der Angeklagte - bei der Arbeit gewesen sei. Vor einigen Wochen, als er von der Arbeit nach Hause gekommen sei, sei H. Y. aus der Wohnung gelaufen, habe ihn dabei weggeschubst, aber kein Wort gesprochen. In der Wohnung hätten auf dem Tisch zwei Teegläser
gestanden. Er sei sich sicher, daß seine Frau und H. Y. ein Verhältnis hätten. Der Angeklagte erklärte zum Tattag, "sein Kopf sei nicht mehr an seinem Platz, er vergesse sehr viel, seit er krank sei". Schließlich erklärte er zu seinem Motiv, es handele sich um eine Sache der Ehre.
2. Die Strafkammer hat eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit trotz des vom psychiatrischen Sachverständigen geäußerten Verdachts einer anhaltenden Störung der Erlebnisverarbeitung in Form einer "überwertigen Idee" einer eifersüchtigen Fehlentwicklung ausgeschlossen und die Tat rechtlich als Heimtückemord gemäß § 211 StGB angesehen. Der Angeklagte habe sich H. Y. , der zu keinem Zeitpunkt mit einer Tätlichkeit, nicht einmal mit einer Beleidigung, rechnete und sich arglos mit seinem Bekannten vor dem Imbiß unterhalten habe, im Bewußtsein dieser Situation genähert und auf ihn aus kurzer Entfernung geschossen, um ihn zu töten. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen sei nicht feststellbar. Zwar habe der Angeklagte die Tat um seiner Ehre Willen begangen, eine weitere sichere Aufklärung der Motivation sei nicht möglich gewesen. Es komme "lediglich als Motiv ernsthaft in Betracht, daß der Angeklagte subjektiv aufgrund einer überwertigen Idee von einem ehewidrigen Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und H. Y. überzeugt" gewesen sei. Bei dieser Sachlage sei ein Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen nicht feststellbar.
3. Die Strafkammer hat anstelle der zu verhängenden lebenslänglichen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände die Strafe dem entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Dabei sei sich die Kammer bewußt gewesen, daß die hier gegebene Konstellation von den Situationen abweiche, die der Große Senat, aber eben nur bei-
spielhaft und nicht abschließend, für die Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 StGB aufgeführt habe, und daß nicht jeder Entlastungsfaktor,
der etwa nach § 213 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles zu führen vermag, ausreiche.
Den Charakter der außergewöhnlichen Umstände bekomme d ie Tat durch die überwertige Idee von einem Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und H. Y. , wie sie sich gerade bei diesem Angeklagten entwickelt und ausgeprägt habe. Diese Idee habe sich beim Angeklagten so verfestigt und zugespitzt , daß sich seine Gesundheit in einem mehrwöchigen Zeitraum vor der Tat massiv verschlechtert habe. Neben den bereits vorhandenen Herzerkrankungen habe sich die Zuckerkrankheit des Angeklagten für ihn in hohem Maße ungünstig und damit belastend entwickelt. Er sei mehrere Wochen krank geschrieben , habe dann sogar im Juli zwei Wochen Urlaub genommen, um sich nicht erneut krank schreiben lassen zu müssen, was seiner eigenen Arbeitseinstellung widersprochen habe. Der Angeklagte habe sich somit damals in einer gesundheitlichen Krise, und damit auch in einer persönlichen Krise befunden, indem er seine Männlichkeit - seinen Mann zu stehen zuhause und im Beruf - bedroht gesehen habe; denn er sei mit der Zuckerkrankheit und ihrer Behandlung nicht fertig geworden und habe sein Leben und seine Arbeit nicht mehr in der bisherigen Form fortführen können. Die damit verbundene Verunsicherung seiner männlichen Rolle habe - zumindest nicht ausschließbar - zu einer persönlichen Krise geführt, bei der er - wie der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend zur Psychodynamik ausgeführt habe - die Verunsicherungen projektiv nach außen verlagert haben könnte. Der Sachverständige habe erläutert, daß die tatsächlich erlebte Abnahme der eigenen männlichen Leistungsfähigkeit psychodynamisch die neurotisch-konflikthafte Eifersucht auf den vermeintlichen Nebenbuhler verschärft haben könnte. Der Angeklagte habe aufgrund seiner Herkunft und Prägung praktisch auch kaum eine
Möglichkeit gehabt, Abstand zu der überwertigen Idee zu gewinnen. Er stamme aus einem Land, in dem die Rolle des Mannes besonders hervorgehoben sei und in dem die überkommenen Regeln des Zusammenlebens weiterhin gelten. Bis heute habe der Angeklagte sich nicht von diesen Wertvorstellungen distanziert. Es sei ihm infolge dieses Werte- und Familiengefüges nicht möglich, sich über persönliche Probleme, gerade auch im familiären Bereich, mit Dritten auszutauschen , weder mit seiner Frau noch im Kreis der Verwandtschaft oder der Kollegen, wie dies ein Arbeitskollege und die Personalsachbearbeiterin des Arbeitgebers be-stätigt hätten. Diese mangelnde Kommunikationsfähigkeit resultiere aus der Herkunft des Angeklagten; danach sei es ihm als Mann nicht möglich, mit anderen beispielsweise über mögliche "Verhältnisse", gar sexueller Art, zu reden; ihm werde eine Distanzierung zu seiner Gedankenwelt dadurch erschwert, daß er, wie der Sachverständige erläuterte, zwar keinesfalls schwachsinnig, aber doch eine einfach strukturierte Persönlichkeit mit nicht hoher Intelligenz sei.
Auf der anderen Seite habe die Kammer nicht übersehen, daß die Familie des Opfers, die Ehefrau und drei Kinder, bis heute massiv unter der Tat leide : Die Ehefrau des Opfers habe glaubhaft berichtet, daß bis heute alle drei Kinder, die zur Tatzeit 17, 14 und 11 Jahre alt waren, mit ihr nur in einem Zimmer Schlaf finden könnten und sowohl der Sohn, der Augenzeuge der Tat sein mußte, als auch eine Tochter noch heute in psychologischer Betreuung seien.

II.


Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhält-
nismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor, der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden (BGH NStZ 2005, 154; NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob die-
se Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und 3). Der Beschluß des Großen Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle, in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil den von BGHSt 30, 105 aufgestellten Maßstäben nicht gerecht. Das Landgericht hat die von ihm festgestellten objektiven Tatumstände nicht ausreichend in seine Gesamtwürdigung zum Vorliegen von außergewöhnlichen schuldmildernden Umständen einbezogen, sondern hat überwiegend auf die durch die Herkunft und die persönliche Situation geprägte "überwertige Idee" des Angeklagten über das ehewidrige Verhältnis zwischen seiner Frau und H. Y. abgestellt. Es hat in seiner Gesamtwürdigung auch nicht zureichend die normativen Anforderungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, sondern sich an den Anschauungen und Werten des Angeklagten orientiert, der die sittlichen und rechtlichen Werte
dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH NStZ 2002, 369 m. w. Nachw.). Die Strafkammer hat sich aufgrund der Aussagen der Zeugen aus der Verwandtschaft des Opfers sowie der Aussage der Ehefrau des Angeklagten selbst davon überzeugt, daß zwischen ihr und H. Y. kein ehewidriges Verhältnis bestand. Sie hatte dem Angeklagten keinen Anlaß zur Eifersucht gegeben, sondern allenfalls gegen die Vorstellung verstoßen, der Kontakt von anderen Männern zu seiner Frau müsse über ihn laufen. Der Angeklagte holte somit aus objektiv nichtigem Anlaß seine Pistole aus dem Keller und entschloß sich, H. Y. in einem Akt der Selbstjustiz zu erschießen, wenn er ihn, wie vermutet, am Imbißstand antreffen würde. Die Tatausführung selbst glich nach der Darstellung des mit dem Tatopfer zusammenstehenden Zeugen einer "Hinrichtung" vor den Augen von dessen 11jährigem Sohn und dessen gleichaltrigem Freund. Angesichts dieses Aktes von Selbstjustiz und der festgestellten objektiven Tatumstände kann von außergewöhnlichen Schuldmilderungsgründen , die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Angeklagte aufgrund seines Lebenszuschnitts und seiner intellektuellen Fähigkeiten in seinen Ehrvorstellungen und Traditionen seiner anatolischen Heimat befangen war, von denen er sich trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hat lösen können.
3. Keinen Rechtsfehler sieht der Senat allerdings darin, daß das Landgericht neben dem Mordmerkmal der "Heimtücke" nicht auch das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe" angenommen hat, obwohl der Angeklagte glaubte , zu einem von langer Hand vorbereiteten Akt der Selbstjustiz berechtigt gewesen zu sein. Die Frage, ob eine Tötung aus "niedrigen Beweggründen" erfolgte , ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, bei der die Tat-
motive insgesamt zu berücksichtigen sind; dabei steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 21; Maatz/Wahl, FS aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des BGH S. 531, 552; jeweils m. w. Nachw.). Im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellte persönliche Krise und seiner "überwertigen Idee" von einem ehewidrigen Verhältnis seiner Ehefrau ist es revisionsrechtlich noch hinnehmbar, daß das Landgericht die Verurteilung nicht auch auf das Mordmerkmal der Tötung aus sonst "niedrigen Beweggründen" gestützt hat (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 32), wenn auch eine andere tatrichterliche Wertung möglich gewesen wäre.
4. Die Sache bedarf zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Wahl Boetticher Kolz Elf Graf

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 331/04
vom
23. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. November
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 20. Februar 2004 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Heimtückemorde s unter Bezugnahme auf die vom Großen Senat für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung zu einer zeitigen Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen erschoß die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 16. August 2003 ihren mit geschlossenen Augen auf der Couch liegenden Ehemann im Wohnzimmer des von ihnen gemeinsam bewohnten Hauses mit dessen Revolver. Der Ehemann war zuvor alkoholisiert nach Hause gekommen und hatte die Angeklagte wie üblich beschimpft. Er hatte sie danach auch aufgefordert, den ihr zuwider gewesenen Oralverkehr zu vollziehen. Dies hatte die Angeklagte jedoch sofort verweigert, ohne daß der Ehemann daraufhin nachhaltig darauf bestanden hätte. Er hatte sich dann vielmehr auf die im Wohnzimmer befindliche Couch gelegt, um dort, wie üblich, gemeinsam mit der Angeklagten zu nächtigen. Die Angeklagte, die wie ihr Ehemann in ihrer Freizeit der Jagd nachging, holte wenig später aus dem Waffenschrank einen Revolver und schoß mit der großkalibrigen Waffe dem nach wie vor schlafenden Mann in den Kopf. Um die Tötung ihres Ehemannes als unglückliche Folge eines vorangegangenen Streits, verbunden mit einer Attakke mit einem Jagdmesser und einer sexuellen Nötigung darzustellen, schnitt sie sich mit einer Schere einige Haarbüschel am Kopf ab und brachte sich mit dem Jagdmesser mehrere Verletzungen im Gesicht und am Körper bei. Um die Darstellung der versuchten sexuellen Nötigung glaubhaft zu machen, entblößte sie das Geschlechtsteil des Ehemannes, wobei sie Schutzhandschuhe benutzte , um keine Spuren zu hinterlassen. Dabei entging ihr nicht, daß ihr Ehemann zunächst noch lebte. Schließlich legte sie den Revolver auf der Couch in der Nähe des Oberschenkels ihres Ehemanns ab und rief ihren Sohn mit der Behauptung an, sie sei mit der Waffe bedroht worden und dabei sei ein Schuß losgegangen. Motiv für die Handlungsweise der Angeklagten war neben den seit vielen Jahren erfolgten, sie zermürbenden ständigen Beschimpfungen
durch den Ehemann und auch dessen Verlangen nach Oralverkehr. Auch wenn ihre erwachsenen Kinder sie aufgenommen hätten, wollte die Angeklagte das gemeinsam mit dem Ehemann erbaute Haus nicht verlassen.
2. Die Strafkammer hat die Tat der Angeklagten rechtlich als Heimtükkemord gemäß § 211 StGB angesehen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtfertigenden Notwehr oder eines rechtfertigenden Notstandes hat die Kammer verneint, weil aufgrund der Gesamtsituation keine akute Lebensgefahr für die Angeklagte oder Dritte bestanden habe. Die Schwurgerichtskammer hat auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines entschuldigenden Notstandes verneint. Zunächst sei schon die Annahme einer "gegenwärtigen Gefahr" im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB fernliegend. Im übrigen sei die Gefahr für die Angeklagte anders als durch die Tat abwendbar gewesen. Als anderweitige Abwendungsmöglichkeit sei hier ersichtlich der jederzeit mögliche Auszug der Angeklagten zu ihrer Tochter in Betracht gekommen. Ihr sei es ohne weiteres möglich gewesen, sich durch einen Auszug sofort - auch am Tattag - aus der von ihr geschilderten bedrängten Lage zu befreien. Im übrigen hätte ihr angesichts der seit langem anhaltenden Beleidigungen und Demütigungen auch eine entsprechend lange Überlegungsfrist zur Verfügung gestanden , in der sie Erkundigungen über Möglichkeiten zur anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr und Rat auch bei weiteren Personen hätte einholen können.
3. Die Strafkammer hat jedoch anstelle der zu verhängenden lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände, unter denen die Angeklagte die Tat begangen hat, die Strafe dem entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Sie hat dies damit be-
gründet, daß der getötete Ehemann der Angeklagten gegenüber sexuelle Wünsche, wie Partnertausch und ähnliches geäußert habe, die diese als besonders nachhaltig demütigend empfunden habe. Ebenso sei die Angeklagte von ihm in der Vergangenheit des öfteren sexuell in massiver Weise angegangen und zum Oralverkehr aufgefordert worden. Die Demütigungen hätten sich gerade in letzter Zeit unter der zunehmenden alkoholischen Beeinflussung gehäuft. Dabei habe der Ehemann auch bei seiner meist spät abendlichen Rückkehr der auf dem Sofa schlafenden Angeklagten die Decke weggezogen, so daß diese erwachen mußte. Er habe als Raucher auch nur bedingt auf ihre Erkrankung Rücksicht genommen. Die schweren Kränkungen hätten insgesamt zu einer nicht unerheblichen psychischen Belastung - wenngleich ohne Krankheitswert - geführt. Sie stellten solche Entlastungsfaktoren dar, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände hätten, auch wenn die besonders belastenden sexuellen Wünsche ihres Ehemannes zum Tatzeitpunkt bereits über 20 Jahre zurückgelegen hätten und die Angeklagte nicht davon abgehalten hätten, nach einem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung aufgrund eigenen Entschlusses wieder zu ihm zurückzukehren.
Das Gewicht des Mordmerkmals Heimtücke erfahre auch deshalb eine Verringerung, weil die an multipler Sklerose erkrankte Angeklagte gerade in letzter Zeit vor der Tat zunehmenden Beleidigungen und Demütigungen ihres meist alkoholisierten Ehemannes ausgesetzt gewesen sei. So habe der Ehemann bis unmittelbar vor dem Tattag eine Woche Urlaub in Italien gemacht und sei nach seiner Rückkehr angetrunken nach Hause gekommen, habe herumgeschrieen , die Angeklagte beleidigt, ihr die Decke weggezogen und von ihr den schon früher nur widerwillig praktizierten Oralverkehr verlangt. Diese Verhaltensweise ihres Mannes sofort nach seinem Urlaub habe bei ihr "das Faß
zum überlaufen" gebracht.

II.


Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor, der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden
(BGH NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und

3).


2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil dieser Anforderung nicht gerecht. Der Beschluß des Großen Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle, in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
Die Feststellungen rechtfertigen die Annahme solcher außergewöhnlicher Umstände nicht. Wie die Strafkammer in den Urteilsgründen zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 34 und 35 StGB selbst ausführt, kam es zu
Gewalttätigkeiten des Ehemanns in Form von Schlägen nach der zwischenzeitlichen Trennung im Jahr 1998 allenfalls noch einmal. Der Angeklagten stand eine Möglichkeit zur Konfliktlösung hinsichtlich der verbalen Beschimpfungen und der sexuellen Übergriffe ihres Ehemannes mit einem ihr möglichen Auszug aus dem Wohnhaus und der Aufnahme durch die Tochter zur Verfügung. Das Landgericht hat festgestellt, daß ein Auszug der Angeklagten ohne weiteres noch am Tattag möglich gewesen wäre und sie sich dieser Möglichkeit nach einem Gespräch mit ihren Kindern bewußt gewesen ist. Diese ihr zumutbare Ausweichmöglichkeit ergriff die Angeklagte deshalb nicht, weil sie das gemeinsam erbaute Haus nicht verlassen wollte, das es ihr auch erlaubte, ihre Jagdhunde , an denen sie sehr hing, weiterhin artgerecht halten zu können. Sie war ferner der Meinung, daß letztlich "der Böse" gehen müsse. Angesichts dieser Sachlage kann von außergewöhnlichen Umständen, die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden.
Nack Wahl Boetticher Kolz Elf
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
1. Die Einfuhr und die Überlassung eines Betäubungsmittels sind nicht dadurch
gerechtfertigt oder entschuldigt, daß der Täter einem unheilbar
schwerstkranken Betäubungsmittelempfänger, dem er nicht persönlich
nahesteht, zu einem freien Suizid verhelfen will.
2. Das Überlassen eines Betäubungsmittels zum freien Suizid an einen
unheilbar Schwerstkranken, der kein Betäubungsmittelkonsument ist,
erfüllt nicht den Tatbestand der Betäubungsmittelüberlassung mit leichtfertiger
Todesverursachung gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG.
3. Im besonderen Einzelfall kann sich das Ermessen des Tatrichters derart
verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht
kommt, so daß das Revisionsgericht auf diese Sanktion erkennen kann.
Eine rechtskräftig verhängte Geldstrafe kann gemäß § 55 StGB in eine
Verwarnung mit Strafvorbehalt einbezogen werden.
BGH, Urt. v. 7. Februar 2001 - 5 StR 474/00
LG Berlin -
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 474/00
URTEIL
vom 7. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 6. und 7. Februar 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 7. Februar 2001 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Dezember 1999 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, daß der Angeklagte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 15. Oktober 1998, dessen Gesamtstrafenausspruch entfällt, und unter Einbeziehung der Verwarnung mit Strafvorbehalt aus dem Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 27. Oktober 1998 verwarnt wird und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM vorbehalten bleibt.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die dem Angeklagten durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen und die hierdurch entstandenen gerichtlichen Auslagen je zur Hälfte.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch unter Einbeziehung der Sanktionen aus zwei früheren Verurteilungen, nämlich zweier Einzelgeldstrafen und einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM verurteilt. Die früheren Verurteilungen betrafen Taten, die der vorliegenden Tat ähnlich waren. Jeweils allein auf die Sachrüge gestützt, begehrt der Angeklagte mit seiner Revision einen Freispruch, während die Staatsanwaltschaft mit ihrem vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel einen Schuldspruch auch wegen Überlassens von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erstrebt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Sie führt zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) wie dessen eigene Revision zu einer Ä nderung des Rechtsfolgenausspruchs, nämlich zum Ausspruch einer Verwarnung mit Strafvorbehalt. Im übrigen bleibt auch die Revision des Angeklagten ohne Erfolg.
Der jetzt 83jährige Angeklagte, Schweizer Staatsbürger, ist Theologe und Psychologe. Er war bis zum Jahre 1986 als evangelischer Gemeindepfarrer sowie zwischenzeitlich zwölf Jahre lang als Leiter einer „Entgiftungsstelle“ in Basel tätig. Seit langem beschäftigt sich der Angeklagte aktiv mit dem Problembereich „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“. Auslösend hierfür war der Krebstod seines besten Freundes, dessen unmittelbar miterlebter, über mehrere Monate andauernder qualvoller Sterbeprozeß den Angeklagten zu der Überzeugung führte, daß man – nach seinen eigenen Worten – „solchen Menschen einfach helfen muß, wenn sie sterben wollen“. Von diesem Wunsch geleitet, gründete der Angeklagte im Jahr 1982 die Vereinigung „E “ als deren Generalsekretär er seitdem ehrenamtlich fungiert. In den Statuten dieser Vereinigung heißt es u. a.: „1. Die Vereinigung setzt sich in Wort und Schrift für das Selbstbestim- mungsrecht aller Menschen über ihre Gesundheit und ihr Leben, also für die ‚Therapie-Hoheit des Patienten h. für die staatliche Anerkennung der Freiheit selbstbestimmten menschenwürdigen Sterbens. 2. Darüber hinaus besteht der Vereinszweck darin, seinen Mitgliedern, die unter hoffnungsloser Krankheit oder unzumutbarer Behinderung leiden, im selbstbestimmten Sterben beizustehen. 3. Unter der Voraussetzung, daß sich alle Möglichkeiten erschöpft haben, welche aus Sicht des Betroffenen ein lebenswertes Leben erlauben würden, leisten Beauftragte der Vereinigung Freitodbegleitung, wobei ein ärztliches Zeugnis die hoffnungslose Krankheit oder die unzumutbare Behinderung bezeugen muß und Angehörige resp. Bezugspersonen dem Vorhaben des Betroffenen zustimmen. 4. Um jede Form des Mißbrauchs zu verhindern, gibt die Vereinigung keinerlei Freitod-Anleitungen oder -Medikamente ohne Assistenz ab.“ Über die Funktion des Generalsekretärs der Vereinigung hinaus übernahm der Angeklagte auch die Aufgaben eines „Freitodbegleiters“. Nach eigenen Angaben ist er inzwischen in über 300 Fällen entsprechend tätig geworden. Für s ein Tätigwerden verlangt er kein Entgelt, sondern lediglich die Vorauserstattung seiner Reisekosten. Bei seiner Tätigkeit als „Freitodbegleiter“ verwendete der Angeklagte regelmäßig (Natrium-)Pentobarbital. Dieses Mittel ist seit dem Jahr 1981 – mit im Detail unterschiedlichen Einzelregelungen – v erkehrsfähiges und verschreibungsfähiges Betäubungsmittel nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG. Es handelt sich um ein hochwirksames und sehr schnell anflutendes Barbiturat, das normalerweise bei einer Dosierung von bis zu 100 mg als Schlafmittel, im übrigen zur Behandlung von Angst- oder Erregungszuständen zum Einsatz kommt. In hoher Dosierung führt dieses Mittel jedoch zu einem sicheren, vom Einnehmenden allerdings schon nicht mehr wahrgenommen Tod. Namentlich tritt im Falle einer Überdosierung zunächst – vergleichbar einer Narkose – eine Ausschaltung des Bewußtseins und erst danach eine tödliche Atemlähmung ein, wobei im Regelfall 3 g des Mittels die für einen Erwachsenen tödliche Dosis darstellen. Die minimale letale Dosis beträgt etwa 1 g. Danach stuft der Angeklagte das Mittel als „geradezu ideal geeignet“ zur Herbeiführung eines „sanften“ Todes ein, insbesondere im Vergleich zum Zyankali, welches beim Einnehmenden zwar ebenfalls schnell zum Tode führt, aber zuvor noch bei Bewußtsein des Sterbenden schwere krampfartige Schmerzen auslöst.
Die verstorbene Frau Dr. T , die lange Zeit als Ä rztin tätig gewesen war, litt an Multipler Sklerose. Nach progredientem Verlauf der Krankheit von 1982 bis 1998 war Frau Dr. T sc hließlich weitestgehend bewegungsunfähig. Sie verbrachte die Tage in ihrem Haus in Berlin größtenteils in Rückenlage. Sie war wegen einer Sehschwäche auf eine Leselupe angewiesen, die sie infolge ihrer nachlassenden Kräfte nur über einen sehr kurzen Zeitraum halten konnte, so daß ihr die Lektüre längerer Texte nicht mehr möglich war. Ein im Jahr 1997 unternommener Selbsttötungsversuch scheiterte am Einschreiten ihres Ehemannes. In monatelangen Diskussionen überzeugte Frau Dr. T ihren Ehemann, daß er sie „gehen lassen“ müsse. Sie wandte sich an die Vereinigung „E “ mit dem Wunsch nach einer „Sterbebegleitung“ und übersandte dem Angeklagten ein ärztliches Gutachten, in dem der Verlauf ihrer Krankheit beschrieben und deren Unheilbarkeit bestätigt war. Bei einem Besuch verschaffte sich der Angeklagte im persönlichen Gespräch mit der Verstorbenen und ihrem Ehemann die Überzeugung, daß diese im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr Todeswunsch ernsthaft und nicht Folge eines auch nur entfernt erkennbaren äußeren Drängens war. Nach alledem faßte der Angeklagte den Entschluß, die gewünschte „Sterbebegleitung“ zu gewähren, nämlich in der Schweiz 10 g Natrium-Pentobarbital zu beschaffen, diese in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen und hier der Verstorbenen zur entsprechenden Verfügung zu stellen. Dabei ging er davon aus, daß aufgrund der hohen Dosis und der schnellen Anflutung des Mittels schon ab dem Eintritt einer Bewußtlosigkeit für die Verstorbene keine Rettungsmöglichkeit mehr bestehen werde. Er nahm an, daß sein Verhalten nach deutschem Recht nicht strafbar sei. Dabei ging er von der Straflosigkeit der Teilnahme an einer Selbsttötung aus. Er wußte nicht, daß Pentobarbital dem deutschen Betäubungsmittelrecht unterliegt. Entsprechende Erkundigungen unternahm er nicht. In die Schweiz zurückgekehrt, übergab der Angeklagte einem „Vertrauensarzt“ der „E “ das von der Verstorbenen überlassene Gutachten zur Prüfung, ob eine im Sinn der Statuten der Vereinigung hoffnungslose Krankheit vorliege. Darauf stellte dieser das erforderliche Rezept aus, mit dem der Angeklagte in einer Schweizer Apotheke 10 g NatriumPentobarbital in Pulverform erwarb. Am 20. April 1998 reiste der Angeklagte mit dem genannten Betäubungsmittel aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Haus der Familie T v ersicherte der Angeklagte sich im Beisein ihres Ehemannes davon, daß Frau Dr. T in vollem Besitz ihrer geistigen Kräfte war und ihr Todeswunsch nach wie vor bestand. Sie füllte eine formularmäßig vorbereitete „Freitoderklärung“ aus. In Abwesenheit des Ehemannes löste der Angeklagte die 10 g Natrium-Pentobarbital in einem Glas Wasser auf und reichte dies der Frau Dr. T zur sofort erfolgten Einnahme. Infolge der schnell eintretenden Wirkung des Mittels wurde Frau Dr. T nach drei Minuten bewußtlos. Bereits zu diesem Zeitpunkt wären alsdann eingeleitete Rettungsversuche, namentlich ein Auspumpen des Magens, erfolglos verlaufen, da wegen der schnellen Anflutung bereits ein tödliche Konzentration des Mittels im Blut der Verstorbenen erreicht war, wovon auch der Angeklagte ausging. Der Tod trat binnen der nächsten halben Stunde ein.

I.


Die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt betreffend den Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
1. Der Angeklagte hat Betäubungsmittel (gemäß Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG) nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG eingeführt und nach Nr. 6 lit. b aaO zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Ein Fall der ärztlichen Verabreichung oder Überlassung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG liegt nicht vor.

2. Demgegenüber ergibt sich – entgegen der Ansicht der Revision des Angeklagten – weder aus dem Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) noch aus dem Gesichtspunkt der Straflosigkeit der Hilfe zur Selbsttötung oder aus der jüngsten Rechtsentwicklung des Problemkreises „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“ eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des Betäubungsmittelgesetzes; auch eine Rechtfertigung oder Entschuldigung allgemeiner Art kann so hier nicht begründet werden.

a) Allerdings ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der einhelligen Lehre die – theoretisch gegebene – Teilnahme an der Selbsttötung eines vollverantwortlich Handelnden mangels einer Haupttat straflos (Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. vor § 211 Rdn. 10 m.N. der Rspr. und des Schrifttums). Ein solcher Fall liegt hier vor. Frau Dr. T nahm sich, wie die vom Landgericht umfassend festgestellten Einzelheiten ergeben, in voller Selbstverantwortlichkeit das Leben. Der Angeklagte half ihr hierbei. Die Straflosigkeit seines Verhaltens unter dem vorstehend genannten Aspekt beschränkt sich jedoch auf eben diesen und erstreckt sich nicht etwa auf das vom Angeklagten begangene Betäubungsmitteldelikt, mit dem andere Rechtsgüter gefährdet wurden. Der Verordnungsgeber hat mit der Entscheidung, Pentobarbital in die Liste der Betäubungsmittel gemäß § 1 Abs. 1 BtMG aufzunehmen, dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß ein Umgang mit diesem Betäubungsmittel für die Volksgesundheit grundsätzlich gefährlich ist.

b) Zudem ist in der rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion des Problemkreises „Sterbehilfe und Sterbebegleitung“ in jüngster Zeit eine Entwicklung in zweierlei Richtungen zu verzeichnen. Zum einen wird dem Gesichtspunkt der Patientenautonomie ständig zunehmende Bedeutung beigemessen (vgl. Taupitz, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag 2000; Otto, Gutachten für den 56. Deutschen Juristentag 1986; jeweils m.N., und die Sitzungsberichte der jeweiligen Tagungen des Deutschen
Juristentages). Zum anderen ist die sog. „indirekte Sterbehilfe“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 42, 301, 305; vgl. auch BGHSt 37, 376; 40, 257) und einem nahezu einhelligen Grundkonsens im Schrifttum zulässig (Kutzer NStZ 1994, 110, 114 f. m.N.). Dabei wird unter indirekter Sterbehilfe verstanden, daß die ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation beim tödlich Kranken nicht dadurch unzulässig wird, daß sie als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann. Soweit eine solche Medikation den Tatbestand eines Tötungsdeliktes durch bedingt vorsätzliche Verursachung eines früheren Todes verwirklicht, ist das Handeln des Arztes nach § 34 StGB gerechtfertigt, sofern es nicht – ausnahmsweise – dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht (Kutzer aaO; vgl. auch die demnächst veröffentlichte Podiumsdiskussion „Sterbehilfe – Sterbebegleitung“ anläßlich der 50. Wiederkehr der Errichtung des Bundesgerichtshofs am 4. Mai 2000).

c) Weder aus diesen Rechtsgesichtspunkten noch aus sonstigen allgemeinen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen kann die Straflosigkeit des Umgangs des Angeklagten mit dem Betäubungsmittel hergeleitet werden. Der Angeklagte handelte weder als Arzt noch als Angehöriger der Verstorbenen oder als sonst persönlich Betroffener, auf dessen Gewissensentscheidung es ankommen könnte. Er agierte vielmehr als persönlich Unbeteiligter im Rahmen einer moralpolitisch getragenen Bewegung, deren Ziele anerkennenswert sein mögen. Sein Handeln war nicht primär vom Zweck der Schmerzlinderung (unter Inkaufnahme eines früheren Todeseintritts ) getragen. Vielmehr zielte seine Aktivität direkt auf den Tod.
Zur Beantwortung der Frage, ob solches Verhalten unter den Gesichtspunkten des § 34 StGB gerechtfertigt oder unter den Aspekten des § 35 StGB entschuldigt sein kann, ist von den Grundentscheidungen der Rechtsordnung auszugehen. Das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter. Die Rechtsordnung wertet eine
Selbsttötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abgesehen – als rechtswidrig (BGHSt 6, 147, 153), stellt die Selbsttötung und die Teilnahme hieran lediglich straflos.
Dieser grundsätzliche Vorrang des Lebensschutzes ist zu beachten, wenn wie hier in eine Abwägung ein auch in Art. 1 Abs. 1 GG angelegtes Recht des Einzelnen auf ein Sterben unter „menschenwürdigen“ Bedingungen einzustellen ist. Dabei muß auch die Grundentscheidung berücksichtigt werden, die aus der Vorschrift des § 216 StGB spricht, wonach die Tötung auf Verlangen des Getöteten lediglich eine Strafmilderung gegenüber dem Totschlag auslöst. Dies zeigt an, daß die Rechtsordnung die Mitwirkung eines anderen am Freitod eines Menschen grundsätzlich mißbilligt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob Besonderheiten namentlich etwa für das Handeln naher Angehöriger eines Sterbewilligen gelten können. Für Außenstehende wie hier den Angeklagten, der im Rahmen einer Organisation ohne persönliches Näheverhältnis handelte, kann eine Abwägung der genannten Art grundsätzlich nicht zur Straflosigkeit des Umgangs mit Betäubungsmitteln führen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem moralpolitischen Engagement des Angeklagten.
3. Das Landgericht hat angenommen, daß dem Angeklagten die Verbotenheit seines Tuns unter dem Gesichtspunkt des deutschen Betäubungsmittelrechts nicht bekannt war, daß der Angeklagte diesen Verbotsirrtum jedoch hätte vermeiden können; es hat demzufolge die Vorschrift des § 17 Satz 1 StGB für nicht anwendbar erachtet. Auch dies birgt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

a) Das Pentobarbital ist seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland als Betäubungsmittel in Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG erfaßt. Die Einzelheiten unterlagen mehreren Ä nderungen: Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl I 681, 700)
wurde das Pentobarbital in die Anlage III B aufgenommen. Ausgenommen blieben Zubereitungen, die ohne ein anderes Betäubungsmittel (außer Codein) „je abgeteilte Form bis 110 mg Pentobarbital enthalten“; damit waren namentlich Tabletten mit geringer Dosierung gemeint; von dieser Ausnahme waren jedoch die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften über die Einfuhr (und andere Handlungsformen) wiederum ausgenommen. Durch die Vierte Betäubungsmittelrechts-Ä nderungsverordnung vom 23. Dezember 1992 (BGBl I 2483, 2485) erhielt die Position Pentobarbital in der Anlage III B folgende Fassung: „ausgenommen in Zubereitungen, die ohne“ ein weiteres Betäubungsmittel „je abgeteilte Form bis zu 100 mg Pentobarbital, berechnet als Säure, enthalten“; die Ausnahme von der Ausnahme betreffend die Einfuhr entfiel also. Aufgrund der Zehnten BetäubungsmittelrechtsÄ nderungsverordnung vom 20. Januar 1998 (BGBl I 74, 79), in Kraft seit dem 1. Februar 1998, ist das Pentobarbital ohne jede Einschränkung in der nunmehr nicht mehr untergliederten Anlage III enthalten. Damit ist insbesondere die Ausnahme für Zubereitungen mit bis zu 100 mg Pentobarbital je abgeteilter Form entfallen.

b) Auch in der Schweiz unterfällt das Pentobarbital dem Betäubungsmittelrecht. Das Mittel ist im „Verzeichnis aller Betäubungsmittel“ (Anhang a zu Art. 1 Abs. 1 bis 3 Betäubungsmittelgesetz), allerdings auch im „Verzeichnis der von der Kontrolle teilweise ausgenommenen Betäubungsmittel“ (Anhang b aaO) enthalten (Verordnung des Bundesamtes für Gesundheit über die Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe vom 12. Dezember 1996).

c) Die Einfuhr und die Überlassung zum unmittelbaren Verbrauch von Pentobarbital in der hier vorliegenden Dosis von 10 g sind mithin seit dem Jahr 1981 in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Die oben genannten differenzierten Regelungen betreffend abgeteilte Formen mit geringer Dosierung des Mittels kannte der Angeklagte nicht. Jedes Argument seiner Revision aus dieser Rechtsentwicklung muß daher im Rahmen der Prüfung der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums versagen. Das verwendete Mittel unter-
fällt auch dem Betäubungsmittelrecht der Schweiz. Es kommt folgendes hinzu : Wie der Angeklagte wußte, kam es aufgrund der etwas „liberaleren“ Regelung des Umgangs mit Pentobarbital in der Schweiz, scil. wegen „strengerer“ Rechtslage außerhalb der Schweiz, zu einem „Sterbetourismus“ von Ausländern in die Schweiz. In Deutschland wurde der Angeklagte in etwa 50 Fällen in gleicher Weise „geradezu routiniert“ tätig (UA S. 9 f., 22). Er ging dabei mit einem in der jeweiligen Dosierung tödlichen Stoff um. Nach alledem hat das Landgericht rechtsfehlerfrei eine Rechtserkundigungspflicht des Angeklagten angenommen und den Verbotsirrtum des Angeklagten als vermeidbar erachtet.

II.


Das angefochtene Urteil ist nicht mit einem sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten behaftet.
1. Insbesondere bleibt die einzige ausdrückliche Beanstandung der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte sei zu Unrecht nicht auch wegen Überlassung von Betäubungsmitteln mit leichtfertiger Todesverursachung nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG verurteilt worden, ohne Erfolg. Das Landgericht hat aus dem „Prinzip der Eigenverantwortlichkeit“ eine „teleologische Reduktion des Tatbestandes“ hergeleitet und deshalb die genannte Vorschrift für nicht anwendbar erachtet. Diese Beurteilung ist zutreffend.

a) Allerdings hat der Angeklagte der Frau Dr. T das Betäubungsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen und dadurch eine Ursache für deren Tod gesetzt. Der Kausalzusammenhang wurde nicht dadurch unterbrochen, daß die Empfängerin des Betäubungsmittels sich dieses Mittel selbst verabreichte (BGH NStZ 1983, 72; BGH, Urteil vom 3. Juni 1980 – 1 StR 20/80 –, bei Holtz MDR 1980, 985). Ihr Tod war auch vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt. Jedenfalls in anderen Regelungszusammenhängen findet der Gedanke Verwendung, daß Vorsatz die Fahrlässigkeit und die
Leichtfertigkeit als mindere Verschuldensformen einschließt (vgl. BGHSt 39, 100; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 18 Rdn. 5).

b) Indes gelten für den hier vorliegenden Fall des Freitodes des Betäubungsmittelempfängers besondere Regeln.
aa) Es greift der Grundsatz der Selbstverantwortung des sich selbst eigenverantwortlich gefährdenden Tatopfers ein. Danach ist von folgendem auszugehen:
(1) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung unterfällt grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs - oder Tötungsdelikts, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs seit BGHSt 32, 262; siehe auch BGHSt 37, 179; 39, 322, 324; BGH NStZ 1985, 319 – insowiet in BGHSt 33, 66 nicht abgedruckt – m. Anm. Roxin; BGH NStZ; 1987, 406; 1992, 489; BGH NJW 2000, 2286). Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf abgestellt, daß derjenige, der sich an einem Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung beteiligt , an einem Geschehen teilnimmt, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die Strafbarkeit des sich Beteiligenden wegen Körperverletzung oder Tötung beginnt erst dort, wo dieser kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende.
(2) Allerdings kann dieser Grundsatz nicht ohne weiteres auf das Betäubungsmittelrecht übertragen werden (BGHSt 37, 179). Das durch die betäubungsmittelrechtlichen Strafvorschriften geschützte Rechtsgut ist nicht nur
die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch die Volksgesundheit. Dieses universale Rechtsgut steht dem Einzelnen nicht zur Disposition (Franke /Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 30 Rdn. 35; Weber, BtMG § 30 Rdn. 125 f.).
bb) Das Merkmal der Leichtfertigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wird durch den Bundesgerichtshof dahin interpretiert, daß leichtfertig handelt, wer die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs des Geschehens „aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit“ außer acht läßt (BGHSt 33, 66, 67). Solches ist bei der hiesigen besonderen Fallgestaltung , in der die Empfängerin des Betäubungsmittels in jeder Hinsicht selbstverantwortlich handelte, nicht gegeben (vgl. BGH NJW 2000, 2286). Insoweit erfaßt der Vorwurf der Leichtfertigkeit – ausnahmsweise – nicht „erst recht“ auch vorsätzliches Handeln.
cc) Auch die Entstehungsgeschichte der vorgenannten Vorschrift spricht für eine restriktive Interpretation der Art, daß das Überlassen eines Betäubungsmittels zum Zweck des in jeder Hinsicht freien Suizids des Empfängers den Qualifikationstatbestand nicht erfüllt. Hintergrund und auslösender Umstand für die Schaffung der Verbrechensvorschrift war „die rasch ansteigende Zahl von Todesfällen als Folge von Rauschgiftmißbrauch“ (BT-Drucks. 8/3551 S. 37). Damit waren die Todesfälle von Betäubungsmittelabhängigen und gelegentlichen Betäubungsmittelkonsumenten gemeint. Als besonders strafwürdig wurde die Tatsache gewertet, daß die Todesverursachung auf ein Handeln zurückgeht, das in Kenntnis der großen Gefährlichkeit des Tuns „unter Hintanstellung aller Bedenken“ erfolgt (Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht 2. Aufl. Rdn. 464; Hügel/Junge, Deutsches Betäubungsmittelrecht 7. Aufl. § 30 Rdn. 4.1). An einen demgegenüber ganz und gar untypischen Fall wie den vorliegenden hat der Gesetzgeber ebenso wenig gedacht, wie dies danach die Kommentatoren getan haben.
dd) Zudem spiegelt der Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG von zwei bis 15 Jahren Freiheitsstrafe – selbst eingedenk des Ausnahmestrafrahmens
von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe für minder schwere Fälle (§ 30 Abs. 2 BtMG) – eine vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte Unrechtsdimension , hinter der Fälle der vorliegenden Art von vornherein weit zurückbleiben. Auch dies indiziert eine restriktive Auslegung der Vorschrift im vorstehenden Sinn.
2. Schließlich birgt das Urteil auch sonst keinen sachlichrechtlichen Fehler zugunsten des Angeklagten.
Insbesondere folgt im Ergebnis keine strafrechtliche Haftung des Angeklagten aus Tötungsdelikten – begangen durch Unterlassen – daraus, daß er als Lieferant des tödlichen Betäubungsmittels unter dem Gesichtspunkt seines vorausgegangenen rechtswidrigen gefährdenden Tuns grundsätzlich Lebensgarant sein konnte (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11 sub Betäubungsmittel und Rdn. 21 sub Selbstgefährdung m.N.; Hügel/Junge, aaO § 30 Rdn. 4.4). Eine Verantwortlichkeit des Angeklagten unter diesem Gesichtspunkt würde jedenfalls voraussetzen, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T durch den Eintritt ihrer Bewußtlosigkeit die Kontrolle über das Geschehen verlor, noch eine Möglichkeit zur Rettung ihres Lebens bestand (vgl. BGH NStZ 1984, 452 m. Anm. Fünfsinn StV 1985, 57; BGH NStZ 1985, 319, 320; BGH NStZ 1987, 406). Hierzu hat das Landgericht festgestellt, daß in dem Zeitpunkt, als Frau Dr. T bewußtlos wurde, etwaige Rettungsversuche – wegen der bereits eingetretenen gravierenden Wirkung des Mittels – gescheitert wären. Davon ging nach den Feststellungen auch der Angeklagte aus, so daß selbst ein versuchtes (Unterlassungs-) Tötungsdelikt ausscheidet. Schließlich kommt danach auch eine unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB nicht in Betracht (vgl. BGH NStZ 1983, 117, 118).

III.


Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Es ist allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB auszusprechen.
Allerdings hat die genannte Vorschrift Ausnahmecharakter (Gribbohm in LK 11. Aufl. § 59 Rdn. 1; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 59 Rdn. 1; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 59 Rdn. 1). Zudem ist durch die Verwendung des Wortes „kann“ auf der Rechtsfolgenseite der Ermessenscharakter der Regelung in besonderer Weise hervorgehoben (vgl. Gribbohm aaO Rdn. 17 f.). Indes kann sich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles das Ermessen des Tatgerichts derart verengen, daß allein eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommen kann. In einem solchen Fall kann auch das Revisionsgericht auf die besondere Sanktion nach § 59 StGB erkennen (OLG Celle StV 1988, 109; Horn in SK – StGB 27. Lfg. § 59 Rdn. 14; ähnlich Lackner/Kühl aaO Rdn. 10; Stree aaO Rdn. 16; a.A. Gribbohm aaO Rdn. 18; zweifelnd Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 59 Rdn. 2). So liegt es hier. Der Angeklagte ging mit dem Betäubungsmittel in altruistischer Weise unter relativ geringer Gefährdung Unbeteiligter in der Absicht um, der in schwerster Weise unheilbar kranken Empfängerin zu einem in jeder Hinsicht freien Suizid zu verhelfen, was seinem humanen Engagement entsprang.
Der Senat verwarnt deshalb wegen der hier abzuurteilenden Tat den Angeklagten und behält die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 120,- DM (nämlich der vom Landgericht verhängten Einzelgeldstrafe ) vor. Ferner erkennt der Senat unter Einbeziehung der im hiesigen Urteilstenor genannten Sanktionen auf eine Verwarnung als Gesamtsanktion, wobei die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120,- DM (also in gleicher Höhe wie vom Tatrichter unbedingt verhängt) vorbehalten bleibt.

Im Gesetz (namentlich in § 59c StGB) ist die Frage nicht eindeutig geregelt , ob eine bei einer Verwarnung vorbehaltene Geldstrafe mit einer zuvor unbedingt verhängten Geldstrafe im Wege der Verwarnung als Gesamtsanktion zusammengeführt werden kann (so Horn aaO § 59c Rdn. 4) oder ob solches etwa ausgeschlossen ist (so Gribbohm aaO § 59c Rdn. 5; Tröndle /Fischer aaO § 59c Rdn. 1). Der Senat behandelt die Frage wegen der Parallelität zur entsprechenden Regelung bei der Freiheitsstrafe in § 58 Abs. 1 StGB trotz des besonderen Charakters der Verwarnung mit Strafvorbehalt im erstgenannten Sinn.
Die nach § 268a StPO zu treffende Entscheidung über die Dauer der Bewährungszeit bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Harms Häger Basdorf Raum Brause

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Nachschlagewerk: nein
BGHSt : nein
Veröffentlichung: ja
Wer infolge einer Täuschung durch das Opfer vorsatzlos
aktive Sterbehilfe leistet, nimmt nicht an einer
tatbestandslosen Selbstgefährdung teil.
BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - 5 StR 66/03
LG Hamburg -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. Mai 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10. Oktober 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigespro- chen, einen Schwerstbehinderten getötet zu haben, den er als Zivildienstleistender betreut hatte. Die dagegen mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.


Die Jugendkammer hat festgestellt:
Der 20 Jahre alte Angeklagte übernahm als Zivildienstleistender am 13. Februar 2001 ohne besondere Vorbereitung für die Dauer von zwei Wochen in der Z in Hamburg die Tagesbetreuung (10.00 bis 16.30 Uhr) des 28 Jahre alten S . Dieser litt an stark ausgeprägter progressiver Muskeldystrophie vom Typus Duchenne und vermochte neben einzelnen Fingern – diese aber ohne Kraft – nur noch Mund und Zun-
ge zu bewegen. Seine Arme und Beine waren in Beugestellung fixiert. De- formationen des Brustkorbes und der Wirbelsäule und eine starke Reduzierung der Atemmuskulatur ließen nur noch eine Atmungskapazität von zehn Prozent eines Gesunden zu. Der Ausstoß von Kohlendioxyd wurde durch ein zeitweise an die Nase angeschlossenes Beatmungsgerät gefördert. S verfügte über einen herausragenden Intellekt. Er konnte seine Vorstellungen genau artikulieren und dank seiner guten Menschenkenntnis einschätzen, an welche der Pflegekräfte er sich zu wenden hatte, um auch ausgefallene Wünsche zu verwirklichen. Schon im Dezember 1999 hatte er in einem elektronischen Brief einer ihm nahe stehenden Pflegehilfe eine Selbsttötungsphantasie mitgeteilt. Er hatte geschildert, dadurch sexuell erregt zu werden, daß er in zwei miteinander verklebten Müllsäcken verpackt mit zugeklebtem Mund in einen Behälter geworfen würde, um sodann – mit weiteren Müllsäcken bedeckt – anschließend durch die Müllabfuhr in die Verbrennungsanlage gebracht und dort verbrannt zu werden.
Er griff im Februar 2001 diese Gedanken auf und wollte sie mit Hilfe des Angeklagten verwirklichen. Zunächst hatte er diesen gebeten, ihm statt einer Hose eine Plastiktüte über den Unterleib bis zur Hüfte zu ziehen. Nachdem er dem Angeklagten erläutert hatte, gern Plastik auf der Haut zu spüren, kam der Angeklagte diesem Verlangen nach. Am 22. Februar 2001 gegen 12.15 Uhr äußerte S den Wunsch, ihn in Müllsäcke verpackt in einen Müllcontainer zu legen. Auf Nachfragen des Angeklagten versicherte er, dies schon öfter gemacht zu haben, und daß seine Bergung aus dem Container am Nachmittag sicher sei. Der Angeklagte erfüllte in dem Bestreben , dem ihm anvertrauten Schwerstbehinderten so gut wie möglich zu helfen , alle bestimmt vorgebrachten Anweisungen, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Er packte S nackt in zwei Müllsäcke, schnitt eine Öffnung für den Kopf in den oberen Müllsack und verklebte beide Säcke. Bis auf eine kleine Öffnung verschloß er ferner – auf besonderen Wunsch S – dessen Mund mit Klebeband und legte ihn bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt in einen teilweise gefüllten Container. Weisungsgemäß stellte der
Angeklagte den Rollstuhl in den Abstellraum, räumte die Wohnung auf und verließ die Pflegeeinrichtung durch einen Seiteneingang. Diese Maßnahmen hatte S angeordnet, um eine gegenüber anderen Pflegekräften wahrheitswidrig mitgeteilte Abwesenheit zu belegen. Eine deshalb erst am Abend erfolgte Suche nach ihm blieb ergebnislos. Am nächsten Morgen wurde sein Leichnam im Container entdeckt. Der Tod war durch Ersticken, möglicherweise in Kombination mit Unterkühlung eingetreten. Entweder hatte der obere Müllsack die Atemwege verlegt oder die ohnehin nur flache Atmung war durch einen auf den Brustkorb gelangten weiteren Müllsack unmöglich geworden.

II.


In der rechtlichen Würdigung führt die Jugendkammer aus:
Das zu Tode führende Geschehen sei wegen der gemeinschaftlichen Tatherrschaft des Angeklagten und des Opfers nicht mehr als Beteiligung an einer Selbstgefährdung, sondern als einverständliche Fremdgefährdung zu werten. Die Gefährdung sei ausschließlich von dem Angeklagten, wenn auch auf alleinige Veranlassung des Geschädigten, ausgegangen, der sich dieser im Ergebnis lediglich ausgesetzt habe. Allerdings ergebe eine wertende Betrachtung aller Umstände, daß die einverständliche Fremdgefährdung entsprechend der Auffassung von Roxin (NStZ 1984, 411, 412) „unter allen relevanten Aspekten“ einer Selbstgefährdung gleichstehe. Dafür spreche die umfassende und sorgsame Planung des Geschehens durch das Opfer, die besondere, von Überforderung, Naivität, Vertrauensseligkeit und unzureichender Vorbereitung geprägte Situation des Angeklagten und dessen vorherrschendes Bestreben, alle Wünsche des Schwerstbehinderten zu erfüllen. Der Angeklagte sei letztendlich dazu benutzt worden, den Selbsttötungsplan zu verwirklichen, ohne darüber informiert gewesen zu sein. Damit sei die Zurechnung des Handelns des Angeklagten zum objektiven Tatbestand ausgeschlossen.

III.


Der Freispruch hält der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht dessen Wertung, der Angeklagte habe im Ergebnis an einer straflosen Selbstgefährdung teilgenommen.
1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist als Folge des Grundsatzes der Selbstverantwortung des sich selbst eigenverantwortlich gefährdenden Tatopfers anerkannt, daß gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts unterfallen, wenn das mit der Gefährlichkeit bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Selbstgefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (BGHSt 32, 262, 263 f.; BGH NStZ 1985, 25, 26 und 319, 320; 1986, 266, 267; 1987, 406; BGH NJW 2000, 2286; BGHSt 46, 279, 288). Diese Rechtsprechung gründet in erster Linie auf Sachverhalte, denen gemein ist, daß die den Verletzungs- oder Tötungserfolg verursachende schädigende Handlung – die Einnahme von Betäubungsmitteln (BGHSt 32, 262 f.; BGH NStZ 1985, 319; BGH NJW 2000, 2286; BGHSt 46, 279, 283), Stechapfeltee (BGH NStZ 1985, 25) oder Alkohol (BGH NStZ 1986, 266; 1987, 406) – durch das Opfer selbst erfolgt und erfährt dann eine Ausnahme, wenn der sich Beteiligende etwa kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende (BGHSt 32, 262, 265; BGH NStZ 1985, 25 f.; 1986, 266; 1987, 406; BGH NJW 2000, 2286; vgl. auch BayObLG JZ 1997, 521). Maßgebendes Kriterium zur Abgrenzung strafloser Selbstgefährdung ist in diesen Fällen somit – wie auch bei der Anwendung des § 216 StGB anerkannt (vgl. BGHSt 19, 135, 139 f.; BGH, Beschl. vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86 insoweit nicht in NStZ 1987, 365 f. abgedruckt; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 216 Rdn. 11) – der Sache nach die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. Vor § 211 Rdn. 22; ders. aaO
§ 216 Rdn. 11; ders. aaO § 222 Rdn. 21 sub Selbstgefährdung; Tröndle /Fischer, StGB 51. Aufl. Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 10; Neumann in NK-StGB 12. Lfg. Vor § 211 Rdn. 45). Deren Grundsätze werden von der Rechtsprechung auch herangezogen, soweit eine ausschließlich von dem Beteiligten ausgehende Gefährdung, wie sie etwa bei einer durch Täuschung bewogenen Vornahme der Tötungshandlung (vgl. BGHSt 32, 38, 41 f.) oder beim Geschlechtsverkehr eines HIV-Infizierten mit einem gesunden Menschen entsteht, zu beurteilen ist (vgl. BGHSt 36, 1, 17 f.; BayObLG NStZ 1990, 81 f.).
2. Diese Grundsätze sind auch bei dem hier vorliegenden Fall eines vom Angeklagten verursachten Tötungserfolges bei eigenverantwortlicher Planung und Durchführung nach den Wünschen des sich selbst Gefährdenden zugrundezulegen. Danach ist in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob der Angeklagte im Vollzug des Gesamtplans des zum Tode führenden Geschehens über die Gefährdungsherrschaft verfügte oder als Werkzeug des Suizidenten handelte (vgl. BGHSt 19, 135, 140; Jähnke aaO § 216 Rdn. 11; Roxin NStZ 1987, 345, 347; Neumann aaO Rdn. 51). Letzteres wäre angesichts der eigenhändigen Ausführung der Gefährdungshandlungen durch den Angeklagten nur anzunehmen, falls der Lebensmüde den Angeklagten über das zum Tode führende Geschehen getäuscht und ihn mit Hilfe des hervorgerufenen Irrtums zum Werkzeug gegen sich selbst gemacht hätte (vgl. BGHSt 32, 38, 41 zur spiegelbildlichen Situation einer Täuschung des sich selbst Tötenden; vgl. auch OLG Nürnberg NJW 2003, 454 f.).
So liegt es hier aber nicht. Der Angeklagte wurde über die konkreten Umstände der von ihm allein verursachten extremen Gefährdung nicht getäuscht. Zwar hatte der Suizident erklärt, er habe solches Tun schon öfter veranlaßt. Diese Äußerung begründete aber keinen Irrtum des Angeklagten hinsichtlich der konkreten Tatumstände. Der Angeklagte hat seine Gefährdungshandlungen bewußt vorgenommen und dabei in extremer Weise im Widerspruch zu jedem medizinischen Alltagswissen gehandelt, indem er die
wesentlich reduzierten Atmungsmöglichkeiten weiter verringerte und das spätere Opfer lediglich mit Plastik eingekleidet gefährlicher Kälte preisgab. Auch die Vorspiegelung des Lebensmüden, von einem (unbekannten) Dritten am Nachmittag gerettet zu werden, begründet keinen die Tatherrschaft des Angeklagten in Frage stellenden Irrtum. Die darin enthaltene Aussicht, es werde alles gut gehen, beseitigt nicht das Bewußtsein von den über Stunden wirksam werdenden Gefährdungen, zu denen der fehlende Einsatz des Beatmungsgeräts und die naheliegende Gefahr einer weiteren Verringerung der Atmungskapazität durch einen auf die Brust des Lebensmüden auftreffenden Müllsack zu zählen waren, auch vor dem Hintergrund eines bewußt herbeigeführten verringerten Entdeckungsrisikos.
3. Allerdings werden im rechtswissenschaftlichen Schrifttum mit den Lehren der Risikoübernahme (vgl. Roxin, Strafrecht AT Bd. 1 3. Aufl. S. 343 f.), der Anerkennung einer „quasi mittäterschaftlichen Herrschaft“ (vgl. Neumann in NK-StGB 12. Lfg. Vor § 211 Rdn. 56; Lenckner in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. Vorbemerkung §§ 32 ff. Rdn. 52a und 107 m. w. N. aus der Literatur; BayObLG NStZ 1990, 81, 82; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 222 Rdn. 3) und des Vorrangs des Willens zur Selbstgefährdung (vgl. Otto in FS für Tröndle S. 157, 171, 175) Auffassungen vertreten, die in einem weiteren Umfang zu einer straflosen Mitwirkung an einem Selbsttötungsgeschehen führen. Indes bestehen hier schon Bedenken, begrifflich noch eine Selbsttötung anzunehmen, falls die Tatherrschaft nicht uneingeschränkt beim Suizidenten verbleibt. Einer Anerkennung strafloser aktiver Sterbehilfe stünde zudem der sich aus der Werteordnung des Grundgesetzes ergebende vorrangige Schutz menschlichen Lebens entgegen (vgl. BGHSt 46, 279, 285 f.), der auch die sich aus § 216 StGB ergebende Einwilligungssperre legitimiert (vgl. BGHSt aaO S. 286). Änderungen des Rechtsgüterschutzes bleiben vor diesem Hintergrund allenfalls dem Gesetzgeber vorbehalten.
Der Senat verkennt nicht, daß die bestehende Rechtslage es einem vollständig bewegungsunfähigen, aber bewußtseinsklaren moribunden Schwerstbehinderten – wie hier – weitgehend verwehrt, ohne strafrechtliche Verstrickung Dritter aus dem Leben zu scheiden, und für ihn dadurch das Lebensrecht zur schwer erträglichen Lebenspflicht werden kann. Dieser Umstand kann aber nicht ein auch in Art. 1 Abs. 1 GG angelegtes Recht auf ein Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen begründen (vgl. BGHSt aaO, 285; BGHSt 42, 301, 305). Die dafür erforderlichen Voraussetzungen einer indirekten Sterbehilfe (vgl. BGHSt 42 aaO; Tröndle /Fischer, StGB 51. Aufl. Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 18) sind vorliegend nicht gegeben. Ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf aktive Sterbehilfe, der eine Straflosigkeit des die Tötung Ausführenden zur Folge haben könnte, ist dagegen nicht anerkannt (vgl. BVerfGE 76, 248, 252; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 17 m. w. N.).

IV.


Der Freispruch kann danach keinen Bestand haben. Sollte der neue Tatrichter zu den gleichen Feststellungen gelangen, werden diese in erster Linie hinsichtlich einer fahrlässigen Todesverursachung gemäß § 222 StGB zu würdigen sein (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2002, 315, 316 f.). Bei etwaiger Feststellung eines Körperverletzungs- oder Aussetzungsvorsatzes kämen die Vorschriften der §§ 221, 223 ff. StGB in Betracht. Die besondere, von Überforderung, Naivität, Vertrauensseligkeit und unzureichender Vorbereitung geprägte Tatsituation des Angeklagten wird der neue Tatrichter bei
der Beurteilung der Gleichstellung des heranwachsenden Angeklagten mit einem Jugendlichen nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG im Hinblick darauf zu würdigen haben, ob in dem Angeklagten noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam waren (vgl. BGHSt 36, 37, 40).
Harms Häger Gerhardt Brause Schaal

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 550/99
vom
2. Februar 2000
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2.: Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Februar
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Niemöller,
Detter,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
für den Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt
für den Angeklagten E. ,
als Verteidiger,
für die Nebekläger Rechtsanwalt
in Begleitung des Rechtsanwalts ,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1999 hinsichtlich des Angeklagten E. im Schuldspruch wie folgt geändert: Der Angeklagte ist des Mordes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe schuldig.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das vorgenannte Urteil hinsichtlich des Angeklagten A. im Schuld- und Strafausspruch wie folgt geändert: Der Angeklagte A. wird wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
3. Zur Prüfung, ob die Schuld des Angeklagten A. besonders schwer wiegt, sowie zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, soweit sie den Angeklagten A. betreffen, wird die Sache an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision der Nebenkläger wird verworfen.

5. Der Angeklagte E. hat die Kosten zu tragen, die durch das ihn betreffende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft entstanden sind.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten E. wegen Mordes sowie wegen Totschlags, jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe , zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und festgestellt, daß seine Schuld besonders schwer wiegt. Den Angeklagten A. hat es wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.

I.


1. Das Landgericht hat festgestellt:
Beide Angeklagte sind türkische Staatsangehörige. Der Angeklagte A. hält sich seit 1980 in der Bundesrepublik Deutschland auf, der Angeklagte E. seit 1990, er lebte nach den Regeln seines moslemischen Glaubens. Im Oktober 1997 beging die Ehefrau des Angeklagten E. – sie war die Schwester des Angeklagten A. - Selbstmord. Das Motiv hat sich nicht mit Sicherheit klären lassen. Möglich ist, daß familiäre Probleme, ein außereheliches
Verhältnis mit D. oder eine Vergewaltigung durch ihn Auslöser des Freitodes waren. Der Angeklagte E. ging von einer Vergewaltigung seiner Ehefrau durch D. aus und war – zusammen mit dem Angeklagten A. - entschlossen, die Ehre seiner Frau und seiner Familie durch Tötung des D. wiederherzustellen. Beide Angeklagten suchten in der Folgezeit nach ihm. Dieser war untergetaucht, da er von den Tötungsplänen Kenntnis erlangt hatte. Die Angeklagten drohten bei ihrer Suche allen Personen, von denen sie glaubten, diese würden D. und seine Ehefrau unterstützen. Dem späteren Tatopfer Ü. Y. gegenüber erklärten sie, er und seine Ehefrau, Ay. Y. , sollten sich aus der Sache heraushalten und D. nicht helfen. Sie fragten ihn bei dieser Gelegenheit auch, ob er wisse, wo sich dieser aufhalte. Als Ü. Y. dies verneinte, drohten sie ihm, wenn er wisse, wo dieser sei und es nicht sage und sie erführen das, dann sei er auch ein Feind von ihnen und solle sich auf Rache gefaßt machen, der Angeklagte A. fügte hinzu, sie würden ihn sonst erschießen.
Als die Angeklagten erfuhren, daß die Ehefrau des D. aus der Türkei nach Deutschland zurückgekehrt sei, suchten sie am 16. Dezember 1997 die Eheleute Y. in Frankfurt am Main auf, diese sollten ihnen dessen Aufenthaltsort mitteilen. In der Wohnung hielt sich zu diesem Zeitpunkt neben den drei Kindern der Eheleute Y. auch die Ehefrau des D. auf. Als der Angeklagte A. s ich nach ihr erkundigte, wies ihn Ü. Y. aus der Wohnung. Es kam zu einem Gerangel, in das beide Angeklagte verwickelt waren. Sie erkannten, daß Y. die Ehefrau des D. schützen und verhindern wollte, daß der Aufenthalt ihres Ehemannes bekannt würde. Aus Wut und Zorn hierüber zog der Angeklagte E. s eine mitgeführte Pistole Kal. 9 mm, lud diese durch und schoß auf Ü. Y. , während der Angeklagte
A. rief: ”schieß”. Die Ehefrau des Y. v ersuchte ihm zu Hilfe zu eilen und umklammerte den Angeklagten E. . Dieser schlug sie mit der Pistole nieder und schoß dann, um weiter ungehindert auf Ü. Y. feuern zu können, mehrfach auf die am Boden liegende Frau. Anschließend schoß er weiter auf Ü. Y. . Nachdem der Angeklagte A. gerufen hatte: ”Die Sache ist erledigt , laß uns abhauen”, verließen die Angeklagten die Wohnung. Beide Tatopfer verstarben an den Folgen ihrer Schußverletzungen.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten E. hinsichtlich der Tötung von Ay. Y. wegen Mordes verurteilt, weil dieser gehandelt habe, um eine andere Straftat (Tötung des Ü. Y. ) zu ermöglichen. Dessen Tötung als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten, hat es abgelehnt, weil die besonderen Anschauungen und Wertvorstellungen der Angeklagten (”Vergeltungspflicht”) dem entgegenstünden. Da auch das Mordmerkmal der Heimtücke nicht gegeben sei, hat es sowohl den Angeklagten A. wie auch den Angeklagten E. insoweit nur wegen Totschlags (Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zehn Jahren) verurteilt.
3. Gegen diese Entscheidung wendet sich Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten beider Angeklagter eingelegten Revision. Sie rügt die Verletzung sachlichen Rechts und erstrebt hinsichtlich der Tötung von Ü. Y. eine Verurteilung beider Angeklagter wegen Mordes (Mordmerkmal: niedrige Beweggründe ). Die Nebenkläger begehren mit ihrer ebenfalls auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die sich nur gegen den Angeklagten A. richtet, dessen Verurteilung wegen Mordes an beiden Tatopfern (Mordmerkmale : niedrige Beweggründe und Heimtücke).

II.


Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg, das der Nebenkläger teilweise.
1. Die Verneinung des Mordmerkmals ”niedrige Beweggründe” hinsichtlich der Tötung des Ü. Y. ist rechtsfehlerhaft.
Dieses Mordmerkmal, das auf Grund einer Gesamtwürdigung zu beurteilen ist, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließen muß, liegt vor, wenn das Motiv der Tötung nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist (BGHSt 3, 132 ff.; 35, 116, 127; BGHR StGB § 211 niedriger Beweggrund 22 und 23).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts erfüllen die Motive der Angeklagten diese Voraussetzungen. Nach den Feststellungen haben sie nämlich die Tat begangen, weil sie in Wut und Zorn darüber geraten waren, daß Ü. Y. die Ehefrau von D. sc hützen und zugleich verhindern wollte, daß dessen Aufenthalt ausfindig gemacht werden konnte (UA S. 10). Vor solchen Handlungen hatten die Angeklagten zuvor Dritte, auch das spätere Opfer, ausdrücklich gewarnt und sogar mit dem Tode bedroht (UA S. 7, 8). Bei der Tötung handelt es sich um eine Bestrafungsaktion für die vermeintliche Unterstützung , die Y. dem D. gewährt hatte (UA S. 36). Getötet wurde ein Mensch, der in keiner Weise an der - vermeintlichen - Tat des D. beteiligt war. Lediglich weil er sich nicht an die Aufforderung der Angeklagten gehalten hatte, die Familie D. nicht zu unterstützen, sollte er – wie vorher ange-
kündigt - ”mit dem Tode bestraft werden”. Das die Tat auslösende Motiv, unbeteiligte Dritte, die eine von der Rechtsordnung verbotene Vergeltung nicht fördern wollen oder auch nur der Behinderung verdächtig sind, zu töten, zeigt eine Gesinnung, die wertungsmäßig auf sittlich tiefster Stufe steht. In ihr kommt eine Eigensucht zum Ausdruck, welche zur Durchsetzung selbstgesteckter, von der Rechtsordnung mißbilligter Ziele Menschenleben für gering achtet und deshalb unter keinen Umständen Verständnis durch die Allgemeinheit erwarten kann.
Es kann deshalb offenbleiben, inwieweit nach objektiven Kriterien für die Bewertung eines Tatmotivs als ”niedrige Beweggründe” von Bedeutung sein kann, daß ein Angeklagter in einer fremden Vorstellungswelt lebt, da ein solcher Fall nicht vorlag. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob die Tötung eines vermeintlichen Vergewaltigers auf Grund einer auf ”soziokulturellen und religiösen Wertvorstellungen beruhenden Vergeltungspflicht” der Annahme niedriger Beweggründe im Sinne des § 211 StGB entgegenstehen würde (ablehnend für den Fall der Blutrache vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29 = BGH StV 1996, 208 f. m. Anm. Fabricius; vgl. aber auch BGH StV 1997, 565 f.; BGH, Urt. v. 28. August 1979 - 1 StR 282/79; zum Phänomen der Blutrache allgemein: vgl. Wahl, Kriminalistik 1985, 103 ff.; für Tötung zur Rettung der Familienehre oder aus Gründen der Selbstjustiz vgl. BGH NJW 1980, 537 und StV 1981, 399 f.; 1994, 182 = BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 28; BGH StV 1998, 130 f.), da sich die Tat der Angeklagten gegen einen unbeteiligten Dritten richtete.
Ihr Vorgehen muß deshalb entgegen der Ansicht des Landgerichts objektiv als besonders verachtenswert und verwerflich angesehen werden.

Aus den Urteilsgründen ergeben sich auch die subjektiven Voraussetzungen für die Bewertung der Tat als ein Handeln aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB. Die Feststellungen belegen nämlich, daß sich die Angeklagten bei der Tat der Umstände bewußt waren, die ihre Beweggründe als niedrig erscheinen lassen und daß sie ihre gefühlsmäßigen Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern konnten (vgl. hierzu BGHSt 28, 210, 212; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6, 15 - m. Anm. Heine JR 1990, 299 ff.-, 16; 26, 32 und 33). Daß die Angeklagten außer Stande gewesen wären, ihre – das Vorgehen wesentlich prägenden – Gefühle des Zorns und der Rache gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern, liegt angesichts der Verwerflichkeit ihrer Tat fern und bedurfte keiner näheren Darlegung (vgl. BGH NStZ 1994, 34 f. = StV 1994, 372 f. m. Anm. Fabricius S. 373, 374; BGH NStZ-RR 1998, 133). Darüber hinaus stellt das Landgericht im einzelnen fest, daß die Angeklagten ihr Vorgehen gegenüber Dritten und gegenüber dem Tatopfer angekündigt hatten. Ein ohne Plan und Vorbereitung "spontan" aus der Situation heraus gefaßter Tötungsentschluß - was der Annahme niedriger Beweggründe entgegenstehen könnte (vgl. dazu BGH StV 1982, 566 = NStZ 1983, 19; StV 1984, 72; 1984, 465) - liegt somit nicht vor. Beweggründe, welche sich beim Angeklagten E. auf seine Verhaftung in besonderen heimatlichen Wertvorstellungen zurückführen lassen, waren für die Tat nicht ausschlaggebend. Es fehlen daher Anhaltspunkte dafür, daß die Angeklagten für die Beurteilung ihrer Tat wesentliche Umstände verkannt haben könnten.
2. Die Feststellungen rechtfertigen somit entgegen der Ansicht der Schwurgerichtskammer im Falle der Tötung des Ü. Y. die Verurteilung
beider Angeklagter wegen Mordes. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen (vgl. Anklage vom 1. Oktober 1998).
Der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten E. bleibt von der Ä nderung des Schuldspruchs unberührt, da bereits die höchstmögliche (Gesamt -) Strafe verhängt und auch eine Entscheidung über die besondere Schuldschwere gemäß § 57 b StGB getroffen ist. An die Stelle der insoweit verhängten Freiheitsstrafe von zehn Jahren tritt aber lebenslange Freiheitsstrafe.
Hinsichtlich des Angeklagten A. entfällt ebenfalls die Freiheitsstrafe von zehn Jahren, an ihre Stelle tritt lebenslange Freiheitsstrafe, auf die der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO erkannt hat (vgl. dazu Kleinknecht/MeyerGoßner , StPO 44. Aufl. § 354 Rdn. 9). Dem Senat ist es aber verwehrt, über die Frage der Schuldschwere (vgl. § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) selbst zu entscheiden, da es sich dabei zunächst um eine tatrichterliche Wertung handelt (BGHSt 40, 360, 366, 367). Insoweit ist die Sache an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
3. Die weitergehende Revision der Nebenkläger, mit der sie die Bejahung des Mordmerkmals ”Heimtücke” und eine Verurteilung des Angeklagten A. auch wegen der Tötung von Ay. Y. erstreben, ist unbegründet. Heimtückisches Vorgehen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Eine strafbare Beteiligung des Angeklagten A. an der Tötung von Ay. Y. ist in den Urteilsgründen zwar nicht ausdrücklich erörtert. Daraus folgt aber nicht, daß die Schwurgerichtskammer ihre Kognitionspflicht (vgl. dazu BGHSt 25, 72,
75, 76; 32, 215 ff.; Urteil des Senats NStZ 1999, 206 ff m. Anm. Bauer 207 f; Pauly StV 199, 415 ff.) verkannt hätte. Nach den von ihr getroffenen Feststellungen schied eine strafrechtlich relevante Beteiligung des Angeklagten A. an der Tötung von Ay. Y. aus, wovon bereits die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift ausgegangen war. Die Tötung der Ehefrau des Ü. Y. war nicht vom gemeinsamen Tatplan getragen, den das Landgericht zutreffend für die Ermordung von Ü. Y. zugrundegelegt hat. Eine strafrechtlich erhebliche Beteiligung des Angeklagten A. bedurfte deshalb als fernliegend keiner besonderen Erörterung.
Jähnke Niemöller Detter Bode Otten

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

Ist auf lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt, so werden bei der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.