Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 07. Apr. 2014 - 1 - 31/13 (Rev)

bei uns veröffentlicht am07.04.2014

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13. Februar 2013 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht Hamburg hat auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 16. März 2012 aufgehoben und den Angeklagten wegen „öffentlichen Verwendens von Kennzeichen eines vollziehbar verbotenen Vereins“ verwarnt, sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen vorbehalten und eine mit Symbolen der „Hells Angels“ versehene „Vereinskluft“ eingezogen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.

2

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Der Beschwerdeführer ist Mitglied des Ortsvereins „Hells Angels MC Harbor City“. Mit Schreiben vom 7. April 2011 übersandte er der Staatsanwaltschaft Hamburg zwei Fotographien von sich und führte schriftlich dazu unter anderem aus, dass er sich „letzte Woche in Hamburg am Michel“ (UA S. 11) in seiner „Vereinskluft“ habe ablichten lassen. Der Beschwerdeführer ist auf den Lichtbildern im Bereich der Hauptkirche St. Michaelis („Michel“) zu sehen und trägt eine „ärmellose Jeansweste“ (UA S. 9). Auf deren Rückseite ist „mittig der stilisierte weiße rot/schwarz behelmte Totenkopf mit rot/gold-gelbfarbenen rechtsschwingenden Engelsflügeln aufgenäht“ (UA S. 10). Rechts unter dem „Engelsflügel“ war ein Aufnäher angebracht, der auf weißem Grund die roten Großbuchstaben „MC“ darstellt. Über dem „Totenkopf“ ist ein „halbkreisförmig nach unten gebogener Aufnäher mit dem in roten Großbuchstaben auf weißem Grund dargestellten Schriftzug ‚HELLS ANGELS‘ angebracht“. Hiermit korrespondiert ein unter dem „Totenkopf“ aufgenähtes „halbkreisförmig nach oben gebogene[s]“ Stoffteil. Dieses enthält in derselben Größe und Farbgebung den Schriftzug „HARBOR CITY“ (UA S. 10). Beide Schriftzüge bilden keinen „geschlossenen Kreis“ (UA S. 10).

4

Der Beschwerdeführer bat in diesem Schreiben an die Anklagebehörde um „Zusendung eines Anhörungsbogens“, „falls die Staatsanwaltschaft Hamburg der Auffassung sein sollte“, dass die beigeschlossene „Fotographie den Anfangsverdacht“ eines „strafbaren Verhaltens“ begründe (UA S. 11).

5

Die „Schriftzüge“, „die Größe“, „die Schriftart“, die „Farben“ sowie die Anordnung dieser Aufnäher sind nach den Urteilsfeststellungen „identisch“ (UA S. 10) mit „den Abzeichen“ des durch rechtskräftige Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 21. Oktober 1983 verbotenen und bis dahin im Hamburger Vereinsregister eingetragenen ersten deutschen „Hells Angels-Vereins“, dem „Hells Angels Motor-Club e.V.“ (UA. S. 5). Dessen Vereinswappen hatte - entsprechend der Verbotsverfügung - „den stilisierten weißen behelmten Totenkopf mit rechtsseitigem Engelsflügel auf rotem Grund“ gezeigt (UA S. 6). Dieses „Clubemblem“ (UA S. 6) war durch die Vereinsmitglieder ebenso auf der einheitlichen Kleidung anzubringen wie die Schriftzüge „HELLS ANGELS“, „GERMANY“ und „MC“ (UA S. 6). Die Strafkammer hat hierzu ferner festgestellt, dass die Mitglieder den beschriebenen „Totenkopf“-Aufnäher „mittig“ auf der Rückseite ihrer Vereinsweste getragen hatten (UA S. 6). Darüber war auf einem „halbkreisförmig“ nach unten gebogenen“ Aufnäher in roten Großbuchstaben auf weißem Grund der Schriftzug „HELLS ANGELS“ angebracht worden (UA S. 6). In derselben Gestaltung war unter dem „Totenkopf“-Aufnäher ein weiterer „halbkreisförmiger“ und nach oben gebogener Aufnäher mit dem Schriftzug „GERMANY“ angebracht worden. Beide Aufnäher hatten keinen „geschlossenen Kreis“ gebildet (UA S. 7). Ferner war „schräg rechts unter den Engelsflügeln“ ein Aufnäher mit dem in nämlicher Weise gestalteten Schriftzug „MC“ angebracht worden (UA S. 7).

6

Dieselbe Wertung hat das Landgericht mit Blick auf die von Mitgliedern des mit rechtskräftiger Verfügung des Ministeriums für Inneres des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2000 verbotenen Vereins „MC Hells Angels Germany Charter Düsseldorf“ getragenen Kennzeichen getroffen (UA S. 10). Dessen Vereinswappen sowie die Rückseite der von den Vereinsmitgliedern getragenen „Lederwesten“ war identisch mit der Gestaltung der „Vereinskluft“, wie sie die Mitglieder des verbotenen „Hells Angels Motor-Club e.V.“ aus Hamburg getragen hatten. Einen Hinweis auf den Charter Düsseldorf hatte es auf den Kleidungsstücken nicht gegeben.

7

Nach den Urteilsfeststellungen nahm der Angeklagte billigend in Kauf, „sich durch die in der Öffentlichkeit getragenen Embleme auf seiner Weste strafbar zu machen“ (UA S. 11).

8

Das Landgericht erblickt hierin eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG. Die vom Beschwerdeführer öffentlich getragenen „Aufnäher ‚HELLS ANGELS‘, der ‚Totenkopf‘ und ‚MC‘“ erwiesen sich als verbotene Kennzeichen im Sinne des „§ 9 Abs. 1 und 2 VereinsG“ (UA S. 21). Insoweit handele es sich um „nahezu identische und damit zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen verbotener Vereine“ (UA S. 21), die nicht öffentlich verwendet werden dürften. Die vom Angeklagten auf seiner Jeansweste getragenen Aufnäher stellten „jeweils verbotene Kennzeichen“ dar (UA S. 21). Hierbei sei nicht auf die „Jeansweste insgesamt“ abzustellen, sondern „jeder einzelne Aufnäher“ zu bewerten (UA S. 21). Die Berufungsstrafkammer hat einen Verbotsirrtum „ausgeschlossen“ und ferner - hilfsweise -angenommen, dass ein Verbotsirrtum vermeidbar gewesen sei.

II.

9

Die rechtsfehlerfrei - zutreffend auch im Wege der Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO - getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch des öffentlichen Verwendens von Kennzeichen eines verbotenen Vereins nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2 VereinsG und den Rechtsfolgenausspruch.

10

Der näheren Erörterung zum Schuldspruch nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG bedarf nur Folgendes:

11

1. Die dem Schuldspruch erkennbar zugrundeliegenden Symbole, der „stilisierte Totenkopf“ und der Schriftzug „HELLS ANGELS“, erweisen sich vereinsrechtlich als Kennzeichen.

12

a) Nach § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (VereinsG) sind Kennzeichen solche Organisationsmittel, die den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken und die Vereinigung von anderen Organisationen unterscheiden (Wache in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 146. ErgLfg., VereinsG § 9 Rn. 3). Ein Kennzeichen wird dadurch geprägt, dass es als allgemeines Symbol einem bestimmten Verein zugeordnet und von außenstehenden Dritten erkannt oder wiedererkannt wird (vgl. Groh, VereinsG § 9 Rn. 6). Dies können nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG namentlich sein Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen, die durch ihren Symbolwert auf den Vereinszweck hinweisen. Dabei muss der Symbolgehalt im Wesentlichen aus sich heraus und ohne Berücksichtigung der Gesamtumstände, etwa Örtlichkeiten, anderer Symbole oder aber der konkreten Art der der Verwendung verständlich sein (BGH, Beschl. v. 7. Oktober 1998 - 3 StR 370/98, NStZ 1999, 87). Dem Vereinsrecht sind zusammengesetzte Kennzeichen fremd (vgl. Groh, a.a.O. § 9 Rn. 6). Abzustellen ist deshalb auf jedes Symbol und nicht auf deren Anordnung im Ensemble (OLG Celle, Beschl. v. 19 März 2007 - 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 161; Rau/Zieschack, NStZ 2008, 131, 133).

13

b) Gemessen an diesen vereinsrechtlichen Maßgaben und vor dem Hintergrund der Urteilsfeststellungen ist die tatgerichtliche Bewertung des vom verbotenen „Hells Angels Motor-Club e.V.“ verwendeten stilisierten behelmten Totenkopfs „mit rot/gold-gelbfarbenen rechtsschwingenden Engelsflügeln“ (UA S. 10) als Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt namentlich mit Blick auf die durch § 3 der Satzung des verbotenen Ortsvereins „Hells Angels Motor-Club e.V.“ erfolgte Widmung. Hiernach war der in Rede stehende stilisierte Totenkopf das „Vereinswappen“ und Clubemblem, das überdies auf der „Vereinskluft“ zu tragen war.

14

c) Vor dem Hintergrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen war - entgegen der Annahme des Beschwerdeführers - zur Bestimmung des verbotenen Kennzeichens keine Gesamtschau sämtlicher auf der „Vereinskluft“ abgebildeten Symbole veranlasst. Der 1983 durch den Bundesminister des Innern verbotene „Hells Angels Motor-Club e.V.“ aus Hamburg war nach den Urteilsfeststellungen der erste in Deutschland gegründete Ableger der weltweit aktiven Gruppierung „Hells Angels“. Für diesen bestand schon deshalb kein Anlass, sich zu anderen national aktiven Ortsvereinen abzugrenzen. Naheliegend aus diesem Grund hat er sich nach seiner Vereinssatzung auch nur den Totenkopf - ohne jeden Zusatz - als „Vereinswappen“ gegeben (§ 3 der Vereinssatzung). Dieses vom Landgericht festgestellte initiale Alleinstellungsmerkmal im Bundesgebiet machte jeden weiteren Unterscheidungszusatz - verstanden etwa im Sinne eines zusammengesetzten Symboles (vgl. hierzu nur Reuter, Verbotene Symbole [2006], S. 136 f.) - ersichtlich entbehrlich. Mangels Neben- oder Schwestervereinen war namentlich der stilisierte Totenkopf im Geltungsbereich des Vereinsrechts bereits damals erkennbar diesem verbotenen Verein zuzuordnen.

15

d) Vor diesem Hintergrund kommt auch eine am gesetzlichen Schutzzweck orientierte Einschränkung des Kennzeichenbegriffs nicht in Betracht. Diese ist höchstrichterlich allein für Fälle anerkannt, in denen die Verwendung des in Rede stehenden Kennzeichens in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der verbotenen Organisation und die Bekämpfung der von ihr verfolgten Ziele zum Ausdruck bringt (vgl. - zu § 86a StGB - nur BGH, Urt. v. 15. März 2007 - 3 StR 486/06, BGHSt 51, 244, 247; v. 18. Oktober 1972 - 3 StR 1/71, BGHSt 25, 30, 32 f.). Mit Blick auf die getroffenen Urteilsfeststellungen, namentlich die initiale vereinsrechtliche Bemakelung der in Rede stehenden Kennzeichen (vgl. nachstehend 2.b), begründet die von der Revision vermisste Erörterung einer solchen Ausnahmekonstellation keinen sachlich-rechtlichen Mangel.

16

c) Dies gilt gleichermaßen für den Schriftzug „HELLS ANGELS“.

17

aa) Zwar ist - betreffend den ähnlich ausgestalteten Tatbestand des § 86a StGB allerdings nicht unumstritten (vgl. etwa Groh a.a.O., § 9 Rn. 7) - anerkannt, dass der Vereinsname nicht ohne weiteres ein Kennzeichen ist, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten (vgl. BGH, Beschl. v. 13. August 2009 - 3 StR 228/09, BGHSt 54, 61, 66; Steinmetz in MünchKomm StGB 2. Aufl. § 86a Rn. 9 m.w.N.). Jede Einzelfallwürdigung des Vereinsnamens und eine sich hieran anschließende Auslegung haben sich - schon mit Blick auf den verfassungsrechtlich verbürgten Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) - an den in § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG beispielhaft aufgezählten markanten Kennzeichen zu orientieren.

18

bb) Diesen strengen verfassungsrechtlichen Maßgaben hält die tatgerichtliche Bewertung hier stand. Die Feststellungen belegen tragfähig dessen Eigenschaft als Teil einer Uniform (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG).

19

(1) Der Schriftzug war Bestandteil der „einheitlichen Kleidung“ der Mitglieder des verbotenen Vereins „Hells Angels Motor Club e.V.“. Diese trugen - auch ausweislich der Urteilsfeststellungen - den Schriftzug in Höhe der Schulterblätter auf ihrer „Vereinskluft“. Die gut lesbaren Großbuchstaben waren „halbkreisförmig nach unten“ gebogen und in der signifikanten Schriftart „Hessian Regular“ dargestellt. Dabei kontrastierten die in roter Farbe gehaltenen Buchstaben weithin sichtbar vor weißem Hintergrund an dieser Stelle der „Vereinskluft“. Die den Mitgliedern des verbotenen Hamburger Ortsvereins zur Last gelegten Gewalthandlungen „wurden in Vereinskluft der Hell‘s Angels begangen und begründeten oder bestätigten deren Ruf als besonders gewalttätige und brutale Rockergruppe“ (BVerwG, Urt. v. 18. Oktober 1988 - 1 A 89/83, BVerwGE 80, 299, 310). Dieses einheitliche und normierte Auftreten zielte - wie für normiertes Auftreten gerade aus dem militärischen Bereich allgemein bekannt - gerade ab auf Wiedererkennung und Solidarisierung der Mitglieder untereinander und Abgrenzung zu allen Außenstehenden. Der „Vereinskluft“ kam daher erkennbar der Charakter eines uniformierten Auftretens zu, dessen wesentlicher Bestandteil der organisationsbezogene Schriftzug „Hells Angels“ war.

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(2) Selbst wenn der gesetzliche Tatbestand des § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG - was nicht naheliegt - nur auf amtliche Uniformstücke ausdrücklich abzielen sollte (vgl. etwa § 132a StGB), erweist sich der in Rede stehende Schriftzug zumindest als Teil einer „Pseudo-Uniform“, die - auch als Ergebnis der gebotenen engen Auslegung (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) - wertungsmäßig zumindest neben den amtlichen Uniformstücken steht. Dies gilt zumal da die Mitglieder des verbotenen „Hells Angels Motor Club e.V.“ aus Hamburg ihrerseits die Nähe zur straffen militärischen Organisation suchten (vgl. etwa zum Vereinsamt des „Sergeant at Arms“ BVerwG, a.a.O., S. 310).

21

2. Die Verwendung dieser Kennzeichen ist verboten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG).

22

a) Sie erweisen sich nach den Urteilsfeststellungen jeweils als Kennzeichen des im Jahre 1983 rechtskräftig verbotenen „Hells Angels Motor Club e.V.“ aus Hamburg. Dieser war als „erster deutscher Hells Angels Verein“ (UA S. 5) im Jahre 1973 gegründet worden. Satzungsgemäß zeigte dessen „Vereinswappen“ den „stilisierten weißen behelmten Totenkopf mit rechtsseitigem Engelsflügel auf rotem Grund“ (UA S. 6). Damit hat die Berufungsstrafkammer widerspruchsfrei und lückenlos - zumal ohne verfahrensrechtliche Beanstandung durch den Beschwerdeführer - belegt, dass erstmals der „Hells Angels Motor-Club e.V.“ aus Hamburg diese beiden Aufnäher als Kennzeichen im Bundesgebiet führte.

23

b) Durch die bestandskräftige Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 21. Oktober 1983 steht fest, dass „Zweck und Tätigkeit des ‚Hells Angels Motor-Club e.V.‘ Hamburg den Strafgesetzen zuwider“ liefen (UA S. 5). Diese rechtsfeindliche Gesinnung wird symbolisiert durch die vorstehend benannten und in Deutschland erstmals von diesem verbotenen Verein verwendeten Kennzeichen. Deshalb dürfen - ebenfalls bestandskräftig mit der Verbotsverfügung angeordnet - diese „Kennzeichen weder verbreitet noch öffentlich oder in einer Versammlung verwendet werden“ (UA S. 5). Der Makel der rechtsfeindlichen Gesinnung haftet diesen Kennzeichen bis heute an, sodass sie durch keinen Verein im Bundesgebiet verwendet werden dürfen. Dass diese Kennzeichen möglicherweise nicht originär vom verbotenen Hamburger Verein entwickelt, sondern - naheliegend - aus in den Vereinigten Staaten bestehenden Ortsvereinen der Gruppierung mit deren Billigung übernommen worden waren, ist für die vereinsrechtliche Bewertung bedeutungslos. Maßgeblich ist vielmehr die erste Verwendung und Widmung dieser Kennzeichen im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes und damit im Bereich des deutschen Ordnungsrechts.

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3. Der Beschwerdeführer hat gegen das strafbewehrte Kennzeichenverbot verstoßen. Er hat Kennzeichen öffentlich verwendet, die identisch waren mit denen des verbotenen „Hells Angels Motor-Club e.V.“ Hamburg.

25

a) Ebenso wie die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG erforderliche Verwechselungsgefahr obliegt auch die Bewertung einer Übereinstimmung zwischen dem verbotenen Originalkennzeichen und dem vom Angeklagten verwendeten Kennzeichen dem Tatrichter. Das Revisionsgericht hat dessen Schluss hinzunehmen, soweit dieser auf einer zureichend tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und einer Überprüfung am zutreffenden rechtlichen Maßstab standhält.

26

aa) Der mit Blick auf die Weite des Kennzeichenbegriffs anzuwendende strenge rechtliche Maßstab fordert zwar keine absolute, jede - auch kleinste - Abweichung vom verbotenen Originalkennzeichen ausschließende Übereinstimmung. Notwendig ist aber ein signifikant hohes Maß sinnlich wahrnehmbarer Übereinstimmung mit der konkreten Ausgestaltung des durch die verbotene Organisation verwendeten Originalkennzeichens. Hierfür muss der Gesamtvergleich zwischen dem inkriminierten Originalkennzeichen und dem durch einen Täter verwendeten Kennzeichen aus der Sicht eines unbefangenen nicht besonders sachkundigen und nicht genau prüfenden Betrachters keine oder nur solche Unterschiede aufweisen, die so geringfügig sind, dass sie diesem Betrachter auf den ersten Blick ohne weiteres entgehen könnten.

27

bb) Noch strengere rechtliche Anforderungen sind auch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) und mit Rücksicht auf eine klare Abgrenzung zum Tatbestandsmerkmal der Verwechselungsfähigkeit nach § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG nicht geboten. Vor der Einführung des § 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG durch Artikel 9 Nr. 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002 (Terrorismusbekämpfungsgesetz; BGBl. I S. 361) bestand - hinsichtlich des in gleicher Weise gefassten § 86a StGB - bereits Einigkeit darüber, dass unwesentliche Abweichungen eines Kennzeichens dessen Übereinstimmung mit dem inkriminierten Originalkennzeichen noch nicht in Frage stellen (Stegbauer, NStZ 2006, 677, 678; ferner zu § 86a StGB etwa Laufhütte/Kuschel, LK, 12. Aufl., § 86a Rn. 6 f; vgl. ferner Foth, JR 1982, 382 sowie Senatsurteil v. 27. Mai 1981 - 1 Ss 45/81, NStZ 1981, 393 mit zust. Anm. Bottke, JR 1982, 77, 78; OLG Oldenburg, Urt. v. 5. Oktober 1987 - Ss 481/87, NStZ 1988, 74). Durch die Verwechslungsgeeignetheit sollte vielmehr - korrespondierend mit § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB (vgl. BT-Drucks. 14/7386, S. 49) - der Umgang mit solchen Symbolen geregelt werden, die Abwandlungen von den üblicherweise durch die verbotenen Organisationen verwendeten Kennzeichen darstellten oder sich als nur „sehr lebhafte gedankliche Verbindungen“ zu diesen erwiesen und bei denen wegen dieser Divergenzen unsicher ist, ob sie noch als verbotene Originalkennzeichen identifiziert werden könnten (vgl. BT-Drucks. 12/4825, S. 6 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 12. Mai 1981 - 5 StR 132/81, BeckRS 1981, 05203; vgl. ferner BGH, Urt. v. 14. Februar 1973 - 3 StR 1/72, BGHSt 25, 128, 130 und Fischer, StGB, 61. Aufl., § 86a Rn. 8). Die hier vorgenommene Identitätsprüfung erfasst hingegen Fälle signifikanter Übereinstimmung mit dem Originalkennzeichen und ist daher der Prüfung einer Verwechslungsgeeignetheit vorgelagert.

28

cc) Gemessen hieran ist die tatgerichtlich erfolgte Bewertung der Kennzeichen als identisch revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat - mit Recht unter Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO - tragfähig belegt, dass sowohl der vom Beschwerdeführer auf dem Rücken seiner Kleidung getragene „stilisierte Totenkopf“ als auch der Schriftzug „HELLS ANGELS“ nach Form sowie Farb- bzw. Schriftgestaltung und Symbolgröße mit denen des verbotenen Vereins jeweils übereinstimmen.

29

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei dem Zusatz „Harbor City“ keine diese Kennzeichenqualität berührende Bedeutung beigemessen. Nach den Urteilsfeststellungen lag es fern (vgl. vorstehend 1c), dass dieser hinzugefügte Name des - im Nachgang zu der das Kennzeichenverbot begründenden bestandskräftigen Verbotsverfügung errichteten - Ortsvereins „Harbor City“ an den Charakteristika der für sich selbständigen Kennzeichen etwas ändert (vgl. zu § 86a StGB etwa Stegbauer, JR 2002, 182, 185; Reuter, a.a.O., S. 136 f.).

30

b) Diese Kennzeichen hat der Beschwerdeführer öffentlich verwendet. Zureichend hierfür ist jeder Gebrauch, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht (vgl. bereits BGH, Urteile v. 29. Mai 1970 - 3 StR 2/70, BGHSt 23, 267, 268, und v. 25. April 1979 - 3 StR 89/79, BGHSt 28, 394, 396; ferner Wache in Erbs/Kohlhaas, VereinsG § 9 Rn. 4 f. [Stand: Mai 2002]; Groh, a.a.O., § 9 Rn. 3). Ob das Kennzeichen tatsächlich wahrgenommen wird, ist wegen des Charakters § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG als abstraktes Gefährdungsdelikt unerheblich. Der Beschwerdeführer hat die Kennzeichen nach den Urteilsfeststellungen am Tattag vor der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis („Michel“) auf dem Rücken seiner „Vereinskluft“ getragen.

31

c) Auf die Frage der Verwechslungsfähigkeit solcher Kennzeichen, die verbotenen Symbolen nur ähnlich sehen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG), kam es deshalb hier nicht an. Gleichermaßen kann der Senat wegen der von der Berufungsstrafkammer festgestellten Identität der Kennzeichen dahin stehen lassen, ob die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG auch vereinsrechtliche Kennzeichenverstöße gegen § 9 Abs. 3 VereinsG erfasst (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 19. März 2007 - 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159, 160; BayObLG, Beschluss v. 23. September 2003 - 4 St RR 104/03; Rau/Zieschack, NStZ 2008, 131, 134; hierzu ablehnend M. Mayer, Kriminalistik 2014, 236, 240 m.w.N.).

32

4. Dieses Normverständnis begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

33

a) Zunächst liegt eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG fern. Zwar wird dem Beschwerdeführer der freie Umgang mit den beiden Kennzeichen in der Öffentlichkeit hierdurch verwehrt. Die Eigentumsgarantie gilt aber nicht schrankenlos, sondern wird durch die Gesetze näher bestimmt. Eine solche Schranke ergibt sich ersichtlich aus § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 9 Abs. 1 VereinsG. Eine Enteignung oder ein enteignungsgleicher Eingriff liegen demnach nicht vor (aA. wohl Bock HRRS 2012, 83, 88).

34

Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich auch keine rechtlichen Wertungswidersprüche mit Blick auf das Markenrecht. Es mag sein, dass der „geflügelte Totenkopf“ sowie die „Schriftzüge, die Schriftart und Schriftform ‚rot auf weiß‘“ in Deutschland wie im Gebiet der Europäischen Union „markenrechtlich geschützt“ sind (UA S. 9). Den notwendigen Gleichlauf zwischen dem hierdurch berührten Privatrecht einerseits und ordnungsrechtlichen staatlichen Maßnahmen andererseits ermöglichen § 8 Abs. 2 Nr. 9 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (MarkenG) sowie - unionsrechtlich - Art. 3 Abs. 2 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. Nr. L 78 S. 1 -GemeinschaftsmarkenVO). Ein im Einzelfall bestehendes Spannungsverhältnis löst etwa § 8 Abs. 2 Nr. 9 MarkenG durch ein angeordnetes absolutes Schutzhindernis zugunsten des staatlichen Ordnungsanspruchs auf (vgl. hierzu etwa BPatG, Beschlüsse v. 23. Juli 1997 - 28 W (pat) 245/96 [Totenkopf mit Engelsflügeln I], 28 W (pat) 250/96 [Totenkopf mit Engelsflügeln II] und 28 W (pat) 251/96 [Hells Angels]; ferner Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., Rn. 657). Hiernach sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen oder zu löschen (vgl. § 50 MarkenG; Art. 7 lit. f GemeinschaftsmarkenVO), deren Benutzung ersichtlich nach sonstigen Vorschriften im öffentlichen Interesse untersagt werden kann.

35

b) Auch in die positive allgemeine Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG wird durch dieses Normverständnis nicht unzulässig eingegriffen (vgl. zum Schutzbereich BVerfG, Beschl. v. 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244, 253 ff.; ferner nur Scholz in Maunz/Dürig GG, Stand 2013, Art. 9 Rn. 1, 42 m.w.N.). In Deutschland können auch zukünftig Vereine gegründet werden, die sich als Teile der „Hells Angels“-Gruppierung verstehen. Soweit dem Ortsverein „Hells Angels Harbor City“ in Hamburg und dessen Mitgliedern allein die öffentliche Verwendung der konkreten Kennzeichen mit der vorgenannten rechtlichen Bewertung verboten ist, liegt freilich ein Eingriff in deren freie Betätigung im Zuge einer Vereinigung und damit in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 GG vor (vgl. etwa Scholz a.a.O., Rn. 34, 43). Dieser findet hier allerdings seine Rechtfertigung in der einfach-gesetzlichen Schranke (Art. 9 Abs. 2 GG) des § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG und trifft im konkreten Fall den Beschwerdeführer nicht unverhältnismäßig. Es ist namentlich nicht erkennbar, dass dieser oder ein Motorradclub und dessen Mitglieder für eine Vereinsbetätigung konstitutiv auf diese inkriminierten Kennzeichen angewiesen wären.

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c) Schließlich ist durch diese Normauslegung auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung zu besorgen. Selbstverständlich obliegt es auch weiterhin den Verwaltungsbehörden, Vereinsverbote auszusprechen. Ein solches wird durch das Normverständnis auch nicht bewirkt (aA wohl noch BayObLG, Beschl. v. 8. März 2005 - 4 St RR 104/03, BayObLGSt 2004, 180; Rau/Zieschack, a.a.O., S. 134; Bock, HRRS 2012, 83, 86). Dass in der nordrhein-westfälischen Verbotsverfügung ausweislich der Urteilsfeststellungen der Hinweis auf Möglichkeiten enthalten war, der Verwechslungsgefahr mit einem verbotenen Verein durch einen Hinweis auf den „Standort eines Chapters“ (UA S. 8) hinreichend begegnen zu können, ändert an dieser Wertung nichts. Soweit hiermit ordnungsbehördlich der hier von der Berufungsstrafkammer festgestellte historische Hintergrund der in Rede stehenden Kennzeichen erkennbar übersehen wurde, ändert dies nichts an der dem Strafsenat obliegenden umfassenden Auslegungs- und Entscheidungspflicht.

37

5. Das Landgericht hat sich auch rechtsfehlerfrei von einem schuldhaften Handeln des Angeklagten überzeugt. Die Ablehnung eines Verbotsirrtums (§ 17 Satz 1 StGB) hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.

38

a) Ein Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile v. 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15, 26 ff. und v. 3. April 2008 - 3 StR 394/07, BeckRS 2004, 06865). Die für das Vorstellungsbild des Beschwerdeführers maßgeblichen Beweiszeichen sind in eine Gesamtwürdigung einzustellen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15, 26 ff.).

39

b) Diesen rechtlichen Maßgaben wird die Strafkammer gerecht. Namentlich aus dem Inhalt des an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schreibens durfte die Berufungsstrafkammer den Schluss ziehen, dass dem eine gedankliche Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit den Grenzen strafbaren Verhaltens einerseits und mit einer konkret im Raum stehenden Strafbarkeit wegen verbotener Kennzeichenverwendung andererseits vorausging.

40

Die von ihm demzufolge erwogene Möglichkeit, Unrecht zu tun, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Strafkammer maßgebend auf die Identität der verwendeten Kennzeichen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG) und nicht auf die Verwechslungsgefahr (§ 9 Abs. 2 Satz 2 VereinsG) abgestellt hat.Das Handeln des Beschwerdeführers war bereits zuvor mit dem Risiko der Strafbarkeit behaftet, auch wenn in der nordrhein-westfälischen Verbotsverfügung der Hinweis auf eine scheinbar maßgebliche Verwechslungsgefahr und die Unterscheidungsmöglichkeit durch Angabe des „Standorts eines Chapters“ (UA S. 8) angelegt war. Vor diesem Hintergrund konsequent hat selbst der Beschwerdeführer im Tatsachenverfahren nicht einmal die Hoffnung auf eine Straflosigkeit seines Handelns vorgebracht oder sich auf Rechtsanwaltskonsultationen oder Sachverständigengutachten berufen, die ihm Rechtssicherheit suggeriert hätten. Die vom Landgericht festgestellte Korrespondenz seines Rechtsanwalts mit den Strafverfolgungsbehörden war hierfür erkennbar unzureichend und für den Beschwerdeführer erst Anlass, sich selbst mit einem Lichtbild an die Staatsanwaltschaft zu wenden.

41

6. Entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers bestand für den Senat keine Veranlassung, die mit dem hier geführten Revisionsverfahren maßgeblichen Rechtsfragen dem Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG vorzulegen. Die hierfür notwendige Außendivergenz besteht nicht. Die vom OLG Celle als Revisionsgericht zu überprüfenden Urteilsgründe enthielten schon nicht die Feststellung, dass es sich bei dem verbotenen „Hells Angels Motor Club e.V.“ aus Hamburg um den ersten Verein der „Hells Angels“-Gruppierung im Bundesgebiet gehandelt hat (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 19. März 2007 - 32 Ss 4/07, NStZ 2008, 159). Nur dann aber hätte sich dieser Senat zu der hier entscheidungserheblichen Frage einer initialen Bemakelung dieser Kennzeichen verhalten können.

42

Dies gilt gleichermaßen für die Revisionsentscheidungen des - zwischenzeitlich aufgelösten (vgl. zur grundsätzlich weiterbestehenden Vorlagepflicht BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364, 369 f.) - Bayerischen Obersten Landesgerichts (vgl. BayObLG, Beschluss v. 23. September 2003 - 4 St RR 104/03 und Beschl. v. 8. März 2003 - 4 St RR 207/04, BayObLGSt 2004, 180). Überdies belegten auch dort die tatgerichtlichen Urteilsfeststellungen - soweit ersichtlich - nur eine Verwechslungsgefahr mit der „Vereinskluft“ verbotener „HELLS ANGELS“-Ortsvereine, nicht aber deren Identität.

43

7. Es wird festgestellt, dass das Verfahren im Revisionsrechtszug rechtsstaatswidrig verzögert worden ist. Die Sache ist am 9. Juli 2013 beim Senat eingegangen. Jedenfalls sechs Monate wurde es nicht betrieben. Dies war durch die Feststellung des Verstoßes gegen das konventionsrechtlich abgesicherte Zügigkeitsgebot zu kompensieren (vgl. BGH, Beschl. v. 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146; ferner Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1503 m.w.N.). Einer weitergehenden Kompensation bedurfte es nicht, weil eine besondere Belastung des Beschwerdeführers gerade durch die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung weder ersichtlich ist noch mit Blick auf den Verfahrensgegenstand und die Verzögerungsdauer naheliegt.

Urteilsbesprechung zu Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 07. Apr. 2014 - 1 - 31/13 (Rev)

Urteilsbesprechungen zu Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 07. Apr. 2014 - 1 - 31/13 (Rev)

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All
Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 07. Apr. 2014 - 1 - 31/13 (Rev) zitiert 17 §§.

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 9


(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverstä

Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

Markengesetz - MarkenG | § 8 Absolute Schutzhindernisse


(1) Von der Eintragung sind als Marke schutzfähige Zeichen im Sinne des § 3 ausgeschlossen, die nicht geeignet sind, in dem Register so dargestellt zu werden, dass die zuständigen Behörden und das Publikum den Gegenstand des Schutzes klar und eindeut

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 121


(1) Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel: 1. der Revision gegen a) die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Strafrichters;b) die Berufungsurteile der kleinen

Strafgesetzbuch - StGB | § 17 Verbotsirrtum


Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Markengesetz - MarkenG | § 50 Nichtigkeit wegen absoluter Schutzhindernisse


(1) Die Eintragung einer Marke wird auf Antrag für nichtig erklärt und gelöscht, wenn sie entgegen §§ 3, 7 oder 8 eingetragen worden ist. (2) Ist die Marke entgegen § 3, 7 oder 8 Absatz 2 Nummer 1 bis 13 eingetragen worden, so kann die Eintragung

Vereinsgesetz - VereinsG | § 20 Zuwiderhandlungen gegen Verbote


(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit 1. den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisat

Strafgesetzbuch - StGB | § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung

Vereinsgesetz - VereinsG | § 9 Kennzeichenverbot


(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr 1. öffentlich, in einer Versammlung oder2. in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt

Strafgesetzbuch - StGB | § 132a Mißbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen


(1) Wer unbefugt 1. inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt,2. die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 164/08 vom 1. Oktober 2008 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StGB § 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2 Der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 N

Referenzen

(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.

(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn

1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder
2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.

(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.

(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn

1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder
2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.

(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.

(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn

1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder
2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.

(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder
2.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) § 86 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 486/06
vom
15. März 2007
Nachschlagewerk ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________
StGB § 86 a Abs. 1
Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer
Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu
der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem
Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich nicht zuwider und wird daher vom Tatbestand
der Vorschrift nicht erfasst.
BGH, Urt. vom 15. März 2007 - 3 StR 486/06 - LG Stuttgart
in der Strafsache
gegen
wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
8. März 2007 in der Sitzung am 15. März 2007, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Winkler
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Becker,
Hubert,
Dr. Graf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. September 2006 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
3. Zur Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ist das Landgericht Stuttgart zuständig.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieser betreibt unter dem Namen "N. " ein Unternehmen, das Artikel für die Punkerszene wie CDs, Kleidungsstücke, Aufkleber u. ä. über ein Ladengeschäft und einen Versandhandel vertreibt. In seinem Sortiment waren bei einer Durchsuchung am 23. August 2005 auch zahlreiche Artikel mit Darstellungen enthalten , auf denen nationalsozialistische Symbole, insbesondere das Hakenkreuz, in zum Teil veränderter, aber noch erkennbarer Form abgebildet waren, wobei durch die Art der Darstellung die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht werden sollte. Die sichergestellten Artikel waren im Lager und im Ladengeschäft der Firma vorrätig gehalten und zum Teil auch ausge- stellt worden. Das gesamte Warensortiment war zudem in Katalogen und im Rahmen eines sog. "Onlineshop" auf einer Internetseite einsehbar.
2
Das Landgericht hatte bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens die Auffassung vertreten, die vom Angeklagten vertriebenen Artikel unterfielen zum größten Teil nicht dem Tatbestand des § 86 a StGB, weil die nationalsozialistischen Kennzeichen insoweit in eindeutig distanzierender Weise gebraucht worden seien; lediglich bei drei von ihnen sei die Gegnerschaft nicht in ausreichender Weise eindeutig erkennbar. Insoweit hat es das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht - Strafrichter - Waiblingen eröffnet. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht in nahezu vollem Umfang der Anklage angeordnet, weil auch eine eindeutig distanzierende Verwendung solcher Kennzeichen der Strafvorschrift des § 86 a StGB unterfalle, mit der die inkriminierten Symbole unabhängig von der Absicht des Verwenders tabuisiert werden sollten. Das Landgericht hat in seinem Urteil nunmehr - ersichtlich auf der Grundlage der Entscheidung BGHSt 25, 30 - die Auffassung vertreten, "jedenfalls die hier vorliegende Verwendung der Kennzeichen in größerem Umfang sei unabhängig davon strafbar, ob eine innere Distanzierung von nationalsozialistischem Gedankengut bestehe und auch unabhängig davon, ob bei ihnen eine solche Distanzierung bereits durch die Art der Darstellung als solche hinreichend deutlich nach außen in Erscheinung tritt".
3
Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung Revision eingelegt. Er hat mit der Sachrüge Erfolg.
4
I. Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Darstellungen, bei denen sich bereits aus ihrem Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise ergibt, dass sie in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebraucht werden, unabhängig von deren Umfang nicht den Straftatbestand des § 86 a StGB.
5
1. Der Schutzzweck dieses Straftatbestandes ist die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Die Vorschrift dient aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Auch ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen können den politischen Frieden empfindlich stören. § 86 a StGB will darüber hinaus verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen - ungeachtet der damit verbundenen Absichten - sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGHSt 25, 30, 33 f.; 25, 128, 130 f.).
6
2. Die weite Fassung des Tatbestandes, der nach seinem Wortlaut - von Fällen der sog. Sozialadäquanzklausel nach § 86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB abgesehen - jegliches Verwenden eines solchen Kennzeichens anspricht, würde bei wortgetreuer Auslegung jedoch auch Handlungen erfassen, die die- sem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen. Dies erfordert eine Restriktion des Tatbestandes, die derartige Kennzeichenverwendungen von der Strafbarkeit nach § 86 a StGB ausnimmt.
7
a) Bereits im Gesetzgebungsverfahren hatte man erkannt, dass der Tatbestand zu weit gefasst ist. Dabei hatte man erörtert, dass es Fälle - wie etwa den bloß scherzhaften Gebrauch des Kennzeichens - geben kann, die der Sozialadäquanzklausel des § 86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB nicht unterfallen , aber dennoch nicht strafwürdig sind. Die Notwendigkeit einer Einschränkung war im Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform angesprochen worden, jedoch hatte man damals keine Möglichkeit zur Verfeinerung der tatbestandlichen Umschreibung gesehen und die Auslegung des Tatbestandes im Einzelnen der Rechtsprechung überlassen (Beratung des § 94 a des Regierungsentwurfs eines Achten Strafrechtsänderungsgesetzes i. d. F. der Formulierungshilfe vom 20. Februar 1967, Protokoll S. 959 f., 1617 f.).
8
b) Der Bundesgerichtshof hatte im Jahre 1970 in einem Fall, in dem ein Künstler Plastik-Sparschweine mit den Farben der Bundesrepublik und mit einem Hakenkreuz bemalt und Kunstsammlungen angeboten hatte, eine Tatbestandsrestriktion allerdings zunächst noch abgelehnt und die Auffassung vertreten , dass das Verwenden gemäß § 86 a StGB im weitesten Sinne auszulegen sei und auch durch eine kritische Absicht des Täters nicht ausgeschlossen werde (BGHSt 23, 267). Diese Ansicht hat er jedoch 1972 aufgegeben und es für geboten gehalten, solche Kennzeichenverwendungen vom Tatbestand auszuschließen , die dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht zuwiderlaufen, um eine Überdehnung des Tatbestandes zu vermeiden (BGHSt 25, 30; so auch Sonnen in AK-StGB § 86 a Rdn. 13 ff.; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 86 a Rdn. 18 f.). Dabei hat der Senat namentlich eine solche Verwendung grundsätzlich vom Tatbestand ausgenommen, die ersichtlich Ausdruck der Gegnerschaft zu den politischen Zielen und Methoden der verfassungsfeindlichen Organisation ist, deren Kennzeichen gebraucht wird, allerdings für das gehäufte Verwenden eine Ausnahme gemacht, da damit die Gefahr verbunden sein könnte, dass sich das verbotene Kennzeichen in der Öffentlichkeit wieder einbürgere (vgl. dazu Träger/Mayer/Krauth in FS 25 Jahre BGH S. 240 f.). In einer unveröffentlichten Folgeentscheidung zu dem BGHSt 23, 267 zugrunde liegenden Ausgangsfall der bemalten Plastik-Sparschweine hat der Senat mit Urteil vom 10. Juli 1974 - 3 StR 6/71 I - in Anwendung der zwischenzeitlich geänderten Rechtsprechung angenommen, dass die Verwendung des Hakenkreuzes auf diesen Gegenständen dem Tatbestand des § 86 a StGB nicht unterfalle, weil es deutlich erkennbar in kritisch abwertendem Sinne verwendet werde und somit dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufe.
9
c) Die in der Literatur vertretenen Auffassungen kommen - mit unterschiedlichen Begründungen - für Fälle kritischer Verwendung zu ähnlichen Ergebnissen :
10
So sehen einige Stimmen den Tatbestand nur dann als erfüllt an, wenn die Verwendung des Symbols als Bekenntnis zu den Zielen der verbotenen Organisation aufgefasst und insoweit eine Gefährdung der Schutzgüter des § 86 a StGB angenommen werden könne (Paeffgen in NK StGB § 86 a Rdn. 14; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 86 a Rdn. 6). Andere wollen diese Fälle ausschließlich über die Sozialadäquanz-klausel des § 86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB lösen (Steinmetz in MünchKomm § 86 a Rdn. 18; Laufhütte in LK 11. Aufl. § 86 a Rdn. 14).
11
3. Für die hier zu entscheidende Fallgestaltung gilt Folgendes:
12
Der Gebrauch des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, läuft dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht zuwider und wird daher vom Tatbestand des § 86 a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen Fall die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergibt, erstreckt sich der Tatbestandsausschluss grundsätzlich auf jeglichen Gebrauch der Kennzeichen, sei es Herstellung, Vorrätighalten, Verbreiten oder sonstiges Verwenden. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung eines Tatbestandsausschlusses nicht an. Der Senat weist freilich darauf hin, dass ein Tatbestandsausschluss nur gerechtfertigt erscheint, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig und offenkundig ergibt und ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu erkennen vermag. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, so ist der Schutzzweck des § 86 a StGB verletzt. Dies mag etwa der Fall sein, wenn das Durchstreichen des Hakenkreuzes so dünn erfolgt, dass aus einer gewissen Entfernung nur noch das Hakenkreuz, nicht mehr aber die Distanzierung erkennbar ist.
13
a) Eine Einschränkung des Straftatbestandes in solchen Fällen trägt auch dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung. Zwar handelt es sich bei § 86 a StGB um ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das grundsätzlich geeignet ist, zur Verwirklichung seines Schutzzweckes die Meinungsfreiheit zu beschränken. Läuft jedoch ein Handeln - wie hier der Gebrauch von Kennzeichen in eindeutig und offenkundig ablehnender Weise - dem Schutzzweck des § 86 a StGB ersichtlich nicht zuwi- der, wäre es auch verfassungsrechtlich bedenklich, ein solches Verhalten gleichwohl zu inkriminieren und dadurch die Freiheit von Bürgern zu beschränken , die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die eben diese unerwünschten Bestrebungen symbolisieren (vgl. BVerfG, Beschl. vom 23. März 2006 - 1 BvR 204/03).
14
b) Einem Tatbestandsausschluss steht auch nicht der Umstand entgegen , dass der Angeklagte mit dem Vertrieb der Artikel auch oder sogar vorrangig kommerzielle Ziele verfolgte. Ein wirtschaftliches Motiv nimmt den Darstellungen nicht den ihnen selbst innewohnenden nachdrücklich ablehnenden Aussagegehalt. Insoweit kann hier nichts anderes gelten als in Fällen der Anwendung der Sozialadäquanzklausel. Wenn etwa eine Druckerei aus geschäftlichem Interesse Aufträge zur Herstellung von Plakaten, Schriften oder Büchern ausführt, die im Sinne des § 86 Abs. 3 StGB der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Wissenschaft oder der Geschichtsberichterstattung dienen und in denen entsprechende Kennzeichen dargestellt werden, wird auch für ihr Handeln diese Klausel Anwendung finden und eine Strafbarkeit ausscheiden. Im Übrigen steht auch die kommerzialisierte Meinungsverbreitung unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG (Leibholz/Rinck, GG Art. 5 Rdn. 61).
15
c) Der Senat teilt auch nicht die vom Landgericht gehegten Befürchtungen , eine solche Auslegung könne von Anhängern der verbotenen Organisationen zum gefahrlosen Gebrauch der Kennzeichen missbraucht werden.
16
aa) Solche Personen würden Darstellungen, in denen die Kennzeichen in eindeutig und offenkundig ablehnender Weise gebraucht werden, als Verhöh- nung des ihnen "heiligen" Kennzeichens empfinden und selbst nicht verwenden (vgl. BGHSt 25, 133, 137). Der Senat hält es daher nicht für vorstellbar, wie es das Landgericht befürchtet, dass eine Gruppe rechtsgerichteter Personen in Springerstiefeln, Braunhemden und mit einer Oberarmbinde, die ein - deutlich - durchgestrichenes Hakenkreuz enthält, in Erscheinung treten könnte. Er muss daher auch nicht abschließend dazu Stellung nehmen, ob in einem solchen Falle ebenfalls ein Tatbestandsausschluss anzunehmen oder infolge der besonderen gegenläufigen Umstände abzulehnen wäre.
17
bb) Soweit eingewandt wird, die Verwendung des "Umweltmännchens" durch eine rechtsgerichtete Gruppierung belege eine solche Gefahr, trifft dies nicht zu: Dieses Symbol zeigt im allgemeinen Gebrauch eine stilisierte Figur, die einen Abfallgegenstand mit ausgestrecktem Arm in einen Abfallbehälter wirft und so zur Sauberhaltung etwa von Parkanlagen auffordert. Auf vom Angeklagten vertriebenen Artikeln wurde dieses Symbol dahin abgeändert, dass der Abfallgegenstand durch ein Hakenkreuz ersetzt wurde, um ersichtlich zum Ausdruck zu bringen, dass dieses nichts wert und daher wegzuwerfen sei. Die offensichtlich rechtsextreme Gruppe "Nationaler Widerstand" hat nun diese veränderte Darstellung mit Hakenkreuz übernommen, aber mit der Überschrift "Ihr stimmt uns heiter" und der Unterschrift "der Nationale Widerstand marschiert geschlossen weiter!" versehen. Damit hat diese Gruppe nicht die vom Angeklagten verwendete Darstellung gebraucht, sondern diese durch den Begleittext so verändert, dass sie einen entgegengesetzten Sinngehalt bekommen hat. Denn in dem aufgedruckten Kontext ergibt sich die Aussage, dass der "Nationale Widerstand" ungeachtet der dargestellten Gegenpropaganda, über die er nur lachen könne, "weitermarschiere" und somit seine Ziele weiterverfolge. Die Verwendung des Hakenkreuzes in einer solchen Bedeutung unterfällt ohne wei- teres dem Tatbestand des § 86 a StGB. Denn sie zeigt ein Bekenntnis zu diesem Symbol und nicht dessen Ablehnung.
18
cc) Dass, wie das Landgericht betont, die ablehnende Verwendung solcher Kennzeichen die Anhänger der verbotenen Organisationen herausfordern könnte, erst recht ihre Symbole zu zeigen und sich so zu ihnen zu bekennen, mag zutreffen. Dies kann aber nicht rechtfertigen, den durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Protest gegen solche inkriminierten Kennzeichen unter Strafe zu stellen.
19
d) Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der vom Landgericht maßgeblich für seine Rechtsauffassung herangezogene Umstand, dass die vom Angeklagten vertriebenen Darstellungen für einen massenhaften Gebrauch gedacht waren.
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aa) Allerdings kann der Entscheidung BGHSt 25, 30, 34 eine Beschränkung der Tatbestandsrestriktion auf Einzelverwendungen der Kennzeichen in Abgrenzung zu deren gehäuftem Gebrauch entnommen werden. Der Senat hat zum dortigen Sachverhalt (ein Angeklagter protestiert gegen den - nach seiner Auffassung ungerechtfertigten - Schlagstockeinsatz der Polizei mit dem "Hitlergruß" und "Sieg Heil"-Rufen) darauf hingewiesen, dass bei einer einmaligen Verwendung, bei der das Kennzeichen nur kurz in Erscheinung trete, es der Feststellung besonderer Umstände bedürfe, um das Handeln als Verstoß gegen § 86 a StGB einzuordnen; jedoch sei der Tatbestand erfüllt, wenn etwa bei einer Demonstration solche Kennzeichen in einer Häufung verwendet werden würden, dass die Gefahr bestehe, sie könnten sich entgegen dem Schutzzweck des § 86 a StGB wieder einbürgern. Der zu entscheidende Sachverhalt war somit dadurch geprägt, dass die Kennzeichen in unveränderter Form gebraucht worden sind und ihre ablehnende Verwendung erst aus den näheren Begleitumständen gefolgert werden konnte. Dass eine solche Beurteilung bei einem gehäuften Gebrauch - etwa bei einer Demonstration - außerordentlich problematisch ist und die Gefahr einer Missinterpretation einschließt, liegt auf der Hand.
21
Auch im Fall einer neutralen Verwendung hat der Senat eine ähnliche Einschränkung vorgenommen. Bei einem Spielzeughersteller, der originalgetreue Modelle von Kriegsflugzeugen mit Hakenkreuz auf den Markt gebracht hatte, hat er entscheidend auf die "massenhafte Verbreitung" abgestellt und diese für unzulässig erklärt (BGHSt 28, 394, 397).
22
bb) Für eine solche Einschränkung besteht jedoch in Fällen wie hier, in denen bereits die Darstellung selbst eine nachdrückliche Ablehnung zum Ausdruck bringt, kein Bedürfnis. Denn auch bei häufiger Verwendung eines derart dargestellten Kennzeichens ist eine Verletzung des Schutzzwecks des § 86 a StGB nicht zu befürchten (so auch Sonnen aaO). Gleich ob eine Person oder eine Vielzahl von Personen etwa ein Abzeichen mit einem deutlich durchgestrichenen Hakenkreuz zum Zeichen der Ablehnung des Nationalsozialismus und etwaiger Bestrebungen seiner Wiederbelebung öffentlich trägt, wird ein Beobachter des Geschehens nicht den Eindruck gewinnen können, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine innenpolitische Entwicklung, die verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung duldet ; ihm wird im Gegenteil vermittelt, dass es Bürger gibt, die sich dem engagiert widersetzen. Durch die Vielzahl solcher gegnerischer Verwendungen kann der Eindruck einer Ablehnung eher noch verstärkt werden. Demgemäß hat der Senat in BGHSt 25, 133 in einem vergleichbaren Fall, in dem der Angeklagte auf Plakaten ein Hakenkreuz in einer aus dem Inhalt des Plakats ersichtlichen, ablehnenden Weise verwendet hatte, die Erfüllung des Tatbestandes ohne weiteres verneint, ohne auf den Gesichtspunkt der gehäuften Verwendung, die bei einem Plakat nahe gelegen hätte, näher einzugehen.
23
II. Die Verwendung der Kennzeichen in den Darstellungen, die dem Angeklagten als Verstoß gegen § 86 a Abs. 1 StGB zur Last gelegt worden sind, lässt mit Ausnahme des Artikels Nr. II. 79 der Urteilsgründe eine hinreichend eindeutige und offenkundige Gegnerschaft erkennen und erfüllt daher den Tatbestand dieser Vorschrift nicht.
24
1. Bei allen Artikeln, bei denen auch im ersten Rechtszug insoweit keine Zweifel geäußert worden sind, bedarf dies keiner näheren Erörterung.
25
2. Aber auch bei den übrigen Artikeln bejaht der Senat - mit Ausnahme der Nr. II. 79 - eine eindeutige und offenkundige Ablehnung:
26
a) Auf den Gegenständen Nr. II. 68 und 80 wird ein am Boden liegendes, zertrümmertes Hakenkreuz dargestellt, auf dem sich ein Springerstiefel befindet. Damit wird deutlich, dass die Zerstörung des Hakenkreuzes durch einen Stiefeltritt symbolisiert wird.
27
b) Die Artikel Nr. II. 72, 73 und 76 zeigen ein zerbrochenes Hakenkreuz, bei dem die Brocken farblich so gestaltet sind, dass ein Teil von ihnen ein "4." bildet, wobei in der Umrandung die Aufschrift "Kein Reich" enthalten ist. Damit wird nicht nur die Zerstörung des Hakenkreuzes dargestellt, sondern auch die Forderung erhoben, es solle kein 4. Reich geben. Diese Distanzierung ist nach ihrem Gesamteindruck ausreichend.
28
c) Soweit hinsichtlich des oben näher geschilderten "Umweltmännchens" Zweifel an einer hinreichend gegnerischen Verwendung geäußert werden, weil der ausgestreckte Arm nicht nur das Wegwerfen eines Hakenkreuzes, sondern auch das Entbieten des "Hitlergrußes" gegenüber dem Hakenkreuz oder das Herausholen des Hakenkreuzes aus dem Abfall darstellen könne, kann dies der Senat angesichts der in der alltäglichen Verwendung dieses Piktogramms enthaltenen eindeutigen Aussage, Abfall solle in den Abfallbehälter geworfen werden , nicht nachvollziehen. Nur sehr fern liegende, theoretische Deutungsmöglichkeiten vermögen die sonst gegebene Eindeutigkeit einer Darstellung nicht in Frage zu stellen.
29
d) Dagegen teilt der Senat die Beurteilung des Landgerichts zu dem Artikel Nr. II. 79, dessen unzureichende Distanzierung auch die Verteidigung einräumt. Auf der Vorderseite der CD-Hülle ist ein Bild Adolf Hitlers neben der "Reichsstandarte" mit unverändertem Hakenkreuz zu sehen. Die Textaufdrucke "Schleim Keim" und "Drecksau" vermögen einem durchschnittlichen Beobachter keinen Bedeutungsinhalt, insbesondere keine deutliche Distanzierung zu vermitteln. Eine solche ergibt sich allerdings in gewissem Umfang aus der Rückseite der CD-Hülle, auf der drei Liedtexte abgedruckt sind, wovon einer den Begriff "Faschosau" enthält, was auf einen Text gegen Rechtsextreme hindeutet. Jedoch fehlt es insgesamt an einer ausreichenden Kenntlichmachung der Ablehnung ; diese ist weder eindeutig, noch offenkundig.
30
III. Der Senat kann dennoch in der Sache abschließend entscheiden. Abgesehen von dem Artikel Nr. II. 79 fehlt es bereits an der Tatbestandsmäßigkeit des Handelns des Angeklagten. Im verbleibenden Fall II. 79 kann ausgeschlossen werden, dass die subjektive Tatseite eines Verstoßes nachgewiesen werden kann. Dies würde den Nachweis eines Vorsatzes voraussetzen, der die Kenntnis davon umfasst, dass bei diesem Artikel die beabsichtigte Distanzierung nicht ausreichend gelungen ist. Der Angeklagte, der nach den Feststellungen die Bestrebungen, die durch die verwendeten Kennzeichen symbolisiert werden, glaubwürdig ablehnt, hat sich in der Revisionshauptverhandlung über seinen Verteidiger dahin eingelassen, er habe die unzureichende Kenntlichmachung der Gegnerschaft übersehen, als er diesen Artikel in sein umfangreiches Sortiment übernommen hatte. Feststellungen, die dies widerlegen könnten, sind dem Urteil des Landgerichts - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht zu entnehmen. Der Senat kann angesichts der besonderen Umstände des Falles auch ausschließen, dass diese in einer neuen Hauptverhandlung noch getroffen werden könnten.
31
IV. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO. Zur Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (§ 8 StrEG) ist das Landgericht zuständig (vgl. BGHR StrEG § 8 Zuständigkeit 1 m. w. N.). Art und Umfang der entschädigungspflichtigen Maßnahmen sind ohne besondere Anhörung der Beteiligten allein aus den dem Senat vorliegenden Akten nicht feststellbar.
Winkler Pfister Becker Hubert Graf

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder
2.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) § 86 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 228/09
vom
13. August 2009
Nachschlagewerk: ja nur zu I. und II.
BGHSt: ja nur zu I. und II.
Veröffentlichung: ja nur zu I. und II.
______________________________
StGB § 86 a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 und 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2 und 4
1. Der in eine andere Sprache übersetzte Leitspruch einer ehemaligen nationalsozialistischen
Organisation ist kein Kennzeichen, das der Originalparole im
Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB zum Verwechseln ähnlich ist.
2. Der Name einer Vereinigung oder Organisation nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 und 4
StGB ist als solcher kein Kennzeichen im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 1
BGH, Urt. vom 13. August 2009 - 3 StR 228/09 - LG Gera
in der Strafsache
gegen
wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
30. Juli 2009 in der Sitzung am 13. August 2009, an denen teilgenommen haben
:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
der Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
- in der Verhandlung vom 30. Juli 2009 - ,
Oberstaatsanwalt - bei der Verkündung am 13. August 2009 -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 12. Dezember 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Anordnung der Einziehung unterblieben ist. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten durch die Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen. Während der Angeklagte das Urteil insgesamt angreift und sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite wendet, beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer insoweit beschränkten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision allein die Nichtanordnung der Einziehung der sichergestellten 100 schwarzen T-Shirts, die u. a. die Aufschrift "Blood & Honour" aufweisen.
2
Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
3
I. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Die rechtsextremistische Vereinigung "Blood & Honour Division Deutschland" ist aufgrund der Verfügung des Bundesministers des Innern vom 12. September 2000 seit dem 13. Juni 2001 bestandskräftig verboten, da sich die Aktivitäten der Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Der Angeklagte, dem dieses Verbot bekannt war, transportierte am 16. September 2005 in seinem Fahrzeug 100 schwarze T-Shirts in unterschiedlichen Größen, die zum Verbreiten bestimmt waren. Die T-Shirts waren wie folgt bedruckt: Die Vorderseite wies den roten Schriftzug "Blood & Honour/C18" auf, ferner in weißer Farbe eine Hand mit Revolver und darunter wieder in roter Schrift "support your local section". Auf der Rückseite waren die Schriftzüge "Blood & Honour is our voice Combat 18 is our choice" aufgedruckt. Dass es sich bei den Worten "Blood & Honour" um die englische Übersetzung der Parole "Blut und Ehre" der Hitlerjugend handelte , war dem Angeklagten bekannt. Die T-Shirts wurden anlässlich einer Polizeikontrolle sichergestellt.
5
2. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, die auf den T-Shirts aufgedruckten Worte "Blood & Honour" seien als wortgetreue Übersetzung dem Leitspruch der Hitlerjugend ("Blut und Ehre") zum Verwechseln ähnlich im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB. Der Angeklagte habe in Kenntnis dieses Umstandes die Gegenstände vorrätig gehalten, indem er sie in seinem Fahrzeug zum Zwecke des nachfolgenden Verbreitens transportiert habe. Er habe sich deshalb gemäß § 86 a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB wegen Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation strafbar gemacht.
6
Den in der Anklageschrift erhobenen weitergehenden Vorwurf eines tateinheitlich begangenen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot nach § 85 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 StGB hat die Strafkammer gemäß § 154 a Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen.
7
II. Revision des Angeklagten
8
Die bisherigen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB) nicht.
9
1. Die auf den sichergestellten T-Shirts auf der Vorder- und Rückseite aufgebrachte englische Wortkombination "Blood & Honour" ist dem von der Hitlerjugend als ehemaliger nationalsozialistischer Organisation (Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945; BGH NStZ-RR 2009, 13) gebrauchten Leitspruch "Blut und Ehre" nicht zum Verwechseln ähnlich im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 2 StGB (i. V. m. § 86 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 sowie § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Die gegenteilige Auffassung der Strafkammer ist mit der Auslegung, die dieses Tatbestandsmerkmal durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Blick auf den Schutzzweck und die Wortlautgrenze der Norm gefunden hat, nicht vereinbar.
10
a) § 86 a StGB dient der Abwehr der symbolhaft durch die Verwendung eines Kennzeichens ausgedrückten Wiederbelebung bestimmter verfassungsfeindlicher Organisationen. Als abstraktes Gefährdungsdelikt wehrt die Vor- schrift Gefahren ab, die allein mit dem äußeren Erscheinungsbild solcher Kennzeichen verbunden sind, und verbannt deshalb die von diesen Organisationen verwendeten Symbole aus dem Bild des politischen Lebens (BGHSt 52, 364, 373; BVerfG, Beschl. vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08).
11
An diesem Schutzzweck orientiert sich die Wortauslegung des Begriffs der "Ähnlichkeit" im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB. Danach sind nur solche Parolen, wie auch sonstige Kennzeichen, "zum Verwechseln ähnlich", denen ein gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit mit dem Original zukommt. Erforderlich ist hierfür eine objektiv vorhandene Übereinstimmung in wesentlichen Vergleichspunkten. Es muss nach dem Gesamteindruck eines durchschnittlichen Betrachters, Hörers oder Lesers eine Verwechslung mit dem Original möglich sein. Dafür genügt nicht, dass sich lediglich einzelne Merkmale des Vorbildes in der Abwandlung wieder finden, ohne dass dadurch einem unbefangenen Betrachter, der das Original kennt, der Eindruck des Originalkennzeichens vermittelt wird (BGH NStZ 2003, 31, 32; BGH NJW 2005, 3223 f.; BVerfG, Beschl. vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08). Erforderlich ist ferner, dass das Vorbild tatsächlich als Kennzeichen einer verbotenen Organisation existiert. Reine Fantasiekennzeichen, die nur den Anschein der Zuordnung zu einer Organisation erwecken, werden von dem Tatbestand nicht erfasst (BGH NJW aaO).
12
b) Eine diesen Maßstäben genügende Ähnlichkeit mit dem Originalleitspruch der Hitlerjugend weist die englische Wortkombination "Blood & Honour" nicht auf. Dabei kommt es - anders als beim Gebrauch der Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" (BGH NJW aaO) - hier nicht entscheidend darauf an, dass das Begriffspaar in einen Gesamtkontext eingebettet war. Denn selbst bei seiner isolierten Betrachtung ist die Gefahr einer Verwechslung mit der Losung der Hitlerjugend ausgeschlossen.
13
aa) Die Beantwortung der Frage, ob Verwechslungsfähigkeit im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB besteht, erfordert nach den oben dargelegten Auslegungsgrundsätzen einen Gesamtvergleich des ursprünglichen Kennzeichens mit dem neu geschaffenen. Zu berücksichtigen sind hierbei alle wesentlichen Merkmale, die das Original prägen. Ergibt dieser Vergleich, dass das Vorbild infolge der vorgenommenen Veränderungen oder Ergänzungen eine so starke Verfremdung erfahren hat, dass sein ursprüngliches Erscheinungsbild in den Hintergrund tritt oder dass es dadurch sogar seinen Bedeutungsgehalt verliert , besteht die Gefahr einer Verwechslung nicht (BGH NJW aaO; BVerfG aaO; Reuter, Verbotene Symbole S. 147). Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers , der durch die Einführung des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB lediglich die Strafbarkeit leicht abgewandelter Symbole nationalsozialistischer Organisationen sicherstellen wollte (BTDrucks. 12/6853 S. 23).
14
bb) Einen solchen Gesamtvergleich hat das Landgericht nicht angestellt. Für eine Verwechslungsgefahr hat es vielmehr als allein ausreichend erachtet, dass das Begriffspaar "Blood & Honour" in der wortgetreuen Übersetzung den gleichen Sinngehalt aufweist wie die Losung "Blut und Ehre" der Hitlerjugend. Dem kann nicht gefolgt werden.
15
Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Gebrauch der englischen Sprache in weiten Teilen der Bevölkerung geläufig ist und die Erfassbarkeit der Bedeutung der Begriffe hier zudem dadurch begünstigt wird, dass das Wort "blood" im Klang- und Schriftbild dem deutschen Wort "Blut" durchaus ähnelt und das englische Wort "honour" im deutschen Sprachgebrauch vergleichbare Anklänge findet, etwa in "honorig" im Sinne von ehrenhaft. Der Senat sieht auch, dass die Parolen metrisch übereinstimmen und die englischen Worte in einen auch im Übrigen nationalsozialistischen Kontext eingebettet sind. Der Gebrauch der Zahlenfolge 18 ist in rechtsextremistischen Kreisen eine geläufige Verschlüsselung für die Buchstaben AH (= Adolf Hitler), die an erster und achter Stelle des Alphabets stehen.
16
Durch diese Umstände wird zwar - fraglos gewollt - ein leicht erkennbarer Zusammenhang zur Losung der Hitlerjugend hergestellt. Dies reicht indes für eine Verwechslungsfähigkeit im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB nicht aus (ebenso Reuter aaO S. 172). Die englische Übersetzung stellt nicht nur eine leichte und deshalb verwechselbare Abwandlung des Vorbilds dar, sondern bewirkt - was das Landgericht in seine Abwägung nicht einbezogen hat - eine grundlegende Umgestaltung des Symbolgehalts des Kennzeichens, das in dieser neu geschaffenen Form von der Hitlerjugend nie benutzt wurde. Die Übereinstimmung beider Kennzeichen erschöpft sich letztlich im identischen Sinngehalt. Dieser hat jedoch den Leitspruch der Hitlerjugend nicht allein geprägt. Vielmehr ist diese Losung, wie alle Parolen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen, untrennbar mit dem Gebrauch der deutschen Sprache verknüpft, die sämtlichen NS-Leitsprüchen eine unverwechselbare Prägung verliehen hat. Das typische Erscheinungsbild der Parole der Hitlerjugend wird durch die Übersetzung in die englische Sprache (oder in andere Sprachen) deshalb grundlegend verändert. Sie verliert dadurch den sie prägenden Symbolcharakter. Durch die Übertragung in eine andere Sprache ist deshalb ein neues Kennzeichen entstanden, das in dem Vorbild keine Entsprechung findet.
17
Derart umgestaltete Symbole unterfallen jedoch nicht dem Schutzzweck des § 86 a StGB. Die Vorschrift dient nicht dazu, jedwedes Bekenntnis zu einer verfassungsfeindlichen oder nationalsozialistischen Organisation unter Strafe zu stellen (vgl. Reuter aaO S. 151), sondern tabuisiert lediglich tatsächlich existierende oder diesen zum Verwechseln ähnliche Symbole dieser Organisationen. Dafür reicht es nicht aus, dass das neue Kennzeichen lediglich einen Bezug zu dem Originalkennzeichen herstellt, aber nicht mehr dessen typischen Symbol- charakter vermittelt. Auf der Grundlage der vom Landgericht vertretenen Rechtsauffassung kommt deshalb eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 86 a StGB nicht in Betracht.
18
2. Der Angeklagte kann sich jedoch - was im Urteil unerörtert geblieben ist - deshalb wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar gemacht haben, weil die T-Shirts, die er zum Verbreiten vorrätig hielt, mit dem Namen der im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Deutschland unanfechtbar verbotenen Vereinigung "Blood & Honour" bedruckt waren.
19
a) Allerdings ist der Name einer Vereinigung als solcher, sofern nicht weitere Umstände hinzutreten, kein Kennzeichen im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 1 StGB (str.; ebenso Fischer, StGB 56. Aufl. § 86 a Rdn. 3 a; aA Steinmetz in MünchKomm-StGB § 86 a Rdn. 7; Reuter aaO S. 140; bejahend für die Abkürzung NSDAP: OLG Hamm NStZ-RR 2004, 12; Steinmetz NStZ 2004, 444; Stegbauer JR 2002, 186).
20
Die Rechtsprechung hat zwar mit Blick auf den Schutzzweck der Norm einen weiten Kennzeichenbegriff entwickelt (BGHSt 52, 364, 371 f.). Kennzeichen sind danach alle sicht- und hörbaren Symbole, deren sich die in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB aufgeführten Organisationen bedienen und bedient haben , um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhänger hinzuweisen. Für die Kennzeicheneigenschaft kommt es dabei weder darauf an, ob das Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen einer bestimmten Vereinigung oder Organisation besitzt (vgl. BGHSt 47, 354), noch ist von Bedeutung, ob das Kennzeichen mehrdeutig ist und deshalb auch in unverfänglichen Zusammenhängen Verwendung findet (vgl. zum stilisierten Keltenkreuz BGHSt 52, 364). Maßgeblich für die Begründung der Kennzeicheneigenschaft ist allein, dass sich die Organisation ein be- stimmtes Kennzeichen durch Übung oder durch einen formalen Autorisierungsakt als Symbol zu eigen gemacht hat.
21
Der Wortlaut des § 86 a Abs. 2 Satz 1 StGB setzt aber mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz der Bestimmtheit der Norm (Art. 103 Abs. 2 GG) der Auslegung des Kennzeichenbegriffs eine äußerste Grenze, die nicht überschritten werden darf (BVerfGE 64, 389, 393 f.). Bei der Auslegung darf deshalb nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gesetz - wenngleich nicht abschließend, aber dennoch beispielhaft - markante Kennzeichen aufzählt, namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen , die dem Tatbestand unterfallen sollen. Durch diese Aufzählung wird jedoch gleichzeitig die Reichweite des Tatbestands bestimmt. Dies bedeutet, dass von der Vorschrift nur solche körperlichen und nichtkörperlichen Erkennungszeichen erfasst werden, die einen den beispielhaft aufgeführten Kennzeichen entsprechenden Symbolcharakter aufweisen. Erforderlich ist deshalb, dass sie einen gedanklich an das äußere Erscheinungsbild gekoppelten, jedoch über dessen unmittelbaren Informationsgehalt hinausgehenden Sinn vermitteln (Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts S. 94). Anerkannt ist dies etwa für Lieder und Kopfbilder von Personen, die sinnbildhaft für eine Organisation oder Vereinigung stehen (vgl. BGH MDR 1965, 923 - für das Horst-Wessel-Lied und das Kopfbild Hitlers; BVerfG, Beschl. vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08 - für den Anfang des Horst-Wessel-Liedes; ablehnend hingegen für das Kopfbild von Rudolph Heß: OLG Rostock NStZ 2002, 320).
22
Jedenfalls der bloßen, nicht abgekürzten Namensbezeichnung einer Vereinigung kommt ein solcher über den Informationsgehalt hinausgehender Symbolcharakter nicht zu. Sie erschöpft sich vielmehr darin, die Vereinigung zu benennen , ohne darüber hinaus, vergleichbar mit den im Gesetz aufgeführten Kennzeichen, in symbolhafter Weise zu wirken (vgl. Fischer aaO).
23
b) Anders verhält es sich freilich dann, wenn sich eine Vereinigung zur Namensgebung einer Parole oder einer Grußformel bedient, die ihrerseits Symbol einer anderen verbotenen Organisation ist oder einem solchen Kennzeichen im oben dargestellten Sinn jedenfalls ähnelt. Dadurch, dass ein verbotenes Sinnbild von einer anderen Vereinigung als Name verwendet wird, verliert es nicht seinen ursprünglichen Kennzeichencharakter. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 a StGB sind darüber hinaus auch dann erfüllt, wenn der Name der verbotenen Vereinigung eine bestimmte Formgebung erfahren hat, etwa als Parteiabzeichen gestaltet ist oder in signifikanten Schriftzügen dargestellt wird (vgl. etwa für die Sigrunen der SS und des Jungvolks BGH NStZ 1983, 261 und MDR bei Schmidt 1986, 177). Durch eine solche Modifikation wird dem Namen einer Vereinigung regelmäßig auch der Charakter eines Sinnbildes verliehen.
24
Mit der zuletzt genannten Möglichkeit hat sich das Landgericht nicht auseinander gesetzt. Ob die Schriftzüge des Namens der verfassungswidrigen Organisation "Blood & Honour" auf den T-Shirts gestalterisch hervorgehoben waren und hierdurch einen die Vereinigung kennzeichnenden Symbolcharakter erfahren haben, kann den Gründen des angefochtenen Urteils nicht entnommen werden. Der Senat vermag deshalb nicht zu beurteilen, ob unter dem Gesichtspunkt einer symbolhaften Namensverwendung eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 86 a StGB begründet ist.
25
3. Der Senat verkennt nicht, dass die oben unter II. 1. und 2. a) gefundenen Ergebnisse zur Konsequenz haben, dass die Verwendung übersetzter NSParolen und gestalterisch nicht modifizierter Namen verfassungswidriger Vereinigungen oder ehemaliger NS-Organisationen unabhängig von den Gesamtumständen ihres Gebrauchs unter dem Aspekt des § 86 a StGB straffrei bleiben. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass einschlägige Kreise diesen Umstand für ihre Zwecke missbrauchen. Dies kann es jedoch nicht rechtfertigen, bei der Auslegung des § 86 a Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB unter Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG die äußerste Wortlautgrenze der Vorschrift zu überschreiten. Dessen hätte es jedoch bedurft, um für solche Fallgestaltungen eine Strafbarkeit nach § 86 a StGB zu begründen.
26
Hinzu kommt zum einen, dass auch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gegen eine Ausdehnung des Tatbestands auf den fremdsprachigen Gebrauch von NS-Parolen spricht. Die Tatbestandsmäßigkeit hinge bei diesen Fallgestaltungen entscheidend davon ab, ob die jeweilige Sprache, in die der Leitspruch übersetzt ist, einen ausreichenden Verbreitungsgrad in der Bevölkerung erfahren hat, um eine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB begründen zu können. Ob und wann dies der Fall ist, wird sich jedoch nicht zuverlässig bestimmen lassen, so dass im Einzelfall die Vorhersehbarkeit strafbaren Verhaltens nicht mehr hinreichend gewährleistet wäre.
27
Wollte man zum anderen schon den bloßen Namen einer von § 86 Abs. 1 Nr. 2 oder 4 StGB erfassten Organisation dem § 86 a Abs. 2 Satz 1 StGB subsumieren, so hätte dies eine ausufernde, mit dem Schutzzweck des § 86 a StGB kaum mehr zu rechtfertigende Ausdehnung der Strafbarkeit zur Folge. Denn damit würde beispielsweise schon jede öffentliche Nennung dieses Namens , die nicht der Sozialadäquanzklausel des § 86 a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB unterfällt, vom objektiven Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst.
28
Im Übrigen sind Sachverhalte wie die vorliegenden nicht notwendigerweise straffrei. Werden die Namen verfassungswidriger oder ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen oder Übersetzungen von NS-Parolen etwa in einem propagandistischen Zusammenhang gebraucht, kommt eine Strafbarkeit nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 2 StGB in Betracht. Zudem können Verhaltensweisen wie die hier zu beurteilenden als Verstoß gegen das Vereinigungsverbot dem Tatbestand des § 85 StGB unterfallen (siehe 4.).
29
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
30
Sollte bei Zugrundelegung der unter II. 2. dargelegten Rechtsgrundsätze eine Verurteilung des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nicht in Betracht kommen, wird zu prüfen sein, ob er sich des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach § 86 Abs. 1 Nr. 2 und/oder 4 und Abs. 2 StGB schuldig gemacht hat. In Anbetracht der eindeutig kämpferischen und aggressiven Tendenzen der Aufschrift auf den sichergestellten T-Shirts (Hand mit Pistole; Verwendung des Begriffs "Combat" für Kampf bzw. Schlacht in Verbindung mit der Verschlüsselung "18" für die Initialen Adolf Hitlers) erscheint eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift nicht fern liegend. Der neue Tatrichter wird sich daher unter Berücksichtigung der Anforderungen, die an die Anwendbarkeit dieses Tatbestands zu stellen sind, mit dem Aussagegehalt der auf den T-Shirts aufgebrachten Schriften und Abbildungen auseinander zu setzen haben (vgl. BGHSt 8, 245, 247; 12, 174, 175; 23, 64, 72 f.). Schließlich wird zu erwägen sein, die nach § 154 a Abs. 2 StPO ausgeschiedene Gesetzesverletzung des § 85 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 2. Alt. StGB wieder in das Verfahren einzubeziehen.
31
Sollte der Angeklagte erneut verurteilt und wieder eine Geldstrafe verhängt werden, verweist der Senat zur Frage der Bemessung der Tagessatzhöhe auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
32
5. Der Senat erstreckt die Aufhebung auch auf die der Verurteilung zugrunde liegenden, für sich rechtsfehlerfreien Feststellungen, da das Landgericht diese allein mit Blick auf die Verurteilung nach § 86 a StGB getroffen und daher den tatsächlichen Umständen keine Aufmerksamkeit zugewendet hat, die für eine Aburteilung der Tat als Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach § 86 StGB bzw. als Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot nach § 85 StGB bedeutsam sein können.
33
III. Revision der Staatsanwaltschaft
34
Das Rechtsmittel ist wirksam auf die unterbliebene Anordnung der Einziehung der sichergestellten T-Shirts beschränkt. Es führt zum Erfolg. Die T-Shirts hätten auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Landgerichts nach §§ 92 b, 74, 74 d StGB eingezogen werden können. Die gebotene Ermessensentscheidung hat das Landgericht - ersichtlich versehentlich - nicht getroffen. Dies stellt einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten dar. Zwar erweist sich die Auffassung des Landgerichts rechtsfehlerhaft, so dass das angefochtene Urteil auf die Revision des Angeklagten aufzuheben ist.
Da jedoch aufgrund neu zu treffender Feststellungen noch eine Verurteilung des Angeklagten in Betracht kommt, die eine Einziehung der T-Shirts als weitere Rechtsfolge zulässt, muss die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg haben. Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Wer unbefugt

1.
inländische oder ausländische Amts- oder Dienstbezeichnungen, akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt,
2.
die Berufsbezeichnung Arzt, Zahnarzt, Psychologischer Psychotherapeut, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychotherapeut, Tierarzt, Apotheker, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Steuerberater oder Steuerbevollmächtigter führt,
3.
die Bezeichnung öffentlich bestellter Sachverständiger führt oder
4.
inländische oder ausländische Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen trägt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Den in Absatz 1 genannten Bezeichnungen, akademischen Graden, Titeln, Würden, Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Amtsbezeichnungen, Titel, Würden, Amtskleidungen und Amtsabzeichen der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 4, allein oder in Verbindung mit Absatz 2 oder 3, bezieht, können eingezogen werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder
2.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) § 86 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder
2.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) § 86 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.

(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn

1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder
2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.

(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.

(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn

1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder
2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.

(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Wer im räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes durch eine darin ausgeübte Tätigkeit

1.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereins entgegen einem vollziehbaren Verbot oder entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß er Ersatzorganisation eines verbotenen Vereins ist, aufrechterhält oder sich in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
2.
den organisatorischen Zusammenhalt einer Partei oder eines Vereins entgegen einer vollziehbaren Feststellung, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind (§ 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes), aufrechterhält oder sich in einer solchen Partei oder in einem solchen Verein als Mitglied betätigt,
3.
den organisatorischen Zusammenhalt eines Vereines oder einer Partei der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Art oder deren weitere Betätigung unterstützt,
4.
einem vollziehbaren Verbot nach § 14 Abs. 3 Satz 1 oder § 18 Satz 2 zuwiderhandelt oder
5.
Kennzeichen einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Vereine oder Parteien oder eines von einem Betätigungsverbot nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 3 Satz 1 betroffenen Vereins während der Vollziehbarkeit des Verbots oder der Feststellung verbreitet oder öffentlich oder in einer Versammlung verwendet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in den §§ 84, 85, 86a oder den §§ 129 bis 129b des Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht ist. In den Fällen der Nummer 5 gilt § 9 Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 oder 3 entsprechend.

(2) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach Absatz 1 absehen, wenn

1.
bei Beteiligten die Schuld gering oder deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist oder
2.
der Täter sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Partei oder des Vereins zu verhindern; erreicht er dieses Ziel oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird der Täter nicht bestraft.

(3) Kennzeichen, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Nr. 5 bezieht, können eingezogen werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Von der Eintragung sind als Marke schutzfähige Zeichen im Sinne des § 3 ausgeschlossen, die nicht geeignet sind, in dem Register so dargestellt zu werden, dass die zuständigen Behörden und das Publikum den Gegenstand des Schutzes klar und eindeutig bestimmen können.

(2) Von der Eintragung ausgeschlossen sind Marken,

1.
denen für die Waren oder Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt,
2.
die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft, der Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können,
3.
die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten zur Bezeichnung der Waren oder Dienstleistungen üblich geworden sind,
4.
die geeignet sind, das Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geographische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu täuschen,
5.
die gegen die öffentliche Ordnung oder die gegen die guten Sitten verstoßen,
6.
die Staatswappen, Staatsflaggen oder andere staatliche Hoheitszeichen oder Wappen eines inländischen Ortes oder eines inländischen Gemeinde- oder weiteren Kommunalverbandes enthalten,
7.
die amtliche Prüf- oder Gewährzeichen enthalten,
8.
die Wappen, Flaggen oder andere Kennzeichen, Siegel oder Bezeichnungen internationaler zwischenstaatlicher Organisationen enthalten,
9.
die nach deutschem Recht, nach Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder nach internationalen Übereinkünften, denen die Europäische Union oder die Bundesrepublik Deutschland angehört, und die Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben schützen, von der Eintragung ausgeschlossen sind,
10.
die nach Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder von internationalen Übereinkünften, denen die Europäische Union angehört, und die dem Schutz von traditionellen Bezeichnungen für Weine dienen, von der Eintragung ausgeschlossen sind,
11.
die nach Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder nach internationalen Übereinkünften, denen die Europäische Union angehört, und die dem Schutz von traditionellen Spezialitäten dienen, von der Eintragung ausgeschlossen sind,
12.
die aus einer im Einklang mit deutschem Recht, mit den Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder mit internationalen Übereinkünften, denen die Europäische Union oder die Bundesrepublik Deutschland angehört, zu Sortenschutzrechten eingetragenen früheren Sortenbezeichnung bestehen oder diese in ihren wesentlichen Elementen wiedergeben und die sich auf Pflanzensorten derselben Art oder eng verwandter Arten beziehen,
13.
deren Benutzung ersichtlich nach sonstigen Vorschriften im öffentlichen Interesse untersagt werden kann, oder
14.
die bösgläubig angemeldet worden sind.

(3) Absatz 2 Nr. 1, 2 und 3 findet keine Anwendung, wenn die Marke sich vor dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Eintragung infolge ihrer Benutzung für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt hat.

(4) Absatz 2 Nr. 6, 7 und 8 ist auch anzuwenden, wenn die Marke die Nachahmung eines dort aufgeführten Zeichens enthält. Absatz 2 Nr. 6, 7 und 8 ist nicht anzuwenden, wenn der Anmelder befugt ist, in der Marke eines der dort aufgeführten Zeichen zu führen, selbst wenn es mit einem anderen der dort aufgeführten Zeichen verwechselt werden kann. Absatz 2 Nr. 7 ist ferner nicht anzuwenden, wenn die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marke angemeldet worden ist, mit denen, für die das Prüf- oder Gewährzeichen eingeführt ist, weder identisch noch diesen ähnlich sind. Absatz 2 Nr. 8 ist ferner nicht anzuwenden, wenn die angemeldete Marke nicht geeignet ist, beim Publikum den unzutreffenden Eindruck einer Verbindung mit der internationalen zwischenstaatlichen Organisation hervorzurufen.

(1) Die Eintragung einer Marke wird auf Antrag für nichtig erklärt und gelöscht, wenn sie entgegen §§ 3, 7 oder 8 eingetragen worden ist.

(2) Ist die Marke entgegen § 3, 7 oder 8 Absatz 2 Nummer 1 bis 13 eingetragen worden, so kann die Eintragung nur für nichtig erklärt und gelöscht werden, wenn das Schutzhindernis noch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit besteht. § 8 Absatz 2 Nummer 1, 2 oder 3 findet im Nichtigkeitsverfahren keine Anwendung, wenn die Marke sich bis zu dem Antrag auf Erklärung der Nichtigkeit infolge ihrer Benutzung für die Waren und Dienstleistungen, für die sie eingetragen worden ist, in den beteiligten Verkehrskreisen durchgesetzt hat. Ist die Marke entgegen § 8 Absatz 2 Nummer 1, 2 oder 3 eingetragen worden, so kann die Eintragung nur dann gelöscht werden, wenn der Antrag auf Löschung innerhalb von zehn Jahren seit dem Tag der Eintragung gestellt wird.

(3) Die Eintragung einer Marke kann von Amts wegen für nichtig erklärt und gelöscht werden, wenn sie entgegen § 8 Abs. 2 Nummer 4 bis 14 eingetragen worden ist und

1.
das Nichtigkeitsverfahren innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren seit dem Tag der Eintragung eingeleitet wird,
2.
das Schutzhindernis gemäß § 8 Abs. 2 Nummer 4 bis 13 auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Erklärung der Nichtigkeit besteht und
3.
die Eintragung ersichtlich entgegen den genannten Vorschriften vorgenommen worden ist.

(4) Liegt ein Nichtigkeitsgrund nur für einen Teil der Waren oder Dienstleistungen vor, für die die Marke eingetragen ist, so wird die Eintragung nur für diese Waren oder Dienstleistungen für nichtig erklärt und gelöscht.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.

(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.

(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/10
vom
11. Oktober 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
AEUV Art. 34, 36
1. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf liegt ein Verbreiten in Deutschland gemäß
§ 17 UrhG schon dann vor, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in
Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem
und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies
einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen
von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt
sind.
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn
gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit
entgegen.
3. Zum Verbotsirrtum.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10 - LG München II
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich
geschützter Werke
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt sowie
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Oktober 2009 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in 485 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat festgestellt, dass in Höhe von 59.363,16 € nicht auf Verfall erkannt werde, weil Ansprüche von Verletzten ent- gegenstehen.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat keinen Erfolg.

A.

3
Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte in Italien verkaufte Vervielfältigungsstücke von in Deutschland urheberrechtlich geschützten Einrichtungsgegenständen an deutsche Kunden mittels seiner Spedition ausgeliefert hat.

I.

4
1. Dazu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
5
Die Firma D. mit Sitz in Bologna (nachfolgend D. ) bot in Deutschland ansässigen Kunden durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internet-Website Nachbauten von Einrichtungsgegenständen im sogenannten „Bauhausstil“ zum Kauf an, ohne über Lizenzen für deren Vertrieb in Deutsch- land zu verfügen. Es handelte sich - soweit verfahrensgegenständlich - um Nachbauten von: - Stühlen der Aluminium-Group, entworfen von Charles und Ray Eames, Lizenzinhaber Firma Vitra Collections AG, - der Wagenfeldleuchte, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Lizenzinhaber Firma Tecnolumen GmbH & Co. KG, - Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, Lizenzinhaber Firma Cassina SpA, - dem Beistelltisch "Adjustable Table" und der Leuchte "Tubelight", entworfen von Eileen Gray, Lizenzinhaber Firma Classicon GmbH, - Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam, Lizenzinhaber Firma Thonet GmbH.
6
Für diese Gegenstände bestand im relevanten Tatzeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 15. Januar 2008 in Italien jedenfalls kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. In Deutschland waren sie hingegen als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt.
7
Der Angeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger, war Geschäftsführer und Gesellschafter zu 90 % der Firma I. (nachfolgend I. genannt ), einer Spedition, die ebenfalls ihren Sitz in Bologna hatte. Er betrieb seine Geschäfte jedoch im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.
8
Die Firma I. war seit mindestens April 1999 mit der Auslieferung der vorbenannten Nachbauten befasst. Der Vertrieb war zunächst in der Weise organisiert worden, dass die Möbel - ohne einzelnen Endabnehmern zugeordnet zu sein - in ein vom Angeklagten unterhaltenes Lager in Deutschland verbracht und sodann an die Kunden geliefert wurden. Das wegen dieses Sachverhalts vor dem Amtsgericht München geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 120.000 € im Dezember 2006 endgültig eingestellt. Spätestens durch dieses Strafverfahren wussten sowohl der Angeklagte als auch der Geschäftsführer der Firma D. um den urheberrechtlichen Schutz der Vervielfältigungsstücke in Deutschland.
9
Der Verteidiger des Angeklagten in diesem Strafverfahren, Rechtsanwalt Sk. , teilte dem Angeklagten mit, dass nach seiner Auffassung die Einfuhr „EU-rechtlich auch möglich sein“ müsse. Hierzu müssten das Lager in Deutsch- land und die Kunden in der Auswahl der Spedition frei sein. Nachfragen des Angeklagten hierzu erfolgten nicht. Der Angeklagte wurde zudem von dem Geschäftsführer der Firma D. , La. und dem italienischen Rechtsanwalt dieser Firma dahingehend informiert, dass die Gefahr einer Strafverfolgung nicht mehr bestehe, wenn das Auslieferungslager nach Italien verlegt werde. La. berief sich dabei auch auf eine ihm erteilte Auskunft eines Frankfurter Rechtsanwalts. Des Weiteren trat der Angeklagte einmal in Kontakt mit Rechtsanwalt U. aus Frankfurt. Dieser teilte ihm mit, er sehe grundsätzlich kein Problem, müsse die Frage aber abklären. Ein weiterer Kontakt erfolgte nicht.
10
Während des Laufs des Strafverfahrens wurde die Durchführung der Auslieferung geändert und nunmehr für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum wie folgt durchgeführt: Die Firma D. unterhielt für ihr Warenangebot ein Auslieferungslager im italienischen Sterzing. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren die Kunden verpflichtet, die bestellte Ware selbst in Italien abzuholen oder abholen zu lassen. Die Bestellung der deutschen Kunden erfolgte per Fax, per E-Mail, über ein auf der Website abrufbares Bestellformular oder telefonisch bei einer deutschsprachigen Mitarbeiterin. In den verfahrensgegenständlichen Fällen wollten die Kunden die Ware weder selbst abholen noch eine Spedition benennen. Die Firma D. empfahl die Beauftragung der Firma I. und sandte dem Kunden ein Werbeschreiben der Firma I. zu, in dem diese den Transport von Italien nach Deutschland anbot. Die Kunden beauftragten die Firma I. mit dem Transport der von ihnen gekauften Ware. In Werbematerial der Firma D. war ausgeführt , der Kunde erwerbe die Möbel in Italien, zahle aber erst bei Übernahme der Ware. Die Rechnungen schickte die Firma D. direkt an die Kunden.
11
Im Auslieferungslager in Sterzing wurden die aus Deutschland bestellten Einrichtungsgegenstände in verpacktem Zustand bereitgehalten. Auf der Verpackung waren Name und Adresse des Bestellers oder zumindest die Auftragsnummer angegeben. Die Fahrer der Firma I. holten die den Kunden konkret zugeordneten Gegenstände in Sterzing ab, bezahlten den jeweiligen Kaufpreis an die Firma D. und zogen bei Ablieferung an den Besteller in Deutschland Kaufpreis und Frachtlohn vom Kunden ein. Wenn ein Kunde bei der Auslieferung der Einrichtungsgegenstände diese nicht bezahlte, wurde die Ware nicht herausgegeben, sondern mit einem entsprechenden Kommentar an die Firma D. zurückgesandt. Diese erstattete der Firma I. den zuvor entrichteten Kaufpreis im Wege der Verrechnung und bezahlte die Frachtkosten. Von den 2.399 Lieferungen im Tatzeitraum erfolgten 484 Lieferungen durch den Angeklagten selbst, die übrigen durch angestellte Fahrer. Für die Lieferungen ab dem 1. Januar 2007 erhielt die Firma I. Frachtlöhne in Höhe von mindestens 59.363,16 €.
12
2. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB gestützt.
13
Die Firma D. , vertreten durch den Geschäftsführer La. , habe Vervielfältigungsstücke der Werke in Deutschland durch Inverkehrbringen verbreitet. Zum Verbreiten sei neben der bereits am Lager in Sterzing erfolgten Eigentumsübertragung ein Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Die Firma D. habe - entgegen einem beabsichtigten Anschein - ihre Verfügungsgewalt bis zur Ablieferung an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung trotz erfolgter Übereignung nicht aus der Hand gegeben. Sie sei daher erst in Deutschland mit Hilfe des Angeklagten auf den Kunden übergegangen. Der Angeklagte sei zwar davon ausgegangen, dass eine Strafverfolgung in Deutschland unter den praktizierten Lieferbedingungen entfalle. Dieser Verbotsirrtum sei jedoch vermeidbar gewesen, da er zu dem Geschäftsmodell keinen ausreichenden Rechtsrat eingeholt habe.
14
Der Strafbarkeit des Angeklagten stehe auch die Warenverkehrsfreiheit nicht entgegen, da die sich aus den nationalen Regelungen zum Urheberrecht ergebende Beschränkung derselben zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei.

II.

15
Der Senat hat aufgrund Beschlusses vom 8. Dezember 2010 dem Gerichtshof der Europäischen Union (im folgenden EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
16
Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ
17
- dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird,
18
- der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?
19
Daraufhin hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 2012 (Rechtssache C 5/11, EuZW 2012, 663) entschieden:
20
1. Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lie- ferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 derRichtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.
21
2. Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.

B.

22
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

23
Die Verfahrensrüge, § 261 StPO sei verletzt, weil das Landgericht den Inhalt der im Urteil als „verlesen“ wiedergegebenen Lieferlisten und-scheine (UA S. 11 bis 108) nicht in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt habe, dringt - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit - in der Sache nicht durch.
24
1. Die Revision trägt vor, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe sich, dass die besagten Lieferlisten und -scheine nicht im Wege eines ordnungsgemäß angeordneten Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien. Sie seien auch sonst nicht eingeführt worden.
25
2. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 3. August 2009 enthält folgende Eintragung:
26
"Es wurde sodann in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Verfahrensbeteiligten erhielten eine Liste mit aufgeführten Urkunden ausgehändigt, welche die Kammer gemäß § 249 II StPO in die Verhandlung einführen will. - Anlage II zum Protokoll - Der Verteidiger des Angeklagten Do. … widersprach, soweit die in seinem Antrag aufgeführten Unterlagen betreffe.“
27
In Anlage II zum Protokoll vom 3. August 2009 befindet sich ein Abdruck der "Urkundenliste gem. § 249 Abs. 2 StPO", die u.a. einen Beweismittelordner umfasst, der die Lieferlisten und -scheine beinhaltet, die laut Urteil in den Tabellen UA S. 11 bis 108 wiedergegeben sind.
28
Im Protokoll vom 22. September 2009 Seite 4 oben ist sodann ausgeführt : „Es wurde festgestellt, dass das Gericht einschließlich der Schöffen von dem Wortlaut der Urkunden gemäß übergebenen Listen Kenntnis genommen hat und die übrigen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten hiervon Kenntnis zu nehmen."
29
3. Der Senat folgt schon nicht der Auffassung der Revision, das Selbstleseverfahren sei lediglich angekündigt, nicht aber angeordnet worden. Vielmehr ergibt die Beweiskraft des Protokolls, dass der Inhalt der Lieferlisten im Wege des Selbstleseverfahrens in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
30
Hier ist bei der - durch § 274 StPO nicht ausgeschlossenen, vielmehr bei zweifelhaftem Sinn des Protokolls gebotenen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 274 Rn. 5 mwN) - Auslegung maßgeblich auch das tatsächliche Vorgehen der Strafkammer zu berücksichtigen. Den Verfahrensbeteiligten wurde nämlich nicht nur mitgeteilt, die Strafkammer wolle Urkunden im Selbstleseverfahren einführen, sondern diese Urkunden wurden durch die aufgenommene „Urkun- denliste gem. § 249 Abs. 2 StPO" im Protokoll im Einzelnen bezeichnet. Zudem erhielten die Verfahrensbeteiligen zugleich einen Abdruck dieser Liste ausgehändigt. Danach kann in der protokollierten Mitteilung nicht mehr eine bloße Absichtserklärung gesehen werden; sie ist vielmehr als Anordnung des Selbstleseverfahrens durch das Gericht auszulegen, auch wenn das Wort Anordnung darin nicht vorkommt. Das Wort "will" deutet lediglich auf die übrigen zur Umsetzung erforderlichen Handlungsakte - wie Kenntnisnahme bzw. Gelegenheit zur Kenntnisnahme - hin. Dass die Verfahrensbeteiligten hierin auch eine eindeutige Anordnung gesehen haben, wird belegt durch den vom Instanzverteidiger daraufhin - neben einem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhobenen Verwertungswiderspruch - eingelegten Widerspruch gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO. Tragfähige Anhaltspunkte, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Revision weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass der Widerruf des Verteidigers nicht beschieden worden ist. Daraus schließt der Senat jedoch nicht, dass die Strafkammer davon überzeugt gewesen wäre, dass die Voraussetzungen für ein Selbstleseverfahren nicht vorgelegen haben und auf der Grundlage dieser Überzeugung dann dennoch ein solches durchgeführt hat. Freilich ist die Bescheidung des Widerspruchs rechtsfehlerhaft unterbleiben. Die allein erhobene Rüge, ein Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ohne dass es zuvor angeordnet worden sei, kann jedoch nicht in die wesensverschiedene Rüge umgedeutet werden, der gegen die Anordnung eines Selbstleseverfahrens vorgebrachte Widerspruch sei nicht verbeschieden worden (vgl. zur Bedeutung der Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09, NJW 2011, 1523, 1525).
31
Folgerichtig hat der Vorsitzende hinsichtlich der bezeichneten Urkundenliste die Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO getroffen. Hierdurch wird beweiskräftig der Hinweis an die Verfahrensbeteiligten belegt, dass insoweit der Urkundsbeweis im Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurde und als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20).
32
4. Im Übrigen wurden die für die Urteilsfindung relevanten Informationen aus den Lieferlisten und -scheinen auch auf andere Weise Gegenstand der Hauptverhandlung.
33
a) Denn der Angeklagte hat - was die Revision nicht mitteilt - ausweislich der Urteilsfeststellungen die Durchführung der Lieferungen entsprechend geschildert (UA S. 110, 126, 127). Zwar sind der Einführung von in Urkunden enthaltenen umfangreichen und detaillierten Informationen über eine Auskunftsperson Grenzen gesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733; BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529, 1531; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH, Beschluss vom 13. April 1999 - 1 StR 107/99, NStZ 1999, 424). Angesichts von Besonderheiten der Fallgestaltung steht dies hier der Einführung der für die Urteilsfindung bedeutsamen Umstände der Lieferungen über die Einlassung des Angeklagten nicht entgegen. Hierfür war zum einen von Bedeutung, dass es sich um aus den Geschäftsunterlagen des Angeklagten ergebende Informationen handelte, die zudem schon Gegenstand der Anklageschrift waren. Deren Richtigkeit konnte der Angeklagte also bereits zuvor im Hinblick auf das Strafverfahren prüfen. Zum anderen waren unter Berücksichtigung dieser vorherigen Prüfungsmöglichkeit die für die Urteilsfindung belangvollen Informationen - vor allem Anzahl und Zeitraum der Transportfahrten sowie hierfür erhaltener Frachtlohn - sehr wohl einer zusammenfassenden Schilderung zugänglich.
34
Dies gilt entsprechend für die Einführung der relevanten Informationen durch die Angaben der Zeuginnen Sc. und H. , beide gemäß den Urteilsgründen Sachbearbeiterinnen des Zolls, die die Listen und -scheine vorab gesichtet und ausgewertet haben. So stellt die Strafkammer ausdrücklich fest, dass die Angaben zur Höhe des Frachtlohns auf den Angaben der Zeugin Sc. beruhen. Dass diese Informationen zu komplex sein sollten, um auch in einer nur 23 Minuten währenden Zeugeneinvernahme geklärt werden zu können, erschließt sich dem Senat nicht.
35
b) Soweit die Urteilsgründe daneben unter Verweis auf die Verlesung der Lieferlisten und -scheine eine Vielzahl der sich daraus ergebenden Details, wie z.B. die Namen der belieferten Kunden und der im Einzelnen gelieferten Einrichtungsgegenstände , enthalten, war dies für die Urteilsfindung ohne Belang und ersichtlich nur der Vollständigkeit und Genauigkeit wegen bei unstreitigem und unzweifelhaftem Sachverhalt aufgenommen worden. Insoweit wäre jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verstoß auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - 1 StR 342/08, wistra 2009, 359; BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235, 236; vgl. schon zum Ausschluss eines Verfahrensverstoßes BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529).

II.

36
Auch die sachlich-rechtliche Prüfung zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
37
Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler getroffenen Feststellungen strafbare Taten nach § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG bejaht, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat (nachfolgend 1.). Die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV stehen einer Strafbarkeit nicht entgegen (nachfolgend 2.). Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Denn jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines - allerdings eher fernliegenden - Verbotsirrtums ausgegangen (nachfolgend 3.).
38
1. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte dabei geholfen, in Deutschland geschützte Werke der angewandten Kunst gewerbsmäßig im Schutzland zu verbreiten (zum Territorialitätsprinzip vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 - I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 Rn. 17ff.; Dreier in Dreier/Schulze,UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 32).
39
a) Die genannten Einrichtungsgegenstände genießen in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1961 - I ZR 127/59, GRUR 1961, 635 - Stahlrohrstuhl I; BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - I ZR 102/79, GRUR 1981, 820 - Stahlrohrstuhl II; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 - Le-Corbusier-Möbel; OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903 - Bauhausleuchte). Bestand, Inhalt, Umfang und Inhaberschaft eines Schutzrechts richten sich nach dem Recht desjenigen Staates, für dessen Territorium es Wirkung entfalten soll, also nach dem Recht des Schutzlands (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 28, 30 mwN; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rn. 129 ff.).
40
b) Die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke wurden ohne Einwilligung der Berechtigten von dem Verantwortlichen der Firma D. gemäß § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG in Deutschland verbreitet.
41
aa) Zu Recht hat das Landgericht wegen der Urheberrechtsakzessorietät dieser Strafvorschriften den Verbreitungsbegriff des § 17 UrhG zugrunde gelegt (BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93; Hildebrandt in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. § 106 Rn. 17).
42
bb) § 17 Abs. 1 UrhG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden RL 2001/29/EG). Es besteht deshalb die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung dieser Norm nationalen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03, NJW 2009, 2960; BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 Rn. 32 f. Wagenfeld-Leuchte; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 99).
43
cc) Für die Auslegung des Verbreitungsbegriffs gemäß Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG wiederum - und nicht etwa zur Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall, was allein den nationalen Gerichten obliegt (vgl. dd) - war die Vorabentscheidung durch den EuGH bestimmend (zur Urteilswirkung Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV EUV, 5. Aufl., § 267 Rn. 37).
44
Der EuGH hat zur Begründung der oben unter A.II. wiedergegebenen Beantwortung der Vorlagefrage zu 1. ausgeführt, dass die RL 2001/29/EG dazu diene, den Verpflichtungen nachzukommen, die der Union nach dem WIPOUrheberrechtsvertrag (WCT; UNTS Bd. 2186, S. 121; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754; vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09) obliegen und Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen seien. Deswegen sei „Verbreitung durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG im Einklang mit Art.6 Abs. 1 WCT auszulegen und gleichbedeutend mit der dort verwandten Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ (EuGH aaO Rn. 23 f. mwN).
45
Um einen wirksamen Schutz des Urheberrechts entsprechend der Intention der RL 2001/29/EG zu sichern, so der EuGH, müsse der darin verwandte Begriff der Verbreitung eine autonome Auslegung im Unionsrecht erfahren, die nicht von dem Recht abhängen könne, das auf die Geschäfte anwendbar sei, in deren Rahmen eine Verbreitung erfolge und über das die Parteien verfügen könnten (EuGH aaO Rn. 25). Zur weiteren Begründung insoweit verweist er auf die Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Sache, der weitergehend ausführt , dass es dem Urheber möglich sein müsse, die kommerzielle Nutzung seiner Werke von der Vervielfältigung über die Vertriebswege tatsächlich und wirksam zu kontrollieren (Nrn. 50 bis 53 der Schlussanträge, zur Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 3 der Rom-II-Verordnung vgl. dort Nr. 51).
46
Dementsprechend hat der EuGH weiter ausgeführt, dass sich die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen auszeichne, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reichten. Bei einem grenzüberschrei- tenden Verkauf könnten Handlungen, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG führten, in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden. Ein Händler sei daher für jede von ihm selbst oder für seine Rech- nung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führe, in demdie in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt seien. Ihm könne ebenfalls jede derartige von einem Dritten vorgenommene Handlung zugerechnet werden, wenn der betreffende Händler speziell die Öffentlichkeit des Bestimmungsstaats ansprechen wollte und ihm das Verhalten dieses Dritten nicht unbekannt sein konnte (EuGH, aaO Rn. 26 f.).
47
dd) Entsprechend diesem Schutzniveau des Gemeinschaftsrechts legt der Senat den Begriff des Verbreitens gemäß § 17 UrhG so aus, dass bei ei- nem grenzüberschreitenden Verkauf ein Verbreiten in Deutschland gemäß § 17 UrhG schon dann vorliegt, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind.
48
Danach ist weder ein Eigentumsübergang noch ein Wechsel der Verfügungsgewalt in Deutschland zwingend erforderlich. Bei Nutzung eines gezielten und eingespielten Vertriebsweges hierher ist beim grenzüberschreitenden Verkauf hinreichend, dass eine dem Händler zuzurechnende Vertriebshandlung in Deutschland stattfindet, um das Tatbestandsmerkmal des § 106 Abs. 1 UrhG zu erfüllen.
49
ee) In diesem Sinne sind die Einrichtungsgegenstände von der Firma D. , also dem Verantwortlichen La. in Deutschland verbreitet worden. Zwar war die Firma D. unmittelbar nur in Italien, mithin nicht im Schutzland tätig. Jedoch sind dieser Firma die in Deutschland erfolgten Lieferungen durch die Firma I. als ihre Vertriebshandlung zuzurechnen. Denn die Urteilsfeststellungen belegen eine gezielte Ausrichtung der Vertriebstätigkeit der Firma D. auf in Deutschland ansässige Kunden und spezifisch für diese geschaffene Liefer- und Zahlungsmodalitäten.
50
So wurden die von der Firma D. ohne Lizenz vertriebenen Vervielfältigungsstücke in Deutschland durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben, durch zu Werbezwecken versandte, deutschsprachige Kataloge sowie mittels einer auch deutschsprachigen Internetseite beworben und zum Kauf angeboten. Für die Abwicklung stand deutschsprachi- ges Personal zur Verfügung. Dies lässt den Schluss zu, dass die FirmaD. gezielt in Deutschland ansässige Kunden ansprechen und unter ihnen die Einrichtungsgegenstände verbreiten wollte. Zum anderen schuf sich die Firma D. für den Transport zu deutschen Kunden durch die seit Jahren bestehende , enge Zusammenarbeit mit der Spedition des Angeklagten einen eingespielten Vertriebsweg von Italien nach Deutschland.
51
Darüber hinaus hat das Landgericht zu Recht auf die spezifischen Zahlungsmodalitäten abgestellt, wie die Herausgabeverweigerung bei Nichtzahlung des Kunden, die Rücksendung der Ware an D. und die Erstattung von Kaufpreis und Frachtlohn an I. durch D. . Daraus durfte es folgern , die Firma D. mache im Zusammenwirken mit der Firma I. trotz der bereits erfolgten Übereignung die Übergabe der Ware von der Bezahlung des Kaufpreises durch den Kunden abhängig. Dass das Landgericht diese Feststellung zur Grundlage genommen hat, um zu belegen, dass die Ware die betriebliche Sphäre des Verkäufers erst mit Auslieferung an die in Deutschland ansässigen Kunden verließ, also erst dort der Kunde die Verfügungsgewalt erlangte , beruht auf der Anwendung eines seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten engeren Verbreitungsbegriffs. Die Annahme dieser engeren Voraussetzungen durch das Landgericht - Zurechnung der Handlungen des Angeklagten zur betrieblichen Sphäre der Firma D. - belegt zwanglos auch die nach der Entscheidung des EuGH nur mehr erforderliche Verantwortlichkeit des Händlers für die ihm aufgrund eingespielter Vertriebswege bekannte Mitwirkung Dritter an deren Umsetzung.
52
c) Die Annahme, der Angeklagte, dem die gezielte Tätigkeit der Firma I. zur Verbreitung urheberrechtlich geschützter Waren in Deutschland ebenso bekannt war, wie seine bei der Verbreitung nicht nur untergeordnete Rolle, sei lediglich Teilnehmer und nicht sogar Mittäter, beschwert den Angeklagten nicht.
53
d) Auch die Annahme gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 108a UrhG begegnet keinen Bedenken.
54
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit entgegen.
55
Zwar kann jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ i.S.v. Art.34 AEUV darstellen und daher unzulässig sein (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - C 322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, GRUR 2004, 174 Rn. 66; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974 - C 8/74, Dassonville, NJW 1975, 515 Rn. 5). Solche Maßnahmen können indes aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu im Kernbereich auch das Urheberrecht zählt (EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - Rs 55/80, MusikVertrieb Membran/GEMA, EuGHE 1981, 147, 162; Ulrich/Konrad in Dauses , Hdb. EU-WirtschaftsR C.III Rn. 8 mwN), gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 AEUV ab 1. Dezember 2009, vormals Art. 30 EGV).
56
Beschränkungen, die auf dem Unterschied in den nationalen Regelungen über die Schutzfristen beruhen, sind gerechtfertigt, wenn diese untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft sind (vgl. etwa EuGH aaO, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12). Das muss dann erst recht gelten, wenn an sich bestehende Schutzrechte nur unterschiedlich durchsetzbar sind, denn die Beschränkung, die für einen Händler aufgrund des strafrechtlich sanktionierten Verbreitungsverbots besteht, beruht in derartigen Fällen ebenfalls nicht auf einer Handlung oder auf der Zustimmung des Rechtsinhabers, sondern darauf , dass die Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urheberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, wie der EuGH in der Vorabentscheidung in dieser Sache klargestellt hat (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012, Rechtssache C 5/11, Rn. 34, EuZW 2012, 663).
57
Dies muss auch nicht zu einer unzulässigen, weil unverhältnismäßigen und künstlichen Abschottung der Märkte führen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 7 f.). Denn von den Mitgliedstaaten kann zum Schutz des Urheberrechts auch eine Strafbarkeit als erforderlich angesehen werden; die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs ist gerechtfertigt und verfolgt einen legitimen Zweck, wenn sich der Beschuldigte absichtlich oder zumindest wissentlich an Handlungen beteiligt hat, die zur Verbreitung geschützter Werke an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führen, in dem das Urheberrecht in vollem Umfang geschützt ist, und so das ausschließliche Recht des Inhabers dieses Rechts beeinträchtigen (EuGH aaO Rn. 36).
58
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Das dem Urheberrechtsinhaber nach § 17 UrhG zustehende ausschließliche Verbreitungsrecht gilt unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse. Für die geschützten Werke bestand in Italien im Tatzeitraum entweder nur eine verkürzte Schutzfrist oder der an sich bestehende urheberrechtliche Schutz war nicht durchsetzbar. Zudem wurden die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke unter Beteiligung des Angeklagten im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts in Deutschland verbreitet, welches speziell auf Kunden in Deutschland ausgerichtet war (II. 1.) und von Italien aus abgeschlossen wurde. Die Beschränkung des italienischen Anbieters durch ein sanktioniertes Verbreitungsverbot in Deutschland beruht somit ausschließlich auf den unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen des deutschen und des italienischen Urheberrechts und ist mithin gerechtfertigt.
59
3. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft.
60
Das Landgericht hat sich von einem schuldhaften Handeln des Angeklagten überzeugt. Entgegen der fehlerhaften, den sich eindeutig ergebenden Sinn indes nicht in Frage stellenden Formulierung im Urteil handelte der Ange- klagte nicht „ohne Schuld“. Denn der angenommene Verbotsirrtum ist - wie das Landgericht insoweit zutreffend ausführt - jedenfalls vermeidbar gewesen (§ 17 Satz 2 StGB).
61
a) Zwar begegnet die Annahme eines Verbotsirrtums Bedenken, indes ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert.
62
Das Landgericht legt seiner Würdigung zugrunde, der Angeklagte sei davon ausgegangen, mit der Verlegung des Lagers nach Italien würde eine Strafbarkeit in Deutschland entfallen. Dies gründet es auf die unwiderlegte Einlassung , er sei in diese Richtung beraten worden.
63
Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160).
64
Zu einer solchen Gesamtwürdigung aller für das Vorstellungsbild des Angeklagten relevanten Umstände hätte indes hier Anlass bestanden. Dass dies unterblieben ist, lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der Frage, ob dem Angeklagten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
65
Denn der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 5 StR 514/09, NJW 2011, 1236, 1239 mwN). Für ein solches Vorstellungsbild sprechende Indizien lässt das Landgericht unerörtert.
66
So war dem Angeklagten aus dem ersten Strafverfahren bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte. Die ihm zuteil gewordene rechtliche Beratung erfolgte zu Geschäftsmodellen, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen. Dies setzt aber eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160). So lag es hier, denn der Angeklagte konnte sich für die lediglich erhoffte Annahme der Straflosigkeit auf keine höchstrichterlichen Entscheidungen stützen. Deswegen kommt auch dem Aspekt, dass der Begriff der Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG durch den EuGH erst in diesem Verfahren eine weitere Auslegung erfahren hat, für die Irrtumsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
67
In diesem Zusammenhang hätte zudem nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass die vom Angeklagten praktizierten Lieferbedingungen entgegen einem beabsichtigten Anschein darauf ausgerichtet waren, Einwirkungsmöglichkeiten der Firma D. bis zur Zahlung durch den Kunden aufrecht zu erhalten. Diese Verfahrensweise hätte Anlass sein müssen, zu prüfen, ob der Angeklagte nicht von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit des praktizierten Geschäftsmodells ausgegangen ist, weil anderenfalls kein Erfordernis für die festgestellte Verschleierung bestanden hätte.
68
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung wäre das Landgericht überdies nicht gehindert gewesen, aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Rechtsanwälte U. und D’. nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Zwar darf aus zulässigem Prozessverhalten grundsätzlich kein dem Angeklagten nachteiliger Schluss gezogen werden. Hat sich der Angeklagte aber - wie hier - nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert und ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang des Gesprächs mit dem Rechtsanwalt geäußert, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert , kann der Tatrichter hieraus Schlüsse auch zum Nachteil des Angeklagten ziehen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1965 - 4 StR 573/65, BGHSt 20, 298 mwN; vgl. Miebach NStZ 2000, 234, 239).
69
b) Jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums ausgegangen.
70
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 1966 - KRB 2/65, BGHSt 21, 18, 20; BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 264).
71
Auf der Grundlage dessen durfte das Landgericht die vom Angeklagten entfalteten Bemühungen zur Klärung der Rechtslage als nicht ausreichend werten.
72
Zum einen boten einige Auskunftspersonen nicht die Gewähr für eine verlässliche Auskunft. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Auskunft des Geschäftsführers der Firma D. und deren Anwalt D‘. imInteresse der Firma D. erfolgte, was für den Angeklagten ohne weiteres erkennbar war. Abgesehen von einer ungewissen Sachkunde zu Fragen des deutschen Urheberrechts, hätte er daher berücksichtigen müssen, dass diese Auskunftspersonen möglicherweise voreingenommen waren und mit der Auskunft Eigeninteressen verfolgten, nämlich durch seine weitere Mitwirkung an dem Geschäftsmodell Einnahmen unter Verletzung der Urheberrechte in Deutschland zu erzielen.
73
Zum anderen waren die Auskünfte der anderen Rechtsanwälte für den Angeklagten, der aufgrund des ersten Strafverfahrens um das Risiko einer Strafbarkeit bei dem Handel von unlizensierten Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke nach Deutschland wusste, nicht hinreichend verlässlich.
74
Der Rat eines Rechtsanwalts ist nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig , weil er von einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden - nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. § 17 Rn. 9 a). Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich , um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN).
75
Der Verweis des Geschäftsführers der Firma D. auf den Rechtsrat eines Frankfurter Rechtsanwalts bot keine Gewähr für eine derart verlässliche Auskunft. Schon ungeachtet der Einbindung La. s und dessen Eigeninteresse durfte der Angeklagte nicht auf diese ganz pauschale Auskunft vertrauen.
76
Auch der vom Angeklagten nur einmal kontaktierte RechtsanwaltU. konnte keine Auskunft aufgrund sorgfältiger Prüfung und Kenntnis aller Umstände erteilen. Denn er hatte den Angeklagten darauf hingewiesen, dass die Frage einer Urheberrechtsverletzung genauerer Abklärung bedürfe, welche aber nicht erfolgte. Zutreffend folgert das Landgericht hieraus, dass dies keine ausreichende Grundlage für einen unvermeidbaren Irrtum des Angeklagten bot.
77
Zudem hätte berücksichtigt werden dürfen, dass der Angeklagte sich einerseits darauf beruft, er habe auf den Rechtsrat Rechtsanwalts U. s und des auch von ihm bezahlten Rechtsanwalts der Firma D. vertraut, andererseits aber eine Überprüfung der Substanz dieser Auskünfte durch Nichtentpflichtung von der Schweigepflicht der Rechtsanwälte nicht ermöglicht hat (hierzu oben unter a.).
78
Mit nicht zu beanstandenden Erwägungen hat das Landgericht die Auskunft des Rechtsanwalt Sk. als nicht verlässlich gewertet, da diese weder „eindeutig“ oder „klar“, sondern lediglich eine allgemeine und ohne konkrete Prüfung und Kenntnis der Ausgestaltung des geänderten Geschäftsmodells geäußerte Rechtsauffassung gewesen sei. Dies wird von den Feststellungen getragen, denn Rechtsanwalt Sk. hat dem Angeklagten ungefragt lediglich seine - ohne Wissen um die genauen Umständen des praktizierten Geschäftsmodells ersichtlich wenig substantiierte - Auffassung bei Kenntnis um den kontroversen Meinungsstand bekundet. Eine solche Auskunft hat schon keinen hinreichend unrechtsverneinenden Inhalt. Auf diesem ihm günstigen Standpunkt durfte der Angeklagte nicht vorschnell vertrauen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85) und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Denn es reicht nicht aus, wenn er aufgrund der Auskunft nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife nicht ein (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN). Nachfragen seitens des Angeklagten erfolgten aber nicht.
79
c) Soweit die Revision sich darauf beruft, dem Angeklagten hätte auch bei weitergehenden Bemühungen angesichts der erst in diesem Verfahren erfolgten Entscheidung des EuGH zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der RL 2001/29/EG kein der jetzigen Rechtslage entsprechender Hinweis erteilt werden können, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Angesichts des schon vor der Vorabentscheidung des EuGH bestehenden strafrechtlich abgesicherten Urheberrechtsschutzes war das vom Angeklagten praktizierte Geschäftsmodell mit dem Risiko der Strafbarkeit behaftet, wie die Entscheidung des Landgerichts in dieser Sache belegt (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats in dieser Sache vom 8. Dezember 2010). Eine den dargestellten Anforderungen an Verlässlichkeit genügende, insbesondere auf der Grundlage einer dem Angeklagten obliegenden umfassenden Darstellung des Geschäftsmodells erfolgende Auskunft hätte auf dieses Risiko hingewiesen und spätestens hierdurch beim Angeklagten die Einsicht geweckt, es bestehe die Möglichkeit der Strafbarkeit. Ob das Verbreiten dabei entsprechend der Vorabentscheidung des EuGH weit ausgelegt oder - enger - an das hier gegebene Erfordernis des Übergangs der tatsächlichen Verfügungsgewalt geknüpft wird, ist für das Vorstellungsbild unerheblich.

III.

80
Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat aus den Taten nach dem 1. Januar 2007 (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 111i Abs. 2 StPO auf zuvor bereits beendete Taten gemäß § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB, BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56) den ihm vom Kunden ausbezahlten Frachtlohn erlangt; einer Verfallsanordnung stehen die den verletzten Lizenzinhabern aus den Taten erwachsenen Ansprüche (§ 97 UrhG, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) entgegen. Nack Wahl Graf Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 394/07
vom
3. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Volksverhetzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
21. Februar 2008 in der Sitzung am 3. April 2008, an denen teilgenommen haben
:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 21. Februar 2008 -
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor in der Verhandlung vom 21. Februar 2008,
Justizangestellte in der Sitzung vom 3. April 2008
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 7. März 2007 in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte , der seit seinem 14. Lebensjahr in politisch rechtsgerichteten Organisationen und Parteien aktiv und seit dem Jahre 1998 Mitglied des Bundesvorstands der NPD ist, im Jahre 1993 mit dem Handel von CDs unter dem Namen "P. Liste" selbstständig. Seit dem Jahre 1996 bestritt er seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit dieser Tätigkeit. Im Januar 1998 brachte er sein Unternehmen in die der NPD nahestehende "D. Verlags Gesellschaft mbH" ein. Dort war er zunächst als Produktionsleiter angestellt und für alle Artikel verantwortlich, die der Verlag vertrieb; seit dem Jahre 2004 ist er einer von zwei Geschäftsführern. Der Angeklagte hatte bei der Auswahl der CDs freie Hand und trug die Verantwortung für die rechtliche Seite der Produktionen. Dabei war ihm klar, dass sich die von dem Verlag unter seiner Leitung vertriebenen Liedtexte teilweise am Rande der Legalität bewegten. Anlässlich einer Durchsuchung der Räumlichkeiten der "D. Verlags Gesellschaft mbH" im März 2003 wurden insgesamt 250 verschiedene CDs sichergestellt; ihr Inhalt wurde in der Folgezeit überprüft.
2
Hinsichtlich acht dieser CDs hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Sie hat dem Angeklagten vorgeworfen, er habe sich der Volksverhetzung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Gewaltdarstellung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen sowie des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen schuldig gemacht.
3
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Es hat dies damit begründet, dass teilweise schon die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der jeweils in Betracht kommenden Strafvorschriften nicht gegeben seien ; teilweise hat es angenommen, der Angeklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt bzw. sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden.
4
Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt - mit Ausnahme des Falles II. 5. der Urteilsgründe - vertretene Rechtsmittel hat einen Teilerfolg.
5
II. Die Revision ist nicht begründet, soweit sie sich gegen den Freispruch des Angeklagten in den Fällen II. 1., 2. und 5. der Urteilsgründe wendet.
6
1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat das Landgericht ohne Rechtsfehler den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) verneint; denn der Text des Liedes "Geh uns aus dem Weg" auf der CD "Eiserne Jugend" der Gruppe "Foierstoss" wendet sich nicht gegen ein Angriffsobjekt im Sinne der genannten Vorschrift.
7
Die Norm setzt voraus, dass sich der Inhalt einer Schrift, der nach § 11 Abs. 3 StGB CDs gleich stehen, gegen einen Teil der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe richtet. Unter einem - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommenden - Teil der Bevölkerung ist eine von der übrigen Bevölkerung auf Grund gemeinsamer äußerer oder innerer Merkmale politischer, nationaler, ethnischer, rassischer, religiöser, weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher, beruflicher oder sonstiger Art unterscheidbare Gruppe von Personen zu verstehen, die zahlenmäßig von einiger Erheblichkeit und somit individuell nicht mehr unterscheidbar sind (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 130 Rdn. 4). Dass es sich bei den mit den Bezeichnungen "Linke und Antifa-Brut" sowie "Rote Flut" angesprochenen Personenkreisen nicht um abgrenzbare Bevölkerungsgruppen in diesem Sinne handelt , hat das Landgericht mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Interpretation des Liedtextes dargelegt.
8
a) Die Auslegung des Inhalts einer Schrift im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB hat sich wegen des Charakters der Vorschrift als Verbreitungsdelikt an seinem objektiven Sinngehalt, Zweck und Erklärungswert zu orientieren, wie sie von einem verständigen, unvoreingenommenen Durchschnittsleser oder -hörer aufgefasst werden. Ob die Schrift die inhaltlichen Anforderungen des objektiven Tatbestands erfüllt, muss sich demnach in erster Linie aus ihr selbst ergeben. Umstände, die in der Schrift selbst keinen Niederschlag gefunden haben, bleiben grundsätzlich außer Betracht. Insbesondere subjektive Zielsetzungen, Mo- tive, Absichten, Vorstellungen oder Neigungen des Täters müssen zumindest "zwischen den Zeilen" erkennbar sein (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm StGB § 130 Rdn. 57). Lässt eine Äußerung mehrere Deutungen zu, von denen nur eine strafbar ist, so darf die zur Bestrafung führende Interpretation nur zugrunde gelegt werden, wenn die anderen Deutungsmöglichkeiten, insbesondere solche, die mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar wären, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können (vgl. BVerfG NJW 1994, 2943).
9
b) Bei einer diesen Maßstäben entsprechenden Auslegung des Inhalts der CD ergibt sich, dass kein ausreichend eingrenzbarer Bevölkerungsteil angegriffen wird.
10
Zwar kann grundsätzlich auch eine politische Gruppierung taugliches Ziel eines Angriffs im Sinne des § 130 Abs. 2 StGB sein (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rdn. 9). Bei nicht näher spezifizierten Sammelbegriffen wie "Rote" oder "Linke" ist der bezeichnete Personenkreis jedoch so groß und unüberschaubar und umfasst derart zahlreiche, sich teilweise deutlich unterscheidende politische Richtungen und Einstellungen, dass seine Abgrenzung auf Grund bestimmter Merkmale von der Gesamtbevölkerung nicht möglich ist (vgl. BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 1).
11
Ähnliches gilt im Ergebnis für die Bezeichnung "Antifa-Brut". Der Begriff "Antifa" bezeichnet nach allgemeinem Verständnis je nach Zusammenhang linke , linksradikale und/oder autonome Gruppierungen oder Organisationen, die sich das Ziel gesetzt haben, Nationalismus oder Rassismus zu bekämpfen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein auch nur annähernd homogenes Gebilde. Vielmehr ist die Ablehnung von Faschismus, Rassismus und Nationalismus häufig nur der kleinste gemeinsame Nenner, der zwischen den unter- schiedlichen Gruppierungen konsensfähig ist. Treffen sich indes ansonsten politisch -ideologisch ganz unterschiedlich geprägte Personengruppen lediglich in einem gemeinsamen Ziel, so reicht allein dies grundsätzlich nicht aus, um sie als abgrenzbaren Teil der Bevölkerung im Sinne des § 130 Abs. 1 und 2 StGB ansehen zu können; denn die Personenmehrheit ist in diesen Fällen nicht in einem Maße durch gemeinsame individuelle Merkmale geprägt, das sie nach außen als Einheit erscheinen lässt und eine hinreichend sichere Unterscheidung von der übrigen Bevölkerung ermöglicht.
12
Die besonderen Umstände des vorliegenden Falles führen nicht zu einem abweichenden Ergebnis; denn auch dem Kontext, etwa dem Inhalt der übrigen Lieder der CD, sind bei sachgerechter Interpretation keine Gesichtspunkte zu entnehmen, die zu einer hinreichenden Eingrenzbarkeit des angegriffenen Personenkreises führen könnten.
13
2. Auch im Fall II. 2. der Urteilsgründe ist der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) in Tateinheit mit Gewaltdarstellung (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB) bezüglich der Texte der Lieder auf der CD "Spirit of 88/White Power Skinheads" der Band "Spreegeschwader" im Ergebnis nicht zu beanstanden.
14
a) Hinsichtlich des Liedes "Ignoranten" liegen - entgegen der Ansicht des Landgerichts, das zur Begründung des Freispruchs auf einen Tatbestandsbzw. unvermeidbaren Verbotsirrtum des Angeklagten abgestellt hat - bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands der Norm nicht vor; denn es fehlt an der in allen Alternativen der Vorschrift vorausgesetzten besonderen Intensität des Angriffs.
15
aa) Mit dem Text des genannten Liedes wird zunächst nicht zum Hass gegen einen Teil der Bevölkerung oder eine im Gesetz näher bezeichnete Gruppe von Personen aufgestachelt. Hierunter ist ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. BGHSt 40, 97, 102; 46, 212, 217). Der Liedtext enthält zwar abfällige Äußerungen über Türken, Albaner und Russen, denen vor allem die Beherrschung der Schulen und die Begehung bestimmter Arten von Straftaten vorgeworfen wird. Wenn auch Hetze, die sich gegen Ausländer richtet, bei entsprechendem Gewicht regelmäßig tatbestandsrelevant sein kann (vgl. Miebach /Schäfer, aaO § 130 Rdn. 32), so ist hier jedoch die erforderliche besonders intensive Form der Einwirkung (vgl. BGHSt 21, 371, 372) auch unter Beachtung des zu berücksichtigenden Kontextes nicht gegeben.
16
bb) Daneben wird auch nicht zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen die genannten Angriffsobjekte aufgefordert. Dies setzt ein über das bloße Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere mit dem Ziel voraus, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 130 Rdn. 5 b; von Bubnoff, aaO § 130 Rdn. 19). Hierunter fallen etwa Gewalttätigkeiten im Sinne des § 125 StGB, Freiheitsberaubungen, gewaltsame Vertreibungen, Pogrome, die Veranstaltung von Hetzjagden gegen Ausländer und sonstige im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art (vgl. Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 35). Ein derartiger Appellcharakter ist dem Text des genannten Liedes nicht zu entnehmen.
17
cc) Schließlich wird auch nicht die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen , dass eines der genannten Angriffsobjekte beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet wird. Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung (vgl. BGHSt 46, 212, 216). Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen , durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird (vgl. BGHSt 3, 346, 348). Verleumden erfordert das wider besseres Wissen aufgestellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen (vgl. Fischer, aaO § 130 Rdn. 11). Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (vgl. BVerfG NJW 2001, 61, 63). Ein noch weiter gehender Angriff etwa auf das biologische Lebensrecht an sich ist nicht erforderlich (vgl. BayObLG NStZ 1994, 588, 589). Auch insoweit kommen grundsätzlich entsprechend intensive ausländerfeindliche Parolen in Betracht (vgl. die Beispiele bei Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 44 m. w. N.).
18
Derart besonders qualifizierte Beeinträchtigungen, die durch ein gesteigertes Maß an Gehässigkeit und Rohheit gekennzeichnet sein müssen, und durch die die Angehörigen des betreffenden Bevölkerungsteils oder der betreffenden Gruppe in ihren grundlegenden Lebensrechten als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gemeinschaft verletzt werden und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet wird (vgl. BGHSt 36, 83, 90), liegen hier indes nicht vor. Der Gehalt des Textes zielt vielmehr in erster Linie auf das Anprangern eines von den Interpreten postulierten Unverständnisses gegenüber dem vermeintlich legitimen Anliegen ausländerfeindlicher Bevölkerungskreise und eine - wenn auch durchaus massive - Kundgabe der Missbilligung bestimmter behaupteter Zustände.
19
b) Bezüglich des Liedes "Mörder in der Nacht" hat das Landgericht die Verwirklichung des objektiven Tatbestands von § 131 StGB ohne Rechtsfehler verneint, da dem Text keine eindeutig gewaltverherrlichende Aussage zu entnehmen ist.
20
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 5. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 Abs. 1 und 2 StGB) ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
21
Das Landgericht hat den objektiven Tatbestand des § 166 StGB rechtsfehlerfrei mit der Begründung verneint, es fehle an einer ausreichenden Tathandlung , weil dem Angeklagten nicht nachzuweisen gewesen sei, dass er die CD "Der Untermensch" der Gruppe "Camulos" - deren Texte in mehreren Liedern allerdings die inhaltlichen Voraussetzungen des § 166 StGB erfüllen - tatsächlich verbreitet, das heißt, sie ihrer Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht (vgl. BGH NJW 1999, 1979, 1980 zu § 184 StGB m. w. N.) habe. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass im Lager des Verlags eine CD aufbewahrt wurde. Das bloße Vorrätighalten einer Schrift ist gemäß § 166 StGB indes ebenso wenig mit Strafe bedroht wie der Versuch des Verbreitens (§ 166 Abs. 1 und 2, § 23 Abs. 2, § 12 Abs. 1 und 2 StGB).
22
Soweit das Landgericht im Übrigen in Bezug auf eine mögliche Strafbarkeit wegen Volksverhetzung den Vorsatz des Angeklagten nicht festzustellen vermocht hat, begegnet dies aus den vom Generalbundesanwalt in seiner An- tragsschrift zutreffend dargelegten Gründen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
23
III. Demgegenüber hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung in den Fällen II. 3., 4., 6., 7. und 8. der Urteilsgründe nicht stand.
24
1. Bei dem Freispruch des Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Rote raus" auf der CD "Herz des Reiches" der Gruppe "Panzerfaust" hat das Landgericht weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand der Vorschrift mit einer rechtlich tragfähigen Begründung ausgeschlossen.
25
a) Entgegen der Meinung der Strafkammer wird mit dem in dem Lied verwendeten Ausdruck "Kommunisten" ein Teil der Bevölkerung im Sinne des Tatbestandes der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 und 2 StGB bezeichnet. Im Gegensatz zu der "Antifa"-Bewegung, in der weltanschaulich unterschiedlich geprägte Gruppierungen lediglich durch ein gemeinsames Ziel vereint sind, verbindet Kommunisten - bei durchaus unterschiedlicher Ausrichtung in Einzelfragen - eine gemeinsame weltanschauliche, politisch-ideologische Grundüberzeugung. Diese gibt der Personenmehrheit ein insgesamt gemeinschaftliches Gepräge, das sie - trotz im Randbereich vorhandener Berührungspunkte und Überschneidungen mit sonstigen, insbesondere politisch linksgerichteten Gruppierungen - in ausreichender Weise von der übrigen Bevölkerung unterscheidbar macht.
26
b) Der Text des Liedes enthält einen Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der darin liegt, dass die Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. In ihm heißt es auszugsweise: "Blöder als die Polizei erlaubt/ Dreckiger als das dreckigste Schwein/ Du stinkst mehr als ein Hundehaufen/ Dein Gehirn ist erbsenklein/ Du bist ein Kommunist und deine Ideen gehören auf den Mist/ Nie wieder werdet ihr unser Volk zerspalten/ Unser Heimat vergewaltigen". Der Refrain lautet: "Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Das ist unsre Heimat, hier sind wir zu haus/ Rote raus, Rote raus, Rote raus/ Ihr lächerlichen Kasper, wir lachen euch bloß aus". Bei sachgerechter Auslegung werden hierdurch in eindeutiger Weise Kommunisten nicht nur in einzelnen Persönlichkeitsrechten wie ihrer Ehre getroffen, sondern darüber hinausgehend in besonders gehässiger und roher Weise sozial abgewertet und im Kern ihrer Persönlichkeit verletzt.
27
c) Soweit das Landgericht ausgeführt hat, eine Strafbarkeit des Angeklagten scheide daneben jedenfalls aus subjektiven Gründen aus, da ihm "als Laien" kein Vorsatz nachgewiesen werden könne, wenn selbst die Strafkammer den Text für rechtlich noch vertretbar erachte, hat es die Voraussetzungen vorsätzlichen Handelns verkannt.
28
aa) Das Landgericht hätte, wollte es den Vorsatz des Angeklagten verneinen , aufgrund der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen darlegen müssen, was der Angeklagte im Einzelnen nicht in sein Wissen und Wollen aufgenommen hat. Da im Rahmen des § 130 StGB bedingter Vorsatz ausreicht, kommt es darauf an, ob der Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt (vgl. Fischer, aaO § 15 Rdn. 9 ff.).
29
bb) Dem Landgericht oblag es deshalb, unter Anlegung dieser Maßstäbe zu prüfen, ob der Angeklagte zumindest bedingt vorsätzlich davon ausging, dass in dem betreffenden Lied Kommunisten als Teil der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht werden. Hierfür reichte allein der Hinweis darauf nicht aus, dass die Strafkammer selbst die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Norm verneint hat. Vielmehr musste sie die maßgebende Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Begehung der Tat feststellen und würdigen. Dabei war darauf Bedacht zu nehmen, dass der Vorsatz auf der Wissensseite als intellektuelles Element erfordert, dass der Täter sich zurzeit der Handlung des Vorliegens aller Umstände des äußeren Tatbestands bewusst ist.
30
Namentlich bei normativ geprägten Tatbestandsmerkmalen braucht der Täter im Übrigen nicht die aus den Gesetzesbegriffen folgende rechtliche Wertung nachzuvollziehen; insofern genügt die Parallelwertung in der Laiensphäre, die voraussetzt, dass der Täter die Tatsachen kennt, die dem normativen Begriff zugrunde liegen, und auf der Grundlage dieses Wissens den sozialen Sinngehalt des Tatbestandsmerkmals richtig begreift (vgl. Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 15 Rdn. 9, 14).
31
2. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat das Landgericht zum Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB) festgestellt, dass der Angeklagte in den Räumen der "D. Verlags Gesellschaft mbH" zu Verkaufszwecken die CD "Stimme des Volkes 26.03.1999" lagerte. Diese enthielt die Aufnahme einer aus Liedern und Textbeiträgen bestehenden Sendung von "Radio Germania", einem politisch rechtsgerichteten Sender. In zwei Liedern wird unter Anknüpfung an den Sprachgebrauch des Dritten Reiches die Parole der Hitlerjugend "Blut und Ehre" gebraucht. Dem Angeklagten war im Jahre 1999 in einem Gespräch von dem Verantwortlichen des Senders mitgeteilt worden, dass alle Sendungen anwaltlich begutachtet und für unbedenklich gehalten worden seien. Daneben wird von dem Sprecher zu Beginn der Sendung darauf hingewiesen, dass die Sendung "wie immer auch dieses Mal von unseren Rechtsanwälten als strafrecht- lich nicht relevant und ohne Verstöße gegen die Jugendschutzordnung gewertet worden" sei.
32
a) Die Strafkammer hat im Ergebnis rechtsfehlerfrei angenommen, dass der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist; denn der Angeklagte hielt mit der beschriebenen CD einen Gegenstand zum Zwecke der Verbreitung vorrätig, der ein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 a Abs. 2 Satz 1, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB enthielt.
33
b) Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht darauf abgestellt , dem Angeklagten könne nicht nachgewiesen werden, er habe gewusst, dass die Verwendung des Begriffspaares "Blut und Ehre" zweifelsfrei auf die Parole der Hitlerjugend hinweise; es fehle somit an der subjektiven Tatseite. Gehe man stattdessen von einem Verbotsirrtum aus, sei dieser unvermeidbar gewesen. Diese Ausführungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
34
aa) Zwar können Fehlvorstellungen oder -bewertungen über normative Tatbestandsmerkmale je nach dem Stand der (Un-)Kenntnis des Täters zu einem den Vorsatz und damit die Strafbarkeit ausschließenden Tatbestandsirrtum (§§ 15, 16 StGB) oder zu einem vermeidbaren oder unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) führen, wobei die sachgerechte Einordnung derartiger Irrtümer unter Rückgriff auf wertende Kriterien und differenzierte Betrachtungen vorzunehmen ist (vgl. BGH NStZ 2006, 214, 217). Insoweit kann das Vertrauen des Täters in juristische Auskünfte sowohl im Rahmen des Tatbestandsvorsatzes Bedeutung erlangen als auch sich im Bereich der Schuld auf die Strafbarkeit auswirken (vgl. Kirch-Heim/Samson, wistra 2008, 81). Durch die vom Landgericht getroffenen Feststellungen wird indes weder tragfähig belegt, dass der An- geklagte ohne Vorsatz handelte, noch dass ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun.
35
bb) Weder die pauschale Auskunft des für den Radiosender Verantwortlichen über eine anwaltliche Begutachtung noch der ebenso substanzlose Hinweis des Sprechers zu Beginn der Sendung enthält einen irgendwie näher fassbaren konkreten Hinweis auf eine Strafnorm oder gar ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal. Die Feststellungen lassen deshalb nicht erkennen, wieso der Angeklagte allein aufgrund dieser Auskünfte nicht zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes wusste und wollte, dass in den betreffenden Liedern mit der Losung "Blut und Ehre" die Parole der Hitlerjugend wiedergegeben wurde. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte aufgrund seines politischen Werdegangs und seiner über viele Jahre ausgeübten beruflichen Tätigkeit mit dem Vokabular politisch rechtsgerichteter Kreise in hohem Maße vertraut war.
36
cc) Auch ein Verbotsirrtum des Angeklagten ist nicht ausreichend belegt. Wenn der Täter einen in seiner Bedeutung zutreffend erkannten Umstand rechtlich unrichtig subsumiert, kann seine Fehlvorstellung zwar als sog. Subsumtionsirrtum im Rahmen der Schuld Bedeutung gewinnen (vgl. Lackner/Kühl, aaO § 15 Rdn. 14). Hierzu lassen die Urteilsgründe jedoch jegliche näheren Ausführungen vermissen. Der - rechtsfehlerhaften - Annahme eines Tatbestandsirrtums wird vielmehr ohne nähere Begründung diejenige eines Verbotsirrtums "nachgeschoben". Da der Täter bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht hat, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHSt 4, 1, 4; 27, 196, 202; BGH NStZ 1996, 236, 237; 338), hier dem Angeklagten aber bewusst war, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, liegt es zumindest nicht nahe, dass er aufgrund der pauschalen Hinweise über das Unrecht seines Tuns irrte.
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dd) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht weiter angenommen, ein etwaiger Verbotsirrtum sei unvermeidbar gewesen; hierfür bilden die getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
38
Die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums setzt voraus, dass der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGHSt 21, 18, 20). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rdn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet (vgl. BGHSt 40, 257, 264).
39
Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 8).
40
Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan (vgl. BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 3). Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist (vgl. BGH, Beschl. vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, aaO § 17 Rdn. 9 a). Auskünfte , die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" (vgl. Cramer/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 17 Rdn. 18) erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten (vgl. BGH NStZ 2000, 307, 309). Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (vgl. Kirch-Heim/Samson, aaO 81, 85).
41
Vor diesem Hintergrund genügen die getroffenen Feststellungen nicht ansatzweise, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu belegen. Dem Angeklagten oblag bereits aufgrund seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als der für das Verlagsprogramm verantwortlichen Person eine besondere Erkundigungs- und Prüfungspflicht, an die strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGHSt 37, 55, 66). Dies gilt erst recht im Hinblick auf die sonstigen besonderen Umstände des vorliegenden Falles. So war dem selbst mit den einschlägigen Rechtsfragen vertrauten Angeklagten bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte und die Gefahr der Erfüllung von Straftatbeständen aufgrund des Inhalts der von der "D. Verlags Gesellschaft mbH" angebotenen und vertriebenen CDs nahe lag.
42
Der Angeklagte durfte sich somit allein auf die pauschale mündliche Auskunft eines Dritten über eine anwaltliche Begutachtung ebenso wenig verlassen wie auf die Aussage des Sprechers zu Beginn der Sendung. Beide Hinweise boten keinerlei Gewähr für eine hinreichende inhaltliche Verlässlichkeit; denn sie ließen weder einen Schluss auf den Umfang noch auf die Sorgfältigkeit der rechtlichen Überprüfung zu. Die Auskunft hätte sich zudem inhaltlich darauf richten müssen, dass das beabsichtigte Handeln kein Unrecht ist (vgl. Vogel, aaO § 17 Rdn. 19). Hinsichtlich der Aussage durch den Verantwortlichen des Senders verhalten sich die Urteilsgründe indes noch nicht einmal dazu, ob sich die anwaltliche Begutachtung auf alle oder nur auf einzelne nach dem Strafgesetzbuch in Betracht kommenden Strafvorschriften bezog und auch etwa die einschlägigen Normen des Jugendschutzgesetzes (vgl. §§ 15, 27 JuSchG) umfasste.
43
3. Der Freispruch des Angeklagten im Fall II. 6. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) bezüglich des Liedes "Stinkendes Leben" auf der CD "Das rechte Wort" der Gruppe "Patriot 19/8 & Sleipnir" kann ebenfalls keinen Bestand haben.
44
a) Die in dem Lied angesprochene Gruppe der "Punker" stellt einen Teil der Bevölkerung im Sinne der genannten Vorschrift dar (vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, aaO § 130 Rdn. 4; Miebach/Schäfer, aaO § 130 Rdn. 25). Punker sind aufgrund einer etwa in ihrem Lebensstil und äußeren Erscheinungsbild zu Tage tretenden weltanschaulichen Überzeugung, die trotz unterschiedlicher Präferenzen im Einzelnen nach außen genügende Gemeinsamkeiten erkennen lässt, als Personenmehrheit von der übrigen Bevölkerung in ausreichendem Maße abgrenzbar.
45
b) Entgegen der Auffassung der Strafkammer wird in dem genannten Lied die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie beschimpft und böswillig verächtlich gemacht werden. Mit dem Text der Kehrreime "Du bist ein Punk, du bist so krank/ bist so abnorm und nie in Form/ benimmst dich wie das letzte Schwein/ Gefällt es dir, Abschaum zu sein?" und "Die Zeit ist reif für Deutschlands Segen/ Die Zukunft liegt in unserer Hand/ Wir werden sie von den Straßen fegen/ Und frei und sauber sei das Land" sowie weiteren ähnlichen Passagen wird die Missachtung von Punkern in besonders gravierender Form zum Ausdruck gebracht; diese werden im Kern ihrer Persönlichkeit getroffen und verletzt. Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang gemeint hat, nur eine Beeinträchtigung der Ehre feststellen zu können, und zur Begründung ausgeführt hat, die Bezeichnung "Schwein" sei im heutigen Sprachgebrauch üblich und werde teilweise auch in populären Liedern wie "Männer sind Schweine" der Gruppe "Die Ärzte" gebraucht, hat sie in besonderer Weise die sich bei verständiger Würdigung aufdrängende Bedeutung des hier relevanten Textes verkannt. In diesem geht es im Gegensatz zu dem von der Strafkammer als Vergleich bemühten Lied nicht um eine satirische Überspitzung bestimmter menschlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften; vielmehr wird in eindeutiger Weise das Recht von Punkern auf Anerkennung als Persönlichkeiten in der Gemeinschaft besonders gehässig und roh verletzt und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet.
46
c) Mit dem Inhalt des letzten Kehrreims wird daneben auch zu Gewaltund Willkürmaßnahmen gegen Punker aufgefordert, da zumindest konkludent auf andere mit dem Ziel eingewirkt wird, in ihnen den Entschluss zu Gewalttätigkeiten und ähnlichen Handlungen hervorzurufen. Diesem appellativen Charakter des Textes steht nicht entgegen, dass vordergründig die Formulierung "Wir werden sie von der Straße fegen" benutzt wird. Bei sachgerechter Bewertung ergibt sich, dass die Zielrichtung der Aussage nicht dahin geht, eigene Handlungen oder Absichten der Interpreten darzustellen; vielmehr ist die eigentliche Intention erkennbar darauf gerichtet, andere zu animieren, Gewalt- oder Willkürmaßnahmen zu verüben bzw. sich solchen anzuschließen.
47
d) Soweit die Strafkammer daneben unter Hinweis auf eine Unbedenklichkeitserklärung des Rechtsanwalts N. , deren näherer Inhalt in den Feststellungen nicht mitgeteilt wird, den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, hält dies aus den dargelegten Gründen rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Schluss des Landgerichts von dieser nicht näher spezifizierten Auskunft darauf, dass der Angeklagte sich in einer Fehlvorstellung über bestimmte Merkmale des gesetzlichen Tatbestands befand, entbehrt auch hier einer tragfähigen Grundlage.
48
e) Aus denselben Gründen ist die den Ausführungen über einen Tatbestandsirrtum ohne weitere Begründung folgende Annahme eines Verbotsirrtums rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer hat auch in diesem Fall nicht dargelegt, über welches normative Tatbestandsmerkmal sich der Angeklagte in einer Weise im Irrtum befunden haben soll, die seine Unrechtseinsicht ausschloss.
49
f) Schließlich reichen die Ausführungen des Landgerichts nicht aus, um die Unvermeidbarkeit eines etwaigen Verbotsirrtums zu begründen. Allein das Vertrauen in eine inhaltlich nicht näher konkretisierte anwaltliche Auskunft kann bei sachgerechter Bewertung der sonstigen Umstände des vorliegenden Falles bei Anwendung der dargelegten Maßstäbe nicht zu der Annahme führen, der Angeklagte habe seine eventuelle Fehlvorstellung nicht durch die genügende Anspannung seines Gewissens vermeiden können.
50
4. Der Freispruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und d StGB) im Zusammenhang mit dem Text des Liedes "Bunthaarige Schweine" auf der CD "Totgesagte leben länger" der Gruppe "Doitsche Patrioten" begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
51
a) Der Text des Liedes richtet sich wie im Fall zuvor bei verständiger Auslegung gegen Punker und damit gegen einen genügend abgrenzbaren Teil der Bevölkerung. Dem steht nicht entgegen, dass die Punker hier nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sind; denn eine derartige namentliche Benennung ist jedenfalls dann entbehrlich, wenn sich aus dem Inhalt der Schrift ausreichend deutlich ergibt, welcher bestimmte Bevölkerungsteil Ziel des Angriffs ist. Dies ist hier der Fall. In dem Text des Liedes werden mehrere typische Äußerlichkeiten und Verhaltensweisen genannt, die Punkern zuzuordnen sind und deren Erscheinungsbild bestimmen. Dies lässt den zweifelsfreien Schluss darauf zu, dass hier die betreffende Personenmehrheit als Angriffsobjekt umschrieben ist.
52
b) Mit Formulierungen wie "Hallo du kleines Arschgesicht/ Ich find dich einfach widerlich/ Wie oft willst du denn noch erwachen/ Bestell dir lieber gleich nen Sarg", "Bunthaarige Schweine/ Dreckig eklig und verkeimt/ Ziehst du hier nicht gleich Leine/ Nutz ich die Gunst der Zeit" oder "Vielleicht hast du es nicht ganz geschnallt/ Verpiss dich bevor es knallt" wird sowohl die Menschenwürde der Punker dadurch angegriffen, dass sie böswillig verächtlich gemacht werden, als auch zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie aufgefordert.
53
c) Soweit die Strafkammer den Vorsatz des Angeklagten verneint hat, weil er gewusst habe, dass zu der CD ein Gutachten der Rechtsanwältin P. existiere, das zu dem Ergebnis gekommen sei, die Texte seien strafrechtlich unbedenklich, hält dies aus den bereits ausgeführten Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch in diesem Fall wird der Inhalt des Gutachtens in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; danach kannte der Angeklagte nur dessen pauschales Ergebnis. Somit wird die Folgerung der Strafkammer, er habe sich über einzelne Tatbestandsmerkmale im Irrtum befunden, von den Feststellungen nicht getragen.
54
d) Entsprechendes gilt für die Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Dessen Voraussetzungen sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Auch insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Darüber hinaus wäre hier in die rechtliche Bewertung die Kenntnis des Angeklagten davon einzubeziehen gewesen, dass in zumindest einem früheren Fall (Fall II. 2. der Urteilsgründe ) trotz eines Gutachtens von Rechtsanwältin P. , welches zu dem Ergebnis gekommen war, die auf der CD befindlichen und von ihr geprüften Texte seien erlaubt, die CD im Nachhinein bezüglich dreier Lieder durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert wurde, was zu einer Neuauflage führte, in der die beanstandeten Lieder durch andere ersetzt wurden. Der Angeklagte hatte somit begründeten Anlass, an der Verlässlichkeit der Auskunft zu zweifeln und durfte auch aus diesem Grunde nicht ohne Weiteres auf das pauschale Ergebnis der entsprechenden Begutachtung vertrauen.
55
5. Soweit die Strafkammer im Fall II. 8. der Urteilsgründe den Angeklagten vom Vorwurf des Verbreitens von Propagandamaterial verfassungswidriger Organisationen (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) freigesprochen hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Prüfung schließlich ebenfalls nicht stand.
56
a) Das Landgericht hat zunächst den objektiven Tatbestand der Vorschrift mit rechtsfehlerfreien Erwägungen bejaht. Dabei hat es zutreffend ausgeführt , den Texten der Lieder "Doitschland" und "Unter dem Krakenkreuz" sei bei einer Auslegung aus verständiger Sicht zu entnehmen, dass der Ausdruck "Krakenkreuz" als Synonym für "Hakenkreuz" gebraucht und damit eindeutig an nationalsozialistische Zielsetzungen angeknüpft werde.
57
b) Das Landgericht hat jedoch die - bereits als solche nicht nahe liegende - Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, er habe die CD als "reine Spaß-CD" bewertet, mit der ein besonderer Typ Skinheads satirisch habe dargestellt werden sollen, für nicht widerlegt angesehen und deshalb den Vorsatz des Angeklagten verneint. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite geht von einem unzutreffenden Verständnis der Liedtexte aus und erweist sich als lücken- und damit sachlichrechtlich fehlerhaft.
58
aa) Die Interpretation des Textes der einzelnen Lieder durch das Landgericht begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit es verschiedene Passagen als geeignet angesehen hat, Zweifel aufkommen zu lassen, ob mit den Liedtexten politische Ziele verfolgt werden sollten. Hierfür hat es etwa die Textstelle "Doitschland ich lieb dich so/ das ist keine Banane und keine Schokolade/ ich vermisse meine Heimat und das finde ich sehr schade" benannt. Insoweit hätte sich die Strafkammer jedenfalls mit der nahe liegenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass die Begriffe "Banane" und "Schokolade" in der rechtsextremen Szene als Synonyme für Menschen mit dunkler Hautfarbe und südländischer Herkunft gebraucht werden. In diesem Zusammenhang wäre zu würdigen gewesen, dass der Angeklagte mit der politisch rechtsgerichteten Terminologie in besonderer Weise vertraut war, was nahe legt, dass ihm der Gehalt der dargestellten Textpassage in Form einer rassistischen Ausrichtung der Texte ohne Weiteres klar war.
59
bb) Das Landgericht hat sich daneben nicht erkennbar damit auseinandergesetzt , dass - für den Angeklagten nach den Umständen ebenfalls augen- fällig - durch das Propagieren des "Marschierens unter dem Krakenkreuz" zur Machtübernahme als Entsprechung zum Marschieren der vormaligen NSDAP unter dem Hakenkreuz mit dem Ziel der Machtergreifung in besonderer Weise an die nationalsozialistische Terminologie und Ideologie angeknüpft wird. Den Urteilsgründen ist kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der Angeklagte den objektiven Bedeutungsgehalt dieser eindeutigen Passage nicht erkannte und damit nicht einverstanden war. Becker Miebach von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/10
vom
11. Oktober 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
AEUV Art. 34, 36
1. Bei einem grenzüberschreitenden Verkauf liegt ein Verbreiten in Deutschland gemäß
§ 17 UrhG schon dann vor, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in
Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem
und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies
einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen
von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt
sind.
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn
gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit
entgegen.
3. Zum Verbotsirrtum.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10 - LG München II
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich
geschützter Werke
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. Oktober 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
Rechtsanwalt sowie
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 12. Oktober 2009 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in 485 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Es hat festgestellt, dass in Höhe von 59.363,16 € nicht auf Verfall erkannt werde, weil Ansprüche von Verletzten ent- gegenstehen.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er eine Verfahrensrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat keinen Erfolg.

A.

3
Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte in Italien verkaufte Vervielfältigungsstücke von in Deutschland urheberrechtlich geschützten Einrichtungsgegenständen an deutsche Kunden mittels seiner Spedition ausgeliefert hat.

I.

4
1. Dazu hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
5
Die Firma D. mit Sitz in Bologna (nachfolgend D. ) bot in Deutschland ansässigen Kunden durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben und per deutschsprachiger Internet-Website Nachbauten von Einrichtungsgegenständen im sogenannten „Bauhausstil“ zum Kauf an, ohne über Lizenzen für deren Vertrieb in Deutsch- land zu verfügen. Es handelte sich - soweit verfahrensgegenständlich - um Nachbauten von: - Stühlen der Aluminium-Group, entworfen von Charles und Ray Eames, Lizenzinhaber Firma Vitra Collections AG, - der Wagenfeldleuchte, entworfen von Wilhelm Wagenfeld, Lizenzinhaber Firma Tecnolumen GmbH & Co. KG, - Sitzmöbeln, entworfen von Le Corbusier, Lizenzinhaber Firma Cassina SpA, - dem Beistelltisch "Adjustable Table" und der Leuchte "Tubelight", entworfen von Eileen Gray, Lizenzinhaber Firma Classicon GmbH, - Stahlrohr-Freischwingern (Stühle), entworfen von Mart Stam, Lizenzinhaber Firma Thonet GmbH.
6
Für diese Gegenstände bestand im relevanten Tatzeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 15. Januar 2008 in Italien jedenfalls kein durchsetzbarer urheberrechtlicher Schutz. In Deutschland waren sie hingegen als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt.
7
Der Angeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger, war Geschäftsführer und Gesellschafter zu 90 % der Firma I. (nachfolgend I. genannt ), einer Spedition, die ebenfalls ihren Sitz in Bologna hatte. Er betrieb seine Geschäfte jedoch im Wesentlichen von seinem Wohnsitz in Deutschland aus.
8
Die Firma I. war seit mindestens April 1999 mit der Auslieferung der vorbenannten Nachbauten befasst. Der Vertrieb war zunächst in der Weise organisiert worden, dass die Möbel - ohne einzelnen Endabnehmern zugeordnet zu sein - in ein vom Angeklagten unterhaltenes Lager in Deutschland verbracht und sodann an die Kunden geliefert wurden. Das wegen dieses Sachverhalts vor dem Amtsgericht München geführte Strafverfahren gegen den Angeklagten wurde gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 120.000 € im Dezember 2006 endgültig eingestellt. Spätestens durch dieses Strafverfahren wussten sowohl der Angeklagte als auch der Geschäftsführer der Firma D. um den urheberrechtlichen Schutz der Vervielfältigungsstücke in Deutschland.
9
Der Verteidiger des Angeklagten in diesem Strafverfahren, Rechtsanwalt Sk. , teilte dem Angeklagten mit, dass nach seiner Auffassung die Einfuhr „EU-rechtlich auch möglich sein“ müsse. Hierzu müssten das Lager in Deutsch- land und die Kunden in der Auswahl der Spedition frei sein. Nachfragen des Angeklagten hierzu erfolgten nicht. Der Angeklagte wurde zudem von dem Geschäftsführer der Firma D. , La. und dem italienischen Rechtsanwalt dieser Firma dahingehend informiert, dass die Gefahr einer Strafverfolgung nicht mehr bestehe, wenn das Auslieferungslager nach Italien verlegt werde. La. berief sich dabei auch auf eine ihm erteilte Auskunft eines Frankfurter Rechtsanwalts. Des Weiteren trat der Angeklagte einmal in Kontakt mit Rechtsanwalt U. aus Frankfurt. Dieser teilte ihm mit, er sehe grundsätzlich kein Problem, müsse die Frage aber abklären. Ein weiterer Kontakt erfolgte nicht.
10
Während des Laufs des Strafverfahrens wurde die Durchführung der Auslieferung geändert und nunmehr für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum wie folgt durchgeführt: Die Firma D. unterhielt für ihr Warenangebot ein Auslieferungslager im italienischen Sterzing. Nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen waren die Kunden verpflichtet, die bestellte Ware selbst in Italien abzuholen oder abholen zu lassen. Die Bestellung der deutschen Kunden erfolgte per Fax, per E-Mail, über ein auf der Website abrufbares Bestellformular oder telefonisch bei einer deutschsprachigen Mitarbeiterin. In den verfahrensgegenständlichen Fällen wollten die Kunden die Ware weder selbst abholen noch eine Spedition benennen. Die Firma D. empfahl die Beauftragung der Firma I. und sandte dem Kunden ein Werbeschreiben der Firma I. zu, in dem diese den Transport von Italien nach Deutschland anbot. Die Kunden beauftragten die Firma I. mit dem Transport der von ihnen gekauften Ware. In Werbematerial der Firma D. war ausgeführt , der Kunde erwerbe die Möbel in Italien, zahle aber erst bei Übernahme der Ware. Die Rechnungen schickte die Firma D. direkt an die Kunden.
11
Im Auslieferungslager in Sterzing wurden die aus Deutschland bestellten Einrichtungsgegenstände in verpacktem Zustand bereitgehalten. Auf der Verpackung waren Name und Adresse des Bestellers oder zumindest die Auftragsnummer angegeben. Die Fahrer der Firma I. holten die den Kunden konkret zugeordneten Gegenstände in Sterzing ab, bezahlten den jeweiligen Kaufpreis an die Firma D. und zogen bei Ablieferung an den Besteller in Deutschland Kaufpreis und Frachtlohn vom Kunden ein. Wenn ein Kunde bei der Auslieferung der Einrichtungsgegenstände diese nicht bezahlte, wurde die Ware nicht herausgegeben, sondern mit einem entsprechenden Kommentar an die Firma D. zurückgesandt. Diese erstattete der Firma I. den zuvor entrichteten Kaufpreis im Wege der Verrechnung und bezahlte die Frachtkosten. Von den 2.399 Lieferungen im Tatzeitraum erfolgten 484 Lieferungen durch den Angeklagten selbst, die übrigen durch angestellte Fahrer. Für die Lieferungen ab dem 1. Januar 2007 erhielt die Firma I. Frachtlöhne in Höhe von mindestens 59.363,16 €.
12
2. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten auf §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB gestützt.
13
Die Firma D. , vertreten durch den Geschäftsführer La. , habe Vervielfältigungsstücke der Werke in Deutschland durch Inverkehrbringen verbreitet. Zum Verbreiten sei neben der bereits am Lager in Sterzing erfolgten Eigentumsübertragung ein Wechsel der Verfügungsgewalt vom Verkäufer auf den Käufer erforderlich. Die Firma D. habe - entgegen einem beabsichtigten Anschein - ihre Verfügungsgewalt bis zur Ablieferung an den Käufer gegen Kaufpreiszahlung trotz erfolgter Übereignung nicht aus der Hand gegeben. Sie sei daher erst in Deutschland mit Hilfe des Angeklagten auf den Kunden übergegangen. Der Angeklagte sei zwar davon ausgegangen, dass eine Strafverfolgung in Deutschland unter den praktizierten Lieferbedingungen entfalle. Dieser Verbotsirrtum sei jedoch vermeidbar gewesen, da er zu dem Geschäftsmodell keinen ausreichenden Rechtsrat eingeholt habe.
14
Der Strafbarkeit des Angeklagten stehe auch die Warenverkehrsfreiheit nicht entgegen, da die sich aus den nationalen Regelungen zum Urheberrecht ergebende Beschränkung derselben zum Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sei.

II.

15
Der Senat hat aufgrund Beschlusses vom 8. Dezember 2010 dem Gerichtshof der Europäischen Union (im folgenden EuGH) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
16
Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ
17
- dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird,
18
- der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?
19
Daraufhin hat der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 2012 (Rechtssache C 5/11, EuZW 2012, 663) entschieden:
20
1. Ein Händler, der seine Werbung auf in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässige Mitglieder der Öffentlichkeit ausrichtet und ein spezifisches Lie- ferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Mitglieder der Öffentlichkeit so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt sind, nimmt in dem Mitgliedstaat, in dem die Lieferung erfolgt, eine „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 derRichtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vor.
21
2. Die Art. 34 AEUV und 36 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verbieten, die Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten von Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke in Anwendung seiner nationalen Strafvorschriften strafrechtlich zu verfolgen, wenn Vervielfältigungsstücke solcher Werke in dem betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts an die Öffentlichkeit verbreitet werden, das speziell auf die Öffentlichkeit in diesem Mitgliedstaat ausgerichtet ist und von einem anderen Mitgliedstaat aus abgeschlossen wird, in dem ein urheberrechtlicher Schutz der Werke nicht besteht oder nicht durchsetzbar ist.

B.

22
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

23
Die Verfahrensrüge, § 261 StPO sei verletzt, weil das Landgericht den Inhalt der im Urteil als „verlesen“ wiedergegebenen Lieferlisten und-scheine (UA S. 11 bis 108) nicht in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt habe, dringt - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit - in der Sache nicht durch.
24
1. Die Revision trägt vor, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergebe sich, dass die besagten Lieferlisten und -scheine nicht im Wege eines ordnungsgemäß angeordneten Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden seien. Sie seien auch sonst nicht eingeführt worden.
25
2. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 3. August 2009 enthält folgende Eintragung:
26
"Es wurde sodann in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Verfahrensbeteiligten erhielten eine Liste mit aufgeführten Urkunden ausgehändigt, welche die Kammer gemäß § 249 II StPO in die Verhandlung einführen will. - Anlage II zum Protokoll - Der Verteidiger des Angeklagten Do. … widersprach, soweit die in seinem Antrag aufgeführten Unterlagen betreffe.“
27
In Anlage II zum Protokoll vom 3. August 2009 befindet sich ein Abdruck der "Urkundenliste gem. § 249 Abs. 2 StPO", die u.a. einen Beweismittelordner umfasst, der die Lieferlisten und -scheine beinhaltet, die laut Urteil in den Tabellen UA S. 11 bis 108 wiedergegeben sind.
28
Im Protokoll vom 22. September 2009 Seite 4 oben ist sodann ausgeführt : „Es wurde festgestellt, dass das Gericht einschließlich der Schöffen von dem Wortlaut der Urkunden gemäß übergebenen Listen Kenntnis genommen hat und die übrigen Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten hiervon Kenntnis zu nehmen."
29
3. Der Senat folgt schon nicht der Auffassung der Revision, das Selbstleseverfahren sei lediglich angekündigt, nicht aber angeordnet worden. Vielmehr ergibt die Beweiskraft des Protokolls, dass der Inhalt der Lieferlisten im Wege des Selbstleseverfahrens in zulässiger Form in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
30
Hier ist bei der - durch § 274 StPO nicht ausgeschlossenen, vielmehr bei zweifelhaftem Sinn des Protokolls gebotenen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 274 Rn. 5 mwN) - Auslegung maßgeblich auch das tatsächliche Vorgehen der Strafkammer zu berücksichtigen. Den Verfahrensbeteiligten wurde nämlich nicht nur mitgeteilt, die Strafkammer wolle Urkunden im Selbstleseverfahren einführen, sondern diese Urkunden wurden durch die aufgenommene „Urkun- denliste gem. § 249 Abs. 2 StPO" im Protokoll im Einzelnen bezeichnet. Zudem erhielten die Verfahrensbeteiligen zugleich einen Abdruck dieser Liste ausgehändigt. Danach kann in der protokollierten Mitteilung nicht mehr eine bloße Absichtserklärung gesehen werden; sie ist vielmehr als Anordnung des Selbstleseverfahrens durch das Gericht auszulegen, auch wenn das Wort Anordnung darin nicht vorkommt. Das Wort "will" deutet lediglich auf die übrigen zur Umsetzung erforderlichen Handlungsakte - wie Kenntnisnahme bzw. Gelegenheit zur Kenntnisnahme - hin. Dass die Verfahrensbeteiligten hierin auch eine eindeutige Anordnung gesehen haben, wird belegt durch den vom Instanzverteidiger daraufhin - neben einem bereits zu einem früheren Zeitpunkt erhobenen Verwertungswiderspruch - eingelegten Widerspruch gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO. Tragfähige Anhaltspunkte, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Revision weist in diesem Zusammenhang allerdings darauf hin, dass der Widerruf des Verteidigers nicht beschieden worden ist. Daraus schließt der Senat jedoch nicht, dass die Strafkammer davon überzeugt gewesen wäre, dass die Voraussetzungen für ein Selbstleseverfahren nicht vorgelegen haben und auf der Grundlage dieser Überzeugung dann dennoch ein solches durchgeführt hat. Freilich ist die Bescheidung des Widerspruchs rechtsfehlerhaft unterbleiben. Die allein erhobene Rüge, ein Selbstleseverfahren sei durchgeführt worden, ohne dass es zuvor angeordnet worden sei, kann jedoch nicht in die wesensverschiedene Rüge umgedeutet werden, der gegen die Anordnung eines Selbstleseverfahrens vorgebrachte Widerspruch sei nicht verbeschieden worden (vgl. zur Bedeutung der Angriffsrichtung einer Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 573/09, NJW 2011, 1523, 1525).
31
Folgerichtig hat der Vorsitzende hinsichtlich der bezeichneten Urkundenliste die Feststellung gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO getroffen. Hierdurch wird beweiskräftig der Hinweis an die Verfahrensbeteiligten belegt, dass insoweit der Urkundsbeweis im Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wurde und als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 3 StR 76/10, NJW 2010, 3382, 3383; BGH, Beschluss vom 14. September 2010 - 3 StR 131/10, NStZ-RR 2011, 20).
32
4. Im Übrigen wurden die für die Urteilsfindung relevanten Informationen aus den Lieferlisten und -scheinen auch auf andere Weise Gegenstand der Hauptverhandlung.
33
a) Denn der Angeklagte hat - was die Revision nicht mitteilt - ausweislich der Urteilsfeststellungen die Durchführung der Lieferungen entsprechend geschildert (UA S. 110, 126, 127). Zwar sind der Einführung von in Urkunden enthaltenen umfangreichen und detaillierten Informationen über eine Auskunftsperson Grenzen gesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2011 - 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733; BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529, 1531; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 - 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427; BGH, Beschluss vom 13. April 1999 - 1 StR 107/99, NStZ 1999, 424). Angesichts von Besonderheiten der Fallgestaltung steht dies hier der Einführung der für die Urteilsfindung bedeutsamen Umstände der Lieferungen über die Einlassung des Angeklagten nicht entgegen. Hierfür war zum einen von Bedeutung, dass es sich um aus den Geschäftsunterlagen des Angeklagten ergebende Informationen handelte, die zudem schon Gegenstand der Anklageschrift waren. Deren Richtigkeit konnte der Angeklagte also bereits zuvor im Hinblick auf das Strafverfahren prüfen. Zum anderen waren unter Berücksichtigung dieser vorherigen Prüfungsmöglichkeit die für die Urteilsfindung belangvollen Informationen - vor allem Anzahl und Zeitraum der Transportfahrten sowie hierfür erhaltener Frachtlohn - sehr wohl einer zusammenfassenden Schilderung zugänglich.
34
Dies gilt entsprechend für die Einführung der relevanten Informationen durch die Angaben der Zeuginnen Sc. und H. , beide gemäß den Urteilsgründen Sachbearbeiterinnen des Zolls, die die Listen und -scheine vorab gesichtet und ausgewertet haben. So stellt die Strafkammer ausdrücklich fest, dass die Angaben zur Höhe des Frachtlohns auf den Angaben der Zeugin Sc. beruhen. Dass diese Informationen zu komplex sein sollten, um auch in einer nur 23 Minuten währenden Zeugeneinvernahme geklärt werden zu können, erschließt sich dem Senat nicht.
35
b) Soweit die Urteilsgründe daneben unter Verweis auf die Verlesung der Lieferlisten und -scheine eine Vielzahl der sich daraus ergebenden Details, wie z.B. die Namen der belieferten Kunden und der im Einzelnen gelieferten Einrichtungsgegenstände , enthalten, war dies für die Urteilsfindung ohne Belang und ersichtlich nur der Vollständigkeit und Genauigkeit wegen bei unstreitigem und unzweifelhaftem Sachverhalt aufgenommen worden. Insoweit wäre jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verstoß auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 2009 - 1 StR 342/08, wistra 2009, 359; BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, NStZ 2007, 235, 236; vgl. schon zum Ausschluss eines Verfahrensverstoßes BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - 3 StR 460/98, NJW 2006, 1529).

II.

36
Auch die sachlich-rechtliche Prüfung zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
37
Zutreffend hat das Landgericht auf der Grundlage der ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler getroffenen Feststellungen strafbare Taten nach § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG bejaht, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat (nachfolgend 1.). Die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV stehen einer Strafbarkeit nicht entgegen (nachfolgend 2.). Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Denn jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines - allerdings eher fernliegenden - Verbotsirrtums ausgegangen (nachfolgend 3.).
38
1. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte dabei geholfen, in Deutschland geschützte Werke der angewandten Kunst gewerbsmäßig im Schutzland zu verbreiten (zum Territorialitätsprinzip vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; BGH, Urteil vom 16. Juni 1994 - I ZR 24/92, BGHZ 126, 252 Rn. 17ff.; Dreier in Dreier/Schulze,UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 32).
39
a) Die genannten Einrichtungsgegenstände genießen in Deutschland als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlichen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1961 - I ZR 127/59, GRUR 1961, 635 - Stahlrohrstuhl I; BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - I ZR 102/79, GRUR 1981, 820 - Stahlrohrstuhl II; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 15/85, GRUR 1987, 903 - Le-Corbusier-Möbel; OLG Düsseldorf GRUR 1993, 903 - Bauhausleuchte). Bestand, Inhalt, Umfang und Inhaberschaft eines Schutzrechts richten sich nach dem Recht desjenigen Staates, für dessen Territorium es Wirkung entfalten soll, also nach dem Recht des Schutzlands (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93 mwN; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. vor §§ 120 ff. Rn. 28, 30 mwN; Katzenberger in Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl., Vor §§ 120 ff. Rn. 129 ff.).
40
b) Die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke wurden ohne Einwilligung der Berechtigten von dem Verantwortlichen der Firma D. gemäß § 106 Abs. 1, § 108a Abs. 1 UrhG in Deutschland verbreitet.
41
aa) Zu Recht hat das Landgericht wegen der Urheberrechtsakzessorietät dieser Strafvorschriften den Verbreitungsbegriff des § 17 UrhG zugrunde gelegt (BGH, Urteil vom 3. März 2004 - 2 StR 109/03, BGHSt 49, 93; Hildebrandt in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. § 106 Rn. 17).
42
bb) § 17 Abs. 1 UrhG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (im Folgenden RL 2001/29/EG). Es besteht deshalb die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Auslegung dieser Norm nationalen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03, NJW 2009, 2960; BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - I ZR 114/04, BGHZ 171, 151 Rn. 32 f. Wagenfeld-Leuchte; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl., 3. Teil Rn. 99).
43
cc) Für die Auslegung des Verbreitungsbegriffs gemäß Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG wiederum - und nicht etwa zur Anwendung des Unionsrechts auf den konkreten Fall, was allein den nationalen Gerichten obliegt (vgl. dd) - war die Vorabentscheidung durch den EuGH bestimmend (zur Urteilswirkung Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur, AEUV EUV, 5. Aufl., § 267 Rn. 37).
44
Der EuGH hat zur Begründung der oben unter A.II. wiedergegebenen Beantwortung der Vorlagefrage zu 1. ausgeführt, dass die RL 2001/29/EG dazu diene, den Verpflichtungen nachzukommen, die der Union nach dem WIPOUrheberrechtsvertrag (WCT; UNTS Bd. 2186, S. 121; ABl Nr. L 89 [2000], S. 6; BGBl 2003 II S. 754; vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 1 BvR 1916/09) obliegen und Bestimmungen des Unionsrechts nach Möglichkeit im Lichte des Völkerrechts auszulegen seien. Deswegen sei „Verbreitung durch Verkauf“ in Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG im Einklang mit Art.6 Abs. 1 WCT auszulegen und gleichbedeutend mit der dort verwandten Formulierung „durch Verkauf … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“ (EuGH aaO Rn. 23 f. mwN).
45
Um einen wirksamen Schutz des Urheberrechts entsprechend der Intention der RL 2001/29/EG zu sichern, so der EuGH, müsse der darin verwandte Begriff der Verbreitung eine autonome Auslegung im Unionsrecht erfahren, die nicht von dem Recht abhängen könne, das auf die Geschäfte anwendbar sei, in deren Rahmen eine Verbreitung erfolge und über das die Parteien verfügen könnten (EuGH aaO Rn. 25). Zur weiteren Begründung insoweit verweist er auf die Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Sache, der weitergehend ausführt , dass es dem Urheber möglich sein müsse, die kommerzielle Nutzung seiner Werke von der Vervielfältigung über die Vertriebswege tatsächlich und wirksam zu kontrollieren (Nrn. 50 bis 53 der Schlussanträge, zur Vereinbarkeit mit Art. 8 Abs. 3 der Rom-II-Verordnung vgl. dort Nr. 51).
46
Dementsprechend hat der EuGH weiter ausgeführt, dass sich die Verbreitung an die Öffentlichkeit durch eine Reihe von Handlungen auszeichne, die zumindest vom Abschluss eines Kaufvertrags bis zu dessen Erfüllung durch die Lieferung an ein Mitglied der Öffentlichkeit reichten. Bei einem grenzüberschrei- tenden Verkauf könnten Handlungen, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG führten, in mehreren Mitgliedstaaten stattfinden. Ein Händler sei daher für jede von ihm selbst oder für seine Rech- nung vorgenommene Handlung verantwortlich, die zu einer „Verbreitung an die Öffentlichkeit“ in einem Mitgliedstaat führe, in demdie in Verkehr gebrachten Waren urheberrechtlich geschützt seien. Ihm könne ebenfalls jede derartige von einem Dritten vorgenommene Handlung zugerechnet werden, wenn der betreffende Händler speziell die Öffentlichkeit des Bestimmungsstaats ansprechen wollte und ihm das Verhalten dieses Dritten nicht unbekannt sein konnte (EuGH, aaO Rn. 26 f.).
47
dd) Entsprechend diesem Schutzniveau des Gemeinschaftsrechts legt der Senat den Begriff des Verbreitens gemäß § 17 UrhG so aus, dass bei ei- nem grenzüberschreitenden Verkauf ein Verbreiten in Deutschland gemäß § 17 UrhG schon dann vorliegt, wenn ein Händler, der seine Werbung auf in Deutschland ansässige Kunden ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft, für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und diese Kunden so in die Lage versetzt, sich Vervielfältigungen von Werken liefern zu lassen, die in Deutschland urheberrechtlich geschützt sind.
48
Danach ist weder ein Eigentumsübergang noch ein Wechsel der Verfügungsgewalt in Deutschland zwingend erforderlich. Bei Nutzung eines gezielten und eingespielten Vertriebsweges hierher ist beim grenzüberschreitenden Verkauf hinreichend, dass eine dem Händler zuzurechnende Vertriebshandlung in Deutschland stattfindet, um das Tatbestandsmerkmal des § 106 Abs. 1 UrhG zu erfüllen.
49
ee) In diesem Sinne sind die Einrichtungsgegenstände von der Firma D. , also dem Verantwortlichen La. in Deutschland verbreitet worden. Zwar war die Firma D. unmittelbar nur in Italien, mithin nicht im Schutzland tätig. Jedoch sind dieser Firma die in Deutschland erfolgten Lieferungen durch die Firma I. als ihre Vertriebshandlung zuzurechnen. Denn die Urteilsfeststellungen belegen eine gezielte Ausrichtung der Vertriebstätigkeit der Firma D. auf in Deutschland ansässige Kunden und spezifisch für diese geschaffene Liefer- und Zahlungsmodalitäten.
50
So wurden die von der Firma D. ohne Lizenz vertriebenen Vervielfältigungsstücke in Deutschland durch Zeitschriftenanzeigen und -beilagen, durch direkte Werbeanschreiben, durch zu Werbezwecken versandte, deutschsprachige Kataloge sowie mittels einer auch deutschsprachigen Internetseite beworben und zum Kauf angeboten. Für die Abwicklung stand deutschsprachi- ges Personal zur Verfügung. Dies lässt den Schluss zu, dass die FirmaD. gezielt in Deutschland ansässige Kunden ansprechen und unter ihnen die Einrichtungsgegenstände verbreiten wollte. Zum anderen schuf sich die Firma D. für den Transport zu deutschen Kunden durch die seit Jahren bestehende , enge Zusammenarbeit mit der Spedition des Angeklagten einen eingespielten Vertriebsweg von Italien nach Deutschland.
51
Darüber hinaus hat das Landgericht zu Recht auf die spezifischen Zahlungsmodalitäten abgestellt, wie die Herausgabeverweigerung bei Nichtzahlung des Kunden, die Rücksendung der Ware an D. und die Erstattung von Kaufpreis und Frachtlohn an I. durch D. . Daraus durfte es folgern , die Firma D. mache im Zusammenwirken mit der Firma I. trotz der bereits erfolgten Übereignung die Übergabe der Ware von der Bezahlung des Kaufpreises durch den Kunden abhängig. Dass das Landgericht diese Feststellung zur Grundlage genommen hat, um zu belegen, dass die Ware die betriebliche Sphäre des Verkäufers erst mit Auslieferung an die in Deutschland ansässigen Kunden verließ, also erst dort der Kunde die Verfügungsgewalt erlangte , beruht auf der Anwendung eines seiner rechtlichen Würdigung zugrunde gelegten engeren Verbreitungsbegriffs. Die Annahme dieser engeren Voraussetzungen durch das Landgericht - Zurechnung der Handlungen des Angeklagten zur betrieblichen Sphäre der Firma D. - belegt zwanglos auch die nach der Entscheidung des EuGH nur mehr erforderliche Verantwortlichkeit des Händlers für die ihm aufgrund eingespielter Vertriebswege bekannte Mitwirkung Dritter an deren Umsetzung.
52
c) Die Annahme, der Angeklagte, dem die gezielte Tätigkeit der Firma I. zur Verbreitung urheberrechtlich geschützter Waren in Deutschland ebenso bekannt war, wie seine bei der Verbreitung nicht nur untergeordnete Rolle, sei lediglich Teilnehmer und nicht sogar Mittäter, beschwert den Angeklagten nicht.
53
d) Auch die Annahme gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 108a UrhG begegnet keinen Bedenken.
54
2. Der auf einer Auslegung der §§ 106, 108a UrhG, § 27 StGB im aufgezeigten Sinn gestützten Strafbarkeit steht nicht die unionsrechtlich garantierte Warenverkehrsfreiheit entgegen.
55
Zwar kann jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine „Maßnahme gleicher Wirkung“ i.S.v. Art.34 AEUV darstellen und daher unzulässig sein (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 - C 322/01, Deutscher Apothekerverband/DocMorris, GRUR 2004, 174 Rn. 66; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1974 - C 8/74, Dassonville, NJW 1975, 515 Rn. 5). Solche Maßnahmen können indes aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, wozu im Kernbereich auch das Urheberrecht zählt (EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12; EuGH, Urteil vom 22. Januar 1981 - Rs 55/80, MusikVertrieb Membran/GEMA, EuGHE 1981, 147, 162; Ulrich/Konrad in Dauses , Hdb. EU-WirtschaftsR C.III Rn. 8 mwN), gerechtfertigt sein, wenn sie weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen (Art. 36 AEUV ab 1. Dezember 2009, vormals Art. 30 EGV).
56
Beschränkungen, die auf dem Unterschied in den nationalen Regelungen über die Schutzfristen beruhen, sind gerechtfertigt, wenn diese untrennbar mit dem Bestehen der ausschließlichen Rechte verknüpft sind (vgl. etwa EuGH aaO, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im- und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 12). Das muss dann erst recht gelten, wenn an sich bestehende Schutzrechte nur unterschiedlich durchsetzbar sind, denn die Beschränkung, die für einen Händler aufgrund des strafrechtlich sanktionierten Verbreitungsverbots besteht, beruht in derartigen Fällen ebenfalls nicht auf einer Handlung oder auf der Zustimmung des Rechtsinhabers, sondern darauf , dass die Bedingungen des Schutzes der betreffenden Urheberrechte von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sind, wie der EuGH in der Vorabentscheidung in dieser Sache klargestellt hat (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012, Rechtssache C 5/11, Rn. 34, EuZW 2012, 663).
57
Dies muss auch nicht zu einer unzulässigen, weil unverhältnismäßigen und künstlichen Abschottung der Märkte führen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 1989 - Rs 341/87, EMI Electrola/Patricia Im und Export, GRUR Int. 1989, 319, Rn. 7 f.). Denn von den Mitgliedstaaten kann zum Schutz des Urheberrechts auch eine Strafbarkeit als erforderlich angesehen werden; die sich daraus ergebende Beschränkung des freien Warenverkehrs ist gerechtfertigt und verfolgt einen legitimen Zweck, wenn sich der Beschuldigte absichtlich oder zumindest wissentlich an Handlungen beteiligt hat, die zur Verbreitung geschützter Werke an die Öffentlichkeit in einem Mitgliedstaat führen, in dem das Urheberrecht in vollem Umfang geschützt ist, und so das ausschließliche Recht des Inhabers dieses Rechts beeinträchtigen (EuGH aaO Rn. 36).
58
So verhält es sich im vorliegenden Fall. Das dem Urheberrechtsinhaber nach § 17 UrhG zustehende ausschließliche Verbreitungsrecht gilt unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse. Für die geschützten Werke bestand in Italien im Tatzeitraum entweder nur eine verkürzte Schutzfrist oder der an sich bestehende urheberrechtliche Schutz war nicht durchsetzbar. Zudem wurden die Vervielfältigungsstücke der geschützten Werke unter Beteiligung des Angeklagten im Rahmen eines Verkaufsgeschäfts in Deutschland verbreitet, welches speziell auf Kunden in Deutschland ausgerichtet war (II. 1.) und von Italien aus abgeschlossen wurde. Die Beschränkung des italienischen Anbieters durch ein sanktioniertes Verbreitungsverbot in Deutschland beruht somit ausschließlich auf den unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen des deutschen und des italienischen Urheberrechts und ist mithin gerechtfertigt.
59
3. Der Angeklagte handelte auch schuldhaft.
60
Das Landgericht hat sich von einem schuldhaften Handeln des Angeklagten überzeugt. Entgegen der fehlerhaften, den sich eindeutig ergebenden Sinn indes nicht in Frage stellenden Formulierung im Urteil handelte der Ange- klagte nicht „ohne Schuld“. Denn der angenommene Verbotsirrtum ist - wie das Landgericht insoweit zutreffend ausführt - jedenfalls vermeidbar gewesen (§ 17 Satz 2 StGB).
61
a) Zwar begegnet die Annahme eines Verbotsirrtums Bedenken, indes ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert.
62
Das Landgericht legt seiner Würdigung zugrunde, der Angeklagte sei davon ausgegangen, mit der Verlegung des Lagers nach Italien würde eine Strafbarkeit in Deutschland entfallen. Dies gründet es auf die unwiderlegte Einlassung , er sei in diese Richtung beraten worden.
63
Die bloße Berufung des Angeklagten auf einen Verbotsirrtum nötigt nicht dazu, einen solchen als gegeben anzunehmen. Es bedarf vielmehr einer Gesamtwürdigung aller Umstände, die für das Vorstellungsbild des Angeklagten von Bedeutung waren (vgl. BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160).
64
Zu einer solchen Gesamtwürdigung aller für das Vorstellungsbild des Angeklagten relevanten Umstände hätte indes hier Anlass bestanden. Dass dies unterblieben ist, lässt besorgen, dass die Strafkammer bei der Frage, ob dem Angeklagten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun, von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
65
Denn der Täter hat bereits dann ausreichende Unrechtseinsicht, wenn er bei Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt. Es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 5 StR 514/09, NJW 2011, 1236, 1239 mwN). Für ein solches Vorstellungsbild sprechende Indizien lässt das Landgericht unerörtert.
66
So war dem Angeklagten aus dem ersten Strafverfahren bewusst, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte. Die ihm zuteil gewordene rechtliche Beratung erfolgte zu Geschäftsmodellen, die darauf ausgelegt waren, eine als möglich erkannte Strafbarkeit zu umgehen. Dies setzt aber eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258; BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160). So lag es hier, denn der Angeklagte konnte sich für die lediglich erhoffte Annahme der Straflosigkeit auf keine höchstrichterlichen Entscheidungen stützen. Deswegen kommt auch dem Aspekt, dass der Begriff der Verbreitung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 RL 2001/29/EG durch den EuGH erst in diesem Verfahren eine weitere Auslegung erfahren hat, für die Irrtumsfrage keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
67
In diesem Zusammenhang hätte zudem nicht unbeachtet bleiben dürfen, dass die vom Angeklagten praktizierten Lieferbedingungen entgegen einem beabsichtigten Anschein darauf ausgerichtet waren, Einwirkungsmöglichkeiten der Firma D. bis zur Zahlung durch den Kunden aufrecht zu erhalten. Diese Verfahrensweise hätte Anlass sein müssen, zu prüfen, ob der Angeklagte nicht von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Strafbarkeit des praktizierten Geschäftsmodells ausgegangen ist, weil anderenfalls kein Erfordernis für die festgestellte Verschleierung bestanden hätte.
68
Bei der gebotenen Gesamtwürdigung wäre das Landgericht überdies nicht gehindert gewesen, aus dem Umstand, dass der Angeklagte die Rechtsanwälte U. und D’. nicht von der Schweigepflicht entbunden hat, dem Angeklagten nachteilige Schlüsse zu ziehen. Zwar darf aus zulässigem Prozessverhalten grundsätzlich kein dem Angeklagten nachteiliger Schluss gezogen werden. Hat sich der Angeklagte aber - wie hier - nach Belehrung zum Tatgeschehen geäußert und ein Beweismittel für seine Unschuld benannt und sich damit in einer bestimmten Weise zum Hergang des Gesprächs mit dem Rechtsanwalt geäußert, sodann aber die Überprüfung dieser Darstellung verhindert , kann der Tatrichter hieraus Schlüsse auch zum Nachteil des Angeklagten ziehen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1965 - 4 StR 573/65, BGHSt 20, 298 mwN; vgl. Miebach NStZ 2000, 234, 239).
69
b) Jedenfalls ist das Landgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise von der Vermeidbarkeit eines solchen Irrtums ausgegangen.
70
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 1966 - KRB 2/65, BGHSt 21, 18, 20; BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 17 Rn. 78, 85). Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4; BGH, Urteil vom 13. September 1994 - 1 StR 357/94, BGHSt 40, 257, 264).
71
Auf der Grundlage dessen durfte das Landgericht die vom Angeklagten entfalteten Bemühungen zur Klärung der Rechtslage als nicht ausreichend werten.
72
Zum einen boten einige Auskunftspersonen nicht die Gewähr für eine verlässliche Auskunft. Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass die Auskunft des Geschäftsführers der Firma D. und deren Anwalt D‘. imInteresse der Firma D. erfolgte, was für den Angeklagten ohne weiteres erkennbar war. Abgesehen von einer ungewissen Sachkunde zu Fragen des deutschen Urheberrechts, hätte er daher berücksichtigen müssen, dass diese Auskunftspersonen möglicherweise voreingenommen waren und mit der Auskunft Eigeninteressen verfolgten, nämlich durch seine weitere Mitwirkung an dem Geschäftsmodell Einnahmen unter Verletzung der Urheberrechte in Deutschland zu erzielen.
73
Zum anderen waren die Auskünfte der anderen Rechtsanwälte für den Angeklagten, der aufgrund des ersten Strafverfahrens um das Risiko einer Strafbarkeit bei dem Handel von unlizensierten Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke nach Deutschland wusste, nicht hinreichend verlässlich.
74
Der Rat eines Rechtsanwalts ist nicht ohne weiteres bereits deshalb vertrauenswürdig , weil er von einer kraft ihrer Berufsstellung vertrauenswürdigen Person erteilt worden ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsrat - aus der Sicht des Anfragenden - nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgt und von der notwendigen Sachkenntnis getragen ist (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 4). Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte Gefälligkeitsgutachten scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. § 17 Rn. 9 a). Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine "Feigenblattfunktion" erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Vielmehr muss der Beratende eine vollständige Kenntnis von allen tatsächlich gegebenen, relevanten Umständen haben. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich , um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen (BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN).
75
Der Verweis des Geschäftsführers der Firma D. auf den Rechtsrat eines Frankfurter Rechtsanwalts bot keine Gewähr für eine derart verlässliche Auskunft. Schon ungeachtet der Einbindung La. s und dessen Eigeninteresse durfte der Angeklagte nicht auf diese ganz pauschale Auskunft vertrauen.
76
Auch der vom Angeklagten nur einmal kontaktierte RechtsanwaltU. konnte keine Auskunft aufgrund sorgfältiger Prüfung und Kenntnis aller Umstände erteilen. Denn er hatte den Angeklagten darauf hingewiesen, dass die Frage einer Urheberrechtsverletzung genauerer Abklärung bedürfe, welche aber nicht erfolgte. Zutreffend folgert das Landgericht hieraus, dass dies keine ausreichende Grundlage für einen unvermeidbaren Irrtum des Angeklagten bot.
77
Zudem hätte berücksichtigt werden dürfen, dass der Angeklagte sich einerseits darauf beruft, er habe auf den Rechtsrat Rechtsanwalts U. s und des auch von ihm bezahlten Rechtsanwalts der Firma D. vertraut, andererseits aber eine Überprüfung der Substanz dieser Auskünfte durch Nichtentpflichtung von der Schweigepflicht der Rechtsanwälte nicht ermöglicht hat (hierzu oben unter a.).
78
Mit nicht zu beanstandenden Erwägungen hat das Landgericht die Auskunft des Rechtsanwalt Sk. als nicht verlässlich gewertet, da diese weder „eindeutig“ oder „klar“, sondern lediglich eine allgemeine und ohne konkrete Prüfung und Kenntnis der Ausgestaltung des geänderten Geschäftsmodells geäußerte Rechtsauffassung gewesen sei. Dies wird von den Feststellungen getragen, denn Rechtsanwalt Sk. hat dem Angeklagten ungefragt lediglich seine - ohne Wissen um die genauen Umständen des praktizierten Geschäftsmodells ersichtlich wenig substantiierte - Auffassung bei Kenntnis um den kontroversen Meinungsstand bekundet. Eine solche Auskunft hat schon keinen hinreichend unrechtsverneinenden Inhalt. Auf diesem ihm günstigen Standpunkt durfte der Angeklagte nicht vorschnell vertrauen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 1985 - 3 StR 82/85) und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Denn es reicht nicht aus, wenn er aufgrund der Auskunft nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife nicht ein (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13 mwN). Nachfragen seitens des Angeklagten erfolgten aber nicht.
79
c) Soweit die Revision sich darauf beruft, dem Angeklagten hätte auch bei weitergehenden Bemühungen angesichts der erst in diesem Verfahren erfolgten Entscheidung des EuGH zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der RL 2001/29/EG kein der jetzigen Rechtslage entsprechender Hinweis erteilt werden können, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Angesichts des schon vor der Vorabentscheidung des EuGH bestehenden strafrechtlich abgesicherten Urheberrechtsschutzes war das vom Angeklagten praktizierte Geschäftsmodell mit dem Risiko der Strafbarkeit behaftet, wie die Entscheidung des Landgerichts in dieser Sache belegt (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des Senats in dieser Sache vom 8. Dezember 2010). Eine den dargestellten Anforderungen an Verlässlichkeit genügende, insbesondere auf der Grundlage einer dem Angeklagten obliegenden umfassenden Darstellung des Geschäftsmodells erfolgende Auskunft hätte auf dieses Risiko hingewiesen und spätestens hierdurch beim Angeklagten die Einsicht geweckt, es bestehe die Möglichkeit der Strafbarkeit. Ob das Verbreiten dabei entsprechend der Vorabentscheidung des EuGH weit ausgelegt oder - enger - an das hier gegebene Erfordernis des Übergangs der tatsächlichen Verfügungsgewalt geknüpft wird, ist für das Vorstellungsbild unerheblich.

III.

80
Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat aus den Taten nach dem 1. Januar 2007 (vgl. zur Nichtanwendbarkeit des § 111i Abs. 2 StPO auf zuvor bereits beendete Taten gemäß § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB, BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56) den ihm vom Kunden ausbezahlten Frachtlohn erlangt; einer Verfallsanordnung stehen die den verletzten Lizenzinhabern aus den Taten erwachsenen Ansprüche (§ 97 UrhG, § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB) entgegen. Nack Wahl Graf Jäger Cirener

(1) Kennzeichen des verbotenen Vereins dürfen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots nicht mehr

1.
öffentlich, in einer Versammlung oder
2.
in einem Inhalt (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches), der verbreitet wird oder zur Verbreitung bestimmt ist,
verwendet werden. Ausgenommen ist eine Verwendung von Kennzeichen im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke.

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend für Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbständigen Vereinen verwendet werden. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird.

(4) Diese Vorschriften gelten auch für die Verwendung von Kennzeichen einer Ersatzorganisation für die Dauer der Vollziehbarkeit einer Verfügung nach § 8 Abs. 2 Satz 1.

(1) Die Oberlandesgerichte sind in Strafsachen ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

1.
der Revision gegen
a)
die mit der Berufung nicht anfechtbaren Urteile des Strafrichters;
b)
die Berufungsurteile der kleinen und großen Strafkammern;
c)
die Urteile des Landgerichts im ersten Rechtszug, wenn die Revision ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt wird;
2.
der Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern oder des Bundesgerichtshofes begründet ist;
3.
der Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach den § 50 Abs. 5, §§ 116, 138 Abs. 3 des Strafvollzugsgesetzes und der Jugendkammern nach § 92 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes;
4.
des Einwands gegen die Besetzung einer Strafkammer im Fall des § 222b Absatz 3 Satz 1 der Strafprozessordnung.

(2) Will ein Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung

1.
nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder Buchstabe b von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung,
2.
nach Absatz 1 Nummer 3 von einer nach dem 1. Januar 1977 ergangenen Entscheidung,
3.
nach Absatz 1 Nummer 2 über die Erledigung einer Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder über die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 1. Januar 2010 ergangenen Entscheidung oder
4.
nach Absatz 1 Nummer 4 von einer Entscheidung
eines anderen Oberlandesgerichtes oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen, so hat es die Sache dem Bundesgerichtshof vorzulegen.

(3) Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung die Entscheidungen nach Absatz 1 Nr. 3 einem Oberlandesgericht für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 164/08
vom
1. Oktober 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2, § 86 Abs. 1 Nr. 2
Der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2
StGB ist grundsätzlich erfüllt, wenn das von der verbotenen Volkssozialistischen
Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA) als Symbol benutzte
stilisierte Keltenkreuz oder diesem zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen
(§ 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB) öffentlich verwendet werden. Eines zusätzlichen
Hinweises auf die Organisation bedarf es nicht. Ein tatbestandliches Handeln
scheidet aber dann aus, wenn sich aus den Gesamtumständen der Verwendung
des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck des
§ 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuwider läuft.
BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08 - OLG Nürnberg
in der Strafsache
gegen
wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
hier: Vorlegungsbeschluss des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg
vom 18. März 2008
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Oktober 2008 beschlossen:
Der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist grundsätzlich erfüllt, wenn das von der verbotenen Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA) als Symbol benutzte stilisierte Keltenkreuz oder diesem zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen (§ 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB) öffentlich verwendet werden. Eines zusätzlichen Hinweises auf die Organisation bedarf es nicht. Ein tatbestandliches Handeln scheidet aber dann aus, wenn sich aus den Gesamtumständen der Verwendung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht zuwider läuft.

Gründe:

1
Die Vorlegungssache betrifft die Frage, ob der objektive Tatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch dann erfüllt ist, wenn das stilisierte Keltenkreuz oder ein diesem zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen isoliert, d. h. ohne konkreten Hinweis auf dessen Zuordnung zu der unanfechtbar verbotenen Organisation "Volkssozialistische Bewegung Deutschlands - Partei der Arbeit" (im Folgenden: VSBD/PdA), öffentlich verwendet wird.

I.

2
1. Das Amtsgericht Straubing hatte den Angeklagten vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB) in zwei Fällen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Land- gericht Regensburg verworfen. Zu der Tat, die zur Vorlegung der Sache an den Senat geführt hat, hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte, der einen Versandhandel mit Devotionalien der rechten Szene betreibt, hielt sich am Vormittag des 19. April 2006 zunächst auf einem öffentlichen Platz in Straubing auf, um die Aufmerksamkeit der Passanten auf das von ihm getragene grüne T-Shirt zu lenken, auf dessen Brustseite ein in gelber Farbe gehaltenes, etwa kopfgroßes stilisiertes so genanntes Keltenkreuz - ein gleichschenkliges Balkenkreuz um dessen Schnittpunkt ein Ring gelegt ist - abgebildet war. Nach einiger Zeit begab er sich zu einer Polizeidienststelle und erstattete Selbstanzeige zur Klärung, ob er sich durch das öffentliche Tragen dieses T-Shirts strafbar gemacht hat.
4
Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts wurde das Keltenkreuz ausschließlich in stilisierter Form von der im Jahr 1971 gegründeten und durch Verfügung des Bundesministers des Inneren vom 14. Januar 1982 i. V. m. der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 1986 gemäß § 3 Vereinsgesetz unanfechtbar verbotenen verfassungsfeindlichen VSBD/PdA als Emblem verwendet. Das Keltenkreuz hatte für die Vereinigung, die sich insbesondere zu Hitler und zur NSDAP bekannte, die demokratische Staatsform verächtlich machte, die Rassenlehre propagierte und eine entsprechende "Revolution" anstrebte, eine hohe progammatische und symbolische Bedeutung. Es war für die VSBD/PdA ein Zeichen des Kampfes gegen einen vermeintlichen Angriff auf die "nordische Rasseneinheit" und gegen eine vermeintliche politische Fremdbestimmung. Die verbotene Vereinigung hatte das stilisierte Keltenkreuz in starker Anlehnung an die Symbole der NSDAP in unterschiedlicher Weise als Emblem verwendet: - in einem auf einer Spitze stehenden Rhombus mit aufsitzendem Adler mit und ohne Unterschrift "VSBD", - als Fahne, die das Keltenkreuz in weißem Kreis auf rotem Grund zeigte, - in einem roten bzw. schwarzen Quadrat (inverse Darstellung) und - als selbstständiges Symbol in schwarzer Darstellung ohne schriftliche oder bildliche Zusätze.
5
Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten aus Rechtsgründen verneint. Das auf dem T-Shirt aufgedruckte Emblem sei wegen seiner Farbgebung (gelb auf grünem Grund) mit keinem der von der VSBD/PdA verwendeten Kennzeichen identisch. Es sei diesen auch nicht zum Verwechseln ähnlich im Sinne des § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB, weil ein Bezug zu der verbotenen Organisation nicht hergestellt sei. Ein solcher Hinweis sei jedoch erforderlich , da das Keltenkreuz seit dem 8. Jahrhundert vor allem in Irland und Schottland als christliches Symbol Verwendung finde und überdies auch nach dem Verbot der VSBD/PdA in mehreren europäischen Ländern von - nicht verbotenen - rechten Gruppierungen, unter anderem der Skinhead-Szene in Deutschland , allgemein als ein Zeichen einer nationalistischen und rassistischen internationalen Bewegung benutzt werde. Ob dem Angeklagten, was dieser bestritten hat, die Verwendung des stilisierten Keltenkreuzes durch die verbotene VSBD/PdA bekannt war, könne daher offen bleiben.
6
2. Gegen das Berufungsurteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.
7
Das Oberlandesgericht Nürnberg hält die Revision der Staatsanwaltschaft für begründet, soweit der Angeklagte in dem oben dargestellten Fall freigesprochen worden ist. Es möchte das angefochtene Urteil insoweit aufheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zur Klärung der subjektiven Tatseite zurückverweisen. In objektiver Hinsicht erachtet das Oberlandesgericht den Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB als erfüllt. Es ist der Ansicht, das Landgericht habe an die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "zum Verwechseln ähnlich" zu hohe Anforderungen gestellt. Das auf dem T-Shirt des Angeklagten abgebildete Keltenkreuz sei vielmehr wegen der wesentlich übereinstimmenden Stilisierungselemente trotz der anderen Farbgebung dem auch isoliert verwendeten Originalkennzeichen der VSBD/PdA zum Verwechseln ähnlich. Eines zusätzlichen Hinweises auf die verbotene Organisation oder eines sonstigen Umstandes, der auf diese Vereinigung hindeute, bedürfe es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht. Denn bereits durch das öffentliche Zurschaustellen des stilisierten Keltenkreuzes, das von der verbotenen Organisation als rassistisch-politisches Kampfzeichen verstanden worden sei, seien die Schutzzwecke des § 86 a StGB tangiert, insbesondere eine Wiederbelebung der verbotenen Vereinigung sowie der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu besorgen. Auf den Bekanntheitsgrad der verbotenen Organisation in der Bevölkerung komme es dabei nicht an.
8
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht durch die Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 30. Juli 1998 (5St RR 87/98), des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. März 1997 (NStZ-RR 1998, 10) und des Oberlandesgerichts Bamberg vom 18. September 2007 (2 Ss 43/07) gehindert. Die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Oberlandesgerichts Karlsruhe betreffen die Verwendung des stilisierten Keltenkreuzes. Beide Gerichte vertreten wegen der Mehr- deutigkeit des Symbols die Rechtsauffassung, das isolierte Verwenden eines Keltenkreuzes ohne konkreten Hinweis auf die verbotene Organisation VSBD/PdA erfülle nicht den objektiven Tatbestand des § 86 a StGB, wobei das Bayerische Oberste Landesgericht im Fall des Tragens des Kennzeichens auf der Oberbekleidung das Tatbestandsmerkmal "zum Verwechseln ähnlich" für nicht gegeben erachtet, während das Oberlandesgericht Karlsruhe beim Tragen eines kleinen unscheinbaren Ringes, auf dem das isolierte Keltenkreuz abgebildet war, "jedenfalls" ein "öffentliches Verwenden" des Kennzeichens der verbotenen Organisation verneint hat. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg befasst sich hingegen mit dem Verwenden einer auch von Unterorganisationen der NSDAP als Emblem benutzten Lebensrune. Das Oberlandesgericht Bamberg hat den äußeren Tatbestand des § 86 a StGB in jenem Fall ebenfalls wegen Fehlens eines Hinweises auf eine nationalsozialistische Organisation abgelehnt.
9
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: "Ist der objektive Tatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch dann erfüllt, wenn das stilisierte Keltenkreuz und/oder diesem zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen (§ 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB) der verbotenen 'Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands - Partei der Arbeit (VSBD/PdA)' isoliert, nämlich ohne konkreten tatsächlichen Hinweis auf die verbotene Organisation und/oder ohne Vorliegen von sonstigen auf die verbotene Organisation hindeutenden Umständen öffentlich verwendet werden?"
10
3. Der Generalbundesanwalt hat beantragt die Vorlegungsfrage zu bejahen und wie folgt zu beschließen: "Der objektive Tatbestand des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist erfüllt, wenn das von der verbotenen Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA) als Symbol benutzte stilisierte Keltenkreuz oder diesem zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen (§ 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB) öffentlich verwendet werden. Eines zusätzlichen Hinweises auf die verbotene Organisation bedarf es nicht."

II.

11
Die Vorlegungsvoraussetzungen nach § 121 Abs. 2 GVG sind erfüllt.
12
1. Ob eine die Vorlegungspflicht begründende Divergenz zwischen der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg und den angeführten, andere Fallgestaltungen betreffenden Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe und des Oberlandesgerichts Bamberg besteht, kann dahinstehen. Denn jedenfalls stimmt der dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 30. Juli 1998 zugrunde liegende Sachverhalt mit dem hier zu beurteilenden in den maßgeblichen Punkten überein. Die von diesem Gericht zu den objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 a StGB geäußerte Rechtsansicht war auch mit entscheidungserheblich. Das vorlegende Oberlandesgericht Nürnberg kann deshalb über die Revision der Staatsanwaltschaft nicht entscheiden , ohne von den tragenden Erwägungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts abzuweichen.
13
2. Der Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG steht nicht entgegen, dass dieses Gericht durch das Gesetz zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft dieses Gerichts vom 25. Oktober 2004 (BayObLGAuflG; BayGVBl 2004, S. 400 ff.) mit Wirkung zum 30. Juni 2006, aufgelöst worden ist. Sie entfällt auch nicht deshalb, weil das vorlegende Gericht eines der Nachfolgegerichte des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist.
14
a) Der Senat schließt sich der in der Literatur mehrheitlich vertretenen Auffassung an, dass eine Divergenzvorlage grundsätzlich auch dann zu erfolgen hat, wenn ein Oberlandesgericht beabsichtigt, von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung eines aufgelösten, gleich geordneten Gerichts abzuweichen (vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG III § 121 Rdn. 23; derselbe in MDR 1958, 815, 816; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 121 GVG Rdn. 44; Kissel, GVG 5. Aufl. § 121 Rdn. 10; Hannich in KK 6. Aufl. § 121 GVG Rdn. 17; Frister in SK-StPO 50. Lfg. § 121 GVG Rdn. 18; Katholnigg, GVG 3. Aufl. § 121 Rdn. 14; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 121 Rdn. 6; aA Nüse JR 1956, 437). Der dem § 121 Abs. 2 GVG zugrunde liegende Gedanke, im Bereich des Strafrechts voneinander abweichende höchstrichterliche Rechtsprechung zu vermeiden, um die Rechtsanwendung voraussehbar zu machen und damit Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit zu gewährleisten, gilt in diesen Fällen gleichermaßen. Denn durch die Auflösung eines Oberlandesgerichts verlieren dessen Judikate weder ihre Geltung noch ihre Bedeutung für die Rechtsanwendung, so dass sich ohne Klärung im Vorlageverfahren - zumindest temporär - widersprechende höchstrichterliche Entscheidungen gegenüberstünden und sich den unteren Gerichten zur Auslegung des Rechts anböten.
15
b) Das Vorlageverfahren ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil das vorlegende Oberlandesgericht Nürnberg ein Nachfolgegericht des aufgelösten Gerichts ist, von dem es abzuweichen beabsichtigt. Die früher beim Bayerischen Obersten Landesgericht konzentrierten Aufgaben in strafrechtlichen Revisionsverfahren wurden allen drei Bayerischen Oberlandesgerichten im Rahmen der jeweiligen örtlichen Zuständigkeit übertragen (§ 2 Nr. 3 BayObLGAuflG; BayLTDrucks. 15/1061 S. 12). Diese Gerichte sind deshalb gleichberechtigt in die Kontinuität der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts eingetreten. Mithin kommt die beabsichtigte Abweichung des Oberlandesgerichts Nürnberg einer Abweichung von der Rechtsprechung der beiden anderen Nachfolgegerichte des Bayerischen Obersten Landesgerichts gleich und bedarf auch aus diesem Grund zur Klärung der Divergenz des Vorlageverfahrens nach § 121 Abs. 2 GVG (vgl. Hanack, Der Ausgleich divergierender Entscheidungen in der oberen Gerichtsbarkeit, 1962, S. 299 ff., 308, s. auch BayLTDrucks. 15/1061 S. 12). Ob es sich anders verhielte, wenn ein Oberlandesgericht von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abzuweichen gedenkt, dessen Nachfolge es allein übernommen hat, bedarf hier keiner Entscheidung (bejahend Franke aaO; Katholnigg aaO).

III.

16
Die Vorlagefrage ist zu bejahen. Jedoch bedarf die hierdurch eröffnete grundsätzliche Anwendbarkeit des § 86 a StGB wegen der mit dem Symbol des Keltenkreuzes verbundenen Besonderheiten einer anderweitigen tatbestandlichen Einschränkung.
17
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht vertritt in Übereinstimmung mit der Literatur die Auffassung, das öffentliche Verwenden eines (isolierten) stilisierten Keltenkreuzes erfülle wegen seiner Mehrdeutigkeit und mit Blick auf den geringen Bekanntheitsgrad der VSBD/PdA nur dann die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes des § 86 a StGB, wenn aufgrund eines konkreten Hinweises ein Bezug zu der verbotenen Organisation hergestellt werde. Fehle ein solcher Hinweis, unterfalle das Symbol bereits nicht dem Kennzeichenbegriff des § 86 a Abs. 1 und 2 StGB (vgl. Laufhütte/Kuschel in LK 12. Aufl. § 86 a Rdn. 7; Steinmetz in MünchKomm-StGB § 86 a Rdn. 10; Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 86 a Rdn. 11; Fischer, StGB 55. Aufl. § 86 a Rdn. 6; wohl auch Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 86 a Rdn. 4, allerdings bei den Erläuterungen zu § 86 a Abs. 2 Satz 2 StGB).
18
Für eine derart generalisierende, über den Einzelfall hinausgehende Einschränkung des äußeren Tatbestandes des § 86 a StGB bietet jedoch weder der Wortlaut der Vorschrift Anhaltspunkte noch entspräche sie dem Schutzzweck der Norm. Sie stünde überdies nicht mit den von der Rechtsprechung bisher entwickelten Grundsätzen zur Restriktion dieses Tatbestands in Einklang (vgl. BGHSt 25, 30, 34; 51, 244; BVerfG NJW 2006, 3052 f.).
19
Der Kennzeichenbegriff ist für sich genommen einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich. Kennzeichen, wie sie beispielhaft in § 86 a Abs. 2 StGB aufgezählt sind, sind sicht- oder hörbare Symbole, deren sich die in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB aufgeführten Organisationen bedienen oder bedient haben, um propagandistisch auf ihre politischen Ziele und die Zusammengehörigkeit ihrer Anhängerschaft hinzuweisen (Rudolphi in SK-StGB 53. Lfg. § 86 a Rdn. 2). Zur Begründung der Kennzeicheneigenschaft ist deshalb allein erforderlich , dass sich die Vereinigung ein bestimmtes Symbol durch einen Autorisierungsakt - sei es durch formale Widmung, sei es durch schlichte Übung - zu eigen gemacht hat, so dass dieses Symbol zumindest auch als Zeichen der verbotenen Organisation erscheint (vgl. BGH NJW 1999, 435, 436).
20
Ist dies der Fall, so ist darüber hinaus eine Unverwechselbarkeit des Symbols nicht erforderlich. Dass das Kennzeichen auch unverfängliche Verwendung in anderem Zusammenhang findet und von der Organisation lediglich übernommen wurde, ist für den Kennzeichenbegriff nicht von Bedeutung. Von solchen außerhalb des Symbols liegenden tatsächlichen Umständen kann die Feststellung, ob es sich bei ihm um das Kennzeichen einer verbotenen Organisation handelt, ohne nachteilige Folgen für die Rechtssicherheit und Bestimmtheit des Tatbestands nicht abhängig gemacht werden (vgl. BGH NJW 1999, 435, 436). Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn sich die verbotene Vereinigung ein rein staatliches Hoheitssymbol oder ein Symbol einer Weltreligion in unveränderter Form als Kennzeichen zu eigen macht, braucht der Senat nicht zu entscheiden (bejahend: Steinmetz aaO Rdn. 11; Fischer aaO Rdn. 4; vgl. VGH Mannheim NVwZ 2006, 935; Stegbauer NStZ 2008, 73, 76 f.; offen gelassen in BGHSt 28, 394, 395). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
21
Da das stilisierte Keltenkreuz als Symbol jedenfalls auch für die verbotene VSBD/PdA steht, unterfällt es somit ohne jede Einschränkung dem Kennzeichenbegriff des § 86 a StGB. Dem steht nicht entgegen, dass das Keltenkreuz - wenn auch weitgehend gerade nicht in stilisierter Weise, sondern in vielfältigen künstlerischen Gestaltungsformen - auch unabhängig von einem Bezug zu dieser Organisation namentlich zu kultisch-religiösen Zwecken, in kulturhistorischen Zusammenhängen oder auch als reiner Schmuck dargestellt sowie gebraucht wurde und wird. Aus der Senatsentscheidung BGH NStZ 1996, 81 ergibt sich nichts anderes. Denn im dortigen Fall war das Keltenkreuz in der Form eines realistischen Grab- oder Gedenksteins und gerade nicht in der stilisierten Weise dargestellt, wie sie die VSBD/PdA verwendet hatte; ob das derart stilisierte Keltenkreuz die Voraussetzungen des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt, hat der Senat in diesem Urteil ausdrücklich offen gelassen.
22
2. Dem Umstand, dass - von Fällen der Sozialadäquanz abgesehen (§ 86 a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB) - bei wortgetreuer Auslegung des § 86 a StGB damit jedweder Gebrauch eines solchen Kennzeichens - mithin aufgrund seiner Mehrdeutigkeit auch jede unverfängliche Verwendung des stilisierten Keltenkreuzes - dem objektiven Tatbestand unterfiele, muss mit Blick auf die Grundrechte namentlich der Meinungs- und Bekenntnisfreiheit durch eine anderweitig restriktive Auslegung der Vorschrift Rechnung getragen werden.
23
a) Das kann aber nicht in der Weise geschehen, dass eine tatbestandsmäßige Verwendung des Kennzeichens nur dann bejaht wird, wenn dieses durch einen mit ihm verbundenen Hinweis oder durch die Umstände seines Gebrauchs in einen konkreten Bezug zu der verbotenen Organisation gestellt wird. Eine derartige Tatbestandseinschränkung wäre mit dem weit gespannten Schutzzweck des § 86 a StGB nicht vereinbar.
24
aa) Die Vorschrift richtet sich zunächst gegen eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet würden (vgl. BGHSt 25, 30, 33; 31, 383, 387; 51, 244, 246). Die öffentliche Verwendung des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation begründet deshalb grundsätzlich die Gefahr einer solchen Wiederbelebung , weil in ihr ein werbendes Bekenntnis zu der Organisation und deren verfassungsfeindlichen Zielen zu sehen ist.
25
Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, dass das Keltenkreuz wegen seiner vielfältigen Verwendung als kulturhistorisches und religiöses Symbol in der Öffentlichkeit nicht als Erkennungszeichen der weithin unbekannten VSBD/PdA wahrgenommen werde, mithin die Gefahr einer propagandistischen Wirkung für die verbotene Organisation allenfalls gering sei (vgl. Stegbauer JR 2002, 182, 185). Eine solche Sichtweise lässt schon außer Betracht, dass das Keltenkreuz als kulturhistorisches oder religiöses Symbol regelmäßig in unterschiedlichen künstlerischen Gestaltungs- und Darstellungsformen verwendet , dagegen kaum in der stilisierten Weise gebraucht wird, die die VSBD/PdA benutzt hat. Im Übrigen ist der Senat einer an den Bekanntheitsgrad der Organisation bzw. der ihr zuzuordnenden Kennzeichen anknüpfenden Argumentation bereits in seinem Beschluss vom 31. Juli 2002 nicht gefolgt (BGHSt 47, 354), nicht zuletzt mit Blick darauf, dass es sich bei § 86 a StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt und eine wie auch immer geartete konkrete Gefährdung des politischen Friedens zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht erforderlich ist (BGHSt aaO S. 359).
26
bb) Die vom Bayerischen Obersten Landesgericht und in der Literatur vertretene Auffassung würde jedoch vor allem nicht dem Zweck des § 86 a StGB gerecht, die von der Verwendung des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation ausgehende gruppeninterne Wirkung zu unterbinden. Neben der werbenden Wirkung nach außen erfüllen Kennzeichen eine wichtige gruppeninterne Funktion als sichtbares Symbol geteilter Überzeugungen. Ihre Verwendung erlaubt es Gleichgesinnten, einander zu erkennen und sich als eine von den "anderen" abgrenzbare Gruppe zu definieren (BGHSt 47, 354, 359; Hörnle NStZ 2002, 113, 114). Der Gefahr einer gruppeninternen Verwendung des Kennzeichens und einer damit einhergehenden Verfestigung der Bindungen von Gleichgesinnten kann durch eine Auslegung des § 86 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die die Verwendung des von der VSBD/PdA gebrauchten stilisierten Keltenkreuzes nur dann unter den Tatbestand subsumiert, wenn ein auch für außenstehende Dritte erkennbarer Bezug des Symbols zu dieser Organisation hergestellt wird, nicht wirksam entgegengetreten werden. Vielmehr liegt es nahe, dass sich gerade Anhänger der verbotenen Organisation die nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Literatur bestehende Möglichkeit, das Kennzeichen auch straflos gebrauchen zu können, für ihre Zwecke zu Nutze machen würden und sich auf diese Weise das verbotene Kennzeichen im politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland wieder als Symbol der VSBD/PdA Organisation etablieren könnte.
27
b) Für eine einschränkende Auslegung des Tatbestands des § 86 a StGB ist deshalb ein anderer Lösungsansatz zu wählen.
28
Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die weite Fassung des § 86 a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen (vgl. BGHSt 25, 30, 32 ff.; 25, 133, 136 f.; 51, 244, 246 ff.). Dies ist bislang für Fälle anerkannt, in denen das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zugrunde liegenden Ideologie eingesetzt wird (vgl. BGHSt 25, 30, 34; 51, 244) oder erkennbar verzerrt, etwa parodistisch verwendet wird (vgl. BGHSt 25, 133, 136 f.). Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen (vgl. BVerfG NJW 2006, 3052). Sie ist für den hier in Rede stehenden Fall fortzuentwickeln.
29
Allerdings kann hier für die Prüfung, ob die Verwendung des stilisierten Keltenkreuzes dem Schutzzweck des § 86 a StGB eindeutig nicht zuwiderläuft, nicht auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isoliertem Gebrauch gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder - trotz der Stilisierung - zu völlig anderen , etwa religiösen oder rein dekorativen Zwecken verwendet wird. Ebensowenig lässt sich der Darstellung eine offenkundige Gegnerschaft zu der VSBD/PdA entnehmen. Anzuknüpfen ist vielmehr an die Fälle, in denen ein (offensichtlich ) "verbotenes" Kennzeichen in einem mehrdeutigen Zusammenhang gebraucht wird. Hierzu hat der Senat bereits entschieden, dass für die Beantwortung der Frage, ob die konkrete Kennzeichenverwendung dem Schutzzweck des § 86 a StGB erkennbar nicht zuwiderläuft, die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen sind (BGHSt 25, 30, 34: "Hitler-Gruß" bei Polizeikontrolle). Nichts anderes kann gelten, wenn die potentielle Mehrdeutigkeit des Geschehens schon aus dem Kennzeichen selbst entspringt. Daher kann den Anforderungen , die die Grundrechte der Meinungs- und Bekenntnisfreiheit, aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, hier nur in der Weise Rechnung getragen werden, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens , da dieses nicht als solches der VSBD/PdA zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt; es bedarf dann aber besonders sorgfältiger Prüfung, ob sich der Täter bewusst war, das Kennzeichen einer verbotenen Organisation zu verwenden und daher auch die subjektive Tatseite gegeben ist. RiBGHvonLienenisterkrankt unddahergehindertzuunterschreiben. Becker Miebach Becker Sost-Scheible Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 1/07
vom
17. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert
worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter
näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle
der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen,
dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil
der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 - Landgericht Oldenburg
wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a.
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof
Basdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Miebach,
Dr. Wahl, Dr. Bode, Prof. Dr. Kuckein, die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Gerhardt sowie die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kolz und Becker am
17. Januar 2008 beschlossen:
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.

Gründe:


I.

1
Die Vorlage des 3. Strafsenats betrifft die Frage, in welcher Weise es im Rechtsfolgenausspruch zu berücksichtigen ist, wenn Strafverfolgungsbehörden das Verfahren gegen den Angeklagten in rechtsstaatswidriger Weise verzögert haben.
2
1. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Strafsache gegen F. (3 StR 50/07) über die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Re- vision der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Mit ihrem Rechtsmittel beanstandet es die Revisionsführerin als sachlichrechtlichen Mangel, dass das Landgericht zum Ausgleich für eine von ihm zu verantwortende Verzögerung des Verfahrens gegen den Angeklagten auf eine Strafe erkannt hat, die das gesetzliche Mindestmaß unterschreitet.
3
Der Angeklagte hatte einen im Eigentum seiner Mutter stehenden, aber maßgeblich von ihm geleiteten Landgasthof in Brand gesetzt, um Leistungen aus der von seiner Mutter für den Betrieb abgeschlossenen Gebäude-, Inventar - und Ertragsausfallversicherung zu erlangen. Er hatte den Schadensfall der Versicherung gemeldet, diese hatte jedoch keine Zahlungen geleistet.
4
Wegen dieses Sachverhalts hat das Landgericht Oldenburg den Angeklagten der besonders schweren Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) und des versuchten Betruges (§ 263 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB) schuldig gesprochen und auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren erkannt. Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs hat das Landgericht zunächst festgestellt, dass das Verfahren in einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Weise verzögert worden sei, weil zwischen dem Eingang der Anklageschrift am 5. Oktober 2004 und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses am 24. Mai 2006 ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe. Es hat sodann dargelegt, dass ohne Berücksichtigung dieser Verfahrensverzögerung zur Ahndung der besonders schweren Brandstiftung die in § 306 b Abs. 2 StGB vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe angemessen sei. Da § 306 b StGB keinen Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle vorsehe, sei ein Ausgleich für die Verfahrensverzögerung innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht möglich. Daher sei, um dem Angeklagten die verfassungsrechtlich gebotene Kompensation für die Verletzung des Beschleunigungsgebots zu gewähren, eine Strafrahmenverschiebung in entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen. Das Landgericht hat demgemäß den Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB nach den Maßstäben des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1, Nr. 3 StGB gemildert und sodann zur Kompensation der Verfahrensverzögerung statt der an sich verwirkten Einzelfreiheitsstrafe von fünf Jahren eine solche von drei Jahren und zehn Monaten festgesetzt.
5
Für den versuchten Betrug hat es an sich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für angemessen erachtet, wegen der überlangen Verfahrensdauer jedoch auf eine solche von sechs Monaten erkannt. Unter Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren und zehn Monaten hat es sodann eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt; ohne die jeweiligen Strafabschläge hätte es eine solche von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet.
6
2. Diese Strafzumessung hält der 3. Strafsenat für rechtsfehlerhaft. Er beabsichtigt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im gesamten Strafausspruch aufzuheben.
7
a) Hierbei will er es allerdings im Ausgangspunkt nicht beanstanden, dass das Landgericht im Hinblick auf die zwischen der Anklageerhebung und dem Eröffnungsbeschluss verstrichene Zeit einen von der Justiz zu verantwortenden Verstoß gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung angenommen und die sich hieraus ergebende Verzögerung des Verfahrens - wenn auch nicht ausdrücklich ziffernmäßig, so doch nach dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen - auf etwa ein Jahr und sechs Monate bemessen hat. Auch sieht er keinen Verstoß gegen Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung dadurch begründet, dass das Landgericht als Ausgleich für diese Verfahrensverzögerung die für den versuchten Betrug eigentlich als angemessen erachtete Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr um die Hälfte reduziert und auf sechs Monate festgesetzt hat. Ebensowenig liege ein revisibler Bewertungsfehler des Landge- richts darin, dass dieses für das Brandstiftungsdelikt ohne Berücksichtigung der Verzögerung auf die Mindeststrafe von fünf Jahren erkannt hätte.
8
Als berechtigt erachtet der 3. Strafsenat dagegen die Rüge der Revision, das Landgericht habe zur Gewährleistung eines Ausgleichs für die eingetretene Verfahrensverzögerung nicht das gesetzliche Mindestmaß der für das Brandstiftungsdelikt angedrohten Freiheitsstrafe unterschreiten dürfen. Die vom Landgericht vorgenommene entsprechende Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB hält er für rechtlich nicht zulässig. Er vertritt die Auffassung, die gebotene Kompensation für den Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei insoweit vielmehr in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB in der Weise vorzunehmen , dass auf die Mindeststrafe als angemessene Strafe zu erkennen und in der Urteilsformel gleichzeitig auszusprechen sei, dass ein bestimmter Teil der Strafe, der dem gebotenen Ausmaß der Kompensation entspricht, als vollstreckt gilt (Vollstreckungslösung).
9
b) Hinsichtlich der Einzelstrafe für die besonders schwere Brandstiftung in dieser Weise zu entscheiden, sieht sich der 3. Strafsenat weder durch Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs noch durch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts gehindert. Ob es möglich wäre, aus der reduzierten Einzelstrafe für den versuchten Betrug und einer teilweise für vollstreckt erklärten Einzelstrafe für das Brandstiftungsdelikt in stimmiger Weise eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden, hat der 3. Strafsenat offen gelassen. Denn er ist der Auffassung, dass die durch vorliegende Sonderkonstellation aufgeworfenen Rechtsfragen und das von ihm zu deren Lösung befürwortete Modell Anlass zu einer generellen Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung geben. Diese Prüfung ergebe, dass sich die Vollstreckungslösung allgemein stimmiger in das Rechtsfolgensystem des Strafgesetzbuchs einfüge und der an sich angemessenen Strafe die Funktion belasse, die ihr in daran anknüpfenden Folge- regelungen inner- und außerhalb des Strafrechts zukomme. Er möchte daher dieses Modell generell anwenden und demgemäß auch den Einzelstrafausspruch wegen des versuchten Betruges aufheben. Daher beabsichtigt er zu entscheiden: Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist der Angeklagte gleichwohl zu der nach § 46 StGB angemessenen Strafe zu verurteilen; zugleich ist in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
10
Da hiermit eine Abkehr von einer bisher einhelligen Rechtsprechung verbunden wäre, hat er dem Großen Senat für Strafsachen die Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Fortbildung des Rechts zur Entscheidung vorgelegt (BGH NJW 2007, 3294).
11
3. Der Generalbundesanwalt hat sich der Rechtsauffassung des vorlegenden Senats angeschlossen.

II.

12
Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 132 Abs. 4 GVG sind gegeben.
13
Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Die Ansicht des 3. Strafsenats, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht es für erforderlich erachtet habe, die Verzögerung des Verfahrens zwischen Anklageerhebung und Eröffnungsbeschluss auf der Rechtsfolgenseite zugunsten des Angeklagten auszugleichen, und hierfür hinsichtlich des Brandstiftungsdelikts innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens keine hinreichende Möglichkeit gesehen habe, ist vertretbar. Auf dieser Grundlage hängt die Revisionsentscheidung davon ab, wie die vorgelegte Rechtsfrage zu beantworten ist. Diese hat auch grundsätzliche Bedeutung. Verstöße der Strafverfolgungsorgane gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung sind in zunehmendem Maße festzustellen ; die Gründe hierfür hat der Große Senat an dieser Stelle nicht zu erörtern. Die Frage, welche Folgen aus derartigen Verstößen zu ziehen sind, ist regelmäßig Gegenstand tatrichterlicher und revisionsgerichtlicher Entscheidungen. Eine einheitliche Handhabung durch entsprechende Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher geboten. Vor diesem Hintergrund erstrebt die Vorlage eine Fortbildung des Rechts; denn sie zielt auf die Festlegung neuer Auslegungsgrundsätze, als deren Folge sich ein von der bisherigen Handhabung abweichendes rechtliches Modell für die Kompensation von Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs ergäbe.

III.

14
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die ihm unterbreitete Rechtsfrage im Ergebnis im Sinne des Vorlegungsbeschlusses.
15
Zwar führt das bisher in der Rechtsprechung praktizierte Modell, dem Angeklagten als Ausgleich für einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung einen bezifferten Abschlag auf die an sich verwirkte Strafe zu gewähren, im Regelfall zu einer Kompensation dieses Verstoßes , die nicht nur mit den Vorgaben des Grundgesetzes und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (MRK), sondern auch mit dem nationalen deutschen Straf- und Strafprozess- recht in Einklang steht. Jedoch stößt dieses Modell in besonders gelagerten Fällen an gesetzliche Grenzen. Wie der vorliegende Fall zeigt, kann die Gewährung der verfassungs- und konventionsrechtlich gebotenen Kompensation durch Strafabschlag zu Ergebnissen führen, die den einfachgesetzlichen Rahmen des Strafzumessungsrechts sprengen. Hierdurch wird jedoch die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) berührt, die durch das StGB vorgegebene Grenzen der Strafenfindung zu achten haben. Deren Überschreitung könnte aus übergeordneten rechtlichen Gesichtspunkten nur dann gerechtfertigt werden, wenn keine andere Möglichkeit der Kompensation zur Verfügung stünde , die die Grundsätze des Strafzumessungsrechts des StGB unberührt lässt. Eine solche liegt mit der Vollstreckungslösung indes vor. Der Große Senat hält daher einen Wechsel zu diesem Modell für geboten. Dies gilt auch deshalb, weil diese Form der Entschädigung gemäß den Vorgaben der MRK, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) präzisiert worden sind, im Gegensatz zur bisherigen Verfahrensweise in allen Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung eine Kompensation ermöglicht. Die Vollstreckungslösung genügt auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
16
Unabhängig hiervon hat die Vollstreckungslösung gegenüber dem Strafabschlagsmodell weitere Vorzüge, die für die Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen einen Systemwechsel angezeigt erscheinen lassen. Durch die Trennung von Strafzumessung und Entschädigung belässt sie der unrechts- und schuldangemessenen Strafe die ihr in strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Folgebestimmungen beigelegte Funktion. Darüber hinaus vereinfacht sie die Rechtsfolgenbestimmung.
17
Im Einzelnen:
18
1. Weder die Strafprozessordnung noch das Strafgesetzbuch enthalten Regelungen dazu, welche Rechtsfolgen es nach sich zieht, wenn ein Strafverfahren aus Gründen verzögert wird, die im Verantwortungsbereich des Staates liegen. Dies beruht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers. Nach dessen Auffassung war eine gesetzliche Verankerung des Beschleunigungsgebots in der Strafprozessordnung entbehrlich, weil bereits Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK die Strafverfolgungsorgane hinreichend zu einer zügigen Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren verpflichte. Der Beschleunigungsgrundsatz sei daher dem deutschen Strafverfahrensrecht auch ohne ausdrückliche Regelung immanent. Das in Art. 20 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip sowie die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde ließen es ebenfalls nicht zu, den Beschuldigten länger als unvermeidbar in der Drucksituation des Strafverfahrens zu belassen. Wie der Grundsatz zügiger Verfahrenserledigung inhaltlich näher zu präzisieren sei und welche Folgen an seine Verletzung anzuknüpfen seien, müsse der Klärung durch Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen werden (vgl. den Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 1973 für das 1. StVRG, BT-Drucks. 7/551 S. 36 f.).
19
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Hinzu tritt Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 MRK, wonach jede Person, die aus Anlass eines gegen sie geführten Strafverfahrens von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist hat; wird dieser Anspruch verletzt, so kann sie verlangen, während des Verfahrens (aus der Haft) entlassen zu werden. Regelungen darüber , welche sonstigen Konsequenzen aus einer Verletzung des Rechts auf Verhandlung und Urteil innerhalb angemessener Frist zu ziehen sind, enthält die MRK nicht. Jedoch bestimmt Art. 13 MRK, dass jede Person, die in ihren in der Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben , auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.
20
2. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof zunächst die Auffassung vertreten, die Verletzung des Anspruchs des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auf zügige Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens begründe zwar kein Verfahrenshindernis, sei jedoch bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Der Spielraum, den das Gesetz insoweit gewähre , reiche aus, um den Belastungen, denen der Angeklagte durch das unangemessen zögerlich geführte Verfahren ausgesetzt gewesen sei, in hinreichender Weise Rechnung zu tragen (BGHSt 24, 239, 242; 27, 274, 275 f.; BGH NStZ 1982, 291, 292 m. w. N.). Dies könne in den gesetzlich vorgesehenen Fällen bis zum Absehen von Strafe, bei Verfahren wegen Vergehen aber auch zur deren Einstellung gemäß § 153 StPO führen; auch ein Gnadenerweis sei in Betracht zu ziehen (BGHSt 24, 239, 242 f.).
21
Danach war es ausreichend, den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als bestimmenden Strafzumessungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) bei der Abwägung der sonstigen strafmildernden und -schärfenden Aspekte selbständig , auch neben dem schon für sich mildernden Umstand eines langen Zeitraums zwischen Tat und Urteil, zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1983, 167; 1986, 217, 218; 1987, 232 f.; 1988, 552; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 2).
22
Diese Grundsätze hat der Bundesgerichtshof später im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts modifiziert.
23
a) Der EGMR hat in seinem Urteil vom 15. Juli 1982 (E. ./. Bundesrepublik Deutschland - EuGRZ 1983, 371 ff. m. Anm. Kühne) in zwei gegen die dortigen Beschwerdeführer durchgeführten Strafverfahren eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden festgestellt. Hieran anknüpfend hat er es in dem einen der beanstandeten Verfahren nicht als hinreichenden Ausgleich zugunsten der Beschwerdeführer erachtet , dass diesen die Verzögerungen bei der Strafzumessung des landgerichtlichen Urteils ausdrücklich strafmildernd zugute gehalten worden waren; dies sei nicht geeignet, den Beschwerdeführern ihre Opfereigenschaft im Sinne des Art. 25 MRK aF (= Art. 34 MRK nF) zu nehmen, da das Urteil keine hinreichenden Hinweise enthalte, die eine Überprüfung der Berücksichtigung der Verfahrensdauer unter dem Gesichtspunkt der Konvention erlaubten (EGMR EuGRZ 1983, 371, 381). In dem anderen Verfahren gelte das Gleiche, soweit dieses schließlich gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei; denn der Einstellungsbeschluss enthalte keinen Hinweis auf eine Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen (aaO S. 382). Zu der Frage, wie die vermissten "Hinweise" hätten ausgestaltet sein müssen und welche inhaltlichen Anforderungen an die den Beschwerdeführern zu gewährende Kompensation zu stellen gewesen wären, um den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK noch im Rahmen des nationalen Rechts auszugleichen, äußert sich die Entscheidung nicht.
24
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt eine von den Justizbehörden zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens den Beschuldigten auch in seinem verfassungsmäßigen Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie - wenn sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet - in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Ein Strafverfahren von überlanger Dauer könne den Beschuldigten - insbesondere dann, wenn die Dauer durch vermeidbare Verzögerungen seitens der Justizorgane bedingt sei - zusätzlichen fühlbaren Belastungen aussetzen, die in ihren Auswirkungen der Sanktion selbst gleich kämen. Mit zunehmender Verzögerung des Verfahrens gerieten sie in Widerstreit zu dem aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleiteten Grundsatz, dass die Strafe verhältnismäßig sein und in einem gerechten Verhältnis zum Verschulden des Täters stehen müsse (BVerfG - Kammer - NJW 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.; NStZ 2006, 680, 681 = JR 2007, 251 m. Anm. Gaede; vgl. auch BVerfG - Kammer - NJW 1992, 2472, 2473 für das Ordnungswidrigkeitenverfahren). So, wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein dazu anhalte, in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Strafverfolgung und der Bestrafung unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkungen für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen, verpflichte er im Falle eines mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang stehenden überlangen Verfahrens zur Prüfung, ob und mit welchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen (noch) strafrechtlich vorgehen kann (BVerfG - Kammer - NJW 2003, 2225; 2003, 2897; BVerfGK 2, 239, 247; vgl. BVerfG - Kammer - NJW 2005, 3485 zum weiteren Vollzug der Untersuchungshaft).
25
Solange es an einer gesetzlichen Regelung fehle, seien die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zunächst in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts zu ziehen. Komme eine angemessene Reaktion auf solche Verfahrensverzögerungen mit vorhandenen prozessualen Mitteln (§§ 153, 153 a, 154, 154 a StPO) nicht in Frage, so sei eine sachgerechte, angemessene Berücksichtigung im Rechtsfolgenausspruch, in den gesetzlich vorgesehenen Fällen möglicherweise durch Absehen von Strafe oder Verwarnung mit Strafvorbehalt, jenseits davon bei der Strafzumessung wie auch gegebenenfalls bei der Strafaussetzung zur Bewährung und bei der Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung regelmäßig verfassungsrechtlich gefordert , aber auch ausreichend (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967). Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht im Extrembereich zum Vorliegen eines unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot herzuleitenden Verfahrenshindernisses führe. Dabei liege es schon im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und dessen Auslegung durch den EGMR nahe, erscheine aber auch mit Blick auf die Bedeutung der vom Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geforderten Verfahrensbeschleunigung angezeigt, dass die Fachgerichte der Strafgerichtsbarkeit, wenn sie die gebotenen Folgen aus einer Verfahrensverzögerung ziehen, dabei die Verletzung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich feststellen und das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstands näher bestimmen (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG - Kammer - 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.; 2003, 2225 f.; 2003, 2897; BVerfGK 2, 239, 247 f.).
26
Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht dahin präzisiert , dass es nicht genüge, die Verletzung des Beschleunigungsgebots als eigenständigen Strafmilderungsgrund festzustellen und zu berücksichtigen. Vielmehr sei das Ausmaß der vorgenommenen Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verzögerung angemessenen Strafe exakt zu bestimmen (BVerfG - Kammer - NStZ 1997, 591).
27
c) An diese Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts anknüpfend haben die Strafsenate des Bundesgerichtshofs ihre ursprüngliche Spruchpraxis geändert: Ist ein Strafverfahren unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK und rechtsstaatliche Grundsätze durch die Strafverfolgungsorgane verzögert worden, so hat der Tatrichter nach der neueren Rechtsprechung zunächst stets Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursache konkret festzustellen und - falls dies zum Ausgleich der vom Beschuldigten erlittenen Belastungen nicht ausreichend ist und andere rechtliche Folgen (Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen oder wegen eines Verfahrenshindernisses ) nicht in Betracht kommen - in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (s. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 12; BGH NJW 1999, 1198, 1199; NStZ-RR 2000, 343; StV 1998, 377; 2002, 598; wistra 1997, 347; 2001, 177; 2002, 420; StraFo 2003, 247). Dies gilt bei der Bildung einer Gesamtstrafe (§ 54 Abs. 1 StGB) nicht nur für diese, sondern auch für alle zugrunde liegenden Einzelstrafen, soweit das Verfahren hinsichtlich der entsprechenden Taten verzögert worden ist (vgl. BGH NStZ 2002, 589). Der Tatrichter hat somit in den Urteilsgründen für jede Einzeltat zwei Strafen auszuweisen, was sich aus Gründen der Klarheit auch für die Gesamtstrafe empfiehlt (vgl. BGH NStZ 2003, 601). In die Urteilsformel ist allein die reduzierte Strafe aufzunehmen. In welchem Umfang sich dabei der Konventionsverstoß auf das Verfahrensergebnis auswirken muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, namentlich auch nach dem - durch die Belastungen des verzögerten Verfahrens geminderten - Maß der Schuld des Angeklagten (vgl. BGHSt 46, 159, 174; s. auch BGH NStZ 1996, 506; 1997, 543, 544; StV 2002, 598).
28
3. An dieser Rechtsprechung wird nicht festgehalten.
29
a) Der Bundesgerichtshof hat im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG) stets - ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach - daran festgehalten, dass die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mit den Mitteln vorzunehmen ist, die das Straf- oder Strafverfahrensrecht dem Rechtsanwender zur Verfügung stellen. So kommt beispielsweise die Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153 a StPO nur in Betracht , wenn sich der Angeklagte keines Verbrechens schuldig gemacht hat (vgl. BGHSt 24, 239, 242). Ebenso ist ein Ausgleich für die Verfahrensverzögerung durch Strafreduzierung, Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) oder Absehen von Strafe (§ 60 StGB) nur in den Grenzen zulässig, die das Strafgesetzbuch insoweit jeweils setzt (s. BGHSt 27, 274 zu § 59 StGB). Von der ge- setzlich vorgeschriebenen Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe kann aus Kompensationsgründen nicht abgesehen werden (BGH NJW 2006, 1529, 1535; ob hiervon in extremen Fällen Ausnahmen denkbar sind, ist dort offen gelassen worden). All dies begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG - Kammer - 1993, 3254, 3256; 2003, 2897, 2899; NStZ 2006, 680, 681).
30
In Fällen, in denen eine Kompensation nur durch eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindeststrafen möglich wäre, gerät die bisher von der Rechtsprechung angewandte Strafabschlagslösung jedoch an ihre Grenzen und läuft Gefahr, das Rechtsfolgensystem des StGB in Frage zu stellen. Dieser Konflikt zwischen Straf- und Strafprozessrecht auf der einen und verfassungs- sowie konventionsrechtlichen Vorgaben auf der anderen Seite muss in einer Weise aufgelöst werden, welche die Bindung der Gerichte an die einfachgesetzlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung so weit wie möglich respektiert. Im Bereich der Strafzumessung bedeutet dies, dass die gesetzliche Untergrenze der angedrohten Strafe nur dann unterschritten werden darf, wenn keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht, das vom Angeklagten erlittene Verfahrensunrecht in einer nach den Maßstäben des Grundgesetzes und der MRK hinreichenden Weise auszugleichen.
31
Diese Möglichkeit ist mit dem Vollstreckungsmodell jedoch vorhanden, das seine rechtlichen Grundlagen in den Bestimmungen der MRK und deren Entschädigungsprinzip findet sowie den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB fruchtbar macht (s. unten). Indem es die Kompensation für die von staatlichen Stellen verursachten Verfahrensverzögerungen in einem gesonderten Schritt nach der eigentlichen Strafzumessung vornimmt, respektiert es im Ausgangspunkt die im Gesetz vorgegebenen Mindeststrafen, die nach der Bewertung des Gesetzgebers auch im denkbar mildesten Fall noch einen angemessenen Schuldausgleich gewährleisten (vgl. Kutzner StV 2002, 277, 278). Gleichzeitig eröffnet es die Möglichkeit, die gebotene Entschädigung des Angeklagten für das von ihm erlittene Verfahrensunrecht dennoch zu leisten. Dies gilt selbst im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Sollte hier ausnahmsweise eine Kompensation einmal geboten sein (vgl. BGH NJW 2006, 1529, 1535), so könnte sie durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgenommen werden. Die Vollstreckungslösung erübrigt damit von vornherein Überlegungen, ob für besondere Ausnahmefälle ein Unterschreiten der gesetzlichen Mindeststrafe oder gar ein Absehen von der gesetzlich vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe (vgl. BGH StV 2002, 598; NJW 2006, 1529, 1535) in Betracht gezogen werden muss, sei es in der Form eines „Härteausgleichs“ (s. für den Fall der nicht - mehr - möglichen Gesamtstrafenbildung BGHSt 31, 102, 104 m. Anm. Loos NStZ 1983, 260; vgl. auch BGHSt 36, 270, 275 f.), sei es durch eine Strafrahmenverschiebung in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 oder 2 StGB (s. Krehl ZIS 2006, 168, 178 f.; StV 2006, 408, 412; Hoffmann-Holland ZIS 2006, 539 f.), wie dies der Bundesgerichtshof in Ausnahmefällen für zulässig erachtet hat, wenn die Verhängung der von § 211 StGB vorgeschriebenen lebenslangen Freiheitsstrafe aus anderen Gründen mit dem Übermaßverbot in Widerstreit gerät (vgl. BGHSt 30, 105).
32
b) Die bisher praktizierte Strafabschlagslösung ist aber auch deshalb durch das Vollstreckungsmodell zu ersetzen, weil dieses sich inhaltlich in vollem Umfang an den Kriterien ausrichtet, die nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 13, 34 MRK für den Ausgleich rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen maßgeblich sind.
33
aa) Die MRK ist durch das Zustimmungsgesetz (Art. 59 Abs. 2 GG) vom 7. August 1952 (BGBl II 685; ber. 953) unmittelbar geltendes nationales Recht im Range eines einfachen Bundesgesetzes geworden (vgl. etwa BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 323 f.; BGHSt 45, 321, 329; 46, 178, 186). Ihre Gewährleistungen sind daher durch die deutschen Gerichte wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 323). Hierbei ist auch das Verständnis zu berücksichtigen , das sie in der Rechtsprechung des EGMR gefunden haben. Auf dieser Grundlage ist das nationale Recht unabhängig von dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit der MRK zu interpretieren (vgl. BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 324).
34
Nach welchen Kriterien, in welcher Weise und in welchem Umfang eine Verletzung des Anspruchs auf zügige Verfahrenserledigung aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu kompensieren ist, um dem Betroffenen seine Opferstellung im Sinne des Art. 34 MRK zu nehmen und damit den jeweiligen Vertragsstaat vor einer Verurteilung zu bewahren, ist in der MRK nicht geregelt und daher vom EGMR den nationalen Fachgerichten nach Maßgabe der jeweiligen Rechtsordnung zur Entscheidung überlassen worden (vgl. EGMR EuGRZ 1983, 371, 382 m. Anm. Kühne; NJW 2001, 2694, 2700, Zf. 159; Pfeiffer in Festschrift Baumann S. 329, 338; Trurnit/Schroth StraFo 2005, 358, 361). Jedoch hat die Rechtsprechung des EGMR hierzu konkretisierende Maßstäbe entwickelt; ihr lassen sich auch deutliche Hinweise dazu entnehmen, welche Formen der Kompensation im Einzelfall eine hinreichende Wiedergutmachung des Konventionsverstoßes bewirken können.
35
Nach dem Konzept der MRK - in der Auslegung des EGMR - dient die Kompensation für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung allein dem Ausgleich eines durch die Verletzung eines Menschenrechts entstandenen objektiven Verfahrensunrechts (Demko HRRS 2005, 283, 295; Krehl ZIS 2006, 168, 178; StV 2006, 408, 412; vgl. Gaede wistra 2004, 166, 168; JR 2007, 254 f.). Sie ist Wiedergutmachung und soll eine Verurteilung des jeweiligen Vertragsstaates wegen der Verletzung des Rechts aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verhindern (Krehl ZIS 2006, 168, 178; s. auch BGH NStZ 1988, 552). Auf diese Wiedergutmachung hat der Betroffene gemäß Art. 13 MRK Anspruch, wenn die Konventionsverletzung nicht präventiv hat verhindert werden können (vgl. EGMR NJW 2001, 2694, 2698 ff., insbes. Zf. 159; Demko HRRS 2005, 403 ff.; Gaede wistra 2004, 166, 171; JR 2007, 254; Meyer-Ladewig MRK 2. Aufl. Art. 13 Rdn. 10, 22). Ist sie geleistet, so entfällt die Opfereigenschaft des Betroffenen im Sinne des Art. 34 MRK (vgl. EGMR StV 2006, 474, 477 f., Zf. 83). Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld sind dabei als solche weder für die Frage relevant, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist (zu den maßgeblichen Kriterien in der Rechtsprechung des EGMR s. Kühne StV 2001, 529, 530 f. m. Nachw.; Demko HRRS 2005, 283, 289 ff.), noch spielen diese Umstände für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (Demko HRRS 2005, 283, 294 f.; Krehl ZIS 2006, 168, 178; StV 2006, 408, 412; vgl. auch Kutzner StV 2002, 277, 283). Diese ist vielmehr allein an der Intensität der Beeinträchtigung des subjektiven Rechts des Betroffenen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auszurichten. Durch die Kompensation wird danach eine Art Staatshaftungsanspruch erfüllt, der dem von einem überlangen Strafverfahren betroffenen Angeklagten in gleicher Weise erwachsen kann wie der Partei eines vom Gericht schleppend geführten Zivilprozesses oder einem Bürger , der an einem verzögerten Verwaltungsrechtsstreit beteiligt ist. Dieser Anspruch entsteht auch dann, wenn der Angeklagte freigesprochen wird. Ein unmittelbarer Bezug zu dem vom Angeklagten schuldhaft verwirklichten Unrecht oder sonstigen Strafzumessungskriterien besteht daher nicht.
36
Die Kompensation durch Gewährung eines bezifferten Abschlags auf die an sich verwirkte Strafe knüpft somit nach den Maßstäben der MRK im Ausgangspunkt an ein eher sachfernes Bewertungskriterium an, mag sie auch im Großteil der Fälle dazu führen, dass der gebotene Ausgleich geschaffen wird und damit die Opferstellung des Angeklagten entfällt. Demgegenüber koppelt das Vollstreckungsmodell den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht von vornherein von Fragen des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe ab. Damit entspricht es nicht nur den Vorgaben der MRK, sondern es vermeidet gleichzeitig die Komplikationen, die sich für die Strafabschlagslösung aus der Bindung des Gerichts an die gesetzlich vorgegebenen Strafuntergrenzen ergeben (s. oben a).
37
bb) Die Vollstreckungslösung genügt auch den inhaltlichen und formellen Anforderungen, die die Art. 13, 34 MRK an eine hinreichende Kompensation stellen.
38
Nach der Rechtsprechung des EGMR verlangt ein angemessener Ausgleich zumindest die ausdrückliche oder jedenfalls sinngemäße Anerkennung des Konventionsverstoßes. Diese kann je nach den Umständen als Kompensation hinreichen; denn der EGMR hat in etlichen Fällen, in denen erst er selbst den Verstoß eines Mitgliedstaats gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausdrücklich festgestellt hat, diese Feststellung als Ausgleich genügen lassen und dem Betroffenen keine Geldentschädigung nach Art. 41 MRK für immaterielle Einbußen zugesprochen (vgl. EGMR NJW 1984, 2749, 2751 - Ver-waltungsrechtsstreit; 2001, 213, 214 - Zivilrechtsstreit; StV 2005, 475, 477 m. Anm. Pauly - Strafverfahren ). Dies legt es nahe, dass aus der Sicht des EGMR insoweit - das heißt ohne Berücksichtigung etwaiger materieller Schäden - die Opferstellung des Betroffenen bereits durch die nationalen Gerichte aufgehoben worden wäre, wenn sie die entsprechende Feststellung selbst getroffen hätten.
39
Der EGMR hat weiterhin deutlich gemacht, dass die "innerstaatlichen Behörden" durch eine eindeutige und messbare Minderung der Strafe angemessene Wiedergutmachung leisten können (s. - je m. w. Nachw. - EGMR StV 2006, 474, 479 m. Anm. Pauly; Urteil vom 26. Oktober 2006 - Nr. 65655/01, Zf. 24, juris). Dies gelte auch, soweit eine Verletzung des Art. 5 Abs. 3 MRK auszugleichen sei; jedoch müsse dieser Verstoß gesondert anerkannt werden und zu einer selbständigen messbaren Strafmilderung führen (vgl. EGMR StV 2006, 474, 478 m. Anm. Pauly).
40
Zu Weiterem verhält sich der EGMR nicht näher. Nach den in seinen Entscheidungen entwickelten Maßstäben sind aber auch die in der deutschen Rechtsprechung neben der Strafreduktion in Betracht gezogenen Konsequenzen (Annahme eines Verfahrenshindernisses, Strafaussetzung zur Bewährung, Absehen von Maßregeln der Besserung und Sicherung, völlige oder teilweise Verfahrenseinstellung nach strafprozessualen Opportunitätsgrundsätzen) je nach den Umständen erkennbar als hinreichende Wiedergutmachung tauglich. Notwendig ist lediglich der ausdrückliche Hinweis, dass die jeweilige Maßnahme des materiellen oder prozessualen Rechts gerade zur Kompensation des Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot getroffen worden ist (vgl. zu § 154 StPO: EGMR EuGRZ 1983, 371, 382).
41
Nicht ausgeschlossen ist nach den Vorgaben des EGMR auch eine Wiedergutmachung durch Zahlung einer Geldentschädigung (s. dazu etwa Kühne EuGRZ 1983, 392, 383; Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren S. 267 ff.; Wohlers JR 1994, 138, 142 f.; Kraatz JR 2006, 403, 407 ff.). Die Rechtsordnungen anderer Vertragsstaaten der MRK enthalten hierzu ausdrückliche Regelungen (etwa Spanien: s. näher Paeffgen StV 2007, 487, 494; Italien: s. näher Ress in Festschrift Müller-Dietz S. 627, 628; Frankreich: s. Kraatz JR 2006, 2003, 2006). Mit den einschlägigen Vorschriften des französischen Rechts hat der EGMR sich bereits mit Blick auf Art. 13 MRK befasst. Er hat dabei eine derartige Form der Wiedergutmachung nicht generell für unzureichend erachtet. Er hat es vielmehr nur nicht für hinreichend belegt angesehen, dass die Bestimmungen nach ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und ihrer konkreten Handhabung in dem zu beurteilenden Fall ein wirksames innerstaatliches Rechtsmittel im Sinne des Art. 13 MRK zur Erlangung einer angemessenen Entschädigung darstellen (Entscheidung vom 26. März 2002, Nr. 48215/99, Zf. 20; s. Kraatz aaO). Das deutsche Recht enthält demgegenüber keine Regelungen , die es den Strafgerichten ermöglichten, eine Geldentschädigung zuzuerkennen. Die Bestimmungen des StrEG können nicht entsprechend herangezogen werden; sie haben abschließenden Charakter. Eine entsprechende Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO gäbe keinen ausreichenden Entscheidungsspielraum. Es wäre Sache des Gesetzgebers, eine eindeutige rechtliche Grundlage zu schaffen.
42
Es kann nicht zweifelhaft sein, dass nach den genannten Kriterien auch das Modell, einen angemessenen Teil der Strafe als vollstreckt anzurechnen, den Anforderungen an eine ausreichende Entschädigung gerecht wird. Es zieht neben dem Entschädigungsprinzip der MRK auch den Rechtsgedanken des § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 2 StGB heran; denn ähnlich wie bei der Untersuchungshaft handelt es sich bei den Belastungen, denen der Angeklagte durch die rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens ausgesetzt ist, in erster Linie um immaterielle Nachteile, die allein in der Durchführung des Verfahrens wurzeln. Dies rechtfertigt es, diese Nachteile ähnlich wie die Auswirkungen der Untersuchungshaft durch Anrechnung auf die Strafe auszugleichen (vgl. Kraatz JR 2006, 204, 206; s. auch Theune in LK 12. Aufl. § 46 Rdn. 244; zu § 60 StGB: Jeschek/Weigend, StGB AT 5. Aufl. S. 863; dazu auch Scheffler, Die überlange Dauer von Strafverfahren, S. 224 ff.). Die Kompensation ist jedoch auch nach dem Vollstreckungsmodell bereits im Erkenntnisverfahren vorzu- nehmen. Sie kann nicht den Strafvollstreckungsbehörden überlassen werden; denn da die Entschädigung nicht durch schematische Anrechnung der jeweiligen Verzögerungsdauer auf die Strafe vorzunehmen, sondern aufgrund einer wertenden Betrachtung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu bemessen ist (s. unten IV. 1.), muss sie dem Tatrichter vorbehalten bleiben, dem schon die Feststellung dieser Umstände obliegt (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB).
43
4. Neben all dem sprechen weitere gewichtige Gründe für einen Übergang vom Strafabschlags- auf das Vollstreckungsmodell.
44
a) Da die im Wege der Anrechnung vorgenommene Kompensation einen an dem Entschädigungsgedanken orientierten eigenen rechtlichen Weg neben der Strafzumessung im engeren Sinn darstellt, behält die nach den Maßstäben des § 46 StGB zugemessene und im Urteilstenor auszusprechende Strafe die Funktion, die ihr in anderen strafrechtlichen Bestimmungen, aber auch in außerstrafrechtlichen Regelungen zugewiesen ist. So bleibt - wie nach der gesetzlichen Konzeption des StGB vorgesehen - die dem Unrecht und der Schuld angemessene und nicht eine aus Entschädigungsgründen reduzierte Strafe maßgeblich etwa für die Fragen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 56 Abs. 1 bis 3 StGB), ob die formellen Voraussetzungen für die Verhängung der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 bis 3 StGB), deren Vorbehalt (§ 66 a Abs. 1 StGB) oder deren nachträgliche Anordnung (§ 66 b StGB) erfüllt sind, ob der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts eintritt (§ 45 StGB), ob Führungsaufsicht angeordnet werden kann (§ 68 Abs. 1 StGB), ob Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommt (§ 59 Abs. 1 StGB) oder ob von Strafe abgesehen werden kann (§ 60 StGB) und wann Vollstreckungsverjährung eintritt (§ 79 StGB). Darüber hinaus behält sie die Bedeutung, die ihr in beamtenrechtlichen (§ 24 BRRG; für Richter s. § 24 DRiG) und ausländerrechtlichen (§§ 53, 54 AufenthG) Folgeregelungen beigelegt wird, sowie auch für die Tilgungsfristen nach dem BZRG (s. etwa § 46 BZRG) oder die Eintragungsvoraussetzungen in das Gewerbezentralregister (§ 149 Abs. 2 Nr. 4 GewO).
45
Hierdurch wird der überlangen Verfahrensdauer andererseits jedoch nicht ihre Bedeutung als Strafzumessungsgrund genommen. Sie bleibt als solcher zunächst bedeutsam deswegen, weil allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein abnimmt. Sie behält - unbeschadet der insoweit zutreffenden dogmatischen Einordnung (zum Meinungsstreit s. Paeffgen StV 2007, 487, 490 Fn. 27) - ihre Relevanz aber gerade auch wegen der konkreten Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Verfahren verbunden sind und die sich generell um so stärker mildernd auswirken, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfährt, und dem Verfahrensabschluss verstreicht; diese sind bei der Straffindung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Verfahrensdauer durch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung mitbedingt ist (vgl. BGH NJW 1999, 1198; NStZ 1988, 552; 1992, 229, 230; NStZ-RR 1998, 108). Lediglich der hiermit zwar faktisch eng verschränkte, rechtlich jedoch gesondert zu bewertende und zu entschädigende Gesichtspunkt, dass eine überlange Verfahrensdauer (teilweise) auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht, wird aus dem Vorgang der Strafzumessung, dem er wesensfremd ist, herausgelöst und durch die bezifferte Anrechnung auf die im Sinne des § 46 StGB angemessene Strafe gesondert ausgeglichen.
46
b) Durch den Übergang zur Vollstreckungslösung wird die Strafenbildung von der Notwendigkeit befreit, einen einzelnen Zumessungsaspekt in mathematisierender Weise durch bezifferten Strafabschlag - gegebenenfalls gesondert für Einzelstrafen und Gesamtstrafe - auszuweisen. Gerade diese rechnerische Vorgehensweise ist zu Recht kritisiert worden (Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 443; ders. in Festschrift Tondorf S. 351, 357 f.; s. auch Gaede JR 2007, 254, 256). Selbst in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist sie als Fremdkörper in der Strafzumessung (BGH NStZ-RR 2006, 201, 202) sowie systemwidrig (BGH NStZ 2005, 465, 466) bezeichnet und es ist für wünschenswert erachtet worden, diese - ansonsten als rechtlich verfehlt erachtete (BGH NStZ-RR 1999, 101, 102; 2000, 43; 2006, 270, 271; NStZ 2007, 28) - Mathematisierung der Strafenfindung zu überdenken (BGH, Beschl. v. 23. Juni 2006 - 1 ARs 5/04; BGH wistra 2004, 470).
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Zwar kann die durch Anrechung vorgenommene Kompensation den Rechtsfolgenausspruch - schon wegen der entsprechenden Vorgaben des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts - nicht von jeder Mathematisierung freihalten. Jedoch verlagert sie durch ihre Anlehnung an § 51 StGB die Bezifferung der Entschädigung zumindest in einen Bereich, der schon nach der gesetzlichen Konzeption derartigen Berechnungen offen steht und in diesem Rahmen auch eine zahlenmäßige Bewertung verfahrensbedingt erlittener Nachteile kennt (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB). Die eigentliche Strafzumessung wird demgegenüber nicht mehr mit ihr wesensfremden Anforderungen belastet. Dies ist insbesondere auch deswegen bedeutsam, weil es nach der neueren Rechtsprechung des EGMR (StV 2006, 474, 478 m. Anm. Pauly) notwendig werden kann, künftig den durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkten Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 MRK neben demjenigen gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gesondert zu kompensieren; dies würde nach dem Strafabschlagsmodell in letzter Konsequenz dazu führen, dass die Strafzumessung mit zwei Rechenwerken befrachtet werden müßte, im Falle einer Gesamtstrafenbildung auch noch gesondert für jede Einzelstrafe und - unter Vermeidung einer Doppelkompensation - für die Gesamtstrafe.
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Demgegenüber knüpft das Vollstreckungsmodell die Kompensation ausschließlich an die - für die Vollstreckung allein relevante - Gesamtstrafe an und vereinfacht hierdurch die Rechtsfolgenentscheidung erheblich.
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5. Die Kompensation durch Anrechnung steht nicht in Widerspruch zu verfassungsrechtlichen Vorgaben. Allerdings findet sich auch in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Aussage, dass die Belastungen, denen der Angeklagte durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausgesetzt ist, den aus der Verwirklichung des Straftatbestandes abzuleitenden Unrechtsgehalt abmilderten, der dem Angeklagten als Tatschuld angelastet werde, und daher „grundsätzlich“ als Strafmilderungsgrund bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien (s. insb. BVerfG - Kammer - NStZ 2006, 680, 681; vgl. auch BVerfGK 2, 239, 247). Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass die nach der Rechtsprechung des EGMR gebotene Entschädigung des Angeklagten nach den Vorgaben des Grundgesetzes ausschließlich in der Form einer - zusätzlichen - bezifferten Strafmilderung zulässig wäre (vgl. dagegen I. Roxin StV 2008, 14, 16). Anliegen des Bundesverfassungsgerichts ist es nicht, eine bestimmte dogmatische Sichtweise des einfachgesetzlichen Rechts über die unrechts- und schuldmildernde Wirkung rechtsstaatswidrig verursachter Verfahrenshärten als verfassungsrechtlich allein zulässige festzuschreiben. Ebensowenig will es ersichtlich ein bestimmtes Modell der konventionsrechtlich geforderten Kompensation zum verfassungsrechtlich allein statthaften erklären. Vielmehr geht es dem Bundesverfassungsgericht, wie sich seinen einschlägigen Entscheidungen deutlich entnehmen lässt, allein um die Beachtung des in der Verfassung verankerten Übermaßverbots. In welcher Form die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs durch die Fachgerichte in Anwendung des Straf- oder Strafprozessrechts gewährleistet wird, ist demgegenüber in der Verfassung nicht vorgegeben. Anders wäre es auch kaum erklärbar, dass das Bundesverfassungs- gericht eine kompensierende Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auch bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung für möglich erachtet. Wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in der Weise Rechnung getragen, dass die Belastungen, denen der Angeklagte durch das überlange Verfahren ausgesetzt war, zunächst allgemein mildernd in die Strafzumessung einfließen und sodann der besondere Aspekt, dass sie (teilweise) auf rechtsstaatswidrige Verzögerungen seitens der Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sind, im Urteil dadurch Berücksichtigung findet, dass als Entschädigung hierfür ein Teil der Strafe als bereits vollstreckt gilt, so ist damit in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot Genüge getan wie durch die bezifferte Reduzierung der Strafe.
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6. Die Vollstreckungslösung kann nicht nur - sachgerechte - gesetzliche Folgen haben, die sich im Vergleich zur Strafabschlagslösung zum Nachteil des Angeklagten auswirken (s. 4. a), sondern auch solche, die ihm zum Vorteil gereichen ; denn durch die Anrechnung werden bei der Strafzeitberechnung die Halbstrafe und der Zwei-Drittel-Zeitpunkt regelmäßig schneller erreicht, so dass es früher als bisher möglich ist, einen Strafrest zur Bewährung auszusetzen (§ 57 Abs. 1, 2 und 4 StGB). Auch dies ist eine systemgerechte Konsequenz des neuen Modells.
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Wird die Freiheitsstrafe, die zur Wiedergutmachung teilweise als vollstreckt erklärt wird, von vornherein zur Bewährung ausgesetzt, so ergeben sich keine grundsätzlichen Unterschiede zur bisherigen Rechtslage. Nach beiden Kompensationsmodellen wird die Entschädigung faktisch erst dann wirksam, wenn die Strafe nach einem Bewährungswiderruf vollstreckt werden muss. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzö- gerung neben der Anrechnung auf die Strafe aktuell wirksam auch dadurch auszugleichen, dass im Bewährungsbeschluss ausdrücklich auf Auflagen im Sinne des § 56b Abs. 2 Nr. 2 bis 4 StGB verzichtet wird.
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Auch sonst ergeben sich durch die Vollstreckungslösung keine bedeutsamen Unterschiede: Kommt nur die Verhängung einer Geldstrafe in Betracht, so ist diese wegen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht mehr um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen, dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt. In Fällen, in denen das gebotene Maß der Kompensation die schuldangemessene (Einzel-)Strafe erreicht oder übersteigt, ist - wie bisher - die Anwendung der §§ 59, 60 StGB oder die (teilweise) Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsgrundsätzen zu erwägen (§§ 153, 153a, 154, 154a StPO); gegebenenfalls ist zu prüfen, ob ein aus der Verfassung abzuleitendes Verfahrenshindernis der Fortsetzung des Verfahrens entgegensteht.
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Die im Bereich des Jugendstrafrechts bestehenden besonderen Probleme werden durch das Vollstreckungsmodell weder beseitigt noch verstärkt. Während sich bisher die Frage stellte, ob von der aus Erziehungsgründen erforderlichen Strafe zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein bezifferter Abschlag vorgenommen werden darf (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15), ist nunmehr danach zu fragen, ob es dem Erziehungsgedanken widerstreitet, einen Teil der Strafe als Entschädigung für vollstreckt zu erklären (s. § 52a JGG, ferner § 88 JGG mit größerer Flexibilität für die Reststrafenaussetzung).

IV.

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Die Strafgerichte haben die erforderliche Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach dem Vollstreckungsmodell somit an folgenden Grundsätzen auszurichten:
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1. Wie bisher sind zunächst Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Diese Feststellung dient zunächst als Grundlage für die Strafzumessung. Der Tatrichter hat insofern in wertender Betrachtung zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung in den Grenzen des gesetzlich eröffneten Strafrahmens mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.
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Hieran anschließend ist zu prüfen, ob vor diesem Hintergrund zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Reicht sie dagegen als Entschädigung nicht aus, so hat das Gericht festzulegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss es stets im Auge behalten werden, wenn die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastun- gen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung häufig auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken haben.
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In die Urteilsformel ist die nach den Kriterien des § 46 StGB zugemessene Strafe aufzunehmen; gleichzeitig ist dort auszusprechen, welcher bezifferte Teil dieser Strafe als Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer als vollstreckt gilt.
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2. Stehen mehrere Straftaten des Angeklagten zur Aburteilung an, so ist - wie bisher - zunächst zu prüfen, ob und in welchem Umfang das Verfahren bei der Verfolgung aller dieser Delikte rechtsstaatswidrig verzögert worden ist; gegebenenfalls sind insoweit differenzierte Feststellungen zu treffen und der Abstand zwischen Tatzeitpunkt und Urteil sowie die Belastungen des Angeklagten durch die Verfahrensdauer nur bei einigen der festzusetzenden Einzelstrafen mildernd zu berücksichtigen. Allein auf die durch Zusammenfassung der Einzelstrafen gebildete und in der Urteilsformel ausgesprochene Gesamtstrafe ist die Anrechnung vorzunehmen, indem ein bezifferter Teil hiervon im Wege der Kompensation für vollstreckt erklärt wird; denn allein die Gesamtstrafe ist Grundlage der Vollstreckung.
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Wird die Gesamtstrafe nachträglich aufgelöst, so hat das Gericht, das unter Einbeziehung der dieser zugrunde liegenden Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden hat, auch festzusetzen, welcher bezifferte Teil dieser neuen Gesamtstrafe aus Kompensationsgründen als vollstreckt anzurechnen ist.
Hierdurch darf der, wie rechtskräftig festgestellt, von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung betroffene Verurteilte nicht nachträglich schlechter gestellt werden (vgl. § 51 Abs. 2 StGB). Dies gilt entsprechend, wenn die Einzelstrafen des ursprünglichen Urteils in mehrere neu zu bildende Gesamtstrafen einzubeziehen sind. Das zur Entscheidung berufene Gericht hat dann festzulegen , in welchem Umfang die neu auszusprechenden Gesamtstrafen anteilig als vollstreckt gelten. Dabei hat es sich daran zu orientieren, in welchem Umfang in die jeweilige neue Gesamtstrafe Einzelstrafen einfließen, die ursprünglich nach einem rechtsstaatswidrig verzögerten Verfahren festgesetzt worden waren. In der Summe dürfen die für vollstreckt erklärten Teile der neuen Gesamtstrafen nicht hinter der ursprünglich ausgesprochenen Anrechnung zurückbleiben. Hirsch Rissing-vanSaan Basdorf Maatz Miebach Wahl Bode Kuckein Gerhardt Kolz Becker