Landgericht Halle Urteil, 04. Juli 2013 - 2 KLs 3/12, 2 KLs 927 Js 25257/10 (3/12)
Gericht
Tenor
1) Die Angeklagte wird wegen strafbarer Werbung zu einer Geldstrafe von
150 Tagessätzen zu je 35,00 €
verurteilt.
2) Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
- Angewendete Vorschrift: § 16 Abs. 2 UWG -
Gründe
I.
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Die Angeklagte ist 80 Jahre alt und verheiratet. Sie hat drei Kinder, zwei Enkelkinder sowie zwei Urenkel. Sie wuchs in L auf und lebte ab ihrem vierten Lebensjahr in einer Pflegefamilie. In L besuchte sie auch die Schule. Den Schulbesuch beendete sie mit einem Fachschulabschluss in Ökonomie. Daran anschließend studierte sie im Fernstudium Jura an der Humboldt-Universität zu B und schloss dieses als Diplom-Juristin 1970 ab. Im Anschluss arbeitete sie bis 1982 als Richterin am Kreisgericht H, wobei sie in allen dort anfallenden Rechtsbereichen tätig war. Ab 1985 arbeitete sie als Justitiarin in einem staatlichen Konzern der DDR und ab 1990 als Versicherungsvertreterin für die „A “. Diese Tätigkeit übte sie bis zuletzt aus. Allerdings kündigte ihr die „A“ nach Erscheinen eines Presseartikels über dieses Verfahren nach dem ersten Hauptverhandlungstag fristlos. Derzeit bezieht sie eine monatliche Rente von 1.075,70 €.
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Die Angeklagte ist nicht vorbestraft.
II.
A
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Die Angeklagte stellte sich als sog. Chartleiterin in den Dienst des professionell im Stile eines Pyramidenspiels betriebenen Schenkkreisverbundes „Unternehmerkreis Bayern“ (im Folgenden: UKB) und trug durch ihre Tätigkeit aktiv zum Fortbestand und Ausbau des Systems bei.
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Der UKB war ein vorwiegend im süddeutschen / bayerischen Raum tätiger, zentral gesteuerter Zusammenschluss von pyramidenspielartig aufgebauten Schenkkreisen, die auf die stete Vergrößerung durch stetiges Anwerben neuer Mitglieder ausgerichtet waren. Im Laufe der Zeit breitete sich der UKB auch in angrenzende Bundesländer und bis in das südliche Sachsen-Anhalt aus. Die Organisation beinhaltete ca. 10–12 Gruppen, in denen jeweils ca. 10–12 einzelne Schenkkreise, sog. Charts, zusammengefasst waren. Jeder Chart konnte bis zu 15 Mitglieder aufnehmen und hatte einen eigenen Leiter bzw. Sprecher, der von den Mitgliedern gewählt wurde. Die 10–12 Gruppen hatten zudem eigene Gruppensprecher.
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Die einzelnen Charts waren nach Art einer Pyramide aufgebaut. An der Spitze stand ein Platz auf der Empfängerposition (rote Position). Auf der zweiten Stufe (blaue Position) standen zwei, auf der dritten Stufe (gelbe Position) standen vier und auf der untersten Stufe (grüne Position) acht Plätze, jeweils in Geberposition. Die auf der vierten Stufe stehenden Mitglieder beschenkten dabei den Mitspieler in der Spitzenposition mit Geld. Sobald dieser von allen Spielern der untersten Stufe seine Zahlungen erhalten hatte, schied er aus. Es bildeten sich sodann zwei neue Charts, an deren jeweiliger Spitze die beiden Spieler aus der Position „blau“ traten. Die neu gebildeten dritten Stufen bestanden aus jeweils vier der acht Positionen der letzten Stufe des ursprünglichen Charts. Diesen oblag es dann, jeweils neue Mitspieler für die acht Positionen der neuen Charts zu werben. Wesentliches Element des Kettensystems war es, dass neben der Anwerbung der eigenen zwei Nachfolger auch die übrigen Teilnehmer des Charts neue Kontakte finden mussten, damit am Ende der versprochene Gewinn in Höhe des achtfachen des Einsatzes auch ausgezahlt werden konnte.
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Um den Fortbestand des Spiels auch bei mäßigem Erfolg der Teilnehmerwerbung sichern zu können, gab es zudem die Möglichkeit, dass mehrere Teilnehmer einen sog. Teamplatz bildeten, indem sie sich einen Chartplatz (und damit die finanziellen Verpflichtungen und Gewinnerwartungen) teilten oder die Zahlungen eines anderen vorfinanzierten. Auf diese Weise konnten auch mehrere Personen zur gleichen Zeit an der Spitze eines Schenkkreises stehen.
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Bedingung für die Teilnahme am Schenkkreis war die Bereitschaft, selbst eine Schenkung zu erbringen, die nach vorgegebenen Rahmenbedingungen 5.000,- bis 10.000,- Euro umfassen sollte, jedoch in der Praxis der Schenkkreise häufig auf bis zu 2.500,- Euro reduziert wurde. Dazu war der Schenker gehalten, eine vorformulierte, sog. Schenkungsurkunde zu zeichnen, in der die Freiwilligkeit und Rechtmäßigkeit der Schenkung betont wurde. So heißt es darin:
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„ [Die Schenkung] ... ist meinerseits an keinerlei Bedingungen gebunden. Gegenüber dem Gesetzgeber erkläre ich hiermit, dass die folgenden Angaben wahr und nach meinem besten Wissen und Gewissen richtig sind.
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Das finanzielle Eigentum, das ich aus meinem Besitz als Geschenk auf den Empfänger übertrage, ist ein Geschenk, keine Investition. Ich habe damit nichts verkauft und auch nichts erworben.
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Zwischen mir und dem Empfänger gibt es kein Abkommen. Für mein Geschenk erwarte ich von ihm weder einen Profit noch irgendeine Möglichkeit der Rückvergütung. Ich beabsichtige, dieses Geschenk nicht als eine Investition oder Form der Bezahlung für irgendwelche Rechte oder Werte durch den Empfänger oder Dritte in der Zukunft. Ich habe keine Aufforderung oder Erlaubnis damit bekommen, andere Parteien für die Teilnahme an dieser Schenkungsaktivität anzuwerben. Mit dieser Erklärung verzichte ich auf zivil- und strafrechtliche Ansprüche gegen den Empfänger meines Geschenkes und der Schenkungsaktivität im Allgemeinen.
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Ich bin überzeugt, dass meine hier beschriebenen Aktivitäten völlig im Rahmen des Gesetzes liegen. Mit dieser Schenkungsurkunde erkläre ich, keinerlei Recht zu haben, das Eigentum zurückzufordern, das ich jetzt aus freiem Willen Frau/Herrn persönlich schenke.
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Ich bin volljährig, vollkommen geschäftsfähig und in keiner Weise zu dieser Schenkung überredet oder verleitet worden.
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Die vorangegangenen Erklärungen sind wahr und richtig und für mich in ihrem gan-zen Inhalt verbindlich. “
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Im Gegenzug zur Schenkung erhielt der Schenker das Recht eingeräumt, bei Erreichen der Position 01 (rot) mit der achtfachen Summe seines eigenen Schenkbetrages beschenkt zu werden. Im Vertrauen auf diese Zusage und mit Blick auf das Versprechen, durch jede weitere Neuwerbung eines Schenkkreisteilnehmers schließlich mit dem Erreichen der Position 01 eine Gesamtschenksumme von bis zu 40.000,- Euro erlangen zu können, waren die zumeist unbedarften Teilnehmer bereit, ihrerseits die verbindliche Zusage einer Schenkung über 2.500,- Euro bis 5.000,- Euro zu erbringen, um ihre Position in einem Schenkkreis einnehmen zu dürfen, um sodann ihrerseits mit Blick auf das Versprechen in der Position 01 beschenkt zu werden, neue Teilnehmer einzuwerben. Die Beteiligung an einem Schenkkreis wurde dabei als "Recht" vertrieben, die Teilnahmeberechtigung erlangte nur jener, der die rechtlichen Rahmenbedingungen des UKB anerkannte und sich daran hielt und dies durch Unterschriftsleistung bekräftigte.
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Die Teilnehmer der Charts trafen sich regelmäßig, möglichst wöchentlich oder alle 14 Tage, zu sog. „Stammtischen“, die dem Zweck dienten, den Kreis der Schenkkreisteilnehmer zusammenzuschmieden und zusammenzuhalten und die so geformte Gemeinschaft auf die Neuwerbung von weiteren Teilnehmern einzuschwören. Dazu wurden aktuelle Angelegenheiten des Charts besprochen und die Chartleiter informierten über den momentanen Stand. Außerdem konnten neue Interessenten an den Schenkkreis herangeführt werden, wenn sie durch ein aktives Mitglied als Gastgeber zum Stammtisch eingeladen wurden. Die Stammtische fanden in der Regel als geschlossene Gesellschaft, zumeist in Gaststätten, zum Teil aber auch bei Chartteilnehmern zu Hause statt.
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Die einzelnen Charts waren in das übergeordnete System des UKB eingebunden, das von nicht näher bekannten Dritten aufgebaut und geleitet wurde. Diese gaben schriftlich abgefasste „rechtliche Rahmenbedingungen“ und „gestalterische Regeln“ vor, an die sich alle Charts und deren Teilnehmer zu halten hatten und die bei Verstößen die Möglichkeit zum Ausschluss aus dem Chart oder dem System vorsahen. Darin wurde unter anderem vorgegeben, dass alle Charts ihre Mitglieder und Veränderungen in ihrer Zusammensetzung an die Zentrale zu melden hatten. Die Teilnahme an weiteren Schenkkreisen außerhalb des UKB war den Mitgliedern nicht erlaubt. Es fanden zentral abgehaltene Beschenkungsveranstaltungen statt, an denen nach Möglichkeit alle Charts teilnehmen sollten. Die Anzahl der Teilnehmer musste vor jeder Veranstaltung gemeldet werden und es gab entsprechende Einlasskontrollen. Unabhängig von der tatsächlichen Teilnahme oder der Zahl der Teilnehmer aus einem Chart musste jeder Chart immer eine zunächst Essensgebühr, später Umlagepauschale genannte Gebühr in voller Höhe von ca. 100,00 € bis 120,00 € monatlich entrichten.
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Die Regelungen des UKB beschrieben weiterhin die Aufgaben für die Mitglieder in den einzelnen Positionen. So oblag etwa den Teilnehmern in den roten Kreisen grundsätzlich – neben den Chartleitern - die Leitung und Organisation der Charts, während die Aufgabe auf der dritten Ebene (gelbe Position) vorwiegend in der Anwerbung neuer Mitglieder bestand. Dabei verboten die Regeln jedoch jede öffentliche Werbung, etwa über Zeitungsanzeigen. Vielmehr sollten neue Mitglieder nur im Verwandten- und Bekanntenkreis persönlich-vertraulich angesprochen werden.
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Die zentral organisierten, für alle Charts gemeinsam abgehaltenen Beschenkungsveran-staltungen fanden in B, zunächst in B und später in M statt. Es handelte sich um Großveranstaltungen mit zum Teil mehreren Hundert Teilnehmern. Für Sicherheit, Einlasskontrollen und Organisation vor Ort (z.B. das Aufstellen von Tischschildern oder Kinderbetreuung) sorgten alle Charts bzw. Gruppen abwechselnd nach einer vorgegebenen Reihenfolge.
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Die Veranstaltungen dienten vorwiegend der Motivation der Mitglieder und der Werbung neuer Teilnehmer, welche bei entsprechender Einladung durch ein aktives Chartmitglied ebenfalls an den Beschenkungsveranstaltungen teilnehmen konnten. Zu diesem Zweck stellte zu Beginn einer jeden Veranstaltung zunächst ein Sprecher das System des UKB in einem psychologisch geschickt aufgebauten Vortrag vor, der ausschließlich und beschönigend die angeblich möglichen Vorteile des Systems darstellte und auf diese Weise von den offensichtlichen Problemen bei ungenügender Mitgliederwerbung ablenkte. Verschwiegen wurde insbesondere, dass in der statistischen Betrachtung des Schenkkreismodells die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muss, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer Zeit keine neuen Mitglieder mehr geworben werden können.
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Um den positiven Eindruck auf mögliche Neuteilnehmer zu verstärken und die Motivation der aktuellen Chartmitglieder aufrecht zu erhalten bzw. zu erhöhen, dienten die daran anschließend durchgeführten Beschenkungen, bei denen jeweils Mitglieder aus den roten Positionen einzelner Charts, die genügend neue Teilnehmer gewonnen hatten, beschenkt wurden. Diese Beschenkungen fanden auf einer Bühne vor allen Anwesenden statt. Dabei bekam der entsprechende Teilnehmer eine Klarsichthülle, in dem sich offen für alle sichtbar die volle Schenkungssumme in bar befand. Damit auch optisch der Eindruck einer großen Geldsumme sichergestellt war, sahen die gestalterischen Regeln des UKB vor, dass möglichst keine 200-Euro-Scheine und 500-Euro-Scheine in den Hüllen enthalten sein sollten. Aus diesem Grund wurde „auf der Bühne“ auch immer nur jeweils eine Person im Chart beschenkt, auch wenn das Geld tatsächlich mehreren Leuten (etwa als Teamplatz) zustand. Die Verteilung der Geldsumme auf mehrere Berechtigte erfolgte dann erst im Nachhinein unbemerkt von anderen.
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Weiterhin wurden zentral gesteuerte Schulungen für Chartleiter, meist in C und von einer „J“, durchgeführt, in denen den Chartleitern das System nochmals vertieft vorgestellt und Gelegenheit zu Fragen gegeben wurde. Darüber hinaus gab es Hinweise und Anregungen zur besseren Anwerbung neuer Mitglieder, aber auch Verhaltensanweisungen an die Chartteilnehmer, die die Chartleiter in den Stammtischen weitergeben sollten. So gab es u.a. die Anweisung, keine Harz-IV-Empfänger als Teilnehmer anzusprechen, grundsätzlich keine Unterlagen über den Chart bei sich zu führen und bei Kontakt mit der Polizei – etwa im Rahmen einer Razzia bei einer Beschenkungsveranstaltung - keine Angaben zur Sache zu machen und auf einen Rechtsanwalt zu verweisen.
B
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Im Jahr 2005 trat die Angeklagte dem im Raum Zeitz operierenden, zum UKB gehörenden Schenkkreis „Delphin“ bei. Am 25. April 2007 wurde die Angeklagte von den übrigen Teilnehmern des Charts „Delphin“ zur Chartleiterin gewählt. Kurze Zeit später teilte sich der Chart „Delphin“ nach einer Beschenkung und die Angeklagte gründete mit anderen Teilnehmern am 23. Mai 2007 den Chart „Sturmvogel“, zu dessen Leiterin sie ebenfalls sogleich gewählt wurde.
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Im Wissen um den progressiven Charakter des konzeptionell nur bei fortlaufender Teilnehmerwerbung funktionierenden Schenkkreismodells und zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Systems der Schenkkreise organisierte die Angeklagte ihre unterstützende Tätigkeit nach Art eines Geschäftsbetriebes und bewirkte damit die weitere Verbreitung des Schenkkreises bzw. versuchte dies.
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In ihrer Funktion als Chartleiterin unternahm es die Angeklagte, den Schenkkreis "Sturmvogel" über ihre bloße Teilnahme hinaus im Wesentlichen allein zu organisieren und zu verwalten, zumal sie nur wenig Unterstützung durch die anderen Chartteilnehmer erhielt. Sie legte sich dafür einen Leitzordner „Stammtisch“ an, in dem sie den UKB und den Chart betreffende Unterlagen, z.B. Stammtischprotokolle und Mitschriften aus den Chartleiterschulungen, sowie umfangreiche Korrespondenz aufbewahrte.
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Im Zeitraum von Mai 2007 bis März 2011 leitete die Angeklagte zumindest an den nachfolgend aufgeführten 54 Tagen die Stammtische des Charts Sturmvogel, die zumeist in Gaststätten, hin und wieder aber auch im Haus der Angeklagten stattfanden. Diese Stammtische fanden statt am:
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02. und 23. Mai 2007, 12., 13., 20. und 27. Juni 2007, 04., 11., 18. und 25. Juli 2007, 01., 08. und 22. August 2007, 12., 19. und 26. September 2007, 10. und 24. Oktober 2007, 07., 14., 21. und 28. November 2007, 18. Dezember 2007, 15. und 29. Januar 2008, 05., 12. und 26. Februar 2008, 11. und 18. März 2008, 01. und 15. April 2008, 10., 17. und 24. Juni 2008, 15. Juli 2008, 07. August 2008, 01. und 08. September 2008, 03. und 17. November 2008, 12. Januar 2009, 04. und 18. Februar 2009, 04. und 18. März 2009, 01., 08., 16. und 23. April 2009, 06. Mai 2009, 17. Juni 2009, 01. Juli 2009 und 03. Oktober 2010.
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Dabei trugen sich die Teilnehmer jeweils in Anwesenheitslisten ein, die die Angeklagte aufbewahrte. Die Angeklagte führte in der Regel ein Protokoll über den Inhalt des Stammtisches. Dabei gab sie vor allem regelmäßig einen Überblick über den Stand des Charts und leitete Neuigkeiten aus den Chartleiterschulungen weiter. Sie forderte die Mitglieder immer wieder nachdrücklich zur Werbung neuer Teilnehmer auf, gab Tipps und Argumentationshilfen für Werbegespräche, verwies dabei auch auf ihre eigenen Erfolge diesbezüglich und machte den anderen Mitgliedern, die keine eigenen Interessenten fanden, Vorhaltungen. Zugleich bot sie aber auch ihre Hilfe bei der Anwerbung neuer Mitglieder an, z.B. nach Herstellung eines Kontaktes die eigentliche Überzeugungsarbeit durch die Vorstellung des Systems zu leisten. Diese Hilfe nahm u.a. die Zeugin D an, die gemeinsam mit der Angeklagten zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt eine Bekannte besuchte, um diese zum Beitritt in den Chart zu bewegen.
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Darüber hinaus nahm die Angeklagte nach ihrer Wahl zur Chartleiterin zumindest an den nachfolgenden 23 Tagen an den sog. Chartleiter- bzw. -sprecherschulungen in C teil:
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09. und 30. Mai 2007, 13. Juni 2007, 04., 07., 10., 20. und 30. Juli 2007, 08. August 2007, 15. September 2007, 10. Oktober 2007, 07. November 2007, 03. und 12. Dezember 2007, 14. und 29. Januar 2008, 02. April 2008, 30. Juli 2008, 27. August 2008, 27. Oktober 2008, 26. November 2008, 25. März 2009 und 30. September 2009.
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Über den Inhalt dieser Veranstaltungen fertigte sie handschriftliche Mitschriften, die sie in ihrem Leitzordner „Stammtisch“ aufbewahrte.
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Außerdem nahm die Angeklagte regelmäßig an den Beschenkungsveranstaltungen in B bzw. M teil, u.a. am 10. November 2007 und 06. Juli 2009, bei denen es zu Beschenkungen innerhalb des Charts Sturmvogel kam. Allerdings fanden jeweils nur Teilbeschenkungen statt, ohne dass es zur Auszahlung einer vollen Gewinnsumme in Höhe von 20.000,00 € oder 40.000,00 € an einen Teilnehmer gekommen wäre. Am 06. Juli 2009 enthielt die dem Beschenkten übergebene Klarsichthülle, wie die Angeklagte wusste, sogar weniger Geld, als verlautbart wurde. Dies fiel aber trotzdem einigen Teilnehmern anderer Charts auf.
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Nach den Regelungen des Charts „Sturmvogel“ sollten die Teilnehmer nach Möglichkeit Fahrgemeinschaften zu den jeweiligen Veranstaltungen (Chartleiterschulungen in C und Beschenkungen in B bzw. M) bilden. Zur Erstattung der dabei entstandenen Fahrtkosten legte der Chart eine pauschale Vergütung in Höhe von 50,00 für Fahrten nach B bzw. M und 15,00 € für Fahrten nach C fest, die von allen Mitgliedern anteilig zu tragen war.
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Seit ihrer Wahl zur Chartleiterin sprach die Angeklagte mindestens 13 Personen bzw. Ehe-leute auf eine mögliche Teilnahme am Chart an, wobei sie auch ihre Kontakte als Versicherungsvertreterin ausnutzte, indem sie Versicherungskunden auf eine mögliche Teilnahme im Chart ansprach. Dabei war sie zumindest in den nachfolgenden Fällen erfolgreich:
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Im Juni 2007 warb die Angeklagte die Eheleute K für den Chart „Sturmvogel“ als Teilnehmer an, die sich zuvor an sie gewandt hatten, um eine Versicherung für ein Moped abzuschließen. Herr und Frau K gaben der Angeklagten zunächst 2.500,00 € und auf der Veranstaltung in B am 10. November 2007 nochmals 5.000,00 €. Dabei sagte ihnen die Angeklagte hinsichtlich des zuerst hingegebenen Betrages von 2.500,00 €, dass eine Frau W, deren Haus abgebrannt sei, beschenkt werden sollte. Tatsächlich ging es jedoch u.a. um eine Nachbeschenkung der Frau W aus der Teilung des Charts „Delphin“. Zudem sollten an dem Tag noch weitere Personen in nicht mehr feststellbarer Höhe aus dem Chart „Sturmvogel“ (teil-) beschenkt werden. Gleichwohl nahm auf der Bühne allein die Angeklagte einen Umschlag mit Geld in nicht mehr feststellbarer Höhe entgegen, ohne dass auf die Beschenkung weiterer Personen hingewiesen wurde. Die Aufteilung des Geldes erfolgte dann erst hinterher und nicht öffentlich.
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Zu einer Beschenkung der Eheleute K ist es später nicht gekommen, weil nicht genügend neue Teilnehmer für den Chart geworben werden konnten.
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Ebenfalls im August 2007 warb die Angeklagte gemeinsam mit der Zeugin S. D die Zeugin A. K und deren damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemann Frank Z an. Die Zeugin D ist eine weitläufige Verwandte des Frank Z und wusste, dass er mit seiner Firma finanzielle Probleme hatte. Frau D vermittelte die Zeugen K und Z dann an die Angeklagte, die die beiden in mehreren Treffen, meist in Anwesenheit der Frau D, zur Teilnahme am Stammtisch überredete.
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Frau K und Herr Z zeichneten zwei Schenkungsurkunden über jeweils 2.500,00 €, auf denen sie die Angeklagte als beschenkte Person eintrugen. Tatsächlich war es so, dass die Angeklagte die Summe von 5.000,00 € für die Zeugen mit deren Einverständnis im Vorfeld der Beschenkungsveranstaltung in B am 10. November 2007 ausgelegt hatte. Frau K und Herr Z konnten zu diesem Termin wegen eigenen Urlaubs nicht anwesend sein. Die Schenkungsurkunden wurden dann bei der Rückzahlung des Geldes an die Angeklagte im Januar oder Februar 2008 auf den 10. November 2007 rückdatiert. Dabei war auch Frau D anwesend, die auf den Urkunden als Zeugin unterschrieb.
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Die Zeugen K und Z zahlten außerdem zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt noch weitere 2.500,00 €, um einen zusätzlichen Platz in der Hierarchie des Charts „Sturmvogel“ einzunehmen. Ob und an wen das Geld weitergereicht wurde, ließ sich nicht mehr feststellen. Allerdings erhielten die beiden für diese Zahlung weder einen Beleg noch eine Schenkungsurkunde.
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Tatsächlich beschenkt wurden die Zeugen später nicht, weil nicht genügend neue Teilnehmer für den Chart Sturmvogel gefunden werden konnten.
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Im Klagewege erlangten die Zeugen K und Z später aber je 2.500,00 € von der Angeklagten zurück, nachdem das Amtsgericht Z ihren Klagen stattgegeben und das Landgericht H die Berufungen der Angeklagten als unbegründet zurückgewiesen hatte. Die Angeklagte zahlte die Schuld in Raten ab.
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Weiterhin warb die Angeklagte im Oktober 2007 die Eheleute N. Der Zeuge N erzählte dem Ehemann der Angeklagten, dass er wegen eines Dachschadens an seinem Haus Geld benötige. Als alternative Möglichkeit, an Geld zu kommen, wies ihn der Ehemann der Angeklagten auf die Teilnahme am Schenkkreis hin und in weiteren Gesprächen überredete schließlich die Angeklagte die Eheleute N, dem Schenkkreis beizutreten. Die Angeklagte stellte einen achtfachen Gewinn in Aussicht, sodass der Zeuge N insgesamt 7.500,00 € für die Beschenkung in B am 10. November 2007 beisteuerte. Das Geld übergab er der Angeklagten an diesem Tag unmittelbar vor der Beschenkung in bar ohne Quittung. Er hatte das Geld von seiner Ehefrau bekommen, die es geerbt hatte.
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Tatsächlich beschenkt wurde der Zeuge N in der Folgezeit nicht, da nicht genügend neue Teilnehmer für den Schenkkreis geworben werden konnten. Herr N machte Ansprüche gegen die Angeklagte im Klagewege geltend, eine rechtskräftige Entscheidung liegt dazu aber noch nicht vor.
III.
- 43
Die Angeklagte hat sich zu ihrer Person und zur Sache eingelassen. Dabei hat sie die äuße-ren Tatumstände im Wesentlichen so eingeräumt, wie die Kammer sie auch festgestellt hat. Allerdings versuchte sie ihre Rolle und eigenen Beiträge herunterzuspielen. So bestand sie u.a. mehrfach darauf, lediglich Chartsprecherin und nicht dessen Leiterin gewesen zu sein. Sie habe auch weniger Anwerbungsgespräche geführt, als in der Anklageschrift aufgeführt seien. Die Regeln des UKB seien zudem unverbindlich gewesen und die Stammtische hätten nicht nur der Chartarbeit gedient, sondern seien auch Präsentations- und Werbeplattform für örtliche Unternehmer gewesen. Sie ließ sich weiterhin dahin ein, von der Rechtmäßigkeit ihres Tuns überzeugt gewesen zu sein, weil die Schenkkreise eine private Sache gewesen seien und daher kein Handeln „im geschäftlichen Verkehr“ vorgelegen habe. Sie habe diesbezüglich auch im Internet recherchiert und ihre Auffassung bestätigt bekommen.
IV.
- 44
Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben der Angeklagten, an deren Richtigkeit insoweit keine Zweifel bestanden.
- 45
Die Feststellungen zur Sache beruhen zu weiten Teilen auf der Einlassung der Angeklagten, bestätigt und ergänzt aber durch die Aussagen der als Zeugen gehörten Chartteilnehmer und die im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführten Urkunden und Schriftstücke, insbesondere aus dem Leitzordner „Stammtisch“.
- 46
So ergab sich die führende Stellung der Angeklagten innerhalb des Charts „Sturmvogel“ neben ihrer eigenen Aussage auch aus den Ausführungen der dazu gehörten Chartteilnehmer, die alle die bestimmende Stellung der Angeklagten heraushoben. Nach diesen für die Kammer glaubhaften und überzeugenden Aussagen war es vor allem die Angeklagte, die die Stammtische organisierte und leitete, den Überblick über den Stand im Chart behielt, neue Interessenten fand und Vorhaltungen machte, wenn Teilnehmer keine eigenen Kontakte brachten, zugleich aber auch ihre Hilfe bei der Anwerbung bzw. Überredung neuer Teilnehmer anbot. Es spielt dabei auch keine Rolle, ob die Funktion der Angeklagten als „Chartsprecherin“ oder „Chartleiterin“ bezeichnet wird, denn entscheidend ist die tatsächliche Tätigkeit, nicht deren Bezeichnung. Im Übrigen hat aber auch die Angeklagte selbst ihre Mitschriften zu den Veranstaltungen in Chemnitz zumeist mit „Chartleiterschulung“ überschrieben.
- 47
Daneben zeigt auch der von ihr erstellte Leitzordner „Stammtisch“ die herausgehobene Stel-lung der Angeklagten. Darin finden sich nicht nur alle von ihr geführten Stammtischprotokolle und Anwesenheitslisten, die Angeklagte bewahrte auch die Mitschriften über ihre Teilnahme an den Chartleiterschulungen auf. Aus diesen Unterlagen ergibt sich zugleich auch, an welchen Tagen die Angeklagte an den Stammtischen und den Schulungen teilgenommen hat. Zudem bewahrte die Angeklagte umfangreiche Korrespondenz auf, die sie mit den Chartmitgliedern, aber auch mit „J“ als übergeordnete Stelle geführt hat.
- 48
Die Verbindlichkeit der vom UKB vorgegebenen Regeln ergibt sich zum einen aus den ge-stalterischen Regeln und organisatorischen Hinweisen selbst, in denen es u.a. heißt, dass Fairness das „Einhalten der Ordnung“ gebietet und: „Wer sich nicht an unsere Regeln hält, bekommt eine Abmahnung oder muss nach der Entscheidung des Charts diesen verlassen, und wird für UKB zeitweise oder für immer gesperrt“. Zum anderen konnte die Kammer dies auch aus einer von der Angeklagten im Ordner „Stammtisch“ aufbewahrten Liste „Bereitschaftserklärung“ schließen, auf der u.a. die Zeugen H. K und T. N mit ihrem Eintritt in den Chart die Verbindlichkeit der Regeln durch ihre Unterschrift anerkannten.
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Vom Inhalt der Chartleiterschulungen konnte sich die Kammer neben der Einlassung der Angeklagten auch durch die damit übereinstimmenden Schilderungen der Zeugin I. N überzeugen, welche die Angeklagte mindestens dreimal zu entsprechenden Schulungen begleitet hat und weiter durch die von der Angeklagten gefertigten, im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten, handschriftlichen Aufzeichnungen, aus denen sich der Inhalt der Schulungsveranstaltungen ebenfalls so wie festgestellt ergibt.
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Den Ablauf der Beschenkungsveranstaltung stellte die Kammer vor allem aufgrund der Aussagen der Zeugen T. und I. N sowie H. K fest, die an mehreren derartigen Terminen teilgenommen haben und dabei auch Beschenkungen des eigenen Charts miterlebten. Die Angeklagte selbst räumte zudem ein, dass es auf der Beschenkung am 10. November 2007 zu der festgestellten Täuschung gekommen ist. Herr und Frau N berichteten so wie festgestellt von der Manipulation am 06. Juli 2009.
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Die Feststellungen zum Ablauf der einzelnen Anwerbungsvorgänge der Eheleute N, Kl und K/Z beruhen im Wesentlichen auf den Aussagen der jeweiligen Chartteilnehmer, die die Vorgänge im Einzelnen so wie festgestellt schilderten. Auch die Angeklagte stellte diese Schilderungen im Wesentlichen nicht in Frage und bestätigte die Vorgänge dem Grunde nach.
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Die Aussagen der als Zeugen gehörten ehemaligen Chartteilnehmer (Eheleute N, Eheleute K, Eheleute K/Z, S. D) waren glaubhaft. Alle Zeugen waren um eine sachliche Darstellung der Ereignisse bemüht, räumten aber auch aufgrund des Zeitablaufs ohne weiteres verständliche Erinnerungslücken unumwunden ein. Obwohl sie alle im Chart Sturmvogel Geld verloren hatten, versuchten sie nicht, die Angeklagte übermäßig in ein schlechtes Licht zu rücken. So sagten etwa alle Zeugen aus, dass sie zwar der Angeklagten als ehemaliger Richterin in besonderer Weise vertraut hätten, betonten aber, dass die Angeklagte dies nicht extra erwähnt habe. Ihre eigenen Fehler und Unvorsichtigkeiten in diesem Zusammenhang stellten sie deutlich heraus, ohne Schuld auf andere abzuwälzen. Die Schilderungen der Zeugen werden zudem durch die in die Hauptverhandlung eingeführten Unterlagen bestätigt, soweit diese sich um denselben Sachverhalt drehten (so z.B. Zeit, Inhalt und Teilnehmer der einzelnen Stammtische durch die Teilnehmerlisten und Protokolle; Inhalt der Chartleiterschulungen durch die Mitschriften der Angeklagten; herausgehobene Stellung der Angeklagten durch den Inhalt des Leitzordners „Stammtisch“).
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Lediglich in den Aussagen der Zeugin Frau K traten Widersprüche zur Einlassung der Angeklagten auf. Frau K äußerte sich dahin, dass sie die 5.000,00 € der Angeklagten bereits im Vorfeld der Beschenkung in B am 10. November 2007 übergeben hätten und die Schenkungsurkunden vordatiert worden seien, weil sie und Herr Z am 10. November 2007 im Urlaub gewesen seien. Während der Zeuge Z insoweit keine Erinnerung mehr hatte, behaupteten die Angeklagte und Frau D, die bei der Geldübergabe anwesend war, die Schenkungsurkunden seien rückdatiert worden. Die Angeklagte habe die 5.000,00 € zunächst bei der Beschenkung für die Zeugen ausgelegt, weil diese daran wegen Urlaubs nicht hätten teilnehmen können und das Geld sei der Angeklagten dann im Januar oder Februar 2008 zurückgegeben worden.
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Die Kammer sieht insoweit keinen Anlass, an der, sie selbst eher belastenden Einlassung der Angeklagten zu zweifeln, zumal diese durch die Aussage der insoweit unbeteiligten Zeugin D bestätigt wird. Gleichwohl berührt dies aber die Glaubwürdigkeit der Zeugin K im Übrigen nicht. Denn die Kammer geht insoweit davon aus, dass sich die Zeugin K in diesem Punkt schlicht geirrt hat. Dies ist deshalb plausibel, weil die Frage, wann das Geld an die Angeklagte gezahlt wurde, für die Zeugin K ein eher unwesentliches Randdetail darstellt – wesentlicher ist für sie die Tatsache, dass überhaupt das Geld gezahlt wurde – während es für die Angeklagte ein durchaus wesentliches Element ihrer Tätigkeit darstellt, wenn sie anderen Personen einen nicht unerheblichen Geldbetrag von 5.000,00 € zunächst auslegen muss. Es ist daher ohne weiteres verständlich, wenn sich dieses Detail bei der Angeklagten besser eingeprägt hat als bei der Zeugin K.
- 55
Die Feststellung, dass die Angeklagte über die genannten Teilnehmer hinaus noch weitere, insgesamt mindestens 10 Personen seit Juni 2007 für den Chart anzuwerben versuchte, ergibt sich aus einer von der Angeklagten selbst handschriftlich verfassten Aufstellung von Namen und Telefonnummern mit der Bezeichnung „für den Chart angesprochen“. Diese Liste ist im Wege des Selbstleseverfahrens zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden.
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Dass es sich bei dem Stammtisch nicht auch um eine Plattform für örtliche Unternehmer handelte, sondern allein die Verbreitung des Schenkkreises im Vordergrund der Chartarbeit stand, ergibt sich aus den Aussagen der gehörten Zeugen und den von der Angeklagten geführten Stammtischprotokollen. Lediglich der Zeuge H. K, der nach eigener Aussage immerhin ca. 20-mal an den Stammtischen teilnahm, wusste von einer einzigen Produktpräsentation während eines Charttreffens zu berichten; in den Protokollen ist nichts Derartiges verzeichnet. Soweit die Zeugin D von weiteren Präsentationsveranstaltungen sprach, handelte es sich ersichtlich um von der Stammtischarbeit unabhängige Treffen, da daran auch Personen außerhalb der Stammtische teilnahmen, die nicht auf eine mögliche Teilnahme angesprochen wurden und dies auch nicht sollten.
V.
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Die Angeklagte hat sich demnach der strafbaren Werbung gem. § 16 Abs. 2 UWG strafbar gemacht. Denn sie hat es durch ihre über eine bloße Teilnahme hinausgehende, aktive Tätigkeit unternommen, das System aufrecht zu erhalten und zu fördern (vgl. dazu Dornis, WRP 2007, 1303, 1306 f; Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 16 Rz. 34). So hat sie den laufenden Betrieb des Charts und die Stammtische organisiert und geleitet, neue Teilnehmer zum Teil erfolgreich geworben, in weiteren Fällen dies zumindest versucht, die Chartleiterschulungen besucht und daraus Verhaltensanweisungen an die Chartteilnehmer weitergereicht, an den Beschenkungsveranstaltungen teilgenommen und dabei an Manipulationen u.a. dadurch bewusst mitgewirkt, dass sie den Eheleuten K/Z Geld verauslagte, Chartmitgliedern Vorhalte bei ausbleibender Werbung neuer Teilnehmer gemacht, zugleich aber auch Tipps und Hinweise dafür gegeben und ihre aktive Hilfe angeboten, die zumindest von der Zeugin D auch angenommen wurde. Auf diese Weise wollte sie selbst Gewinn in Form einer Beschenkung erzielen.
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Sowohl das System des UKB als auch die Tätigkeit der Angeklagten selbst weisen Merkmale geschäftlich orientierten Handelns auf und sind deshalb als „Handeln im geschäftlichen Verkehr“ i.S.d. § 16 Abs. 2 UWG anzusehen.
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Als Handeln „im geschäftlichen Verkehr“ i.S.d. § 16 Abs. 2 UWG ist jede selbständige, beliebige eigene oder fremde wirtschaftliche Zwecke verfolgende Tätigkeit zu verstehen, in der eine Teilnahme am Erwerbsleben zum Ausdruck kommt (Dornis, a.a.O., S. 1305 m.w.N.), d.h. alle Aktivitäten, die in irgendeiner Weise nach außen zur Förderung geschäftlicher Betätigung geeignet sind. Tatsächlicher Gewinn oder eine Absicht dazu sind nicht erforderlich. Das ist u.a. der Fall bei einem fest eingerichteten System mit Leitung zur Kontrolle von Ablauf und Organisation, insbesondere, – aber nicht nur – bei einer Forderung von Bearbeitungsgebühren (Dornis, a.a.O., S. 1306). Um genau ein solches System handelt es sich auch hier.
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Dafür spricht zum einen schon die Größe des Verbundes, der aus über 100 Charts bestand und zentral geleitete Schenkungsveranstaltungen mit über 100 Teilnehmern durchführte. Die Teilnehmer der jeweiligen Veranstaltung mussten im voraus angemeldet werden und wurden beim Einlass kontrolliert. Die Mitglieder der Charts mussten zwar offiziell keine Bearbeitungsgebühr bezahlen, jeder Chart war aber gehalten, für jede Beschenkungsveranstaltung eine Pauschale an die zentrale Organisation zu entrichten, unabhängig von einer tatsächlichen Teilnahme. Für den Fall der Zahlungsversäumnis drohte der Ausschluss aus dem UKB. Auch die immer wieder stattfinden Chartleiterschulungen, die ebenfalls zentral gesteuert abgehalten wurden und bei denen unter anderem genaue Verhaltensanweisungen, etwa für die Fahrten zu den Beschenkungsveranstaltungen (keine Unterlagen mitnehmen) oder im Rahmen von Polizeikontrollen (keine Angaben zur Sache machen) vorgegeben wurden, legen einen geschäftlichen Charakter nahe.
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Auch die Tätigkeit der Angeklagten selbst weist überwiegend geschäftliche Züge auf. Ihr Handeln war gewinnorientiert, da sie bestrebt war, eine eigene Beschenkung zu erreichen; wesentliche andere Motive des Schenkkreises traten in der Beweisaufnahme nicht hervor. Sie wandte einen erheblichen Teil ihrer Zeit für die Tätigkeit als Chartleiterin auf und verknüpfte diese mit ihrer Arbeit als Versicherungsvertreterin, indem sie Versicherungskunden, u.a. den Zeugen N, auf eine mögliche Teilnahme am Chart ansprach. Fahrtkosten wurden nach einem vom Chart festgelegten System pauschal rückerstattet.
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Die von der Angeklagten angesprochenen und angeworbenen Personen sind Verbraucher i.S.d. § 16 Abs. 2 UWG i.V.m. § 13 BGB, denn sie nahmen in ihrer Eigenschaft als Privatleute an dem Schenkkreis teil. Zusammenhänge zu eigenen geschäftlichen Tätigkeiten gab es nicht.
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Diese sind zur Abnahme von Rechten, nämlich der Mitgliedschaft im Chart bzw. UKB, veranlasst worden durch das Versprechen, sie würden besondere Vorteile erlangen, nämlich selbst beschenkt werden, wenn sie andere wiederum zum Abschluss gleichartiger Geschäfte, nämlich dem Beitritt zum Chart, veranlassen, die ihrerseits nach Art der Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollten (sog. Kettenelement), nämlich nur durch eine weitere Werbung neuer Mitglieder selbst beschenkt werden konnten.
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Die Angeklagte handelte vorsätzlich, denn sie wusste von allen objektiven Tatbestands-merkmalen und billigte diese. Dies wird durch ihre zahlreichen Teilnahmen insbesondere an den Chartleiterschulungen sowie den Besitz der Rahmenbedingungen des UKB belegt. Dass sie die Regelungen billigte, zeigt ihre fortlaufende Mitwirkung am und ihre Arbeit für das System.
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Zwar ließ sie sich dahingehend ein, von der Rechtmäßigkeit ihres Handelns ausgegangen zu sein, weil die Arbeit im Chart nicht „im geschäftlichen Verkehr“ erfolgt sei. Insoweit unterliegt sie allerdings nur einem sog. Subsumtionsirrtum, weil sie die ihr bekannten Tatsachen rechtlich falsch einschätzt. Ein solcher Subsumtionsirrtum schließt den Vorsatz nicht aus (Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 16 Rz. 13 m.w.N.)
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Allerdings kann ein Subsumtionsirrtum als Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB schuldausschließend sein. Das allerdings nur, wenn der Irrtum vermeidbar war. Vermeidbarkeit liegt aber nur vor, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte einsetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf (so zuletzt BGH, Urteil vom 04. April 2013, 3 StR 521/12 – zitiert aus juris).
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Danach war hier der Irrtum der Angeklagten vermeidbar. Sie hat sich nach ihren eigenen Angaben im Wesentlichen auf die Ausführungen in den Chartleiterschulungen sowie den Beschenkungsveranstaltungen verlassen und darüber hinaus lediglich im Internet recherchiert. Besondere Auffälligkeiten des Systems, die Anlass zu Misstrauen hätten geben müssen, etwa die übermäßig betonten Bekundungen der Freiwilligkeit und Rechtmäßigkeit der Schenkungen in den Schenkungsurkunden, hat sie offensichtlich ignoriert und fachlichen, rechtskundigen Rat gar nicht eingeholt.
VI.
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Für die Strafzumessung stand der Kammer der Strafrahmen des § 16 Abs. 2 UWG zur Verfügung, der eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vorsieht.
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Die Kammer hat erwogen, ob sie wegen des vermeidbaren Verbotsirrtums, dem die Angeklagte unterlag, eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB vornehmen sollte, sich nach Abwägung aller Gesichtspunkte aber dagegen entschieden. Dabei spielte vor allem eine Rolle, dass sich die Angeklagte nur sehr eingeschränkt bemüht hat, zur Frage der Strafbarkeit des Systems Aufklärung zu erhalten. Gerade einer Juristin muss sich die Unverbindlichkeit rechtlicher Auskünfte oder Hinweise „aus dem Internet“ in besonderer Weise aufdrängen, die somit keinesfalls als hinreichende Bemühung um Aufklärung verstanden werden können. Die Angeklagte hat vielmehr allzu gern den Beteuerungen der Veranstalter des UKB vertraut, ohne hierzu ernsthaft ihr Gewissen anzuspannen. Dabei entlastet es sie auch nicht, dass sie ihr Jurastudium zu DDR-Zeiten abgeschlossen hat und nur bis 1982 als Richterin in der DDR tätig war. Denn durch ihre langjährige, bis zu Beginn der Hauptverhandlung ausgeübte Tätigkeit als Versicherungsvertreterin kam sie notwendigerweise auch umfassend mit bundesdeutschem Zivilrecht in Berührung.
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Zugunsten der Angeklagten sprach vor allem, dass sie nicht vorbelastet ist. Auch ihr Alter und damit eine besondere Belastung durch das Verfahren hat die Kammer gesehen. Auch der Zeitablauf seit der Tat ist zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen ebenso wie der – allerdings ohne weiteres vermeidbare – Verbotsirrtum. Auch sprach zu ihren Gunsten, dass der Chart letztlich wenig erfolgreich war und sie selbst nicht die erhofften finanziellen Vorteile aus ihrer Mitgliedschaft zog. Schließlich konnte auch das von der Angeklagten in tatsächlicher Hinsicht abgegebene Geständnis noch zu ihren Gunsten herangezogen werden. Allerdings kam dem Einräumen der objektiven Tatsachen nicht die Wirkung zu, die üblicherweise mit einem Geständnis verbunden ist. Denn die Angeklagte zeigte sich nicht von Reue getragen, ging vielmehr bis zu ihrem letzten Wort von der Rechtmäßigkeit ihres Tuns aus und verteidigte es.
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Gegen die Angeklagte sprach vor allem der lange Zeitraum von über zwei Jahren, innerhalb dessen sie als Chartleiterin aktiv das Fortbestehen des Charts und damit des ganzen Systems gefördert hat. Zudem hat sie innerhalb dieses Zeitraums nicht bloß eine, sondern eine Vielzahl von Unternehmenshandlungen begangen (mehrfache Teilnahme an Chartleiterschulungen, Anwerben und Ansprechen mehrerer neuer Teilnehmer und Entgegennahme von Geld, Anerbieten von Hilfe bei der Überzeugungsarbeit, Organisation der Stammtische, Manipulationen bei der Teilnahme an Beschenkungen).
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Insgesamt überwiegt aber gleichwohl das Gewicht der positiven Aspekte die negativen Gesichtspunkte, so dass die Kammer die Verhängung einer Geldstrafe als erforderlich, aber auch ausreichend angesehen hat. Sie hielt insgesamt eine Geldstrafe von
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150 Tagessätzen zu je 35,00 €
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für tat- und schuldangemessen. Die Höhe eines Tagessatzes hat die Kammer gem. § 40 Abs. 2 StGB anhand des Renteneinkommens der Angeklagten festgesetzt.
VII.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.
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(1) Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.
Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Wer es im geschäftlichen Verkehr unternimmt, Verbraucher zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten durch das Versprechen zu veranlassen, sie würden entweder vom Veranstalter selbst oder von einem Dritten besondere Vorteile erlangen, wenn sie andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlassen, die ihrerseits nach der Art dieser Werbung derartige Vorteile für eine entsprechende Werbung weiterer Abnehmer erlangen sollen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Die Geldstrafe wird in Tagessätzen verhängt. Sie beträgt mindestens fünf und, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, höchstens dreihundertsechzig volle Tagessätze.
(2) Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt.
(3) Die Einkünfte des Täters, sein Vermögen und andere Grundlagen für die Bemessung eines Tagessatzes können geschätzt werden.
(4) In der Entscheidung werden Zahl und Höhe der Tagessätze angegeben.
(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt wird oder das Gericht von Strafe absieht.
(2) Sind durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen, so hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Das Gericht kann anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren im Falle der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.
(3) Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.
