Bundesgerichtshof Urteil, 3. März 2022 - IX ZR 53/19
Bundesgerichtshof
Richter
Eingereicht durch
Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner
Amtliche Leitsätze
1. Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist ein eigenständiges Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und den Vollbeweis für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz.
2. Die Stärke des Beweisanzeichens hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erwarten lässt und wann der Eintritt bevorsteht.
3. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Umstände, aus denen die insolvenzrechtliche Überschuldung des Schuldners folgt, trägt im Insolvenzanfechtungsprozess grundsätzlich der Insolvenzverwalter.
4. Die im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erfolgende Übermittlung eines Jahresabschlusses, dem sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag entnehmen lässt, löst keine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit der Finanzverwaltung im Blick auf eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung aus.
BUNDESGERICHTSHOF
Urteil vom 03.03.2022 - IX ZR 53/19
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 21. Februar 2019 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 16. August 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 4. Februar 2010 mit einem Stammkapital von 25.000 € gegründet. Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war der Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes. Der Jahresabschluss der Schuldnerin für das erste Geschäftsjahr wies zum 31. Dezember 2010 einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 205.473,78 € und damit eine handelsbilanzielle Überschuldung aus. In dem darauffolgenden Jahresabschluss zum 31. Dezember 2011 war der Fehlbetrag auf 431.382,11 € angestiegen. Zu der angestiegenen handelsbilanziellen Überschuldung trugen Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern in Höhe von 420.000 € maßgeblich bei.
Die Schuldnerin reichte die Jahresabschlüsse zusammen mit ihren Jahressteuererklärungen bei der Veranlagungsstelle der Beklagten ein. Am 15. Januar, 14. und 15. Februar 2013 zog die Einzugsstelle der Beklagten Steuerverbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von insgesamt 20.792,43 € per Lastschrift ein. Das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten war bis zu diesen Zeitpunkten ohne Beanstandung. Mit Ausnahme der beiden Jahresabschlüsse gab es aus Sicht der Beklagten auch sonst keinen Anhaltspunkt für wirtschaftliche Schwierigkeiten der Schuldnerin.
Unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung verlangt der Kläger von der Beklagten Rückgewähr der per Lastschrift eingezogenen 20.792,43 €. Er ist der Ansicht, der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin und die Kenntnis der Beklagten von diesem Vorsatz ließen sich aus der den Jahresabschlüssen zu entnehmenden handelsbilanziellen Überschuldung der Schuldnerin ableiten. Jahresabschlüsse, die wiederholt und ansteigend nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge in Höhe eines Vielfachen des Stammkapitals auswiesen und aus denen sich keine Anhaltspunkte für nennenswerte stille Reserven ergäben, vermittelten die Kenntnis von der insolvenzrechtlichen Überschuldung im Sinne des § 19 InsO. Eine andere Beurteilung komme nur in Betracht, wenn sich aus dem Jahresabschluss ergebe, dass eine Fortführung des Unternehmens im Sinne von § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO in der gebotenen Weise geprüft und bejaht worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Senat zur Fortbildung des Rechts zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter.
Gründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Schuldnerin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt habe. Dem Landgericht sei darin zuzustimmen, dass die Beklagte einen etwaigen Vorsatz der Schuldnerin nicht gekannt habe. Eine solche Kenntnis sei auch nicht gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu vermuten. Das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten sei beanstandungslos gewesen. Eine etwaige Überschuldung sei das einzige Indiz für eine möglicherweise gegebene (drohende) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gewesen. Die Beklagte habe nicht auf Grundlage der Jahresabschlüsse für die Jahre 2010 und 2011 eine zwingende Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin haben müssen.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO in der auf den Streitfall anwendbaren, bis zum 4. April 2017 geltenden Fassung jedenfalls daran scheitert, dass die Beklagte einen möglichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht kannte. Weitere Anfechtungstatbestände scheiden von vornherein aus.
1. Mit Recht weist die Revision allerdings darauf hin, dass sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Kenntnis der Beklagten von einem Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht auf die Frage einer erkannten (drohenden) Zahlungsunfähigkeit beschränken durfte.
a) Die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ist ebenso wie der Benachteiligungsvorsatz selbst eine innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsache. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 - IX ZR 188/15, ZIP 2016, 1686 Rn. 12; vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 11; st. Rspr.).
Es ist Aufgabe des Tatrichters, die ihm unterbreiteten Hilfstatsachen auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016, aaO). Dabei hat er die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 12).
b) Zu den Beweisanzeichen, die für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO sprechen, zählen nicht nur die erkannte drohende (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 54) oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 30 ff). Auch die Gewährung einer inkongruenten Deckung bei finanziell beengten Verhältnissen kann für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz sprechen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020 - IX ZR 174/19, ZInsO 2020, 2274 Rn. 18, 20 ff). Weitere Beweisanzeichen, die für eine Annahme der subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO streiten, sind eine durch die angefochtene Rechtshandlung bewirkte unmittelbare Gläubigerbenachteiligung oder die Übertragung des letzten werthaltigen Gegenstands auf einen - womöglich nahestehenden - Dritten (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020, aaO Rn. 18, 38 ff). Auch die Gewährung eines Sondervorteils für den Fall der Insolvenz spricht für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 288/14, BGHZ 216, 136 Rn. 53).
Der Katalog der vom Bundesgerichtshof herausgebildeten Beweisanzeichen ist nicht abschließend. Weitere für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung sprechende Umstände sind denkbar und vom Tatrichter in die in jedem Einzelfall vorzunehmende Gesamtwürdigung einzubeziehen. Dabei verbietet sich eine schematische Betrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2020, aaO Rn. 17; st. Rspr.). Die in Betracht kommenden Beweisanzeichen betreffen zum einen die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung. Erkennt ein Schuldner, dass er aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage nicht mehr alle seine Gläubiger wird befriedigen können, kann die Erfüllung einzelner Gläubigerforderungen mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz vorgenommen sein. Es ist aber nicht nur die wirtschaftliche Lage des Schuldners in den Blick zu nehmen. Auch Art und Weise der angefochtenen Rechtshandlung können für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO sprechen. Insbesondere zu Vermögensverschiebungen, die zur Benachteiligung der Gläubigergesamtheit vorgenommen werden, kann es bereits im Vorfeld einer wirtschaftlichen Krise kommen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2021 - IX ZR 266/19, ZInsO 2021, 1454 Rn. 18 f). Deshalb hat der Tatrichter neben den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners auch die Umstände in seine Würdigung einzubeziehen, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist. Zu diesen Umständen zählen etwa die Gewährung einer inkongruenten Deckung, die Bewirkung einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung und die Übertragung von Vermögensgegenständen an nahestehende Dritte.
Die Umstände, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist, können die Annahme der subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung für sich genommen rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2021, aaO). Gleiches gilt für die wirtschaftliche Lage des Schuldners. Die Krise kann erkanntermaßen derart fortgeschritten gewesen sein, dass allein darauf eine im Sinne des § 286 ZPO hinreichende Überzeugung vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und von der Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz gestützt werden kann. Die notwendige Überzeugung kann sich aber auch erst in einer Zusammenschau der wirtschaftlichen Lage und der Umstände ergeben, unter denen die angefochtene Rechtshandlung vorgenommen worden ist. Der Tatrichter darf deshalb seine Würdigung nicht auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners beschränken, erst recht nicht auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit.
c) Mit Recht beruft sich die Revision darauf, dass auch eine Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO zu den Umständen gehört, die in die Gesamtwürdigung aller für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis von diesem sprechende Umstände einzubeziehen sind. Der entscheidende Grund dafür ist die negative Fortführungsprognose, welche den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich macht.
Die insolvenzrechtliche Überschuldung ist nicht nur deshalb zu berücksichtigen, weil der insolvenzrechtlich überschuldete Schuldner in vielen Fällen zugleich drohend zahlungsunfähig im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO ist (vgl. MünchKomm-InsO/Drukarczyk, 4. Aufl., § 18 Rn. 89; Brinkmann, NZI 2019, 921, 922 f; Piekenbrock, NZI-Beilage 1/2019, 47 f). Die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO ist nicht nur Hinweis auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit (so MünchKomm-InsO/Kayser/Freudenberg, 4. Aufl. § 133 Rn. 24e; Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 3. Aufl., § 133 F 79; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - IX ZR 190/03, NZI 2005, 692, 693), sondern ein eigenständiges Beweisanzeichen für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO.
Die Stärke des Beweisanzeichens entspricht allerdings weitgehend dem der drohenden Zahlungsunfähigkeit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 39 f; vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 54 ff, 101 ff). Daran ändert nichts, dass aus der insolvenzrechtlichen Überschuldung, anders als im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit, eine Insolvenzantragspflicht erwächst (vgl. § 15a InsO). Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Beurteilung der Überzeugungskraft des Beweisanzeichens sind sowohl im Falle der drohenden Zahlungsunfähigkeit als auch im Blick auf die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit und die zeitliche Nähe ihres Eintritts.
aa) Ist der Schuldner drohend zahlungsunfähig, ist überwiegend wahrscheinlich, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb des Prognosezeitraums seine bestehenden und dann fälligen Verbindlichkeiten nicht wird erfüllen können (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - IX ZR 93/11, ZInsO 2014, 77 Rn. 10). Die überwiegende Wahrscheinlichkeit ist Mindestvoraussetzung für die drohende Zahlungsunfähigkeit, der spätere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann auch wahrscheinlicher sein oder sogar sicher bevorstehen. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit beeinflusst die Stärke des Beweisanzeichens. Entsprechendes gilt für den Zeitraum bis zum drohenden Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Steht der sichere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevor, kann es für den Benachteiligungsvorsatz sprechen, wenn der Schuldner sich bewusst ist, dass er kurzfristig einen Insolvenzantrag stellen wird und er gleichwohl Gläubiger in der verbleibenden Zeit bis zum ohnehin beabsichtigten Insolvenzantrag gezielt befriedigt (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022 - IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 55 f). Steht der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nicht sicher oder nicht unmittelbar bevor, bedarf es anderer zusätzlicher Umstände, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zu begründen. Diese können etwa in dem vom Schuldner erkannten Eintritt einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung liegen oder darin, dass der Schuldner das Sanierungsrisiko mit einem untauglichen Sanierungsversuch bewusst den künftigen Insolvenzgläubigern auferlegt (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2022, aaO Rn. 103 ff).
bb) Ähnlich ist es im Falle der Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO. Ein Rechtsträger, der insolvenzrechtlich überschuldet ist, verfügt nicht über ausreichend Vermögen, um seine bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. Überdies ist die Fortführung seines Unternehmens bis zum Ende des Prognosezeitraums nicht überwiegend wahrscheinlich. Die negative Fortführungsprognose macht den späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich. Der spätere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann auch wahrscheinlicher sein oder sicher bevorstehen. Insoweit unterscheidet sich die Lage nicht von der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Abs. 2 InsO. Gleiches gilt für den Zeitraum bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Die Zahlungsunfähigkeit kann unmittelbar bevorstehen oder erst am Ende des Prognosezeitraums eintreten. Vor diesem Hintergrund gilt für die Stärke des Beweisanzeichens der insolvenzrechtlichen Überschuldung nichts anderes als für die drohende Zahlungsunfähigkeit. Es bedarf daher zusätzlicher, in der Art und Weise der Rechtshandlung liegender Umstände, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners zu begründen.
Das Beweisanzeichen der erkannten insolvenzrechtlichen Überschuldung ist nicht deshalb stärker, weil die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO gemäß § 15a InsO eine Pflicht zum Insolvenzantrag begründet. Der Senat hat mit Urteil vom 3. März 2020 (IX ZR 78/20, zVb in BGHZ Rn. 27 ff) entschieden, dass weder die aus § 15a InsO folgende Insolvenzantragspflicht noch das § 15b InsO zu entnehmende Zahlungsverbot darüber bestimmen, ob der Schuldner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt hat. Für die erkannte insolvenzrechtliche Überschuldung gilt dies entsprechend.
2. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob auf Seiten der Schuldnerin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt worden ist. Davon ist revisionsrechtlich auszugehen.
3. Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht erkannt, dass die Beklagte den (unterstellten) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin nicht kannte.
a) Die Kenntnis von einer möglichen insolvenzrechtlichen Überschuldung der Schuldnerin folgt entgegen der Ansicht der Revision nicht daraus, dass auf Seiten der Beklagten die Jahresabschlüsse der im Februar 2010 gegründeten Schuldnerin zum 31. Dezember 2010 und 31. Dezember 2011 vorlagen, die nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge von 205.473,78 € (Geschäftsjahr 2010) und 431.382,11 € (Geschäftsjahr 2011) auswiesen. Allein aus der ansteigenden, zuletzt für den 31. Dezember 2011 festgestellten handelsbilanziellen Überschuldung lässt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf die Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin in den nach § 140 InsO maßgeblichen Zeitpunkten der angefochtenen Lastschriftzahlungen vom 15. Januar, 14. und 15. Februar 2013 in Höhe von insgesamt 20.792,43 € schließen.
aa) Für die Annahme einer Überschuldung im Sinne des § 19 InsO fehlt es an einer § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO entsprechenden gesetzlichen Vermutung. Will der nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtende Insolvenzverwalter den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz oder die Kenntnis von diesem auf eine insolvenzrechtliche Überschuldung stützen, muss er deshalb deren Eintritt im Grundsatz voll beweisen. Das gilt auch für die negative Fortführungsprognose. Der insoweit für eine abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast streitende Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO steht dem nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber damit eine Beweislastregelung für den Insolvenzanfechtungsprozess treffen wollte. Die Rückkehr zum zweigliedrigen Überschuldungsbegriff beruht auf dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 17. Oktober 2008 (BGBl. I, S. 1982). Damit sollte das aus Sicht des Gesetzgebers ökonomisch unbefriedigende Ergebnis vermieden werden, dass auch Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiterhin erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben (BT-Drucks. 16/10600, S. 13). Zu Fragen der Beweislast äußern sich die Materialien nicht - erst recht nicht zur Beweislastverteilung im Insolvenzanfechtungsprozess.
bb) Der nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtende Insolvenzverwalter muss daher im Ausgangspunkt sowohl die rechnerische Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO darlegen und beweisen als auch die negative Fortführungsprognose. Die objektiv vorliegende insolvenzrechtliche Überschuldung muss zur Kenntnis des Schuldners gelangt und - weil es hier um den Vollbeweis der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz geht - auch dem Anfechtungsgegner bekannt geworden sein. Auch dies muss im Grundsatz der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen.
cc) Der Nachweis der objektiv vorliegenden insolvenzrechtlichen Überschuldung wird im Insolvenzanfechtungsprozess grundsätzlich nicht durch eine Handelsbilanz erleichtert, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist. Dies gilt gleichermaßen für den Nachweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Überschuldung, wenn diesem eine solche Handelsbilanz bekannt geworden ist.
(1) Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs kommt allerdings der Handelsbilanz indizielle Bedeutung für die Frage zu, ob die Gesellschaft insolvenzrechtlich überschuldet ist (BGH, Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9; vom 15. März 2011 - II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 33; vom 8. März 2012 - IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 Rn. 5). Danach kann der Anspruchsteller seiner Darlegungslast genügen, wenn er eine Handelsbilanz vorlegt, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, und er nach entsprechender Überprüfung erläutert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus der Bilanz nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009, aaO; vom 15. März 2011, aaO; vom 8. März 2012, aaO). Dann ist es Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2009, aaO; vom 15. März 2011, aaO).
(2) Eine derartige Verteilung der Darlegungslast ist im Insolvenzanfechtungsprozess nicht gerechtfertigt, wenn es sich bei dem Anfechtungsgegner - wie auch im Streitfall - um eine außenstehende Person handelt. Gehört der Anfechtungsgegner nicht zu den nach § 15a InsO antragspflichtigen Personen und steht er den für die Beurteilung der insolvenzrechtlichen Überschuldung maßgeblichen Geschehensabläufen auch nicht aus anderen Gründen so nahe wie eine antragspflichtige Person, kann von ihm nicht erwartet werden, dass er zu stillen Reserven oder sonstigen, in der Handelsbilanz nicht abgebildeten Werten vorträgt.
Daraus folgt, dass im Insolvenzanfechtungsprozess der Verwalter seiner Darlegungslast im Blick auf eine rechnerische Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO grundsätzlich nicht genügt, wenn er auf einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in einer Handelsbilanz verweist und nach entsprechender Überprüfung erläutert, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus der Bilanz nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind. Nichts anderes gilt für die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der rechnerischen Überschuldung, wenn diesem eine Handelsbilanz bekannt geworden ist, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist.
(3) Dass die vom Gesellschaftsrecht beeinflussten Wertungen in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs im Grundsatz nicht auf den Insolvenzanfechtungsprozess übertragen werden können, zeigt sich auch im Blick auf die neben der rechnerischen Überschuldung erforderliche negative Fortführungsprognose und die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dieser. Vom außenstehenden Anfechtungsgegner kann nicht erwartet werden, dass er Umstände darlegt, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das schuldnerische Unternehmen fortzuführen (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2011 - II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 31 mwN). Vielmehr ist grundsätzlich der Verwalter gehalten, zur negativen Fortführungsprognose vorzutragen. Erst dann kann auch die Stärke des Beweisanzeichens beurteilt werden, die davon abhängt, ob, mit welcher Wahrscheinlichkeit und wann der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu erwarten war (vgl. oben Rn. 16 ff).
b) An der vorstehenden Beurteilung ändert nichts, dass es sich bei dem beklagten Finanzamt um einen institutionellen Gläubiger handelt, den nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheiten treffen können.
aa) In einem nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO zu beurteilenden Anfechtungsfall ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, der Gläubiger könne aufgrund von Presseberichten, die keine amtliche Verlautbarung enthalten, nach den Umständen gehalten sein, sich nach der Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu erkundigen (BGH, Urteil vom 19. Juli 2001 - IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641, 1643). Dies beruhte auf den gegenüber § 133 Abs. 1 InsO aF geringeren subjektiven Anforderungen des § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO. Mit Urteil vom 19. Februar 2009 (IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 21 f) hat der Bundesgerichtshof Arbeitnehmer von einer Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit ausgenommen und diese auf institutionelle Gläubiger wie den Fiskus oder die Sozialversicherungsträger begrenzt. Später hat er klargestellt, dass die Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit an besondere Umstände anknüpfe (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 155/08, BGHZ 190, 201 Rn. 21).
bb) Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, kann offenbleiben. Die im Rahmen des Besteuerungsverfahrens erfolgende Übermittlung eines Jahresabschlusses, dem sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag entnehmen lässt, ist jedenfalls kein Umstand, der eine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit der Finanzverwaltung im Blick auf eine mögliche insolvenzrechtliche Überschuldung auslöst. Die Übermittlung des Jahresabschlusses dient der Informationsgewinnung im Besteuerungsverfahren. Die Finanzverwaltung erhält Informationen für die Anordnung und Durchführung von Außenprüfungen (§§ 193 f AO). Anhand des Jahresabschlusses kann sie prüfen, ob die Angaben in der Steuererklärung plausibel sind. Das Risikomanagementsystem der Finanzverwaltung wird effektuiert (vgl. Heuermann/Brandes/Hofmeister, EStG, 2021, § 5b Rn. 6 mwN).
Hingegen dient die Übermittlung des Jahresabschlusses nicht der Prüfung, ob der Steuerpflichtige insolvenzrechtlich überschuldet ist. Die Finanzverwaltung darf im Grundsatz davon ausgehen, dass sich die auf Seiten des Steuerpflichtigen verantwortlichen Personen die Bedeutung eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags in der Handelsbilanz bewusstgemacht und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. Die Finanzverwaltung muss daher nicht Nachfrage halten, ob es stille Reserven oder sonstige in der Handelsbilanz nicht abgebildete Vermögenswerte gibt. Sie muss auch nicht das Ergebnis einer etwaigen Fortführungsprognose erfragen. Erst recht muss die Finanzverwaltung keine eigenen Ermittlungen anstellen.
c) Die Kenntnis der Beklagten vom (unterstellten) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin ist auch nicht gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu vermuten. Der Kläger beruft sich in der Revisionsinstanz nicht auf den Vermutungstatbestand. Von einer Kenntnis der Beklagten von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit kann überdies nicht ausgegangen werden.
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(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
Tenor
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
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3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.
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Die Beklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das Arbeitsgericht Dresden der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 5. April 2013 (- 6 Sa 13/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 Sa 265/13 -) zurück. Die Beklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (- 1 BvR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 27. September 2013 hat das Arbeitsgericht Dresden den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht kommt.
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1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer(§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).
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2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.
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a) Das Landesarbeitsgericht nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden nach Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. Bei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 BvR 2116/94 - zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.
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b) Kommt allerdings das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des Bestehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind(vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerfG 11. Januar 2000 - 1 BvR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; BAG 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - zu II 3 a der Gründe; BGH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; BAG 27. Januar 1998 - 3 AZR 430/96 - zu A der Gründe [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).
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3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 BGB) nicht aussetzen. Auch unter Berücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im Beschwerderechtszug (vgl. dazu BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 7 ff.; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.
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a) Die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist(BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 19, BVerfGK 14, 270).
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b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. zB LAG Köln 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; LAG Schleswig-Holstein 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; Hessisches LAG 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; Thüringer LAG 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 20, BVerfGK 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen (LAG Köln 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die Beklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der Beklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der Vergütungsklage rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung(vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 6 der Gründe, BAGE 103, 290; vgl. auch BGH 23. November 2006 - IX ZR 141/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Mikosch
Schmitz-Scholemann
W. Reinfelder
Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.
Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.
Tenor
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1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juli 2011 - 7 Sa 1155/09 - aufgehoben.
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2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
- 2
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Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und war Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt“ gewählten Personalrats.
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Am 24. April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel unter der Überschrift „Chef der Abtei … unter Verdacht - ‚ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität’ in der Außenstelle …“. Darin heißt es: „In der Schreinerei sollen Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein, wie der ehemalige Personalvertreter … sagt.“ Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.
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Mit Datum vom 23. Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Juni 2008 erteilt. Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.
- 5
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Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hat dieses den Bescheid des Integrationsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
- 6
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Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Seine Auskünfte gegenüber der Presse entsprächen der Wahrheit. Jahrelang seien in der Schreinerei mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden. Der Leiter habe durch Mitarbeiter des Beklagten auch die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.
- 7
-
Der Kläger hat beantragt
-
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2008 nicht aufgelöst worden ist.
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-
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese der Presse zugänglich gemacht. Er habe zudem fünf - unberechtigte - anonyme Anzeigen zu seinen - des Beklagten - Lasten erstattet. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts sei inhaltlich nicht zu beanstanden und zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgehoben worden.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst ausgesetzt. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat es das Verfahren fortgeführt und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
- 10
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Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht als unwirksam ansehen. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Sie habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits sei dem Kläger wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.
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B. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 14
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I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt bereits deshalb eine Rechtsverletzung iSv. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststeht, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage kann deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.
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1. Zwar sind neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gilt jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 2 AZR 730/00 - zu B II 2 a cc der Gründe, BAGE 101, 138; 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96 - zu IV der Gründe, BAGE 86, 7). Das Revisionsgericht darf nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 117).
- 16
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2. So liegt es hier. Würde der Senat die angefochtene Entscheidung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung, dh. ohne Berücksichtigung des mittlerweile ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, wäre das Verfahren auf Antrag des Beklagten nach § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen.
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II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.
- 18
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1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 14).
- 19
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2. Im Streitfall hatte das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten war damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht - auch nicht vorübergehend - dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben hat.
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a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die Gerichte für Arbeitssachen seien bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden. Das Gesetz sieht für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vor. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zustimmungsbescheids sind danach ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Arbeitsgerichte sind nicht befugt, deren Entscheidungen rechtlich zu überprüfen (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 125; GK-SGB IX/Lampe
§ 88 Rn. 103) .
- 21
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b) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht entfalte Bindungswirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
- 22
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aa) Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit - so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 88 Rn. 28; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 80).
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bb) Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 107; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 45).
- 24
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(1) Die Regelung des § 88 Abs. 4 SGB IX will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für oft längere Zeit auch in den Fällen erzwingen kann, in denen er ohne Zusammenhang mit der Behinderung einen Grund zur Kündigung gegeben hat(BT-Drucks. 7/656, S. 44). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber bei einmal erteilter Zustimmung nicht zumutbar, für die (weitere) Dauer des verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens von einer Kündigung abzusehen. Etwas anderes gilt erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheids. In diesem Fall wird eine aufgrund der zunächst erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung rückwirkend unwirksam (BAG 15. Mai 1986 - 2 AZR 497/85 - zu B II 3 b der Gründe). Sollte bis dahin die Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 33; KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 144; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 22; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX § 85 Rn. 39a; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 49).
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(2) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Zwar schließt § 88 Abs. 4 SGB IX die aufschiebende Wirkung ausdrücklich nur für „Widerspruch und Anfechtungsklage“ aus. Unter der „Anfechtungsklage“ ist jedoch nicht nur der Rechtszug erster Instanz, sondern sind auch die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu verstehen (Deinert/Neumann/Braasch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 244).
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(a) Dieses Verständnis folgt schon aus dem Wortsinn. Die „Anfechtungsklage“ ist nicht bereits mit Ende der ersten Instanz erledigt. Auch im ggf. zweiten und dritten Rechtszug ist weiterhin „Anfechtungsklage“ erhoben, solange sie rechtshängig ist. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Vorinstanz über sie entschieden hat. § 80b VwGO bestätigt diese Lesart. Dort heißt es, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ende nach einer bestimmten Frist, wenn „die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist“. Das impliziert ein Begriffsverständnis, demzufolge ggf. auch im zweiten und dritten Rechtszug noch über „die Anfechtungsklage“ entschieden wird.
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(b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gebietet ebenfalls ein solches Verständnis. § 18 Abs. 5 SchwbG sah in seiner bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung bei der außerordentlichen Kündigung den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von „Rechtsmitteln“ vor. Diese Regelung wurde in § 18 Abs. 4 SchwbG 1986 und später in § 88 Abs. 4 SGB IX mit der Änderung übernommen, dass die aufschiebende Wirkung auch bei einer ordentlichen Kündigung entfallen sollte(vgl. BT-Drucks. 10/3138, S. 21). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der zugleich erfolgten Ersetzung des Begriffs „Rechtsmittel“ durch die präzisere Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ eine zeitliche Beschränkung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auf die Dauer der Anfechtungsklage in erster Instanz beabsichtigt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
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(c) Die gegenteilige Ansicht widerspricht überdies Sinn und Zweck der Regelung. Ihr zufolge wären die Gerichte für Arbeitssachen nach einem erstinstanzlichen Erfolg der Anfechtungsklage auch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes gehalten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu erkennen. Der Arbeitnehmer könnte damit entgegen der gesetzlichen Intention die vorläufige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzwingen, obwohl die Kündigung behördlich zugelassen worden und das verwaltungsgerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch wären die Gerichte für Arbeitssachen gezwungen, innerhalb ihres Instanzenzugs selbst bei übereinstimmend angenommenem Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, wenn mittlerweile ein Verwaltungsgericht anders als die Behörde und/oder die gerichtliche Vorinstanz geurteilt hätte, ohne dass dessen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtszweige und schon aus Kostengründen nicht den wohlverstandenen Interessen der Parteien. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt danach, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung zur Kündigung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Bedacht zu nehmen haben. Dementsprechend ist eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits in der Regel nicht angezeigt (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - zu B V der Gründe).
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C. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Der Senat kann dies mangels der erforderlichen Feststellungen nicht selbst beurteilen.
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Kreft
Berger
Rinck
Beckerle
Torsten Falke
Tenor
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
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3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.
Gründe
- 1
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I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.
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Die Beklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das Arbeitsgericht Dresden der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 5. April 2013 (- 6 Sa 13/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 Sa 265/13 -) zurück. Die Beklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (- 1 BvR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 27. September 2013 hat das Arbeitsgericht Dresden den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht kommt.
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1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer(§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).
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2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.
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a) Das Landesarbeitsgericht nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden nach Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. Bei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 BvR 2116/94 - zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.
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b) Kommt allerdings das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des Bestehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind(vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerfG 11. Januar 2000 - 1 BvR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; BAG 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - zu II 3 a der Gründe; BGH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; BAG 27. Januar 1998 - 3 AZR 430/96 - zu A der Gründe [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).
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3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 BGB) nicht aussetzen. Auch unter Berücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im Beschwerderechtszug (vgl. dazu BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 7 ff.; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.
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a) Die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist(BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 19, BVerfGK 14, 270).
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b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. zB LAG Köln 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; LAG Schleswig-Holstein 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; Hessisches LAG 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; Thüringer LAG 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 20, BVerfGK 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen (LAG Köln 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die Beklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der Beklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der Vergütungsklage rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung(vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 6 der Gründe, BAGE 103, 290; vgl. auch BGH 23. November 2006 - IX ZR 141/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Mikosch
Schmitz-Scholemann
W. Reinfelder
(1) Das Verfahren ist in allen Rechtszügen zu beschleunigen.
(2) Die Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes über Zustellungs- und Vollstreckungsbeamte, über die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung, über die Gerichtssprache, über die Wahrnehmung richterlicher Geschäfte durch Referendare und über Beratung und Abstimmung gelten in allen Rechtszügen entsprechend. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landesarbeitsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesarbeitsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Arbeitsgerichtsgesetz tritt.
(3) Die Vorschriften über die Wahrnehmung der Geschäfte bei den ordentlichen Gerichten durch Rechtspfleger gelten in allen Rechtszügen entsprechend. Als Rechtspfleger können nur Beamte bestellt werden, die die Rechtspflegerprüfung oder die Prüfung für den gehobenen Dienst bei der Arbeitsgerichtsbarkeit bestanden haben.
(4) Zeugen und Sachverständige erhalten eine Entschädigung oder Vergütung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz.
(5) Alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen enthalten die Belehrung über das Rechtsmittel. Soweit ein Rechtsmittel nicht gegeben ist, ist eine entsprechende Belehrung zu erteilen. Die Frist für ein Rechtsmittel beginnt nur, wenn die Partei oder der Beteiligte über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form schriftlich belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsmittels nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung der Entscheidung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei; § 234 Abs. 1, 2 und § 236 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gelten für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
(1) Verfahren in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind nach Maßgabe der folgenden Vorschriften vorrangig zu erledigen.
(2) Die Güteverhandlung soll innerhalb von zwei Wochen nach Klageerhebung stattfinden.
(3) Ist die Güteverhandlung erfolglos oder wird das Verfahren nicht in einer sich unmittelbar anschließenden weiteren Verhandlung abgeschlossen, fordert der Vorsitzende den Beklagten auf, binnen einer angemessenen Frist, die mindestens zwei Wochen betragen muß, im einzelnen unter Beweisantritt schriftlich die Klage zu erwidern, wenn der Beklagte noch nicht oder nicht ausreichend auf die Klage erwidert hat.
(4) Der Vorsitzende kann dem Kläger eine angemessene Frist, die mindestens zwei Wochen betragen muß, zur schriftlichen Stellungnahme auf die Klageerwiderung setzen.
(5) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf der nach Absatz 3 oder 4 gesetzten Fristen vorgebracht werden, sind nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.
(6) Die Parteien sind über die Folgen der Versäumung der nach Absatz 3 oder 4 gesetzten Fristen zu belehren.
Tenor
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1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2014 - 4 Ta 248/13 (9) - wird zurückgewiesen.
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2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
-
3. Der Streitwert wird auf 8.137,02 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin für die Monate Juni 2012 bis Mai 2013 in Höhe von 60.000,00 Euro brutto abzüglich gezahlten Arbeitslosengeldes in Höhe von 19.314,90 Euro.
- 2
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Die Beklagte hatte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vom 23. April 2012 zum 31. Mai 2012 gekündigt. Mit Urteil vom 5. Dezember 2012 hat das Arbeitsgericht Dresden der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung ist durch das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 5. April 2013 (- 6 Sa 13/13 -) ohne Zulassung der Revisionsbeschwerde als unzulässig verworfen worden. Die hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Juni 2013 (- 6 Sa 265/13 -) zurück. Die Beklagte erhob daraufhin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und die Beschlüsse des Sächsischen Landesarbeitsgerichts beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (- 1 BvR 1954/13 -), über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 27. September 2013 hat das Arbeitsgericht Dresden den Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Sächsische Landesarbeitsgericht durch Beschluss vom 29. Januar 2014 diese Entscheidung aufgehoben und den Aussetzungsantrag zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht nimmt im Ergebnis zutreffend an, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht in Betracht kommt.
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1. Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Das Gesetz stellt die Aussetzung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts. Eine Aussetzung muss nur dann erfolgen, wenn sich das Ermessen des Gerichts auf null reduziert hat (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 a der Gründe, BAGE 106, 293). Gegenüber dem vorrangigen Zweck einer Aussetzung - einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern - sind insbesondere die Nachteile einer langen Verfahrensdauer und die dabei entstehenden Folgen für die Parteien abzuwägen (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 245/02 - zu B II 2 c der Gründe, aaO). Dabei ist der Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften zum Schutz vor überlanger Verfahrensdauer(§ 9 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 198 ff. GVG).
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2. Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Landesarbeitsgerichts zutrifft, wonach es wegen der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden über die Kündigung bereits an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis, das Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits ist, fehlt.
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a) Das Landesarbeitsgericht nimmt insoweit zutreffend an, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts Dresden nach Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig (§ 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 522 Abs. 1 ZPO) und (spätestens) nach der Entscheidung über deren Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) rechtskräftig geworden ist. Hieran ändert die erhobene Verfassungsbeschwerde nichts. Bei ihr handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf, der die Rechtskraft des angegriffenen Urteils nicht hemmt und die Pflicht des Unterlegenen, das Urteil zu befolgen, nicht beseitigt (BVerfG 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18. Januar 1996 - 1 BvR 2116/94 - zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381). Damit steht (zunächst) rechtskräftig fest, dass die Kündigung vom 23. April 2012 unwirksam war.
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b) Kommt allerdings das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der erhobenen Verfassungsbeschwerde zu dem Ergebnis, dass das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde und hebt es die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG auf, stünde die Wirksamkeit der Kündigung erneut im Streit. Deshalb spricht manches dafür, dass trotz des anderen Streitgegenstandes der Verfassungsbeschwerde (vgl. dazu Zuck Das Recht der Verfassungsbeschwerde 4. Aufl. Rn. 19) die Annahme des Bestehens eines vorgreiflichen Rechtsstreits und eine entsprechende Anwendung des § 148 ZPO im Einzelfall nicht ausgeschlossen sind(vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerfG 11. Januar 2000 - 1 BvR 1392/99 - zu II 2 der Gründe; BAG 28. Januar 1988 - 2 AZR 296/87 - zu II 3 a der Gründe; BGH 17. Juli 2013 - IV ZR 150/12 - [jeweils zu anhängigen Verfassungsbeschwerden über ein entscheidungserhebliches Gesetz]; BAG 27. Januar 1998 - 3 AZR 430/96 - zu A der Gründe [zu Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen in Parallelfällen]).
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3. Unabhängig hiervon ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht durfte den Rechtsstreit über die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche (§ 615 BGB) nicht aussetzen. Auch unter Berücksichtigung der - was die Ermessensausübung angeht - eingeschränkten Überprüfungskompetenz im Beschwerderechtszug (vgl. dazu BAG 26. Oktober 2009 - 3 AZB 24/09 - Rn. 7 ff.; BGH 12. Dezember 2005 - II ZB 30/04 - Rn. 6) hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts einer Überprüfung nicht stand. Es hat die Grenzen seines Ermessens deutlich überschritten und wesentliche Aspekte verkannt.
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a) Die Vorgreiflichkeit eines Rechtsstreits ist kein Ermessenskriterium, sondern eine Voraussetzung des § 148 ZPO, die erfüllt sein muss, damit das Ermessen des Gerichts überhaupt eröffnet ist(BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 19, BVerfGK 14, 270).
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b) Führen Parteien einen Rechtsstreit über Entgeltansprüche, die von der Wirksamkeit einer Kündigung abhängen, über die bereits eine (nicht rechtskräftige) Entscheidung zugunsten des Arbeitnehmers vorliegt, kommt eine Aussetzung dieses Rechtsstreits regelmäßig nicht in Betracht. Dem steht der Umstand entgegen, dass der Arbeitnehmer typischerweise auf seine Vergütung angewiesen ist und sich nicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen verweisen lassen muss, wenn ein Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber besteht. Der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) verbietet in solchen Fällen regelmäßig, eine Aussetzung vorzunehmen (vgl. zB LAG Köln 19. Juni 2006 - 3 Ta 60/06 -; LAG Schleswig-Holstein 24. November 2006 - 2 Ta 268/06 -; Hessisches LAG 3. Juli 2002 - 12 Ta 213/02 -; Thüringer LAG 27. Juni 2001 - 6/9 Ta 160/00 -; Düwell/Lipke/Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 25; GK-ArbGG/Schütz Stand Dezember 2013 § 55 Rn. 48; GMP/Germelmann ArbGG 8. Aufl. § 55 Rn. 29; Schwab/Weth/Korinth ArbGG 3. Aufl. § 55 Rn. 43; vgl. auch BVerfG 22. September 2008 - 1 BvR 1707/08 - Rn. 20, BVerfGK 14, 270). Für eine ermessensfehlerfreie Aussetzungsentscheidung müssen in einem solchen Fall besondere Gründe des Einzelfalls vorliegen, die das schützenswerte Interesse des Arbeitnehmers an einer auch vorläufigen Existenzsicherung ausnahmsweise überwiegen (LAG Köln 14. Dezember 1992 - 11 Ta 234/92 -). Der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit, nämlich den Rechtsstreit über die Vergütung ggf. deutlich zu vereinfachen, kann dabei keine Rolle spielen. Diese Erwägungen gelten erst recht, wenn das zunächst vorgreifliche Verfahren über die Wirksamkeit einer Kündigung rechtskräftig abgeschlossen und lediglich ein außerordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist. Solche besonderen Gründe hat das Arbeitsgericht weder erwogen noch hat die Beklagte diese vorgetragen. Sie hat sich vielmehr ausschließlich auf die Vorgreiflichkeit ihrer Verfassungsbeschwerde berufen. Allein die Gefahr widersprechender Entscheidungen bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde und einem Erfolg der Beklagten im dann fortzusetzenden Kündigungsschutzprozess führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Arbeitgeberin bleibt auch im Fall einer Ablehnung der Aussetzung nicht schutzlos. Sollte es nach einem Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde im Ergebnis zur Abweisung der Kündigungsschutzklage kommen, stünde ihr, falls der Vergütungsklage rechtskräftig stattgegeben worden ist, die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 6 ZPO zur Verfügung(vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 297/01 - zu B I 6 der Gründe, BAGE 103, 290; vgl. auch BGH 23. November 2006 - IX ZR 141/04 - zu I 2 b der Gründe). Ob in Fällen, in denen erkennbar eine Überschreitung der 5-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO droht, etwas anderes gilt, kann dahinstehen. Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG.
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Mikosch
Schmitz-Scholemann
W. Reinfelder
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1, 2, 3 und 6 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.06.2016 - 6 BV 206/15 - wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Delegierten zur Wahl des Aufsichtsrats des zu 5) beteiligten Versicherungsunternehmens am 22.04.2015 sowie der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Delegierten am 19.05.2015. Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 5). Die Beteiligte zu 6), die Vereinigung "Neue B. Gewerkschaft (O.) e.V.", reichte unter dem 02.02.2015 einen Wahlvorschlag zur Aufsichtsratswahl ein (Bl. 30 - 31 d. A.). Mit Schreiben vom 16.02.2015 wies der Unternehmenswahlvorstand den Vorschlag als ungültig zurück, da die Beteiligte zu 6) keine Gewerkschaft sei.
4Mit einem am 04.06.2015 beim Arbeitsgerichts Hamburg eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) daraufhin die Feststellung der Unwirksamkeit der vorgenannten Wahlen beantragt.
5Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte mit Beschluss vom 09.04.2015 - 9 TaBV 225/14 - in einem Verfahren nach § 97 Abs. 2 ArbGG fest, dass die O. keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG sei. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 17.11.2015 - 1 ABN 39/15 - zurück. Nachfolgend legte die O. Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts ein (1 BvR 1/16). Über die Verfassungsbeschwerde ist bislang eine Entscheidung nicht ergangen.
6Mit Schriftsatz vom 22.12.2015 (Bl. 372 d. A.) haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) beantragt,
7das vorliegende Verfahren vorläufig bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Annahme der Verfassungsbeschwerde bzw. über die Verfassungsbeschwerde selbst auszusetzen.
8Mit Beschluss vom 16.06.2016 (Bl. 629 d. A.) hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Aussetzung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit Bezug genommen (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf und 3 Ta 63/16 Landesarbeitsgericht Düsseldorf, versehentlich mit 4 Ta 63/16 bezeichnet). Der Beschluss wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16.06.2016 in der mündlichen Verhandlung verkündet und mitsamt Begründung und Rechtsmittelbelehrung in das Protokoll aufgenommen. Das Protokoll ist dem Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) am 20.07.2016 zugestellt worden (Bl. 661 d. A.).
9Mit ihrer am 29.07.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wenden sich die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) gegen die Zurückweisung ihres Aussetzungsantrages. Sie machen insbesondere geltend, die bloße Bezugnahme des Arbeitsgerichts auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit könne die Zurückweisung des Aussetzungsantrages nicht begründen. Es sei nicht erkennbar, inwieweit das Arbeitsgericht das ihm zustehende Ermessen nach § 148 ZPO selbst ausgeübt habe. Ungeachtet dessen sei in den vom Arbeitsgericht angeführten Entscheidungen aus dem Parallelverfahren unberücksichtigt gelassen, dass es im vorliegenden Rechtsstreit um eine grundrechtsrelevante Entscheidung über den Bestand einer Gewerkschaft gehe. Deren Status könne nicht nachfolgend im Falle einer für sie positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Erhebung einer Restitutionsklage einfach "wiederhergestellt" werden. Ungeachtet dessen stünde bereits heute und unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde fest, dass die streitigen Unternehmenswahlen rechtsunwirksam seien. Denn der Wahlvorstand habe ohne jede intensive Prüfung und Anhörung bereits am 16.02.2015 und damit vor der Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts (09.04.2015) oder des Bundesarbeitsgerichts (17.11.2015) rechtswidrig den Wahlvorschlag der zu 6) beteiligten O. zurückgewiesen. Aus diesem Grund könne eine spätere Entscheidung über die Tariffähigkeit über die Beteiligte zu 6) gar nicht mehr "rückwirkend" auf die Wahl durchschlagen. Die Wahl sei bereits endgültig unwirksam.
10Mit Beschluss vom 01.08.2016 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es sich die Ermessensentscheidung der 14. Kammer im Parallelverfahren zu eigen gemacht (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf) und ergänzend darauf hingewiesen, eine Aussetzung des Verfahrens scheide erst recht aus, wenn - wie in der Beschwerdebegründung - die Vorgreiflichkeit der Verfassungsbeschwerde verneint würde.
11II.
12Die vom Arbeitsgericht der Beschwerdekammer am 05.08.2016 vorgelegte sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 78 ArbGG, 252, 567 ZPO), aber unbegründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
131.Eine Aussetzung gem. § 97 Abs. 5 ArbGG, die gegenüber der Aussetzung nach § 148 ZPO vorgreiflich ist (lex specialis), kommt nicht in Betracht.
14a.Gem. § 97 Abs. 5 ArbGG hat das Gericht - ohne Ermessen - ein Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits unter anderem davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist. Gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für die Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung. Ein solches Beschlussverfahren ist im Sinne von § 97 Abs. 5 ArbGG "erledigt", wenn das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zurückgewiesen hat. In diesem Fall tritt formelle Rechtskraft ein, das Verfahren ist beendet. Die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG greift nicht mehr ein. Das Beschlussverfahren wird auch durch den außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nicht verlängert. Es ist - vorbehaltlich einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht - zunächst formell rechtskräftig beendet (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14, NJW 2014, 1903, Rn 7 mwN).
15Das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht 9 TaBV 225/14 war zwar ein solches nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. Es ging um die Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft. Doch war das Verfahren nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesarbeitsgericht am 17.11.2015 rechtskräftig beendet.
16b.Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 5 ArbGG im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde scheidet nach Auffassung der Beschwerdekammer aus.
17Allerdings wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 148 ZPO eine entsprechende Anwendung auf Verfassungsbeschwerden im Einzelfall für möglich gehalten (vgl. die Nachweise in BAG 16.04.2016, aaO, Rn 8). Dies kann jedoch nicht auf die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG übertragen werden. Hier besteht kein Ermessen, das den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen könnte, sondern eine zwingende Aussetzungspflicht. Mit dieser verträgt sich eine analoge Anwendung "im Einzelfall" nicht.
182.Nach rechtskräftiger Beendigung des Beschlussverfahrens nach § 97 Abs. 2 ArbGG dürfte § 97 Abs. 5 ArbGG einer Anwendung von § 148 ZPO grundsätzlich nicht mehr entgegenstehen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auszusetzen, ist beschwerderechtlich aber jedenfalls nicht zu beanstanden.
19a.Gem. § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Vorschrift ist trotz der fehlenden Verweisung in § 80 Abs. 2 ArbGG auch im Beschlussverfahren anzuwenden (vgl. LAG Düsseldorf 15.11.1974 - 16 TaBV 23/74, EzA § 148 ZPO Nr. 1; Germelmann/Matthes/Spinner, ArbGG, 8. Aufl., § 80 Rn 43 mwN).
20Der Umstand, dass dem Erstgericht auf der Rechtsfolgenseite des § 148 ZPO ein Ermessen eingeräumt ist und es sich hier nicht nur um einen rechtlich gebundenen Beurteilungsspielraum handelt, wie er oft bei Prüfungen auf der Rechtsvoraussetzungsseite der Norm vorliegt, hat Auswirkung auf die Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Das Beschwerdegericht hat den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 252 Rn 26). Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat (OLG Düsseldorf - 2 W 26/84, NJW 1985, 1966). Es hat die angegriffene Entscheidung zunächst nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens zu überprüfen (Musielak, ZPO, 3. Aufl., Rn 4 zu § 252), das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat (Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, 173). Solange dies nicht der Fall ist, fehlt dem Beschwerdegericht die Befugnis, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967). Da der Ermessensspielraum des § 148 ZPO weit ist, wird ein Entscheidungsfehlgebrauch nur in besonderen Ausnahmefällen vorliegen (OLG Düsseldorf, aaO). Voll überprüfbar ist dagegen, ob die tatbestandliche Voraussetzung für eine Aussetzung, nämlich eine Vorgreiflichkeit, vorliegt (LAG Nürnberg 27.02.2003 - 7 Ta 13/03, Rn. 8, juris).
21Bei Anlegung dieser Maßstäbe spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift erfüllt sind (dazu b). Doch hält es sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessens, den Rechtsstreit nicht auszusetzen (dazu c).
22b)Das vor dem Bundesverfassungsgericht seit Anfang des Jahres 2016 anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO für den vorliegenden Rechtsstreit als vorgreiflich angesehen werden können.
23aa)Für das Beschwerdeverfahren nach § 252 ZPO wird unterstellt, dass der Ausgang des Hauptverfahrens von der Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft abhängt. An der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für das Hauptverfahren fehlt es jedenfalls nicht offenkundig.
24Das Arbeitsgericht hat nicht ausgeführt, dass aus seiner Sicht der Ausgang des Rechtsstreits von der Vorfrage abhängt, ob die O. den Status einer tariffähigen Gewerkschaft hat. Dies geht jedenfalls aus der bloßen Inbezugnahme des Arbeitsgerichts auf die Erwägungen der 14. Kammer in dem Parallelrechtsstreit 14 BV 160/15 nicht hervor. Allerdings hat die 14. Kammer eine Aussetzung des Rechtsstreits in Ausübung ihres Ermessens abgelehnt und nicht mangels Abhängigkeit von der anderweitig anhängigen Vorfrage. Ob es im zugrundeliegenden Rechtsstreit darauf ankommt, dass die O. eine tariffähige Gewerkschaft ist, haben das Ausgangsgericht und ggfs. die Rechtsmittelgerichte des Hauptverfahrens zu beurteilen, nicht aber das Beschwerdegericht im Verfahren nach § 252 ZPO (BAG 26.10.2009 - 3 AZR 24/09, NZA 2009, 1436, Rn 9). Eine Ausnahme gilt nur bei offensichtlichem Fehlen der Entscheidungserheblichkeit (BAG 16.10.2009, aaO).
25bb)Es ist unschädlich, dass der Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zum Gegenstand hatte, sondern die Feststellung einer Eigenschaft (tariffähige Gewerkschaft).
26Rechtsverhältnis iSv. § 148 ZPO ist ein solches, dessen Bestehen oder Nichtbestehen nach § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt werden kann (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 148 Rn 5). Danach ist ein Rechtsverhältnis jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Das kann sich auch auf bloße einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen und den Umfang einer Leistungspflicht beziehen. Damit können bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses ebenso wie abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags im Sinne von § 256 ZPO sein. Etwas anderes gilt aber dann, wenn das Gesetz wie etwa in § 2 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ArbGG die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung rechtlicher Vorfragen ausdrücklich vorsieht (BAG 18.03.2015 - 7 ABR 42/12 - Rn 23, zitiert nach juris, mwN). Eine solche gesetzlich ausdrücklich zugelassene Klage kann in gleicher Weise für den Ausgang eines Rechtsstreits präjudiziell iSv. § 148 ZPO sein wie eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Die von § 148 ZPO verfolgten Zwecke der Prozessökonomie und der Entscheidungsharmonie gebieten daher in den spezialgesetzlich zugelassenen sonstigen Feststellungsklagen regelmäßig eine analoge Anwendung.
27cc) Das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte nach den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO als vorgreiflich angesehen werden können.
28Zwar hat dieses Verfahren nicht unmittelbar die Feststellung der Eigenschaft einer tariffähigen Gewerkschaft zum Gegenstand. Doch betrifft es die Frage einer Grundrechtsverletzung im Verfahren vor dem hessischen Landesarbeitsgericht (9 TaBV 225/14), in dem es um die vorgenannte Feststellung ging. Im Falle des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde ist das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht fortzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) oder etwa die Verfassungswidrigkeit der Verkürzung des Rechtswegs durch § 97 Abs. 2 ArbGG (Art. 19 Abs. 4 GG) geltend gemacht wird.
29c)Die Frage einer entsprechenden Anwendung von § 148 ZPO kann jedoch offen bleiben. Denn die Ablehnung der Aussetzung hält sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO eingeräumten Ermessens.
30aa)Die Vorgreiflichkeit selbst ist kein Ermessenskriterium, sondern Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Ermessen des Gerichts zur Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits eröffnet ist (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14 - juris; BVerfG 22.09.2008 - 1 BvR 1707/08 -, juris, Rn 19).
31bb)Unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Überprüfungskompetenz des Beschwerdegerichts (vgl. oben unter 2. a.) ist die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nicht zu beanstanden.
32Das Arbeitsgericht hat weder die Grenzen seines Ermessens überschritten noch wesentliche Ermessensgesichtspunkte nicht beachtet noch ist ihm ein sonstiger Ermessensfehlgebrauch anzulasten. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren 14 BV 160/15 vom 22.01.2013 wie auch auf die weitere Nichtabhilfeentscheidung vom 29.01.2016 (Bl. 459-468 d. A.) hat das Arbeitsgericht die maßgeblichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen und eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen. Es hat sowohl die Gründe der Prozessökonomie und Entscheidungsharmonie, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG, den Beschleunigungsgrundsatz für arbeitsgerichtliche Verfahren gem. § 9 Abs. 5 ArbGG als auch die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde und Neuverhandlung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht berücksichtigt.
33Der von den Beschwerdeführern mit der Beschwerde vorgebrachte Gesichtspunkt, dass eine Mobilisierung von Beschäftigten nach einer Restitutionsklage nicht mehr ohne weiteres möglich sei, rechtfertigt die Aussetzung des Verfahrens nicht. Grundsätzlich kann allerdings das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG auch durch nachteilige faktische Auswirkungen für die Handlungsfähigkeit einer Gewerkschaft, die aus einer bestimmten Verfahrensführung des Gerichts folgen, verletzt werden. Dafür haben die Beschwerdeführer jedoch nichts dargetan. Der bloße Hinweis darauf, dass eine Mobilisierung von Arbeitnehmern nicht jederzeit aus dem Stand wiederherstellbar ist, genügt nicht. Die Beschwerdeführer betreiben das Anfechtungsverfahren betreffend die Unternehmenswahlen, dessen Aussetzung sie nunmehr begehren, selbst. Die Liste der O. wurde bei den Wahlen nicht berücksichtigt, die darauf befindlichen Kandidaten wurden offenbar nicht gewählt, zumindest nicht über die Liste. An diesem Zustand würde eine Aussetzung des Verfahrens nichts ändern. Es ist nicht ersichtlich, warum sie einer Mobilisierung von Arbeitnehmern für die O. gleichwohl zuträglich sein soll.
34Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die nur begrenzte Dauer der Wahlperiode der Unternehmenswahlen von längstens fünf Jahren gemäß §§ 13, 15 MitbestG iVm. mit den für das jeweilige Organ maßgeblichen Bestimmungen (vgl. HWK/Seibt, 7. Aufl., §§ 9 - 18 MitbestG Rn 44). Die Dauer des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist nicht absehbar. Sie ist nicht auf die Dauer der Wahlperiode im vorliegenden Rechtsstreit ausgerichtet, da es in dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht schlechthin um den Status der O. ging. Im Falle des Obsiegens vor dem Bundesverfassungsgericht sowie in dem anschließend fortgesetzten Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht könnte bei Aussetzung des vorliegenden Verfahrens betreffend die Unternehmenswahlen ein Restitutionsverfahren dann (mangels Rechtsschutzbedürfnisses) nicht mehr durchgeführt werden, wenn die Wahlperiode abgelaufen ist. In diesem Fall bliebe das Aufsichtsgremium während seiner gesamten Amtszeit ohne Klärung der Rechtswirksamkeit seiner Wahl. Es käme mithin nicht nur zu einer Verfahrensverzögerung, sondern uU zu einer vollständigen Vermeidung einer Entscheidung. Dies spricht gegen eine Aussetzung.
35Die Erwägung der Beschwerdeführer, die Unternehmenswahlen seien bereits unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde rechtsunwirksam gewesen, weil der Wahlvorstand bereits vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidungen über die Tariffähigkeit der O. deren Wahlvorschlag zurückgewiesen habe, rechtfertigt erst recht keine Aussetzung des Verfahrens, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. In diesem Fall fehlte es bereits an der Vorgreiflichkeit.
36III.
37Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden Teil der Prozesskosten und sind gegebenenfalls bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704 mwN).
38Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
39Quecke
(1) Die Bundesregierung berichtet den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einmal in der Legislaturperiode, mindestens jedoch alle vier Jahre, über die Lebenslagen der Menschen mit Behinderungen und der von Behinderung bedrohten Menschen sowie über die Entwicklung ihrer Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft. Die Berichterstattung zu den Lebenslagen umfasst Querschnittsthemen wie Gender Mainstreaming, Migration, Alter, Barrierefreiheit, Diskriminierung, Assistenzbedarf und Armut. Gegenstand des Berichts sind auch Forschungsergebnisse über Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen und der Leistungen der Rehabilitationsträger für die Zielgruppen des Berichts.
(2) Die Verbände der Menschen mit Behinderungen werden an der Weiterentwicklung des Berichtskonzeptes beteiligt.
Tenor
-
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juli 2011 - 7 Sa 1155/09 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
- 2
-
Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und war Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt“ gewählten Personalrats.
- 3
-
Am 24. April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel unter der Überschrift „Chef der Abtei … unter Verdacht - ‚ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität’ in der Außenstelle …“. Darin heißt es: „In der Schreinerei sollen Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein, wie der ehemalige Personalvertreter … sagt.“ Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.
- 4
-
Mit Datum vom 23. Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Juni 2008 erteilt. Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.
- 5
-
Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hat dieses den Bescheid des Integrationsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
- 6
-
Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Seine Auskünfte gegenüber der Presse entsprächen der Wahrheit. Jahrelang seien in der Schreinerei mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden. Der Leiter habe durch Mitarbeiter des Beklagten auch die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.
- 7
-
Der Kläger hat beantragt
-
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2008 nicht aufgelöst worden ist.
- 8
-
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese der Presse zugänglich gemacht. Er habe zudem fünf - unberechtigte - anonyme Anzeigen zu seinen - des Beklagten - Lasten erstattet. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts sei inhaltlich nicht zu beanstanden und zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgehoben worden.
- 9
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst ausgesetzt. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat es das Verfahren fortgeführt und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
- 10
-
Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
- 11
-
Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht als unwirksam ansehen. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
- 12
-
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Sie habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits sei dem Kläger wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.
- 13
-
B. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 14
-
I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt bereits deshalb eine Rechtsverletzung iSv. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststeht, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage kann deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.
- 15
-
1. Zwar sind neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gilt jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 2 AZR 730/00 - zu B II 2 a cc der Gründe, BAGE 101, 138; 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96 - zu IV der Gründe, BAGE 86, 7). Das Revisionsgericht darf nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 117).
- 16
-
2. So liegt es hier. Würde der Senat die angefochtene Entscheidung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung, dh. ohne Berücksichtigung des mittlerweile ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, wäre das Verfahren auf Antrag des Beklagten nach § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen.
- 17
-
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.
- 18
-
1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 14).
- 19
-
2. Im Streitfall hatte das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten war damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht - auch nicht vorübergehend - dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben hat.
- 20
-
a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die Gerichte für Arbeitssachen seien bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden. Das Gesetz sieht für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vor. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zustimmungsbescheids sind danach ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Arbeitsgerichte sind nicht befugt, deren Entscheidungen rechtlich zu überprüfen (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 125; GK-SGB IX/Lampe
§ 88 Rn. 103) .
- 21
-
b) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht entfalte Bindungswirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
- 22
-
aa) Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit - so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 88 Rn. 28; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 80).
- 23
-
bb) Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 107; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 45).
- 24
-
(1) Die Regelung des § 88 Abs. 4 SGB IX will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für oft längere Zeit auch in den Fällen erzwingen kann, in denen er ohne Zusammenhang mit der Behinderung einen Grund zur Kündigung gegeben hat(BT-Drucks. 7/656, S. 44). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber bei einmal erteilter Zustimmung nicht zumutbar, für die (weitere) Dauer des verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens von einer Kündigung abzusehen. Etwas anderes gilt erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheids. In diesem Fall wird eine aufgrund der zunächst erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung rückwirkend unwirksam (BAG 15. Mai 1986 - 2 AZR 497/85 - zu B II 3 b der Gründe). Sollte bis dahin die Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 33; KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 144; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 22; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX § 85 Rn. 39a; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 49).
- 25
-
(2) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Zwar schließt § 88 Abs. 4 SGB IX die aufschiebende Wirkung ausdrücklich nur für „Widerspruch und Anfechtungsklage“ aus. Unter der „Anfechtungsklage“ ist jedoch nicht nur der Rechtszug erster Instanz, sondern sind auch die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu verstehen (Deinert/Neumann/Braasch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 244).
- 26
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(a) Dieses Verständnis folgt schon aus dem Wortsinn. Die „Anfechtungsklage“ ist nicht bereits mit Ende der ersten Instanz erledigt. Auch im ggf. zweiten und dritten Rechtszug ist weiterhin „Anfechtungsklage“ erhoben, solange sie rechtshängig ist. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Vorinstanz über sie entschieden hat. § 80b VwGO bestätigt diese Lesart. Dort heißt es, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ende nach einer bestimmten Frist, wenn „die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist“. Das impliziert ein Begriffsverständnis, demzufolge ggf. auch im zweiten und dritten Rechtszug noch über „die Anfechtungsklage“ entschieden wird.
- 27
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(b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gebietet ebenfalls ein solches Verständnis. § 18 Abs. 5 SchwbG sah in seiner bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung bei der außerordentlichen Kündigung den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von „Rechtsmitteln“ vor. Diese Regelung wurde in § 18 Abs. 4 SchwbG 1986 und später in § 88 Abs. 4 SGB IX mit der Änderung übernommen, dass die aufschiebende Wirkung auch bei einer ordentlichen Kündigung entfallen sollte(vgl. BT-Drucks. 10/3138, S. 21). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der zugleich erfolgten Ersetzung des Begriffs „Rechtsmittel“ durch die präzisere Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ eine zeitliche Beschränkung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auf die Dauer der Anfechtungsklage in erster Instanz beabsichtigt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
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(c) Die gegenteilige Ansicht widerspricht überdies Sinn und Zweck der Regelung. Ihr zufolge wären die Gerichte für Arbeitssachen nach einem erstinstanzlichen Erfolg der Anfechtungsklage auch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes gehalten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu erkennen. Der Arbeitnehmer könnte damit entgegen der gesetzlichen Intention die vorläufige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzwingen, obwohl die Kündigung behördlich zugelassen worden und das verwaltungsgerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch wären die Gerichte für Arbeitssachen gezwungen, innerhalb ihres Instanzenzugs selbst bei übereinstimmend angenommenem Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, wenn mittlerweile ein Verwaltungsgericht anders als die Behörde und/oder die gerichtliche Vorinstanz geurteilt hätte, ohne dass dessen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtszweige und schon aus Kostengründen nicht den wohlverstandenen Interessen der Parteien. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt danach, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung zur Kündigung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Bedacht zu nehmen haben. Dementsprechend ist eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits in der Regel nicht angezeigt (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - zu B V der Gründe).
- 29
-
C. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Der Senat kann dies mangels der erforderlichen Feststellungen nicht selbst beurteilen.
-
Kreft
Berger
Rinck
Beckerle
Torsten Falke
Die Restitutionsklage findet statt:
- 1.
wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; - 2.
wenn eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war; - 3.
wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat; - 4.
wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist; - 5.
wenn ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat; - 6.
wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist; - 7.
wenn die Partei - a)
ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder - b)
eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde;
- 8.
wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.
Tenor
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1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Juli 2011 - 7 Sa 1155/09 - aufgehoben.
-
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
- 2
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Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1992 als Elektriker beschäftigt. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt und war Mitglied des für das Dezernat „Kultur/Umwelt“ gewählten Personalrats.
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Am 24. April 2008 erschien in der örtlichen Presse ein Artikel unter der Überschrift „Chef der Abtei … unter Verdacht - ‚ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität’ in der Außenstelle …“. Darin heißt es: „In der Schreinerei sollen Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein, wie der ehemalige Personalvertreter … sagt.“ Auf Befragen des Beklagten räumte der Kläger ein, sich gegenüber dem recherchierenden Journalisten entsprechend geäußert zu haben.
- 4
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Mit Datum vom 23. Mai 2008 beantragte der Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung des Klägers. Diese wurde mit Bescheid vom 6. Juni 2008 erteilt. Am selben Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach Zustimmung von Personalrat und Gesamtpersonalrat außerordentlich fristlos.
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Der Kläger hat rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben. Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamts hat er Widerspruch eingelegt. Dieser wurde vom Widerspruchsausschuss zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Mit Urteil vom 24. Juni 2010 hat dieses den Bescheid des Integrationsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.
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Der Kläger hat die Kündigung für unwirksam gehalten. Seine Auskünfte gegenüber der Presse entsprächen der Wahrheit. Jahrelang seien in der Schreinerei mit Kenntnis und Billigung des Leiters Möbel für Privatzwecke gebaut und verkauft worden. Der Leiter habe durch Mitarbeiter des Beklagten auch die Privatwohnungen von Angehörigen renovieren lassen. Im Übrigen habe es nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts an einem wirksamen Zustimmungsbescheid des Integrationsamts gefehlt.
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Der Kläger hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2008 nicht aufgelöst worden ist.
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Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe haltlose Vorwürfe gegen Vorgesetzte erhoben und diese der Presse zugänglich gemacht. Er habe zudem fünf - unberechtigte - anonyme Anzeigen zu seinen - des Beklagten - Lasten erstattet. Der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts sei inhaltlich nicht zu beanstanden und zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgehoben worden.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zunächst ausgesetzt. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat es das Verfahren fortgeführt und der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
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Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Januar 2013 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Anfechtungsklage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die außerordentliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht als unwirksam ansehen. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung eine wirksame Zustimmung des Integrationsamts nicht (mehr) vorgelegen habe. Dem stehe nicht entgegen, dass die den Zustimmungsbescheid aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht rechtskräftig gewesen sei. Sie habe die Wirkung des Bescheids jedenfalls zunächst beseitigt. Eine Fortdauer der Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits sei dem Kläger wegen des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes nicht zumutbar gewesen. Der Beklagte sei für den Fall eines ihm günstigen Ausgangs des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durch die Möglichkeit der Restitutionsklage hinreichend geschützt.
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B. Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergibt bereits deshalb eine Rechtsverletzung iSv. § 561 ZPO, weil aufgrund des Urteils des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig feststeht, dass das Integrationsamt der Kündigung zustimmen durfte. Der Klage kann deshalb jedenfalls mittlerweile nicht (mehr) mit der Begründung stattgegeben werden, ein wirksamer Zustimmungsbescheid habe nicht vorgelegen.
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1. Zwar sind neue Tatsachen in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Abweichendes gilt jedoch, wenn andernfalls ein Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben wäre (vgl. BAG 16. Mai 2002 - 2 AZR 730/00 - zu B II 2 a cc der Gründe, BAGE 101, 138; 15. Mai 1997 - 2 AZR 43/96 - zu IV der Gründe, BAGE 86, 7). Das Revisionsgericht darf nicht sehenden Auges ein Urteil erlassen, das alsbald durch eine Restitutionsklage wieder beseitigt würde (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 74 Rn. 117).
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2. So liegt es hier. Würde der Senat die angefochtene Entscheidung mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung, dh. ohne Berücksichtigung des mittlerweile ergangenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts bestätigen, wäre das Verfahren auf Antrag des Beklagten nach § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen.
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II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch ungeachtet dieses nach Abschluss des Berufungsverfahrens eingetretenen Umstands als rechtsfehlerhaft.
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1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt nach § 91 Abs. 1 SGB IX uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung. Eine ohne wirksame Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 14).
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2. Im Streitfall hatte das Integrationsamt die erforderliche Zustimmung vor Abgabe der Kündigungserklärung erteilt. Dem Beklagten war damit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger gestattet. Diese Wirkung des Zustimmungsbescheids ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht - auch nicht vorübergehend - dadurch entfallen, dass das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben hat.
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a) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, die Gerichte für Arbeitssachen seien bezogen auf die Wirksamkeit der Zustimmung an die Entscheidungen von Verwaltung und Verwaltungsgerichten gebunden. Das Gesetz sieht für den Fall der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen eine Aufspaltung des Rechtswegs vor. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Zustimmungsbescheids sind danach ausschließlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Die Arbeitsgerichte sind nicht befugt, deren Entscheidungen rechtlich zu überprüfen (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 125; GK-SGB IX/Lampe
§ 88 Rn. 103) .
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b) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht aber angenommen, auch die noch nicht rechtskräftige Aufhebung des Zustimmungsbescheids des Integrationsamts durch ein Verwaltungsgericht entfalte Bindungswirkung im arbeitsgerichtlichen Verfahren.
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aa) Gemäß § 88 Abs. 4 SGB IX haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamts keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass die durch das Integrationsamt einmal erteilte Zustimmung zur Kündigung - vorbehaltlich ihrer Nichtigkeit - so lange Wirksamkeit entfaltet, wie sie nicht rechtskräftig aufgehoben ist (LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 88 Rn. 28; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 80).
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bb) Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids die Kündigung zunächst zu erklären, ist es folglich ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 107; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 45).
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(1) Die Regelung des § 88 Abs. 4 SGB IX will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch die Einlegung von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für oft längere Zeit auch in den Fällen erzwingen kann, in denen er ohne Zusammenhang mit der Behinderung einen Grund zur Kündigung gegeben hat(BT-Drucks. 7/656, S. 44). Nach der Wertung des Gesetzgebers ist es dem Arbeitgeber bei einmal erteilter Zustimmung nicht zumutbar, für die (weitere) Dauer des verwaltungsrechtlichen Widerspruchs- und Anfechtungsverfahrens von einer Kündigung abzusehen. Etwas anderes gilt erst mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheids. In diesem Fall wird eine aufgrund der zunächst erteilten Zustimmung ausgesprochene Kündigung rückwirkend unwirksam (BAG 15. Mai 1986 - 2 AZR 497/85 - zu B II 3 b der Gründe). Sollte bis dahin die Kündigungsschutzklage bereits rechtskräftig abgewiesen worden sein, ist das Kündigungsschutzverfahren auf Antrag des Arbeitnehmers in entsprechender Anwendung von § 580 Nr. 6 ZPO wieder aufzunehmen(BAG 29. September 2011 - 2 AZR 674/10 - Rn. 33; KR/Etzel/Gallner 10. Aufl. §§ 85-90 SGB IX Rn. 144; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 22; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX § 85 Rn. 39a; Schaub/Koch ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 179 Rn. 49).
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(2) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Zwar schließt § 88 Abs. 4 SGB IX die aufschiebende Wirkung ausdrücklich nur für „Widerspruch und Anfechtungsklage“ aus. Unter der „Anfechtungsklage“ ist jedoch nicht nur der Rechtszug erster Instanz, sondern sind auch die gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelverfahren zu verstehen (Deinert/Neumann/Braasch SGB IX 2. Aufl. § 19 Rn. 244).
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(a) Dieses Verständnis folgt schon aus dem Wortsinn. Die „Anfechtungsklage“ ist nicht bereits mit Ende der ersten Instanz erledigt. Auch im ggf. zweiten und dritten Rechtszug ist weiterhin „Anfechtungsklage“ erhoben, solange sie rechtshängig ist. Dies gilt unabhängig davon, wie die jeweilige Vorinstanz über sie entschieden hat. § 80b VwGO bestätigt diese Lesart. Dort heißt es, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ende nach einer bestimmten Frist, wenn „die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist“. Das impliziert ein Begriffsverständnis, demzufolge ggf. auch im zweiten und dritten Rechtszug noch über „die Anfechtungsklage“ entschieden wird.
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(b) Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gebietet ebenfalls ein solches Verständnis. § 18 Abs. 5 SchwbG sah in seiner bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung bei der außerordentlichen Kündigung den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von „Rechtsmitteln“ vor. Diese Regelung wurde in § 18 Abs. 4 SchwbG 1986 und später in § 88 Abs. 4 SGB IX mit der Änderung übernommen, dass die aufschiebende Wirkung auch bei einer ordentlichen Kündigung entfallen sollte(vgl. BT-Drucks. 10/3138, S. 21). Dafür, dass der Gesetzgeber mit der zugleich erfolgten Ersetzung des Begriffs „Rechtsmittel“ durch die präzisere Formulierung „Widerspruch und Anfechtungsklage“ eine zeitliche Beschränkung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung auf die Dauer der Anfechtungsklage in erster Instanz beabsichtigt hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
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(c) Die gegenteilige Ansicht widerspricht überdies Sinn und Zweck der Regelung. Ihr zufolge wären die Gerichte für Arbeitssachen nach einem erstinstanzlichen Erfolg der Anfechtungsklage auch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes gehalten, auf die Unwirksamkeit der Kündigung zu erkennen. Der Arbeitnehmer könnte damit entgegen der gesetzlichen Intention die vorläufige Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erzwingen, obwohl die Kündigung behördlich zugelassen worden und das verwaltungsgerichtliche Anfechtungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Auch wären die Gerichte für Arbeitssachen gezwungen, innerhalb ihres Instanzenzugs selbst bei übereinstimmend angenommenem Vorliegen eines Kündigungsgrundes unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, wenn mittlerweile ein Verwaltungsgericht anders als die Behörde und/oder die gerichtliche Vorinstanz geurteilt hätte, ohne dass dessen Entscheidung in Rechtskraft erwachsen wäre. Dies entspricht nicht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichtszweige und schon aus Kostengründen nicht den wohlverstandenen Interessen der Parteien. Auch das prozessuale Beschleunigungsgebot verlangt danach, dass die Gerichte für Arbeitssachen bei behördlich erteilter Zustimmung zur Kündigung den Kündigungsrechtsstreit der Parteien ohne Rücksicht auf den Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften entscheiden und - falls es darauf ankommt - erst auf eine rechtskräftige Versagung der Zustimmung Bedacht zu nehmen haben. Dementsprechend ist eine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Dauer des Verwaltungsrechtsstreits in der Regel nicht angezeigt (BAG 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - zu B V der Gründe).
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C. Die Sache war an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Sie ist nicht entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung gegeben war. Der Senat kann dies mangels der erforderlichen Feststellungen nicht selbst beurteilen.
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Kreft
Berger
Rinck
Beckerle
Torsten Falke
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1, 2, 3 und 6 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.06.2016 - 6 BV 206/15 - wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Delegierten zur Wahl des Aufsichtsrats des zu 5) beteiligten Versicherungsunternehmens am 22.04.2015 sowie der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Delegierten am 19.05.2015. Die Beteiligten zu 1) bis 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 5). Die Beteiligte zu 6), die Vereinigung "Neue B. Gewerkschaft (O.) e.V.", reichte unter dem 02.02.2015 einen Wahlvorschlag zur Aufsichtsratswahl ein (Bl. 30 - 31 d. A.). Mit Schreiben vom 16.02.2015 wies der Unternehmenswahlvorstand den Vorschlag als ungültig zurück, da die Beteiligte zu 6) keine Gewerkschaft sei.
4Mit einem am 04.06.2015 beim Arbeitsgerichts Hamburg eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) daraufhin die Feststellung der Unwirksamkeit der vorgenannten Wahlen beantragt.
5Das Landesarbeitsgericht Hessen stellte mit Beschluss vom 09.04.2015 - 9 TaBV 225/14 - in einem Verfahren nach § 97 Abs. 2 ArbGG fest, dass die O. keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG sei. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 17.11.2015 - 1 ABN 39/15 - zurück. Nachfolgend legte die O. Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts ein (1 BvR 1/16). Über die Verfassungsbeschwerde ist bislang eine Entscheidung nicht ergangen.
6Mit Schriftsatz vom 22.12.2015 (Bl. 372 d. A.) haben die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) beantragt,
7das vorliegende Verfahren vorläufig bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Annahme der Verfassungsbeschwerde bzw. über die Verfassungsbeschwerde selbst auszusetzen.
8Mit Beschluss vom 16.06.2016 (Bl. 629 d. A.) hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Aussetzung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit Bezug genommen (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf und 3 Ta 63/16 Landesarbeitsgericht Düsseldorf, versehentlich mit 4 Ta 63/16 bezeichnet). Der Beschluss wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 16.06.2016 in der mündlichen Verhandlung verkündet und mitsamt Begründung und Rechtsmittelbelehrung in das Protokoll aufgenommen. Das Protokoll ist dem Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) am 20.07.2016 zugestellt worden (Bl. 661 d. A.).
9Mit ihrer am 29.07.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wenden sich die Beteiligten zu 1) bis 3) und 6) gegen die Zurückweisung ihres Aussetzungsantrages. Sie machen insbesondere geltend, die bloße Bezugnahme des Arbeitsgerichts auf Entscheidungen in einem Parallelrechtsstreit könne die Zurückweisung des Aussetzungsantrages nicht begründen. Es sei nicht erkennbar, inwieweit das Arbeitsgericht das ihm zustehende Ermessen nach § 148 ZPO selbst ausgeübt habe. Ungeachtet dessen sei in den vom Arbeitsgericht angeführten Entscheidungen aus dem Parallelverfahren unberücksichtigt gelassen, dass es im vorliegenden Rechtsstreit um eine grundrechtsrelevante Entscheidung über den Bestand einer Gewerkschaft gehe. Deren Status könne nicht nachfolgend im Falle einer für sie positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Erhebung einer Restitutionsklage einfach "wiederhergestellt" werden. Ungeachtet dessen stünde bereits heute und unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde fest, dass die streitigen Unternehmenswahlen rechtsunwirksam seien. Denn der Wahlvorstand habe ohne jede intensive Prüfung und Anhörung bereits am 16.02.2015 und damit vor der Entscheidung des hessischen Landesarbeitsgerichts (09.04.2015) oder des Bundesarbeitsgerichts (17.11.2015) rechtswidrig den Wahlvorschlag der zu 6) beteiligten O. zurückgewiesen. Aus diesem Grund könne eine spätere Entscheidung über die Tariffähigkeit über die Beteiligte zu 6) gar nicht mehr "rückwirkend" auf die Wahl durchschlagen. Die Wahl sei bereits endgültig unwirksam.
10Mit Beschluss vom 01.08.2016 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es sich die Ermessensentscheidung der 14. Kammer im Parallelverfahren zu eigen gemacht (14 BV 160/15 Arbeitsgericht Düsseldorf) und ergänzend darauf hingewiesen, eine Aussetzung des Verfahrens scheide erst recht aus, wenn - wie in der Beschwerdebegründung - die Vorgreiflichkeit der Verfassungsbeschwerde verneint würde.
11II.
12Die vom Arbeitsgericht der Beschwerdekammer am 05.08.2016 vorgelegte sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 78 ArbGG, 252, 567 ZPO), aber unbegründet. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts ist beschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
131.Eine Aussetzung gem. § 97 Abs. 5 ArbGG, die gegenüber der Aussetzung nach § 148 ZPO vorgreiflich ist (lex specialis), kommt nicht in Betracht.
14a.Gem. § 97 Abs. 5 ArbGG hat das Gericht - ohne Ermessen - ein Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits unter anderem davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist. Gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für die Entscheidung über die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung. Ein solches Beschlussverfahren ist im Sinne von § 97 Abs. 5 ArbGG "erledigt", wenn das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG zurückgewiesen hat. In diesem Fall tritt formelle Rechtskraft ein, das Verfahren ist beendet. Die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG greift nicht mehr ein. Das Beschlussverfahren wird auch durch den außerordentlichen Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde nicht verlängert. Es ist - vorbehaltlich einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht - zunächst formell rechtskräftig beendet (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14, NJW 2014, 1903, Rn 7 mwN).
15Das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht 9 TaBV 225/14 war zwar ein solches nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. Es ging um die Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft. Doch war das Verfahren nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesarbeitsgericht am 17.11.2015 rechtskräftig beendet.
16b.Eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 5 ArbGG im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde scheidet nach Auffassung der Beschwerdekammer aus.
17Allerdings wird in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 148 ZPO eine entsprechende Anwendung auf Verfassungsbeschwerden im Einzelfall für möglich gehalten (vgl. die Nachweise in BAG 16.04.2016, aaO, Rn 8). Dies kann jedoch nicht auf die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG übertragen werden. Hier besteht kein Ermessen, das den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen könnte, sondern eine zwingende Aussetzungspflicht. Mit dieser verträgt sich eine analoge Anwendung "im Einzelfall" nicht.
182.Nach rechtskräftiger Beendigung des Beschlussverfahrens nach § 97 Abs. 2 ArbGG dürfte § 97 Abs. 5 ArbGG einer Anwendung von § 148 ZPO grundsätzlich nicht mehr entgegenstehen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das Verfahren nicht in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auszusetzen, ist beschwerderechtlich aber jedenfalls nicht zu beanstanden.
19a.Gem. § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Vorschrift ist trotz der fehlenden Verweisung in § 80 Abs. 2 ArbGG auch im Beschlussverfahren anzuwenden (vgl. LAG Düsseldorf 15.11.1974 - 16 TaBV 23/74, EzA § 148 ZPO Nr. 1; Germelmann/Matthes/Spinner, ArbGG, 8. Aufl., § 80 Rn 43 mwN).
20Der Umstand, dass dem Erstgericht auf der Rechtsfolgenseite des § 148 ZPO ein Ermessen eingeräumt ist und es sich hier nicht nur um einen rechtlich gebundenen Beurteilungsspielraum handelt, wie er oft bei Prüfungen auf der Rechtsvoraussetzungsseite der Norm vorliegt, hat Auswirkung auf die Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Das Beschwerdegericht hat den Entscheidungsspielraum des Erstgerichts zu achten (MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 252 Rn 26). Der Prüfung des Beschwerdegerichts unterliegt lediglich, ob das Erstgericht die Grenzen des ihm durch § 148 ZPO eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens bei der Anordnung der Aussetzung überschritten hat (OLG Düsseldorf - 2 W 26/84, NJW 1985, 1966). Es hat die angegriffene Entscheidung zunächst nur auf etwaigen Missbrauch des Ermessens zu überprüfen (Musielak, ZPO, 3. Aufl., Rn 4 zu § 252), das heißt darauf, ob sich das Erstgericht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte in seine Entscheidung einbezogen hat (Dahlem/Wiesner, NZA-RR 2001, 173). Solange dies nicht der Fall ist, fehlt dem Beschwerdegericht die Befugnis, sein Ermessen an die Stelle des dem Erstgericht eingeräumten Ermessens zu setzen (OLG Düsseldorf, NJW 85, 1967). Da der Ermessensspielraum des § 148 ZPO weit ist, wird ein Entscheidungsfehlgebrauch nur in besonderen Ausnahmefällen vorliegen (OLG Düsseldorf, aaO). Voll überprüfbar ist dagegen, ob die tatbestandliche Voraussetzung für eine Aussetzung, nämlich eine Vorgreiflichkeit, vorliegt (LAG Nürnberg 27.02.2003 - 7 Ta 13/03, Rn. 8, juris).
21Bei Anlegung dieser Maßstäbe spricht viel dafür, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift erfüllt sind (dazu b). Doch hält es sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessens, den Rechtsstreit nicht auszusetzen (dazu c).
22b)Das vor dem Bundesverfassungsgericht seit Anfang des Jahres 2016 anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte grundsätzlich in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO für den vorliegenden Rechtsstreit als vorgreiflich angesehen werden können.
23aa)Für das Beschwerdeverfahren nach § 252 ZPO wird unterstellt, dass der Ausgang des Hauptverfahrens von der Eigenschaft der O. als tariffähige Gewerkschaft abhängt. An der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für das Hauptverfahren fehlt es jedenfalls nicht offenkundig.
24Das Arbeitsgericht hat nicht ausgeführt, dass aus seiner Sicht der Ausgang des Rechtsstreits von der Vorfrage abhängt, ob die O. den Status einer tariffähigen Gewerkschaft hat. Dies geht jedenfalls aus der bloßen Inbezugnahme des Arbeitsgerichts auf die Erwägungen der 14. Kammer in dem Parallelrechtsstreit 14 BV 160/15 nicht hervor. Allerdings hat die 14. Kammer eine Aussetzung des Rechtsstreits in Ausübung ihres Ermessens abgelehnt und nicht mangels Abhängigkeit von der anderweitig anhängigen Vorfrage. Ob es im zugrundeliegenden Rechtsstreit darauf ankommt, dass die O. eine tariffähige Gewerkschaft ist, haben das Ausgangsgericht und ggfs. die Rechtsmittelgerichte des Hauptverfahrens zu beurteilen, nicht aber das Beschwerdegericht im Verfahren nach § 252 ZPO (BAG 26.10.2009 - 3 AZR 24/09, NZA 2009, 1436, Rn 9). Eine Ausnahme gilt nur bei offensichtlichem Fehlen der Entscheidungserheblichkeit (BAG 16.10.2009, aaO).
25bb)Es ist unschädlich, dass der Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht nicht das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses zum Gegenstand hatte, sondern die Feststellung einer Eigenschaft (tariffähige Gewerkschaft).
26Rechtsverhältnis iSv. § 148 ZPO ist ein solches, dessen Bestehen oder Nichtbestehen nach § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt werden kann (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 148 Rn 5). Danach ist ein Rechtsverhältnis jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Das kann sich auch auf bloße einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen und den Umfang einer Leistungspflicht beziehen. Damit können bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses ebenso wie abstrakte Rechtsfragen grundsätzlich nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags im Sinne von § 256 ZPO sein. Etwas anderes gilt aber dann, wenn das Gesetz wie etwa in § 2 a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ArbGG die Möglichkeit der gerichtlichen Klärung rechtlicher Vorfragen ausdrücklich vorsieht (BAG 18.03.2015 - 7 ABR 42/12 - Rn 23, zitiert nach juris, mwN). Eine solche gesetzlich ausdrücklich zugelassene Klage kann in gleicher Weise für den Ausgang eines Rechtsstreits präjudiziell iSv. § 148 ZPO sein wie eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO. Die von § 148 ZPO verfolgten Zwecke der Prozessökonomie und der Entscheidungsharmonie gebieten daher in den spezialgesetzlich zugelassenen sonstigen Feststellungsklagen regelmäßig eine analoge Anwendung.
27cc) Das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren 1 BVR 1/16 dürfte nach den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO als vorgreiflich angesehen werden können.
28Zwar hat dieses Verfahren nicht unmittelbar die Feststellung der Eigenschaft einer tariffähigen Gewerkschaft zum Gegenstand. Doch betrifft es die Frage einer Grundrechtsverletzung im Verfahren vor dem hessischen Landesarbeitsgericht (9 TaBV 225/14), in dem es um die vorgenannte Feststellung ging. Im Falle des Erfolgs der Verfassungsbeschwerde ist das Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht fortzuführen. Dies gilt unabhängig davon, ob vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) oder etwa die Verfassungswidrigkeit der Verkürzung des Rechtswegs durch § 97 Abs. 2 ArbGG (Art. 19 Abs. 4 GG) geltend gemacht wird.
29c)Die Frage einer entsprechenden Anwendung von § 148 ZPO kann jedoch offen bleiben. Denn die Ablehnung der Aussetzung hält sich jedenfalls im Rahmen des dem Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO eingeräumten Ermessens.
30aa)Die Vorgreiflichkeit selbst ist kein Ermessenskriterium, sondern Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Ermessen des Gerichts zur Entscheidung über die Aussetzung des Rechtsstreits eröffnet ist (BAG 16.04.2014 - 10 AZB 6/14 - juris; BVerfG 22.09.2008 - 1 BvR 1707/08 -, juris, Rn 19).
31bb)Unter Berücksichtigung der nur eingeschränkten Überprüfungskompetenz des Beschwerdegerichts (vgl. oben unter 2. a.) ist die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens nicht zu beanstanden.
32Das Arbeitsgericht hat weder die Grenzen seines Ermessens überschritten noch wesentliche Ermessensgesichtspunkte nicht beachtet noch ist ihm ein sonstiger Ermessensfehlgebrauch anzulasten. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren 14 BV 160/15 vom 22.01.2013 wie auch auf die weitere Nichtabhilfeentscheidung vom 29.01.2016 (Bl. 459-468 d. A.) hat das Arbeitsgericht die maßgeblichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen und eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen. Es hat sowohl die Gründe der Prozessökonomie und Entscheidungsharmonie, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG, den Beschleunigungsgrundsatz für arbeitsgerichtliche Verfahren gem. § 9 Abs. 5 ArbGG als auch die Möglichkeit einer Restitutionsklage nach erfolgreicher Verfassungsbeschwerde und Neuverhandlung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht berücksichtigt.
33Der von den Beschwerdeführern mit der Beschwerde vorgebrachte Gesichtspunkt, dass eine Mobilisierung von Beschäftigten nach einer Restitutionsklage nicht mehr ohne weiteres möglich sei, rechtfertigt die Aussetzung des Verfahrens nicht. Grundsätzlich kann allerdings das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG auch durch nachteilige faktische Auswirkungen für die Handlungsfähigkeit einer Gewerkschaft, die aus einer bestimmten Verfahrensführung des Gerichts folgen, verletzt werden. Dafür haben die Beschwerdeführer jedoch nichts dargetan. Der bloße Hinweis darauf, dass eine Mobilisierung von Arbeitnehmern nicht jederzeit aus dem Stand wiederherstellbar ist, genügt nicht. Die Beschwerdeführer betreiben das Anfechtungsverfahren betreffend die Unternehmenswahlen, dessen Aussetzung sie nunmehr begehren, selbst. Die Liste der O. wurde bei den Wahlen nicht berücksichtigt, die darauf befindlichen Kandidaten wurden offenbar nicht gewählt, zumindest nicht über die Liste. An diesem Zustand würde eine Aussetzung des Verfahrens nichts ändern. Es ist nicht ersichtlich, warum sie einer Mobilisierung von Arbeitnehmern für die O. gleichwohl zuträglich sein soll.
34Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch die nur begrenzte Dauer der Wahlperiode der Unternehmenswahlen von längstens fünf Jahren gemäß §§ 13, 15 MitbestG iVm. mit den für das jeweilige Organ maßgeblichen Bestimmungen (vgl. HWK/Seibt, 7. Aufl., §§ 9 - 18 MitbestG Rn 44). Die Dauer des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ist nicht absehbar. Sie ist nicht auf die Dauer der Wahlperiode im vorliegenden Rechtsstreit ausgerichtet, da es in dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht schlechthin um den Status der O. ging. Im Falle des Obsiegens vor dem Bundesverfassungsgericht sowie in dem anschließend fortgesetzten Rechtsstreit vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht könnte bei Aussetzung des vorliegenden Verfahrens betreffend die Unternehmenswahlen ein Restitutionsverfahren dann (mangels Rechtsschutzbedürfnisses) nicht mehr durchgeführt werden, wenn die Wahlperiode abgelaufen ist. In diesem Fall bliebe das Aufsichtsgremium während seiner gesamten Amtszeit ohne Klärung der Rechtswirksamkeit seiner Wahl. Es käme mithin nicht nur zu einer Verfahrensverzögerung, sondern uU zu einer vollständigen Vermeidung einer Entscheidung. Dies spricht gegen eine Aussetzung.
35Die Erwägung der Beschwerdeführer, die Unternehmenswahlen seien bereits unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde rechtsunwirksam gewesen, weil der Wahlvorstand bereits vor Ergehen der gerichtlichen Entscheidungen über die Tariffähigkeit der O. deren Wahlvorschlag zurückgewiesen habe, rechtfertigt erst recht keine Aussetzung des Verfahrens, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. In diesem Fall fehlte es bereits an der Vorgreiflichkeit.
36III.
37Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens bilden Teil der Prozesskosten und sind gegebenenfalls bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (BGH 12.12.2005 - II ZB 30/04, MDR 2006, 704 mwN).
38Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
39Quecke
Hinsichtlich der Beschwerde gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte oder ihrer Vorsitzenden gelten die für die Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gilt § 72 Abs. 2 entsprechend. Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, über die Rechtsbeschwerde das Bundesarbeitsgericht.
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.