Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12

bei uns veröffentlicht am18.12.2013
vorgehend
Bundespatentgericht, 5 Ni 58/10, 29.02.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 66/12 Verkündet am:
18. Dezember 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Dezember 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. KoberDehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. Februar 2012 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert. Das deutsche Patent 102 11 642 wird unter Abweisung der Klage im Übrigen dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält, auf die sich die Patentansprüche 2 und 3 rückbeziehen : Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430, dadurch gekennzeichnet, dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen und externer Beschaltung verwendet wird. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 102 11 642 (Streitpatents),
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das am 17. März 2002 angemeldet worden ist. Patentanspruch 1, auf den die beiden weiteren Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet wie folgt: Interfaceschaltung zur Realisierung eines genormten ISDN-Basis-Anschlusses , dadurch gekennzeichnet, dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen und externer Beschaltung verwendet wird. Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 und 2 angegrif2 fen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus, sei nicht ausführbar offenbart und nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der nachfolgenden Fassung sowie mit zwei Hilfsanträgen verteidigt (Änderung hervorgehoben): Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430 dadurch gekennzeichnet, dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen und externer Beschaltung verwendet wird. Das Patentgericht hat das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 und
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2 für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent
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wie in erster Instanz verteidigt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Streitpatent betrifft eine Schnittstellenschaltung zur Realisierung
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einer S/T-Schnittstelle eines genormten Basis-Anschlusses an ein digitales Telekommunikationsnetzwerk nach dem internationalen Standard für ein Integrated Services Digital Network (ISDN). 1. In der Beschreibung wird eingangs ausgeführt, dass in der einschlägi6 gen Spezifikation ITU-T I.430 eine S/T-Schnittstelle für das ISDN beschrieben ist, die einen ISDN-Basis-Zugang mit 2 x 64 kBit/s und 1 x 16 kBit/s ermöglicht. Aus der deutschen Offenlegungsschrift 196 30 515 (D4) sei eine Schnittstellenschaltung nach der genannten Spezifikation bekannt, die jedoch vier Chip-Ausgänge zur Realisierung der Sendestufe benötige. Weiter sei aus der deutschen Patentschrift 196 01 824 (D6) eine Schaltung bekannt, bei der zwei Open-Drain-Chip-Ausgänge zur Realisierung der Sendestufe benötigt würden. Da die benötigten Pins (Ausgänge der integrierten Schaltung) verhältnismäßig teuer seien, sei es wünschenswert, die Zahl der notwendigen Pins auf ein Minimum zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund besteht das technische Problem darin, eine normge7 rechte Schnittstelle mit einfachen und kostengünstigen Mitteln zu verwirklichen. 2. Zur Lösung dieser Aufgabe wird in der verteidigten Fassung des Streit8 patents eine Schaltung vorgeschlagen, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Merkmalsgliederung des Patentgerichts in Klammern): 1. Es handelt sich um eine Interfaceschaltung zur Realisierung einer S/T-Schnittstelle nach Spezifikation ITU-T I.430 (M1, M2); 2. die Interfaceschaltung weist eine Sendeschaltung auf (M3); 3. für die Sendeschaltung werden verwendet: 3.1 eine rein digitale integrierte Schaltung (M4, M5), 3.2 mit nur zwei Tristate-Ausgängen (M6, M7) und 3.3 eine externe Beschaltung (M8).
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3. Zur Bedeutung der Merkmale ist zu bemerken: Unter einer Interfaceschaltung (Schnittstellenschaltung) ist eine Schaltungs10 anordnung zu verstehen, die der Verbindung zweier Netzwerkkomponenten dient. Das Streitpatent befasst sich mit einer S/T-Schnittstelle eines ISDNBasisanschlusses nach der Spezifikation ITU-T I.430. Diese bezieht sich auf einen ISDN-Basisanschluss. Die Schaltung umfasst eine Empfangs- und eine Sendeschaltung ; nur mit dieser befasst sich das Streitpatent. Die an das ISDN-Netz angeschlossenen Geräte, insbesondere Telefone, arbeiten digital. Die Übertragung über das (Telefon-)Kabel erfolgt jedoch mittels analoger Signale. Daher ist eine Schnittstelle erforderlich, die die zu sendenden digitalen Signale in analoge Signale umwandelt. Die vorgeschlagene Sendeschaltung besteht aus zwei Komponenten: Sie um11 fasst einmal eine rein digitale und integrierte Schaltung, über die weiter gesagt wird, dass sie nur zwei Tristate-Ausgänge aufweist. Zum anderen besteht sie aus einer externen Beschaltung. Die Fassung des Patentanspruchs 1 scheint zunächst dafür zu sprechen, dass die externe Beschaltung als Teil der rein digitalen integrierten Schaltung zu verstehen ist ("dass für die Sendeschaltung eine rein digitale integrierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen und externer Beschaltung verwendet wird"). Aus Absatz 5 der Beschreibung ergibt sich jedoch, dass die externe Beschaltung von der digitalen integrierten Schaltung über nur zwei Tristate-Ausgänge angesteuert wird, was voraussetzt, dass die externe Beschaltung kein Bestandteil der digitalen integrierten Schaltung ist, sondern, wie auch das Patentgericht angenommen hat, zwischen diese und den S/T-Line-Abschnitt geschaltet ist. Für den Fachmann, einen Ingenieur mit Hochschulausbildung der Fachrichtung elektrische Nachrichtentechnik , der mit der Realisierung von Schnittstellenschaltungen für die Nachrichtenübertragung vertraut ist, ergibt sich dies aber auch und vor allem daraus, dass eine rein digitale integrierte Schaltung nicht sämtlichen Anforderungen genügt, die sich aus der ITU-T I.430 ergeben. Sie ist insbesondere nicht in der Lage, die erforderliche Strombegrenzung zu gewährleisten und einen kontinuierlichen Spannungswert einzustellen. Um diesen Anforderungen zu genügen ist eine zusätzliche externe Be- schaltung erforderlich, die analoge Schaltungstechnik umfasst. Aus fachlicher Sicht ist Merkmal 3.3 mithin so zu verstehen, dass die vorgeschlagene Schnittstellenschaltung neben der rein digitalen integrierten Schaltung eine externe Beschaltung aufweist , die über die ohnehin stets erforderlichen Elemente (Transformator, Schutzbeschaltung ) hinaus zusätzliche Schaltungselemente umfasst, insbesondere solche, die die zur Einhaltung der Spezifikation erforderliche Strombegrenzung ermöglichen. Unter einer rein digitalen integrierten Schaltung ist eine Schaltung zu verste12 hen, die ausschließlich zeit- und wertdiskrete Signale verarbeitet. Im Gegensatz zu einer gemischt aufgebauten analog/digitalen Schaltung ist sie ausschließlich aus digitalen Teilschaltungen zusammengesetzt. Die rein digitale integrierte Schaltung weist nach Merkmal 3.2 nur zwei Trista13 te-Ausgänge auf. Unter einem Tristate-Ausgang einer digitalen Schaltung ist dabei ein Ausgang zu verstehen, der so eingerichtet ist, dass er beim Sendebetrieb nicht nur die Ausgangszustände Niedrig ("Low" [L] oder 0) und Hoch ("High" [H] oder 1) annehmen kann, sondern auch einen dritten, hochohmigen Zustand (Z). Dieses Merkmal dient der Abgrenzung zur D6, die bereits eine solche Schaltung mit zwei durch Tristate-Buffer angesteuerten Open-Drain-Ausgängen nahelegte. Demgegenüber beschreibt Anspruch 1 eine Schaltung, bei der für die Sendeschaltung eine digitale integrierte Schaltung verwendet wird, bei der die beiden nach Absatz 5 der Beschreibung über Tristate-Ausgangsbuffer angesteuerten Ausgänge im Sendebetrieb drei Zustände ausgeben können. Diesem Verständnis des verteidigten Hauptanspruchs stehen weder Anspruch 3 noch Anspruch 2 entgegen. Anspruch 3 beschränkt sich nicht darauf, lediglich Tristate-Ausgänge zu beschreiben, die drei Pegel ausgeben können, sondern gibt eine Schaltung an, bei der der hochohmige Zustand auf eine bestimmte Weise erzeugt wird. Er legt daher nicht den Schluss nahe, dass Anspruch 1 auch Schaltungen mit Ausgängen umfasst, die zwar drei Pegel ausgeben können, aber so angesteuert werden, dass sie im Sendebetrieb nur zwei Pegel ausgeben. Anspruch 2 erläutert eine bestimmte Form der externen Beschaltung und enthält keine näheren Angaben zur Funktionalität der Tristate-Ausgänge. Auch in Anspruch 2 wird aber die hochohmige Abschaltung angesprochen, was das erläuterte Verständnis von Anspruch 1 nahelegt. Die Ausgangszustände sind als feste, erlaubte Spannungsbänder definiert, so
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dass es nicht möglich ist, einen gewünschten Zwischenwert einzustellen. Merkmal 3.2, wonach die rein digitale integrierte Schaltung nur zwei Tristate-Ausgänge aufweist , ist dabei dahin zu verstehen, dass die Schaltung überhaupt nur zwei Ausgänge aufweist und es sich bei diesen beiden Ausgängen um Tristate-Ausgänge handelt. Damit wird die angestrebte einfache und kostengünstige Ausgestaltung der rein digitalen integrierten Schaltung erreicht, mit der die externe Beschaltung angesteuert wird. Über die Zahl und Art der Ausgänge der Sendeschaltung als solcher trifft Patentanspruch 1 keine Aussage. Die externe Beschaltung kann nach Patentanspruch 2 aus zwei Spannungs15 folgern und zwei zusätzlichen Transistoren bestehen, die zur hochohmigen Abschaltung der nicht-aktiven Sendeschaltung führen. Ferner wird, wie die Beschreibung (Rn. 10) erläutert, auch bei einer Rückspeisung der Sendestufe im Zustand ohne Versorgungsspannung ein Stromfluss verhindert, was zur Erfüllung der Spezifikation I.430 erforderlich ist. Wie die Beklagte bereits in der Klageerwiderung erläutert hat, müssen die Schnittstellenanschlüsse sowohl bei fehlender Versorgungsspannung der Schnittstelle als auch bei inaktiver Schnittstelle mit anliegender Versorgungsspannung hochohmig sein. Daraus und aus der Abgrenzung zur D6, deren OpenDrain -Chip-Ausgänge nur die Pegel 0 und Z ermöglichen, ist abzuleiten, dass erfindungsgemäß die Tristate-Funktionalität der Ausgänge erforderlich ist und die externe Beschaltung hierauf ausgelegt sein muss, damit mit der Sendeschaltung insgesamt die Anforderungen der Spezifikation erfüllt werden.
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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Der Gegenstand des Streitpatents sei weder in der mit dem Hauptantrag ver17 teidigten, noch in der Fassung der Hilfsanträge patentfähig. Die Dokumente "S-Interface Protection Recommendations for the Am79C30A
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Digital Subscriber Controller" (D1) und "Am79C30A/32A Digital Subscriber ControllerTM (DSCTM) Circuit" (D2), die gleichermaßen Veröffentlichungen des Herstellers AMD zu dem von diesem vertriebenen Digital Subscriber Controller Am79C30A beträfen , zeigten eine Vorrichtung, die bis auf die Verwendung einer rein digitalen Schaltung sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 offenbare. Der SendeEmpfangs -Baustein Am79C30A umfasse mehrere Teilschaltungen, u.a. auch eine S/T Line Interface Unit, die für das Absenden der generierten Ausgangssignale zwei Ausgänge Lout1 und Lout2 vorhalte und im Sinne des Streitpatents die Funktion einer Sendeschaltung mit nur zwei Ausgängen erfülle. Der Fachmann entnehme der Figur der D1, dass an den dort gezeigten Ausgänge Lout1 und Lout2 drei Ausgangspegel generiert würden, die den typischen logischen Schaltzuständen eines Tristate-Ausgangs entsprächen. Zum Schutz der Sendeschaltung schließe sich an diese Ausgänge bedarfsgemäß noch eine externe Beschaltung an. Da zur inneren Schaltungsstruktur der S/T Line Interface Unit weder in der D2
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noch in der D1 konkrete Angaben gemacht würden, könne ein gemischter analogdigitaler Schaltungsaufbau nicht ausgeschlossen werden. Der Fachmann sei bei der Entwicklung kommerzieller elektronischer Schaltungen jedoch stets gehalten, diese mit möglichst geringem Kostenaufwand zu realisieren. Da die S/T Line Interface Unit ausschließlich digitale Signale zu verarbeiten habe, werde der Fachmann den in der D4 enthaltenen einschlägigen Hinweis aufgreifen und die S/T Line Interface Unit als rein digitale Sendeschaltung ausgestalten. Die Hilfsanträge rechtfertigten keine andere Beurteilung, da es sich bei ihnen
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lediglich um Klarstellungen des Inhalts von Patentanspruch 1 handele.
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III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand. Zu Unrecht hat das Patentgericht angenommen, die den Digital Subscriber
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Controller Am79C30A betreffenden Entgegenhaltungen D1 und D2 zeigten eine Vor- richtung, bei der lediglich das Merkmal 3.1 - die Verwendung einer rein digitalen integrierten Schaltung - nicht offenbart sei. Die Beklagte hat, gestützt auf das von ihr bereits in erster Instanz vorgelegte, aber vom Patentgericht nicht erörterte Privatgutachten des Sachverständigen J. , überzeugend und von der Klägerin nicht relevant in Frage gestellt dargelegt, dass es sich bei der Vorrichtung um eine gemischte analog -digitale Schaltung handelt, bei der die Ausgänge Spannungswerte ausgeben können, die zwischen 0 und 2,326 Volt liegen (D1, S. 3, linke Spalte, letzter Abs.). Entsprechend weist die Vorrichtung keine digitalen Tristate-Ausgänge einer rein digitalen integrierten Schaltung auf. Schließlich fehlt es an einer externen Beschaltung. Für eine solche besteht hier kein Bedarf, da die entsprechenden analogen Schaltungselemente , wie sie etwa für die Strombegrenzung erforderlich sind, in die analog -digitale Schaltung einbezogen sind. Soweit aus Figur 3 der D1 weitere Schaltungselemente nach den Ausgängen "Lout1" und "Lout2" gezeigt werden, handelt es sich nicht um eine externe Beschaltung im oben erläuterten Sinne, sondern lediglich um eine Schutzschaltung. Danach sind die Merkmale 3.1 bis 3.3 nicht offenbart. Damit ist der Annahme des Patentgerichts, der Fachmann erhalte aus der D4 die Anregung , anstelle einer analog-digitalen Schaltung nach der D2 eine rein digitale integrierte Schaltung zu verwenden, die Grundlage entzogen. IV. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
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als zutreffend. 1. Die Zulässigkeit des verteidigten Patentanspruchs 1 begegnet unter
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dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Erweiterung keinen Bedenken. Der insoweit gegenüber der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 geltend gemachte Nichtigkeitsgrund ist durch die beschränkte Fassung des Anspruchs, die die Beklagte ver- teidigt, ausgeräumt. Entgegen der Auffassung der Klägerin beruht auch die Fassung des Anspruchs 1 dahin, dass die Vorrichtung zwei Tristate-Ausgänge umfasst, nicht auf einer unzulässigen Erweiterung. Bereits in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen findet sich die Figur 2, die die Signalverläufe an den Messpunkten A und B der Figur 1 wiedergibt. Danach zeigen schon diese Unterlagen eine Ausführungsform der Erfindung, wonach eine rein digitale integrierte Schaltung zwei durch TristateAusgangsbuffer angesteuerte Ausgänge aufweist, die beim Sendebetrieb drei Pegel ausgeben. 2. Die in Anspruch 1 beschriebene Erfindung ist patentfähig.
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a) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist durch das Anwendungs26 handbuch zu dem Large Scale Integrated Circuit YTD423 von Yamaha (D11) nicht vorweggenommen. Die Klägerin hat schon nicht dargetan, dass der D11 die Verwendung zweier Tristate-Ausgänge als Bestandteil einer rein digitalen integrierten Schaltung zu entnehmen ist. Nach ihrer Darstellung können die Sendeausgänge HTD und LTD entweder so eingestellt werden, dass sie die Pegel 0 oder 1 ausgeben , oder aber als Open-Drain-Ausgang betrieben werden, das heißt in der Weise, dass sie die Pegel low und hochohmig ausgeben können. Dass auch eine Einstellung vorgesehen ist, bei der die Ausgänge drei unterschiedliche Pegel ausgeben können, lässt sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen.
b) Ebensowenig sind der in dem Aufsatz "Design and Electrical Character27 istic Evaluation for Interface Circuit in ISDN Bus Wiring System" (Nakano/Nagai in Electronics and Communications in Japan, Part 1. Vol. 73, No. 12, 1990 = D3) gezeigten Schaltung sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung zu entnehmen. Auch die Klägerin macht nicht geltend, dass die dort gezeigte Schaltung digitale Tristate-Ausgänge umfasst. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten entspricht die Schaltung ferner den Anforderungen der Spezifikation ITU-T I.430 insofern nicht, als sie bei Ausfall der Versorgungspannung keine Hochohmigkeit des Ausgangs gewährleistet. Dem Vortrag der Klägerin lässt sich nicht entnehmen, woraus der Fachmann die Anregung erhalten haben sollte, die in D3 gezeigte Vorrichtung dahin weiter zu entwickeln, dass eine rein digitale integrierte Schaltung mit nur zwei Tristate-Ausgängen verwendet wird.
c) Ausgangspunkt für die Frage, ob der Gegenstand von Patentan28 spruch 1 in der verteidigten Fassung vom Stand der Technik nahegelegt worden ist, sind danach die Entgegenhaltungen D4 und D6. Die deutsche Offenlegungsschriften 34 02 257 (D7) und 31 25 017 (D8) sowie die US-Patentschrift 3 154 777 (D9) liegen weiter ab; auf diese Entgegenhaltungen ist auch die Klägerin im Berufungsverfahren nicht zurückgekommen. (1) Sowohl D4 als auch D6 zeigen jeweils eine Interfaceschaltung zur Rea29 lisierung einer der ITU-T I.430 entsprechenden S/T-Schnittstelle (Merkmal 1), die eine Sendeschaltung umfasst (Merkmal 2), für die eine rein digitale integrierte Schaltung und eine externe Beschaltung verwendet werden (Merkmale 3, 3.1 und 3.3). Bei der in D4 gezeigten Vorrichtung wird die externe Beschaltung über vier Ausgänge der rein digitalen integrierten Schaltung angesteuert, bei der in D6 gezeigten Vorrichtung über nur zwei Ausgänge, bei denen es sich um Open-Drain-Ausgänge handelt. Dies sind Ausgänge, bei denen an die Stelle eines aktiven Pull-Up-Transistors ein externer, d.h. außerhalb des integrierten Schaltkreises angeordneter, Pull-UpWiderstand tritt. Ein solcher Ausgang kann die Pegel 0 und Z ausgeben. Damit ist jeweils Merkmal 3.2 nicht offenbart. Bei den beiden in der D4 mit der Bezeichnung "TRIBUF" versehenen Kompo30 nenten handelt es sich nicht um Ausgänge, sondern um Ausgangsbuffer, mit denen jeweils ein Ausgang angesteuert wird. Selbst wenn man sie jedoch als TristateAusgänge ansehen wollte, wäre Merkmal 3.2, wonach die rein digitale integrierte Schaltung nur zwei Ausgänge aufweist, nicht verwirklicht. Tatsächlich handelt es sich jedoch bei den in D4 gezeigten Ausgängen nicht um Tristate-Ausgänge. Die Klägerin ist dem Vortrag der Beklagten, wonach diese Ausgänge nur die Pegel 0 und Z ausgeben können, nicht entgegengetreten. Die Auffassung der Klägerin, auf die Ver- wendung der Tristate-Funktionalität komme es nicht an, trifft - wie ausgeführt - nicht zu. (2) Die Klägerin meint, ausgehend von der D6 habe es für den Fachmann
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nahegelegen, eine rein digitale integrierte Schaltung mit zwei Tristate-Ausgängen zu verwenden. Der Fachmann habe erkannt, dass er zur Realisierung der in D6 gezeigten Schaltung auf einen Field Programmable Gate Array (FPGA) zurückgreifen kön- ne, wie er in dem Datenblatt der Fa. Xilinx vom Mai 1999 (D5) beschrieben sei. Ein solcher integrierter Schaltkreis enthalte Tristate-Buffer als Ausgänge, die vom Nutzer so programmiert werden könnten, dass sie als Open-Drain-Ausgang funktionierten. Entsprechende Erwägungen haben die Gebrauchsmusterabteilung zu der - nicht rechtskräftigen - Löschung des Gebrauchsmusters 202 04 265 veranlasst. Das rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, es habe für den Fachmann im Prio32 ritätszeitpunkt nahegelegen, eine solche integrierte Schaltung für die Sendeschaltung einer standardkonformen S/T-Schnittstelle in der Weise zu verwenden, dass die Tristate-Ausgänge mit Tristate-Funktion eingesetzt werden, also so, dass sie - anders als Open-Drain-Ausgänge - nicht nur die zwei Pegel 0 und Z, sondern drei Pegel 0, 1 und Z ausgeben können. Von der - hierfür darlegungspflichtigen (BGH, Urteil vom 27. August 2013 - X ZR 19/12, GRUR 2013, 1272 Rn. 36 - Tretkurbeleinheit) - Klägerin sind weder in erster noch in zweiter Instanz Anhaltspunkte vorgetragen worden, die eine Veranlassung des Fachmanns zu einer solchen Umgestaltung der vorbekannten Schaltung ergäben. Die Verwendung anderer Ausgänge erfordert auch eine abweichende Ausge33 staltung der externen Beschaltung. Die Beklagte hat hierzu unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen J. geltend gemacht, dass die Realisierung einer der Spezifikation ITU-T I.430 entsprechenden Schnittstelle unter Verwendung einer rein digitalen integrierten Schaltung nicht trivial sei und viele Unternehmen an dieser Aufgabe gescheitert seien. Die Klägerin müsste daher nicht nur darlegen, was den Fachmann zur Wahl einer rein digitalen Schaltung mit zwei Trista- te-Ausgängen anregen sollte, sondern auch, dass er dazu in der Lage und dazu veranlasst gewesen ist, eine hierzu passende normkonforme externe Beschaltung zu entwickeln. Hieran fehlt es. 3. Das Streitpatent ist schließlich auch nicht wegen unzureichender Of34 fenbarung für nichtig zu erklären. Eine für die Ausführbarkeit ausreichende Offenbarung ist grundsätzlich bereits
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dann anzunehmen, wenn mindestens ein Weg aufgezeigt ist, auf dem die Erfindung ausgeführt werden kann (BGH, Urteil vom 3. Mai 2001 - X ZR 168/97, BGHZ 147, 306, 317 - Taxol mwN). Die Klägerin hat nicht in Abrede gestellt, dass die durch die Beschreibung und Figur 1 erläuterte, in Patentanspruch 2 unter Schutz gestellte externe Beschaltung ausführbar ist und dazu führt, dass die Sendeschaltung den Anforderungen der ITU-T I.430 entspricht.
36
V. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 121 Abs. 2 PatG und § 92 Abs. 2 ZPO.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 29.02.2012 - 5 Ni 58/10 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d
Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12 zitiert 3 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


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Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Mai 2001 - X ZR 168/97

bei uns veröffentlicht am 03.05.2001

Berichtigt durch Beschluß vom 22. Mai 2001 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 168/97 Verkündet am: 3. Mai 2001 Wermes Justizhauptsekretär

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Aug. 2013 - X ZR 19/12

bei uns veröffentlicht am 27.08.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 19/12 Verkündet am: 27. August 2013 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 18. Dez. 2013 - X ZR 66/12.

Oberlandesgericht Düsseldorf Urteil, 13. Aug. 2015 - I-15 U 4/14

bei uns veröffentlicht am 13.08.2015

Tenor I.                        Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf, verkündet am 14.09.2010, Az. 4a O 82/10, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen wird. II.

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 19/12 Verkündet am:
27. August 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Tretkurbeleinheit

a) Ein neues Angriffsmittel, das aus im zweiten Rechtszug neu eingeführten
technischen Informationen einer Entgegenhaltung hergeleitet werden und
das Klagevorbringen stützen soll, ist im Patentnichtigkeitsberufungsverfahren
unabhängig davon nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2
Satz 1 Nrn. 1 bis 3 ZPO zuzulassen, ob Vorveröffentlichung und technischer
Inhalt der Entgegenhaltung außer Streit stehen. Für Dokumente, die
eine von der Erfindung wegführende technische Entwicklung belegen könnten
und daher als Verteidigungsmittel des Beklagten in Betracht kommen,
gilt Entsprechendes.

b) Beruft sich der Kläger darauf, eine Entgegenhaltung erst durch eine nach
Erlass des erstinstanzlichen Urteils durchgeführte Recherche aufgefunden
zu haben, ist das hierauf gestützte Angriffsmittel nur dann nach § 531
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zuzulassen, wenn der Kläger dartut, dass die Entgegenhaltung
mit einem sachgerecht gewählten Suchprofil bei der für die
Begründung der Patentnichtigkeitsklage durchgeführten Recherche nicht
aufgefunden werden konnte.
BGH, Urteil vom 27. August 2013 - X ZR 19/12 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. August 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. MeierBeck
, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterin
Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 9. November 2011 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 7. März 2003 unter Inanspruchnahme der Priorität einer amerikanischen Voranmeldung vom 8. März 2002 angemeldeten , auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 342 656, das eine Fahrradkurbeleinheit und ein Montagewerkzeug betrifft. Es umfasst 40 Ansprüche, deren erster in der Verfahrenssprache lautet: 1. A bicycle crank arm apparatus comprising: an axle (59) being adapted to be rotatably supported within a bottom bracket (33) of a bicycle frame, said axle having an axle body (348) with a first end portion (350) and a second end portion (354), wherein the second end portion has an outer peripheral surface and a threaded inner peripheral surface; an axle bolt (380) having a threaded outer peripheral surface screwed into the threaded inner peripheral surface of the second end portion of the axle (59); a crank arm (60B) having an axle mounting boss (332) defining an opening for receiving the second end portion (354) of the axle therein, wherein the axle mounting boss (332) includes a first fastener for tightening the crank arm mounting boss around the second end portion of the axle (59); and wherein the axle mounting boss (332) is positioned axially inwardly of the axle bolt (380), c h a r a c t e r i z e d i n t h a t said axle (59) further comprises a projection extending radially outwardly from one of the first and second end portions (350, 354) of the axle body (348), wherein the projection is dimensioned and positioned to be located externally of the bottom bracket (33) so as to abut against a laterally outer side surface of a bicycle crank arm (60A) to prevent the crank arm (60A) from moving axially outwardly.
2
Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 25 angegriffen. Sie hat geltend gemacht, Patentanspruch 1 gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus, und der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 25 sei nicht patentfähig, weil er jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dafür hat die Klägerin sich erstinstanzlich auf die deutschen Offenlegungsschriften 100 32 778 (D1) und 23 59 437 (D2) sowie auf die amerikanische Patentschrift 4 201 120 (D3) gestützt.
3
Die Beklagte hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang nur beschränkt verteidigt. Das Patentgericht hat es in diesem Rahmen für nichtig erklärt , soweit es über die aus dem Tenor seines Urteils vom 9. November 2011 ersichtliche Fassung der Patentansprüche 1 bis 22 hinausgeht und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


4
I. 1. Das Streitpatent betrifft eine zur Montage in der Tretlageraufnahme des Rahmens vorgesehene Fahrradkurbel-Baugruppe. Solche Baugruppen umfassen üblicherweise eine Welle (im Folgenden in Anlehnung an die Übersetzung der Streitpatentschrift: Achse), die sich gelagert durch die Tretlageraufnahme hindurch erstreckt, sowie zwei an der Achse befestigte Kurbelarme für Pedale zum Antrieb des Fahrrads über eines oder mehrere zumeist am rechten Kurbelarm befestigte vordere Zahnräder (Kettenräder) und an der Hinterradachse angebrachte Ritzel sowie eine Antriebskette.
5
2. In der Beschreibung des Streitpatents wird angesprochen, dass Kettenräder und Ritzel üblicherweise für den unbeeinträchtigten Gebrauch des Fahrrads korrekt fluchten müssten. Zur dafür erforderlichen seitlichen Ausrichtung der Achse sehe ein bekanntes Verfahren vor, diese drehbar und zentriert innerhalb eines rohrförmigen Elements zu lagern und dabei in seitlicher Richtung durch an gegenüberliegenden Enden des rohrförmigen Elements installierte Lagerbaugruppen zu halten. Achse und rohrförmiges Element würden dann in die Tretlageraufnahme eingesetzt und die benötigte seitliche Position der Achse werde eingestellt, indem Adapter, deren Außenumfangsflächen mit einem Gewinde versehen seien, auf beiden Seiten unterschiedlich weit in die Tretlageraufnahme eingeschraubt würden. Die Streitpatentschrift kritisiert daran , dass die Adapterelemente lang genug sein müssten, um die vielen unterschiedlichen seitlichen Positionen abzudecken, die für die Achse in Betracht kommen. Das habe zur Folge, dass regelmäßig ein Abschnitt der mit einem Gewinde versehenen Außenumfangsfläche eines jeden Adapterelements frei liege und die Gewinde deshalb häufig verschmutzten oder verrosteten. Auch müssten Achse, rohrförmiges Element und Lagerbaugruppen zumeist als Einheit ausgetauscht werden.
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3. Das Patentgericht hat das Problem, deren Lösung das Streitpatent unausgesprochen - eine Aufgabe ist in seiner Beschreibung nicht formuliert - bezweckt, darin gesehen, dass ein Tretkurbelmechanismus für ein Fahrrad bereitgestellt werden solle, dessen Bauteile trotz Einstellbarkeit der Achse auf unterschiedliche Querpositionen vor Rostansatz und Schmutz geschützt positioniert werden könnten und die weitgehend einzeln für sich austauschbar seien. Dazu stellt Patentanspruch 1 in der Fassung des angefochtenen Urteils (im Folgenden nur: Patentanspruch 1) eine Fahrradkurbelarmvorrichtung unter Schutz, welche aufweist (in eckigen Klammern die vom Patentgericht verwendeten Gliederungsziffern): 1. eine Achse (59) [2], 1.1 die so ausgebildet ist, dass sie in einer Tretlageraufnahme eines Fahrradrahmens (33) drehbar gelagert werden kann [2.1], und 1.2 deren Achsenkörper (348) einen ersten (350) und einem zweiten Endabschnitt (354) aufweist [2.2], 2. einen Flansch (366) [6], der 2.1 sich vom ersten Endabschnitt (350) des Achsenkörpers (348) in radialer Richtung nach außen erstreckt [ex- tending radially outwardly from the first end portion] [6.1], 2.2 so dimensioniert und positioniert ist, dass er sich außerhalb der Tretlageraufnahme (33) befindet [6.2], 2.3 so dass er gegen eine äußere Seitenfläche eines (ersten ) Fahrradkurbelarmes (60A) zur Anlage kommt, um zu verhindern, dass sich der Kurbelarm (60A) in axialer Richtung nach außen bewegt, [6.3, 6.4] 3. einen Achsbolzen (380) [3], der 3.1 eine mit einem Gewinde versehene Außenumfangsfläche aufweist [3.1] und 3.2 in die Innenumfangsfläche (368) des zweiten Endabschnitts (354) der Achse eingeschraubt ist [3.2], der eine Außenumfangsfläche aufweist und an seiner Innenumfangsfläche (368) mit einem (Gegen-) Gewinde versehen ist [2.3, 2.4], 4. einen (zweiten) Kurbelarm (60B) [4] mit einem Achsbefesti- gungsauge [mounting boss] (331) [4.1], das 4.1 eine Öffnung (332) zur Aufnahme des zweiten Endabschnitts (354) der Achse begrenzt, [4.2] 4.2 eine erste Befestigungseinrichtung zum Festziehen des Befestigungsauges um den zweiten Endabschnitt (354) der Achse umfasst [4.3, 4.4] und 4.3 axial innenseitig vom Achsbolzen (380) positioniert [posi- tioned axially inwardly of the axle bolt] ist.[5]
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4. a) Das mit "Achsbefestigungsauge" übersetzte Merkmalselement "axle mounting boss" (Merkmale 4, 4.2) bezeichnet in der maßgeblichen Terminologie des Streitpatents in der Verfahrenssprache nicht die Öffnungen in den Tretkurbeln, durch die diese auf die Achse aufgesteckt werden. Diesen sind vielmehr eigene Bezugszeichen zugeordnet (308, 332). Ebenso wenig ist dieser Begriff auf die ringnutähnliche radiale Vertiefung am Außenrand der Öffnung bezogen, in die der Flansch in einer gezeigten Ausführungsform eingelassen wird. Mit "axle mounting boss" wird in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und in der erteilten Fassung des Streitpatents vielmehr der die Öffnun- gen 308 und 332 umschließende Körper der Kurbeln ohne radiale Bereichseingrenzung beschrieben.
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b) Der technische Sinngehalt der mit Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Vorrichtung erschließt sich im Lichte der Erläuterung ihrer Montage in der Beschreibung (Rn. 23 = Rn. 32 der Übersetzung). Der Achsbolzen 380 ist dafür vorgesehen, die axiale Position des Tretkurbelarms 60B einzustellen, nachdem die Achse zunächst von außen durch die Öffnung 308 im Achsbefestigungsauge 304 des kettenradseitigen Kurbelarms 60A gesteckt wurde, so dass dieser axial außen vom Achsflansch gehalten wird. Dann wird die Achse durch die Tretlageraufnahme hindurchgeschoben und der Kurbelarm 60B mit der Öffnung 332 im Achsbefestigungsauge 331 auf den zweiten Endabschnitt 354 der Achse aufgesetzt. Der am Kurbelarm 60B anliegende Achsbolzen wird dann so weit in die mit einem Gewinde versehene Innenumfangsfläche 368 der Achse eingeschraubt, bis die gewünschte laterale Achsposition des Kurbelarms erreicht ist, um diesen jetzt mit der ersten Befestigungseinrichtung festzuziehen (Merkmal 4.2). In dem in Rn. 23 der Beschreibung vorgestellten Ausführungsbeispiel werden im Zusammenhang mit dem Einbau der anspruchsgemäßen Vorrichtung noch Adapterbaugruppen 124A und 124B beschrieben , zu denen Abstandsstücke 154A und 154B gehören, die der Festlegung des erwünschten Spiels zwischen den Tretkurbelarmen 60A und 60B und der Tretlageraufnahme dienen (vgl. Figur 2).
9
II. Das Patentgericht hat, soweit es die Klage abgewiesen hat, angenommen , der Gegenstand von Patentanspruch 1 werde nicht dadurch unzulässig erweitert, dass ein Achsbolzen 380 und eine erste Befestigungseinrichtung ohne Einbeziehung der Abstandsstücke 154A und 154B vorgesehen seien. Den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen sei nicht nur die gemeinsame Verwendung dieser Bauteile zu entnehmen, sondern auch der Aufbau der Pedalgruppe ohne solche Distanzelemente, und zwar in dem dort formulierten Patentan- spruch 1. Die weitere Beschränkung des erteilten Patentanspruchs 1 durch Beanspruchung eines Flansches anstelle des ursprünglich vorgesehenen Vorsprungs sei ebenfalls zulässig, weil ein Flansch eine Ausführungsform eines Vorsprungs darstelle.
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Seine Annahme, der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit, hat das Patentgericht im Wesentlichen wie folgt begründet. Die in D3 offenbarte Fahrradkurbelarmvorrichtung zeige keinen Flansch im Sinne der Merkmalsgruppe 2 und keine Befestigungseinrichtung im Sinne von Merkmal 4.2. Dabei biete D3 eine komplette Lösung für die Aufgaben , die sich das Streitpatent stelle (oben I 3). Davon ausgehend habe keine Notwendigkeit zu einer Abänderung der dort vorgeschlagenen Anordnung bestanden.
11
Eine hinreichend konkrete Anregung zur Auffindung des Gegenstands von Patentanspruch 1 gebe auch D2 nicht. Der dortige kettenradseitige Endabschnitt der Achse könne zwar als ein einstückig an die Achse angeformtes Achsbefestigungsauge und insoweit als Flansch interpretiert werden; dieser sei jedenfalls aber nicht zur Verhinderung einer Bewegung des Kurbelarms in axialer Richtung nach außen gestaltet. D2 zeige auch keinen Achsbolzen und die damit zusammenhängenden Merkmale. Aus fachlicher Sicht möge zwar die einstückige Ausgestaltung von Achse und Kurbelarm als nachteilig erkannt werden; die Schrift lege insoweit aber allenfalls nahe, auch den Kurbelarm auf der Seite des Kettenrads über eine Keilverzahnung und eine Befestigungseinrichtung (Figur 3 von D2, Bezugszeichen 15) an der Achse zu befestigen. Soweit es den Aspekt des Schutzes vor Rost- und Verschmutzung betreffe, rege D2 allenfalls zur Übernahme der Staubkappe (Figur 1, Bezugszeichen 8) an, nicht aber zur Verwendung eines Achsbolzens.
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D1 führe ebenfalls nicht zum Gegenstand von Patentanspruch 1. Die dort offenbarte Vorrichtung weise keine Befestigungseinrichtung nach Maßgabe von Merkmal 4.2 auf und keinen Achsbolzen mit der Merkmalsgruppe 3. Unterstelle man den Austausch der aus D1 ersichtlichen Sicherungsmutter gegen einen Achsbolzen zum Einschrauben in ein Innengewinde der Achse als für den Fachmann angesichts des Problems der Schmutz und Korrosion ausgesetzten freiliegenden Gewindeabschnitte naheliegende Maßnahme, ergäbe sich dabei trotzdem keine streitpatentgemäße Befestigungseinrichtung zum Festziehen des Achsbefestigungsauges um einen Endabschnitt der Achse, erst recht nicht um denjenigen Endabschnitt, der mit einem Innengewinde versehen sei und den Achsbolzen aufnehme. Vor Verschmutzung schütze eine solche Befestigungseinrichtung nicht. Kombinationen aus den drei genannten Entgegenhaltungen führten ebenfalls nicht zum Gegenstand von Patentanspruch 1.
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III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Berufung haben keinen Erfolg.
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1. Zu Recht hat das Patentgericht keine unzulässige Erweiterung darin gesehen, dass die mit Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Vorrichtung keine Abstandsstücke 154A und 154B einschließt, obwohl solche Elemente in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen beschrieben sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für den Offenbarungsgehalt der Patentanmeldung zwar, worauf die Berufung noch zutreffend hinweist, auf die Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen an. Das zielt aber auf den häufig erhobenen Einwand, die erteilten Patentansprüche gingen über den Gegenstand der in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen formulierten Ansprüche hinaus, und stellt in diesem Zusammenhang klar, dass es für den Offenbarungsgehalt auf die Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und auf das ankommt, was aus ihnen aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend hervorgeht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, GRUR 2010, 513 Rn. 29 mwN - Hubgliedertor II). Als zur Erfindung gehörend ist eine bestimmte Ausführungsform auch dann offenbart, wenn sie nur in den mit den Anmeldungsunterlagen eingereichten Ansprüchen beschrieben ist, nicht aber daneben auch in der Beschreibung oder dort - wie hier geltend gemacht - mit bestimmten zusätzlichen Elementen, wie den hier in Rede stehenden Abstandsstücken (vgl. hierzu beispielsweise BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 Rn. 46 - Fälschungssicheres Dokument).
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2. Die Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung durch Einfügungen in der Merkmalsgruppe 2 stellt die Klägerin ebenfalls zu Unrecht infrage. Dafür kann offen bleiben, ob der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe die Beschränkung des Streitpatents insoweit vor dem Patentgericht hingenommen und sei deshalb im Berufungsverfahren mit Angriffen gegen deren Übereinstimmung mit der Ursprungsoffenbarung ausgeschlossen, verfahrensrechtlich durchgreift. Denn jedenfalls wird der Gegenstand von Patentanspruch 1 durch Merkmale der Merkmalsgruppe 2 nicht unzulässig erweitert.
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a) Fehl geht die Berufung in ihrer Annahme, der Fachmann sehe den in der Beschreibung erwähnten und den Zeichnungen zu entnehmenden Flansch nicht als ein für die Erfindung wesentliches Bauteil an, das er bereits beim Lesen der Beschreibung entsprechend verallgemeinere. In den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ist unmittelbar die Funktion des Flansches beschrieben , die Tretkurbel 60A in ihrer Position axial außen an der Achse zu halten (europäische Patentanmeldung 1 342 656 A2 Abs. 20 ff.: "… A radially outwardly extending flange 366 is disposed at the extreme end portion 350 for abutting against the laterally outer surface of axle mounting boss 308 of crank arm 60A …"). Nichts anderes bringt die Merkmalsgruppe 2 zum Ausdruck. Soweit in Merkmal 2.3 zusätzlich beschrieben ist, dass die Anlage des Flansches an einer äußeren Seitenfläche eines Fahrradkurbelarmes verhindern soll, dass sich der Kurbelarm in axialer Richtung nach außen bewegt, handelt es sich lediglich um eine zusätzliche Wirkungsbeschreibung dessen, was mit der Merkmalsgruppe 2 insgesamt bereits zum Ausdruck gebracht ist.
17
b) Dass der Flansch sich "in radialer Richtung nach außen erstreckt", deckt sich unmittelbar mit den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ("a radially outwardly extending flange", aaO Abs. 20). Soweit in der beschränkt verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 - überflüssigerweise - außerdem formuliert ist, dass sich der Flansch "radial außerhalb vom ersten Endabschnitt 350" erstrecke, wird mit dieser Übernahme aus der missglückten deutschen Übersetzung der Patentschrift von Patentanspruch 1 nichts Zusätzliches hinzugefügt. Maßgeblich bleibt im Übrigen ohnehin der Wortlaut in der Verfahrenssprache , in der das Streitpatent im Übrigen besser beschränkt zu verteidigen gewesen wäre.
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c) Die Anordnung des Flansches "außerhalb der Tretlageraufnahme" (Merkmal 2.2) mag in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht wörtlich zum Ausdruck gebracht sein, ergibt sich aber aus Figur 3 und ist aus fachmännischer Sicht, für die nach den unangefochtenen Feststellungen des Patentgerichts auf einen Fachschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau abzustellen ist, der bei einem Fahrradhersteller oder -zulieferer mit der Konstruktion von Tretkurbelmechanismen befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt, nach Art der mit Patentanspruch 1 beanspruchten Vorrichtung ohnehin eine technische Selbstverständlichkeit.
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d) Soweit der Flansch nach dem Wortlaut der beschränkten Fassung von Patentanspruch 1 gegen eine "äußere Seitenfläche eines Fahrradkurbelarmes" zur Anlage kommt, liegt darin keine unzulässige Erweiterung, weil die "äußere Seitenfläche eines Fahrradkurbelarmes" in der Diktion des Streitpatents derjenigen des Achsbefestigungsauges entspricht und aus Letzterem ent- gegen der Ansicht der Klägerin keine abgrenzbare Beschränkung der radialen Erstreckung des Flansches hergeleitet werden kann (oben I 4 a).
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3. Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch das Patentgericht wird von der Berufung nicht erschüttert und ist rechtlich auch sonst nicht zu beanstanden.
21
Der dem Streitpatent erstinstanzlich entgegengehaltene Stand der Technik lässt den Gegenstand von Patentanspruch 1 schon deshalb nicht als nahegelegt erscheinen, weil weder eines der drei Dokumente D1 bis D3 für sich noch vorstellbare Kombinationen der Schriften eine hinreichend konkrete Anregung für die erfindungsgemäße Vorrichtung boten, deren technischer Sinngehalt , wie ausgeführt, insbesondere darin zu sehen ist, dass die axiale Relativposition des Tretkurbelarms 60B mithilfe des in ein Innengewinde der Achse zu schraubenden Bolzens 380 festgelegt werden kann, um den Arm danach an dieser Position festzuziehen (oben I 4 b).
22
Wegen der Würdigung der Dokumente D1 bis D3 für die Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit im Einzelnen nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil und bemerkt ergänzend mit Blick auf das schriftsätzliche Berufungsvorbringen und die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung: Die Aufgabe hat das Patentgericht durch Auslegung des Anspruchs unter Heranziehung der Beschreibung richtig ermittelt. Ist, wie vorliegend , keine Aufgabe formuliert, kommen die in der Beschreibung erwähnten, mit den bekannten Lösungen verbundenen Probleme als Anhaltspunkte für die zutreffende Auslegung des Patentanspruchs in Betracht, aus dessen Leistungsergebnis sich wiederum die Aufgabe im Sinne des tatsächlich gelösten technischen Problems ableiten lässt (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 Rn. 27 - Gelenkanordnung). Dies schließt nicht aus, dass bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit auch andere techni- sche Probleme zu berücksichtigen sind, zu deren Lösung der Fachmann veranlasst sein kann, die technische Lehre der Erfindung vorzuschlagen oder jedenfalls in Erwägung zu ziehen (Urteil vom 11. März 2011 - X ZR 72/08, GRUR 2011, 607 Rn. 12, 14 - kosmetisches Sonnenschutzmittel III).
23
Um vom Gegenstand von D1 zum Gegenstand von Patentanspruch 1 zu gelangen, wäre es nicht damit getan, in der in D1 gezeigten Tretkurbelvorrichtung die Sicherungsmutter durch einen Achsbolzen zu ersetzen, wie er etwa zur Arretierung der Tretkurbeln in D3 vorgesehen ist. Denn weder in D1 noch in D3 ist die axiale Justierungsfunktion angelegt, die dem Bolzen innerhalb der Lösung des Streitpatents zukommt. Deshalb ist nicht ersichtlich, was ohne rückschauende Betrachtung fachlichen Anlass hätte geben sollen, D1 insoweit abzuwandeln. Außerdem bestünde aus fachlicher Sicht kein Anlass, die Befestigung des dem Tretkurbelarm 60B des Streitpatents entsprechenden Kurbelarms 14 in D1 kurzerhand durch die in D2 gezeigte zu ersetzen, die das Streitpatent nur bei isolierter Betrachtung von Merkmal 4.2 aufzugreifen scheint. Denn das Kettenantriebssystem zum Hinterrad, das den eigentlichen Gegenstand von D1 bildet, bringt es, wie aus den Figuren ersichtlich, mit sich, dass Kettenräder auf beiden Seiten der Rahmenrohre angebracht sind, so dass für ein Festziehen einer dem Kurbelarm 60B entsprechenden Tretkurbel unter Schließung eines Spalts zwischen zwei Befestigungszipfeln 337 und 338 (vgl. Figuren 6 und 7 des Streitpatents) technisch-konstruktiv selbst unter der Voraussetzung kein Raum ist, dass dieses Dokument fachlich für die Montage von Fahrradkurbeleinheiten überhaupt herangezogen wird. Der Anregungsgehalt von D1 geht deshalb jedenfalls nicht über die vom Streitpatent verwendete Anbringung und Halterung des Kurbelarms 60A hinaus.
24
4. Es bedarf keiner Entscheidung, inwieweit der Berufungsvortrag neues Vorbringen im Sinne des § 117 PatG in Verbindung mit § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO darstellt, soweit sich die Klägerin für die nach ihrer Auffassung na- heliegende Kombination einer Tretkurbelvorrichtung nach der D1 mit einer Befestigung des dem Tretkurbelarm 60B des Streitpatents entsprechenden Kurbelarms , wie sie in der D2 gezeigt ist, alternativ zur D2 erstmals in der Berufungsbegründung auch auf die britische Patentschrift 549 498 (D8), das USPatent 4 406 504 (D4), die japanische Offenlegungsschrift Hei 8-258779 (D5), die europäische Patentschrift 887 207 (Übersetzung = D6) sowie - pauschal - auf weitere Schriften (D9 - D14) beruft, in denen Klemmmechanismen für Fahrradkurbeln mit Tangentialschraube beschrieben seien. Denn die Klägerin leitet hieraus nichts ab, was über die D2 hinausginge.
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5. Soweit sich die Klägerin erstmals in der Berufungsbegründung auf die japanische Offenlegungsschrift Sho 63-133488 (D7) beruft und in dem nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingereichten Schriftsatz vom 28. August 2012 einen selbständigen Angriff auf diese Schrift stützt, die in Kombination mit der Entgegenhaltung D1 den Gegenstand des Streitpatents nahelege, erstreckt sich der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts nach § 117 PatG in Verbindung mit den entsprechend anzuwendenden Vorschriften der § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 ZPO hierauf nicht.
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a) Trotz des ihr unmittelbar nach Eingang der Berufungsbegründung erteilten Hinweises hat die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen Gesichtspunkt dargetan, unter dem das neue Angriffsmittel nach diesen Vorschriften zugelassen werden dürfte.
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Es betrifft weder einen Gesichtspunkt, den das Patentgericht erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hätte (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), noch wird von der Berufung ein Verfahrensmangel, insbesondere in Gestalt eines unzureichenden Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG gerügt (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Eine Zulassung käme daher nur dann in Betracht, wenn die unterbliebene Geltendmachung im ersten Rechtszug nicht auf Nachlässigkeit der Klägerin oder deren Prozessbevollmächtigten beruhte (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO).
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Hierzu hat die Klägerin angegeben, zwischen den Parteien seien mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen anhängig, die mehrere Patentverletzungsklagen der Beklagten und einige gegen die Klageschutzrechte anhängige europäische Einspruchsverfahren einschlössen. Zuletzt habe die Beklagte eine neue Verletzungsklage auf Basis des europäischen Patents 2 202 141 erhoben. Gegen dieses Patent sei am 31. Mai 2012 Einspruch eingelegt und zu dessen Vorbereitung eine umfassende Recherche des Stands der Technik durchgeführt worden, bei dem der in das Berufungsverfahren eingeführte Stand der Technik zutage gefördert worden sei.

b) Diese Begründung ist schon deshalb ungeeignet, eine nachlässige
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Prozessführung auszuschließen, weil von den in der Berufungsbegründung erstmals erwähnten Entgegenhaltungen nicht weniger als fünf, nämlich die britische Patentschrift 549 498 (D8), die deutsche Patentschrift 61 009 (D11) und die US-Patentschriften 4 728 218, 4 704 919 und 5 010 785 (D12 bis D14) bereits auf dem Deckblatt der Streitpatentschrift als Entgegenhaltungen aufgeführt sind und D8 darüber hinaus in der Beschreibung des Streitpatents abgehandelt wird. In der geltend gemachten Pauschalität kann daher die Behauptung nicht zutreffen, dass erst eine erneute Recherche die Klägerin in die Lage versetzt hat, weiteren Stand der Technik in das Patentnichtigkeitsverfahren einzuführen.
c) Im Übrigen kann fehlende Nachlässigkeit nicht damit begründet wer30 den, die Recherche, die den neu eingeführten Stand der Technik zutage gefördert habe, sei erst in der Berufungsinstanz durchgeführt worden. Darzulegen ist vielmehr, warum diese Recherche auch bei sorgfältiger Prozessführung in erster Instanz (noch) nicht veranlasst war. An einer solchen Darlegung fehlt es hier; sie ergibt sich auch nicht aus den weiteren Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung. Sie hat sich zum einen ergänzend darauf berufen, die nachträglich einge31 führten Dokumente hätten nur bei einer breiter als die für das erstinstanzliche Verfahren durchgeführte angelegten Recherche ermittelt werden können, die entsprechend umfangreicher ausgefallen wäre. Dies ist in Bezug auf die D7, die in den zweitinstanzlichen Ausführungen der Klägerin eine hervorgehobene Position einnimmt und deren Zulassung nach dem Vorstehenden allein der Prüfung bedarf, schon deshalb nicht ohne - von der Klägerin nicht gegebene - weitere Erläuterung stichhaltig, weil die Schrift derselben Gruppe derselben Unterklasse der internationalen Patentklassifikation wie das Streitpatent angehört (B62M 3/00). Im Übrigen setzt die Darlegung mangelnder Nachlässigkeit bei der Ermittlung des für die Begründung des Klageangriffs relevanten Standes der Technik voraus, dass der Kläger konkret dartut, wie er das Suchprofil seiner erstinstanzlichen Recherche angelegt hat, warum er ein solches Profil gewählt hat und nicht dasjenige, das zur Ermittlung des in zweiter Instanz neu angeführten Stands der Technik geführt hat, und dass bei dem gewählten Suchprofil der in zweiter Instanz vorgebrachte Angriff gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents in erster Instanz nicht geführt werden konnte. Erst durch eine solche - im Streitfall fehlende - Darlegung wird der Beklagte in die Lage versetzt, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die erstinstanzliche Recherche sorgfältiger Prozessführung entsprochen hat, und dem Bundesgerichtshof die Prüfung ermöglicht, ob die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO für die Zulassung des neuen Vorbringens vorliegen. Nach § 112 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c PatG gehören die Tatsachen, aufgrund deren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 117 PatG zuzulassen sind, deshalb auch zu den Berufungsgründen, die bereits die Berufungsbegründung enthalten muss, wenn sie die Zulässigkeit der Berufung tragen sollen. Es war erklärtes Regelungsziel des Reformgesetzgebers, das Nichtigkeitsberufungsverfahren zu einem Instrument der Fehlerkontrolle und -beseitigung umzugestalten (Begründung zum Entwurf zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 316). Dem reformierten Patentgesetz liegt das gesetzgeberische Bekenntnis zu einem Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde, in dem der Streitstoff in erster Instanz prinzipiell abschließend festgelegt wird und der später nur unter den Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der §§ 529 bis 531 ZPO erweitert werden kann. Mit dieser Zielsetzung wäre die Gestattung eines unter den Vorbehalt subjektiver Zweckmäßigkeit gestellten, prinzipiell zwischen den beiden Instanzen des Nichtigkeitsverfahrens unterscheidenden Patentrechercheaufwands unvereinbar. Soweit die Klägerin mit Blick auf den japanischen Ursprung von D7 zum
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anderen darauf verwiesen hat, dass japanische Dokumente erst ab 2006 in einschlägige Datenbanken eingepflegt worden seien und auch das nicht rückwirkend , weist die Beklagte überzeugend darauf hin, dass die Klägerin in Anbetracht der Marktstellung der Beklagten bei der Herstellung von Fahrradkomponenten gesteigerten Anlass hatte, ihre Recherche auf japanische Dokumente zu erstrecken. Im Übrigen hat die Klägerin auch unter diesem Gesichtspunkt nicht erläutert, worauf es zurückzuführen ist, dass sie die Entgegenhaltung D7, die vor 2006 veröffentlicht wurde (1988), im Berufungsverfahren, aber nicht in erster Instanz vorzulegen vermocht hat.
d) Zur Darlegung fehlender Nachlässigkeit reicht es, anders als die Klä33 gerin zu meinen scheint, grundsätzlich auch nicht aus, dass das Patentgericht in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG, wie hier, keine Frist zur Ergänzung ihres Vorbringens gesetzt hat. Die Verfügung des Vorsitzenden, in dem das Patentgericht die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass die von ihr geführten, auf die Entgegenhaltungen D1 bis D3 gestützten Angriffe ein Naheliegen des Gegenstands des Streitpatents voraussichtlich nicht begründen könnten, gab ihr Anlass zu der Prüfung, ob eine Ergänzung des Klagevorbringens möglich und geboten war. Der Verzicht des Patentgerichts auf die in § 83 Abs. 2 PatG vorgesehene Fristsetzung begünstigte die Klägerin dabei insoweit, als es ihr danach gestattet war, als Reaktion auf den erteilten Hinweis mit diesem in sachlichem Zusammenhang stehende Entgegenhaltungen ohne Bindung an eine gesetzte Frist noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in das erstinstanzliche Verfahren einzuführen, ohne eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 Satz 1 PatG fürchten zu müssen. Die unterbliebene Fristsetzung durch das Patentgericht bietet aber keine Handhabe dafür, das in erster Instanz insoweit gänzlich Unterlassene in der Berufungsinstanz außerhalb des entsprechend § 531 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 ZPO gesteckten Rahmens nachzuholen.
e) Das neue, auf die D7 gestützte Angriffsmittel ist entgegen der Auf34 fassung der Klägerin auch nicht deshalb zuzulassen, weil die öffentliche Zugänglichkeit der Schrift vor dem Prioritätstag und der ihr zu entnehmende technische Informationsgehalt unstreitig wären. aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst der Be35 griff der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel im Zivilprozess zwar nur streitiges und daher beweisbedürftiges Vorbringen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, 142; Beschluss vom 23. Juni 2008 - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10). Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof insbesondere darauf hingewiesen, dass dem Zweck des Zivilprozesses eine Auslegung der Vorschrift widerspreche, nach der das Gericht sehenden Auges auf einer falschen, von keiner Partei vorgetragenen tatsächlichen Grundlage entscheiden müsste (BGHZ 161, 138, 143). Diese Erwägungen können auf die Einführung von neuem Stand der Technik im Patentnichtigkeitsverfahren, dessen Besonderheiten der Gesetzgeber des Patentrechtsmodernisierungsgesetzes in § 117 PatG durch die Anordnung einer lediglich entsprechenden Anwendung des § 531 Abs. 2 Rechnung getragen hat (s. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/11339, S. 24; Gröning, GRUR 2012, 996, 998 f.), aber nicht übertragen werden. bb) Über die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents ent36 scheidet, ob der Stand der Technik die unter Schutz gestellte technische Lehre vorwegnimmt oder dem Fachmann hinreichende Anregungen vermittelt, bekannte technische Lösungen zu dieser technischen Lehre abzuwandeln oder weiterzuentwickeln. Der Stand der Technik besteht dabei aus der regelmäßig unüberschaubaren Vielzahl von Druckschriften und sonstigen Entgegenhaltungen , aus der sich Bausteine für die dem Kläger des Patentnichtigkeitsverfahrens obliegende Darlegung ergeben können, dass und inwiefern der Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich getroffen oder dem Fachmann nahegelegt gewesen sei. Von den eher seltenen Fällen abgesehen, in denen relevante Bestandteile des Standes der Technik aus einer vom Kläger behaupteten offenkundigen Vorbenutzung bestehen oder der Zeitpunkt streitig ist, zu dem eine bestimmte technische Lehre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, besteht der im Rechtsstreit erörterte Stand der Technik im Wesentlichen aus amtlich veröffentlichten Patentdokumenten oder anderen Veröffentlichungen feststehenden Datums und ist daher in aller Regel als solcher unstreitig. Ein Angriffsmittel wird aus dem typischerweise ebenso unbegrenzten wie unüberschaubaren Stand der Technik jedoch erst durch die Darlegung des Klägers, welchen konkreten Beitrag welche Bestandteile welcher Entgegenhaltung zu der geltend gemachten mangelnden Patentfähigkeit leisten sollen (BGH, Urteil vom 28. August 2012 - X ZR 99/11, BGHZ 194, 290 Rn. 36 - Fahrzeugwechselstromgenerator ). Obwohl über die Patentfähigkeit letztlich die rechtlichen Schlussfolgerungen entscheiden, die aus den (potentiell) relevanten Beiträgen zur Beurteilung der Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit zu ziehen sind, ist das Patentgericht weder verpflichtet noch auch nur berechtigt, von sich aus zu ermitteln , worin diese relevanten Beiträge liegen könnten. Andernfalls könnte sich der Kläger darauf beschränken, eine Vielzahl von Entgegenhaltungen vorzule- gen oder auch nur aufzulisten, und es dem Patentgericht überlassen, deren Inhalt auszuwerten und zu prüfen, ob und inwiefern sich hieraus Anhaltspunkte für eine mangelnde Patentfähigkeit ergeben. Damit würde das Patentgericht jedoch seine Aufgabe verfehlen, unparteiisch zu wägen, ob der Klagevortrag das Klagebegehren rechtfertigt, und sich in die Rolle eines Klägerhelfers begeben ; dafür bietet indes auch der Amtsermittlungsgrundsatz keine Grundlage. Dies erhellt, dass im Patentnichtigkeitsverfahren die unstreitige Zugehörigkeit einer bestimmten Entgegenhaltung zum Stand der Technik keinen tauglichen Maßstab für die Qualifikation als (neues) Angriffsmittel bilden kann. Angriffsmittel ist vielmehr die Darlegung des Klägers, welche bestimmten technischen Informationen , die der Fachmann einer bestimmten Entgegenhaltung oder bestimmten Entgegenhaltungen entnehmen kann, das Klagebegehren rechtfertigen sollen. Für Entgegenhaltungen, die eine von der Erfindung wegführende technische Entwicklung belegen könnten und daher als Verteidigungsmittel des Beklagten in Betracht kommen, gilt Entsprechendes. cc) Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass die Klägerin auch im
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Termin noch keine Übersetzung des Beschreibungsteils der Entgegenhaltung D7 aus dem Japanischen in die deutsche Sprache vorgelegt hat, die einen unstreitigen Inhalt der von der Entgegenhaltung gegebenen technischen Information begründen könnte und es dem Senat in der Sache ermöglicht hätte, den Offenbarungsgehalt der Schrift zu würdigen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Gröning Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grabinski kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Meier-Beck Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 09.11.2011 - 5 Ni 36/10 (EP) -
Berichtigt durch Beschluß
vom 22. Mai 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 168/97 Verkündet am:
3. Mai 2001
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Taxol
IntPatÜG Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2; EPÜ Art. 138 Abs. 1 Buchst. b; Art. 83
Bei einem Patent für ein chemisches Syntheseverfahren kann ein bestimmter Verfahrensschritt
in Form einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion (hier: Veresterung) auch
dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion durchzuführen
, versagen, in der Patentschrift aber ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion
nacharbeitbar offenbart ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Fachmann auch andere
Wege zur Durchführung der Reaktion zur Verfügung standen.
BGH, Urt. v. 3. Mai 2001 - X ZR 168/97 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Mai 2001 durch die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Dr. Melullis,
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Unter Zurückweisung der Berufungen im übrigen wird auf die Berufungen der Parteien das am 14. August 1997 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert und wie folgt neu gefaßt: Das europäische Patent 0 336 840 wird unter Abweisung der weitergehenden Klage mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland teilweise für nichtig erklärt, soweit seine Patentansprüche über folgende Fassung hinausgehen: "1. Verfahren zur Herstellung von Taxol der Formel dadurch gekennzeichnet, daß man ein (2R, 3S)-3-Phenylisoserinderivat der allgemeinen Formel worin R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausge-

2

wählt unter den Methoxymethyl-, 1-Ethoxyethyl-, Benzyloxy- ! " #%$& ' ( *)+ , .-/ 01 #12 -13 *) 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten, bedeutet, mit einem Taxanderivat der allgemeinen Formel

worin R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausge-

3

wählt unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthält, verestert, um zu dem Ester der allgemeinen Formel

worin R2 und R3 wie vorstehend definiert sind, zu gelangen, dessen Schutzgruppen R2 und R3 man mit Wasserstoffatomen mittels einer Mineralsäure in Lösung in einem 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthaltenden aliphatischen Alkohol ersetzt, wobei man bei einer Temperatur um 0° C arbeitet, wonach man das Taxol isoliert, wobei man zur Herstellung des Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin -III anschließt.
2. Verfahren gemäß Anspruch 1 zur Herstellung des Esters der allgemeinen Formel (V), wie in Anspruch 1 definiert, dadurch gekennzeichnet, daß man in Gegenwart eines Kondensationsmittels , ausgewählt unter den Carbodiimiden und den reaktiven Carbonaten, und eines Aktivierungsmittels, ausgewählt unter den Dialkylaminopyridinen, in einem aromatischen organischen Lösungsmittel, ausgewählt unter Benzol, Toluol, den Xylolen, Ethylbenzol, Isopropylbenzol und Chlorbenzol, bei einer Temperatur zwischen 60 und 90° C arbeitet.
3. Verfahren zur Herstellung eines Taxanderivats der allgemeinen Formel

dadurch gekennzeichnet, daß man ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10desacetylbaccatin -III anschließt.
4. Verfahren zur Herstellung eines Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) nach Patentanspruch 1, bei dem ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umgesetzt wird, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt enthaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt, dadurch gekennzeichnet, daß man Halogentrialkylsilan bei einer Temperatur um 20° C unter Arbeiten in einem basischen organischen Lösungsmittel wie Pyridin, oder in einem inerten organischen Lösungsmittel, wie Chloroform oder Dichlorethan, in Gegenwart eines tertiären Amins umsetzt.
5. Verfahren zur Herstellung eines Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) nach Patentanspruch 1, bei dem ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umgesetzt wird, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt enthaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt, dadurch gekennzeichnet, daß die Acetylierung von 7-Trialkylsilyl-10-

desacetylbaccatin-III mit Hilfe von Acetylchlorid unter Arbeiten bei einer Temperatur um 0° C durchgeführt wird, wobei man in einem basischen organischen Lösungsmittel, wie Pyridin, oder in einem inerten organischen Lösungsmittel, wie Methylenchlorid , Chloroform oder Dichlorethan, in Anwesenheit eines tertiären Amins arbeitet."
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 5/6 und die Beklagte 1/6.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 5. April 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Patentanmeldung in Frankreich vom 6. April 1988 angemeldeten europäischen Patents 0 336 840 (Streitpatents), das ein Verfahren zur Herstellung von Taxol betrifft. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Französisch:

"1. Procédé de préparation du taxol de formule:

caractérisé en ce que l’on estérifie un dérivé de la phényl-3 isosérine (2R,3S) de formule générale :

dans laquelle R représente un groupement protecteur de la

2

fonction hydroxy choisi parmi les radicaux méthoxyméthyle, éthoxy-1 éthyle, benzyloxyméthyle, (4 5 6 798;: < thyl-silyléthoxy) méthyle, tétrahydropyrannyle, trichloro-2,2,2 éthoxycarbonyle, par un dérivé dutaxane de formule générale:

dans laquelle R représente un groupement protecteur de la

3

fonction hydroxy choisi parmi les radicaux trialkylsilyle dont chaque partie alkyle contient 1 à 3 atomes de carbone, pour obtenir l’ester de formule générale:

dans laquelle R et R sont définis comme précédemment dont
2
3 on remplace les groupements protecteurs R et R par des
2
3 atomes d’hydrogène d’un acide minéral en solution dans un alcool aliphatique contenant 1 à 3 atomes de carbone en opérant à une température voisine de 0° C, puis isole le taxol." In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lautet dieser Patentanspruch wie folgt: "1. Verfahren zur Herstellung von Taxol der Formel dadurch gekennzeichnet, daß man ein (2R,3S)-3-Phenylisoserinderivat der allgemeinen Formel worin R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausge-

2

wählt unter den Methoxymethyl-, 1-Ethoxyethyl-, Benzyloxy- = > ? @ A B C D EGF C H I imethylsilylethoxy)-methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten, bedeutet, mit einem Taxanderivat der allgemeinen Formel

worin R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausge-

3

wählt unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthält, umsetzt, um zu dem Ester der allgemeinen Formel

worin R2 und R3 wie vorstehend definiert sind, zu gelangen, dessen Schutzgruppen R2 und R3 man mit Wasserstoffatomen mittels einer Mineralsäure in Lösung in einem 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthaltenden aliphatischen Alkohol ersetzt, wobei man bei einer Temperatur um 0° C arbeitet, wonach man das Taxol isoliert."
Wegen der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 – 8 wird auf die Patentschrift verwiesen.
Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf zahlreiche Unterlagen, wegen derer auf das angefochtene Urteil verwiesen wird, geltend gemacht, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so vollständig, daß ein Fachmann sie im beanspruchten Umfang ausführen könne. Zudem beruhe es nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie hat deswegen die Nichtigerklärung des Streitpatents mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beantragt.
Die Beklagte hat das Patent vor dem Bundespatentgericht nur eingeschränkt mit fünf Patentansprüchen in deutscher Sprache verteidigt: Dabei hat sie in Patentanspruch 1 das Wort “umgesetzt” durch “verestert” ersetzt und am Ende dieses Patentanspruchs angefügt:

", wobei man zur Herstellung des Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt."
In dem Patentanspruch 5 in der Fassung des erteilten Patents entsprechenden verteidigten Patentanspruch 2 hat sie eine Alternative für die Schutzgruppe R (Methoxymethylcarbonylrest) gestrichen. Der verteidigte Patentan-

2

spruch 3 entsprach Patentanspruch 6 des erteilten Patents. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, soweit diese sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.
Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das Streitpatent dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß es den Patentansprüchen die Fassung der verteidigten Patentansprüche 2 und 3 (als neue Patentansprüche 1 und 2) gegeben hat. Das Urteil des Bundespatentgerichts ist bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, Band 2 Seite 105 ff, veröffentlicht.
Gegen das angefochtene Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent - nunmehr weitergehend als in erster Instanz - mit Patentanspruch 1, wie er ihrer Verteidigung vor dem Bundespatentgericht zugrunde lag, den Patentansprüchen 2, 4 und 5 des erteilten Patents, letztere in neuer Numerierung als Patentansprüche 3 und 4, sowie mit Patentansprüchen 6 und 7, die den Patentansprüchen 7 und 8 des erteilten Patents, jedoch mit geänderten Rückbeziehungen, entsprechen. Sie beantragt, insoweit das Urteil des Bundespatentgerichts abzuändern und (sinngemäß) die Klage abzuweisen. Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit einem eingeschränkten Patentanspruch 1 sowie für den Fall, daß das Streitpa-

tent mit den verteidigten Patentansprüchen 3 und 4 keinen Bestand hat, mit dem im Tenor als Patentanspruch 3 wiedergegebenen Patentanspruch, der in eingeschränkter Form dem Patentanspruch 6 des erteilten Patents entspricht. Die Klägerin verfolgt im Berufungsverfahren ihren Antrag weiter, das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Parteien treten jeweils dem Rechtsmittel der Gegenseite entgegen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr. E. Sch., Institut für organische Chemie, Technische Universität C., ein schriftliches Gutachten erstattet , das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Nichtigkeitsklägerin hat in erster Instanz gutachtliche Stellungnahmen von Professor Dr. S. B., Direktor des Instituts für Organische Chemie der Technischen Universität B., Professor E. C., H. University, C., Prof. Dr. H. W., Direktor des Instituts für Organische Chemie der Universität K., und Professor A. F. H., University College D., vorgelegt. Die Beklagte hat ihrerseits Stellungnahmen von Professor J. L., Collège de France, Professor K. C. N., The Scripps Research Institute, L. J., und Professor Dr. E. W., Institut für Organische Chemie der Universität H., vorgelegt.

Entscheidungsgründe:


Die zulässigen Rechtsmittel der Parteien führen zur Abänderung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Demnach haben die verteidigten Verfahrensansprüche Bestand, wobei die nachgeordneten Verfahrensansprüche durch Patentanspruch 1 mitgetragen werden und für den nebengeordneten, auf die Herstellung eines Zwischenprodukts gerichteten Verfahrensanspruch die gleichen Erwägungen wie für den verteidigten

Patentanspruch 1 gelten. Dagegen haben die verteidigten, auf Zwischenprodukte gerichteten Sachansprüche, keinen Bestand.
I. Das Streitpatent betrifft ein halbsynthetisches Verfahren zur Herstellung von Taxol sowie verschiedene Zwischenprodukte, die bei diesem Herstellungsweg anfallen.
1. Taxol® (C H NO internationaler Freiname: Paclitaxel) ist eine Sub- 47 51 14; stanz der in Patentanspruch 1 angegebenen Formel, die um 1970 erstmals im Rahmen eines Forschungsprogramms des National Cancer Institute in den Vereinigten Staaten von Amerika aus der Rinde einer im Nordwesten der Vereinigten Staaten und in Kanada vorkommenden Eibenart (Taxus brevifolia) isoliert wurde. Taxol weist eine hohe cytostatische Aktivität auf, die es zu einer wichtigen Substanz bei der Chemotherapie von Tumorerkrankungen macht. Taxol ist 1971 in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben worden; eine Patentierung als Stoff ist nicht erfolgt. Die präparative Zugänglichkeit von Taxol aus natürlichen Quellen ist gering und kann den Bedarf für therapeutische Anwendungen bei weitem nicht decken. Deshalb sind Verfahren zur synthetischen oder halbsynthetischen Herstellung von Taxol von Bedeutung.
Taxol ist ein Derivat des Taxan der allgemeinen Formel

wobei R (an der zehnten Bindungsstelle) einen Acetylrest (CH CO; Essigsäu-

3

reanhydrid) und R1 (an der dreizehnten Bindungsstelle) einen Rest der Summenformel –OCO-CHOH-CH-(C H )-NHCOC H ) (2’R,3’S) bedeutet. Als Aus- 6 5 6 5 gangsprodukt für die Synthese steht in ausreichendem Umfang 10-Desacetylbaccatin III (im folgenden: 10-DAB-III) zur Verfügung, das sich in größeren Mengen aus den Nadeln der Eibenart Taxus baccata gewinnen läßt. Bei dieser Verbindung stellen R ein Wasserstoffatom und R1 einen Hydroxy-Rest (OH) dar. 10-DAB-III wie auch das nur in verhältnismäßig geringen Mengen verfügbare Baccatin III, bei dem R einen Acetylrest der Formel CH COO- und R1 eine

3

Hydroxy-Gruppe bedeuten (vgl. Streitpatent, Beschreibung S. 2 Z. 1-35), zeigen nicht die therapeutischen Wirkungen von Taxol.
2. Die Beschreibung des Streitpatents verweist auf die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 253 739, in der die Darstellung von Taxol oder von 10-Desacetyl-Taxol aus einem Taxanderivat der allgemeinen Formel

beschrieben ist, wobei die Darstellung von Baccatin III oder von 10-DAB-III ausgeht, das Gegenstand dieser Anmeldung ist. In diesem Fall müssen in einem Zwischenschritt die (therapeutisch nicht wirksamen) Diastereomere ab-

geteilt werden. Deshalb führt das eingesetzte Baccatin III oder 10-DAB-III nicht zu Taxol mit der geforderten Struktur (Beschreibung S. 2 Z. 36-54).
Die Beschreibung des Streitpatents verweist weiter darauf, daß es aus einer Veröffentlichung von Denis et al. in Journal of Organic Chemistry Bd. 51 Nr. 1, 1986, S. 46ff, bekannt gewesen sei, wie man die (abweichend formulierte ) Seitenkette von Taxol, auch als Ester, darstellen kann; dort sei die Benutzung dieser Verbindung zur Teilsynthese von Taxol ausgehend von 10-DAB-III zwar vorgeschlagen, die Voraussetzungen, unter denen diese Synthese zu verwirklichen sei, seien aber nicht angegeben.
3. Durch das Streitpatent soll demgegenüber, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Beschreibung ergibt, ein Weg aufgezeigt werden, wie Taxol mit guter Ausbeute aus verfügbaren Ausgangsmaterialien synthetisiert werden kann.
4. Hierzu lehrt Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung ein Verfahren zur
1. Herstellung von Taxol der Formel

1.1 wobei man ein (2R,3S)-3-Phenylisoserinderivat der allgemeinen Formel

1.1.1 in dem R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion be-

2

deutet,
1.1.2 die ausgewählt ist unter den Methoxymethyl-, 1Ethoxyethyl -, Benzyloxymethyl-, (ß-Trimethylsilylethoxy)- methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten ,
1.2. mit einem Taxanderivat der allgemeinen Formel

1.2.1 in dem R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion

3

enthält,
1.2.2 die ausgewählt ist unter den Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthält,

1.2.3 wobei man zur Herstellung dieses Taxanderivates
1.2.3.1 ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt ,
1.2.3.2 wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt ,
1.3. verestert,
1.3.1 um zu dem Ester der allgemeinen Formel

zu gelangen,
1.3.2 worin R und R wie vorstehend definiert sind,
2
3 2. dessen Schutzgruppen R und R man mit Wasserstoffa-
2
3 tomen ersetzt 2.1 mittels einer Mineralsäure 2.2 in Lösung in einem 1 bis 3 Kohlenstoffatome enthaltenden aliphatischen Alkohol 2.3 wobei man bei einer Temperatur um 0° C arbeitet, 3. wonach man das Taxol isoliert.
5. Hieraus ergibt sich, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, ein Syntheseverfahren mit vier Schritten.

a) In einem ersten Schritt erfolgt zunächst der Schutz der 7-HydroxyGruppe des 10-DAB-III. Diese Verbindung weist in den Positionen 7, 10 und 13 drei sekundäre Alkohol-Funktionen (Hydroxy-Gruppen) auf. Während die 13Hydroxy -Gruppe aus sterischen Gründen von geringerer Reaktivität ist, ist eine Differenzierung hinsichtlich des Reaktionsvermögens zwischen den HydroxyGruppen in Position 7 und in Position 10 schwierig. Eine weitere HydroxyGruppe in Position 1 ist als tertiäre Gruppe von geringer Reaktivität und kann deshalb außer Betracht bleiben. Um Baccatin-III als weiteres Zwischenprodukt zu erhalten, muß die 10-Hydroxy-Gruppe mit Essigsäure zu einer AcetylGruppe verestert werden. Die vom Streitpatent gelehrte (Merkmal 1.2.3.1) Silylierung der 7-Hydroxy-Gruppe blockiert diese zeitweise chemisch und ermöglicht es damit, die Acetylierung selektiv an der 10-Hydroxy-Gruppe durchzuführen. Das Reagens Halogentrialkylsilan führt selektiv zum Ersatz des Wasserstoffatoms in der 7-Position, die eine etwas größere Reaktivität aufweist. Nach einem von der Nichtigkeitsklägerin vorgelegten Versuchsbericht, auf den sich auch der gerichtliche Sachverständige stützt, liefert die Silylierung hier zu 85,4% das gewünschte Zwischenprodukt 7-Triethylsilyl-10-DAB-III.


b) In einem zweiten Schritt wird dieses Zwischenprodukt in der 10Stellung acetyliert (Merkmal 1.2.3.2).

c) Im dritten Schritt wird das nunmehr erhaltene 7-Trialkylsilyl-baccatinIII (ein Alkohol) mit dem (2R,3S)-3-Phenylisoserinderivat, einer Carbonsäure, die mit einer Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion versehen ist (“TaxolSeitenkette” ), unter Abspaltung von Wasser verestert. Bei der Veresterung handelt es sich an s ich um eine Standardreaktion der organischen Synthese, die vorliegend aber nicht ohne weiteres zum Erfolg führt. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen liegt ein “kritischer Fall” vor, weil sich, wie allerdings erst durch eine Nachveröffentlichung (Denis u.a., J. Am. Chem. Soc. 1988, 5917, 5918; K1) bekannt geworden ist, die zu veresternde 13Hydroxy -Gruppe in einer Höhlung des Molekülgerüsts befindet und zudem durch eine Wasserstoffbrückenbildung mit der 4-Acetyl-Gruppe stabilisiert wird, was die Bindungsbildung extrem erschwert. Zum Erfolg führen hier die von Patentanspruch 2 erfaßten und zum Teil in einem Ausführungsbeispiel beschriebenen Veresterungsmethoden, bei der in Gegenwart eines Kondensationsmittels (Carbodiimids, insbesondere Dicyclohexylcarbodiimids, oder reaktiven Carbonats, wie Dipyridil-2-carbonat), und eines Aktivierungsmittels (eines Dialkylaminopyridins, wie 4-Dimethylaminopyridin) in einem aromatischen organischen Lösungsmittel (Benzol, Toluol, Xylol, Ethylbenzol, Isopropylbenzol oder Chlorbenzol) bei einer Temperatur zwischen 60° C und 90° C gearbeitet wird (vgl. Patentschrift S. 5 Z. 6-11). Im Nachhinein sind weitere Möglichkeiten der Realisierung der Esterbildung genannt worden.

d) Da die bisher durchgeführten drei Verfahrensschritte zu einem von Taxol verschiedenen Molekül mit Schutzgruppen in der 7-Position des TaxanGerüsts (Silyl-Rest) und an der Hydroxy-Funktion des Phenylisoserin-Teils (Seitenkette) führen, müssen in einem vierten Schritt die beiden Schutzgrup-

pen abgespalten werden, wie dies in der Merkmalsgruppe 2 angegeben wird. Schließlich kann das Taxol isoliert werden (Merkmal 3).
II. Die Patentinhaberin verteidigt den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in zulässiger Weise. Dies gilt zunächst für den Übergang auf die deutschsprachige Fassung anstelle der französischen (st. Rspr., u.a. BGHZ 118, 221, 222 f – Linsenschleifmaschine; BGHZ 133, 79, 81 Bogensegment ). Die Verwendung des Begriffs “verestern” ist dabei ohne weiteres durch die maßgebliche französische Fassung des Patentanspruchs 1 gedeckt, in dem ebenfalls von “verestern” (“en ce que l’on estérifie ...”) die Rede ist. Der angefügte Anspruchsteil
"wobei man zur Herstellung des Taxanderivates der allgemeinen Formel (IV) ein Halogentrialkylsilan mit 10-Desacetylbaccatin-III umsetzt, wonach sich die Acetylierung des als Zwischenprodukt erhaltenen 7-Trialkylsilyl-10-desacetylbaccatin-III anschließt"
entspricht Patentanspuch 6 des erteilten Patents und ist in den ursprünglichen Unterlagen (Beschreibung S. 5 Z. 1-5) als eine von zwei möglichen Alternativen als zur Erfindung gehörend offenbart; gegen die in dieser Ä nderung liegende Beschränkung bestehen daher keine Bedenken. Daß die bereits in Patentanspruch 1 enthaltene Angabe “mit 1 bis 3 Kohlenstoffatomen” nicht nochmals wiederholt wird, ist dabei unschädlich. Der Senat hat in Patentanspruch 2 die ersichtlich versehentliche Angabe “Formel (IV)” in “Formel (V)” berichtigt. Auch der hilfsweise zu den Stoffansprüchen verteidigte Patentanspruch ist durch die ursprünglichen Unterlagen und das erteilte Patent gedeckt. Die nicht verteidigte ursprüngliche weitere Fassung des Streitpatents ist auf Grund der von der Beklagten vorgenommenen Selbstbeschränkung nicht Gegenstand der sachlichen Prüfung im Berufungsverfahren.

III. 1. Der Gegenstand des so verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu (Art. 52, 54 EPÜ). Der Senat tritt insoweit der von Sachkunde getragenen und überzeugenden Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten bei. Insbesondere offenbart keine der Entgegenhaltungen eine Silylierung von 10-DAB-III bei der Hydroxy-Gruppe in der 7-Position. Auch die Nichtigkeitsklägerin hat im Verfahren fehlende Neuheit nicht geltend gemacht.
2. a) Der Senat kann nicht feststellen, daß dieser Gegenstand für den Fachmann, einen - erforderlichenfalls im Team arbeitenden - promovierten Chemiker mit Erfahrung auf dem Gebiet der Naturstoffsynthese, naheliegend gewesen wäre (Art. 52, 56 EPÜ). Für die Bejahung einer erfinderischen Leistung genügt es bei einem mehrschrittigen Syntheseverfahren bereits, daß ein Verfahrensschritt nicht durch den Stand der Technik in seiner Gesamtheit nahegelegt war. Dies trifft jedenfalls für den Verfahrensschritt nach Merkmal 1.2.3.1 zu, nach dem ein Halogentrialkylsilan mit 10-DAB-III umgesetzt wird. Deshalb kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob sich weitere Verfahrensschritte ebenfalls nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergaben. Auch in der in Schweden ergangenen Entscheidung von Stockholms Tingsrätt vom 16. Oktober 1998 (ENPR 2001, 1 ff, Tz. 236 ff) ist deswegen im Ergebnis, wenngleich mit im einzelnen abweichender Begründung, erfinderische Tätigkeit bejaht worden.
aa) Aus Sénilh u.a., C. R. Acad. Sc. Paris, t. 299, Série II, n° 15, 1984, S. 1039 – 1043 (K 3) war die halbsynthetische Gewinnung von Taxol-Analoga ausgehend von aus den Nadeln von Eiben (taxus baccata) gewonnenem 10DAB -III (Tetraol) im Prinzip bekannt. Die Veröffentlichung beschreibt (S. 1040), daß die chemische Reaktionsfähigkeit von Tetraol wenig bekannt sei, insbe-

sondere das Verhalten der drei Hydroxy-Gruppen in der 7-, 10- und 13Position. Eine Acetylierung in Essigsäureanhydrid oder Pyridin bei Umgebungstemperatur führe zu einem 50:50-Gemisch des 7-Monoacetats und des 7-, 10Diacetats. Es wird weiter darauf verwiesen, daß die 13-Hydroxy-Gruppe weniger reaktionsfähig ist als die beiden anderen Sekundär-Hydroxy-Gruppen. Eine Anregung für eine Silylierung der 7-Hydroxy-Gruppe gibt die Veröffentlichung nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht.
bb) Denis u.a., J. Org. Chem. 1986, 51, 46-50 (K 4), beschreiben die effektive, enantioselektive Synthese der Taxol-Seitenkette als Schritt der Taxol -Synthese, wobei auch eine Teilsynthese von Taxol aus 10-DAB-III angesprochen wird (S. 47/48). Auch hier findet sich keine Anregung für eine Silylierung der 7-Hydroxy-Gruppe.
cc) Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 253 738 (K 5) offenbart Taxolderivate, insbesondere Taxotere, und beschreibt die Herstellung von Taxol-Analoga aus 10-DAB-III. U.a. ist die Veresterung eines Baccatin -III-Derivats, bei dem in 7-Position die Hydroxy-Gruppe durch einen Trichlorethoxycarbonylrest (-OCOOCH CCl ) ersetzt ist und bei dem die Hy- 2 3 droxy-Gruppe in 10-Position ebenfalls durch einen solchen Rest oder durch einen Acteylrest substituiert ist, mit Zimtsäure beschrieben. Die Veresterung erfolgt dabei nach der Carbodiimid-Methode (S. 3 Z. 57 ff), wie sie auch das Streitpatent lehrt. Eine selektive Silylierung ist, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, auch hier nicht vorgesehen und durch die Möglichkeit gleicher Substitution der Hydroxy-Gruppen in 7- und 10Position eher fernliegend.

dd) Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 126 587 (K 6) beschreibt die Herstellung von ß-Lactam-Verbindungen (PenemVerbindungen ), bei denen Schutzgruppen u.a. für eine Hydroxy-Gruppe, eingesetzt werden, als die die Beschreibung (S. 4 Z. 13 ff) u.a. 2,2,2Trichlorethoxycarbonyl und Trialkylsilylgruppen als bevorzugt nennt. Die Klägerin möchte damit die Austauschbarkeit dieser Schutzgruppen belegen. Hinweise auf eine selektive Silylierung finden sich auch hier nicht.
ee) Der Beitrag von Lalonde/Chan in Synthesis 1985, 817 ff (K 7) beschreibt die Verwendung von siliziumorganischen Reagenzien als Schutzgruppen bei der organischen Synthese und dabei insbesondere auch die Verwendung von Silyl-Schutzgruppen, namentlich von Trimethyl- und Triethylsilylgruppen , zum Schutz von Hydroxy-Gruppen. Dabei ist (S. 818) auch am Beispiel der Prostaglandin-Synthese die selektive Silylierung bestimmter HydroxyGruppen beschrieben. Nach den überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen läßt sich diesem Beispiel jedoch nicht mehr als die dem Fachmann bereits vertraute Information entnehmen, daß verschiedene Hydroxy -Gruppen bei unterschiedlicher Umgebung mit einem Reagens mit unterschiedlicher Geschwindigkeit reagieren können. Das Beispiel S. 821 übergehend linke/rechte Spalte zeigt einen dem Merkmal 1.2.2 entsprechenden Reaktionsverlauf , nämlich den Schutz einer bestimmten Hydroxy-Gruppe durch eine Triethylsilyl-Schutzgruppe, jedoch bei einer anderen Umsetzung (BirchReduktion ). Ein Hinweis auf eine Anwendung bei der Taxol-Synthese findet sich nach den überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen in der Veröffentlichung nicht.
ff) Die Veröffentlichung von Guéritte-Voegelein u.a. in Tetrahedon Bd. 42 (1986), 4451 ff (K 10) betrifft die Synthese von Taxon-Analoga ausgehend von 10-DAB-III und Baccatin-III; auch die Verwendung dieser Substanzen für

die Herstellung von Taxol ist angesprochen. Sie entspricht damit dem Erfindungsgedanken des Streitpatents, jedoch ohne eine Lösung aufzuzeigen, da sie nicht beschreibt, wie eine selektive Acetylierung der Hydroxy-Gruppe in 10Position erreicht werden kann, sondern bei der Erkenntnis verharrt, daß zwischen der 7- und der 10-Hydroxy-Gruppe hinsichtlich der Acylierung keine Selektivität besteht. Die Nichtigkeitsklägerin hat demgegenüber aus dieser Veröffentlichung eine höhere Reaktivität der 7-Hydroxy-Gruppe gegenüber der 10Hydroxy -Gruppe abgeleitet, was der gerichtliche Sachverständige für die Acetylierung (nicht aber für die Silylierung) unter Verneinung eines präparativ nutzbaren Unterschieds bestätigt hat.
gg) Die Veröffentlichung von Oshima u.a. in Chem. Pharm. Bull. 32 (1984), 3518 ff (K 13) berichtet für ein Vitamin-D3-Derivat von einer selektiven Silylierung, die bei einer bestimmten, äquatorial angeordneten Hydroxy-Gruppe gelingt, während eine andere Hydroxy-Gruppe nicht reagiert. Ein unmittelbarer Bezug zur selektiven Silylierung von 10-DAB-III besteht nicht. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu in überzeugender Weise ergänzend ausgeführt, daß sich die selektive Silylierung in dieser Entgegenhaltung zwanglos aus der äquatorialen Stellung der Hydroxy-Gruppe gegenüber der axialen Stellung der nicht silylierten Hydroxy-Gruppe sowie den Einfluß einer angularen MethylGruppe erklärt, was dem Fachmann geläufig sei. Auf die Situation bei 10-DABIII ist dies, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, nicht übertragbar, weil es infolge der dort vorhandenen komplexen Ringstruktur keine entsprechenden, dem Fachmann bekannten Regeln gab und dieser deshalb auf das Ergebnis von Laborexperimenten angewiesen war.
hh) Die übrigen Entgegenhaltungen kommen dem Streitpatent nicht näher und sind für die Beurteilung der erfinderischen Leistung ohne Belang.


b) Auch aus der Zusammenschau der genannten Entgegenhaltungen läßt sich nicht feststellen, daß der Fachmann unter Berücksichtigung seiner Fachkenntnisse in naheliegender Weise zu der Erkenntnis gelangen konnte, die Hydroxyl-Gruppe in 7-Position selektiv zu silylieren.
Hierfür läßt sich schon deshalb keine hinreichende Anregung feststellen, weil der Fachmann zwar aus dem Stand der Technik Hinweise ableiten konnte, daß die Hydroxy-Gruppe in 7-Position insgesamt eine etwas größere Reaktivität aufweist als die Hydroxy-Gruppe in 10-Position, es demgegenüber aber an weitergehenden Hinweisen fehlte, daß und in welcher Weise diese höhere Reaktivität für eine Schutzgruppenbildung nutzbar gemacht werden konnte. Das Reaktionsverhalten bei der Alkylierung konnte der Fachmann dabei nicht ohne weiteres heranziehen, denn eine Alkylierung der Hydroxy-Gruppe in 7-Position mußte für ihn unerwünscht erscheinen. Allerdings vermag der Senat auf Grund der Angaben des gerichtlichen Sachverständigen nicht der Auffassung der in Schweden ergangenen Entscheidung beizutreten, daß der Fachmann die Schlußfolgerungen in der Veröffentlichung von Guéritte-Voegelein u.a. in Tetrahedon Bd. 42 (1986), 4451 (K 10) nicht weiter überprüft hätte. Wie der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, war hier trotz der in dieser Veröffentlichung enthaltenen Ä ußerung (S. 4452 unter I.), die Daten zeigten, daß zwischen den C-7- und C-10-Hydroxyl-Gruppen keine Selektivität gegenüber Acylierungsmitteln bestehe, vom Fachmann durchaus zu erwarten, die Ergebnisse dieser Untersuchung kritisch zu überprüfen und über Wege nachzudenken, wie eine selektive Acylierung in der 10-Position zu erreichen sein konnte. Es läßt sich aber nicht feststellen, daß es für den Fachmann ohne erfinderische Leistung möglich war, die im Streitpatent unter Schutz gestellten Schutzgruppen für die Hydroxy-Gruppe in der 7-Position aufzufinden. Zwar hat der gerichtliche Sachverständige angegeben, daß der Fachmann SilylGruppen als wirksame und in Gegenwart anderer Schutzgruppen selektiv wie-

der abspaltbare Schutzgruppen der Hydroxy-Gruppe kannte. Er hat jedoch betont, daß sich der für das Verfahren des Streitpatents essentielle selektive Schutz der 7-Hydroxy-Funktion in 10-DAB-III dem Stand der Technik nicht entnehmen läßt. So hat dies jedenfalls im Ergebnis auch das sachkundig besetzte Bundespatentgericht gesehen. Der gerichtliche Sachverständige hat weiter angegeben, der Fachmann hätte mit viel Fleiß die im Streitpatent unter Schutz gestellte Lösung auffinden können; dies schließt aber die nicht widerlegbare Möglichkeit ein, daß es für ihn nicht im Sinn des Art. 56 EPÜ naheliegend war, zu dieser Lösung zu gelangen. Hierfür spricht nicht zuletzt, daß es nach mehreren dokumentierten Fehlschlägen geraumer Zeit bedurfte, diese aufzufinden, obwohl ersichtlich auf diese Weise die aus der geringen Verfügbarkeit von Baccatin-III zu erwartenden Probleme erheblich gemildert werden konnten und mit einem großen Bedarf an Taxol in der Zukunft zu rechnen war. Daß, wie die Klägerin meint, dem Fachmann das Auffinden der geeigneten Schutzgruppen mit wenigen Routineversuchen möglich gewesen wäre, kann der Senat auf Grund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht feststellen.
Die Veröffentlichung von Oshima u.a. in Chem. Pharm. Bull. 32 (1984), 3518 ff (K 13) betrifft die selektive Silylierung von Vitamin-D -Derivaten. Sie

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konnte, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angeben hat, dem Fachmann schon wegen der dort anders gelagerten Verhältnisse keinen Hinweis bieten, wie er die sich bei der Hemisynthese von Taxol stellenden Probleme anzugehen hatte.
IV. Auch der Nichtigkeitsgrund des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ liegt nicht vor. Dem Bundespatentgericht kann in seiner rechtlichen Bewertung nicht beigetreten werden, daß die im verteidigten Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, daß ein Fachmann sie nicht ausführen könne (Art. 84

EPÜ). Auch in der in Schweden ergangenen Entscheidung ist das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrunds verneint worden.
Das Bundespatentgericht hat seine gegenteilige Auffassung damit begründet , daß im Hinblick auf die im verteidigten Patentanspruch 1 des Streitpatents verwendete allgemeine Formulierung der Fachmann davon ausgehe, daß übliche Methoden der Veresterung zum Erfolg führten. Für den Fachmann sei aber am Anmeldetag lediglich das spezielle Verfahren des Ausführungsbeispiels in der Beschreibung des Streitpatents gangbar gewesen. Demgegenüber erscheint es bereits zweifelhaft, ob der Fachmann in Kenntnis des Stands der Technik überhaupt Anlaß zu der Annahme hatte, daß mehr oder weniger beliebige Veresterungsverfahren zum Erfolg führen konnten, nachdem in der Literatur auf sehr spezielle Verfahren hingewiesen worden war (vgl. Denis u.a., J. Org. Chem. 1986, 51, 46, 47 Fn. 20, 21 (K 4); Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 253 738) und auch die Beschreibung des Streitpatents insoweit eine sehr spezielle Verfahrensführung angibt. Auch der gerichtliche Sachverständige hat überzeugend erläutert, daß der Fachmann weiß, daß keine Veresterungsmethode in allen Fällen funktioniert, und daß er sich deshalb immer Gedanken darüber machen wird, wie im Einzelfall vorzugehen ist.
Im übrigen erweist sich aber auch die rechtliche Beurteilung durch das Bundespatentgericht als nicht zutreffend.
Das Bundespatentgericht meint, daß ein Patent dann, wenn sich im Nichtigkeitsverfahren herausstelle, daß seine Lehre in einem begrenzten Umfang nicht ausführbar gewesen sei, in diesem Umfang für nichtig zu erklären sei. Dies trifft jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden nicht zu.

Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner verteidigten Fassung stellt ein Syntheseverfahren unter Schutz, bei dem eine Hydroxy-Gruppe des 10DAB -III zur Erreichung einer selektiven Acylierung vorübergehend blockiert wird und bei der in einem späteren Verfahrensschritt (Merkmal 1.3) das so erhaltene Taxanderivat mit einem Phenylisoserinderivat verestert wird. Der Patentanspruch ist somit auf ein Syntheseverfahren gerichtet, bei dem eine bestimmte Umsetzung (Veresterung, d.h. die Umsetzung eines Alkohols mit einer Carbonsäure) zweier definierter Komponenten stattfindet. Die Beschreibung offenbart hierzu spezielle und näher beschriebene, für den Fachmann ausführbare Wege, diese Veresterung durchzuführen. Auch wenn dabei der Bereich des dem Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissen Geläufigen verlassen wird, werden mithin in der Patentschrift (an sich aus Spezialliteratur grundsätzlich bekannte) Wege zur Durchführung der Veresterung gewiesen. Arbeitete der Fachmann diese nach, konnte er die Veresterungsreaktion mit Erfolg durchführen. Dies genügt unter Ausführbarkeitsgesichtspunkten, denn das Europäische Patentübereinkommen fordert wie das deutsche Recht lediglich , daß ein gangbarer Weg zur Ausführung der Erfindung zu offenbaren ist (u.a. BGHZ 100, 67, 71 – Tollwutvirus; Sen.Urt. v. 9.2.1993 – X ZR 40/90, Umdruck S. 8; EPA T 292/85 ABl. EPA 1989, 275 = GRUR Int. 1990, 61, 64 Polypeptid-Expression I; EPA T 238/88 ABl. EPA 1992, 709 = GRUR Int. 1993, 482 Kronenether; vgl. zum früheren Recht Sen. Urt. v. 4.7.1989 - X ZR 95/87, GRUR 1989, 899, 900 - Sauerteig).
Selbst wenn der Fachmann, wie es das Bundespatentgericht annimmt, auf Grund der Anspruchsformulierung der irrigen Auffassung gewesen wäre, er könne auf andere, geläufige Veresterungsverfahren zurückgreifen, änderte dies nichts daran, daß ein gangbarer Weg ausreichend beschrieben und das Veresterungsproblem mit der Offenbarung im Streitpatent zu lösen ist (vgl. zum

Ausreichen der Angabe eines Lösungswegs auch Sen. Beschl. vom 16.6.1998 - X ZB 3/97, GRUR 1998, 899, 900 – Alpinski). Bei einem Patent auf ein chemisches Syntheseverfahren kann nämlich ein bestimmter Verfahrensschritt in Form einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion auch dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion durchzuführen, versagen, in der Patentschrift aber ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion nacharbeitbar offenbart ist. Die abweichende Auffassung der Klägerin, der sich das Bundespatentgericht angeschlossen hat, müßte in letzter Konsequenz dazu führen, daß der Schutz eines Verfahrenspatents neben dem Fachmann geläufigen Verfahrensabläufen immer nur den konkreten, im Patent offenbarten Verfahrensgang erfassen dürfte. Dies stellt jedenfalls dann, wenn ein bestimmtes Verfahren erstmals der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird, grundsätzlich keine angemessene Belohnung der erfinderischen Leistung dar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Fachmann zum Anmelde- oder Prioritätszeitpunkt oder bei Veröffentlichung der Patentschrift auch andere Wege zur Durchführung der Reaktion zur Verfügung standen und ob es überhaupt andere Wege gibt, diese Veresterung mit brauchbarer Ausbeute durchzuführen, wie es die Beklagte unter Vorlage eines Versuchsberichts geltend macht. Der auf eine möglicherweise mißverständliche Stelle in Benkard, PatG GebrMG 9. Aufl. § 35 Rdn. 23 gestützten Auffassung des Bundespatentgerichts vermag der Senat deshalb nicht beizutreten.
Auch die umstrittene Frage, welche Folgen ein zu breit gefaßter Patentanspruch für das Nichtigkeitsverfahren haben könnte (vgl. House of Lords R.P.C. 1997, 1 ff, auszugsweise in GRUR Int. 1998, 412, 418 Biogen v. Medeva ; Gerechtshof Den Haag BIE 1999, 394, 397), stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist mit den Fällen, in denen – etwa in den v on der Klägerin angezogenen Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA T 435/91 ABl. EPA 1995, 188 ff =

GRUR Int. 1995, 591, 592 – Reinigungsmittel; EPA T 409/91 ABl. EPA 1994, 653, 659 = GRUR Int. 1994, 957, 959 f – Dieselkraftstoffe) - ein “funktionelles Merkmal” oder eine allgemein umschriebene Klasse von Ausgangsstoffen oder Endprodukten im Patentanspruch genannt war, schon deshalb nicht vergleichbar , weil der Fachmann durch die Offenbarung in der Patentschrift in die Lage versetzt wird, die Veresterung als solche durchzuführen; daß dies mit jeglicher Veresterungsmethode gelingen werde, konnte der Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen von vornherein nicht erwarten. Im übrigen ist nach geltendem Recht eine “unangemessene Breite” der Patentansprüche kein Nichtigkeitsgrund (vgl. Brandi-Dohrn GRUR Int. 1995, 541; Roberts EIPR 1994, 371; Busse § 34 PatG Rdn. 84 a.E.).
V. 1. Der nunmehr als Patentanspruch 3 verteidigte frühere Patentanspruch 4 betrifft Ester der allgemeinen Formel

worin R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den

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MethoxyJ K L M%N O P*QSRTP*UVL M W%X&N K L M N O P*QZY[K1\ ]TN O W%XTN J K L M%N O P*Q ^G_ P ` a9b;J K L M N O silylethoxy)- methyl-, Tetrahydropyranyl-, 2,2,2-Trichlorethoxycarbonylresten, und R eine

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Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den Trialkylsilylresten , von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome aufweist, bedeuten. Es handelt sich mithin um das Zwischenprodukt, das man nach der Veresterung

nach der Merkmalsgruppe 1, aber vor Durchführung der Verfahrensschritte der Merkmalsgruppe 2 und des Merkmals 3 erhält.
2. Der als Patentanspruch 4 verteidigte frühere Patentanspruch 5 betrifft ein Taxanderivat der allgemeinen Formel

worin R eine Schutzgruppe für die Hydroxylfunktion, ausgewählt unter den

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Trialkylsilylresten, von denen jeder Alkylteil 1 bis 3 Kohlenstoffatome aufweist, bedeutet, mithin das Taxanderivat nach Merkmal 1.2.
3. Die fehlende Schutzfähigkeit der in den v erteidigten Patentansprüchen 3 und 4 geschützten, neuen Zwischenprodukte ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß diese besonderen, an den Schutz von Zwischenprodukten zu stellenden Anforderungen nicht genügten; im geltenden Recht richtet sich die Schutzfähigkeit von Zwischenprodukten nämlich grundsätzlich nach den allgemeinen, für den Stoffschutz geltenden Regeln. Die Klägerin macht jedoch mit Erfolg geltend, daß sich diese Zwischenprodukte für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben haben und es deshalb keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, sie aufzufinden.
Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit entspricht, soweit sie aus 10-DAB-III hergestellt werden, den Erwägungen wie zum verteidigten Patent-

anspruch 1. Jedoch kann die Klägerin mit Recht darauf verweisen, daß eine Herstellung dieser Zwischenprodukte auch unmittelbar aus Baccatin-III möglich ist. Es war bekannt und wird auch in der Beschreibung des Streitpatents geschildert , diesen Weg zu gehen. Daß die Verfügbarkeit des Ausgangsstoffs Baccatin-III beschränkt ist, konnte den Fachmann nicht generell davon abhalten , diesen Weg weiterhin zu beschreiten. Dies gilt umso mehr, als bis zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents ein mit wirtschaftlichem Aufwand gangbarer Weg zur Teilsynthese von Taxol aus 10-DAB-III nicht bekannt war.
Wollte der Fachmann Taxol aus Baccatin-III synthetisieren, stellte sich für ihn, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, das Problem der Alkylierung der Hydroxy-Gruppe in der 10-Position von vornherein nicht, weil sich bei Baccatin-III der Acetylrest bereits an der richtigen Stelle, der Hydroxy-Gruppe in 10-Position, befindet. Deshalb bestand auf diesem Weg für ihn keine Notwendigkeit der selektiven Silylierung der Hydroxy-Gruppe in 7Position. Es stellte sich allerdings für den Fachmann das auf der Hand liegende Problem, zu verhindern, daß die Veresterung mit der Taxol-Seitenkette an der freien und stärker reaktiven Hydroxy-Gruppe in 7-Position statt in der gewünschten 13-Position auftrat. Für den Fachmann lag es – wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat und wie es auch von der Beklagten nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden ist - auf der Hand, daß er Vorkehrungen treffen mußte, die Veresterung an der Hydroxy-Gruppe in 7Position zu verhindern und daß er diese Gruppe deshalb vorübergehend mit einer Schutzgruppe zu versehen hatte. Es lag für ihn weiter auf der Hand, daß an die Wahl dieser Schutzgruppe keine besonderen Anforderungen zu stellen waren und daß es der besonderen Maßnahme der Silylierung, wie sie das Streitpatent lehrt, an sich nicht bedurfte. Dieses Problem war zudem schon in der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 253 738 (K 5) in der Weise gelöst, daß in 7-Position die Hydroxy-Gruppe durch einen Trichlore-

thoxycarbonylrest (-OCOOCH CCl ) ersetzt wurde (Beschreibung S. 4 Z. 3-5). 2 3 Daraus folgt jedoch nicht, daß die Auswahl der – wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat - dem Fachmann geläufigen Schutzgruppen , wie sie die verteidigten Patentansprüche 3 und 4 lehrt, einen erfinderischen Gehalt aufwiese. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß aus dem Umstand, daß dem Fachmann auch andere und sogar näherliegende oder besseren Erfolg versprechende Lösungsalternativen zur Verfügung gestanden hätten, jedenfalls nicht ohne weiteres erfinderische Tätigkeit bei der Auswahl einer anderen, ebenfalls für sich betrachtet nicht erfinderischen Alternative abgeleitet werden kann (BGHZ 133, 57, 65 – Rauchgasklappe; Sen. Urt. v. 18.2.1997 - X ZR 25/95, bei Bausch Bd. 1 S. 445, 452 f.). Tragfähige Anhaltspunkte für eine Annahme dahin, daß diese weiteren Alternativen den Fachmann davon hätten abhalten können, die im Streitpatent gewählten Schutzgruppen in Betracht zu ziehen, sind nicht hervorgetreten.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf dem nach Art. 29 des 2.PatGÄ ndG übergangsweise weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980, §§ 91, 92, 97 ZPO.
Jestaedt Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck BESCHLUSS X ZR 168/97 vom 22. Mai 2001 in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2001 durch die Richter Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck
beschlossen:
Das am 3. Mai 2001 verkündete Urteil wird wegen offenbarer Unrichtigkeit dahin berichtigt, daß in den neu gefaßten Patentansprüchen 4 und 5 jeweils das Wort "enthaltenen" durch das Wort "erhaltenen" ersetzt wird.
Jestaedt Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.