Bundesgerichtshof Urteil, 15. Nov. 2017 - 5 StR 338/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:151117U5STR338.17.0
bei uns veröffentlicht am15.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 338/17
vom
15. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:151117U5STR338.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dölp, Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P.
als Verteidiger, Rechtsanwältin K. , Rechtsanwalt V. als Vertreter der Nebenkläger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 28. Februar 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit
1
unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und drei Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die auf die Sachrüge gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger, mit denen die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend gemacht wird. Die Rechtsmittel, mit denen eine Verurteilung wegen Mordes statt wegen Totschlags angestrebt wird, haben mit der Sachrüge Erfolg; auf die mit den Revisionen der Nebenkläger erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.

I.


2
1. Das Landgericht hat festgestellt: Der später getötete S. war ein ehemaliger Freund, der
3
geschiedene Ehemann der Halbschwester und der Vater der Nichte des Ange- klagten. Dieser wollte ihn am 5. Juni 2016 zur Rede stellen. Er hatte bei einem Besuch in seinem Elternhaus von einer Auseinandersetzung zwischen S. und seiner Halbschwester im Rahmen eines schon länger andauernden Streits über das Sorge- und Umgangsrecht für deren gemeinsame Tochter erfahren. Bei dieser Auseinandersetzung hatte S. die Halbschwester des Angeklagten in Anwesenheit des Kindes bedroht und körperlich angegriffen. Zwischen dem Angeklagten und S. war es schon in der Vergangenheit zu vielen beiderseits aggressiv und seitens des Angeklagten teilweise auch körperlich geführten Streitigkeiten über den Umgang mit dem Kind gekommen. Obwohl ihm klar war, dass ein Zusammentreffen zu einer erneuten körperlichen Auseinandersetzung führen könnte, wollte der Angeklagte S. aufsuchen und ihn auffordern , seine Nichte und seine Halbschwester künftig in Ruhe zu lassen. Diese hatte indessen ihr Missfallen über eine Einmischung des Angeklagten erklärt. Um einem Konflikt mit ihr zu vermeiden, entschied er sich, sein Vorhaben gegenüber seiner Familie zu verschweigen.
4
Vor seiner Begegnung mit S. bewaffnete er sich mit einer mit 15 Patronen geladenen halbautomatischen Pistole. Damit wollte er sich sowohl vor möglichen Überfällen Dritter als auch gegen eventuelle Übergriffe des S. schützen. Als er auf den leicht alkoholisierten S. traf und äußerte, mit ihm reden zu wollen, willigte dieser in eine Aussprache ein. Sie verabredeten sich in der Nähe seiner Wohnung, die S. zuvor noch kurz aufsuchte. Anschließend kehrte er mit einem Fahrrad zum Angeklagten zurück. Zwischen den beiden entwickelte sich ein mit Beschimpfungen geführter Streit, in dem S. nicht nachgab. Der Angeklagte drohte, ihn umzubringen, wenn er sein Verhalten gegenüber der Halbschwester und Nichte nicht ändere. Er zeigte dem neben ihm stehenden S. die im Hosenbund mitgebrachte Pistole und sagte, dass es sich um eine scharfe Waffe handele. S. erkannte, dass ihn der Angeklagte mit der Pistole angreifen und schwer verletzen könnte. Dennoch lenkte er nicht einmal zum Schein ein, sondern tat so, als nehme er die Drohung des Angeklagten nicht ernst. Er wies das Ansinnen des von ihm als „Clown“ bezeichneten Angeklagten zurück und kündigte an, er werde mit des- sen Halbschwester wieder eine Partnerschaft eingehen, was den Angeklagten weiter aufbrachte. Außerdem spielte S. die von ihm als solche erkannte Bedrohung herunter, indem er die Waffe des Angeklagten als Gaspistole bezeichnete.
5
Dann suchte er sich der bedrohlichen Situation zu entziehen. Er stieg unvermittelt auf das Fahrrad und fuhr los, wobei er herablassend lachte. Der Angeklagte entschloss sich in diesem Moment, S. zu töten. Er zog die Pistole aus dem Hosenbund, lud sie durch und gab aus etwa fünf bis sieben Metern Entfernung in Tötungsabsicht zehn gezielte Schüsse ab, von denen sechs Oberkörper und Kopf des Opfers trafen und tödliche Verletzungen herbeiführten.
2. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke nicht als erfüllt
6
angesehen. S. sei nicht arglos gewesen, da er spätestens mit der Todesdrohung durch den Angeklagten noch vor dessen Tatentschluss die Vorstellung verloren habe, vor einem Angriff des Angeklagten sicher zu sein. Er habe erkannt , dass der bewaffnete und aggressiv gestimmte Angeklagte ihn ernsthaft angreifen und schwer verletzen könne, womit er auch konkret gerechnet habe. Dies folge aus seinen Wahrnehmungen in der betreffenden Situation und aus seinen schon zuvor gewonnen Kenntnissen über den Angeklagten. So habe er aus den bisherigen in vergleichbarer Weise eskalierend verlaufenen Auseinandersetzungen mit dem Angeklagten gewusst, dass dieser besonders aggressiv agiert und zu gewaltsamen Übergriffen geneigt habe, wenn es um das Wohl der Halbschwester oder Nichte gegangen sei (UA S. 18).
Darüber hinaus habe es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang
7
gefehlt: Wehrlos sei das unbewaffnete Tatopfer nicht wegen einer etwaigen Arglosigkeit, sondern wegen seiner unterlegenen Verteidigungsmittel gegenüber dem bewaffneten Angeklagten gewesen. Zumindest aber habe es dem Angeklagten an einem Ausnutzungsbewusstsein gefehlt.

II.


Die Revisionsführer beanstanden mit Recht, dass das Landgericht die
8
Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke verneint hat und so zu einer Verurteilung (nur) wegen Totschlags gelangt ist.
9
1. Das Landgericht ist zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; vom 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, NJW 1991, 1963; vom 29. April 2009 – 2 StR 470/08, NStZ 2009, 569). Wesentlich ist danach, dass der Mörder das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (st. Rspr. BGH, Urteile vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15; vom 15. September 2011 – 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35 und vom 25. November 2015 – 1 StR 349/15, NStZ-RR 2016, 43, 44 mwN).
2. Die Verneinung einer Arg- und Wehrlosigkeit des hinterrücks erschos10 senen Tatopfers lässt jedoch eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts durch die Schwurgerichtskammer vermissen, die den Indizwert einer Reihe von zu Ungunsten des Angeklagten sprechenden Umstände nicht in seine Erwägungen einbezogen hat.
11
a) Die Schwurgerichtskammer hat sich insbesondere nicht näher damit auseinandergesetzt, dass das Opfer im Anschluss an die verbalen Provokationen und noch während der laufenden Auseinandersetzung sein Fahrrad bestieg und – dem Angeklagten den Rücken zuwendend – losfuhr. Die hiermit verbundene Preisgabe von Verteidigungsmöglichkeiten ist ein gewichtiges Indiz für seine erhalten gebliebene Arglosigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692; MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 152). Auch der weitere äußere Geschehensablauf legt für den Zeitpunkt unmittelbar vor Abgabe der Schüsse durch den Angeklagten die Annahme nahe , dass sich das Opfer keines Angriffs mit der Waffe versah. So verwahrte der Angeklagte, als sich S. von ihm abwandte, seine Pistole noch im Hosenbund. Das Streitgespräch und die Todesdrohungen des Angeklagten hatten sich auf ein zukünftiges Verhalten des S. bezogen. Seine Einschätzung der Situation, als er aus der Schlagweite des Angeklagten herausfuhr, hatte S. auch durch sein herablassendes Lachen zu erkennen gegeben.
12
Soweit das Landgericht auf die Kenntnisse des S. von zuvor bereits eskalierend verlaufenen Auseinandersetzungen mit dem Angeklagten abgestellt hat, ist dies nach dem für die Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke anzulegenden rechtlichen Maßstab kein entscheidender Gesichtspunkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen, da es darauf ankommt, ob es gerade im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben gerechnet hat (BGH, Urteile vom 23. August 2000 – 3 StR 234/00, NStZ-RR 2001, 14; vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338 und vom 11. November 2015 – 5 StR 259/15, NStZ-RR 2016, 72, 73 mwN; vgl. allerdings zur Bedeutung von Beziehungsverläufen bei bisheriger Gewaltlosigkeit des Täters BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692, und vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Ohnehin lassen sich die früheren Begegnungen durchaus gegenteilig in Bezug auf die im Moment der Tat bestehende innere Befindlichkeit des Tatopfers ausdeuten. Denn S. hatte sich – nach den Feststellungen einvernehmlich – auf eine Aussprache mit dem Angeklagten eingelassen. Er war in der Vergangenheit lediglich mit Körpereinsatz ausgeführter Gewalttätigkeit ausgesetzt, derer es sich zuletzt 2015 durch eigene Faustschläge zu erwehren gewusst hatte. Bei der einzigen früheren Auseinandersetzung, bei der der Angeklagte dem Opfer 2012 (mit einem Messer ) bewaffnet gegenübergetreten war, war es bei einer Bedrohung geblieben (UA S. 7).

b) Zu kurz greift auch die Erwägung zu einer fehlenden kausalen Ver13 knüpfung von einer Arglosigkeit des Tatopfers mit dessen Wehrlosigkeit. S. hatte sich unmittelbar vor den aus kurzer Distanz abgegebenen Schüssen von dem zuvor neben ihm stehenden Angeklagten abgewandt. Es war ihm deshalb nicht mehr möglich, durch körperliche Abwehr zu versuchen, den Einsatz der kurz danach vom Angeklagten gezogenen Pistole zu verhindern. Diesen Umstand hat das Landgericht nicht erkennbar gewichtet. Zudem ist ihm bei seiner Beurteilung der Verteidigungsmöglichkeiten aus dem Blick geraten, dass der Angeklagte dem ihm den Rücken zuwendenden Opfer die Möglichkeit genommen hatte, ihn verbal etwa durch Einlenken oder Bitten von seinem Tun abzuhalten. Insofern kann für die Frage der Wehrlosigkeit von Bedeutung sein, ob der Angreifer bei Ausführung der Tat dem Opfer von Angesicht zu Angesicht
gegenübersteht oder der Tatbeginn vom Opfer nicht bemerkt wird. Dies gilt in besonderem Maße, wenn Täter und Opfer – wie hier – in einem engen persönlichen Verhältnis zueinander stehen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 1984 – 4 StR 615/84, NStZ 1985, 216, und vom 9. September 2003 – 1 StR 153/03, NStZ-RR 2004, 79, 80; Beschlüsse vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8, und vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30). Dass ein Versuch verbaler Einwirkung auf den Angeklagten von vornherein sinnlos gewesen sein könnte, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen und liegt auch nicht nahe. Denn die Tötungsabsicht des Angeklagten war überhaupt erst aufgrund der verbalen Provokationen und der herablassenden Haltung des Tatopfers entstanden.
14
c) Die vom Landgericht – von seinem Ausgangspunkt folgerichtig – nicht näher begründete Annahme eines fehlenden Ausnutzungsbewusstseins belegt das angefochtene Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht. Sie drängte sich nach der hier gegebenen Sachlage auch nicht auf.
15
Für ein Ausnutzungsbewusstsein genügt es, wenn der Täter die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen , sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 11. Dezember 2012 – 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; vom 24. September 2014 – 2 StR 160/14, NStZ 2015, 214 f.). Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter – wie bei Schüssen in den Rücken des Opfers – auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Unrechtseinsicht ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511, und vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN). Danach hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Allerdings kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte.
Danach hätte die Schwurgerichtskammer bei dieser vom Tatgericht zu
16
bewertenden Tatfrage (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – 5StR 438/12 aaO, und vom 20. August 2014 – 2 StR 605/13, NStZ 2014, 574, 575) beweiswürdigend die zur Frage der Schuldfähigkeit getroffenen Fest- stellungen aufgreifen müssen, dass „zum Tatzeitpunkt bei dem Angeklagten weder eine forensisch relevante Persönlichkeitsstörung noch eine sonstige relevante psychische Störung vorlag“, seine Einsichtsfähigkeit demgemäß vollständig vorhanden war und es bei ihm zu keinem Affekt- oder Impulsdurchbruch kam (UA S. 20 f.).
17
3. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen des tateinheitlich begangenen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe.

III.


18
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat unter Bezugnahme auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts darauf hin, dass es bei erneuter Feststellung einer den Feststellungen des angefochtenen Urteils entsprechen- den Motivlage des Angeklagten geboten erscheint, die Voraussetzungen eines niedrigen Beweggrundes im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB zu prüfen.
Das neue Tatgericht wird sich für den Fall einer gleichbleibenden Einlas19 sung des Angeklagten, die den aufgehobenen Feststellungen des angefochtenen Urteils im Wesentlichen zugrunde gelegen hat, eingehender mit ihrer Plausibilität zu befassen und dabei zu beachten haben, dass es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, NJW 1995, 2300; vom 12. Dezember 2001 – 3 StR 303/01, NJW 2002, 1057, 1059; vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14; vom 10. August 2016 – 2 StR 579/15, und vom 25. Oktober 2016 – 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5, 6 mwN). Das Tatgericht darf daher entlastende Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Er muss sich vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52, 71; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325; Urteile vom 28. Januar 2009 – 2 StR 531/08, NStZ 2009, 285; vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14).
Sander Dölp König
Berger Mosbacher

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Bundesgerichtshof Urteil, 16. Aug. 2018 - 4 StR 162/18

bei uns veröffentlicht am 16.08.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 162/18 vom 16. August 2018 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2018:160818U4STR162.18.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. August

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 223/11
vom
15. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 15. Februar 2011 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach dem Vorwegvollzug von fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe angeordnet sowie eine vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung im Verhältnis 1 : 1 auf die Strafe angerechnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen geriet der unter dem Einfluss von Alkohol und Benzodiazepinen stehende Angeklagte im Juli 2010 während der Fußballweltmeisterschaft in einem Lokal in Hannover mit dem L.
und dem S. in Streit, wobei er fälschlich bestritt, dass Italien bereits viermal Fußballweltmeister geworden war. Nach einer Rempelei mit L. begab sich der Angeklagte nach Hause, nahm eine mit sechs Patronen geladene Pistole Makarov, Kaliber 9 mm, an sich und kehrte in das Lokal zurück. Dort trat er auf den hinter S. am Tresen sitzenden L. zu. Als dieser aufstehen wollte, nahm der Angeklagte die Waffe aus einer Plastiktüte, hielt sie mit den Worten "Da hast Du Deine vier Sterne" dem völlig überraschten und unvorbereiteten L. an die Stirn und erschoss ihn. Daraufhin wandte sich S. dem Angeklagten zu und bat diesen sinngemäß mit den Worten "nein, nicht", ihn zu verschonen. Der Angeklagte entschloss sich nunmehr, den S. ebenfalls zu töten, richtete die Waffe auf ihn und gab aus nächster Nähe zwei Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen S. verstarb. Motiv für die Tötung beider Opfer war die Verärgerung des Angeklagten über den Streit betreffend die Anzahl der Fußballweltmeistertitel sowie darüber, nicht Recht gehabt zu haben und in der Auseinandersetzung unterlegen gewesen zu sein. Nach der Tat flüchtete der Angeklagte nach Spanien, stellte sich dort aber der Polizei.
3
Das Landgericht hat bezüglich beider Opfer eine Tötung aus niedrigen Beweggründen angenommen. Hinsichtlich des L. hat es das Handeln des Angeklagten zudem als heimtückisch gewertet; für die Tötung des S. hat es dieses Mordmerkmal demgegenüber nicht bejaht. Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei aufgrund einer Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen bei ängstlich-depressiver Symptomatik in Verbindung mit der zur Tatzeit bestehenden Intoxikation gemäß § 21 StGB erheblich vermindert gewesen. Es hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die in § 211 StGB vorgesehene lebenslange Freiheitsstrafe nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, und in beiden Fällen eine Einzelfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verhängt; aus diesen hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren und sechs Monaten gebildet.
4
2. Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils lässt - auch mit Blick auf die Einzelbeanstandungen der Revision - aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten erkennen. Der näheren Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
5
a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bezüglich der Tötung des S. zutreffend das Mordmerkmal der Heimtücke verneint. Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es beim heimtückisch begangenen Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegen tritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 16. Juni 1999 - 2 StR 68/99, NStZ 1999, 506, 507; vom 6. April 2005 - 5 StR 22/05, NStZ-RR 2005, 201, 202; vom 13. Juli 2005 - 2 StR 236/05, NStZ-RR 2005, 309; vom 11. Oktober 2005 - 1 StR 250/05, NStZ-RR 2006, 10). Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine in gewisser Weise erweiternde Auslegung des Begriffs "Angriff". Er liegt nicht erst dann vor, wenn der Stich, Schlag oder Schuss selbst geführt oder gelöst wird, sondern umfasst die unmittelbar davor liegende Phase. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Heimtücke nur zu bejahen ist, wenn der Täter bei Beginn des ersten Angriffs mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
6
Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte nicht heimtückisch; denn er fasste den Entschluss, S. zu erschießen, erst spontan zu einem Zeitpunkt, als dieser aufgrund der Beobachtung des vorangegangenen Geschehens die Gefahr erkannt hatte und somit nicht mehr arglos war. Bei dieser Fallkonstellation fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung, die darin liegt, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung ausnutzt , indem er es in hilfloser Lage überrascht und dadurch hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder ihn doch wenigstens zu erschweren (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; Urteil vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Allein der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang mit der vorangegangen heimtückischen Tötung des L. genügt hierfür nicht.
7
b) Die weiteren Einwände der Revision gegen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts dringen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat insbesondere sorgfältig begründet, warum es bei der Bestimmung der Einzelfreiheitsstrafen die Milderungsmöglichkeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genutzt hat. Es hat seine Entscheidung ohne Rechtsfehler an den Maßstäben ausgerichtet, welche die Rechtsprechung für die Strafmilderung bei mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Kapitaldelikten entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1996 - 2 StR 650/95, NStZ-RR 1996, 161, 162; Urteil vom 17. Dezember 1998 - 5 StR 315/98, NStZ-RR 1999, 295; Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18), und die maßgebenden, sich aus den Feststellungen ergebenden Gesichtspunkte in seine Bewertung einbezogen. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Besorgnis, die Strafkammer habe konkrete schulderhöhende Tatumstände aus dem Blick verloren.
8
Soweit die Revision meint, die Strafkammer habe auch das Wissen des Angeklagten von seiner Gefährlichkeit unter Alkoholeinfluss berücksichtigen müssen, entfernt sie sich in unzulässiger Weise von den allein maßgebenden Urteilsgründen. Aus diesen ergibt sich nicht, dass der Angeklagte in erheblichem Maße Alkohol zu sich nahm, obwohl er wusste, dass er in trunkenem Zustand dazu neigt, schwere, mit den abgeurteilten Straftaten vergleichbare Straftaten zu begehen. Festgestellt ist auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen H. , denen die Strafkammer folgt, vielmehr lediglich, dass der 43 Jahre alte, bislang unbestrafte Angeklagte sich vor allem bei Themen , die mit Fußball im Zusammenhang stehen, und vorwiegend in alkoholisiertem Zustand "rechthaberisch" zeige. Die Strafkammer hat in diesem Zusammenhang im Übrigen zutreffend in die Bewertung eingestellt, dass der Angeklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung sowie seiner Abhängigkeit von Alkohol und Benzodiazepinen nicht in der Lage war, die erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu vermeiden. Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 349/15
vom
25. November 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:251115U1STR349.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November 2015, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten H. S. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger der Angeklagten M. S. , Rechtsanwältin - in der Verhandlung - und Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten K. , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - und Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten G. , die Nebenklägerin A. - persönlich -, Rechtsanwältin - in der Verhandlung - als Vertreterin der Nebenklägerin A. , Justizangestellte - in der Verhandlung -, Justizangestellte - in der Verkündung - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 13. Februar 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten G. und K. wegen Totschlags , versuchter gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagte M. S. wurde wegen gefährlicher Körperverletzung und Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, der Angeklagte H. S. wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung und Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung unter Einbeziehung mehrerer Geldstrafen aus Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Dagegen wenden sich die zu Lasten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden. Mit der Sachrüge beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verneinung der Mordmerkmale Heimtücke und Habgier durch das Landgericht, ebenso des Mordmerkmals „zur Verdeckung einer Straftat“, und erstrebt eine Verurteilung der Angeklagten G. und K. wegen Mordes sowie wegen Raubes mit Todesfolge, hinsichtlich der Angeklagten S. wegen Beteiligung hieran. Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die Angeklagten H. S. und M. S. hatten 1992 geheiratet, lebten jedoch seit 2007 getrennt und hatten sich 2013 wieder einander angenähert. Spätestens im November 2013 fassten sie den Entschluss, dass der Geschädigte R. mit dem die Angeklagte M. S. spätestens im April 2013 eine Beziehung eingegangen und im Mai 2013 bei ihm eingezogen war, eine „Abreibung“ erhalten sollte, weil er der Angeklagten nicht mehr die vereinbarten finanziellen Mittel für die Miete einer Gaststätte überließ. Durch die „Abreibung“ sollte der Geschädigte zugleich derart verletzt werden, dass er für einige Tage nicht mehr in der Lage sein würde, die Mieten bei den Prostituierten des von ihm geführten Bordellbetriebs einzukassieren, sodass dies an seiner Stelle die Angeklagte M. S. übernehmen und sie damit Klarheit über die Höhe der monatlichen Einnahmen des Geschädigten erhalten könnte. Nach zahlreichen Gesprächen konnten die beiden die Angeklagten G. und K. , jeweils Mitglieder eines Motorradclubs, zu der Ausführung der geplanten „Abreibung“ überreden, wobei vereinbart wurde, dass K. und G. den Geschädigten abends vor dem Bordellbetrieb überfallen sollten, wenn dieser die Mieten von den Prostituierten kassieren würde, wie er es regelmäßig mittwochs machte. Nachdem dieser Überfall gescheitert war, weil ein Pizzaauslieferer hinzukam, als der Geschädigte das Bordell verließ und der Geschädigte unbehelligt wegfahren konnte, fassten die vier Angeklagten nun den neuen Plan, den Geschädigten in seinem Anwesen im Schlaf zu überraschen und zu verletzen. Um sicherzustellen, dass er sich zu Hause aufhielt, rief die Angeklagte M. S. den Geschädigten auf der Festnetznummer an und empfahl ihm, gegen seine Erkältung das Medikament Wick MediNait zu nehmen und sich schlafen zu legen. Anschließend übergab sie den Hausschlüssel an die Angeklagten G. und K. . Mit diesem Schlüssel schlossen diese die Haustür auf, begaben sich in den Flur und versetzten dem Geschädigten, welcher zuvor bereits im Bett gelegen hatte und nun wieder aufgestanden und in den Flur gegangen war, einen Schlag. Nachdem der Geschädigte darauf hin ins Wohnzimmer gegangen war, misshandelten sie ihn dort mit Schlägen in den Kopf- und Gesichtsbereich sowie, nachdem er zu Boden gegangen war, mit Tritten und weiteren Schlägen gegen Kopf und Oberkörper derart, dass er spätestens nach 15 bis 20 Minuten verstarb.
5
Die Angeklagten G. und K. , welche bei ihrem Vorgehen den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahmen, fassten nun den Tatentschluss , das im Geldbeutel des zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Geschädigten befindliche Bargeld in Höhe von rund 550 € mitzunehmen, um dieses für sich zu behalten.
6
2. Die Angeklagte M. S. hat sich dahin eingelassen, dass sie nie gewollt habe, dass der Geschädigte R. zu Tode komme. Sie sei damit einverstanden gewesen, dass man ihm beispielsweise „Verstauchungen“ an Armen und Beinen zufüge, damit er ein paar Tage ausfalle. Es sollte so aussehen wie ein Überfall. Mit den Angeklagten G. und K. sei nie darüber gesprochen worden, dass sie für die Ausführung der Tat Geld bekommen sollten. Während die Angeklagte M. S. eine Tatbeteiligung ihres Ehemannes abstritt, gaben G. und K. an, dass dieser sie mehrfach aufgefordert habe, dem Geschädigten R. eine „Abreibung“ zu verpassen, und er sie zudem mit seiner Äußerung provoziert habe, dass er andernfalls die Hells Angels beauftragen werde; zudem habe er gegenüber G. geäußert, dass dieser „keine Eier in der Hose“ habe.
7
3. Das Landgericht hat hinsichtlich der Angeklagten G. und K. das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen , insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Dabei ist die Kammer davon ausgegangen, dass der bedingte Tötungsvorsatz erst dann gefasst wurde, als G. und K. auf den bereits wehrlos am Boden liegenden R. einschlugen und eintraten. Zuvor habe dieser nach dem ersten Schlag im Flur jedoch noch die Möglichkeit gehabt, im Wohnzimmer durch die Terrassentür nach draußen zu fliehen. Nachdem er diese Möglichkeit nicht genutzt habe, sei er aber nicht mehr arglos gewesen. Die Mordmerkmale Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat lehnte die Strafkammer deshalb ab, weil sie nicht festzustellen vermochte, dass es den Angeklagten K. und G. schon bei den Schlägen um die Erlangung des Geldes ging.

II.


8
Die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Allein ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sein (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13).
10
Nach diesen Maßstäben hält die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
Die Beweiswürdigung zum angenommenen Wechsel vom Körperverletzungs - hin zum Tötungsvorsatz der Angeklagten K. und G. ist lückenhaft , weil sie eine nach der Beweislage und den Umständen des Einzelfalls wesentliche Feststellung, die Annahme, dass der bedingte Tötungsvorsatz erst dann gefasst wurde, als G. und K. auf den bereits wehrlos am Boden liegenden R. einschlugen und eintraten, nicht belegt. Für eine solche Feststellung ergeben sich weder Anhaltspunkte im tatsächlichen Geschehen noch aus den Einlassungen der Angeklagten.
12
Nach den Feststellungen lag der Geschädigte R. , als die Angeklagten mit dem ihnen von der Mitangeklagten M. S. übergebenen Hausschlüssel das Haus betraten, im Bett und rechnete mit keinem Angriff. Zudem hatte er auf Rat der Mitangeklagten M. S. , was die Angeklagten G. und K. wussten und auch ausnutzen wollten, das auch bei bestimmungsgemäßen Gebrauch das Reaktionsvermögen beeinträchtigende und zu Müdigkeit führende Arzneimittel Wick MediNait eingenommen. Als er aus nicht näher festgestellten Gründen aufgestanden und in den Flur gegangen war, erhielt er ohne Vorwarnung einen ersten Schlag durch den Angeklagten K. . Beide Angeklagten haben diesbezüglich ein dynamisches Geschehen geschildert, beginnend mit dem ersten Schlag im dunklen Flur der Wohnung durch K. . Die Schläge hätten sich dann im Wohnbereich fortgesetzt, in den der Geschädigte einige Schritte zurückgewichen war. Dann sei es zu weiteren Schlägen und Tritten gegen Kopf und Oberkörper des inzwischen zu Boden gegangenen Geschädigten gekommen, welche letztlich tödlich waren. Diese Einlassungen zu Grunde gelegt sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Angeklagten nicht schon bei ihren ersten Schlägen gegen das in seiner Reaktion eingeschränkte Opfer dessen Tod als Folge der Schläge und Tritte zumindest billigend in Kauf nahmen.
13
2. Des Weiteren sind die Erwägungen des Schwurgerichts zur Beweiswürdigung auch deswegen rechtsfehlerhaft, weil es den Sachverhalt nicht widerspruchsfrei gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewusstes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch die Angeklagten K. und G. verneint hat.
14
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGH, Urteile vom 20. Oktober 1993 - 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368 und vom 26. November 1986 - 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Urteile vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3 und vom 4. Juni 1991 - 5 StR 122/91, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.
15
Soweit die Angeklagten bereits mit den ersten Schlägen auf das überrumpelte Opfer dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahmen, liegt die Annahme der bewussten Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit nahe. Aus dem Bett kommend und durch das Medikament zumindest teilweise sediert gab es für den überraschten älteren Mann keine ersichtliche Chance, den teilweise erheblich jüngeren und angriffsbereiten Tätern zu entkommen, wie sich nachfolgend auch gezeigt hat. Jedenfalls der Umstand aus Überraschung und der Sedierung auf Seiten des Opfers war den Angeklagten K. und G. bewusst.
16
b) Aber auch unter Zugrundelegung der Feststellungen des Landgerichts sind dessen Erwägungen rechtsfehlerhaft, weil es den festgestellten Sachver- halt nicht widerspruchsfrei gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewusstes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch die AngeklagtenK. und G. verneint hat.
17
Heimtückisch tötet auch, wer sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (BGH, Urteile vom 30. August 2012 - 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338; vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 693 und vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11, Rn. 20; Beschluss vom 19. Juni 2008 - 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; Urteile vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503 und vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 3).
18
An diesen Maßstäben gemessen würde die Ablehnung heimtückischer Tatbegehung rechtlicher Nachprüfung auch unter Berücksichtigung der nicht rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts nicht standhalten. Als nach diesen Feststellungen der sich keines Angriffs versehende Geschädigte vom Bett aufgestanden und in den Flur gegangen war, erhielt er ohne Vorwarnung einen ersten Schlag durch den Angeklagten K. . Angesichts dessen erscheinen die weiteren Feststellungen des Landgerichts, der Geschädigte R. hätte danach auf seinem Weg durch den Ess- und Wohnzimmerbereich die etwa neun Meter entfernte Terrassentür öffnen und ins Freie fliehen können, nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hat keine Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass der Geschädigte in seiner damaligen Verfassung überhaupt in der Lage war, auf der kurzen Strecke ins Wohnzimmer gegenüber den erheblich jüngeren Angeklagten einen solchen Vorsprung zu erlangen, um dann noch rechtzei- tig die Terrassentür nach innen öffnen zu können. Die Strafkammer hat diesbezüglich auch den sich ergebenden Widerspruch zur Einlassung des Angeklagten K. nicht aufgeklärt, wonach der Geschädigte R. nach dem ersten Schlag ein paar Schritte zurück gegangen und dann irgendwo zu Boden gefallen sei (UA S. 42) und an dieser Stelle dann die weiteren Schläge und Tritte erfolgten. Danach wäre ihm schon deswegen eine Flucht gar nicht möglich gewesen. Jedenfalls aber vermochte er sich aufgrund der Kürze der ihm verbleibenden Reaktionszeit den ihm nachsetzenden Angeklagten nicht mehr zu entziehen oder irgendwelche wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese hilflose Situation hielt an, als die Täter den nach weiteren Schlägen bereits am Boden liegenden, weiterhin wehrlosen Geschädigten nunmehr mit Tötungsvorsatz mehrfach gegen Kopf und Oberkörper traten und schlugen, was dann auch zum Tode führte.
19
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist zudem auch deshalb lückenhaft und widersprüchlich, weil es allein auf die Einlassung der beiden Angeklagten K. und G. die Feststellung stützte, diese hätten erst nach dem Ende der Tritte und Schläge gegen den nun schwerverletzten und kurz vor seinem Tod stehenden Geschädigten R. spontan den Tatentschluss gefasst, im Schlafzimmer nach dem Geldbeutel des Geschädigten zu suchen und diesem dann rund 550 € entnommen, um dieses Geld für sich zu behalten. Hierbei hat sich das Schwurgericht nicht damit auseinandergesetzt, dass ausdrücklich der Mittwoch als Zeitpunkt für den Angriff gegen den Geschädigten gewählt wurde, an dem er regelmäßig die Mitarbeiterinnen seines Bordellbetriebs abkassierte und danach über Bargeld verfügte. Außerdem sollte nach den Einlassungen aller Angeklagten ein Überfall vorgetäuscht werden, so dass kein Verdacht auf die Mitangeklagten S. fallen konnte. Um einen solchen Eindruck zu erwecken, war es fast zwingend erforderlich, dass es im Rahmen eines solchen „Überfalls“ zur Wegnahme von Wertgegenständen oder von Geld kommen musste. Auch mit diesem aus den Feststellungen sich ergebenden Widerspruch hat sich das Landgericht nicht befasst. Zudem hat sich die Schwurgerichtskammer auch nicht damit auseinandergesetzt , weshalb die Angeklagten nach dem Ende der Tätlichkeiten gegen den Geschädigten ins Schlafzimmer gingen, nachdem sie schon zuvor geplant hatten , in der Wohnung nach dem vom Geschädigten abends eingezogenen Geld zu suchen.

III.


20
Rechtsfehlerhaft und lückenhaft sind auch die Feststellungen und die Beweiswürdigung hinsichtlich der Angeklagten H. und M. S. .
21
1. Insbesondere hat die Strafkammer nicht in den Blick genommen, dass nach dem Fehlschlag des Überfalls am Abend im Hof des Bordellbetriebsdie Angeklagten K. und G. von den Mitangeklagten S. dazu gedrängt wurden, in Abweichung von dem bisherigen Tatplan den Geschädigten nachts zu Hause zu überfallen, welcher zu diesem Zeitpunkt bereits schlafen sollte, nachdem er auf Anraten der Mitangeklagten M. S. das auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen beeinträchtigende und zu Müdigkeit führende Arzneimittel Wick MediNait eingenommen hatte. Im Gegensatz zu dem ursprünglich am frühen Abend im Hof des Bordellbetriebs vorgesehenen Angriff stellt sich ein Überfall nachts in einer unbeleuchteten Wohnung auf einen in der Reaktion beeinträchtigten älteren Menschen weitaus risikobehafteter dar, wobei Schläge und Tritte in solch einer Umgebung unberechenbar und kaum dosierbar sind. Insoweit hätte sich die Schwurgerichtskammer damit auseinandersetzen müssen, ob die hierbei dem Geschädigten zugefügten, zum Tode führenden Verletzungen den beiden Anstiftern nicht doch zuzurechnen sind.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird nicht jede strafrechtliche Haftung des Anstifters für den von ihm weder gewollten noch gebilligten Erfolg bei erfolgsqualifizierten Delikten dadurch ausgeschlossen , dass der Angestiftete den Erfolg vorsätzlich herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 3. Juni 1964 - 2 StR 14/64, BGHSt 19, 339, 341). Sofern der zu einer gefährlichen Körperverletzung Angestiftete dem Misshandelten, insoweit über den Vorsatz des Anstifters hinausgehend, mit Tötungsvorsatz eine Verletzung zufügt , die auch zum Tode des Opfers führt, kann der Anstifter wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) schuldig sein (BGH, Urteil vom 1. April 1952 - 1 StR 867/51, BGHSt 2, 223, 226). Er haftet andererseits nur für die Folgen derjenigen Handlungen des Angestifteten, die er in seine Vorstellungen einbezogen hatte. Die von dem Angestifteten dem Opfer mit Tötungsvorsatz zugefügten Körperverletzungen dürfen also - wenn eine Verurteilung nach § 227 StGB in Betracht kommen soll - nicht von anderer Art und Beschaffenheit sein, als der Anstifter wollte und es sich vorstellte (BGH, Urteile vom 1. April 1952 - 1 StR 867/51, BGHSt 2, 223, 226 und vom 20. Mai1986 - 1 StR 224/86, NJW 1987, 77 f.).
23
Dies hat das Landgericht zwar nicht übersehen. Es hat jedoch bei den Feststellungen, dass nach den Vorstellungen der Angeklagten dem Geschädig- ten „maximal Brüche an Armen und Beinen“ zugefügt werden sollten, nicht aber lebensgefährliche oder gar tödliche Verletzungen durch Tritte oder Schläge an Kopf und Oberkörper, nicht berücksichtigt, dass diese Vorstellungen auf dem ursprünglichen Tatplan beruhten und ein Überfall nächtens und in dunkler Wohnung erheblich größere Risiken mit sich brachte und in einem solchen Tat- umfeld tödliche Verletzungen für das Opfer nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.
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2. Aus den unter II.2. angeführten Gründen erweist sich die Beweiswürdigung auch hinsichtlich der Angeklagten S. bezüglich der Wegnahme des Geldbetrages durch K. und G. als lückenhaft und widersprüchlich. Nachdem der „Überfall“ mit Bedacht an einem Tag durchgeführt werden sollte, an dem üblicherweise der Geschädigte die Mieten in seinem Bordellbetrieb einzog und danach über einen größeren Geldbetrag verfügte, hätte das Landgericht sich damit auseinander setzen müssen, dass die Anstiftungshandlungen der Angeklagten S. gerade auch von dem Bestreben umfasst waren, zumindest für einige Tage die Erträge aus dem Bordellbetrieb durch die Angeklagte M. S. einziehen zu können.
Graf Jäger Cirener Radtke Bär

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/12
vom
30. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. August
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
für die Nebenklägerin G. als Nebenklägervertreter,
Rechtsanwalt
für den Nebenkläger R. als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 25. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , verurteilt worden ist; insofern bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen jedoch aufrechterhalten ;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im verbleibenden Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit zwei Fällen der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 5. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Nebenkläger, an eine andere als Schwur- gericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren festgesetzt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und beide Nebenkläger Revision eingelegt. Der Angeklagte hat eine Verfahrens- und die allgemeine Sachrüge erhoben. Die Nebenkläger streben eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes an. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet. Die Revisionen der Nebenkläger haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
2
I. Nach den Feststellungen unterhielt der Angeklagte über mehrere Jahre eine außereheliche Beziehung zu der in A. wohnenden Nebenklägerin G. . Aus der Beziehung sind drei Kinder hervorgegangen. Im Lauf des Jahres 2010 beendete G. die konfliktreich gewordene Beziehung. Der Angeklagte vermochte das Beziehungsende nicht zu akzeptieren und erschien regelmäßig in der Wohnung der Nebenklägerin, weil er sie noch immer als seine Lebensgefährtin ansah und davon ausging, dass sie zu ihm gehöre (UA 7). Nachdem er am 11. Dezember 2010 gegenüber G. tätlich geworden war, wurde er von der herbeigerufenen Polizei der Wohnung verwie- sen und ihm ein Rückkehrverbot auferlegt. Gleich nach der Abfahrt der Polizei suchte er G. wieder auf und drohte, ihr den Kopf abzuschlagen (UA 7). Da G. bei dem Angeklagten einige Zeit zuvor eine Schusswaffe gesehen hatte, bekam sie nun soviel Angst, dass sie sich von ihrem Onkel, dem Zeugen D. , abholen ließ und bei ihm das Wochenende verbrachte (UA 8). Nach den Weihnachtsfeiertagen bezog sie eine eigene Wohnung in B. , die ihr D. vermittelt hatte. Sie lebte noch immer in großer Angst vor dem Angeklagten, der zwar nicht wusste, wo sie wohnte, aber regelmäßig Kontakt zu D. aufnahm, um ihren Wohnort zu erfahren (UA 8).
3
Im Januar 2011 kam es auf Veranlassung des Angeklagten zu einer Sitzung eines sog. Ältesten- oder Familienrates aus Mitgliedern der Familie des Angeklagten und der Familie von G. . Dabei erhob der Angeklagte den Vorwurf, dass D. seine Kinder entführt und ihm die Frau weggenommen habe. G. und die Kinder gehörten zu ihm und hätten zu tun, was er wünsche (UA 10). Nachdem G. vor dem Ältestenrat darauf bestanden hatte, von dem Angeklagten getrennt zu leben, entschied der Ältestenrat , dass D. nicht schuldhaft gehandelt habe und der Angeklagte die Trennung von G. akzeptieren müsse. Der Angeklagte reagierte hierauf mit einer Äußerung, die von der Nebenklägerin G. zutreffend so verstanden wurde, dass er etwas so Schlimmes mit ihr anstellen werde, dass er sich auch „gleich selbst wegmachen könne“ (UA 11).
4
Für G. entwickelte sich nun eine Phase erheblicher Angst. Sie lebte in der Hoffnung, dass der Angeklagte nicht wusste, wo sie wohnte. Tatsächlich war dem Angeklagten lediglich bekannt, dass G. in der Nähe der Wohnung ihres Onkels D. in B. lebte. Er bestreifte daher mit seinem Pkw die Gegend um die Wohnung des D. und hielt Ausschau. Dabei fiel sein Fahrzeug Nachbarn und Angehörigen von G. auf (UA 12). Auch rief der Angeklagte regelmäßig bei D. an und ließ ihn von anderen Leuten in aggressiver Weise nach der Adresse von G. befragen. Dabei gelang es ihm nicht, die genaue Adresse zu erfahren (UA 12). Nachdem G. von den Nachstellungen des Angeklagten erfahren und von ihm eine SMS mit einer Todesdrohung erhalten hatte, rechnete sie stets damit, dass der Angeklagte sie „irgendwann einmal erwischen“ würde. Sie konnte deshalb nicht mehr angstfrei vor die Tür treten und schränkte ihre Lebensführung erheblich ein (UA 12).
5
Im März 2011 kam der Bruder von G. , der Nebenkläger R. , aus Mazedonien nach Deutschland, weil er hier Asyl beantragen wollte. Dazu hielt er sich ab dem 1. April 2011 in der Wohnung von G. in B. auf.
6
Am 2. April 2011 kauften G. und R. gegen 15 Uhr in einem Supermarkt gegenüber der Wohnung von G. für einen Kindergeburtstag ein. Der Angeklagte wartete zu diesem Zeitpunkt in seinem in der Nähe der Einfahrt zum Parkplatz des Supermarktes geparkten Fahrzeug, weil er mit einem Einkauf von G. rechnete. Als G. und R. mit dem beladenen Einkaufswagen den Parkplatz des Supermarktes über die Einfahrt verließen, nahmen sie den Angeklagten nicht wahr. G. war jedoch noch immer in erheblicher und konkreter Sorge, dass der Angeklagte jederzeit unvermittelt auftauchen und sie überfallen könnte. Diese Sorge war auch R. bekannt und wurde von ihm ernst genommen (UA 13). Als der Angeklagte G. und R. erblickte , fuhr er mit voller Beschleunigung los, um einen Zusammenstoß mit beiden oder wenigstens mit dem Einkaufswagen herbeizuführen. Dabei nahm er Verletzungen von G. und R. zumindest billigend in Kauf. Der Zusammenstoß sollte dazu dienen, G. „so außer Gefecht zu setzen“, dass sie sich gegen den anschließend geplanten Angriff mit einer mitgeführten Selbstladepistole nicht mehr wehren oder davonlaufen konnte. Wenige Sekunden vor dem Zusammenstoß bemerkte R. das rasch näher kommende Fahrzeug und erkannte den Angeklagten. Er warnte deshalb sofort seine Schwester. Eine Flucht war jedoch nicht mehr möglich. Der von dem Angeklagten gesteuerte Pkw stieß mit einer Geschwindigkeit von mindestens 35 km/h gegen den Einkaufswagen. G. und R. wurden durch den Zusammenprall mit dem Pkw zu Boden geschleudert, nachdem zunächst einer von beiden auf die Motorhaube des Fahrzeugs aufgeladen worden war (UA 14).
7
Der Angeklagte verließ sogleich sein Fahrzeug und lief mit der entsicherten Pistole auf G. zu, um sie zu töten. Die nur leicht verletzte Nebenklägerin sprang auf und versuchte laut schreiend zu flüchten. Als sich R. dem Angeklagten in den Weg stellte, wurde er von ihm mit der Pistole zu Boden geschlagen. Der Angeklagte lief G. nach, wobei er ihr zu verstehen gab, dass er sie jetzt töten werde. Als der Angeklagte die sich zwischen mehreren Fahrzeugen verbergende G. eingeholt hatte, schlug er ihr von hinten mit der Waffe auf den Kopf und drückte sie zu Boden. Anschließend richtete er die Pistole auf ihre rechte Halsseite und betätigte mit Tötungsabsicht „einer Hinrichtung gleich“ den Abzug (UA 15). Das Projektil drang tief in den Halsraum von G. ein, zerstörte den vierten Halswirbelkörper und blieb schließlich auf der linken Seite hinter der Halsschlagader stecken (UA 16). G. stürzte zu Boden und blieb wimmernd liegen.
8
Als der Angeklagte unmittelbar nach dem Schuss auf G. zu seinem Auto laufen wollte (UA 15), wurde er von dem seiner Schwester zu Hilfe eilenden R. in einen Zweikampf verwickelt, in dessen Verlauf der Angeklagte R. direkt unterhalb des rechten Auges in den Kopf schoss, wobei er zumindest billigend in Kauf nahm, auch ihn zu töten (UA 15). Das Projektil zerstörte das Mittelgesicht und verursachte unter anderem eine Orbitabodenfraktur, eine ausgedehnte und dislozierte Kieferhöhlenfraktur, eine klaffende Jochbeinfraktur sowie ein Netzhautödem. Nachdem R. den Angeklagten losgelassen hatte und dieser nun tatsächlich zu seinem Auto laufen konnte (UA 25), ergriff er mit seinem Auto die Flucht. Hierbei ging es ihm ausschließlich darum, den Tatort – wie von vorneherein geplant – so schnell wie möglich zu verlassen, um einer Festnahme durch die zahlreich vorhandenen Zeugen zu entgehen (UA 16). Er rechnete damit, dass beide Nebenkläger an den erlittenen Schusswunden versterben würden. Dies war ihm wenigstens gleichgültig (UA 17 und 25).
9
II. Zur Revision der Nebenklägerin G.
10
Die Revision der Nebenklägerin G. hat Erfolg, weil die Erwägungen , mit denen das Landgericht einen versuchten Heimtückemord und einen versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
11
1. Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten nicht als heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet, weil die Nebenklägerin infolge der früheren Drohungen und Nachstellungen des Angeklagten jederzeit mit einem Übergriff rechnete. Dies habe dazu geführt, dass sie in der Tatsituation nicht mehr arglos gewesen sei (UA 30). Diese Ausführungen lassen besorgen , dass das Landgericht von einem zu engen Begriff der Heimtücke ausgegangen ist.
12
a) Heimtückisch handelt, wer die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Opfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, Rn. 20; Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 16; Urteil vom 9. Januar 1991 – 3 StR 205/90, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.). Heimtückisch tötet auch, wer sein ahnungsloses Opfer zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber unter bewusster Ausnutzung des Überraschungseffekts unmittelbar zur Tötung übergeht und es dem Opfer nicht mehr möglich ist, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, sodass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauert (BGH, Urteil vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, Rn. 20; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 20; Beschluss vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30; Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; Urteil vom 9. Dezember 1986 – 1 StR 596/86, BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Lauert der Täter seinem ahnungslosen Opfer auf, um an dieses heranzukommen, kommt es nicht mehr darauf an, ob und wann es die von dem ihm gegenübertretenden Täter ausgehende Gefahr erkennt (BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 – 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264). Eine auf früheren Aggressionen beruhende latente Angst des Opfers hebt seine Arglosigkeit erst dann auf, wenn es deshalb im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (BGH, Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 16; Urteil vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368). Die Rechtsprechung hat daher auch bei Opfern, die aufgrund von bestehenden Konfliktsituationen oder früheren Bedrohungen dauerhaft Angst um ihr Leben haben, einen Wegfall der Arglosigkeit erst dann in Betracht gezogen, wenn für sie ein akuter Anlass für die Annahme bestand, dass der ständig befürchtete schwerwiegende Angriff auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit nun unmittelbar bevorsteht (vgl.
BGH, Urteil vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15; Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450, 451).
13
b) Nach den Feststellungen hatte die Nebenklägerin G. den in seinem Pkw wartenden Angeklagten bis wenige Sekunden vor der Tat nicht bemerkt. Ihre Befürchtung, der Angeklagte werde sie „irgendwann einmal erwischen“ , beruhte auf vorangegangenen, zum Teil mehrere Monate zurückliegen- den Todesdrohungen und dem Wissen um Nachstellungen des Angeklagten im Umfeld ihrer Wohnung. Umstände, die zu einer auf die Tatsituation bezogenen Aktualisierung und Konkretisierung dieser Befürchtung geführt haben, lassen sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache, dass die Nebenklägerin von dem auf ihr Leben gerichteten Angriff getroffen wurde, als sie mit ihrem gefüllten Einkaufswagen das belebte Gelände eines Supermarktes verließ, legt die Annahme nahe, dass sie sich jedenfalls in diesem Moment keines konkreten Angriffs von Seiten des Angeklagten versah und in einer hilflosen Situation überrascht wurde. Nach dem mit Verletzungsvorsatz geführten überraschenden Angriff mit dem Pkw war der Nebenklägerin zwar noch eine kurze Flucht möglich , doch vermochte sie sich aufgrund der Kürze der ihr verbleibenden Reaktionszeit dem mit Tötungsvorsatz nachsetzenden Angeklagten nicht mehr zu entziehen oder wirkungsvolle Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
14
2. Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, dass der Angeklagte zwar vornehmlich aus Wut über das Verlassenwerden gehandelt habe, doch lasse sich nicht feststellen, dass die Tat aus schlechthin unverständlichen und verachtenswerten Motiven heraus begangen worden sei (UA 30 f.). Diese Ausführungen lassen eine sachlichrechtliche Überprüfung nicht zu und geben Anlass zu der Besorgnis, dass wichtige Umstände der Tat und zur Motivation des Angeklagten nicht berücksichtigt worden sind.
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a) Aus niedrigen Beweggründen tötet, wer sich maßgeblich von einem oder mehreren Handlungsantrieben leiten lässt, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb verwerflich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1952 – 1 StR 272/52, BGHSt 3, 132; Urteil vom 24. Mai 2012 – 4 StR 62/12, Rn. 17). Ob dies der Fall ist, muss im Einzelfall auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren Faktoren beurteilt werden, die für die Motivbildung von Bedeutung waren (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2012 – 4 StR 62/12, Rn. 17; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 10; Urteil vom 14. Dezember 2000 – 4 StR 375/00, StV 2001, 228, 229). Beruht die Tötung auf Gefühlsregungen wie Wut, Zorn oder Verärgerung, denen jedermann mehr oder weniger stark erliegen kann, kommt es für die Beurteilung auf die zugrunde liegende Gesinnung des Täters an (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011; Urteil vom 14. Oktober 1987 – 3 StR 145/87, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8; MüKo-StGB/Schneider § 211 Rn. 71).
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b) Das Landgericht hat sich mit der Grundhaltung des Angeklagten, die seiner Wut über das Verlassenwerden zugrunde lag, nicht erkennbar auseinandergesetzt. Auch im Übrigen fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung. Nach den Feststellungen ging der Angeklagte davon aus, dass die Nebenklägerin zu ihm gehöre und – wie auch die gemeinsamen Kinder – zu tun habe, was er wünsche. Ihren Trennungswunsch ignorierte er ebenso, wie ein polizeiliches Rückkehrverbot und die Entscheidung des seinem Kulturkreis angehörenden Ältestenrates, den er zuvor selbst als Autorität angerufen hatte. Der direkte Tötungsvorsatz und die „hinrichtungsgleiche“ Tatausführung deuten darauf hin, dass es dem Angeklagten vornehmlich darum ging, seine Wut in einer Bestrafung der Nebenklägerin abzureagieren. Bei dieser Sachlage hätte erörtert werden müssen, ob die tatauslösende Gefühlsregung des Angeklagten auf einer Grundhaltung beruhte, die durch eine ungehemmte Eigensucht, exklusive Besitzansprüche und eine unduldsame Selbstgerechtigkeit gekennzeichnet ist. Eine solche Grundhaltung steht nach allgemeiner sittlicher Bewertung auf tiefster Stufe (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1952 – 1 StR 272/52, BGHSt 3, 132, 133; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227; Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, Rn. 11).
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III. Zur Revision des Nebenklägers R.
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1. Die Revision des Nebenklägers R. hat Erfolg, weil das Landgericht bei der Prüfung einer versuchten Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB ein nach den Feststellungen naheliegendes als niedrig zu bewertendes Tatmotiv nicht erörtert hat.
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a) Ein niedriger Beweggrund kann auch gegeben sein, wenn sich der Täter zur Tötung eines Menschen entschließt, um sich einer berechtigten Festnahme zu entziehen und ungehindert entkommen zu können. Dieser Tatantrieb muss in aller Regel ebenso beurteilt werden, wie die in § 211 Abs. 2 StGB ausdrücklich hervorgehobene Verdeckungsabsicht, weil es dem Täter in beiden Fällen darum geht, sich seiner Verantwortung für begangenes Unrecht unter Inkaufnahme des Todes eines Menschen zu entziehen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1970 – 1 StR 68/70, MDR 1971, 722 bei Dallinger; Urteil vom 14. Oktober 1987 – 3 StR 145/87, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 8; vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 319/98, StV 2000, 74, 75; Urteil vom 14. Juli 1988 – 4 StR 210/88, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11; MüKo-StGB/Schneider, § 211 Rn. 78; LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 25).
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b) Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte nach dem Schuss auf die Nebenklägerin G. durch den Nebenkläger R. daran gehindert, unverzüglich mit seinem Auto zu fliehen. Als er sich aus dieser Lage mit dem Schuss in das Gesicht des Nebenklägers befreit hatte, verließ er – wie von vorneherein geplant – fluchtartig den Tatort. Danach hätte sich das Landgericht mit der Frage befassen müssen, ob sich der Angeklagte den Fluchtweg mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz freigeschossen und deshalb bei der Abgabe des zweiten Schusses aus einem niedrigen Beweggrund gehandelt hat.
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2. Einen versuchten Heimtückemord hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend verneint. Der Nebenkläger R. war nach den Feststellungen im Zeitpunkt der Schussabgabe auf ihn weder arg- noch wehrlos. Der anfängliche Überraschungseffekt wirkte nicht mehr fort.
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IV. Zur Revision des Angeklagten
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Die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte einen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 Satz 1 StPO) geltend macht, bleibt erfolglos. Dabei kann es dahinstehen, ob der von dem Beschwerdeführer behauptete Verfahrensfehler vorliegt, weil ein Beruhenszusammenhang (§ 337 Abs. 1 StPO) ausgeschlossen werden kann. Das Landgericht hat die Angaben des Ersthelfers Gö. , die in dem nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlesenen polizeilichen Vermerk vom 2. April 2011 festgehalten worden sind, zur Stützung des Schuld- oder Strafausspruchs nicht herangezogen. Da sich diese Angaben lediglich auf ein Ereignis nach der Tat (Anfertigung von drei Lichtbildern des Pkw des flüchtenden Angeklagten) beziehen, handelte es sich bei Gö. auch nicht um einen „unmittelbaren Tatzeugen“, auf die sich die von dem Beschwerdeführer zur Begründung eines Beruhenszusammenhanges ins Feld geführte allgemeine Formulierung in den Urteilsgründen bezieht. Die Erwägungen , mit denen das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklag- ten verneint hat, haben keinen Bezug zu den von Gö. gefertigten Lichtbildern.
24
Die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Jedoch war der Schuldspruch zu berichtigen, weil der Angeklagte durch den von ihm herbeigeführten Zusammenstoß beide Nebenkläger verletzt und sich dadurch der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht hat. § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1959 – 2 StR 291/59, BGHSt 14, 5, 7). Auch kann ausgeschlossen werden, dass es dem Angeklagten möglich gewesen wäre, sich anders als geschehen zu verteidigen.
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V. Die Aufhebung der Verurteilungen wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Maßregelanordnung kann dagegen bestehen bleiben, weil sie allein an die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB anknüpft.
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Soweit das Urteil auf die Revisionen der Nebenkläger aufgehoben worden ist, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben.
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR259/15
vom
11. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. November
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt V. ,
Rechtsanwalt B.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin He.
als Vertreterin der Nebenklägerin K. ,
Rechtsanwalt Bö.
als Vertreter des Nebenklägers C. W. ,
Rechtsanwalt N. ,
Rechtsanwalt R.
als Vertreter des Nebenklägers U. W. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers U. W. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29. Dezember 2014 – unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zur Vorgeschichte, zum Mietverhältnis, zum Nachtatgeschehen und zu den Tatfolgen bei der Zeugin Hä. – aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei1 heitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers U. W. haben mit der Sachbeschwerde weitgehend Erfolg.
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1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt: Der Angeklagte ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in Hamburg, in
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dem er zur Tatzeit auch selbst wohnte. Der später Getötete J. W. war Mieter einer im 1. Obergeschoss des Hauses gelegenen Wohnung. Seit einem von Herrn W. nicht akzeptierten Mieterhöhungsverlangen des Angeklagten lebten die beiden in Streit. Dessen Grund lag hauptsächlich in der Persönlichkeit des Angeklagten, die durch zwanghafte, von hoher Kränkbarkeit geprägte impulsiv-aggressive Züge bestimmt ist. Bei Begegnungen mit Herrn W. geriet der Angeklagte oftmals in hochgradige Wut, beschimpfte ihn und forderte ihn zum Auszug auf. Darüber hinaus entwickelte er seit Sommer 2011 ein wahnhaftes Ideengebäude, das sich in einer paranoid gesteigerten Überzeichnung und Umdeutung alltäglicher Situationen auswirkte. Er glaubte sich von Herrn W. verfolgt und mit Hilfe von „Wanzen“ überwacht sowie durch Dritte beschattet. Schließlich sah er ihn als Kopf einer konspirativen Bande an, der ihm nach dem Haus und weiteren Vermögenswerten trachte.
Im Herbst 2012 stellte er – mit einer Axt bewaffnet – Herrn W. wegen
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eingebildeter negativer Äußerungen zur Rede. Dieser konnte flüchten. Jedoch gelang es dem Angeklagten, ihn zu stellen und mit der Faust bewusstlos zu schlagen. Hierfür wurde der Angeklagte unter Strafaussetzung zur Bewährung zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Jedoch entspannte sich die Lage nicht.
Am Morgen des 12. Februar 2014 begab sich Herr W. ins Treppen5 haus, um die Tageszeitung zu holen. Wie stets, wenn er sich dort befand, trug er eine Dose Pfefferspray und ein für einen sofortigen Notruf vorbereitetes Mobiltelefon bei sich. Der Angeklagte hörte Herrn W. und wollte ihn wegen eines kurz zuvor eingegangenen anwaltlichen Schreibens zur Rede stellen. Er
betrat das Treppenhaus und sprach ihn in barschem Ton an. Aufgrund seiner wahnhaften Beziehungsverarbeitung deutete er die – durch das Landgericht nicht festgestellte – Reaktion Herrn W. s als herabsetzend und glaubte sich von ihm als „Wurzelzwerg” bezeichnet. Zornentbrannt versetzte er ihm einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht. Herr W. ging zu Boden und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen. In wahnbedingter Verkennung der Situation meinte der Angeklagte, dass Herr W. ihn grinsend verhöhne. „Dies ließ ihn raptusartig derart in Wut geraten, dass infolge eines aggressiven Impulsdurchbruchs die letzten Schranken brachen und er sich spontan entschloss, dieses ihn vermeintlich angrinsende Gesicht seines ihn verhöhnenden Feindes endgül- tig zu vernichten und den Menschen auszulöschen“ (UA S. 15).
Aus einer Abstellkammer holte er einen Zimmermannshammer und
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schlug damit mehrfach auf das Gesicht und den Kopf seines Opfers ein, um es zu töten. Hierdurch verursachte er schwerste, möglicherweise schon tödliche Verletzungen. Nach wie vor rasend vor Wut stach er anschließend mit einem Messer mehrfach und mit großer Wucht in den Hals- und Brustbereich. Währenddessen rief er „Jetzt reicht es. Es ist genug”.
2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen,
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dass der Angeklagte aufgrund eines durch die Wahnstörung verursachten und sein Verhalten intendierenden aggressiven Impulsdurchbruchs im Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB gehandelt habe. Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit habe hingegen nicht vorgelegen. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist nach Auffassung der Schwurgerichtskammer mangels Arglosigkeit des Opfers nicht verwirklicht. Wie die Mitnahme des Pfeffersprays und des Mobiltelefons zeige, habe Herr W. ständig mit erheblichen Angriffen des Angeklagten auf seine körperliche Integrität gerechnet.
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3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Gegen die Schuldfähigkeitsprüfung der Schwurgerichtskammer bestehen durchgreifende Bedenken.

a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift insoweit Fol9 gendes ausgeführt:
„DieDiagnose der isolierten Wahnstörung im Sinne eines Beziehungswahns wird im Urteil nicht näher klassifiziert. Die gewählte Formulierung lässt auch offen, welches Eingangskriterium des § 20 StGB erfasst sein soll. Zwar ist die krankhafte seelische Störung ausdrücklich benannt; jedoch ist wegen der sich daran anschließenden Formulierungen unklar, ob die Strafkammer tatsächlich (begründet) von diesem Eingangskriterium ausgeht. Dem Kontext des Urteils lässt sich allenfalls entnehmen, dass eine exogene Psychose als Unterfall der krankhaften seelischen Störung wohl nicht in Betracht kommt, ebenso wenig wie eine akute Intoxikationspsychose. Von Relevanz wäre mithin allenfalls eine endogene Psychose als Unterfall der krankhaften seelischen Störung. Diese könnte aus dem Formenkreis der Schizophrenie stammen, aber auch aus einer bipolaren Störung mit Wahnsymptomen oder affektiven Psychosen resultieren. In- soweit kommt jedoch auch eine ‚andere seelische Abartigkeit‘ im Sinne des § 20 StGB in Betracht, wobei der Beziehungswahn dann allein auf wahnhaftem Erleben und wohl nicht auf der Persönlichkeitsstörung beruhen würde. In einem derartigen Fall wäre jedoch zwingend die Frage nach dem Tatvorsatz und der Unrechtseinsicht zu diskutieren gewesen. Daran fehlt es hier. Das dargelegte Störungsbild, vor allem die Betonung des wahnhaften Erlebens, aber auch die Beschreibung des Zustandsbildes des Angeklagten in der Untersuchungshaft (UA S. 32 ff.) hätten Anlass zu der Erörterung geboten, ob die Diagnose den geistig-seelischen Zustand des Angeklagten hinreichend zutreffend beschreibt. So tritt ein Beziehungs- und Be-
einträchtigungswahn häufig als Begleitsymptom einer anderen psychiatrischen Störung, wie der Schizophrenie oder anderen Formen des paranoiden, wahnhaften Erlebens auf. Hier bleibt allerdings völlig im Dunkeln, ob es sich bei dem diagnostizierten ‚isolierten Beziehungswahn‘ um eine eigenständige (paranoide) Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0) handelt oder um einen Ausschnitt einer paranoiden Psychose (ICD-10 F 22.0) oder einer (paranoiden) Schizophrenie (ICD-10 F 20.0), Diagnosen, die sich zum Teil gegenseitig ausschließen. Das lässt insgesamt besorgen, dass die Art der Störung und damit auch der Schweregrad und ihr Einfluss auf die Schuldfähigkeit unzutreffend beurteilt worden sind. Gerade wenn krankhafte ‚Wahnsysteme‘ festgestellt sind,steht der Beeinträchtigung oder gar Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ein ‚folgerichtiges‘, ‚zielgerichtetes‘ Verhalten regelmäßig indiziell nicht entgegen, weil die Aufhebung der inneren Sinnstruktur nicht regelmäßiges Kennzeichen wahnhaften Erlebens ist. Insgesamt erfassen diese Störungen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden. Daher ist die bloße Feststellung einer Diagnose ohne weitere nachvollziehbare Darlegungen zur Einordnung der Störung in den Kreis psychischer Störungen mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht aussagekräftig. Besonders deutlich wird dies angesichts der weiteren Beschreibungen des psychischen Zustandsbilds des Angeklagten bei der Tat: Der Angeklagte wollte J. W. in einem ‚durch seine Störung bedingten aggressiven Impulsdurchbruch‘ vernichten , wobei das Tötungsgeschehen ‚raptusartig durch die Wahnstörung ausgelöst‘ war (UA S. 27). In den Feststellungen ist der Angeklagte insoweit als ‚rasend vor wahnhaft bedingter Wut‘ beschrieben (UA S. 15). Angesichts dieser Zustandsbe- schreibungen genügt es nicht, schlicht zu behaupten, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht aufgehoben gewesen (UA S. 16). Die Frage nach der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten wird gar nicht gestellt, geschweige denn erörtert. Das Urteil ist auch insoweit lückenhaft und nicht nachvollziehbar.“
10
b) Der Senat tritt dem bei. Allerdings wird der Schwerpunkt der Schuldfähigkeitsprüfung unter anderem wegen Äußerungen des Angeklagten nach der Tat, die auf eine erhaltene Unrechtseinsicht hindeuten, bei der Steuerungsfähigkeit liegen. Die Sache bedarf wegen der rechtsfehlerhaften Erörterung der Schuldfähigkeit auch hinsichtlich des Maßregelausspruchs neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Zuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen liegt nahe.

c) Hingegen sind die im Tenor bezeichneten Feststellungen rechtsfehler11 frei getroffen und können bestehen bleiben. Der nicht revidierende Angeklagte hat von der Möglichkeit, seine Verurteilung und damit auch die Feststellungen anzugreifen, keinen Gebrauch gemacht. Ergänzende Feststellungen sind möglich , sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
4. Für den Fall, dass die neue Hauptverhandlung abermals eine grund12 sätzlich aufrechterhaltene Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben sollte, wird Folgendes zu beachten sein:
Die Revisionsführer weisen zu Recht darauf hin, dass das Landgericht
13
seiner Prüfung des Mordmerkmals der Heimtücke unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers der Annahme von Arglosigkeit nicht entgegen; es kommt vielmehr darauf an, ob das Opfer gerade im Tatzeitpunkt mit Angriffen auf sein Leben gerechnet hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Oktober 1993 – 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368 f.; vom 23. August 2000 – 3StR 234/00, NStZ-RR 2001, 14; vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15 f.; vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, NStZ 2013, 337, 338). Ferner kann bei einem zunächst in Körperverletzungsabsicht geführten Angriff Arglosigkeit bejaht werden, wenn der ursprüngliche Verletzungswille des Täters so schnell in einen Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bei Beginn der eigentlichen Tötungshandlung noch andauert (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503 mwN).
Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen erscheint
14
danach eine Arglosigkeit des keine Abwehrverletzungen aufweisenden Opfers nicht ausgeschlossen. Im Blick auf die Wahnstörung des Angeklagten und den durch die Schwurgerichtskammer angenommenen Impulsdurchbruch wäre gegebenenfalls jedoch eingehend zu erörtern, ob der Angeklagte mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat (hierzu LK-StGB/Jähnke, 11. Aufl., § 211 Rn. 45 mwN).
Sander Dölp König
Berger Bellay
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
15
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 153/03
vom
9. September 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. September
2003, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Neben- klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2002 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des
Angeklagten deckt keinen zu seinem Nachteil wirkenden Rechtsfehler auf. Dagegen haben die - auch vom Generalbundesanwalt vertretene - Revision der Staatsanwalt- schaft und die Revision der Nebenklägerin, die mit der Sachrüge die Verurteilung wegen Mordes statt wegen Totschlags anstreben, Erfolg.

I.


1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
Der Angeklagte tötete am Nachmittag des 8. März 2002 in seinem Büro seinen sieben Jahre alten Sohn Julius. Er trat dazu von hinten an den Jungen heran, beugte sich über ihn, streichelte seinen Oberkörper und griff dann plötzlich "wie eine Schnappfalle" mit beiden Händen in das Gesicht seines Opfers, hielt ihm mit festem Griff Nase und Mund zu und verlegte ihm damit die Atemwege. Den Hinterkopf des Kindes drückte er dabei gegen seinen eigenen Unterkörper. Das Kind hatte keine Möglichkeit, sich gegen den 120 kg schweren und 1,89 m großen Vater zu wehren. Als es nach mindestens einer Minute das Bewußtsein verloren hatte, sackte der Angeklagte mit ihm zu Boden, wobei er die Atemorgane des Kindes für mindestens weitere vier Minuten verschlossen hielt und mit ganzem Gewicht auf dessen Oberkörper zu liegen kam. Sodann vergewisserte er sich, daß das Kind tot war. Anschließend nahm er eine bereitliegende Rasierklinge und fügte sich damit in Suizidabsicht einen - nicht lebensgefährlichen - Schnitt am linken Handgelenk zu.
Der Angeklagte war zur Tatzeit am Tiefpunkt seines Lebens. Seine zweite Ehe war gescheitert. Die Ehefrau hatte ihm die Trennung angekündigt. Den Sohn - für beide das einzige Kind - wollte sie mitnehmen. Wirtschaftlich war der Angeklagte am Ende. Er hatte aus einem früher von ihm betriebenen Unternehmen
persönliche Schulden von über 300.000 Euro. Auch seine berufliche Existenz war vernichtet. Nach dem Konkurs seines eigenen Betriebes arbeitete er als einziger Angestellter in der zu diesem Zweck von seiner Ehefrau als Gesellschafterin gegründeten GmbH. Nach Jahren des Verlustgeschäfts steuerte die GmbH auf die Überschuldung zu, weshalb seine Frau ihn unmißverständlich auf ihre Pflicht und Absicht hingewiesen hatte, die GmbH im April 2002 zu schließen.
Der Angeklagte sah einer Zukunft als einsamer alter Mann und Sozialhilfeempfänger entgegen. Er wollte dieser Schreckensvorstellung durch Suizid entgehen. Schon drei Monate vor der Tat erwog er, seinen Sohn mit in den Tod zu nehmen. Dies tat er, um auf seinem letzten Weg begleitet zu werden und um das Kind "im Jenseits" für sich allein zu haben. Solange sein Sohn noch lebte, fiel ihm ein Selbstmord auch deshalb schwerer, weil sein Sohn das einzige war, das ihm auf der Welt noch etwas bedeutete. Der Angeklagte war gleichzeitig wütend über seine Ehefrau, da er nicht akzeptieren wollte, daß sie die gescheiterte Ehe beendete, obgleich sie ein Kind hatten. Deshalb fand er sich berechtigt, das Kind - auch zur Bestrafung der Ehefrau - zu töten. Wenn er schon selbst stürbe, so gönnte er ihr den Jungen nicht.
2. Das Landgericht vermochte sich vom Vorliegen eines Mordmerkmals nach § 211 Abs. 2 StGB nicht zu überzeugen.
Das Merkmal der niedrigen Beweggründe liege nicht vor, weil das Rachemotiv , die Ehefrau zu bestrafen und ihr das Kind wegzunehmen, bei der Tat nicht eine so dominierende Funktion gehabt habe, daß sie die Tötung insgesamt als verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend erscheinen ließe. Die Tötung des Sohnes sei bei dem Angeklagten auch begleitet gewesen von der Verzweiflung, die ihn zum
Bilanzselbstmord trieb, und auch von der eigenen Todesangst überschattet gewesen, da aus seiner Sicht die Tötung des Kindes das Vorstadium und die Vorbereitungshandlung zum darauf folgenden Selbstmord darstellte.
Auch das Merkmal der Heimtücke sei nicht nachweisbar. Zwar sei Julius H. gegenüber seinem Vater arglos und infolge seiner Arglosigkeit wehrlos gewesen, als dieser zur Tatbegehung schritt. Auch habe der Angeklagte in feindlicher Willensrichtung gehandelt, da altruistische Motive nicht vorgelegen hätten. Die Strafkammer habe jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt ausgenutzt hat, sich also dessen bewußt war, einen ahnungslosen und schutzlosen Menschen zu überraschen. Sie habe sich, "weil der Angeklagte sich hierzu nicht offen einließ", daran gehindert gesehen, Feststellungen dazu zu treffen, "was im Kopf des Angeklagten während der mindestens fünfminütigen Tötungshandlung und unmittelbar davor vorging".

II.


Revision des Angeklagten:
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren enthält keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil. Die Einwendungen der Revision sind offensichtlich unbegründet.

III.


Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin:
1. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin beanstanden mit Recht, daß das Landgericht die subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke verneint hat und so zu einer Verurteilung (nur) wegen Totschlags gelangt ist. Soweit das Landgericht nicht auszuschließen vermag, daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers nicht erkannt und sie deshalb nicht bewußt für seine Tat ausgenutzt hat, läßt das Urteil eine erschöpfende Beurteilung des Sachverhalts vermissen. Die allein auf die psychische Verfassung des Angeklagten abstellenden Ausführungen lassen besorgen, daß hinsichtlich dieser subjektiven Erfordernisse heimtückischer Begehungsweise wesentliche Umstände des Tatgeschehens, der gezielten Tatanbahnung und der Vorgeschichte nicht berücksichtigt worden sind.
Für ein Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1, 25; Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 47).
Objektiv lag bei der in der Art einer "Schnappfalle" ausgeführten Tat die Argund Wehrlosigkeit des Kindes offen zutage. Der "hochintelligente" (UA S. 55) Angeklagte stand zur Tatzeit weder unter Alkohol- noch Medikamenteneinfluß und war uneingeschränkt schuldfähig. Beim Betreten der Räume des Tatorts mit seinem Sohn "sah (der Angeklagte), daß der Sohn ihm vertraute und arglos war" (UA S. 41). Er hat die Tat bewußt erlebt. Der Erstickungsvorgang dauerte mehrere Minuten, wobei der Angeklagte auch die Abwehrversuche seines Sohnes wahrnahm. Schon angesichts dieser Feststellungen liegt die Annahme fern, dem Angeklagten sei nicht
bewußt gewesen, daß das Opfer seinem überraschenden Angriff schutzlos ausgeliefert war.
Hinzu kommt, daß es sich hier nicht um eine spontane Tat handelte. Der von der Strafkammer herangezogene Gesichtspunkt der Spontaneität ist allein darauf beschränkt, daß es nur noch darum ging, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Situation der Angeklagte seinen Tatentschluß verwirklichen würde. Der Angeklagte hatte die Tat bereits seit langem geplant. Als er den Tag der Tat gekommen sah, brach er durch die endgültige Absendung enthüllender Briefe an mehrere Personen die Brücken für eine Umkehr lange vor der Tat ab. Sein Tatentschluß stand bereits Stunden vor der Tötung fest. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß alle Planungen des Angeklagten eine heimtückische Begehungsweise geradezu notwendigerweise voraussetzten; denn die Strafkammer stellte fest, daß der Angeklagte, hätte er dem Sohn eine Gelegenheit gelassen, durch Betteln um sein Leben, körperliches Wehren oder Weglaufen dem Angriff zu begegnen, es nicht über sich gebracht hätte, den Widerstand zu brechen und den Sohn zu töten (UA S. 58).
Da das Landgericht den Indizwert dieser zu Ungunsten des Angeklagten sprechenden Umstände nicht in seine Erwägungen einbezogen hat, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.
Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die von dem dargestellten Rechtsfehler nicht beeinflußt sind, sind im übrigen rechtsfehlerfrei getroffen worden. Sie können daher bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen des neuen Tatrichters sind dadurch nicht ausgeschlossen.
2. Die allein von der Nebenklägerin beanstandete Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe hält indessen rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht hat nach umfassender Würdigung dem Motiv der Rache an der Ehefrau angesichts der Verzweiflung des Angeklagten und seines Gefühls der Ausweglosigkeit, das auch zu den Suizidversuchen führte, keine so beherrschende Bedeutung zugemessen, daß es die Tötung insgesamt als eine verachtenswerte, auf tiefster Stufe stehende erscheinen ließe. Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Der neue Tatrichter wird jedoch in eigener Verantwortung (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 1) unter umfassender Würdigung der Tatumstände, vor allem der Motivlage, die Frage des Vorliegens niedriger Beweggründe nochmals zu prüfen haben.
Wahl Schluckebier Kolz Hebenstreit Elf

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 217/08
vom
19. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

I.

2
Die Kammer hat folgende Feststellungen getroffen: 1. Der Angeklagte und die zur Tatzeit 31-jährige Geschädigte Z. führten eine Beziehung. Nachdem sich diese verschlechtert und die Geschädigte neue Männerbekanntschaften gesucht hatte, trennte sie sich mit SMS vom 2. April 2007 vom Angeklagten. Am Freitag, den 20. April 2007 kam es zwischen den beiden zum Streit wegen der von Z. gewollten Trennung und wegen ihrer neuen Beziehung. Der Angeklagte seinerseits schlug die Fort- führung einer jedenfalls sexuellen Beziehung vor. Darauf ging Z. noch nicht konkret ein. Der Angeklagte erwartete, über das Wochenende hierüber Bescheid zu erhalten.
3
Am 23. April 2007 sollte der Angeklagte vereinbarungsgemäß einen Rasenmäher zur Geschädigten bringen. Am Abend des 22. April 2007 stellte der Angeklagte eine Garotte her, die als Drosselinstrument geeignet war. Dazu sägte er aus einem Kinderbett zwei Rundholzstäbe heraus und verband sie mit einer Kordel. Damit wollte der Angeklagte gegenüber Z. vortäuschen, einen Rasenmäher wieder aktivieren zu können. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass man die Garotte als Würgeinstrument verwenden könnte. Bereits am 22. April 2007 kam dem Angeklagten in den Sinn, dass er Z. etwas antun und dass er hierzu die Garotte als Würgeinstrument verwenden könnte.
4
Am Morgen des 23. April 2007 fuhr der Angeklagte, ohne Tötungsvorsatz zu haben, zu Z. , wo er gegen 08.15 Uhr eintraf. Die angefertigte Garotte hatte er in der Jackentasche eingesteckt. Sein Fahrzeug parkte er rückwärts in die Einfahrt. Im Kofferraum war eine Plane vorbereitet. Z. ging davon aus, dass der Angeklagte absprachegemäß einen Rasenmäher bringen und sein restliches Werkzeug abholen würde. Bis um 11.16 Uhr verlief der Besuch problemlos, wie sich aus einem von Z. zu diesem Zeitpunkt geführten Telefongespräch ergibt.
5
2. Weitgehend auf Grundlage der Angaben des Angeklagten stellte die Kammer zum Geschehensablauf in objektiver und subjektiver Hinsicht Folgendes fest:
6
Zwischen 11.17 und 12.00 Uhr tötete der Angeklagte Z. . Diese berichtete dem Angeklagten von gemeinsamen Aktivitäten mit ihrem neuen Partner und erklärte, dass sie mit dem behinderten Kind des Angeklagten nichts anfangen könne und dass dieses verzogen sei. Durch diese Äußerung war der Angeklagte aufgebracht. Er setzte sich neben die Geschädigte auf das Sofa, wollte sich beruhigen und legte einen Arm um sie. Nachdem die beiden fünf bis zehn Minuten so schweigsam saßen, sagte Z. , es sei besser, wenn der Angeklagte jetzt gehe. Hierbei drückte sie ihn leicht von sich weg. Der Angeklagte sah hierin eine negative Antwort auf seine Frage bezüglich einer weiteren sexuellen Beziehung.
7
Ohne dass Z. – wie der Angeklagte erkannte – auf einen körperlichen Angriff vorbereitet gewesen wäre, würgte sie der Angeklagte nun unvermittelt mit beiden Händen am Hals. Zu diesem Zeitpunkt wollte der Angeklagte noch nicht bedingt oder direkt den Tod der Geschädigten herbeiführen, sondern seine Aggressionen wegen der gescheiterten Beziehung durch Verletzung ihres Körpers abbauen. Nach diesem Würgen landeten beide auf dem Boden. Der Angeklagte lag auf der Geschädigten, hörte kurzfristig mit dem Würgen auf und Z. äußerte zweimal, dass sie den Angeklagten liebe, in der Hoffnung, er beende dadurch seinen Angriff. Der Angeklagte sah diese Äußerung jedoch als Lüge an und würgte sie erneut mit Körperverletzungsvorsatz.
8
Plötzlich hatte die Geschädigte, die mit dem Rücken auf dem Boden lag, einen Schürhaken in der Hand. Der Angeklagte entwand ihr diesen, legte ihn ihr quer über den Hals und brachte mit beiden Händen und mit einem Knie erhebliches Gewicht auf den Haken, wobei sich der direkte Körperverletzungsvorsatz zum bedingten Tötungsvorsatz gewandelt hatte. Der Angeklagte wollte die Geschädigte nun massiv bestrafen, wobei er ihren Tod als möglich erachtete und billigend in Kauf nahm. Z. gelang, abgesehen von Kratzen im Gesicht, keine Gegenwehr. Anschließend drehte der Angeklagte sein Opfer in Bauchlage , nahm – weiterhin mit bedingtem Tötungsvorsatz – die angefertigte Garotte, legte die Schnur über Kreuz um den Hals der Geschädigten und zog mit beiden Händen kräftig zu. Nachdem er eine zeitlang zugezogen hatte und die Geschädigte nicht mehr aufstehen konnte, nahm er ein Beil, das abgestellt war, und schlug ihr – nunmehr mit direktem Tötungsvorsatz – mit der stumpfen Seite mehrmals kräftig ins Genick.
9
Nach der Tat steckte der Angeklagte die Getötete in einen Bettüberzug, den er aus dem Schlafzimmer geholt hatte, schleifte das Opfer zu dem rückwärts in der Einfahrt geparkten Auto, breitete die im Kofferraum befindliche Folie aus, legte die Leiche dort ab und fuhr anschließend nach N. .

II.


10
Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke hält auf der Grundlage dieser Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei heimtückisch begangenem Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 jew. m.w.N.). Arglosigkeit des Tatopfers ist allerdings auch dann anzunehmen, wenn der überraschende Angriff zunächst nicht mit Tötungsvorsatz, sondern nur mit Verletzungsvorsatz geführt wird, jedoch der ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergeht, sodass die Situ- http://www.juris.de/jportal/portal/t/f4l/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE038302307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/f4l/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE038302307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 - ation völlig unverändert ist und dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen bleibt. Die Tat muss vielmehr vom ersten Angriff an ihren ganz ungehemmten und nicht zu hemmenden Fortgang nehmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 16 und 27; BGH NStZ-RR 2004, 234).
12
2. Diesen Maßstäben wird das landgerichtliche Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Die Kammer hat zwar nicht verkannt, dass nach ihren Feststellungen der Angeklagte den ersten Würgeangriff mit den Händen lediglich mit Verletzungsvorsatz geführt hat. Sie meint aber, der Angeklagte habe sein Opfer völlig überraschend gewürgt und der Übergang vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz sei schnell geschehen, nachdem die Geschädigte einen Schürhaken ergriffen und der Angeklagte ihr diesen entwunden hatte. Währenddessen habe sich der Angeklagte fortwährend auf seinem Opfer befunden, sodass dieses keine Möglichkeit zu relevanten Gegenmaßnahmen gehabt habe. Das Ergreifen des Schürhakens könne nicht als relevante Gegenmaßnahme angesehen werden. Der Angeklagte habe diesen der Geschädigten sofort entwunden. Wegen des Kräfteverhältnisses und des Umstandes, dass sich der Angeklagte bereits auf seinem Opfer befunden habe, habe es keine relevante Chance gehabt. Dies gelte auch für die dem Angeklagten zugefügten Kratzer im Gesicht , die nur eine geringe Abwehrtätigkeit darstellten.
13
3. Diese Erwägungen tragen die Annahme der Heimtücke nicht.
14
a) Die Wehrlosigkeit des Opfers kann selbst dann entfallen, wenn ihm die nicht von vorneherein gänzlich aussichtslose Möglichkeit bleibt, auf den Täter verbal einzuwirken, um den Angriff zu beenden. Von einer Wehrlosigkeit des Opfers im Sinne eines Ausschlusses jedes nicht gänzlich sinnlosen Versuchs, den Täter von der Tötungshandlung abzubringen, kann nur dann ausgegangen werden, wenn festgestellt ist, dass der Entschluss des Täters zur Tötung so unumstößlich war, dass jeder Versuch, ihn davon abzubringen, mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt war (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8).
15
Nach den bisherigen Feststellungen der Kammer landeten der Angeklagte und das Opfer nach dem ersten mit Körperverletzungsvorsatz geführten Angriff auf dem Sofa infolge eines Gerangels auf dem Boden und der Angeklagte hörte kurzfristig mit dem Würgen auf. In dieser Situation äußerte die Geschädigte in der Hoffnung, den Angriff beenden zu können, zweimal, dass sie den Angeklagten liebe. Unter diesen Umständen scheint es nicht ausgeschlossen, dass es der Geschädigten grundsätzlich möglich gewesen wäre, den Angeklagten umzustimmen oder jedenfalls hinzuhalten und so der Bedrohung zu entgehen ; dies insbesondere, da der Angeklagte nach den Urteilsgründen zum Zeitpunkt der Äußerungen noch gar keinen Tötungsvorsatz gefasst hatte und er selbst nach den Liebesbekundungen sein Opfer erneut lediglich mit Körperverletzungsvorsatz würgte. Indem die Kammer ausschließlich auf mögliche Gegenmaßnahmen körperlicher Art abgestellt hat, hat sie sich den Blick für die Möglichkeit verbaler Einwirkung versperrt.
16
b) Auch nach dem ersten Angriff würgte der Angeklagte die Geschädigte erneut lediglich mit Körperverletzungsvorsatz. Erst nachdem er ihr den Schürhaken entwunden hatte und ihr diesen auf den Hals drückte, handelte er nach den Feststellungen erstmals mit bedingtem Tötungsvorsatz. Bei diesem Tatgeschehen , bei dem sich die Situation wiederholt gewandelt, der Angeklagte – aus welchem Grund auch immer – in seinem Würgeangriff innegehalten hat, die Geschädigte versucht hat, den Angriff verbal zu beenden, und bei dem die ersten beiden Angriffe lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführt wurden, kann nicht davon gesprochen werden, die Situation sei von Beginn an völlig unverändert gewesen und es sei keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen geblieben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
17
c) Schließlich geht die Kammer bei der Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auch von einem falschen Ansatz aus, indem sie darauf abstellt , der Körperverletzungsvorsatz sei schnell in Tötungsvorsatz übergegangen , nachdem der Angeklagte seinem Opfer den Schürhaken entwunden habe (UA S. 45). Das Landgericht durfte jedoch den Umstand nicht außer Acht lassen , dass dem ersten mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Angriff ein weiterer lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführter Würgeangriff voranging, nachdem der Angeklagte für kurze Zeit mit dem ersten – ebenfalls nur von Körperverletzungsvorsatz getragenen – Würgen aufgehört und die Geschädigte ihm ihre Liebe bekundet hatte. Vielmehr ist bei der Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit darauf abzustellen, ob der Körperverletzungsvorsatz beim ersten, überraschenden Angriff derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergeht.

III.


18
Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hinzuweisen:
19
1. Das Tatgericht ist nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ 2002, 48; NJW 2007, 2274). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274).
20
Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der Angeklagte sei ohne Tötungsabsicht zur Geschädigten gefahren und habe sowohl den ersten als auch den zweiten Würgeangriff mit den Händen lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführt, bevor er dann – ohne ersichtlichen Grund – mit Tötungsvorsatz gehandelt habe, hat keine erkennbaren realen Anknüpfungstatsachen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte am Tattag die Garotte in seiner Jackentasche trug, eine Plane im Kofferraum seines Fahrzeugs hatte, auf der er später die Leiche zum Abtransport ablegte , und das Fahrzeug bereits rückwärts in der Einfahrt geparkt hatte. Gleiches gilt für die Annahme der Kammer, der Angeklagte habe am Abend vor der Tat die Garotte hergestellt, um damit der Geschädigten vorzutäuschen, einen Rasenmäher wieder aktivieren zu können, wobei es ihm gleichzeitig in den Sinn gekommen sei, dass er ihr damit etwas antun und hierzu die Garotte als Würgeinstrument verwenden könnte.
21
2. Außerdem ist Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Der Tatrichter ist also nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, wenn diese tragfähig sind (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 22, 25; BGH NStZ-RR 2004, 238). Im Hinblick darauf begegnet die Formulierung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, wonach aus dem Umstand, dass der Angeklagte am Tattag im Kofferraum seines Fahrzeugs eine Plane vorbereitet hatte – die er letztlich auch zum Abtransport der Leiche benutzte –, „keine zwingenden Schlüsse gezogen werden“ könnten (UA S. 14). Dies lässt besorgen, dass sich die Strafkammer nicht bewusst war, dass aus einer Indiztatsache auch zu Ungunsten des Angeklagten Schlüsse, die nicht zwingend, sondern nur möglich sind, gezogen werden können, und dass sie damit überspannte Anforderungen an die erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat.
22
3. Im Übrigen ist es regelmäßig verfehlt, nach den tatsächlichen Feststellungen die Aussagen sämtlicher Zeugen der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, den Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu dokumentieren. Sie sollen das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die rechtliche Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen. Die Beweiswürdigung setzt sich mit der Einlassung des Angeklagten auseinander, soweit diese von den für Schuldund Rechtsfolgenausspruch wesentlichen Feststellungen abweicht. Mit der Be- weiswürdigung soll der Tatrichter lediglich belegen, warum er bestimmte, bedeutsame tatsächliche Umstände so festgestellt hat. Hierzu wird er Zeugenaussagen , Urkunden und ähnliches heranziehen, soweit deren Inhalt für die Überzeugungsbildung wesentlich ist (BGH NStZ 1998, 51). Nack Wahl Boetticher Elf Sander
5 StR 438/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 23. April 2012 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen mit der Sachrüge geführte Revision. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.
2
1. Das Landgericht hat – zum Anlass der Tat im Wesentlichen auf der Basis der Einlassung des Angeklagten – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte mit der später von ihm getöteten H. – unterbrochen durch Haftzeiten des Angeklagten – seit 2002 zusammen. Nach frühzeitigem Missbrauch von Alkohol und Betäubungsmitteln beschränkte sich sein Rauschmittelkonsum zwischen 2009 und 2011 auf Alkohol , wobei er, Vorgaben seiner die Beziehung dominierenden Lebensgefährtin folgend, nicht mehr als vier bis fünf halbe Liter Bier am Tag trank. Die Alkoholreglementierung war mitunter Anlass für Streitigkeiten, im Rahmen derer H. gegenüber dem Angeklagten auch gelegentlich handgreif- lich wurde. Der Angeklagte verübte hingegen bei diesen und anderen Auseinandersetzungen niemals Gewalt gegen seine Lebensgefährtin.
4
Am Abend des 23. September 2011 hatte der Angeklagte die ihm zugebilligte Alkoholmenge bereits konsumiert. Gleichwohl fragte H. , ob er noch zwei Bier haben wolle, was er bejahte. Sie holte von einer Tankstelle zwei Flaschen Bier, von denen der Angeklagte trank. Es kam zu sexuellen Handlungen. Nach deren Abschluss erzählte sie dem Angeklagten, dass sie beim Bierholen ihren früheren Dealer für Flunitrazepam getroffen habe. Sie werde noch einmal losgehen, um für sich und ihn „Flunis“ zu holen. Der mittelgradig alkoholisierte Angeklagte (maximale Blutalkoholkonzentrati- on 1,74 ‰) reagierte enttäuscht. Er hatte geglaubt, seine Lebensgefährtin, die früher Heroin und rauschmittelhaltige Medikamente konsumiert hatte, habe ihr Suchtproblem überwunden. Er machte ihr Vorhaltungen. Im Zuge des sich anschließenden Streits wurde H. immer aggressiver und schlug den Angeklagten gegen den Mund.
5
Für H. war der Streit nun beendet. Sie wollte am Ange- klagten vorbeigehen. „Dabei rechnete sie mit keinem Angriff auf ihr Leben, insbesondere weil der Angeklagte auch bei vorangegangenen Streitigkeiten sie weder geschlagen hatte noch anderweitig gewalttätig gegen sie vorgegangen war. Dies erkannte der Angeklagte trotz seiner alkoholischen Beein- flussung und nutzte es zur Tatbegehung aus“ (UA S. 12). Erergriff ein Küchenmesser , packte H. , umklammerte sie mit einem Arm um den Hals, zog sie an sich heran und versetzte ihr neun kraftvoll geführte Messerstiche in die Brust. Danach lockerte er seinen Griff und stach ihr fünfmal in den Rücken. Sie sank zu Boden. Um ihren Tod sicher herbeizuführen , würgte der Angeklagte sie am Hals. Sie verstarb binnen weniger Minuten an den Folgen multipler Stichverletzungen in der linken Lunge.
6
Der Angeklagte reinigte einen Teil der Küche und die Handflächen der Getöteten. Dann fesselte er sie mit einer Kinderstrumpfhose an den Armen und mit den Streifen eines zuvor zerrissenen Geschirrtuchs an den Beinen, um einen Überfall vorzutäuschen. Er zog sich saubere Kleidung an. Seine verschmutzte Kleidung und die zur Reinigung verwendeten Gegenstände packte er in einen Plastikmüllsack, den er im Müllcontainer eines Baumarkts entsorgte. Gegen 22 Uhr verließ er die Wohnung endgültig und begab sich in die Innenstadt von Leipzig. Den ein Jahr acht Monate alten gemeinsamen Sohn ließ er schlafend in der Wohnung zurück.
7
Um sich ein Alibi zu verschaffen, versuchte er im weiteren Verlauf der Nacht, die Polizei durch entsprechende Anrufe zu einer Nachschau in der Wohnung zu veranlassen. Nachdem dies fehlgeschlagen war, täuschte er einen Einbruch in einem Autohaus vor und wurde kurzzeitig festgenommen. Gegen 5.50 Uhr begab er sich wieder in die Wohnung. Er alarmierte die Poli- zei, weil er „seine Frau“ blutüberströmt und gefesselt vorgefunden habe. Den Polizeibeamten warf er vor, nicht auf seine Anrufe reagiert und deshalb das Versterben seiner Lebensgefährtin mitverschuldet zu haben. Auch gegenüber eintreffenden Hilfskräften verhielt er sich aggressiv.
8
2. Die Verurteilung des in seiner Schuldfähigkeit nicht relevant beeinträchtigten Angeklagten wegen Mordes (§ 211 StGB) hält rechtlicher Prüfung stand. Der Erörterung bedarf nur die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke sowie des hierauf bezogenen Ausnutzungsbewusstseins. Sie weist keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
9
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Argund Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31 mwN).
10
Das Schwurgericht ist davon ausgegangen, dasssich H. keines erheblichen Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit oder gar auf ihr Leben versah, als sie versuchte, an dem Angeklagten vorbeizugehen. Es leitet dies – trotz des vorangegangenen Streits mit der diesen aus Opfersicht „abschließenden“ Ohrfeige – ausdem Umstand ab, dass der Angeklagte im Verlauf der langjährigen Beziehung niemals gegen seine Lebensgefährtin gewalttätig geworden war, obwohl diese ihrerseits mitunter zugeschlagen hatte. Ferner stützt es sich auf das Ergebnis des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens , wonach außer einer oberflächlichen Schnittverletzung an der Kuppe des rechten Ringfingers keine Verletzungen an der Getöteten festgestellt wurden, die darauf hindeuten könnten, dass diese noch die Möglichkeit hatte, die Stiche etwa durch instinktives Hochreißen der Arme abzuwehren.
11
Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Nach ständiger Rechtsprechung können Arg- und Wehrlosigkeit auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer aber gleichwohl nicht mit einer Tätlichkeit rechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12 mwN). Für seine Würdigung durfte und musste das Schwur- gericht dabei den bisherigen Verlauf der Beziehung heranziehen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692), in deren Rahmen der Angeklagte Handgreiflichkeiten seiner Lebensgefährtin niemals „mit gleicher Münze“ vergolten hatte. Der hieraus in Verbindung mit den rechtsmedizinischen Befunden abgeleitete Schluss, diese habe sich im Zeitpunkt des Angriffs in Sicherheit gewogen und den Angriff auf ihr Leben allenfalls im letzten, eine Gegenwehr nicht mehr zulassenden Augenblick erkannt, erscheint naheliegend, jedenfalls aber möglich, und ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen. „Zwingend“ muss er entgegen der Auffas- sung der Revision nicht sein. Gleichfalls wäre, anders als die Verteidigung meint, angesichts von fünf Stichverletzungen mit einer Tiefe von jeweils acht Zentimetern (UA S. 27) nicht zu beanstanden, dass die Schwurgerichtskam- mer direkten Tötungsvorsatz auch für den Fall als gegeben ansieht, dass der Angeklagte seine Lebensgefährtin – für sich genommen nicht tödlich wirkend – zuerst in den Rücken gestochen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO S. 635, je mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO mwN). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH, Urteile vom 25. November 2004 – 5 StR 401/04, vom 20. Januar 2004 – 4 StR 491/04, aaO, vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08, aaO, und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO, Beschluss vom 4. Mai 2011 – 5 StR 65/11, aaO).
13
Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht verkannt. Sachverständig beraten hat es einen die Erkenntnisfähigkeit in Frage stellenden tiefgreifenden Erregungszustand insbesondere mit Blick auf das komplexe und sehr zielgerichtete Nachtatverhalten des Angeklagten verneint. Die mittelgradige Alkoholisierung des außerordentlich trinkgewöhnten Angeklagten hat es dabei bedacht. An das psychiatrische Gutachten anknüpfend ist es zu dem Er- gebnis gelangt, dass der einsichtsfähige Angeklagte die schutzlose Lage des keinen Arg hegenden Opfers zutreffend erfasst und ausgenutzt hat.
14
Trotz nicht ganz unmissverständlicher, ersichtlich als Hilfserwägungen zu verstehender Ausführungen des Landgerichts (UA S. 32 f., 37, 48) ist den Feststellungen (UA S. 12) noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte den Angriff von hinten begangen, also die neun Stiche in die Brust hinter seiner Lebensgefährtin stehend und diese umklammernd vollführt hat, um ihr nach Lockerung des Griffs dann die fünf Stiche in den Rücken zu versetzen. Auf dieser, die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Befunde in eigener Würdigung bewertender Grundlage liegt die Schlussfolgerung des Landgerichts besonders nahe, der Angeklagte habe mit Ausnutzungsbewusstsein gehandelt. Das Gleiche würde gelten, wenn der Angeklagte entsprechend dem vom rechtsmedizinischen Sachverständigen angenommenen Verlauf (UA S. 32) seiner Lebensgefährtin zunächst von hinten die Stiche in den Rücken versetzt, sie dann – weiter hinter ihr stehend – an sich herangezogen und ihr die tödlichen Stiche in die Brust versetzt hat. Bei einem derartigen Vorgehen drängt sich auf, dass der Täter den Überraschungscharakter seines Angriffs bewusst ausgenützt hat, ohne dass es etwa des gezielten Herbeiführens eines Hinterhalts bedürfte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503).
15
Nichts wesentlich anderes ergäbe sich, wenn man die vom Landgericht im Wege einer Hilfserwägung erörterte (UA S. 32 f.) Variante zugrunde legte, dass der Angeklagte seiner Lebensgefährtin vor ihr stehend zunächst die Stiche in die Brust und ihr danach die Stiche in den Rücken versetzt hat. Es handelte sich um eine mit einem Blick zu erfassende Situation; zudem wird ein Angreifer, schon um Schreie und Widerstand möglichst zu vermeiden , stets bestrebt sein, ein Überraschungsmoment auszunützen. Dass die Lebensgefährtin des Angeklagten namentlich in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Beziehung ungeachtet ihres aggressiven Verhaltens nicht mit einem körperlichen Angriff von Seiten des Angeklagten rechnete, ist hinrei- chend schlüssig belegt. Ferner ist die Tat von außergewöhnlichem Vernichtungswillen geprägt, der die Grenzen eines tödlichen Spontanangriffs deutlich überschreitet, und ist das Nachtatverhalten insofern besonders gestaltet, als es sich nicht nur wegen des Zurücklassens des schlafenden Kleinkindes bei der blutigen Leiche der Mutter als hochgradig verwerflich darstellt, sondern auch als überaus kalkuliert und kontrolliert auf Täuschung ausgerichtet. Jedenfalls angesichts dieser besonderen Fallgestaltung kann der Senat die dem Urteil ausreichend zu entnehmende Hilfsüberlegung des Landgerichts hinnehmen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Intoxikation und Erregung die Arglosigkeit des Opfers auch für den weniger wahrscheinlichen Fall eines Angriffs von vorn in sein Vorstellungsbild aufgenommen hat. Damit ist insgesamt von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, dass das sachverständig beratene Tatgericht unter den hier gegebenen Vorzeichen davon ausgegangen ist, der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht relevant beeinträchtigte Täter habe den Bedeutungsgehalt der tatsächlichen Lage zu Beginn seines tödlichen Angriffs zutreffend eingeschätzt (vgl. auch BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 – 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f., und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 391/09, aaO).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 6 0 / 1 4
vom
24. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. September
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Fulda vom 19. Dezember 2013 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.
2
1. a) Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte seit 2004 wegen wiederholter verbaler und körperlicher Auseinandersetzungen gegenüber seiner Ehefrau räumlich von ihr und den drei gemeinsamen Kindern getrennt. Der Angeklagte besuchte seine Familie nur noch sporadisch. Er fühlte sich ausgegrenzt und gedemütigt, weil ihm nach seiner Ansicht nicht der notwendige Respekt entgegenbracht wurde.
3
Als der Angeklagte erfuhr, dass erneut ein Türkeiurlaub seiner Familie bevorstand, war er darüber verärgert, dass er - wie schon zuvor - darüber nicht informiert worden war. Er wollte deshalb seine Ehefrau, das spätere Tatopfer, zur Rede stellen und ihr eine Lektion erteilen. Er nahm zwei Küchenmesser mit, die er gegenüber seiner Ehefrau "zumindest" (UA S. 8) als Drohmittel einsetzten wollte.
4
Nachdem der Angeklagte unter einem Vorwand seinen Sohn zum Einkaufen weggeschickt hatte und nunmehr mit seiner Ehefrau allein in der Wohnung war, begab er sich - mit bedingtem Tötungsvorsatz - ohne vorherige Ankündigung und wortlos mit jeweils einem Messer in einer Hand in die Küche, in der seine Ehefrau vor dem Spültisch ein Backblech spülte. "Die Ehefrau sah den Angeklagten in dem Türrahmen der Küchentür stehen und in die Küche herein treten. Sie sah ihm in die Augen, in der festen Erwartung, nun wieder Vorhalte gemacht zu bekommen und nunmehr in ein Streitgespräch mit ihrem Mann verwickelt zu werden. Sie wollte dem aus dem Weg gehen, stellte deswegen ihr Backblech in die Spüle hinein, trat ein bis zwei Schritte auf ihren Ehemann zu, um die Küche zu verlassen, wobei sie nicht bemerkte, da sie ihm nach wie vor in die Augen schaute, dass ihr Ehemann die beiden Messer in den Händen hielt. In dieser Situation versah sie sich insoweit keinerlei Angriffs ihres Ehemanns. Der Angeklagte, der erkannte, dass seine Frau - wie von ihm erwartet - arglos und deswegen auch wehrlos war, nutzte dies aus und - ohne mit ihr ein Wort zu wechseln - versetzte er seiner Ehefrau daraufhin einen ersten Stich in den Bauch und einen zweiten Stich in den Oberkörper" (UA S. 11).
5
Die Geschädigte sank zu Boden, woraufhin der Angeklagte ihr eine Vielzahl weiterer Messerstiche "wahllos auf den Körper" (UA S. 11) versetzte. Der zwischenzeitlich zurückgekehrte gemeinsame Sohn trat dem Angeklagten gegen den Kopf und "packte ihn von der Mutter weg" (UA S. 12). Durch eine anschließende Notoperation wurde die Geschädigte gerettet.
6
b) Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, der Vorsatz bezüglich der heimtückischen Begehung der Tat ergebe sich daraus, "dass der Angeklagte ohne Vorankündigung und ohne dass zuvor irgendein Streitgespräch oder überhaupt eine Kommunikation mit der Ehefrau stattgefunden hätte, mit den Messern aus dem Wohnzimmer in die Küche der Wohnung gegangen ist, wobei die Ehefrau gerade dabei war, ein Backblech zu spülen. [...] In diesem Moment war daher die Ehefrau des Angeklagten, die sich keinerlei Angriffes durch den Angeklagten versah, völlig arglos und infolge dessen auch wehrlos. Dies wusste der Angeklagte, der zuvor sogar seinen Sohn […] aus der Wohnung geschickt hatte, um insoweit ungestört die Situation ausnutzen zu können. Er ging wortlos aus dem Wohnzimmer in die Küche und begann sofort und völlig unvermittelt seinen Angriff auf die Ehefrau, die die Messer, weil sie dem Angeklagten zunächst nur in die Augen schaute, überhaupt nicht bemerkt hatte. Er wollte insoweit diese Geschehen bewusst ausnutzen und seine Ehefrau, die mit Küchenarbeiten beschäftigt war, überraschen" (UA S. 27).
7
2. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist insbesondere die Beweiswürdigung zum Ausnutzungsbewusstsein nicht lückenhaft.
8
a) Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt; wesentlich ist, dass der Mörder sein keinen Angriff erwartendes, mithin argloses Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist. Bei einem offen feindseligen Angriff ist erforderlich, dass dem Opfer wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verblieben ist (vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. September 2011 - 3 StR 223/11, NStZ 2012, 35; vom 28. August 2014 - 5 StR 332/14, beide mwN). Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür genügt es, wenn er die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 211 Rdn. 34, 44, jeweils mwN).
9
b) Das Landgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe auch mit entsprechendem Ausnutzungsbewusstsein gehandelt, ausreichend belegt. Die gezogenen Schlussfolgerungen sind möglich, zwingend brauchen sie nicht zu sein.
10
Der Angeklagte, der mit den beiden Küchenmessern bewaffnet im Wohnzimmer saß, und sich "endgültig" entschlossen hatte, "die Lage auszunut- zen und auf seine Ehefrau […] einzustechen, um sie zu bestrafen" (UA S.10), wollte dafür ungestört sein und hatte deswegen auch seinen Sohn unter einem Vorwand weggeschickt, um "freie Bahn für einen überraschenden ‚Angriff‘ auf seine Ehefrau haben zu können" (UA S. 10). Er betrat mit bedingtem Tötungsvorsatz die Küche, in der seine Frau gerade spülte. Dass die Geschädigte auf den Angeklagten "ein bis zwei Schritte" zutrat, ändert nichts daran, dass der Angeklagte - wie von ihm geplant - die mit Küchenarbeiten beschäftigte Geschädigte in der Küche überraschte (UA S. 27) und dieses von ihm herbeigeführte Überraschungsmoment ausnutzen wollte. Es ist deswegen auch unerheblich , ob die Geschädigte unmittelbar vor dem Angriff noch die Messer in den Händen des Angeklagten wahrgenommen und ob der Angeklagte die mög- licherweise eingeschränkte Wahrnehmung der Geschädigten erkannt hat. Eine Möglichkeit zur Abwehr verblieb ihr nicht, worauf es dem Angeklagten nach seinem Tatplan gerade ankam.
11
Dass das Ausnutzungsbewusstsein auch nicht aufgrund affektiver Anspannung des Angeklagten gefehlt hat (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14 mwN), hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt (UA S. 27). Fischer Schmitt Krehl Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 5/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 30. Juli 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 10. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, ihr ein lebenslanges Berufsverbot erteilt und festgestellt , dass auf die Anordnung des Verfalls von 106.058 Euro nur verzichtet wird, weil Ansprüche Dritter entgegenstehen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachbeschwerde und Verfahrensrügen gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel ist mit der Sachrüge begründet, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.

I.

2
Nach den Feststellungen war die Angeklagte als Jugendliche drogenabhängig gewesen und der Prostitution nachgegangen. Dabei hatte sie den 50 Jahre älteren H. H. als Freier kennen gelernt. Dieser beschaffte ihr Drogen als Gegenleistung für sexuelle Dienste. Von 1999 bis 2011 holte die Angeklagte den Hauptschulabschluss nach, erwarb die Fachoberschulreife und dann die allgemeine Hochschulreife, studierte Medizin, legte das Staatsexamen ab und erlangte ihre Approbation als Ärztin. Anfang 2011 wurde sie promoviert. Inzwischen war sie medikamentenabhängig. Am 15. Januar 2010 heiratete sie H. H. . Ihr Ehemann vereitelte in der Folge ihre Bewerbungen um eine Anstellung in einem Krankenhaus, indem er Bewerbungsschreiben heimlich Begleitschreiben beifügte, in denen er auf ihre frühere Drogenabhängigkeit hinwies. Im Jahre 2010 nahm die Angeklagte eine außereheliche Beziehung mit dem Zeugen G. auf. Am 16. Februar 2011 erreichte sie die Zusage einer Anstellung als Ärztin in einem Krankenhaus in U. .
3
In der Zwischenzeit veranlasste H. H. die Sperrung seines Girokontos, über das auch die Angeklagte verfügen konnte. Ihre Bankkarte wurde eingezogen, als sie in U. an einem Geldautomaten Geld abheben wollte. Diese Tatsache und die Entdeckung eines der Begleitbriefe ihres Ehemanns zu den Bewerbungsschreiben führten nach ihrer Rückkehr aus U. am 17. Februar 2010 zum Streit zwischen den Eheleuten. Am Abend des 18. Februar 2010 erklärte die Angeklagte ihrem Ehemann, dass sie sich von ihm trennen wolle. Er ohrfeigte sie und schob sie beiseite. Sie nahm in der Küche und auf der Toilette vier Tabletten des Beruhigungsmittels Flunitrazepam mit einigen Schlucken Wein ein und begab sich zu ihrem Ehemann in das Wohnzimmer. Dieser erklärte, dass sie tun müsse, was er sage. Er hielt ihr eine Tüte mit mindestens zehn Ampullen Morphin und einer Ampulle Piritramidan vor, die er in einem Schrank gefunden hatte, und bemerkte, sie sei wieder dort gelandet, wo sie hingehöre; sie sei eine "drogenabhängige Straßennutte". Er habe alles Geld vom Girokonto abgehoben und trage es bei sich, so dass sie ihn künftig um Geld bitten müsse. Die Angeklagte erwiderte, sie verdiene ihr eigenes Geld. Dann nahm sie die Tüte mit den Ampullen und lief in die Küche. H. H. rief ihr aus dem Wohnzimmer zu, er werde dafür sorgen , dass sie ihre Approbation verlieren werde; er habe sich schon im Klinikum A. danach erkundigt, wie man ihr die Approbation entziehen könne. Als sie erwiderte, das könne er nicht tun, rief er, er habe alles, um sie wieder in die Gosse zu schicken.
4
Die Angeklagte stellte anhand der Verbindungsliste des Telefons fest, dass ihr Ehemann tatsächlich mit dem Klinikum A. telefoniert hatte. Ihr wurde bewusst, dass sie bis zum ersten eigenen Verdienst noch Monate lang auf seine finanzielle Unterstützung angewiesen sei, außerdem, dass er dazu entschlossen war, mit allen Mitteln eine Trennung zu verhindern. Sie sah sich in Gefahr, die zugesagte Anstellung in dem Krankenhaus in U. zu verlieren und die Beziehung zu dem Zeugen G. aufgeben zu müssen. Zur Beseitigung dieser Gefahr und der Quelle ständiger Beleidigungen und Erniedrigungen beschloss sie, ihren Ehemann zu töten.
5
Die Angeklagte zog, "vor Wut und Aufregung am ganzen Körper zitternd" , in der Küche die Inhalte aller Ampullen aus der Plastiktüte auf eine Spritze, nahm diese in die rechte Hand, rannte ins Wohnzimmer und näherte sich schreiend ihrem Ehemann. Dieser hielt ihre Arme fest und schlug ihr dann mit der flachen Hand auf die rechte Wange. Er fragte sie, was sie mit der Spritze wolle. Die Angeklagte entriss ihre rechte Hand aus seinem Griff, stieß ihn auf die Couch, stach ihm die Spritze in den Oberschenkel und drückte die Injektionslösung hinein. Hierbei handelte sie in der Erwartung, dass die Injektion tödlich sein werde. Die Morphininjektion führte zu Benommenheit, Bewusstlosigkeit und Atemstillstand mit der Folge des Todes von H. H. .
6
Das Landgericht hat die Handlung der Angeklagten als heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mord beurteilt. H. H. habe nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, weil es zuvor noch nie zu einer Anwendung von Gewalt durch die Angeklagte gegen ihn gekommen sei und weil er nicht gewusst habe, welches Mittel in der Spritze war. Diese Arglosigkeit und die daraus resultierende Wehrlosigkeit des Ehemanns habe die Angeklagte bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Sie habe sein Lebensrecht missachtet, um Nachteile in ihrem Fortkommen auszuschließen und ihren Ehemann als Kenner ihres früheren Drogenkonsums und ihrer Abhängigkeit von Benzodiazepinen auszuschalten.

II.

7
Die Bewertung der Tat als Mord ist rechtsfehlerhaft.
8
1. Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Es bestehen bereits Bedenken gegen die Annahme , H. H. sei zu Beginn des Angriffs der Angeklagten auf sein Leben arglos und infolgedessen wehrlos gewesen. Jedenfalls hat das Landgericht die Behauptung, die Angeklagte habe dies bewusst zur Tötung ihres Ehemanns ausgenutzt, nicht belegt. Ausnutzungsbewusstsein kann zwar im Einzelfall ohne Weiteres aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden , wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände und auf die nähere Erläuterung der Feststellung eines Ausnutzungsbewusstseins kann aber dann nicht verzichtet werden, wenn gewichtige Umstände dagegen sprechen. Dazu zählen hier die hochgradige Erregung der Angeklagten, die Einnahme von Flunitrazepam vor der Tat und die Tatsache, dass sie ihrem Ehemann schreiend mit der Spritze in der Hand entgegentrat, so dass Arglosigkeit objektiv zweifelhaft erscheint und auch aus der Sicht der Angeklagten fern gelegen haben könnte. Damit hat sich das Landgericht zu Unrecht nicht auseinandergesetzt.
9
2. Die Bewertung des Handlungsantriebs der Angeklagten als sonst niedriger Beweggrund ist vom Landgericht ebenfalls nicht tragfähig begründet worden und erscheint angesichts der Feststellungen als fern liegend. Bei Motiven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Gefühlsregung jedes nachvollziehbaren Grundes entbehrt und das Handlungsmotiv in deutlich weiter reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl. Fischer, StGB 60. Aufl. § 211 Rn. 14a). Dies ist hier offenkundig nicht der Fall, weil der Getötete der Angeklagten, nur um ihr ein selbstbestimmtes Leben unmöglich zu machen und sie weiter seinem Machtanspruch zu unterwerfen, eine Anschwärzung angedroht hatte, die zum Verlust ihrer gesamten beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz führen sollte. Angesichts dessen würde die Motivationslage eher die Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 Alt. 2 StGB nahelegen als die Bewertung als Mord aus niedrigen Beweggründen.
Fischer Schmitt Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 1 4 7 / 1 4
vom
31. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin T. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. November 2013 werden verworfen. 2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen. Ferner werden dem Angeklagten die durch sein Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der Nebenkläger auferlegt. Die Staatskasse hat auch die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte am 17. Januar 2013 mit dem von ihm gesteuerten Pkw mit mindestens 90 km/h gegen einen Baum, um sich selbst zu töten. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die neben ihm in dem Fahrzeug saß, an den Folgen der Kollision versterben könnte. Während der Angeklagte schwer verletzt überlebte, verstarb seine Ehefrau kurze Zeit später an den bei dem Aufprall erlittenen Verletzungen.
3
Das Landgericht hat den Sachverhalt als Totschlag in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bewertet. Es ist der Auffassung , dass das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege, da Zweifel daran bestünden, dass der Angeklagte die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt habe. Denn er habe nicht ausschließbar den Tatentschluss in einer psychischen Ausnahmesituation spontan gefasst. Niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil der Angeklagte - jedenfalls nicht ausschließbar - aus Verzweiflung über seine Lebenssituation (u.a. vieljährige Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme) und aus Angst vor einer endgültigen Trennung von seiner von ihm geliebten Ehefrau, der drohenden Trennung von seinen Kindern und dem Verlust des ihm seit vielen Jahren vertrauten Familienlebens gehandelt habe.

II.


4
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg.
5
Insbesondere weist die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau keinen Rechtsfehler auf. Auch ein Verstoß gegen den in-dubio-Grundsatz liegt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 16. Mai 2014 dargelegten Gründen nicht vor.

III.


6
Der vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision der Staatsanwaltschaft , die eine Verurteilung des Angeklagten wegen - heimtückischen - Mordes erstrebt, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Zuschrift vom 16. Mai 2014 bemerkt der Senat:
7
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 12. Februar 2009 - 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 273/11 [juris Rn. 24]; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Dieses Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f.; vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 289 jeweils mwN).
8
Anders kann es jedoch bei "Augenblickstaten", insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Argund Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschlüsse vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; vom 24. April 2012 - 5 StR 95/12, NStZ 2012, 693, 694 jeweils mwN).
9
Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634, 635 jeweils mwN).
10
b) Daran gemessen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
11
Das Schwurgericht hat nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung allein auf Grund der von ihm zugunsten des Angeklagten angenommenen erheblichen Einschränkung des Steuerungsvermögens nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geschlossen werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 mwN). Wenn es aber gleichwohl angesichts der besonderen äußeren und inneren Umstände der Tat unter Berücksichtigung des Vor- sowie des Nachtatgeschehens eine sichere Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
12
Auch zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keine durchgreifenden Lücken, Widersprüche oder sonstige Rechtsfehler in der tatrichterlichen Beweiswürdigung auf. Richtig ist zwar, dass der Zweifelssatz nicht bedeutet, dass das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Vorliegend bestand aber für das Landgericht selbst nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten die Möglichkeit, dass entweder ein das Ausnutzungsbewusstsein nicht in Frage stellender "Bilanzselbstmord" oder aber eine spontane, ungeplante Umsetzung latent vorhandener Suizidabsichten gegeben war, die zu einer psychischen Ausnahmesituation mit einer "ausgeprägten Einengung des Bewusstseinsinhalts" (UA S. 48) und damit zum Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geführt hat. Überzogene Anforderungen an die Überzeugungsbildung hat das Landgericht dabei nicht gestellt. Vielmehr ist es rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es der Zweifelssatz in einem solchen Fall gebietet, von der für den Angeklagten günstigeren Konstellation auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 123/01, StV 2001, 666,

667).


13
Ebenso wenig ist es aus Rechtsgründen zu beanstanden, dass das Schwurgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte wusste, dass sich seine Ehefrau neben ihm in dem Fahrzeug befand und er deren Tod billigend in Kauf nahm sowie ihre Gefährdung sogar beabsichtigte, es aber andererseits angenommen hat, der Angeklagte habe deren Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tatbegehung nicht bewusst ausgenutzt. Hierin liegt insbesondere kein zu einem Rechtsfehler führender Widerspruch, sondern die vom Tatrichter zu verantwortende Schlussfolgerung, dass der Angeklagte zu Wahrnehmungen zwar fähig war und er aufgrund dieser eine Entscheidung (billigendes Inkaufnehmen des Todes) traf, ihm eine darüber hinausgehende "Bedeutungskenntnis" aber gefehlt hat und er sich infolgedessen nicht bewusst gewesen ist, die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auszunutzen (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 6 0 5 / 1 3
vom
20. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. August
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Nebenkläger H. S. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers H. S. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin A. S. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 26. August 2013 werden verworfen. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass er ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst Zinsen an die Nebenkläger als Gesamtgläubiger zu zahlen habe. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Nebenkläger, die den Adhäsionsausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen haben. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schuldete der Angeklagte dem später getöteten P. S. einen Geldbetrag, vertröstete diesen aber wiederholt. Am 19. März 2013 hielt sich der Angeklagte bei Freunden auf und trank Bier und Jägermeister. Der nicht anwesende S. teilte dem Angeklagten über eine Internetplattform mit, dass er mit dessen Freundin geschlafen habe, was zu wechselseitigen Beleidigungen führte. Die Kommunikation im Internet mündete in der Abrede, "dass ein Faustkampf Mann gegen Mann um 22.10 Uhr am Spielplatz in N. stattfinden sollte". Kurz vor dem Aufbruch zum "Duell" schrieb der Angeklagte seiner Freundin eine Kurznachricht, in der er ihr mitteilte: "… Ich schlag den tot …". Sie antwor- tete, "dass er es lassen soll und sie nicht mit P. S. geschlafen ha- be". Er erwiderte: "Egal, ich geh jetzt zu dem …".
3
Gemeinsame Bekannte wollten als Zuschauer dem Geschehen beiwohnen , bei dem es sich aus ihrer Sicht um einen Kampf ohne Waffen handeln sollte. P. S. war größer als der Angeklagte und trainierte "MuayThai -Boxen". Der Angeklagte hatte Angst vor seinem Gegner, was aber seinen Entschluss zum Kampf nicht hinderte. Beim Verlassen der Wohnung steckte er ein Klappmesser mit einhändig feststellbarer Klinge ein. Einer seiner Freunde beobachtete dies und forderte ihn auf, das Messer zurückzulassen, kümmerte sich im Folgenden aber nicht mehr darum. Als der Angeklagte gegen 22.07 Uhr am Spielplatz eintraf, wollte er sich auch mit einem Plastikrohr bewaffnen, was ihm von einem Begleiter mit der Bemerkung, es solle ein fairer Kampf stattfinden , verwehrt wurde.
4
Während des nun folgenden Kampfgeschehens versetzte S. zuerst dem Angeklagten Faustschläge ins Gesicht und einen Tritt gegen den Oberkörper. "Der Angeklagte wehrte sich, indem er mit gleichsam rudernden Fäusten auf P. S. losging". Dabei hielt er das Messer in seiner Hand, jedoch so, dass nur drei bis vier Zentimeter der Klinge herausragten. Seine Schlagbewegungen wurden von dem Geschädigten pariert, der sich dabei - von ihm selbst unbemerkt - leichte Schnittverletzungen am Unterarm zuzog.
5
Aufgrund der Kampfhandlungen fiel der Angeklagte rückwärts zu Boden, worauf der Geschädigte einige Schritte zurücktrat und die Reaktion des Angeklagten abwartete. Dieser war erregt und wütend. Aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und leichter Alkoholisierung sowie Drogeneinwirkung stand er un- ter besonderer Anspannung. Er sprang sofort wieder auf und ging zum Angriff über. Dabei holte er seitlich aus und führte das Messer in der rechten Hand. Er wollte sich für den raschen Niederschlag rächen und den Platz nicht als Verlierer verlassen. Mit einer sichelförmigen Bewegung stach er dem Geschädigten in den Bauch und sofort anschließend in die linke Seite des Brustkorbs. Dabei traf er die Herzkammer, was alsbald zum Tode führte. Dem Angeklagten war bei Ausführung der Stiche bewusst, dass er seinen Gegner tödlich treffen konnte , womit er sich aber abfand.
6
2. Das Landgericht hat die Handlung nur als Totschlag und nicht als Mord im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB bewertet.
7
Heimtücke sei nicht anzunehmen. Zwar sei der Getötete, der nur mit einem Faustkampf gerechnet habe, zurzeit der Stiche arg- und wehrlos gewesen. Aufgrund starker Wut- und Rachegefühle, seiner Persönlichkeitsstörung sowie seiner Alkoholisierung habe der Angeklagte aber nicht mit dem Bewusstsein der Ausnutzung der Arglosigkeit des Opfers gehandelt. Im Übrigen sei bereits objektiv nicht notwendig von einem Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen auszugehen; jedenfalls habe ihm zur Tatzeit die Fähigkeit der Beherrschung solcher Beweggründe gefehlt.

II.

8
Die Revisionen der Nebenkläger, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstreben, sind unbegründet.
9
1. Die Verneinung von Heimtücke ist rechtsfehlerfrei.
10
a) Dabei kann offen bleiben, ob das Landgericht den objektiven Tatbestand des Mordmerkmals der Heimtücke zu Recht bejaht hat.
11
Heimtücke ist gegeben, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Ausführung des tödlichen Angriffs ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - 3 StR 21/14 mwN). Hat das Opfer in der Tatsituation mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, scheidet Arglosigkeit im Allgemeinen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2002 - 5 StR 5/02, NStZ-RR 2002, 233, 234). Ob die Arglosigkeit auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Kontrahenten ausdrücklich oder zumindest konkludent einen Faustkampf ohne Waffen verabredet haben, aber der Täter abredewidrig und überraschend mit Tötungsvorsatz eine Waffe einsetzt (vgl. Hofmann NStZ 2011, 66 f.; NK/Neumann, StGB, 4. Aufl., § 211 Rn. 60; Matt/Renzikowski/ Safferling, StGB, 2013, § 211 Rn. 42), muss der Senat nicht entscheiden, weil das Landgericht jedenfalls ohne Rechtsfehler das Bewusstsein des Angeklagten zur Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten gegenüber dem auf sein Leben zielenden Angriff ausgeschlossen hat.
12
b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist nämlich auch, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 144; Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Er muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. Senat, Urteil vom 29. April 2009 - 2 StR 470/08, NStZ 2009, 569, 570); das kann allerdings "mit einem Blick" geschehen (BGH, Urteil vom 8. Oktober 1969 - 3 StR 90/69, BGHSt 23, 119, 121).
13
Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14); dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN). Insoweit können auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14 mwN).
14
Das Landgericht ist hinsichtlich der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung von einer "Augenblickstat" ausgegangen. Es hat die starken Wutund Rachegefühle des Angeklagten berücksichtigt, die "in ihm hochgekommen" sind, als er vom Geschädigten zu Boden geschlagen wurde; seine Persönlichkeitsstörung vom emotional-instabilen Typ hat die Anspannung verstärkt und die Alkoholisierung ist als enthemmender Faktor hinzugekommen. Zwar erscheint jeder dieser Faktoren für sich genommen nicht notwendigerweise geeignet , das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hinsichtlich der Arglosigkeit des Geschädigten gegenüber einem tödlichen Angriff auszuschließen. Das Landgericht hat die Umstände aber in ihrem Zusammenwirken bewertet. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
15
c) Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
16
Die Ankündigung des Angeklagten gegenüber seiner Freundin: "Ich schlag den tot", liefert keinen aussagekräftigen Hinweis darauf, dass er vorausgeplant hatte, den Gegner beim Kampf zu erstechen. Dass der tödliche Messereinsatz erst erfolgte, nachdem der Angeklagte niedergeschlagen worden war, spricht ebenso gegen eine vorausgeplante Tat, wie die Feststellung, dass er beim Eintreffen am Kampfplatz ein Plastikrohr mitnehmen wollte, das ihm zwar einen Vorteil verschafft hätte, zu einer - zudem heimlichen - Tötung jedoch eher ungeeignet war. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Landgerichts , der Tatentschluss zu einem mit Tötungsvorsatz geführten Messerangriff sei erst während des Kampfes gefasst worden, rechtlich nicht zu beanstanden.
17
2. Ein Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei verneint.
18
Bei Motiven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Gefühlsregungen jedes nachvollziehbaren Grundes entbehren und das Handlungsmotiv wegen eines krassen Missverhältnisses zum Anlass in deutlich weiter reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl. Senat , Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Dies ist mit Blick auf die Provokation des Angeklagten durch den Getöteten vor dem Kampf und die Reaktion des Angeklagten auf die Wirkung der Schläge und Tritte des Geschädigten bereits zweifelhaft.
19
Jedenfalls hat das Landgericht die subjektive Seite des Mordmerkmals rechtsfehlerfrei verneint. So muss zur objektiven Bewertung der Handlungsantriebe als "niedrige Beweggründe" hinzukommen, dass sich der Täter bei der Begehung der Tat auch der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe für die Rechtsgemeinschaft als niedrig erscheinen lassen (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 133). Er muss diese Beweggründe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692). Das kann bei einer affektiven Anspannung auch aufgrund einer Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 548/06, NStZ 2007, 525), erst recht, wenn weitere Faktoren, wie eine Alkoholisierung, hinzukommen. Die entsprechende Würdigung der hier relevanten Umstände hat das Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen. Appl Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 129/14
vom
17. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
der Angeklagte in Person,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle (Saale) vom 26. Juni 2013 in den Fällen 2 und 3 der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Halle vom 14. Januar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen (Fälle 1 und 3 der Anklageschrift) und der gefährlichen Körperverletzung (Fall 2 der Anklageschrift) freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, beschränkt auf die Vorwürfe 2 und 3 der Anklageschrift, sowie – unbeschränkt – der Nebenklägerin. Beide Beschwerdeführer rügen die Verletzung materiellen Rechts, die Nebenklägerin beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es nicht an.

I.


2
1. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Halle vom 14. Januar 2013 warf dem Angeklagten Folgendes vor:
3
(1.) Am 16. März 2011 habe er vor der Arbeitsstelle der Nebenklägerin, seiner ehemaligen Lebensgefährtin, gewartet, diese beim Verlassen des Gebäudes zurückgedrängt, sie hochgehoben und in ein Büro getragen, wo er sie auf den Fußboden geworfen habe. Er habe sie mit einer Hand festgehalten, ihr Hose und Unterhose heruntergezogen und den ungeschützten Geschlechtsverkehr vollzogen. (2.) Am 21. Januar 2012 habe der Angeklagte der Nebenklägerin vor ihrem Wohnhaus aufgelauert, sie von hinten umklammert, zu Boden geworfen und ihr Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. (3.) Am 30. September 2012 sei der Angeklagte gegen 6.00 Uhr auf den Balkon der Nebenklägerin im 2. Obergeschoss geklettert, habe einen Blumenkübel ergriffen und damit die gläserne Balkontür eingeworfen. In der Wohnung habe er mit der völlig verschreckten Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchgeführt. Dies habe er gegen 10.00 Uhr erneut getan.
4
2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich von der Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin zu den eigentlichen Tatvorwürfen nicht überzeugen können. Es vermochte nicht auszuschließen, dass in den Fällen 1 und 3 der Anklageschrift ein Geschlechtsverkehr einvernehmlich erfolgt sei und sich die Nebenklägerin im Fall 2 der Anklageschrift selbst Pfefferspray in die Augen gesprüht habe.

II.


5
Die für den Freispruch tragenden Erwägungen halten der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
6
1. Spricht der Tatrichter den Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen ferner dann, wenn sie erkennen lassen, dass das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zulässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 – 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209; BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, Rn. 5 mwN).
7
Der Tatrichter darf entlastende Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Er muss sich vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52, 71; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325; Urteil vom 28. Januar 2009 – 2 StR 531/08, NStZ 2008, 285). Der Zweifelssatz gebietet es nicht etwa, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36; Urteil vom 17. März 2005 – 4 StR 581/04, NStZ-RR 2005, 209; Urteil vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, jew. mwN).
8
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil zu den Anklagepunkten 2 und 3 in mehrfacher Hinsicht nicht. Denn das Landgericht hat den Beweiswert objektiver Tatspuren in diesen Fällen, die für die Richtigkeit der Darstellung der Nebenklägerin sprechen, mit Erwägungen verneint, für die es keinerlei Anhaltspunkte in den Feststellungen gibt und die sich daher als reine Spekulationen und Vermutungen zu Gunsten des Angeklagten erweisen.
9
a) Die nach dem Vorfall vom 21. Januar 2012 bei der Nebenklägerin festgestellten Hämatome sprechen aufgrund ihrer Lokalisation für das von ihr geschilderte Geschehen (UA S. 65). Außerdem hatte sie stark gerötete tränende Augen und eine gerötete Gesichts- und Halshaut (UA S. 19). Anhaltspunkte für die Annahme des Landgerichts, dass die Nebenklägerin, die sich in der Nacht auf den 21. Januar 2012 im Haus ihrer Eltern aufgehalten hatte, bereits zuvor anderweit entstandene Hämatome gehabt haben und sich das Pfefferspray selbst ins Gesicht gesprüht haben könnte, ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. Desgleichen ist kein Motiv dafür erkennbar, weshalb sich die Nebenklägerin selbst mit Pfefferspray verletzt haben sollte, um einen Überfall durch den Angeklagten vorzutäuschen. Die Nebenklägerin hat lediglich ihren Vater zu Hilfe gerufen, eine Anzeige erstattete sie erst Monate später nach dem Vorfall vom 30. September 2012. Soweit das Landgericht in anderem Zusam- menhang ausführt, Ziel der Nebenklägerin könne es gewesen sein, Aufmerksamkeit zu erlangen, benötigte sie gegenüber ihren Eltern, die sich intensiv um sie kümmerten (UA S. 64), ersichtlich nicht das Mittel einer falschen Anschuldigung. Gegenüber Dritten hat die Nebenklägerin den Vorfall nicht zum Anlass genommen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
10
b) Die Spurenlage im Wohnzimmer der Nebenklägerin nach dem Vorfall vom 30. September 2012 sprach für einen wuchtigen Wurf mit dem Blumenkübel und gegen eine nachträgliche Veränderung der Spurenlage (UA S. 44). Das Landgericht spricht dennoch dieser Spurenlage den Beweiswert für die Glaubhaftigkeit der Schilderung der Nebenklägerin ab. Die von ihm hierfür herangezogenen Begründungen erweisen sich jedoch allesamt als bloße Spekulationen bzw. denktheoretische Erwägungen zum Vorteil des Angeklagten. Dies gilt sowohl für einen zweiten, von der Nebenklägerin selbst ausgeführten Wurf des Blumenkübels durch die Glasscheibe als auch für die Möglichkeit, die Nebenklägerin habe den Angeklagten nach einem Streit auf dem Balkon ausgesperrt und er habe sich mit dem Wurf Zutritt zur Wohnung verschafft (UA S. 25/63). Ein Streit mit nachfolgendem Aussperren des Angeklagten auf dem Balkon findet weder in der Aussage der Nebenklägerin noch in der Darstellung des Angeklagten eine Grundlage. Soweit das Landgericht die Darstellung des Angeklagten , er sei beim Hineintragen des Blumenkübels in das Wohnzimmer gestolpert, für nicht widerlegbar hält (UA S. 44), stellt es darauf ab, dass die Nebenklägerin die Spurenlage durch einen Wurf mit dem Blumenkübel nachträglich verändert haben könnte. Dem steht aber die Feststellung entgegen, dass die Spurenlage gegen eine nachträgliche Veränderung spricht. Mit diesem Umstand setzt sich das Landgericht nicht auseinander. Im Übrigen ergeben sich aus den Feststellungen auch keinerlei Anhaltspunkte für ein solches Verhalten der Nebenkläge- rin zwischen dem Verlassen der Wohnung durch den Angeklagten und dem Eintreffen ihrer Eltern.
11
3. Das Landgericht hat die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin verschiedentlich mit Erwägungen verneint, die von den Feststellungen nicht getragen werden; dies entzieht dem Freispruch auch im Fall 1 der Anklage die Grundlage.
12
a) Das Landgericht hat ein Motiv der Nebenklägerin für eine Falschaussage nicht positiv feststellen können (UA S. 63), sondern hält solche Motive lediglich für möglich. Ein mögliches Motiv der Nebenklägerin für eine Falschaussage sieht es etwa in dem Bestreben, Aufmerksamkeit ihrer Umgebung zu erfahren (UA S. 64). Dies lässt sich nicht mit den Feststellungen vereinbaren, nach denen die Nebenklägerin die angeklagten Vorwürfe zu 1 und 2 zunächst monatelang nicht anzeigte und Dritten und ihren Eltern gegenüber eine Sexualstraftat im Fall 1 nicht oder nur als Versuch berichtet hat. Auch nahm die Nebenklägerin, trotz der von der Kammer festgestellten massiven StalkingHandlungen des Angeklagten, nur ansatzweise professionelle Hilfe in Anspruch. Schließlich finden sich auch für die Annahme, Grund für die Falschbeschuldigungen könne sein, dass sich die Nebenklägerin durch das Verhalten des Angeklagten während des Geschlechtsverkehrs am 30. September 2012 und danach zurückgesetzt und gedemütigt gefühlt haben könnte (UA S. 63), keine entsprechenden Anhaltspunkte in den Urteilsgründen. Zuvor hatte die Nebenklägerin, als sie sich durch das Verhalten des Angeklagten verletzt und zurückgesetzt gefühlt hatte, Konsequenzen nur in der Form gezogen, dass sie sich von ihm getrennt hatte.
13
b) Auch soweit die Strafkammer darauf abstellt, dass die Nebenklägerin mit der späteren Schilderung des Übergriffs im Fall 1 der Anklage möglicherweise ihre psychische Befindlichkeit eindrücklicher habe erklären wollen (UA S. 57), erschließt sich der Sinn dieser Annahme angesichts der festgestellten fortwährenden Nachstellungshandlungen des Angeklagten, die ihre psychische Befindlichkeit ohne weiteres zu erklären vermochten, nicht.
14
c) Das Landgericht geht zum Anklagevorwurf 3 davon aus, dass der Nebenklägerin ein Zeitfenster von zwei Stunden für ein Telefonat mit dem Angeklagten zwischen 22.00 Uhr und dessen Aufbruch in W. gegen 0.00 Uhr zur Verfügung gestanden habe (UA S. 62). Dies widerspricht den Feststellungen auf UA S. 23, wonach die Nebenklägerin nach einem Telefonat mit ihrer Mutter um 23.00 Uhr mit dem Angeklagten telefonierte. Widersprüchlich sind auch die Feststellungen zu einer SMS an C. insoweit, als das Landgericht auf UA S. 42 und 47 feststellt, dass die Nebenklägerin Angaben zum zeitlichen Zusammenhang der mit C. in der Nacht vom 29. auf den 30. September 2012 gewechselten SMS sowie den mit ihm geführten Telefonaten gemacht habe, die durch die Anlage zu dem EDVUntersuchungsbericht vom 9. Oktober 2012 gestützt würden, während ihr auf UA S. 62 angelastet wird, sie habe die SMS an C. zeitlich nicht einordnen können oder wollen.
15
Es ist nicht auszuschließen, dass der Freispruch bezüglich aller drei angeklagten Vorfälle auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 579/15
vom
10. August 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betrugs u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:100816U2STR579.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 18. Mai 2016 in der Sitzung am 10. April 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 19. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten P. betrifft. 2. Auf die Revision des Angeklagten P. wird das vorgenannte Urteil , soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit er in den Fällen II.1, 5, 7, 9, 10 und 12 verurteilt wurde ,
b) im Strafausspruch. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision des Angeklagten P. wird verworfen. 5. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen, soweit es die Freisprechung des Angeklagten B. betrifft. Die insoweit entstandenen Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten B. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen Betrugs in zwölf Fällen und versuchten Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Angeklagten A. , B. und H. hat es freigesprochen. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag der Firma Av. C. GmbH hat es abgesehen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten P. und die zum Nachteil der Angeklagten P. und B. eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft. Die Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.

A.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
I. Der Angeklagte P. war im August 2012 aus der Haft entlassen worden und stand unter Führungsaufsicht. Ein weiteres Strafverfahren gegen ihn war beim Amtsgericht Erfurt anhängig. Vor diesem Hintergrund fuhr er nach Rumä- nien und suchte einen früheren Mitgefangenen auf, der ihn beherbergte. „Der Bekannten- bzw. Freundeskreis des Angeklagten P. verdiente u.a. damit Geld, dass Baumaschinen und Transportfahrzeuge in Deutschland angemietet, dann nach Rumänien gebracht und dort verkauft wurden. Der Angeklagte P. erklärte sich bereit, bei diesen Geschäften mitzumachen, da ihm ein Lohn von jeweils 3.000 Euro für jede Fahrt nach Deutschland versprochen wurde. P. fuhr mit einem Transporter nach Deutschland, mietete dort Baumaschinen an und brachte sie nach Rumänien, wo sie versteigert bzw. gleich zum Käufer gebracht wurden“. Einzelheiten dazu konnte das Landgericht nicht feststellen.
4
Ende Oktober oder Anfang November 2013 fuhr der Angeklagte P. mit seinen Bekannten S. , Ar. und V. nach M. in Rumänien. Von dort fuhren sie ins Gebirge und begaben sich zu einer Hütte. Dort kniete ein gefesselter und genebelter Mann, den S. in Anwesenheit des Angeklagten P. durch Kopfschuss tötete. Dann fuhr der Angeklagte P. mit seinen Bekannten zurück nach M. . In den folgenden Tagen erklärte er, dass er „aus- steigen“ wolle. Darauf wurde ihm gedroht, dass mit ihm dann das Gleiche ge- schehen werde wie mit dem Getöteten. Zeitweise wurde der Angeklagte P. auch eingesperrt. In der Zwischenzeit war gegen ihn beim Amtsgericht Erfurt ein Haftbefehl ergangen. Am 27. November 2013 stellte er sich der deutschen Polizei und behauptete, dass er einer „Hinrichtung“ beigewohnt habe und zum Anmieten von Transportern und Baumaschinen gezwungen werde. Die Ermittlungen zum Mord in Rumänien brachten kein Ergebnis.
5
II. Der Angeklagte P. wurde durch das Amtsgericht Erfurt am 23. Januar 2014 von der Untersuchungshaft verschont. Danach beging er die abgeurteilten Taten.
6
1. Der Angeklagte P. nahm Kontakt mit dem früheren Mitangeklagten W. auf. Er erklärte diesem, dass er einen Fahrer benötige, weil er keine Fahrerlaubnis habe. W. solle einen Transporter fahren und werde dafür 300 Euro erhalten. Am 3. Februar 2014 begaben sich P. und W. zur Av. G. GmbH & Co. KG in Erfurt, wo W. im eigenen Namen auf Geheiß des Angeklagten P. einen Mietvertrag über einen Transporter im Wert von 35.000 Euro abschloss und das Fahrzeug erhielt (Fall II.1. der Urteilsgründe).
7
2. Sodann fuhren P. und W. zur Firma L. in Erfurt. Dort mietete der Angeklagte P. selbst einen Anhänger und einen Bagger im Ge- samtwert von 40.000 Euro. Mit dem Transporter, dem Anhänger und dem Bagger fuhren P. und W. über Österreich nach Italien. In der Nähe von Mailand dirigierte P. seinen Fahrer zu einer Baustelle, wo er den Bagger an einen Unbekannten übergab. Am Folgetag wurden der Transporter und der Anhänger mit Holz beladen, das nach Rumänien transportiert werden sollte. Auf Anweisung des Angeklagten P. fuhr W. über Slowenien und Ungarn nach Rumänien. Dort übergab P. das Fahrzeug nebst Anhänger und Ladung an unbekannte Abnehmer (Fall II.2. der Urteilsgründe).
8
P. und W. fuhren mit einem Bus nach Deutschland zurück. W. erhielt die versprochenen 300 Euro nicht. P. wurde festgenommen. Bei der Vorführung vor den Ermittlungsrichter erklärte er, dass er am 6. Februar 2014 nach Rumänien entführt worden sei. Am 27. Februar 2014 wurde er vom Amtsgericht Erfurt zu einer Geldstrafe verurteilt und aus der Untersuchungshaft entlassen.
9
3. Der Angeklagte P. nahm sodann Kontakt mit dem unter Betreuung stehenden A. auf und erklärte, dieser solle einen Transporter fahren, wofür er 400 Euro erhalte. Am 7. April 2014 begab sich der Angeklagte P. zusammen mit A. zur Autovermietung Sp. in Erfurt. P. führte die Vertragsverhandlungen und schloss einen Mietvertrag über einen Transporter im Zeitwert von 12.000 Euro und einen Anhänger im Wert von 3.000 Euro ab. Als Fahrer wurde A. im Vertrag genannt. P. zahlte dem Vermieter eine Kaution. Darauf wurden ihm das Fahrzeug und der Anhänger übergeben (Fall II.3. der Urteilsgründe).
10
4. A. fuhr auf Geheiß des Angeklagten P. mit dem Transporter zur Firma R. in Tüttleben. Dort mietete P. einen Minibagger im Wert von 20.000 Euro. Dann fuhren A. und P. nach Rumänien, wo sie von einem Unbekannten erwartet wurden. P. erklärte A. wahrheitswidrig, dass der Bagger dort für Bauarbeiten benötigt und anschließend mit dem Transporter und dem Anhänger nach Deutschland zurückgebracht werde. Tatsächlich wurden die Mietsachen, wie es dem Tatplan des Angeklagten P. entsprach, in Rumänien verkauft. A. erhielt den versprochenen Lohn für seine Fahrerdienste nicht (Fall II.4. der Urteilsgründe).
11
5. Im April 2014 lernte der Angeklagte P. den Angeklagten B. kennen. Diesem sagte er, dass er einen Fahrer benötige; B. solle einen Transporter ins Ausland fahren und dafür 500 Euro erhalten. Am 22. April 2014 begaben sich die Angeklagten P. und B. zur Firma He. in Erfurt. Dort mietete B. einen Transporter im Wert von 30.000 Euro und zahlte dem Vermieter eine Kaution von 450 Euro, die er von P. erhalten hatte; im Gegenzug wurde das Fahrzeug an den Angeklagten B. übergeben (Fall II.5. der Urteilsgründe).
12
6. Mit dem Transporter fuhren die Angeklagten B. und P. nach Weimar zur Firma Sc. . Dort mietete P. einen Anhänger und einen Bagger im Gesamtwert von 25.000 Euro. Dann fuhr B. auf Anweisung des Angeklagten P. nach Bad Reichenhall, wo sie einen von P. als „Chef“ bezeichneten Unbekannten trafen. Nach einem Gespräch mit diesem erklärte P. dem Angeklagten B. wahrheitswidrig, sie sollten den Transporter zurücklassen, damit er nicht zu viele Kilometer „mache“. Mit einem anderen Fahrzeug sollte der Bagger nach Rumänien gebracht werden. Dem Angeklagten B. , der den Äußerungen Glauben schenkte, wurde vom „Chef“ ein anderes Transportfahrzeug übergeben. Auch wurde ihm verspro- chen, dass er für die zusätzliche Fahrt nach Rumänien weitere 300 Euro zu dem versprochenen Lohn von 500 Euro erhalten werde. P. und B. fuhren nach Rumänien, wo sie in einem Hotel übernachteten. Während ihres dorti- gen Aufenthalts wurden der Transporter, der Anhänger und der Bagger von Unbekannten abgeholt (Fall II.6. der Urteilsgründe).
13
7. Mit einem anderen Transporter fuhren P. und B. auf Anwei- sung des „Chefs“ nach München, wo Unbekannte diesen Transporter übernah- men. Die Angeklagten P. und B. wurden nach Regensburg gefahren. P. erklärte B. , dass sie dort noch einen Transporter anmieten müssten , um den Bagger in Rumänien abzuholen. B. mietete daher auf Anweisung des Angeklagten P. , der angeblich „noch etwas anderes zu erledigen“ hatte, bei der Firma Av. C. GmbH einen Transporter im Wert von 30.000 Euro (Fall. II.7. der Urteilsgründe).
14
8. Mit diesem Transporter fuhren P. und B. nach Garching, wo P. einen Minibagger und einen Anhänger im Gesamtwert von 26.000 Euro mietete. Dann fuhren sie nach Rumänien, wo das Fahrzeug nebst Anhänger und Bagger an Unbekannte übergeben wurden. B. verlangte seinen Lohn, wurde aber von P. vertröstet und versetzt. Den Lohn erhielt B. nicht (Fall II.8. der Urteilsgründe).
15
9. Am 24. Juni 2014 nahm der Angeklagte P. unter dem Aliasnamen St. Wa. mit dem früheren Mitangeklagten H. Kontakt auf und erklärte diesem, dass er einen Fahrer benötige. H. solle eine Auslandsfahrt durchführen, wofür er 300 Euro erhalten werde. H. wurde dazu von P. in Begleitung eines Rumänen abgeholt. Sie fuhren mit einem Pkw zur Autovermietung He. in Potsdam-Babelsberg. Dort bat P. den Angeklagten H. , einen Transporter anzumieten, während er sich selbst unter dem Vorwand, es mache keinen guten Eindruck, wenn ein Mietinteressent zusammen mit einem Rumänen erscheine, nicht in das Ladenlokal des Autovermieters begab. Der anschließende Versuch des Angeklagten P. , bei einem anderen Vermieter einen Bagger zu mieten, schlug fehl, so dass es bei der Anmietung des Transporters durch H. blieb. Der Rumäne fuhr mit P. in seinem Pkw nach Rumänien , während H. ihnen mit dem Transporter folgte. Am 27. Juni 2014 forderte der Angeklagte P. von H. in Rumänien die Herausgabe des Transporters. Dieser wurde misstrauisch und setzte ein Schreiben auf, wonach „St. Wa. “ bestätigte, dass er, H. , nur einen Auftrag erledigt habe und nicht für die Folgen hafte. Darauf übergab H. dem Angeklagten P. den Transporter, mit dem dieser verschwand. H. wurde mit einem anderen Fahrzeug nach Deutschland zurückgebracht. Den versprochenen Lohn für seine Fahrerdienste erhielt er nicht (Fall II.9. der Urteilsgründe).
16
10. Am 21. Juli 2014 rief der Angeklagte P. unter dem Aliasnamen „St. “ den Zeugen Str. an und besprach mit diesem eine Auslandsfahrt, die Str. für 500 Euro durchführen sollte. Zusammen mit einem Unbekannten holte der Angeklagte P. den Zeugen Str. ab und sagte, er solle ein Fahrzeug anmieten, weil er, P. , noch etwas zu erledigen habe. P. händigte Str. 650 Euro für Kaution und Anzahlung aus. Dann mietete Str. auf Geheiß des Angeklagten P. bei der Firma P. GmbH in Erfurt einen Transporter im Wert von 21.000 Euro an, mit dem er nach Schkeuditz fuhr (Fall II.10. der Urteilsgründe).
17
11. In Schkeuditz mietete P. einen Minibagger und einen Anhänger im Gesamtwert von 24.000 Euro. Damit fuhr Str. im Auftrag des Angeklagten P. nach Rumänien. Dort nahm P. , der getrennt mit einem rumänischen Pkw dorthin gefahren war, den Transporter an sich. Er versetzte den Zeugen Str. , dem er auch den versprochenen Lohn vorenthielt (Fall II.11. der Urteilsgründe).
18
12. Der Angeklagte P. nahm am 29. September 2014 mit dem Zeugen Be. Kontakt auf. Unter einem Vorwand veranlasste er Be. dazu, nach Berlin zu fahren. Dort mietete der Zeuge Be. am 30. September 2014 auf Geheiß des Angeklagten P. bei der Firma Le. GmbH einen Transporter im Wert von 10.000 Euro (Fall II.12. der Urteilsgründe

).

19
13. Bei der Firma Bo. in Berlin mietete der Angeklagte P. selbst einen Minibagger und einen Anhänger, nachdem sich Be. geweigert hatte, auch diesen Mietvertrag in seinem Namen abzuschließen (Fall II.13. der Urteilsgründe).
20
Be. war misstrauisch und schloss den Transporter ab. Er verließdanach das Firmengelände der Firma Bo. , um die Polizei zu verständigen. P. bemerkte dies und flüchtete zusammen mit dem Rumänen mit dem Pkw des Zeugen Be. , den beide aber nach kurzer Fahrstrecke zurückließen.
21
III. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass es sich bei den Taten um eine „Form der organisierten Kriminalität“ gehandelt habe. Sie nahm die Einlassung des Angeklagten P. dazu, dass er eine Hinrichtung miterlebt habe, über die es keine sonstigen Erkenntnisse gab, als unwiderlegt hin. Seine Angaben zu einer späteren Entführung aus Deutschland nach Rumänien glaubte die Strafkammer dagegen nicht. Soweit er in Deutschland in Begleitung eines Rumänen erschienen sei, habe er sich mit diesem freundschaftlich unterhalten. Zu angeblichen Entführungen habe er widersprüchliche Angaben gemacht, die zum Teil mit den festgestellten Abläufen unvereinbar seien.
22
Die Einlassung des Angeklagten B. , dass dieser bis zuletzt keinen Betrugs- oder Unterschlagungsvorsatz gehabt habe, hielt das Landgericht für unwiderlegt. Die Schilderung der Abläufe, wonach der Angeklagte P. sei- nen seriös wirkenden „Chef“ vorgestellt und stets auf dessen Geheiß gehandelt habe, sei dem Angeklagten B. plausibel erschienen. Zwar habe dieser sich in der Folgezeit als Fahrzeugmieter unvorsichtig verhalten. Jedoch sei er intellektuell „unterdurchschnittlich ausgestattet“ und habe in seinem Leben wie- derholt Dinge getan, deren Sinn er nicht verstanden habe. Auch die Tatsache, dass ihm gegen Übergabe des Mietfahrzeugs sofort ein anderer Transporter zur Verfügung gestellt worden sei, habe für ihn einen geschäftsmäßigen Anschein des Gesamtgeschehens erweckt.
23
IV. Bei der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht angenommen, es liege in allen Fällen ein Betrug durch den Angeklagten P. zum Nachteil der Vermieter, im Fall 13. ein fehlgeschlagener Versuch des Betrugs vor. Soweit er gutgläubige Dritte bei der Anmietung eingeschaltet habe, sei er mittelbarer Täter des Betrugs gewesen (§§ 263, 25 Abs. 1 - 2. Var. - StGB). Er habe Tatherrschaft durch ein gegenüber den eingeschalteten Vorderleuten überlegenes Wissen um den fehlenden Rückgabewillen und durch seine Präsenz gehabt.
24
Bei der Begehung der Taten sei er jeweils nicht nach § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB entschuldigt gewesen. Unbeschadet der in Rumänien gegen ihn geäußerten Drohungen habe für ihn keine Dauergefahr bestanden. Zudem hätte er staatliche Hilfe erbitten können. Schließlich habe er die Gefahr durch die Hinterleute selbst verschuldet (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StGB).
25
V. Bei der Strafzumessung ist das Landgericht in allen Fällen von dem gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB ausgegangen. Es habe kein besonders schwerer oder qualifizierter Fall des Betrugs vorgelegen. Zulasten des Angeklagten P. wirke es sich nur bei der Strafzumessung im engeren Sinne aus, „dass die Taten einer gewerbsmäßigen Begehung recht nahe kamen“. Ferner seien „die Taten einer bandenmäßigen Begehung recht nahe“ gekommen.

B.

26
I. Die Revision des Angeklagten P. deckt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil im Schuldspruch zu den Fällen II.2 bis 4, 6, 8, 11 und 13 auf, bei denen er selbst Mietverträge abgeschlossen hat. Insoweit hat er als eigenhändig handelnder Täter (§ 25 Abs. 1 - 1. Var. - StGB) bei den Vermietern einen Irrtum über seine Bereitschaft zur Zahlung des Mietzinses und zur Rückgabe der Mietsache nach Ablauf der Mietzeit hervorgerufen und diese zu einer Vermögensverfügung durch den Abschluss des Mietvertrags und Herausgabe des Fahrzeugs veranlasst und diesen hierdurch einen Vermögensschaden zugefügt. Dies erfüllt den Tatbestand des Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 1997 – 3 StR 28/97, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschungshandlung 1).
27
Der subjektive Tatbestand des Betrugs und die Rechtswidrigkeit des Handelns sind nach den Feststellungen gegeben. Der Angeklagte P. hat auch schuldhaft gehandelt. Unbeschadet der Frage, ob das Landgericht eine Dauergefahr im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2003 – 1 StR 483/02, BGHSt 48, 255, 259) zutreffend verneint hat, ist es jedenfalls rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte P. die Gefahr selbst verschuldet habe (§ 35 Abs. 2 Satz 1 StGB).
28
II. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte P. in mittelbarer Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 - 2. Var. - StGB Betrugstaten begangen habe, soweit er in den Fällen II.1, 5, 7, 9, 10 und 12 gutgläubige Dritte dazu veranlasst hat, im eigenen Namen Mietverträge über Transportfahrzeuge abzuschließen.
29
1. Die Feststellungen belegen insoweit nicht, dass die betroffenen Vermieter über einen vertragswesentlichen Umstand getäuscht wurden. Die von dem Angeklagten P. eingeschalteten Vorderleute waren zur Zeit des Vertragsabschlusses gutgläubig und wollten die vertraglich geschuldeten Leistungen als Vertragspartner der Vermieter erbringen, einschließlich der Rückgabe der Fahrzeuge nach Ablauf der Mietzeit. Darauf, dass sie selbst nicht in der Lage waren, den Mietzins zu zahlen, aber davon ausgingen, der Angeklagte P. werde ihnen die dafür erforderlichen Geldmittel zur Verfügung stellen, hat das Landgericht nicht abgestellt. Vielmehr hat es ausschließlich darauf abgehoben, dass eine Täuschung über den Willen zur Rückgabe der Fahrzeuge nach Ablauf der Mietzeit erfolgt sei. Da jedoch die Mieter gutgläubig waren, sie selbst alleinige Vertragspartner der Vermieter wurden und zunächst den Besitz an den Fahrzeugen erhielten, lag keine Täuschung der Vermieter über den Rückgabewillen vor. Andere vertragswesentliche Umstände, die auch aus der Sicht der Fahrzeugmieter nicht eingehalten werden sollten, wie etwa die Durchführung von Fahrten in bestimmte Länder oder die Überlassung der Fahrzeuge an Nichtvertragspartner , hat die Strafkammer nicht festgestellt.
30
2. Ferner ergibt sich aus den Feststellungen des Landgerichts nicht, dass die Fahrzeugvermieter infolge eines Irrtums jeweils eine vermögensschädigende Verfügung im Sinne des Betrugstatbestands zugunsten des Angeklagten P. getroffen haben. Eine Vermögensverfügung im Sinne des Betrugstatbestands setzt voraus, dass sie unmittelbar mindernd in das Vermögen des Geschädigten eingreift. Daran fehlt es, wenn der Getäuschte dem Täter lediglich die tatsächliche Möglichkeit gibt, den Vermögensschaden durch weitere selbständige deliktische Schritte herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2005 – 4 StR 559/04, BGHSt 50, 174, 178). Diese Konstellation liegt auch vor, wenn der Hintermann einen gutgläubigen Dritten dazu veranlasst, eine Sache zunächst in dessen eigenen - vertragsgemäßen - Gewahrsam zu bringen, ohne dass von vornherein aus der Sicht des Dritten vorgesehen war, die Sache an den Hintermann abzuliefern.
31
Der Angeklagte P. hat durch den Vertragsschluss der Vorderleute und durch die Übergabe der Fahrzeuge an diese nur eine bessere Möglichkeit zum späteren Zugriff darauf erlangt. Diesen Zugriff hat er gesondert durch Wegnahme des Transporters, durch Überlassung des Fahrzeugs an Unbekannte oder durch Herbeiführung der Herausgabe an ihn unter einem Vorwand genommen. Zuvor waren die von ihm eingeschalteten Mieter vertragsgemäß Inhaber des unmittelbaren Besitzes geworden.
32
3. Wäre mangels weiter gehender Feststellungen in den Fällen II.1, 5, 7, 9, 10 und 12 nicht von einem Eingehungsbetrug auszugehen, könnte in den anschließenden Handlungen des Angeklagten P. zur Erlangung des Besitzes an den Fahrzeugen für sich oder die Hintermänner in Rumänien - je nach den Umständen des Einzelfalls - Diebstahl, Betrug zum Nachteil des Mieters oder Unterschlagung zu sehen sein. Das wird der neue Tatrichter genauer als bisher zu prüfen haben.
33
III. Im Übrigen kann die Strafzumessung keinen Bestand haben.
34
Das Landgericht hat nicht erläutert, warum es nicht von einer gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Begehung der Taten durch den Angeklagten P. ausgegangen ist. Das beschwert ihn zunächst nicht. Danach bleibt aber auch unklar, inwieweit die Tatbegehung bei den verbleibenden Betrugstaten zum Nachteil der Vermieter einer banden- und gewerbsmäßigen Begehungsweise „recht nahe“ gekommen sein soll, was das Landgericht als Strafschärfungs- grund bewertet hat.

C.

35
Die zum Nachteil des Angeklagten P. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, soweit sie sich gegen den begrenzten Umfang seiner Verurteilung wendet. Die oben genannten Rechtsfehler des angefochtenen Urteils zum Nachteil des Angeklagten P. , die nach § 301 StPO auch auf die Revision der Staatsanwaltschaft zu beanstanden wären, gehen in der Aufhebung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft auf. Soweit deren Revision auch die Freisprechung des Angeklagten B. angreift, ist das Rechtsmittel unbegründet.
36
I. Das angefochtene Urteil weist Erörterungsmängel hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten P. zu dessen Gunsten auf.
37
1. Qualifiziert ist ein Betrug, wenn er sowohl bandenmäßig als auch gewerbsmäßig begangen wurde (§ 263 Abs. 5 StGB); liegt nur eines dieser Merkmale vor, handelt es sich um ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betrugs (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB). Das Landgericht hat nicht erläutert, warum die Handlungen des Angeklagten P. diesen Merkmalen „recht nahe gekommen“ seinsollen, ohne sie zu erfüllen. Das erschließt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.
38
a) Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Liegt diese Absicht vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 181). Darauf, ob die Ansicht realisiert wird, kommt es nicht an.
39
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte P. sich dazu bereit erklärt, sich an den betrügerischen Geschäften der Hinterleute in Rumänien gegen Zahlung eines Entgelts von 3.000 Euro für jede Fahrt nach Deutschland zu beteiligen. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Entgeltabrede und eine entsprechende Gewinnerwartung des Angeklagten P. später entfallen sind. Das Landgericht hat vielmehr angenommen, dass die Annahme fern liege, er habe die abgeurteilten Taten begangen, ohne selbst einen Anteil am Erlös des Verkaufs der Mietsachen zu erwarten. Dann aber liegt gewerbsmäßiges Handeln nahe. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, warum das Landgericht sie verneint hat.
40
b) Die Taten können nach den Feststellungen des Landgerichts vom Angeklagten P. auch bandenmäßig begangen worden sein.
41
aa) Bandenmäßig im Sinne des § 263 Abs. 5 StGB handelt, wer den Betrug als Mitglied einer Bande begeht, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 StGB verbunden hat. Eine Bande ist gegeben, wenn sich mindestens drei Personen mit dem Willen zusammengeschlossen haben, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten der genannten Art zu begehen. Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 204/06, NStZ 2007, 269).
42
Allerdings hat die bloße Verbindung zu einer Bande nicht zur Folge, dass jeder Betrug dem Täter als bandenmäßig begangene Straftat anzulasten ist. Vielmehr ist nach allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich Bandenmitglieder hieran als Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder keinen Beitrag dazu geleistet haben (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2012 – 3 StR 403/12). Eine Bandentat liegt allerdings schon vor, wenn an einem Eingehungsbetrug nur ein Bandenmitglied bei der Täuschungshandlung mitgewirkt hat, während andere Bandenmitglieder ihre Tatbeiträge im Hintergrund geleistet haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2001 – GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 332 ff.). Die für das Qualifikationsmerkmal bestimmende Organisationsgefahr besteht selbst dann, wenn nach einem Eingehungsbetrug durch ein Bandenmitglied andere Bandenmitglieder für die Verwertung der betrügerisch erlangten Sache Sorge tragen sollen und dies vorab als ihr Tatbeitrag vorgesehen war. Der Qualifikationstatbestand des § 263 Abs. 5 StGB setzt nicht voraus, dass mehrere Beteiligte bereits bei der Täuschung eines anderen unmittelbar mitwirken (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 263 Rn. 211).
43
bb) Nach diesem Maßstab liegt eine bandenmäßige Begehung der festgestellten Betrugstaten des Angeklagten P. nahe. Das Landgericht ist von „or- ganisierter Kriminalität“ ausgegangen, ohne zu erläutern, warum keine ban- denmäßige Begehung von Betrugstaten vorliegen soll.
44
(1) Nach den getroffenen Feststellungen kommt in Betracht, dass der Angeklagte P. einer Bandenabrede in seinem „Bekannten- bzw. Freundes- kreis“ beigetreten war. Diese ist in der Folgezeitnicht entfallen. Die nach dem Erlebnis der Tötung eines Menschen abgegebene Erklärung des Angeklagten P. , er wolle „aussteigen“, hat er nach den weiter erlittenen Repressalien offenbar nicht aufrechterhalten.
45
Im Übrigen bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Beweiswürdi- gung des Landgerichts, die zu der Feststellung geführt hat, er habe die „Hinrichtung“ eines Unbekannten miterlebt und sei später unter Bezugnahme darauf bedroht und eingesperrt worden, damit er seinen Entschluss „auszusteigen“ zurücknehme. Diese Einlassung hat das Landgericht hingenommen, weil es - anders als bei den Entführungsbehauptungen - keinen Gegenbeweis mit an- deren Beweismitteln führen konnte. Es war jedoch nicht ohne weiteres dazu gezwungen, eine Einlassung hinzunehmen, für deren Richtigkeit es keinen Anhaltspunkt gibt. Es hat zudem versäumt, diese Behauptung des Angeklagten P. einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen.
46
Nach den getroffenen Feststellungen ist kein Grund dafür erkennbar, warum der Mörder den Angeklagten P. bereits als Zeugen seiner Tat hinzuziehen sollte, bevor dieser erklärte, er wolle „aussteigen“. Warum sich trotz Namens- nennung der an der Hinrichtung angeblich beteiligten Personen und der Tatortbeschreibung keine Hinweise darauf ergeben haben, dass eine solche Hinrichtung tatsächlich erfolgt ist, hat das Landgericht nicht erläutert.
47
(2) Nach den Tatumständen ist es naheliegend, dass die Taten des Angeklagten P. jeweils Bandentaten waren. Zwar hat das Landgericht zum Verkauf der Fahrzeuge, Anhänger und Bagger in Rumänien keine Einzelheiten feststellen können. Das ist jedoch weder für die Feststellung einer Bandenabrede noch einer Bandentat zwingend erforderlich. Vorauszusetzen ist nur, dass die Zugehörigkeit von mindestens drei Personen zur Bande und die Mitwirkung von Bandenmitgliedern als Täter oder Beteiligte an der jeweiligen Tat feststeht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2001 – GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 328 ff.). Ein Bandenmitglied muss die weiteren Bandenmitglieder nicht persönlich kennen. Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen, dass es dem Landgericht nicht möglich war, eine ausreichende Mindestzahl von Bandenmitgliedern und deren Mitwirkung an den einzelnen Taten festzustellen.
48
2. Das Landgericht hat ferner seine Kognitionspflicht aus § 264 Abs. 2 StPO verletzt, weil es nicht erörtert hat, ob die vom Angeklagten P. angeworbenen Fahrer um den versprochenen Lohn betrogen wurden. Dies liegt nach dem Gesamtgeschehen nahe, da keiner der Fahrer den versprochenen Lohn erhalten hat.
49
Die gegebenenfalls im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB rechtlich selbständigen Handlungen des jeweiligen Eingehungsbetrugs zum Nachteil der Fahrer sind zwar in der Anklageschrift nicht ausdrücklich genannt. Sie beträfen aber jeweils denselben Lebenssachverhalt und damit dieselben Taten im prozessualen Sinn.
50
II. Die Freisprechung des Angeklagten B. vom Vorwurf der Beteiligung an dem Eingehungsbetrug oder der Anschlussunterschlagung in den Fällen II.5. bis II.8. der Urteilsgründe ist rechtlich nicht zu beanstanden.
51
Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist insoweit keinen Rechtsfehler auf. Weder hat das Landgericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt, noch lässt seine Beweiswürdigung Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze erkennen. Es hat nicht übersehen , dass für den Angeklagten B. verschiedene Umstände auffällig waren. Das Landgericht hat jedoch Gegengründe berücksichtigt, wie die anfängliche Plausibilität der Äußerungen des Angeklagten P. gegenüber dem Angeklagten B. und die scheinbare Seriosität des ihm vorgestellten „Chefs“. Wenn das Landgericht schließlich im Hinblick auf die begrenzten intel- lektuellen Fähigkeiten des Angeklagten B. davon ausgegangen ist, dass dieser nicht ausschließbar bis zuletzt gutgläubig gewesen ist, liegt nur eine rechtsfehlerfreie Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten B. vor. Fischer Appl Krehl Eschelbach Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 255/16
vom
25. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:251016U5STR255.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dr. Berger, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Gruppenleiterin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 20. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben
a) in den Fällen II.A.2 und A.3 der Urteilsgründe und
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II.B.2 der Urteilsgründe und
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub, wegen Beihilfe zum schweren Raub und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt weitgehend vertreten wird, in den Fällen II.A.2 und II.A.3 der Urteilsgründe eine Verurteilung des Angeklagten wegen mittäterschaftlicher Tatbegehung und im Fall II.B.2 der Urteilsgründe seine Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. Die Revisionen erzielen jeweils den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war gut bekannt mit dem früheren Mitangeklagten und gesondert Verurteilten G. , dem er mehrfach Betäubungsmittel geliefert hatte. Er schlug G. , der Geld durch Raubtaten erlangen wollte, in zwei Fällen Tatobjekte vor, ohne selbst bei der Tatausführung in Erscheinung treten zu wollen.

a) Zunächst gab der Angeklagte ihm den Tipp für einen Raubüberfall auf
4
das Juweliergeschäft „D. “ in K. . Beide fuhren dorthin und be- obachteten das Geschäftslokal, das danach auch G. als Tatobjekt für geeignet hielt. Dieser gewann für die Tatbegehung drei Mittäter. Mit dem gesondert verfolgten Mittäter Sc. begab er sich erneut nach K. , um dort die Öffnungszeiten und die Arbeitsgewohnheiten des Geschäftsinhabers auszukundschaften. Er plante den Raubüberfall so akribisch, dass der Angeklagte aufgrund des Zeitablaufs mehrmals nachfragte, wann nun die Tat stattfinden solle. Nach der ursprünglichen Planung des von G. und seinen Komplizen am Vormittag des 9. März 2013 schließlich durchgeführten Überfalls sollte dabei eine Gaspistole des Mittäters Sc. verwendet werden. Da dieser seine Pistole jedoch nicht dabei hatte, erklärte sich der Angeklagte morgens auf telefonische Anfrage G. s bereit, ihm eine Waffe für den Überfall zur Verfügung zu stellen. G. holte bei ihm eine mit scharfer Munition geladene Pistole ab, die er anschließend an Sc. übergab, damit dieser sie zur Drohung einsetzen konnte.
Bei dem nachfolgenden Überfall auf das Juweliergeschäft, dessen Inha5 ber die Schusswaffe vorgehalten wurde, erbeuteten G. und seine Komplizen Gold, Schmuck und Bargeld im Gesamtwert von 33.000 Euro. Auf der Flucht vom Tatort gab Sc. einen Schuss in Richtung des ihn verfolgenden geschädigten Geschäftsinhabers ab und verfehlte ihn knapp. Das erbeutete Bargeld wurde zwischen G. und seinen drei Komplizen geteilt. Das Gold veräußerte G. und beteiligte an dem Erlös nur noch Sc. . Der Angeklagte , der als Tippgeber grundsätzlich an der Beute beteiligt werden sollte, erhielt kein Geld. G. übergab ihm einen Teil des erbeuteten Schmucks zur Veräußerung , ohne dass G. hierfür später einen Erlös erhielt (Fall II.A.2 der Urteilsgründe).

b) Weiterhin machte der Angeklagte dem früheren Mitangeklagten
6
G. den Vorschlag, ein Internetcafé in A. zu überfallen, in dem sich ein Filialgeschäft des Geldtransferunternehmens W. U. befand. Er wusste, wo dort Geld aufbewahrt wurde, und ihm war bekannt, dass insbesondere freitags größere Geldmengen vorhanden wären und dann eine Beute von etwa 10.000 Euro in Aussicht stehen würde. Er gab seine Informationen an G. weiter, und es wurde der Plan entwickelt, das Internetcafé an einem Freitag zu überfallen. G. , der die Tat gemeinsam mit den gesondert verfolgten Mittätern Sc. und M. begehen wollte, kundschaftete zunächst mit dem Angeklagten und M. die Örtlichkeit des geplanten Überfalls aus, bei dem eine Schreckschusswaffe benutzt werden sollte.
7
Nach einer weiteren Erkundung der Geschäftsräume durch G. und M. begaben sich beide gemeinsam mit Sc. zur Ausführung der Tat am 3. Mai 2013, einem Freitag, zum Internetcafé. Wegen der zu großen Anzahl von Besuchern verschoben sie die Tatbegehung jedoch um zwei Tage. Bei ihrem Raubüberfall am Abend des 5. März 2013 wurde der geschädigte Geschäftsinhaber mit einer Pistole bedroht, die – was dem Angeklagten nicht bekannt war – mit scharfer Munition geladen war. Die Beute betrug lediglich 300 Euro. Als G. und M. am nächsten Tag hiervon dem Angeklagten berichteten, verlangte dieser gleichwohl seinen zuvor verabredeten Anteil von 20 % an der Beute; sie wurde letztlich aber nur unter den Mittätern M. und Sc. aufgeteilt (Fall II.A.3 der Urteilsgründe).

c) Die Strafkammer hat den Angeklagten in beiden Fällen jeweils als Ge8 hilfen angesehen und ihn im Fall II.A.2 wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 27 StGB und im Fall II.A.3 wegen Beihilfe zum schweren Raub gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b,
27 StGB verurteilt. Sie hat bei ihrer Bewertung der Beteiligungsform maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte, der nicht mehr in die weitere Ablaufplanung oder die Auswahl von Mittätern eingebunden gewesen sei, abgesehen von der Übergabe der Waffe im Fall II.A.2 weder den genauen Zeitpunkt noch die Art der Tatausführung beeinflusst habe. Dies spreche gegen eine üblicherweise einem Mittäter zukommende Tatherrschaft.
9
2. a) In einer von ihm angemieteten und allein genutzten Dachgeschosswohnung , die ihm zur Lagerung und Portionierung sowie als „Drogenkü- che“ zur Streckung von Betäubungsmitteln diente und bis auf eine Küchenzeile und einen Werkstattwagen unmöbliert war, verwahrte der Angeklagte insgesamt 1.425 g Marihuana (THC-Wirkstoffanteil 80,5 g) und 1.248 g Amphetamin (114 g Amphetaminbase) nebst 3 kg Streckmittel und Verpackungsmaterial. Die Betäubungsmittel, die er gewinnbringend verkaufen wollte, wurden bei einer Durchsuchung am 8. Dezember 2014 sichergestellt. Dabei wurden in einem unverschlossenen Schrank im Hausflur vor der Wohnung auch Haschischplatten mit einem Gesamtgewicht von 997 g gefunden, bei denen sich eine mit elf Patronen geladene Pistole befand (Fall II.B.2 der Urteilsgründe).
10
b) Eine eindeutige Zuordnung der im Vorflur der Wohnung gefundenen Haschischplatten nebst Schusswaffe hielt die Strafkammer nicht für möglich, da dieses Rauschgift in einem unverschlossenen Schrank gelagert habe, der sich im Hausflur in einem über das Treppenhaus für mehrere Personen zugänglichen Bereich befunden habe. Sie hat daher zu Gunsten des Angeklagten angenommen , dass das Haschisch und die Waffe dort von einer dritten Person deponiert worden sein könnten.

II.


11
Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.A.2 und II.A.3 Insoweit hält die revisionsgerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
12
1. Die Beweiswürdigung zu Fall II.A.2 erweist sich als lückenhaft.
13
In den Urteilsgründen wird die Aussage des als Zeugen vernommenen Mittäters Sc. nur am Rande mit der Feststellung erwähnt, er habe zu einer Beteiligung des Angeklagten an der Tat in K. nichts bekunden können (UA S. 20). Damit lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, ob sich dieser Zeuge zu der Behauptung des einzigen Belastungszeugen G. geäußert hat, Sc. habe am Morgen der Tat seine beim Überfall als Waffe vorgesehene Gasdruckpistole vergessen, sodass er, G. , kurzfristig eine andere Waffe habe beschaffen müssen, die er Sc. danach ausgehändigt habe. Diese Dar- stellung hat das Landgericht seiner Feststellung zugrunde gelegt, dass der Angeklagte die Tatwaffe zur Verfügung gestellt habe. Eine Hinterfragung dieser eine Tatbeteiligung des Angeklagten betreffenden Schilderung G. s hat insbesondere deshalb nahe gelegen, weil ihr zufolge der Mittäter Sc. entgegen der ursprünglichen Planung nunmehr eine scharfe Waffe verwendet und mit ihr auch geschossen hatte. Auch versteht es sich nach den Urteilsgründen nicht von selbst, weshalb G. gemeinsam mit seinen Mittätern zur Beschaf- fung einer Tatwaffe einen Umweg zum Tatort in Kauf genommen haben will, statt Sc. veranlasst zu haben, seine „vergessene" Waffe noch zu holen. Eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Aussage des ZeugenSc. , in dessen Wahrnehmungsbereich die gemeinsame Fahrt mit G. zum Tatort und die Umstände einer Beschaffung der Tatwaffe fielen, ist hier angesichts der auch vom Landgericht bei Würdigung der Beweislage angenommenen Aussage -gegen-Aussage-Konstellation geboten gewesen, zumal das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass bei dem Zeugen G. , der mit seinen früheren Aussagen in den Genuss einer Strafmilderung nach § 46b StGB kommen wollte, die Gefahr einer Falschbelastung des Angeklagten bestanden habe.
14
Hinzu kommt, dass das Landgericht bei den Schilderungen des Zeugen G. , denen es „eine hohe Konstanz“ beigemessen hat, eine erhebliche Divergenz in seinen Angaben zur Fahrt zum Tatort und zur Reihenfolge von Beschaffung der Waffe und Fahrtantritt unzureichend gewürdigt hat: Während G. nach seiner Zeugenaussage in der Hauptverhandlung die Waffe auf der gemeinsamen Fahrt zum Tatort beim Angeklagten besorgt haben will (UA S. 17), schilderte er in seiner früheren Einlassung als Angeklagter in seinem eigenen Verfahren, erst die Waffe beim Angeklagten inA. besorgt und sich hernach mit den Mittätern in seiner Wohnung in Ka. getroffen zu haben , um sodann zum Tatort nach K. zu fahren (UA S. 18). Diese Abweichung hat das Landgericht verkürzend allein unter dem Gesichtspunkt der Fahrt zum Tatort als eine nur unterlassene Erwähnung eines „Zwischenstopps" gewürdigt (UA S. 19). Bei der Erörterung dieses Aspekts hat es zudem nicht erkennbar den Umstand aussagekritisch bedacht, dass bei der von G. als Zeugen behaupteten Komplikation einer erst „kurzfristig“ am Morgen des Tattages von ihm zu beschaffenden anderen Tatwaffe trotz eines erheblichen Umwegs mit zwei Zwischenhalten auf dem Weg vonKa. nach K. , bei denen auch eine längere Fahrtstrecke in einer zum Tatort entgegengesetzten Richtung zurückzulegen war, die ursprünglich geplante Tatzeit von 9:30 Uhr (UA S. 17) mit der tatsächlich festgestellten Tatzeit von 9:40 Uhr (UA S. 9) nahezu eingehalten wurde.
2. Auch hinsichtlich des Falls II.A.3 beruhen die Feststellungen auf keiner
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tragfähigen Beweiswürdigung.
Zwar hat sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung nicht nur
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auf die Aussage des Zeugen G. , sondern auch auf die des weiteren Mittäters M. stützen können. Zudem hatte der Angeklagte zu diesem von ihm ebenfalls bestrittenen Tatvorwurf eingeräumt, mit G. und M. den späteren Tatort in A. einmal aufgesucht und von G. erfahren zu haben, dass dieser dort Geld an sich bringen wolle. Im Rahmen seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht jedoch ausgeführt, dass sich bereits „ein Muster im straf- rechtlichen Verhalten“ des Angeklagten abzeichne, der sich als Tippgeber für Überfälle im Hintergrund halte und sich für seine Informationen entlohnen lasse (UA S. 26). Insoweit hat das Landgericht allerdings maßgeblich auf die indizielle Bedeutung der festgestellten ersten Tatbeteiligung beim Überfall inK. abgestellt und damit auf einen Umstand, der – nach den vorstehenden Ausführungen zu II.1 – nicht berücksichtigt werden durfte.
17
3. Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.A.2 und II.A.3 zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft führt überdies zur Aufhebung der
18
Verurteilung im Fall II.B.2 der Urteilsgründe (dazu unter III.2). Darauf, dass das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in den Fällen II.A.2 und II.A.3 der Urteilsgründe auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), kommt es nach dem diesbezüglichen Erfolg der Revision des Angeklagten nicht mehr an(vgl. BGH, Urteile vom 23. Januar 2003 – 4 StR 412/02, NJW 2003, 2036, 2037; vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186, 189; vom 15. Juli 2008 – 1 StR 144/08; vom 28. September 2011 – 2 StR 93/11; vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 55/12, BGHSt 58, 102, 110, und vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Im Übrigen ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unbegründet, soweit sie sich zu Ungunsten des Angeklagten gegen die Schuldsprüche in den Fällen II.A.2 und II.A.3 wendet (dazu nachfolgend unter III.1).
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1. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in den Fällen II.A.2 und II.A.3 hält die Bewertung der Beteiligung des Angeklagten an den beiden Raubtaten lediglich als Beihilfe rechtlicher Prüfung stand.
20
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Mittäter , wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den von seiner Vorstellung umfassten gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; Beschlüsse vom 29. September 2005 – 4 StR 420/05, NStZ 2006, 94; vom 26. März 2014 – 5 StR 91/14, und vom 14. Juli 2016 – 3 StR 129/16, StraFo 2016, 392, 393). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatgericht für die ihm obliegende Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass das Tatgericht die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (BGH, Urteile vom 17. Juli 1997 – 1 StR 781/96, NJW 1997, 3385, 3387; vom 20. Januar 1998 – 5 StR 501/97, NStZ-RR 1998, 136; vom 31. Oktober 2001 – 2 StR 315/01, NStZ-RR 2002, 74, 75; vom 17. Oktober 2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; vom 10. November 2004 – 5 StR 403/04, NStZ-RR 2005, 71; vom 27. September 2012 – 4 StR 255/12, NStZ-RR 2013, 40, 41, und vom 10. Dezember 2013 – 5 StR 387/13).
21
b) Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass die Strafkammer diese Maßstäbe erkannt und ihrer Beurteilung der Tatbeiträge des Angeklagten zugrunde gelegt hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie unter ausdrücklicher Darstellung der vorgenannten Abgrenzungskriterien im Rahmen der rechtlichen Würdigung der Raubtaten eine differenzierende Betrachtung der jeweiligen Tatbeiträge des Angeklagten vorgenommen hat. Dabei hat die Strafkammer berücksichtigt, dass der Angeklagte an der konkreten Tatplanung und unmittelbaren Tatausführung durch G. und dessen Mittäter nicht beteiligt war. Umstände, die für mittäterschaftliches Handeln sprechen könnten, hat sie nicht außer Acht gelassen, deren Gewicht jedoch mit vertretbaren Erwägungen relativiert.
So hat das Landgericht im Hinblick auf eine Beteiligung an der Beute ge22 sehen, dass der Angeklagte im Fall II.A.2 keinen festen prozentualen Anteil erhalten sollte und von G. erst nach Teilung zwischen ihm und seinen Mittätern beteiligt wurde, die von dem Angeklagten als Tippgeber auch nichts wuss-
ten (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2001 – 2 StR 315/01, NStZ-RR 2002, 74, 75). Im Fall II.A.3 erhielt er letztlich nicht den vereinbarten prozentualen Anteil an der Beute, der für die mittäterschaftliche Beteiligung eines Tippgebers sprechen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1990 – 4 StR 143/90, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatherrschaft 4). Soweit der Angeklagte im Rahmen der Tatvorbereitung vor beiden Raubtaten die Örtlichkeiten mit G. in Augenschein nahm, machte es dessen weiteres eingehendes Auskundschaften mit anderen Tatgenossen zur näheren Tatplanung nicht entbehrlich. Die Zurverfügungstellung der Tatwaffe durch den Angeklagten im Fall II.A.2 war zwar eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung des geplanten Überfalles , jedoch erfolgte dies nicht aufgrund eigener Initiative des Angeklagten. Im Rahmen seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht die Nähe der Tatbeiträge des Angeklagten zur Beteiligungsform der Mittäterschaft nicht verkannt, allerdings maßgeblich darauf abgestellt, dass vor allem die fehlende Tatherrschaft für Teilnahmehandlungen in Form der Beihilfe sprechen.
23
Das Landgericht hat das Beweisergebnis danach umfassend gewürdigt und sich bei der Einordnung der Beteiligung des Angeklagten noch im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum gehalten. Dass eine andere Bewertung möglich gewesen wäre, macht das gefundene Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft.
24
2. Die Verurteilung im Fall II.B.2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand. Die Revision wendet sich mit Recht gegen die Beweiswürdigung, die der unterlassenen Zuordnung der Haschischplatten und der Schusswaffe zum Betäubungsmittelhandel des Angeklagten zugrunde liegt, und gegen den Schuldspruch nur wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

a) Das Revisionsgericht hat es allerdings grundsätzlich hinzunehmen,
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wenn das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermag; dies gilt auch für die Verwirklichung der Voraussetzungen einer Qualifikation. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, NJW 1995, 2300, 2301, und vom 3. Juni 2015 – 5 StR 55/15, NStZ-RR 2015, 255, 256 mwN).
26
b) Hier hat das Landgericht die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche richterliche Überzeugungsbildung überspannt. Schon angesichts der räumlichen Nähe des unverschlossenen Schranks zu der allein vom Angeklagten genutzten Dachgeschosswohnung war es wahrscheinlich, dass er das Haschisch und die Waffe dort abgelegt hatte, zumal sich in diesem Obergeschoss keine weitere Wohnung befand. In die gebotene Gesamtwürdigung aller Umstände wäre weiter einzustellen gewesen, dass der Angeklagte erhebliche Mengen Rauschgift auch in dieser Wohnung lagerte, ohne sämtliche in seinem Besitz befindlichen Betäubungsmittel dort zu konzentrieren, wie die in seiner Privatwohnung zeitgleich am 8. Dezember 2014 sichergestellten 78 g Marihuana belegen. Demgegenüber entbehrt die Annahme des Landgerichts, das Haschisch und die Waffe könnten ungesichert von einer anderen, unbekannten Person im Vorflur vor der Wohnung des Angeklagten aufbewahrt worden sein, einer realen Anknüpfungsgrundlage. Es handelt sich um eine rein theoretische Überlegung, auf die das Tatgericht vernünftige Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht stützen kann.
3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.B.2 der Urteilsgründe zieht
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die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
4. Das neue Tatgericht wird, um seiner Kognitionspflicht (§ 264 Abs. 1
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StPO) hinsichtlich des dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 14. Januar 2015 vorgeworfenen Betäubungsmitteldelikts zu genügen, den im Tatkomplex II.B der Urteilsgründe festgestellten Sachverhalt auch hinsichtlich der am 8. Dezember 2014 in der Privatwohnung des Angeklagten sichergestellten 78 g Marihuana zu würdigen haben, die das Landgericht der zum Handeltreiben bestimmten Menge nicht zugerechnet hat (UA S. 29). Insoweit kommt bei erneuter Feststellung, dieses Rauschgift habe seinem Eigenkonsum gedient, eine Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Betracht.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja, aber ohne die Ausführungen zu II. 2a und 3a (Verfahrensrügen
)
Veröffentlichung: ja
BranntwMonG §
143
1. Für ein Entziehen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus
einem Steueraussetzungsverfahren reicht ein Verhalten aus, mit dem
eine bestehende Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit über Waren
beseitigt wird, so daß für die Zollbehörden die Eigenschaft der Waren
als verbrauchsteuerpflichtig, aber unversteuert nicht mehr erkennbar ist.
2. Jedes in den Gesamtablauf eingebundene Mitglied einer Schmuggelorganisation
ist zur Anmeldung der durch die Entziehung entstandenen
Verbrauchsteuern verpflichtet und damit tauglicher Täter einer Steuerhinterziehung
im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn es nach
allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen als Mittäter der Entziehung
anzusehen ist.
3. Zur Berücksichtigung der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder
einer Schmuggelorganisation für entstandene Verbrauchsteuern im
Rahmen der Strafzumessung.
BGH, Urt. v. 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 24. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 23. und 24. Oktober 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt H ,
Rechtsanwältin S
als Verteidiger des Angeklagten Ha ,
Rechtsanwalt St ,
Professor J
als Verteidiger des Angeklagten R ,
Rechtsanwalt D
als Verteidiger des Angeklagten T ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 24. Oktober 2002 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten Ha und R wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juni 2001 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten T wird das ihn betreffende, weitere Urteil des Landgerichts Berlin vom selben Tage im Strafausspruch aufgehoben.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten Ha und R wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen, jeweils begangen in Tateinheit mit Urkundenfälschung , zu Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten bzw. drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten T hat es nach Abtrennung des Verfahrens durch gesondertes Urteil wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die gegen ihre Verurteilung gerichteten Revisionen der Angeklagten haben nur zum Strafausspruch Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts gehörten die Angeklagten spätestens seit Herbst 1998 zu einer Personenvereinigung, die arbeitsteilig im Rahmen einer eingespielten Organisation fortgesetzt Alkohol in erheblichem Umfang aus der Europäischen Union an den Zollbehörden vorbei nach Polen schmuggelte. Dabei wurden im Zeitraum zwischen Mitte Dezember 1998 und Ende März 1999 von Mitgliedern dieser Schmuggelorganisation unter Mitwirkung der Angeklagten sieben Transporte mit je 28.600 Litern (ein Lkw) bzw. 57.200 Litern (zwei Lkw) extra reinen Alkohols (96 %iger Feinsprit) von Frankreich nach Polen geschmuggelt, die jeweils zunächst im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren unter Steueraussetzung zur Ausfuhr in die Ukraine abgefertigt worden waren. Die von der Organisation für den Schwarzmarkt in Polen bestimmten Alkoholtransporte wurden, um das in Polen bestehende Einfuhrverbot für Alkohol zu umgehen und um die nicht ordnungsgemäße Ausfuhr aus der Europäischen Union zu verschleiern, bei der Ausfuhr aus Deutschland als Chemikalien deklariert und unter Täuschung der Zollbehörden über die wahre Ladung nach Polen eingeführt. Dazu wurden auf deutschem Hoheitsgebiet die im Steueraussetzungsverfahren mitzuführenden französischen begleitenden Verwaltungsdokumente (DCA) gegen gefälschte CMR-Frachtbriefe ausgetauscht, die als Ladung Chemikalien auswiesen. Anschließend wurde der jeweils bis dahin auf Lastkraftwagen beförderte und von Mitgliedern der Organisation in Personenkraftwagen begleitete Alkohol in Hamburg in Bahncontainer umgeladen und per Eisenbahn nach Polen versandt. Durch die Nichtanmeldung der dem Steuerversandverfahren in den sieben Fällen entnommenen Alkoholtransporte wurde Branntweinsteuer in Höhe von mehr als 7,7 Mio. DM hinterzogen.
Im Rahmen der Arbeitsteilung bei Durchführung der Transporte war der Angeklagte T für den Einkauf des Alkohols in Frankreich und dessen Bezahlung zuständig. Hierbei erhielt er für jede Lkw-Ladung Alkohol von der Schmuggelorganisation eine „Belohnung“ von mindestens 3.000 DM. Insgesamt bestellte er bis März 1999 sechzig Lkw-Ladungen Alkohol. Zu der Organisation gehörte auch sein Bruder, der gesondert verfolgte P T , der zusammen mit weiteren, zumeist unbekannt gebliebenen Personen aus Polen die Transporte steuerte, die Tarnpapiere beschaffte und den Absatz des Alkohols auf dem Schwarzmarkt in Polen organisierte. In den Aufgabenbereich des Angeklagten Ha fiel die Abwicklung der Umladung der bereits mit gefälschten Frachtpapieren angelieferten Alkoholladungen in Bahncontainer sowie die Prüfung der gefälschten CMR-Frachtbriefe auf ihre Eignung zur Täuschung. Zur Abwicklung der Umladung zog er den Angeklagten R hinzu, der als einer der geschäftsführenden Gesellschafter die Lagerei Sch im Hamburger Freihafen leitete. Für ihre Mitwirkung erhielten der Angeklagte Ha von der Organisation 3.000 DM je umgeladener Lkw-Ladung, der Angeklagte R 1.000 DM pro Container. Daneben durfte der Angeklagte R in den vier Fällen, in denen die Umladung auf dem Gelände der Firma Sch durchgeführt wurde (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe), als „Risikozuschlag“ eine Rechnung mit einer Gewinnspanne von 500 DM statt üblicherweise 100 DM pro Container stellen.
Die verfahrensgegenständlichen Transporte gingen im einzelnen wie folgt vonstatten:
Der Alkohol wurde von der Organisation bei der Distillerie G in Aigre/Frankreich bezogen. Dort bestellte der Angeklagte T jeweils die entsprechende Abnahmemenge. Anschließend wickelte er die Bezahlung – zumeist persönlich in bar – über die Luxemburger Firma E des Zeugen K ab. Nachdem die Firma E der Herstellerfirma die Bezahlung des Kaufpreises bestätigt hatte, eröffnete diese als Versender ein
Steuerversandverfahren unter Steueraussetzung zur Ausfuhr aus dem Ver- brauchsteuergebiet der Europäischen Gemeinschaft über das Grenzzollamt Frankfurt/Oder. Als Empfänger wurde die Firma „V “ in Vinogradov/Ukraine angegeben, die von der Schmuggelorganisation speziell zu dem Zweck gegründet worden war, als Tarnempfängerin aufzutreten. Der Alkohol wurde dann von Mitgliedern der Schmuggelorganisation mit Lastzügen statt zum Ausgangszollamt Frankfurt/Oder nach Hamburg gebracht. Vor der Anlieferung im Hamburger Hafen wurden die französischen, bei Alkoholtransporten im Steuerversandverfahren mitzuführenden begleitenden Verwaltungsdokumente (DCA) auf deutschem Hoheitsgebiet gegen CMRFrachtbriefe ausgetauscht, die als Ladung Chemikalien auswiesen und als Versender deutsche Tarnadressen nannten. Bei den CMR-Frachtbriefen handelte es sich um Totalfälschungen, die von Mitgliedern der Organisation in Polen für diesen Zweck hergestellt worden waren. Die begleitenden Verwaltungsdokumente (DCA) wurden mit nachgemachten Ausfuhrstempeln an die Firma G , welche die Steuerversandverfahren eröffnet hatte, zurückgesandt. Damit sollte der Anschein einer ordnungsgemäßen Ausfuhr des Alkohols unter zollamtlicher Überwachung erweckt werden. Ziel des Austausches der Frachtpapiere war die Täuschung der polnischen Zollbehörden zur Umgehung des polnischen Einfuhrverbotes.
Der Angeklagte Ha prüfte sodann die gefälschten CMRFrachtbriefe auf ihre Eignung zur Täuschung und wickelte mit dem Angeklagten R die Umladung der Alkoholtransporte zum Weiterversand mit Bahncontainern nach Polen ab. Zur Verschleierung der Alkoholtransporte schalteten sie die Firma I aus Campione, einer italienischen Enklave in der Schweiz ein, welche mit der Umladung von „Chemikalien“ und deren anschließenden Transport nach Polen unter Einschaltung der Spedition Rü beauftragt wurde. In den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe wurde der angelieferte Alkohol auf dem Gelände der Firma Sch C , in den übrigen Fällen bei einer anderen Firma im Hamburger Hafen, in Bahncontainer umgeladen.
Bei Abwicklung der Transporte hielt der Angeklagte Ha Kontakt zu P T und weiteren polnischen Hintermännern und übermittelte ihnen die Containernummern. Diese wurden ihm jeweils vom Angeklagten R mitgeteilt, der mit dem Geschäftsführer der Firma I in Verbindung stand und – sofern die Umladungen nicht auf seinem Firmengelände stattfanden – die Containernummern bei der Spedition Rü erfragte.
Alle drei Angeklagten nahmen zumindest billigend in Kauf, daß durch den Austausch der Frachtpapiere in Deutschland und einer damit verbundenen Entziehung der Alkoholtransporte aus der zollamtlichen Überwachung deutsche Branntweinsteuer entstand; dennoch gaben sie entsprechende Steueranmeldungen nicht ab. Sie hielten einerseits eine ordnungsgemäße Ausfuhr aus der Europäischen Union mit anschließendem Einführen unter falscher Warenbezeichnung nach Polen wegen der Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Grenzkontrollstellen nicht für möglich; andererseits war für sie nur unversteuerter Alkohol auf dem Schwarzmarkt in Polen mit Gewinn absetzbar.

II.


Die Revisionen der Angeklagten sind zum Schuldspruch unbegründet.
1. Revision des Angeklagten Ha

a) Die Verfahrensrügen entsprechen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind daher bereits unzulässig.

b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen jeweils den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung.
aa) Eine unechte Urkunde gebraucht (im Sinne von § 267 Abs. 1 3. Alternative StGB), wer sie zum Zwecke der Täuschung im Rechtsverkehr der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich macht (vgl. BGHSt 36, 64, 65; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 267 Rdn. 23).
Der Angeklagte hat vorsätzlich falsche Urkunden gebraucht, indem er die von Mitgliedern der Schmuggelorganisation mit den Alkoholtransporten angelieferten Totalfälschungen von CMR-Frachtbriefen für Chemikalienlieferungen nach dem Umladen auf Bahncontainer in Hamburg den Alkohollieferungen wieder beifügen ließ. Hierdurch sollten insbesondere die Zollbehörden beim Weitertransport des Alkohols auf der Schiene nach Polen über die Art der transportierten Ware getäuscht werden.
Die von dem Angeklagten begangene Urkundenfälschung erstreckt sich auch auf das von anderen Mitgliedern der Schmuggelorganisation auf deutschem Hoheitsgebiet schon vor dem Anliefern des Alkohols in Hamburg vorgenommene Austauschen der begleitenden Verwaltungsdokumente mit gefälschten CMR-Frachtbriefen. Deren Handeln ist dem Angeklagten wie eigenes Handeln zuzurechnen. Der Angeklagte war Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) aller im Rahmen des Alkoholschmuggels von Frankreich nach Polen von Mitgliedern der Schmuggelorganisation arbeitsteilig begangenen Straftaten. Der Alkoholschmuggel umfaßte das gesamte Tatgeschehen von der Beschaffung des Alkohols in Frankreich über den Transport nach Deutschland , den Austausch der Frachtpapiere, die Umladung in Bahncontainer bis hin zum Einschmuggeln an den polnischen Zollbehörden vorbei nach Polen.
(1) Mittäterschaftlich handelt derjenige, der aufgrund eines gemeinsamen Tatplans einen für die Deliktsbegehung förderlichen Tatbeitrag leistet, welcher sich nach seiner Willensrichtung nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen läßt. Ob dies der Fall ist, ist in wertender Betrachtung zu beant-
worten. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung können das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (st. Rspr., vgl. BGHSt 37, 289, 291; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 2 m. w. N.). Auf der Grundlage gemeinsamen Wollens kann dabei sogar eine bloße Mitwirkung bei der Tatvorbereitung oder eine sonstige Unterstützungshandlung ausreichen (vgl. BGHSt 40, 299, 301; BGH NStZ 1995, 120; 1999, 609). Allerdings kommt eine (sukzessive) Mittäterschaft dann nicht (mehr) in Betracht, wenn eine tatunterstützende „Beteiligungshandlung“ erst nach Beendigung einer Straftat – also nach dem Handlungsgeschehen, mit dem das Tatunrecht seinen Abschluß findet – einsetzt, selbst wenn die Mitwirkung vorher zugesagt worden ist (vgl. BGH, Beschl. vom 13. August 2002 – 4 StR 208/02; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 22 Rdn. 6, § 25 Rdn. 9 m. w. N.).
Die tatrichterliche Bewertung zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe ist dabei nur begrenzt der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Oktober 1997 – 4 StR 226/97). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Läßt das angefochtene Urteil – wie hier – erkennen, daß der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1997, 3385, 3387; NStZ-RR 1998, 136; jeweils m. w. N.).
(2) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die vom Landgericht vorgenommene , auf der Hand liegende Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Mittäterschaft und nicht als Beihilfe aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Der Angeklagte hatte erhebliches Eigeninteresse an den Taten. Auch wenn sein aus jedem Schmuggeltransport resultierender Gewinn von jeweils
3.000 DM im Hinblick auf das Gesamtvolumen der einzelnen Alkoholtrans- porte nicht sehr bedeutend erscheint, hatte diese Einnahmequelle für den Angeklagten erhebliche Bedeutung. Die Taten waren auf vielfache Tatbegehung in hoher Tatfrequenz ausgelegt. Jedenfalls durfte das Landgericht die Tatherrschaft des Angeklagten über einen wichtigen Teil des Gesamtgeschehens als ausschlaggebenden Grund für die Annahme einer Mittäterschaft heranziehen. Der Angeklagte war in der Schmuggelorganisation für den gesamten Bereich der Umladung des Alkohols, der einen hohen logistischen Aufwand und die Einschaltung mehrere Firmen erforderte, sowie für den Weiterversand der Ware nach Polen verantwortlich (UA S. 8 f.). Zu seinen Aufgaben gehörte die Überprüfung der gefälschten Frachtbriefe auf ihre Eignung zur Täuschung (UA S. 8) und der Kontakt zu den polnischen Hintermännern , die nur aufgrund seiner Übermittlung der Containernummern die Container in Empfang nehmen und den Alkohol auf den Schwarzmarkt bringen konnten (UA S. 13). Der in den Tatplan eingeweihte (UA S. 8) Angeklagte hatte damit innerhalb einer arbeitsteilig und konspirativ handelnden Schmuggelorganisation (UA S. 14) während eines wesentlichen Teils des Geschehensablaufes eine fast alleinige Herrschaft über wertvolle Ware, auf der bei einer Überführung in den freien Verkehr Verbrauchsteuern je Lieferung von 700.000 DM bzw. 1,4 Mio. DM lasteten.
Die Taten waren, als der Angeklagte seine Tatbeiträge erbrachte, noch nicht beendet, weil der Gebrauch der falschen Frachtpapiere andauerte und die steuerlichen Erklärungspflichten fortbestanden.
bb) Zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten auch wegen (mittäterschaftlich begangener) Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB) verurteilt. Er hat in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit den anderen für den Austausch der Frachtpapiere verantwortlichen Mitgliedern der Organisation gegen die sich aus § 143 Abs. 4 Satz 3 BranntwMonG ergebende Pflicht verstoßen, für die Alkohollieferungen nach Austausch der begleitenden Verwaltungsdokumente gegen
gefälschte CMR-Frachtbriefe unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben.
Täter einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann freilich nur sein, wer selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1). Diese Pflicht ergab sich indes hier für den Angeklagten daraus, daß er als Entzieher des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren in eigener Person Steuerschuldner der Branntweinsteuer geworden war (vgl. § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG). Der aus Frankreich im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren zum Zwecke der Ausfuhr in die Ukraine nach Deutschland transportierte Alkohol wurde diesem Verfahren im Inland entzogen; diese Entziehung ist dem Angeklagten zuzurechnen.
(1) Der nach den Urteilsfeststellungen im Inland erfolgte Austausch der Frachtpapiere stellt eine Entziehung des unter Steueraussetzung transportierten Alkohols aus diesem Verfahren im Sinne von § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG dar.
(a) Die Alkohollieferungen befanden sich im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren und damit in einem Steueraussetzungsverfahren, als sie zum Zwecke der Ausfuhr aus der Europäischen Gemeinschaft (zunächst ) nach Deutschland transportiert wurden (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BranntwMonG).
Sie wurden von der Distillerie G in Aigre/Frankreich zur Ausfuhr aus dem Verbrauchsteuergebiet der Europäischen Union unter Steueraussetzung abgefertigt (vgl. Art. 302 L i.V.m. Art. 302 E des französischen Code Général des Impôts, CGI; diese Regelung entspricht § 142 Abs. 1 BranntwMonG ) und durften steuerfrei in diesem Verfahren durch das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden (§ 133 Abs. 1 Nr. 2, § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BranntwMonG).
Das Steueraussetzungsverfahren ist auch wirksam eröffnet worden. Dem steht nicht entgegen, daß die Schmuggelorganisation nicht die Absicht hatte, den Alkohol tatsächlich an die lediglich als Tarnempfänger angegebene Firma „V “ in der Ukraine zu liefern.
Zwar ist dann kein wirksames Steueraussetzungsverfahren gegeben, wenn an einen nicht bezugsberechtigten Empfänger im Inland geliefert wird (BFH ZfZ 2000, 312) oder wenn der Versender in dem begleitenden Verwaltungsdokument einen nicht existierenden Empfänger angibt und dies auch weiß (FG Düsseldorf ZfZ 2000, 385).
Diese Fälle liegen hier aber nicht vor. Der Versender, die Firma G , hat einen tatsächlich existierenden Empfänger, die Firma „V “ angegeben und wollte die Ware auch dorthin liefern. Bei dieser Firma handelte es sich um eine Tarnfirma, nicht um eine Scheinfirma. Die Tatsache, daß die Schmuggelorganisation von Anfang an die Absicht hatte, die Ware nicht in die Ukraine, sondern nach Polen zu bringen, spielt für die Wirksamkeit des eröffneten Steueraussetzungsverfahrens ebensowenig eine Rolle wie die Tatsache, daß die angegebene Empfängerfirma die Ware nicht empfangen wollte. Entscheidend ist vielmehr, daß der Versender bei Eröffnung des Steueraussetzungsverfahrens die Ausfuhr an den angegebenen Empfänger tatsächlich beabsichtigte. Selbst wenn die Empfängerfirma als Scheinfirma anzusehen wäre, würde dies nicht dazu führen, ein von Anfang an unwirksames Steueraussetzungsverfahren annehmen zu können. Die Ware sollte ausgeführt werden und damit zu keiner Zeit im Inland an einen nicht bezugsberechtigten Empfänger gelangen. Ob der Empfänger in einem Drittland bezugsberechtigt ist, bleibt für die Wirksamkeit des Steueraussetzungsverfahrens , das am Ausgangszollamt endet, ohne Bedeutung. Der Alkohol ist damit nicht bereits in Frankreich mit Verlassen des Steuerlagers des Herstellers des Alkohols in den freien Verkehr gelangt.
Nach der Abfertigung und Entfernung aus dem Steuerlager des Her- stellers wurde der Alkohol unter Beachtung der Förmlichkeiten des Steueraussetzungsverfahrens mit den entsprechenden französischen begleitenden Verwaltungsdokumenten (DCA) von Frankreich nach Deutschland transportiert.
(b) Der Alkohol wurde im Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland dem Steueraussetzungsverfahren entzogen.
(aa) Der Begriff des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren im Sinne des § 143 BranntwMonG, der die Rechtsfolgen von Unregelmäßigkeiten im Verkehr unter Steueraussetzung regelt, ist weder im BranntwMonG noch im sonstigen nationalen Recht ausdrücklich definiert. Seine Bedeutung ist daher nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln.
Zwar führt die Auslegung allein anhand der Wortbedeutung nicht zu einem sicheren Ergebnis. Ihr ist aber immerhin zu entnehmen, daß die Entziehung ein Verhalten voraussetzt, mit dem eine bestehende Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit über Gegenstände beseitigt wird. Die historische, die teleologische und die systematische Auslegung – unter Orientierung am Europäischen Gemeinschaftsrecht – bestätigen dies.
Da das System der Steueraussetzung von Verbrauchsteuern im europäischen Warenverkehr – und damit auch § 143 BranntwMonG – auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beruht, sind vorrangig diese zur Auslegung des Begriffs des Entziehens heranzuziehen. Das Steueraussetzungsverfahren ist ein durch Gemeinschaftsrecht geschaffenes neues Institut des Verbrauchsteuerrechts , das nach Abschaffung der Erhebung von Verbrauchsteuern im innergemeinschaftlichen Verkehr an den Binnengrenzen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Errichtung des europäischen Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 eingeführt wurde. Es ermöglicht in Bezug auf verbrauchsteuerpflichtige Waren die Vornahme bestimmter Maßnahmen
– wie z.B. die Beförderung –, ohne daß dabei für die betroffenen Waren ein Steueranspruch entsteht oder besteht (vgl. Beermann DStZ 1993, 291). Die Vorschriften über das Steueraussetzungsverfahren wurden durch das Verbrauchsteuer -Binnenmarktgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2150) als nationale Umsetzung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. EG 1992 Nr. L 76 S. 1; im folgenden: Systemrichtlinie) in die deutschen Verbrauchsteuergesetze eingefügt; zugleich wurde zur Überwachung der Verbrauchsteuerverfahren , insbesondere zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Besteuerung, eine verbrauchsteuerrechtliche Steueraufsicht geschaffen (vgl. § 209 ff. AO).
§ 143 BranntwMonG basiert auf Art. 20 (i.V.m. Art. 4 lit. c und Art. 6 Abs. 1 lit. a) der Systemrichtlinie 92/12/EWG. Der in § 143 BranntwMonG verwendete Begriff des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren wird allerdings in der Systemrichtlinie ebenfalls nicht definiert. Art. 20 dieser Richtlinie spricht vielmehr von Unregelmäßigkeiten und Zuwiderhandlungen, aufgrund derer eine Verbrauchsteuer entsteht, und setzt damit die Steuerentstehung , die Folge des Entziehens, bereits voraus.
Art. 6 Abs. 1 der Systemrichtlinie regelt die Entstehungstatbestände. Nach dieser Vorschrift entsteht die Verbrauchsteuer mit der „Überführung in den steuerlich freien Verkehr“, darunter auch durch „jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung“ (Art. 6 Abs. 1 lit. a). Allerdings überläßt es die Systemrichtlinie wieder dem nationalen Recht, was als Überführung in den freien Verkehr anzusehen ist. Nach Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie richten sich nämlich die Voraussetzungen für das Entstehen des Steueranspruchs und der maßgebende Verbrauchsteuersatz nach den Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Steueranspruchs in dem Mitgliedstaat gelten, in dem die Überführung in den steuerlich freien Verkehr stattfindet.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat zur Erläuterung, wann eine solche Entnahme vorliegt, mit Urteil vom 5. April 2001 in der Rechtssache C-325/99 – G. van de Water – (Slg. 2001, I-2729) unter Tz. 35 den Wortlaut der Systemrichtlinie wiederholt: „Nach Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie gelten als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr nicht nur jede Herstellung oder Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung, sondern auch jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Waren aus einem solchen Verfahren“.
Allerdings lassen die Begründungserwägungen zur Systemrichtlinie (92/12/EWG) deutlich werden, daß das Funktionieren des gemeinschaftsrechtlichen Verbrauchsteuersystems die Möglichkeit eines jederzeitigen Zugriffs auf die verbrauchsteuerpflichtige Ware und damit die Kenntnis des Ortes, wo sich die Ware befindet, voraussetzt. So wird in der Begründung zur Richtlinie ausdrücklich festgestellt: „Die Durchsetzung des Steueranspruchs setzt ... eine Kenntnis der Bewegungen der verbrauchsteuerpflichtigen Waren voraus. Es ist deshalb ein Begleitpapier für diese Waren vorzusehen. ... Jede Ware muß leicht identifizierbar sein.“
Auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der Finanzgerichte hat bisher noch keine einheitlichen Auslegungskriterien für die Begriffe „Entziehen aus dem Steueraussetzungsverfahren“ und „Überführung in den freien Verkehr durch unrechtmäßige Entnahme aus dem Steueraussetzungsverfahren“ entwickelt. Während einerseits das FG Düsseldorf ein Entziehen aus dem Steueraussetzungsverfahren immer dann für gegeben hält, wenn dieses Verfahren nicht ordnungsgemäß abgeschlossen worden ist (ZfZ 1998, 211), und somit auch dann, wenn bei einer zur Ausfuhr in das Außengebiet im Steueraussetzungsverfahren bestimmten Ware aufgrund der Fälschung des begleitenden Verwaltungsdokuments der Transportweg von abhanden gekommenen Branntweinerzeugnissen nicht nachvollzogen werden kann (ZfZ 2000, 242), wird andererseits nicht in jedem Fall der bloße Aus-
tausch von Begleitpapieren vor der Ausfuhr einer Ware als Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren angesehen (vgl. FG München ZfZ 2001, 246 und Urt. vom 12. September 2001 – 3 K 2464/98). Wieder andere legen den Begriff des Entziehens im Sinne von § 143 BranntwMonG nach den zu Art. 203 Abs. 1 Zollkodex (ZK) entwickelten Grundsätzen aus (vgl. FG Hamburg , Urt. vom 24. April 2001 – IV 285/98).
Allerdings gibt es zum zollrechtlichen Begriff „Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung“ (Art. 203 Abs. 1 ZK) eine gefestigte Rechtsprechung. Danach ist zur Aufrechterhaltung der Kontrollmöglichkeit über Waren, die sich im (zollrechtlichen) Versandverfahren befinden, grundsätzlich erforderlich , daß diese nur in einer mit dem Versandverfahren zu vereinbarenden Weise behandelt werden (BFH ZfZ 2000, 419). Steht die Behandlung des Zollversandguts in keinem Zusammenhang mit dieser Beförderung, so gerät es in der Regel außerhalb der Kontrolle im Rahmen der zollamtlichen Überwachung und ist damit entzogen (BFHE 144, 311, 313). Maßgebliches Kriterium für die Abgabenbefreiung in einem Versandverfahren ist die ständige Kontrollmöglichkeit der Ware durch die für das Verfahren zuständigen Behörden.
Noch deutlicher wird das Erfordernis der jederzeitigen Kontrollmöglichkeit für ein solches Versandverfahren in der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Entziehens aus zollamtlicher Überwachung: Mit Urteil des EuGH vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-371/99 – Liberexim BV (ZfZ 2002, 338), das insoweit auch auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-66/99 (D. Wandel, Slg. 2001, I-873) Bezug nimmt, ist der Begriff der Entziehung so zu verstehen, „daß er jede Handlung oder Unterlassung umfaßt, die dazu führt, daß die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der vom gemeinschaftlichen Zollrecht vorgesehenen Prüfungen gehindert wird“ (Tz. 55), wobei es nicht erforderlich ist, daß insoweit ein subjektives Element vorliegt (Tz. 61).
Auch wenn diese Rechtsprechung zum zollrechtlichen Entziehungstatbestand nicht ohne weiteres auf die Entziehung aus dem Steuerausset- zungsverfahren bei verbrauchsteuerpflichtigen Waren übertragen werden kann, so wird anhand einer systematischen Auslegung deutlich, daß den Begriffen des Entziehens aus einem (zollrechtlichen) externen Versandverfahren und des Entziehens aus einem Steueraussetzungsverfahren wegen der Parallelität der Regelungen und ihrer inneren Verzahnung zumindest weitgehend derselbe Bedeutungsgehalt zukommt.
Die Regelungssysteme des EG-Zollrechts und des EG-Verbrauchsteuerrechts haben beide ihre Rechtsquellen im Europäischen Gemeinschaftsrecht und dienen gemeinsam der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes (vgl. Art. 14 EG). Während das Europäische Zollrecht seine Grundlage im Zollkodex (Verordnung Nr. 2913/92/EWG des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften) und der zugehörigen Durchführungsverordnung Nr. 2454/93/EWG hat, ist das Verbrauchsteuerrecht in der Europäischen Union durch die System-, Struktur- und Steuersatzrichtlinien weitgehend harmonisiert; dabei sind die Steuerentstehungstatbestände durch die Systemrichtlinie Nr. 92/12/EWG bereits im einzelnen einheitlich festgelegt (Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 3). Sowohl für das EG-Zollrecht als auch parallel dazu für das EG-Verbrauchsteuerrecht sind die Kontrollen an den Binnengrenzen zur Schaffung des Europäischen Binnenmarktes abgeschafft worden; sie wurden durch gemeinsame Zoll- und harmonisierte Verbrauchsteuerregelungen ersetzt (vgl. zum Verbrauchsteuerrecht Beermann DStZ 1993, 257 ff., 291 ff.; Wolffgang in Lenz, EG-Vertrag 2. Aufl. Art. 93 Rdn. 27 ff.).
Beiden Rechtssystemen ist auch gemeinsam, daß Waren, die zum Zwecke der Ausfuhr in einem Versandverfahren befördert werden, der zollamtlichen Überwachung unterliegen (Zoll: externes Versandverfahren, Art. 59 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Nr. 13 ZK, Art. 84 Abs. 1 lit. a, Art. 91 ZK; Verbrauchsteuern : Steueraussetzungsverfahren, Art. 5 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1
Systemrichtlinie 92/12/EWG i.V.m. § 209 AO). Die zollamtliche Überwachung soll in diesen Fällen sicherstellen, daß für die Waren, wenn sie nicht bestimmungsgemäß ausgeführt werden, die gesetzlichen Abgaben erhoben werden. Wird eine verbrauchsteuerpflichtige Ware in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren (Art. 84 Abs. 1 lit. a) transportiert, dann befindet sie sich automatisch auch unter Steueraussetzung (vgl. Art. 5 Abs. 2 Systemrichtlinie 92/12/EWG). Für den Fall der Einfuhr verweisen die Verbrauchsteuergesetze sogar insgesamt auf die für Zölle geltenden Vorschriften (vgl. § 21 Abs. 2 UStG; § 147 Abs. 1 BranntwMonG; § 21 TabStG; § 13 KaffeeStG; § 23 MinöStG; § 13 Abs. 1 BierStG).
Sowohl mit dem zollrechtlichen Versandverfahren als auch mit dem Steueraussetzungsverfahren werden Transporterleichterungen für Waren normiert, die nicht im Gemeinschaftsgebiet in den freien Verkehr gelangen sollen. Beide Verfahren können als Massenverfahren aber nur dann dauerhaft funktionieren, ohne das Abgabensystem als solches zu gefährden, wenn der Aufenthaltsort der in dem Versandverfahren beförderten Ware stets bekannt ist. Nur dann ist nämlich sichergestellt, daß die anfallenden Abgaben erhoben werden können, wenn die Ware aus dem Verfahren heraus einer abgabepflichtigen Verwendung zugeführt wird. Solches kann aber dann nicht mehr festgestellt werden, wenn die zuständigen staatlichen Stellen keine Kenntnis mehr vom Aufenthaltsort der Ware haben. Deshalb ist das Steueraussetzungsverfahren – ebenso wie das zollrechtliche externe Versandverfahren – gekennzeichnet durch eine stattfindende zollamtliche Überwachung bzw. Steueraufsicht (vgl. Schroer-Schallenberg in: Europäisches Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll e.V. (Hrsg.), Hemmnisse und Sanktionen in der EU, S. 125).
Diese Parallelität und enge innere Verzahnung der beiden Regelungssysteme ließe eine wesentlich unterschiedliche Auslegung des Begriffs der Entziehung systemwidrig und nicht nachvollziehbar erscheinen. Bei der Auslegung des Begriffs der Entziehung bzw. der Entnahme sind daher für die
zollrechtlichen und die verbrauchsteuerrechtlichen Versandverfahren weitge- hend dieselben Grundsätze zu beachten, insbesondere das Erfordernis einer ständigen Kontrollierbarkeit der Waren als Voraussetzung für den Ausnahmefall der Abgabenbefreiung. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH, daß zollrechtlich eine Entziehung vorliegt, wenn „die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der vom gemeinschaftlichen Zollrecht vorgesehenen Prüfungen gehindert wird“ (vgl. Urteil des EuGH in der Rechtssache C-66/99 – D. Wandel, Slg. 2001, I-873, Tz. 55), jedenfalls immer dann ein Entziehen aus einem Steueraussetzungsverfahren gegeben, wenn durch einen objektiven Verstoß gegen die Regeln der Steueraussetzung eine auch nur vorübergehende Unterbrechung der Steueraufsicht gegeben ist (so auch Reiche in Teichner /Alexander/Reiche, MinöStG § 18 Rdn. 35). In einem solchen Fall ist nämlich die Ware als in einem steuerrechtlich freien Verkehr befindlich anzusehen (vgl. Reiche aaO Rdn. 33; Beermann aaO S. 292; Soyk ZfZ 1998, 2, 4 f. m. w. N.). Die nach der Systemrichtlinie 92/12/EWG erforderliche Kenntnis der Bewegungen der verbrauchsteuerpflichtigen Waren ist dann nicht mehr gegeben.
Einer Vorlage an den EuGH zur Klärung des Begriffes der Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren aus dem Verfahren der Steueraussetzung (Art. 6 Abs. 1 lit. a der Systemrichtlinie) in einem Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 Abs. 3 EG) bedarf es hier nicht. Art. 234 EG hat zum Ziel, die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Dabei soll mit Abs. 3 des Art. 234 EG durch das Auslegungsmonopol des EuGH für Regelungen des Gemeinschaftsrechts insbesondere verhindert werden, daß sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Gemeinschaftsrechts nicht in Einklang steht (EuGH NJW 1983, 2751). Eine Vorlage an den EuGH ist daher nur dann entbehrlich, wenn im konkreten Fall bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt
oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß kein vernünftiger Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (EuGH NJW 1983, 1257). Zwar hat der EuGH eine Auslegung des Begriffs der Entziehung für das Steueraussetzungsverfahren bisher noch nicht vorgenommen. Es besteht aber angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum zollrechtlichen Begriff des Entziehens unter Berücksichtigung der Systematik und der Entstehungsgeschichte der betroffenen Regelungsmaterien kein ernsthafter Zweifel daran, daß der EuGH für den Begriff des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren zur selben Auslegung wie für den zollrechtlichen Begriff des Entziehens gelangen würde. Die gesicherte Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Entziehens im Zollrecht, die der Senat seiner Auslegung des Begriffs des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren zugrundelegt, läßt neben der vom Senat vorgenommenen Auslegung keine weiteren vernünftigerweise möglichen Auslegungen mehr zu.
Damit lag im Entfernen der begleitenden Verwaltungsdokumente von der im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren beförderten Alkohollieferung und der Ersetzung durch auf nicht verbrauchsteuerpflichtige Waren lautende CMR-Frachtbriefe eine Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren im Sinne des § 143 BranntwMonG. Für die zuständigen Behörden war es ab diesem Zeitpunkt auch bei einer möglichen Kontrolle der Begleitpapiere nicht mehr erkennbar, daß es sich bei der Ware um eine verbrauchsteuerpflichtige , aber unversteuerte Ware handelt.
(bb) Der Einwand, eine Verkürzung von Verbrauchsteuern könne dann nicht gegeben sein, wenn der Nachweis erbracht sei, daß die Ware letztlich tatsächlich noch ausgeführt worden sei, greift nicht durch. Entgegen der Ansicht der Verteidigung steht die Tatsache der späteren Ausfuhr des Alkohols der Annahme einer (vorher erfolgten) Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren nicht entgegen. Wie dies bereits in den Begründungserwägungen zur Systemrichtlinie 92/12/EWG zum Ausdruck kommt, sind Steueraussetzungsverfahren sehr formelle Verfahren, die auf eine hinreichende
Kontrollmöglichkeit der in diesen Verfahren transportierten Erzeugnisse angewiesen sind. Besteht diese Kontrollmöglichkeit für die zuständigen Steuerbehörden nicht mehr, ist die Ware in den freien Verkehr gelangt und damit der Besteuerungstatbestand erfüllt. Die Tatsache, daß Bewegungen dieser verbrauchsteuerpflichtigen Ware über einen längeren Zeitraum ohne Kenntnis der zuständigen Behörden vonstatten gegangen sind, steht mit den Grundprinzipien des Steueraussetzungsverfahrens so im Widerspruch, daß es für die Frage der Entziehung nicht darauf ankommen kann, ob die Ware letztlich einer steuerfreien Verwendung zugeführt wird oder nicht bzw. ob das mit dem Steueraussetzungsverfahren beabsichtigte Ziel der Ausfuhr noch erreicht wird. Der Verstoß gegen die Vorschriften des innergemeinschaftlichen Versandverfahrens ist auch so erheblich, daß er nicht lediglich als Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften angesehen werden kann. Entgegen Schroer-Schallenberg (aaO S. 130 f.) liegt darin nicht lediglich ein Verfahrensverstoß ohne steuerschuldrechtliche Konsequenzen. Das Steueraussetzungsverfahren ist nämlich hier durch die Ausfuhr unter Vorlage falscher Frachtpapiere überhaupt nicht abgeschlossen worden. Das Verfahren der Steueraussetzung ist erst dann erledigt, wenn die Ausgangszollstelle bescheinigt , daß die verbrauchsteuerpflichtigen Waren die Gemeinschaft verlassen haben (Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Systemrichtlinie 92/12/EWG). Auch sind die in § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG für den Fall des Entziehens normierten Ausnahmen von der Steuerentstehung nicht gegeben. Der Alkohol ist weder nachweislich untergegangen, noch an Personen im Steuergebiet abgegeben worden, die zum Bezug von Erzeugnissen unter Steueraussetzung berechtigt sind; ein dem Untergang nach § 143 Abs. 1 Satz 2 BranntwMonG gleichstehender Schwund liegt ebenfalls nicht vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vorschrift des § 143 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG , die keine tatbestandlichen Einschränkungen für die Fälle der Steuerentstehung bei einer „echten“ Entziehung nach § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG enthält, sondern im Gegenteil für bestimmte – hier nicht vorliegende – Fallkonstellationen die Fiktion einer Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren normiert.
Im übrigen muß die Frage, ob eine Entziehung gegeben ist, zum Zeitpunkt einer möglichen Entziehung eindeutig zu klären sein. Ob eine Entziehung vorliegt, kann damit nicht von einem zukünftigen ungewissen Ereignis (eventuelle tatsächliche Ausfuhr auf anderem als dem vorgesehenen Wege) abhängig gemacht werden; die tatsächliche Ausfuhr führt auch nicht zu einem automatischen nachträglichen Wegfall einer einmal entstandenen Verbrauchsteuer. Wird die Ware letztlich doch noch ausgeführt, kann dies steuerschuldrechtlich allenfalls – damit die Erhebung der Steuer für eine ausgeführte Ware nicht einer ungewollten Sanktion gleichkommt (vgl. BFH DStRE 2002, 54, 56) – für die Frage eines möglichen Erlasses der Steuer (vgl. § 227 AO; Art. 239 ZK) und steuerstrafrechtlich nur für die Frage der Strafzumessung von Bedeutung sein.
(2) Der Angeklagte Ha ist aufgrund des Besteuerungstatbestandes § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG Steuerschuldner der durch die Entziehung anfallenden Branntweinsteuer geworden. Zwar hat der Angeklagte die Entziehung nicht in eigener Person vorgenommen – vielmehr wurde der Alkohol im Hamburger Hafen bereits mit den gefälschten CMRFrachtbriefen angeliefert (vgl. UA S. 8) –; ihm ist aber die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren durch andere Mitglieder der Organisation wie eigenes Tun zuzurechnen.
Das BranntwMonG definiert nicht, wer Verantwortlicher einer Entziehung im Sinne des § 143 BranntwMonG und damit Täter einer Steuerhinterziehung sein kann.
Eine ausdifferenzierte Regelung, wer bei einer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung Zollschuldner wird, findet sich in Art. 203 Abs. 3 Zollkodex (ZK): Es sind dies nicht nur die Personen, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen haben (1. Spiegelstrich), sondern auch diejenigen Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren (2. Spiegelstrich) und sogar die Personen, welche die Ware in Besitz gehabt
haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erhalts der Ware wußten oder billigerweise hätten wissen müssen, daß diese der zollamtlichen Überwachung entzogen war (3. Spiegelstrich).
Diese Regelung kann allerdings nicht auf die Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren übertragen werden. Sie legt nämlich nicht fest, wer als Entzieher anzusehen ist, sondern bestimmt lediglich, daß neben dem Entzieher weitere Personen, z. B. Gehilfen, Steuerhehler, weitere Zollschuldner werden. Eine solche Regelung enthält § 143 BranntwMonG nicht. Gegen eine Regelungslücke insoweit und eine analoge Anwendung von Art. 203 Abs. 3 ZK spricht, daß beide Vorschriften etwa zum selben Zeitpunkt (1992) Gesetz geworden sind, der Gesetzgeber jedoch unterschiedliche Regelungen getroffen hat. Allenfalls kann aus der Regelung des Art. 203 Abs. 3 ZK im Umkehrschluß geschlossen werden, daß bloße Gehilfen bei einer Entziehung nicht selbst als Entzieher anzusehen sind.
Wer als Täter einer Entziehung anzusehen ist, muß damit sowohl für § 143 BranntwMonG als auch für Art. 203 Abs. 3 ZK nach allgemeinen Grundsätzen bestimmt werden.
Nach der Rechtsprechung des BFH (zur Entziehung aus zollamtlicher Überwachung) ist Täter der Entziehungshandlung derjenige, der die Handlung selbst ausführt, wie auch derjenige, der die Handlung veranlaßt, d.h. die Tatherrschaft hat (vgl. BFHE 161, 266, 270; BFH ZfZ 2000, 419). Für die Bestimmung der Täterschaft einer vorsätzlich herbeigeführten Entziehung im Sinne von § 143 BranntwMonG sind damit die von der Rechtsprechung für die Mittäterschaft bei einer Straftat entwickelten Grundsätze (vgl. oben) entsprechend anzuwenden. Der Senat verkennt dabei nicht, daß es sich bei § 143 BranntwMonG um einen Steuerentstehungstatbestand und nicht um einen Straftatbestand handelt: Erst wenn feststeht, daß der Steuertatbestand erfüllt ist, ergeben sich im Sinne des § 370 AO strafrechtlich relevante steuerliche Verhaltenspflichten (die Pflicht zur Abgabe einer Steueranmeldung).
Die Haftungsnorm des § 143 Abs. 4 Satz 2 BrannwMonG hat aber zumindest für den Fall vorsätzlicher Entziehung einen deliktischen Charakter, was die Heranziehung der Grundsätze über die Mittäterschaft rechtfertigt.
Danach ist die rechtliche Würdigung des Landgerichts, den Angeklagten Ha wegen seiner fast alleinigen Tatherrschaft über einen wesentlichen Teil des Geschehensablaufes innerhalb einer arbeitsteilig und konspirativ handelnden Schmuggelorganisation als Mittäter des gesamten Alkoholschmuggels (siehe oben) und damit auch als Entzieher des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren anzusehen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dem steht nicht entgegen, daß der Alkohol bereits mit ausgetauschten Frachtpapieren in Hamburg angeliefert wurde, als der eigentliche Tatbeitrag des Angeklagten Ha erst einsetzte. Die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren war durch die bloße Auswechslung der Frachtpapiere noch nicht so weit abgeschlossen, daß eine Beteiligung des Angeklagten Ha an ihr nicht mehr möglich gewesen wäre und seine Handlungen damit nur noch dem Absatz (§ 374 AO) einer bereits dem Verfahren entzogenen Ware oder der Begünstigung (§ 257 StGB) anderer Personen hätten dienen können. Die Alkohollieferungen befanden sich bis zur Umladung durch die Angeklagten Ha und R noch in denselben Lkw, die in den ursprünglichen Versandpapieren als Transportmittel angegeben waren, und waren, bis sie in den Machtbereich der Angeklagten Ha und R gelangten, noch nicht zur Ruhe gekommen. Erst durch die Überprüfung der „neuen“ Frachtpapiere auf ihre Eignung zur Täuschung durch den Angeklagten Ha und die Umladung der Alkoholladungen in Bahncontainer wurde die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren endgültig abgeschlossen.
(3) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten damit als Mittäter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) angesehen. Er hat nach Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren als Steuerschuldner (§ 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG) in
bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit den anderen für den Austausch der Frachtpapiere verantwortlichen Mitgliedern der Organisation unterlassen , gemäß § 143 Abs. 4 Satz 3 BranntwMonG unverzüglich für die entzogenen Erzeugnisse eine Steueranmeldung abzugeben. Auf diese Weise konnte die Organisation den Alkohol ohne Belastung mit deutscher Branntweinsteuer auf dem polnischen Schwarzmarkt mit Gewinn absetzen.

c) Die Beweiswürdigung hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
Es ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, die Beweise zu würdigen. Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Beweiswürdigung auf die Sachbeschwerde nur unter dem Gesichtspunkt würdigen, ob sie Rechtsfehler enthält. Dies ist dann der Fall, wenn die im Urteil mitgeteilten Überlegungen des Tatrichters in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind oder sie gegen Denkgesetze oder anerkannte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Solches ist hier nicht gegeben.
aa) Das Landgericht hat sich auf ausreichender Tatsachengrundlage davon überzeugt, daß die in Hamburg umgeladenen Alkoholmengen mit dem bei der Firma G in Frankreich geladenen Alkohol identisch waren. Dieser Schluß ist möglich, zwingend braucht er nicht zu sein. Bei seiner Überzeugungbildung durfte das Landgericht der Tatsache, daß die Lastzüge während des Transportes nicht gewechselt wurden, hohes Gewicht beimessen (UA S. 23). Die Strafkammer hat hierbei die Möglichkeit nicht verkannt, daß eine Entladung des Alkohols und eine Beladung mit anderen Alkoholmengen durchaus möglich gewesen wäre, hat aber diese – eher fernliegende – Möglichkeit im Hinblick auf den erhöhten organisatorischen und finanziellen Aufwand, das höhere Entdeckungsrisiko und die mangelnde Eignung zur Verschleierung des Transportwegs bei Benutzung derselben Lastkraftwagen als unwahrscheinlich angesehen. Auch die festgestellte Differenz in der Grädigkeit des sichergestellten Alkohols von 0,3 % Vol. gegenüber den Herstellerangaben hat das Landgericht in seine Erwägungen einbezogen. Nach
vertretbarer Ansicht der insoweit sachverständig beratenen Strafkammer liegt die Abweichung im Rahmen der üblichen Toleranz, so daß von einer Meßdifferenz auszugehen ist.
bb) Die Erwägungen, aufgrund derer das Landgericht zur Überzeugung gelangt ist, daß der Austausch der Frachtpapiere noch nicht in Frankreich , sondern erst in Deutschland erfolgt ist, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.
Auch hier hat das Landgericht die Möglichkeit eines Austauschs bereits in Frankreich oder in den Benelux-Staaten gesehen und erörtert (UA S. 25). Wenn das Landgericht diese Möglichkeit dann aber unter Hinweis darauf wieder verworfen hat, daß zum einen die tatsächlich gefahrene Route nach Hamburg von der zu dem in den Frachtpapieren angegebenen Zielort Frankfurt/Oder erst auf deutschem Hoheitsgebiet abzweigt, zum anderen die verwendeten Tarnpapiere ausschließlich auf deutsche Tarnversender und polnische Empfänger ausgestellt waren, die in Frankreich oder den BeneluxStaaten Argwohn erweckt und zu einem höheren Risiko geführt hätten, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
cc) Im Ergebnis ohne durchgreifenden Rechtsfehler hat sich das Landgericht auch davon überzeugt, daß der Angeklagte Ha zumindest billigend in Kauf genommen hat, daß durch die vorgenommene Abwicklung der Alkoholtransporte (auch) deutsche Verbrauchsteuer entstehen und durch die Nichtanmeldung hinterzogen werden könnte.
(1) Der Angeklagte Ha hat sich eingelassen, er habe nicht an die Entstehung von Verbrauchsteuern durch den Austausch der Frachtpapiere durch auf Chemikalien lautende Fälschungen gedacht (UA S. 16, 24). Er sei nur von einem Verstoß gegen polnische Zollformalitäten, die ihm egal gewesen seien, ausgegangen und habe nicht geglaubt, sich in Deutschland strafbar zu machen. Auch habe er nicht gewußt, daß der Alkohol bis Ham-
burg im Steueraussetzungsverfahren transportiert worden sei. Der Pole, der ihn beauftragt habe und dessen Namen er nicht nennen wolle, habe ihm er- klärt, es sei Ware im Freiverkehr, nicht aus einem Steuerlager.
Das Landgericht konnte sich von einer positiven Kenntnis des Angeklagten , daß der Alkohol im Steueraussetzungsverfahren transportiert worden sei (UA S. 27), nicht überzeugen. Die Strafkammer sieht es jedoch als erwiesen an, daß der Angeklagte den Transport im Steueraussetzungsverfahren , die Entstehung von Verbrauchsteuern durch den Austausch der Frachtpapiere und – ohne dies ausdrücklich zu erwähnen – seine Pflicht, dann die Ware bei den Steuerbehörden anzumelden, zumindest billigend in Kauf genommen hat.
(2) Die Erwägungen, aufgrund derer sich das Landgericht von einem bedingten Tatvorsatz des Angeklagten Ha überzeugt hat, lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil erkennen.
Der Eintritt einer Steuerverkürzung ist Tatbestandsmerkmal des § 370 AO. Damit setzt auch die innere Tatseite der Steuerhinterziehung voraus, daß der Täter den angegriffenen Steueranspruch dem Grunde nach kennt und dessen Höhe zumindest für möglich hält (BGH wistra 1989, 263; 1990, 193, 194; 1995, 191; 1998, 225, 226). Einer genauen Kenntnis der steuerlichen Vorschriften bedarf es insoweit nicht (BGH wistra 1998, 225, 226).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind entlastende Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, nicht ohne weiteres den Urteilsfeststellungen als unwiderlegbar zugrundezulegen. Vielmehr muß der Tatrichter auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (BGHSt 34, 29, 34; BGH wistra 1998, 225, 226). Dies gilt im besonderen Maße bei der Behauptung eines dem Angeklagten günstigen inneren Vorgangs, ohne
daß objektivierbare Tatsachen, in denen die angebliche innere Einstellung einen erkennbaren Niederschlag gefunden hätte, deutlich würden (BGH wistra 1998, 225, 226; BGH, Urt. vom 7. September 1993 – 1 StR 325/93). Der Tatrichter muß allerdings die vorhandenen Beweise einer erschöpfenden Würdigung unterziehen und dabei auch äußere Umstände bei der Beurteilung der subjektiven Seite mit heranziehen (vgl. BGH StPO § 261 Einlassung

5).


Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet. Wenn es mangels konkreterer Anhaltspunkte im wesentlichen auf die Umstände der Beauftragung des Angeklagten in Verbindung mit seinen langjährigen beruflichen Erfahrungen als selbständiger Vollkaufmann im Exportgeschäft mit den dort bestehenden Regeln und Usancen abstellt und deshalb die Einlassung des Angeklagten für widerlegt hält, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht durfte dabei auch den naheliegenden Schluß ziehen, daß der von dem Angeklagten angegebene Zweck seines Tuns, der Verkauf des Alkohols auf dem polnischen Schwarzmarkt mit Gewinn, wegen der hohen Verbrauchsteuern mit in der Europäischen Union versteuertem Alkohol nicht zu erreichen gewesen wäre.
(3) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht aus der Erwägung des Landgerichts, daß die Angeklagten selbst dann vorsätzlich gehandelt hätten, wenn sie zu Unrecht davon ausgegangen sein sollten, der Austausch fände in Frankreich statt (UA S. 29).
Das Landgericht ist der Ansicht, daß in diesem Fall eine Verkürzung französischer Steuern vorliege; eine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf sei dennoch nicht gegeben, weil es sich bei der tatsächlich verkürzten deutschen Branntweinsteuer um eine harmonisierte Verbrauchsteuer handele, die in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise erhoben werde. Die Verkürzung der einem anderen Mitgliedstaat zustehenden Verbrauchsteuer sei gemäß
§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO auch in Deutschland strafbar. Daß eine Verfolgung in Deutschland mangels der hierfür nach § 370 Abs. 6 Sätze 3 und 4 AO erforderlichen Rechtsverordnung und des daraus resultierenden Verfahrenshindernisses derzeit ausgeschlossen ist, sei für den Vorsatz unerheblich.
Diese Erwägung gefährdet den Schuldspruch nicht, da sie sich lediglich mit den Auswirkungen eines vom Gericht letztlich nicht auszuschließenden Irrtums über einen Umstand befaßt, der kein Merkmal betrifft, das zum gesetzlichen Tatbestand gehört.
Maßgebliches subjektives Tatbestandsmerkmal des § 370 AO ist der Vorsatz, Steuern zu hinterziehen. Durch seine mittäterschaftliche Beteiligung am gesamten den Alkoholschmuggel von Frankreich nach Polen betreffenden Gesamtgeschehen ist der Angeklagte aber unabhängig davon, ob der Austausch der Frachtpapiere in Deutschland oder in Frankreich erfolgt ist, Steuerschuldner deutscher Branntweinsteuer geworden.
Ist der Austausch der Frachtdokumente – wie vom Landgericht festgestellt – erst in Deutschland erfolgt, ist der Angeklagte gemäß § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG Steuerschuldner der entstandenen Branntweinsteuer geworden.
Wäre der Austausch aber bereits in Frankreich vorgenommen worden, dann wäre ebenfalls deutsche Branntweinsteuer entstanden und der Angeklagte insoweit Steuerschuldner geworden. Zwar wäre durch eine Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren in Frankreich zunächst französische Branntweinsteuer angefallen, die der Angeklagte hätte anmelden müssen. Zusätzlich wäre aber durch Weiterbeförderung des Alkohols nach Deutschland gemäß § 144 Abs. 2 BranntwMonG auch noch deutsche Branntweinsteuer entstanden, die der Angeklagte ebenfalls hätte anmelden und abführen müssen. Nach dieser Vorschrift entsteht die Verbrauchsteuer nämlich auch dadurch, daß Erzeugnisse erstmals im Steuergebiet zu ge-
werblichen Zwecken in Besitz gehalten oder verwendet werden, nachdem sie aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates in das Steuergebiet Deutsch- lands verbracht worden sind. Dieser Fall läge hier dann vor, weil der Alkohol nach Austausch der Frachtpapiere in Frankreich und der Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren bereits in Frankreich in den freien Verkehr gelangt wäre. Indem der Angeklagte den Alkohol in Hamburg umladen ließ, um ihn nach Polen zur Veräußerung auf dem Schwarzmarkt weiterzuversenden , hat er den Alkohol nach dem Verbringen nach Deutschland erstmals im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten. Die Pflicht, unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben, ergibt sich in diesem Fall aus § 144 Abs. 4 Satz 1 BranntwMonG. Die entstandene französische Verbrauchsteuer würde dann wieder erlassen werden (vgl. § 148 BranntwMonG als entsprechende Regelung im deutschen Verbrauchsteuerrecht).
In jedem Fall ist damit – unabhängig vom Ort des Austauschs der Frachtpapiere – durch das Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Entfernung der begleitenden Verwaltungsdokumente und der Umladung des Alkohols in Bahncontainer deutsche Branntweinsteuer entstanden.
Der Ort des Austauschs der Frachtpapiere hätte für den Vorsatz, deutsche Steuern zu hinterziehen nur dann Bedeutung gehabt, wenn der Angeklagte der Ansicht gewesen wäre, er würde nur französische aber keine deutschen Verbrauchsteuern hinterziehen. Dafür bestehen aber keine Anhaltspunkte. Nicht einmal der Angeklagte selbst hat dies behauptet, sondern angegeben, überhaupt nicht an das Entstehen von Verbrauchsteuern gedacht zu haben. Dies hat das Landgericht mit tragfähigen Erwägungen widerlegt und hinreichend deutlich seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß der Angeklagte aus Gewinnstreben (UA S. 27) billigend in Kauf genommen hat, (auch) deutsche Verbrauchsteuer zu hinterziehen, damit das Gesamtunternehmen der Schmuggelorganisation erfolgreich durchgeführt werden kann.
2. Revision des Angeklagten R

a) Die Verfahrensrügen entsprechen weitgehend nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind daher unzulässig. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
Mit Recht rügt die Revision, daß das Landgericht den Inhalt einer verlesenen Urkunde im Urteil unrichtig gewürdigt und damit gegen die Vorschrift des § 261 StPO verstoßen hat (vgl. BGH NStZ 1997, 294). Das Landgericht ist im Urteil davon ausgegangen, daß auch im Fall des verlesenen Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth der Alkoholschmuggel über die deutschpolnische Grenze erfolgt sei (UA S. 25), obwohl es sich dort um die deutschtschechische Grenze handelte.
Auf diesem Fehler beruht das Urteil indes nicht, weil das Landgericht den Inhalt des verlesenen Urteils nicht zu Beweiszwecken verwertet, sondern mit dem Hinweis auf die Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren lediglich das bereits getroffene Beweisergebnis bestätigt hat. Im übrigen ist nicht ersichtlich , weshalb im Hinblick auf das vorliegende Verfahren den Abläufen bei einem Alkoholschmuggel nach Tschechien ein minderer Indizwert als bei einem solchen nach Polen zukommen soll. In beiden Fällen geht es um ein „Durchschmuggeln“ durch die Bundesrepublik Deutschland.

b) Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten R wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in sieben Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung. Die Ausführungen zu diesen Taten beim Angeklagten Ha gelten für den Angeklagten R entsprechend.
Das Landgericht hat auch den Angeklagten R als Mittäter angesehen und nicht nur als Gehilfen des Angeklagten Ha . Diese aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände vorgenommene – und nur einge-
schränkt überprüfbare (vgl. BGH NJW 1997, 3385, 3387) – Wertung bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
Zwar wurde der Angeklagte R erst von dem Mitangeklagten Ha zur gemeinsamen Abwicklung der in dessen Aufgabenbereich fallenden Umladung der Alkoholtransporte in Hamburg gewonnen und nahm innerhalb der Schmuggelorganisation eine deutlich niedrigere Stellung als der Angeklagte Ha ein. Auch lag die Entlohnung des Angeklagten R für seine Mitwirkung nicht unerheblich unter der der Mitangeklagten Ha und T . Trotzdem durfte das Landgericht entscheidend auf die dennoch bestehende erhebliche Tatherrschaft des Angeklagten R über bedeutsame Teile des gesamten Tatgeschehens abstellen und ihn deshalb als Mittäter ansehen. Die Umladung der Alkoholladungen in den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe fand auf dem Gelände der Lagerei Sch und unter Kontrolle des Angeklagten R statt, der Geschäftsführer dieser Firma war. Des weiteren hatte er eigenverantwortlich den Kontakt zur Firma I hergestellt und aufrechterhalten, welche zu Verschleierungszwecken mit der Umladung beauftragt worden war. Nur über den Angeklagten R , der insoweit eine Schlüsselstellung innehatte, war es auch dem Angeklagten Ha möglich, die Containernummern zu erfragen , welche die Hintermänner in Polen unbedingt benötigten, um die Container mit dem Alkohol in Empfang nehmen zu können.

c) Die Beweiswürdigung ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern; es gilt das zum Angeklagten Ha Gesagte entsprechend. Der Angeklagte R hat sich darauf berufen, daß er ausschließlich daran gedacht habe, daß ein polnisches Einfuhrverbot umgangen werden sollte. Er sei zu einer Mitarbeit nur unter der Bedingung bereit gewesen, daß versteuerter Alkohol umgeladen werde (UA S. 17). Insbesondere im Hinblick auf die ebenfalls langjährige Erfahrung des Angeklagten im Exportgeschäft als Geschäftsfüh-
rer einer Lagerei im Hamburger Hafen brauchte das Landgericht diese Einlassung nicht zu glauben.
3. Revision des Angeklagten T

a) Die erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
aa) Die Rüge der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Berlin (§ 338 Nr. 4 StPO) ist unbegründet. Hinsichtlich des Angeklagten T war der Gerichtsstand des Zusammenhangs (§§ 3, 13 StPO) gegeben.
Nach § 13 StPO ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das auch nur für eine der dem Angeklagten zur Last gelegten, gemäß § 3 StPO zusammenhängenden Straftaten örtlich zuständig ist (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zuständigkeit 1). Dabei liegt ein sachlicher Zusammenhang bei einer strafbaren, in dieselbe Richtung zielenden Mitwirkung an einer Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO vor (BGHSt 38, 376, 379). Bei der Prüfung des Zusammenhangs kommt es auf die tatsächliche Annahme an, die den Anschuldigungen bei Erhebung der Anklage und bei Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, und nicht auf die Feststellungen, die als Ergebnis des durchgeführten Hauptverfahrens getroffen worden sind (vgl. BGHSt 18, 238, 239; BGHR aaO).
Zum hierbei maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens vor dem Landgericht (vgl. BGHSt 18, 238, 239) bestand für die Fälle 3 bis 17 der Anklage wegen des Vorwurfes gemeinschaftlichen Handelns ein sachlicher Zusammenhang mit den den Angeklagten Ha und R zur Last liegenden Taten. Im Fall 2 der Anklage bestand wiederum ein sachlicher Zusammenhang der Taten der der Mittäterschaft beschuldigten Angeklagten Ha , R und Du . Da der frühere Mitangeklagte Du seinen Wohnsitz in Berlin hatte und damit für ihn der Gerichtsstand des Wohnsitzes
gegeben war (§ 8 Abs. 1 StPO), war für sämtliche dem Angeklagten T zur Last liegenden Taten der Gerichtsstand des Zusammenhangs (§§ 3, 13 StPO) gegeben.
Die Tatsache, daß das Verfahren gegen den Angeklagten Du später abgetrennt wurde, läßt die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin nicht wieder entfallen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zuständigkeit 1). Eine Zuständigkeit, die durch die Verbindung zusammenhängender Strafsachen geschaffen worden ist, bleibt auch dann bestehen, wenn der Grund der Verbindung nach Eröffnung des Hauptverfahrens wegfällt (BGHSt 16, 391, 393).
Der Angeklagte T kann im Revisionsverfahren nicht damit gehört werden, daß hinsichtlich des Falles 2 bei Eröffnung des Verfahrens kein hinreichender Tatverdacht bestanden habe. Soweit das Kammergericht das Verfahren eröffnet hat, ist dies nicht anfechtbar (§ 210 Abs. 1 StPO). Anhaltspunkte dafür, daß bei der Anklageerhebung ein willkürlich erhobener Tatvorwurf dazu benutzt werden sollte, einen Gerichtsstand des Zusammenhangs zu begründen, sind nicht ersichtlich.
bb) Die gegen die Ablehnung der vier am 1. Juni 2001 gestellten Hilfsbeweisanträge erhobenen Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch. Die vom Landgericht zur Begründung der Ablehnung dieser Anträge auf Vernehmung von Zeugen dargelegten Erwägungen können aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Mit ihrem Versuch, Wertungen des Tatrichters durch eigene zu ersetzen, zeigt die Revision keinen Rechtsfehler auf.
cc) Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO ist unbegründet. Das Landgericht hat den Angeklagten T und seinen Verteidiger durch Beschluß für die Hauptverhandlungstermine am 9. und 13. Februar 2001 beurlaubt. Der Verteidiger des Angeklagten blieb daraufhin an diesen Tagen von der Hauptverhandlung fern. Die Beurlaubung war gesetzlich nur zulässig, wenn und soweit der Angeklagte von der Hauptverhandlung an
diesen Verhandlungstagen „nicht betroffen“ war (§ 231c Satz 1 StPO). An die Grenzen, die ihm durch diese Voraussetzung gezogen waren, hat sich das Landgericht gehalten. Es ging am 9. Februar 2001 nicht um einen für den Beschwerdeführer wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 17; BGH, Beschl. vom 24. Januar 1995 – 1 StR 744/94 m. w. N.). Dies gilt auch für den 13. Februar 2001, an welchem allein die strafrechtlichen Vorbelastungen eines Mitangeklagten behandelt wurden. Da mithin die Anwesenheit des Angeklagten an den genannten Verhandlungstagen nicht geboten war, kommt es nicht darauf an, daß er an diesen Tagen nicht verteidigt war.
dd) Die Rüge der Verletzung des § 229 StPO greift ebenfalls nicht durch. Die Freistellung des Angeklagten und seines Verteidigers nach § 231c StPO von der im übrigen fortgeführten Hauptverhandlung stellt keine Unterbrechung der Hauptverhandlung im Sinne von § 229 StPO dar; dessen zeitliche Beschränkungen gelten für die Beurlaubung nach § 231c StPO nicht (vgl. Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 231c Rdn. 15; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg 25. Aufl. § 231c Rdn. 18).
ee) Im übrigen sind die Formalrügen nicht in der von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO geforderten Form erhoben und damit unzulässig.

b) Die Urteilsfeststellungen tragen auch bei dem Angeklagten T den Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Daß das Landgericht ihn nicht zugleich wegen jeweils tateinheitlich begangener Urkundenfälschung verurteilt hat, beschwert den Angeklagten nicht.
aa) Obwohl der Angeklagte zu einem großen Teil im Ausland gehandelt hat, sind die Taten im Inland begangen worden (vgl. § 3 StGB), weil die Steueranmeldungen für den dem Steueraussetzungsverfahren entzogenen Alkohol in Deutschland vorzunehmen gewesen wären (§ 9 Abs. 1 StGB).
bb) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch den Angeklagten T als Mittäter der Steuerhinterziehung durch Unterlassen angese- hen, weil es für das Gelingen des gemeinsamen Tatplans, den Alkohol ohne Belastung mit deutscher Verbrauchsteuer auf dem polnischen Schwarzmarkt abzusetzen, erforderlich war, daß keiner der an dem „Alkoholschmuggel“ beteiligten Personen eine Steueranmeldung abgab.
Der Angeklagte konnte Täter der Steuerhinterziehung durch Unterlassen sein (vgl. hierzu BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1), weil er zur Abgabe einer Steueranmeldung selbst verpflichtet war (§ 143 Abs. 4 Satz 3 BranntwMonG).
Zwar hat das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen, daß der Angeklagte T an der Entziehung des Alkohols aus dem innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren unmittelbar persönlich mitgewirkt hat. Das Landgericht durfte aber die auf einem gemeinsamen Tatplan beruhenden Handlungen der anderen Mitglieder der Schmuggelorganisation während der Alkoholtransporte dem Angeklagten wie eigenes Handeln zurechnen und ihn selbst als „Entzieher“ im Sinne von § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG behandeln. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen , daß das Landgericht in wertender Betrachtung zu dem Ergebnis gelangt ist, seine Handlungen nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller anzusehen, und dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils zu bewerten (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 2). Der Angeklagte, der für seine Tatbeteiligung wie der Angeklagte Ha pro Transport einen Betrag von 3.000 DM erhielt, hatte maßgeblichen Einfluß auf die Durchführung der Alkoholtransporte , die ohne ihn in der durchgeführten Weise nicht hätten stattfinden können. Es fiel innerhalb der Schmuggelorganisation in seinen alleinigen Zuständigkeitsbereich, geeignete Lieferanten für entsprechende Alkoholmengen ausfindig zu machen, den Einkauf vorzunehmen einschließlich der Preisverhandlungen und schließlich durch eigenhändige Sicherstellung der
Bezahlung den Zeitpunkt der Alkoholtransporte mitzubestimmen. Die Tatsa- che, daß er damit bezüglich des späteren Entziehens nur eine Vorbereitungshandlung vorgenommen hat, steht der Annahme von Mittäterschaft nicht entgegen (vgl. BGHSt 40, 299, 301).

c) Die Beweiswürdigung hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
Der Angeklagte hat sich eingelassen, er habe aus Gefälligkeit für seinen Bruder P T , der in Polen ein In- und Exportgeschäft für Feinsprit betrieben habe, neue Lieferanten gesucht. Dabei sei er davon ausgegangen , daß der Alkohol nicht für Polen bestimmt sei, ohne aber zu wissen für wen. Um den Transport selbst habe er sich nicht gekümmert; das Steueraussetzungsverfahren und die Bedeutung der begleitenden Verwaltungsdokumente seien ihm unbekannt gewesen. Einen falschen Paß auf den Namen F habe er auf Vorschlag seines Bruders nur deswegen verwendet, damit es keine Schwierigkeiten mit den alten Lieferanten gebe (UA S. 17 f.).
Das Landgericht war nicht gehalten, diese entlastenden Angaben des Angeklagten, für die es keinerlei Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrundezulegen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH wistra 1998, 225, 226). Ohne Rechtsfehler hat es in einer erschöpfenden Würdigung der vorhandenen Beweise die Einlassung des Angeklagten T für widerlegt angesehen und seinen Tatvorsatz bejaht. Hierbei durfte sich das Landgericht hinsichtlich seiner Kenntnisse über das Steueraussetzungsverfahren insbesondere auf die Angaben der im internationalen Handel mit Alkohol tätigen Zeugen W , Ri und M stützen, die übereinstimmend angegeben haben, den Angeklagten für einen im Handel mit Feinsprit erfahrenen Geschäftsmann gehalten zu haben (UA S. 25). Ergänzend konnte es die Angaben des Zeugen P heranziehen, daß der Angeklagte T bei Alkoholgeschäften mit ihm die begleitenden Verwaltungsdokumente jeweils selbst zurückgebracht habe und – unter Berufung auf den für das vorliegende Verfahren nicht zur Verfügung stehenden Zeugen K – die
zollrechtliche Abwicklung am Grenzzollamt Frankfurt/Oder selbst vorgenommen habe (UA S. 26). Hinzu kommt sein konspiratives Auftreten unter fal- schem Namen und sein Kontakt zur Tarn-Empfängerfirma „V “ in der Ukraine.

III.


Die angefochtenen Urteile können jedoch bei allen Angeklagten zum Strafausspruch keinen Bestand haben.
1. Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, z. B. weil der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht läßt oder weil sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 29, 319, 320; 34, 345, 349). Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist hingegen ausgeschlossen (BGH aaO).
2. Es stellt keinen Rechtsfehler dar, daß das Landgericht die Höhe der jeweils hinterzogenen Branntweinsteuer strafschärfend berücksichtigt hat. Durch die Taten der Angeklagten sind trotz der letztlich erfolgten Ausfuhr tatsächlich und nicht nur theoretisch Verbrauchsteuern verkürzt worden.
Sind aber verkürzte Steuerforderungen des deutschen Steuerfiskus nur aus formalen Gründen entstanden, ist dies bei der Strafzumessung im Hinblick auf die verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung zu berücksichtigen (vgl. BGH StV 2000, 497). Im europäischen Verbrauchsteuersystem soll grundsätzlich nur der Verbrauch von Waren im Steuergebiet der Europäischen Gemeinschaft besteuert werden; Ausfuhren sind daher regelmäßig steuerbefreit (§ 142 BranntwMonG). Somit war hier erheblich zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, daß keine Branntweinsteuer angefallen wäre, wenn der
Alkohol nicht heimlich und falsch deklariert, sondern ordnungsgemäß in dem dafür vorgesehenen innergemeinschaftlichen Versandverfahren unter Steueraussetzung (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3; § 142 BranntwMonG) ausgeführt worden wäre. Die Erhebung der Branntweinsteuer kommt in einem solchen Fall einer systemwidrigen Sanktion gleich, weil die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf des Steuergebiets eingegangen sind (vgl. BFH DStRE 2002, 54, 56).
Diese Umstände sowie die Tatsache, daß der Alkohol zu keinem Zeitpunkt im Verbrauchsteuergebiet in den wirtschaftlichen Verkehr gelangt ist, hat das Landgericht ausdrücklich zugunsten der Angeklagten berücksichtigt. Es hat auch gerade mit Hinweis darauf, daß dem Steuerfiskus im Vergleich mit der vorgesehenen Ausfuhr im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren kein wirtschaftlicher Nachteil eingetreten ist (vgl. auch BGH wistra 2001, 216, 217), trotz der hohen Hinterziehungsbeträge einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO verneint.
3. Das Landgericht hat jedoch einen wesentlichen Strafzumessungsgrund nicht erörtert, der sich zugunsten der Angeklagten auswirken könnte:
Die Angeklagten sind „Entzieher“ im Sinne des § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG und damit Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen, weil sie als „weitere“ Steuerschuldner selbst eine Steueranmeldung abzugeben hatten. Damit haften sie persönlich gemäß § 71 AO als Gesamtschuldner mit anderen – zum Großteil im Ausland befindlichen – Steuerschuldnern für die gesamte entstandene Branntweinsteuer in Höhe von mehr als 7,7 Mio. DM und müssen auch mit ihrer Inanspruchnahme durch die Finanzverwaltung rechnen. Das Landgericht hätte den Umstand dieser Haftung vor dem Hintergrund nicht unerörtert lassen dürfen, daß die Angeklagten im Gesamtgeschehen nur eine untergeordnete Rolle spielten und an dem wirtschaftlichen Erfolg der Taten nur im geringen Umfang beteiligt waren. Bei
ihnen handelte es sich nach den Urteilsfeststellungen nicht um die führenden Mitglieder der Schmuggelorganisation; sie wurden entsprechend ihrer Rolle in der Organisation am Taterfolg nur mit einer geringen Entlohnung von wenigen tausend DM beteiligt. Die Angeklagten wurden daher durch die steuerliche Haftung für die gesamte entstehende Verbrauchsteuer erheblich stärker belastet, als es ihrer Rolle im Tatgeschehen und ihrer wirtschaftlichen Beteiligung am Taterfolg entsprach. Der Senat kann nicht ausschließen, daß unter Bedacht auf diesen gewichtigen Gesichtspunkt eine den Angeklagten günstigere Sanktion verhängt worden wäre. Dies führt zur Aufhebung des gegen die Angeklagten jeweils verhängten gesamten Strafausspruchs.
Harms Häger Gerhardt Raum Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 159/07
vom
25. April 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja zu Nr. 2
Veröffentlichung: ja
____________________________
Behauptet der Transporteur von Betäubungsmitteln, sein Tatbeitrag habe sich
darin erschöpft, die Betäubungsmittel im Auftrag eines Dritten zu transportieren,
und individualisiert er seinen Auftraggeber nicht, so ist der Tatrichter nicht auf
Grund des Zweifelssatzes gehalten, diese auf eine Beihilfe zum Handeltreiben
abzielende Einlassung zugrunde zu legen, wenn keine zuverlässigen Anhaltspunkte
für Auftrag und Person des Auftraggebers vorliegen.
BGH, Beschl. vom 25. April 2007 - 1 StR 159/07 - LG Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringerMenge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2007 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Dezember 2006 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Ergebnis zu Recht wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge und mit einer Waffe, verurteilt. Zwar ist die bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ein unselbständiger Teilakt des bewaffneten Handeltreibens in nicht geringer Menge, wenn sie im Rahmen ein- und desselben Güterumsatzes erfolgt; dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG: "wer... ohne Handel zu treiben, einführt" (BGH NStZ 2003, 440; Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03 jew. m.w.N.). Soweit das erworbene Heroin gewinnbringend verkauft werden sollte, ist hier deshalb die Tatbestandsalternative der Einfuhr ausgeschlossen. Der Angeklagte hat jedoch 40 g der erworbenen Menge (Wirkstoffgehalt 59,4 = 60 %) zum Eigenverbrauch bestimmt. Insoweit ist in Tateinheit zum Handeltreiben auch der Tatbestand der Einfuhr, jeweils in nicht geringer Menge und mit einer Waffe, erfüllt, da diese Teilmenge nicht von der Tatbestandsalternative des Handeltreibens erfasst wird (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 22/00; Beschluss vom 28. Januar 2005 - 2 StR 555/04). 2. Die Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens und nicht wegen Beihilfe ist - auch im Lichte neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Kuriertätigkeiten (vgl. zusammenfassend BGH NJW 2007, 1220) - ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet. Er war unmittelbar mit Eigeninitiative am Erwerb beteiligt; insbesondere konnte er, nachdem ihm in Holland eine Kontaktaufnahme zu dem Drogenhändler "P. " nicht gelungen war, eigenverantwortlich entscheiden, das Heroin mit dem von seinem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Geld bei einem "A. " zu erwerben. Er hatte auch darüber hinaus ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts , weil ihm für die Betäubungsmittelbeschaffung eine erhebliche Entlohnung in Form eines Schuldenerlasses in Höhe von 1.000 € in Aussicht gestellt war und er von den zu erwerbenden 300 g Heroin 40 g für den Eigenkonsum behalten sollte. Im Übrigen wäre das Landgericht nicht gehalten gewesen, die Einlassung des Angeklagten, er habe die Betäubungsmittel lediglich im Auftrag eines Drogenhändlers, dessen Name er nicht nennen wolle, von Holland nach Bayern transportiert, den Urteilsfeststellungen als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Die Strafkammer hat für einen solchen Auftrag und für die Person des Auftraggebers keine konkreten Anhaltspunkte festgestellt. Bei ei- ner solchen Sachlage muss der Tatrichter nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ 2002, 48). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371 LS; NStZ 2004, 35, 36). Dies führt auch hinsichtlich des insoweit schweigenden Angeklagten nicht zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden Beweislastumkehr, sondern ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 261 StPO seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen (BVerfG aaO). Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf