Landgericht Passau Beschluss, 25. Juni 2018 - Qs 47/18 jug

bei uns veröffentlicht am25.06.2018

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten ... gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 11.05.2018 wird dieser aufgehoben.

2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten zu tragen.

Gründe

Der Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 11.05.2018 war wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben. Das Amtsgericht Freyung war für die Entscheidung sachlich nicht zuständig. Über die Frage des Bewährungswiderrufs wird bei entsprechender Antragstellung die Jugendkammer des Landgerichts Passau zu entscheiden haben.

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Freyung – Jugendschöffengericht – vom 09.12.2015 war der Verurteilte schuldig gesprochen worden des Diebstahls mit Waffen in 14 Fällen, in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl mit Waffen in 6 Fällen und in Tatmehrheit mit Diebstahl in 6 Fällen, in allen Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung. Er wurde deshalb zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Auf die Berufung des Angeklagten änderte das Landgericht Passau, Große Jugendkammer, mit Urteil vom 23.06.2016 den Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Mit Beschluss des Landgerichts Passau vom 23.06.2016 wurde die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt. Hinsichtlich angeordneter Auflagen und Weisungen im Bewährungsbeschluss wird auf dessen Gründe, Bl. 45 BewH, Bezug genommen.

Mit Urteil des Landgerichts Passau, 2. Große Strafkammer als Schwurgericht, vom 20.11.2017, wurde der Verurteilte des Totschlags, begangen am 27.10.2016, schuldig gesprochen und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Mit Schreiben vom 09.03.2018 hat die Staatsanwaltschaft bei dem Amtsgericht Freyung beantragt, deswegen die Strafaussetzung zur Bewährung nach vorheriger Anhörung zu widerrufen.

Mit Beschluss vom 11.05.2018, dem Pflichtverteidiger des Verurteilten zugestellt am 22.08.2018, hat das Amtsgericht Freyung die „mit Urteil des Amtsgerichts Freyung am 23.06.2016 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung“ widerrufen. Die Vollstreckung der festgesetzten Jugendstrafe wurde angeordnet.

Gegen den Beschluss wendet sich der Verurteilte mit Schriftsatz seines Pflichtverteidigers vom 24.05.2018, eingegangen beim Amtsgericht am 24.05.2018. Mit weiterem Schriftsatz vom 04.06.2018 wurde das Rechtsmittel begründet. In der Begründung wird geltend gemacht das Amtsgericht Freyung sei unzuständig für die Entscheidung über den Widerruf gewesen. Die im Beschluss angegebene Begründung trage ferner einen Widerruf in der Sache nicht.

Das Amtsgericht Freyung hat mit Vermerk vom 06.06.2018 festgestellt, dass eine Abhilfeentscheidung rechtlich nicht zulässig sei.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet. Das Amtsgericht Freyung war für die getroffene Entscheidung sachlich nicht zuständig.

1. Gemäß § 59 Abs. 1 JGG unterliegt der Beschluss, durch welchen die Vollstreckungsaussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung widerrufen wird , der sofortigen Beschwerde. Die Frist des § 311 Abs. 2 StPO ist gewahrt, die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

2. Die Beschwerde hat wegen eines Verfahrensfehlers Erfolg. Das Erstgericht war gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 JGG für die Entscheidung nicht zuständig.

a) Auf das gegenständliche Verfahren, betreffend den Widerruf der Strafaussetzung einer Jugendstrafe, finden die Sondernormen des JGG Anwendung. Der Verurteilte war bei Begehung der Taten, die dem Ausgangsurteil zugrunde liegen, Heranwachsender. Es fand materielles Jugendstrafrecht auf ihn Anwendung.

b) Gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 JGG ist derjenige Richter für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung gemäß §§ 58 Abs. 1, 26 Abs. 1 Nr. 1 JGG zuständig, weicher die Aussetzung angeordnet hat. Die Aussetzungsanordnung wurde im gegenständlichen Fall durch Urteil des Landgerichts Passau, Jugendkammer, mit Urteil vom 20.11.2017 getroffen, unter Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs im Urteil des Amtsgerichts, Jugendschöffengericht, Freyung vom 09.02.2015, welches eine unbedingte Jugendstrafe verhängt hatte. Nach allgemeiner Auffassung, insbesondere auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NStZ 1987,87). der sich die Jugendkammer anschließt, ist dann, wenn erstmals ein Berufungsgericht die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung angeordnet hat, nicht das Gericht des ersten Rechtszugs, sondern das anordnende Berufungsgericht für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung sachlich zuständig. Die Zuständigkeit des Jugendrichters als Vollstreckungsleiter nach § 82 JGG greift erst dann, wenn ein Widerruf durch das zuständige Gericht erfolgt und rechtskräftig geworden ist.

c) Da die Entscheidung auch nicht von dem die Aussetzung anordnenden Gericht auf den Jugendrichter des AG Freyung gemäß § 58 Abs. 2 S. 2 JGG übertragen worden ist, ist dessen Zuständigkeit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben.

Zur Entscheidung berufen ist mithin die Jugendkammer des Landgerichts Passau. Eine Entscheidung in der Sache kann mit dem gegenständlichen Beschluss indessen noch nicht getroffen werden, da der Verurteilte bislang keine Gelegenheit zu der zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung nach § 58 Abs. 1 S. 3 JGG hatte; diese wird zunächst nachzuholen sein.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.

Urteilsbesprechung zu Landgericht Passau Beschluss, 25. Juni 2018 - Qs 47/18 jug

Urteilsbesprechungen zu Landgericht Passau Beschluss, 25. Juni 2018 - Qs 47/18 jug

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 311 Sofortige Beschwerde


(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften. (2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung. (3) Das Gericht ist zu einer

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 58 Weitere Entscheidungen


(1) Entscheidungen, die infolge der Aussetzung erforderlich werden (§§ 22, 23, 24, 26, 26a), trifft der Richter durch Beschluß. Der Staatsanwalt, der Jugendliche und der Bewährungshelfer sind zu hören. Wenn eine Entscheidung nach § 26 oder die Verhän

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 82 Vollstreckungsleiter


(1) Vollstreckungsleiter ist der Jugendrichter. Er nimmt auch die Aufgaben wahr, welche die Strafprozeßordnung der Strafvollstreckungskammer zuweist. (2) Soweit der Richter Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 angeordnet hat, richtet sich die we
Landgericht Passau Beschluss, 25. Juni 2018 - Qs 47/18 jug zitiert 6 §§.

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(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

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Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 59 Anfechtung


(1) Gegen eine Entscheidung, durch welche die Aussetzung der Jugendstrafe angeordnet oder abgelehnt wird, ist, wenn sie für sich allein oder nur gemeinsam mit der Entscheidung über die Anordnung eines Jugendarrests nach § 16a angefochten wird, sofort

Referenzen

(1) Gegen eine Entscheidung, durch welche die Aussetzung der Jugendstrafe angeordnet oder abgelehnt wird, ist, wenn sie für sich allein oder nur gemeinsam mit der Entscheidung über die Anordnung eines Jugendarrests nach § 16a angefochten wird, sofortige Beschwerde zulässig. Das gleiche gilt, wenn ein Urteil nur deshalb angefochten wird, weil die Strafe nicht ausgesetzt worden ist.

(2) Gegen eine Entscheidung über die Dauer der Bewährungszeit (§ 22), die Dauer der Unterstellungszeit (§ 24), die erneute Anordnung der Unterstellung in der Bewährungszeit (§ 24 Abs. 2) und über Weisungen oder Auflagen (§ 23) ist Beschwerde zulässig. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß die Bewährungs- oder die Unterstellungszeit nachträglich verlängert, die Unterstellung erneut angeordnet worden oder daß eine getroffene Anordnung gesetzwidrig ist.

(3) Gegen den Widerruf der Aussetzung der Jugendstrafe (§ 26 Abs. 1) ist sofortige Beschwerde zulässig.

(4) Der Beschluß über den Straferlaß (§ 26a) ist nicht anfechtbar.

(5) Wird gegen ein Urteil eine zulässige Revision und gegen eine Entscheidung, die sich auf eine in dem Urteil angeordnete Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung bezieht, Beschwerde eingelegt, so ist das Revisionsgericht auch zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig.

(1) Für die Fälle der sofortigen Beschwerde gelten die nachfolgenden besonderen Vorschriften.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Woche einzulegen; die Frist beginnt mit der Bekanntmachung (§ 35) der Entscheidung.

(3) Das Gericht ist zu einer Abänderung seiner durch Beschwerde angefochtenen Entscheidung nicht befugt. Es hilft jedoch der Beschwerde ab, wenn es zum Nachteil des Beschwerdeführers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen dieser noch nicht gehört worden ist, und es auf Grund des nachträglichen Vorbringens die Beschwerde für begründet erachtet.

(1) Entscheidungen, die infolge der Aussetzung erforderlich werden (§§ 22, 23, 24, 26, 26a), trifft der Richter durch Beschluß. Der Staatsanwalt, der Jugendliche und der Bewährungshelfer sind zu hören. Wenn eine Entscheidung nach § 26 oder die Verhängung von Jugendarrest in Betracht kommt, ist dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben. Der Beschluß ist zu begründen.

(2) Der Richter leitet auch die Vollstreckung der vorläufigen Maßnahmen nach § 453c der Strafprozeßordnung.

(3) Zuständig ist der Richter, der die Aussetzung angeordnet hat. Er kann die Entscheidungen ganz oder teilweise dem Jugendrichter übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält. § 42 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Vollstreckungsleiter ist der Jugendrichter. Er nimmt auch die Aufgaben wahr, welche die Strafprozeßordnung der Strafvollstreckungskammer zuweist.

(2) Soweit der Richter Hilfe zur Erziehung im Sinne des § 12 angeordnet hat, richtet sich die weitere Zuständigkeit nach den Vorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch.

(3) In den Fällen des § 7 Abs. 2 und 4 richten sich die Vollstreckung der Unterbringung und die Zuständigkeit hierfür nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, wenn der Betroffene das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat.

(1) Entscheidungen, die infolge der Aussetzung erforderlich werden (§§ 22, 23, 24, 26, 26a), trifft der Richter durch Beschluß. Der Staatsanwalt, der Jugendliche und der Bewährungshelfer sind zu hören. Wenn eine Entscheidung nach § 26 oder die Verhängung von Jugendarrest in Betracht kommt, ist dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben. Der Beschluß ist zu begründen.

(2) Der Richter leitet auch die Vollstreckung der vorläufigen Maßnahmen nach § 453c der Strafprozeßordnung.

(3) Zuständig ist der Richter, der die Aussetzung angeordnet hat. Er kann die Entscheidungen ganz oder teilweise dem Jugendrichter übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält. § 42 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.