Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 18. Okt. 2018 - 1 OLG 2 Ss 42/18

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2018:1018.1OLG2SS42.18.00
bei uns veröffentlicht am18.10.2018

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 14. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Amtsgericht Rockenhausen hat die Angeklagte wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (zur Herbeiführung eines Unglücksfalls) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil als unbegründet verworfen. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten dringt bereits mit der Sachrüge durch; auf die daneben erhobene Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht an.

I.

1.

2

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

3

„Der Zeuge S. hat am Abend des 03.09.2015 in der Vorstadt in Kirchheimbolanden – in der Annahme, aufgrund eines zu seinen Gunsten offenen Darlehensbetrages hierzu berechtigt zu sein und unter Hinweis darauf, dass sie sich die Tasche abholen könne, wenn sie ihm sein Geld bringe – die Handtasche der Angeklagten widerrechtlich aus dem von ihr genutzten, zu diesem Zeitpunkt stehenden PKW VW Polo, amtliches Kennzeichen ..., genommen, indem er sich über die im PKW auf dem Fahrersitz sitzende Angeklagte gebeugt hat, um die auf dem Beifahrersitz befindliche Handtasche greifen zu können. Anschließend hat er sich mit der Handtasche auf den Weg zu seiner – der Angeklagten bekannten – Wohnung gemacht.

4

Kurze Zeit nachdem sich der Zeuge S. mit der Handtasche der Angeklagten entfernt hatte, begann die Angeklagte ihn mit dem vorgenannten PKW zu verfolgen. Sie verfolgte ihn bis in die E. Straße in K., wo sie von der rechten Fahrspur auf den links von ihr gelegenen Bürgersteig fuhr, um den dort laufenden Zeugen S. von hinten anzufahren. Hierbei erfasste die Angeklagte den Zeugen S. im Bereich der Waden, wodurch der Zeuge über die Motorhaube rutschte und neben dem Fahrzeug zum Liegen kam. Die Angeklagte handelte hierbei in der Absicht, den Zeugen zu verletzen. Sie nahm sodann ihre Handtasche wieder an sich und fuhr mit dem PKW davon. Der Zeuge erlitt infolge des Unfalles Schmerzen und Schürfwunden am linken Unterarm und am linken Oberschenkel, Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und der Wirbelsäule.“

2.

5

Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten der Angeklagten rechtlich als vorsätzlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) gewürdigt. Dieses sei rechtswidrig gewesen, weil das Handeln der Angeklagten in Ermangelung eines gegenwärtigen Angriffs nicht durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen sei. Die Angeklagte habe sich auch nicht auf den Rechtfertigungstatbestand des § 859 Abs. 2 BGB berufen können. Zwar habe der Zeuge S. die Handtasche im Wege der verbotenen Eigenmacht an sich genommen. Die Angeklagte habe aber rechtsmissbräuchlich gehandelt, weil die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Zeugen sowie die Gefahr für dessen Leben in einem unerträglichen (Miss-)Verhältnis zu dem angegriffenen Rechtsgut der Besitzentziehung gestanden hätten.

II.

6

Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe sich durch das Anfahren des Zeugen einer – vollendeten – gefährlichen Körperverletzung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, wird von den hierzu getroffenen Feststellungen nicht getragen. Bereits dies bedingt die Aufhebung des Urteils insgesamt.

1.

7

Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung i.S.d. § 223 Abs. 1 StGB beifügt. Zwar kommt ein fahrendes Fahrzeug, wenn es zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, grundsätzlich als ein gefährliches Werkzeug in diesem Sinne in Betracht (BGH, Beschluss vom 16.01.2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Wird bereits durch den gezielten Anstoß mit einem Kraftfahrzeug selbst eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und/oder eine Gesundheitsschädigung bewirkt, kann darin eine gefährliche Körperverletzung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom 20.12.2012 – 4 StR 292/12, juris Rn. 10) reicht es für die Erfüllung dieses Tatbestandes aber nicht aus, wenn die Körperverletzung erst infolge des Sturzes und durch den Aufprall auf den Boden eintritt. Denn diese ist dann nicht mehr durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper bewirkt, sodass eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB auf solche Schäden nicht gestützt werden kann (BGH, Beschluss vom 30.06.2011 – 4 StR 266/11, juris Rn. 5; kritisch zum Ausschluss unbeweglicher Gegenstände: Vogel, JA 2018, 744).

8

Ob die vom Landgericht festgestellten Verletzungen des Zeugen (am linken Unterarm, am linken Oberschenkel sowie im Bereich der linken Hüfte und der Wirbelsäule) auf den unmittelbaren Anstoß mit dem Kraftfahrzeug oder erst durch den darauffolgenden Aufprall auf den Gehweg bewirkt wurden, lässt sich den dazu getroffenen Feststellungen nicht zweifelsfrei entnehmen. Die Art der Verletzungen und die betroffenen Körperregionen (Unterarm, Oberschenkel, Hüfte und Wirbelsäule) deuten jedoch darauf hin, dass diese nicht durch den im Wadenbereich erfolgten Anstoß sondern erst durch den nachfolgenden Sturz verursacht worden sind. Letzteres würde nach den vorgenannten Grundsätzen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen.

2.

9

Die Tatvariante eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) scheidet nach den bisher getroffenen Feststellungen aus. Denn Anhaltspunkte für die Annahme, die Angeklagte habe planmäßig ihre Angriffsabsicht verborgen (vgl. Hardtung in MK-StGB, 3. Aufl., § 224 Rn. 33), enthält das angefochtene Urteil nicht. Dass sich die Angeklagte dem Zeugen von Hinten näherte und dieser mit einem Angriff nicht rechnete, reicht zur Begründung von Hinterlist nicht aus (BGH, Beschluss vom 06. September 1988 – 5 StR 387/88, juris Rn. 4).

3.

10

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen auch nicht die Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Das Landgericht hat zwar das Anfahren des Zeugen mit einem Kraftfahrzeug als eine das Leben gefährdende Handlung gewertet (UA S. 12). Die hierzu getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, diese Wertung nachvollziehbar zu machen.

11

Zwar wird ein Fahrzeugführer, der gezielt einen Fußgänger von hinten anfährt die konkreten Auswirkungen dieser Handlung nicht stets vollständig beherrschen und den Umfang der dadurch bewirkten Verletzungen kontrollieren können. Dies entbindet den Tatrichter jedoch nicht von Feststellungen zum konkreten Tatablauf. Denn die (Lebens-)Gefährlichkeit der konkreten Handlung hängt regelmäßig insbesondere von der Anstoßgeschwindigkeit und der Konstitution des Geschädigten sowie davon ab, ob und inwieweit diesem Reaktionsmöglichkeiten verblieben waren. Vor diesem Hintergrund belegen die getroffenen Feststellungen zum Unfallhergang - Erfassen des Zeugen im Bereich der Waden, Sturz über die Motorhaube auf den Gehweg - für sich genommen die Lebensbedrohlichkeit des Geschehens nicht. Dafür, dass die Angeklagte den Zeugen mit einer nicht nur geringen Geschwindigkeit erfasst und daher die Gefahr des Eintritts weit erheblicherer Verletzungen bestanden hat, ergeben sich weder aus dem geschilderten Geschehensablauf noch aus dem mitgeteilten Verletzungsbild Anhaltspunkte.

III.

12

Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass der neue Tatrichter die Voraussetzungen einer Rechtfertigung nach § 32 StGB eingehender als bisher geschehen wird prüfen müssen.

1.

13

Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr kommt auch bei dem das Allgemeinrechtsgut der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs schützenden Tatbestand des § 315b StGB (Pegel in MK-StGB, 2. Aufl., § 315b Rn. 1) grundsätzlich jedenfalls dann in Betracht, wenn und soweit – wie hier – die durch die Tat konkret gefährdete Person Angreifer i.S.d. § 32 StGB ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.04.2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133; Mitsch, JuS 2014, 593, 596). Die Mitteilung, die Angeklagte habe sich „kurze Zeit nachdem sich der Zeuge S. (..) entfernt hatte“ auf die Verfolgung gemacht, reicht zum Beleg der fehlenden Gegenwärtigkeit des Angriffs nicht aus. Bei Eigentums- und Vermögensdelikten ist ein gegenwärtiger Angriff noch gegeben, solange die Beute nicht endgültig gesichert ist; auf die Vollendung der Tat kommt es nicht an (Fischer, StGB, 65. Aufl., § 32 Rn. 18 m.w.N.). Nichts anderes kann für den hier vom Landgericht festgestellten Angriff auf das Besitzrecht der Angeklagten gelten. Dass der Zeuge S., der sich noch auf dem Weg zu seiner Wohnung befand, den Besitz an der Handtasche im Zeitpunkt der Tat bereits endgültig gesichert hatte, liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen eher fern. Gegen eine solche Annahme spricht bereits, dass die Angeklagte schon „kurze Zeit“ nach der Wegnahme der Tasche die Verfolgung des Zeugen aufgenommen hat und für sie offensichtlich auch nicht zweifelhaft gewesen war, wo sie diesen mit der Beute würde antreffen können. Hinzu tritt, dass die durch die Ankündigung des Zeugen, er werde die Tasche erst nach Zahlung eines Geldbetrages zurückgeben, bewirkte Nötigungslage weiterhin andauerte (zur Gegenwärtigkeit einer Nötigung: Erb in MK-StGB, 3. Aufl., § 32 Rn. 112 m.w.N.).

2.

14

Sofern der neue Tatrichter die Gegenwärtigkeit des Angriffs im Zeitpunkt der Tat bejaht, wird er zu beachten haben, dass ein Verteidigungswille im Rahmen des § 32 StGB auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen ist, wenn andere Beweggründe, etwa Vergeltung und Rache, hinzutreten (BGH, Urteil vom 25.04.2013 – 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133). Feststellungen dahingehend, dass der Angeklagten andere mildere Mittel zur Verfügung gestanden haben, um ihre Tasche zurückzuerlangen, hat das Landgericht bislang nicht getroffen. Der Tatrichter wird ferner zu beachten haben, dass im Rahmen des § 32 StGB eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht stattfindet (BGH, Urteil vom 12.02.2003 – 1 StR 403/02, juris Rn. 23 = BGHSt 48, 207), die Verteidigung sich aber als rechtsmissbräuchlich darstellen kann, wenn ein unerträgliches Missverhältnis zwischen dem angegriffenen Rechtsgut und den (potentiellen) Folgen der zu seiner Abwehr vorgenommenen Handlung besteht (Erb aaO. Rn. 217; Perron in Schönke/Schröder-StGB, 29. Aufl. § 32 Rn. 50 jew. m.w.N.). Ein grobes Missverhältnis wird nicht schon mit Blick auf die tatsächlich bewirkten Verletzungen des Zeugen, die nicht lebensbedrohlich waren und folgenlos verheilt sind, angenommen werden können. Eine solche Annahme kann aber in Betracht kommen, wenn die Angeklagte den Zeugen durch die Tat in die konkrete Gefahr einer schweren oder gar lebensbedrohenden Verletzung gebracht hat (Perron aaO. Rn. 50; vgl. a. BayObLG, Urteil vom 22.06.1965 – RevReg 2 St 41/54, NJW 1954, 1377). Hierzu bedarf es, wie bereits oben ausgeführt, weitergehender Feststellungen.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss, 18. Okt. 2018 - 1 OLG 2 Ss 42/18 zitiert 7 §§.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 315b Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr


(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,2. Hindernisse bereitet oder3. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,und dadurch Leib oder Leben

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 859 Selbsthilfe des Besitzers


(1) Der Besitzer darf sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt erwehren. (2) Wird eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder a

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(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Der Besitzer darf sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt erwehren.

(2) Wird eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen.

(3) Wird dem Besitzer eines Grundstücks der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen, so darf er sofort nach der Entziehung sich des Besitzes durch Entsetzung des Täters wieder bemächtigen.

(4) Die gleichen Rechte stehen dem Besitzer gegen denjenigen zu, welcher nach § 858 Abs. 2 die Fehlerhaftigkeit des Besitzes gegen sich gelten lassen muss.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 524/06
vom
16. Januar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2007 gemäß § 349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22. März 2006 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe der tateinheitlich begangenen vorsätzlichen (einfachen) Körperverletzung schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr (Fall II. 1 der Urteilsgründe, Einzelstrafe: zwei Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen hierzu in Tatmehrheit stehender weiterer tateinheitlich zusammentreffender Straftaten (Fall II. 2 der Urteilsgründe, Einzelstrafe: neun Monate Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und gegen ihn eine isolierte Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis von drei Jah- ren angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und dem sich in das Fahrzeug des Angeklagten beugenden Polizeibeamten G. , der den Angeklagten an einer Weiterfahrt hindern wollte, zunächst zu einer Rangelei. G. versuchte die Handbremse zu ziehen und kam hierbei quer im vorderen Innenraum des Fahrzeugs zu Liegen. Im weiteren Verlauf der körperlichen Auseinandersetzung gelang es dem Angeklagten, sein Fahrzeug rückwärts in Gang zu setzen, so dass es schließlich gegen eine Böschung stieß. Durch den Anstoß fiel der Polizeibeamte aus dem Fahrzeug auf einen Gehweg; er erlitt „bei diesem Vorgang“ unter anderem einen Bruch des Brustbeins, eine Schwellung am rechten Auge, Schürfwunden am Armgelenk und Prellungen mehrerer Rippen.
4
b) Damit ist das Vorliegen einer gefährlichen Körperverletzung nicht belegt. Die hier allein in Betracht kommende Tatbestandsvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB („mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs“ ) setzt voraus, dass die Körperverletzung durch ein von Außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes gefährliches Tatmittel verursacht wird (vgl. Senat NZV 2006, 270, 271/272; NZV 2006, 483, 484 [zu § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB]; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 224 Rdn. 7; a.A. KG NZV 2006, 111 mit Anm. Krüger). Zwar ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung ei- ner Person eingesetzt wird, als ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Bestimmung anzusehen. Die Feststellungen ergeben jedoch nicht, dass die Verletzungen des Polizeibeamten durch eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf seinen Körper verursacht worden sind. Soweit er sich diese - was unklar bleibt - bei dem Sturz aus dem Fahrzeug zugezogen hat, wäre der Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Aufprall auf den Gehsteig und nicht „mittels“ des Kraftfahrzeugs eingetreten (vgl. Senat aaO).
5
c) Das Verhalten des Angeklagten erfüllt jedoch den Tatbestand einer (einfachen) Körperverletzung gemäß § 223 StGB. Der nach § 230 StGB zur Verfolgung erforderliche Strafantrag ist vom Verletzten form- und fristgerecht gestellt worden (vgl. Bl. 28 d.A.). Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab.
6
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler hat auf den Bestand des Strafausspruchs keine Auswirkung. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Körperverletzungshandlung die im Fall II. 1 der Urteilsgründe festzusetzende Einzelstrafe, die dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 315 b Abs. 3 StGB zu entnehmen war, niedriger bemessen hätte. Zwar hat das Landgericht insoweit rechtsfehlerhaft den Strafrahmen des § 315 Abs. 3 StGB zu Grunde gelegt und damit verkannt , dass § 315 b Abs. 3 StGB nur bezüglich der tatbestandlichen Voraussetzungen auf diese Vorschrift verweist, im Übrigen aber über einen eigenen, im Höchstmaß niedrigeren (zehn statt fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe) Strafrahmen verfügt. Da das Landgericht sich bei der Bemessung der Einzelstrafe jedoch ersichtlich an dem unteren Mindestmaß des Strafrahmens orientiert hat, welches in beiden Bestimmungen gleich ist, ist nicht zu besorgen, dass sich dieser Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Jedenfalls erachtet der Senat die festgesetzte Einzelstrafe für angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO.
Tepperwien Kuckein Athing
Solin-Stojanović Ernemann

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

10
a) Eine Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirken- des gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Tz. 5). Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, in der Regel als ein solches gefährliches Werkzeug anzusehen (Senatsbeschluss aaO; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Wird eine Person durch ein gezieltes Anfahren zu Fall gebracht, kann darin eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen sind dagegen nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen, sodass eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB allein darauf nicht gestützt werden kann (Senatsbeschlüsse vom 30. Juni 2011 sowie vom 16. Januar 2007, jeweils aaO).

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

5
aa) Zwar ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Die Feststellungen ergeben jedoch nicht, dass die Verletzungen des Po- lizeibeamten durch eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf seinen Körper verursacht worden sind. Soweit er sich diese – was unklar bleibt – bei dem Sturz auf den Asphalt zugezogen hat, wäre der Körperverletzungserfolg nicht „mittels“ des Kraftfahrzeugs eingetreten (Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405 und vom 10. Juli 2008 – 4 StR 220/08).

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 551/12
vom
25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für die Nebenkläger und ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für die Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger K. , S. und P. wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Dem Angeklagten lag zur Last, sich des versuchten Totschlags in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, indem er mit einem Pkw unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen auf die Nebenkläger zufuhr und sich ohne anzuhalten entfernte, nachdem der Nebenkläger K. von seinem Fahrzeug erfasst und erheblich verletzt worden war. Das Landgericht hat den Angeklagten von allen Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen haben die Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Nebenkläger streben jeweils eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und eines tateinheitlich begangenen vollendeten Körperverletzungsdeliktes an. Die Staatsanwaltschaft beanstandet die Annahme der Voraussetzungen des § 33 StGB und die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird von dem Generalbundesanwalt vertreten, soweit sie sich gegen die Annahme einer Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB wendet. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war Mitglied der NPD und weiterer Zusammenschlüsse von Personen mit rechtsradikaler Gesinnung. Er nahm an Veranstaltungen mit entsprechender politischer Ausrichtung teil und kandidierte im Jahr 2011 für die NPD bei der Landtagswahl in . Am 4. August 2011 wurde er von Personen aus dem linken Spektrum als Rechtsradikaler „geoutet“ und daraufhin in einschlägigen Internetblogs beschimpft. Bei einem am 28. September 2011 mit einem Gesinnungsgenossen im Internet geführten Dialog berichtete der Angeklagte über eine gegen ihn gerichtete anonyme Schmähung. Dabei erklärte er, nur darauf zu warten, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne. Als ihm sein Dialogpartner beipflichtete , schrieb der Angeklagte weiter: „Ja! Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr! Man stelle sich das mal bildlich vor! So ne Zecke greift an und du ziehst n Messer. Die Flachzange klappt zusammen und rührt sich nicht mehr. Das muss doch ein Gefühl sein, wie wenn man kurz vor dem Ejakulieren ist!“
4
Am 1. Oktober 2011 sollte eine von dem Angeklagten und der „ “, der der Angeklagte angehörte, ausgerichtete so- genannte „Soli-Party“ auf einer Ackerfläche in B. stattfinden. Auf dieser Party sollte Geld für eine von dem Angeklagten für den 22. Oktober 2011 angemeldete Demonstration erwirtschaftet werden. Im Vorfeld war den der linken Szene zuzuordnenden Nebenklägern K. , P. und S. sowie fünf weiteren Personen bekannt geworden, dass für ortsunkundige Besucher dieser „Party“ für die Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.30 Uhr eine Person auf einem Pendlerparkplatz bereitstehen würde, die den Weg zum Veranstaltungsgelände weisen sollte. Die Nebenkläger und ihre Begleiter fuhren deshalb in zwei Fahrzeugen zu dem ihnen bekannten Pendlerparkplatz , um vor Ort weitere Informationen für ihr Vorgehen zu sammeln und eine Weiterleitung von Besuchern zum Veranstaltungsgelände zu verhindern. Dabei planten sie den Einsatz körperlicher Gewalt und nahmen mögliche Verletzungen der dort anzutreffenden Kontaktperson billigend in Kauf.
5
Zwischen 19.00 Uhr und 19.15 Uhr entdeckten der Nebenkläger S. und ein Begleiter bei einer Erkundungsfahrt den ihnen als führendes Mitglied der rechten Szene bekannten Angeklagten, der am Steuer seines im hinteren Teil des Pendlerparkplatzes abgestellten Pkw Mitsubishi Colt saß und die Rolle der angekündigten Kontaktperson übernommen hatte. Sie trafen sich daraufhin mit den übrigen Nebenklägern und deren Begleitern auf einem kleineren Parkplatz, der gegenüber dem Pendlerparkplatz auf der anderen Seite des Flusslaufs liegt und für den Angeklagten nicht einsehbar war.
6
Etwa gegen 19.15 Uhr begaben sich die dunkel gekleideten Nebenkläger mit zwei Begleitern (insgesamt fünf Personen) zu Fuß zu einer kleinen Brücke, die über den Flusslauf zur L. straße und dem Pendlerparkplatz führte, um den Angeklagten dort anzugreifen und notfalls unter Einsatz von körperlich wirkender Gewalt zu vertreiben. Dabei führte S. eine Dose mit Pfefferspray mit, während einer seiner Begleiter Handschuhe trug, die zur Erhöhung der Schlagkraft und zur Vermeidung von Handverletzungen im Bereich der Knöchel mit Quarzsand gefüllt waren. Auf dem Weg vermummten sich die Nebenkläger und ihre Begleiter mit Sturmhauben, Kapuzen und anderen schwar- zen Textilien. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte seinen Standort verändert, nachdem er ein ziviles Polizeifahrzeug wahrgenommen hatte, von den Beamten aber nicht bemerkt worden war. Er befand sich nun mit seinem Pkw im vorderen Bereich des Pendlerparkplatzes nur wenige Meter von der ersten Ausfahrt entfernt. Sein Fahrzeug war dabei in Richtung der Ausfahrt eingeparkt. Der Angeklagte saß bei geöffnetem Seitenfenster auf dem Fahrersitz und telefonierte mit dem auf dem Festgelände befindlichen Zeugen A. .
7
Als der Nebenkläger S. bei der Überquerung der Brücke den Angeklagten entdeckte, rief er aus: „Das ist er!“ und zog den Sicherungs- splint aus der Pfefferspraydose. Daraufhin beschleunigte die Gruppe ihren Schritt und versuchte die L. straße schräg in Richtung der noch ca. 14 Meter von der Brücke entfernten ersten Ausfahrt des Pendlerparkplatzes zu überqueren. Als der Angeklagte die vermummte Personengruppe bemerkte und deren Vorhaben erkannte, teilte er seinem Gesprächspartner A. mit, dass er von „Zecken“ angegriffen werde und warf sein Mobiltelefon auf den Bei- fahrersitz.
8
Der Angeklagte befürchtete zu Recht, körperlich attackiert zu werden. Er geriet nicht ausschließbar in Panik und beschloss zu flüchten. Dazu startete er sein Fahrzeug und fuhr mit Vollgas beschleunigend über die erste Ausfahrt auf die L. straße und dann nach links auf die Personengruppe mit den Nebenklägern zu, die sich zu diesem Zeitpunkt wenige Meter von der Brücke entfernt in Richtung des Angeklagten auf der Straße befand. Jedenfalls die drei Nebenkläger hielten sich zu diesem Zeitpunkt in der Mitte der Straße bzw. der in Fahrtrichtung des Angeklagten rechten Fahrbahnhälfte und damit in dessen direktem Fahrweg auf. Als der Angeklagte sein Fahrzeug beschleunigte, war ihm bewusst, dass er die Nebenkläger in die erhebliche Gefahr brachte, ohne eine Ausweichbewegung ihrerseits von seinem Fahrzeug erfasst und hierbei verletzt zu werden. Eine Verletzung der drei Nebenkläger, jedenfalls im Rahmen einer Ausweichbewegung, nahm er billigend in Kauf (UA 11). Auch eine „leichte Kollision“ und ein nicht ausschließbares „leichtes Anfahren“ wurden von ihm für möglich gehalten und gebilligt (UA 38). Der Angeklagte rechnete jedoch nicht damit, dass er eine der Personen oder gar mehrere überfahren könnte und nahm ihren Tod nicht billigend in Kauf. Vielmehr ging er davon aus, dass sie die Straße noch rechtzeitig räumen würden, was ihnen sowohl räumlich als auch zeitlich möglich gewesen wäre (UA 11 f.).
9
Die Nebenkläger P. und S. konnten sich vor dem schnell herannahenden Fahrzeug des Angeklagten durch einen Sprung zur Seite retten. K. sprang – obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte – aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des auf ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h zukommenden Fahrzeugs. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde abgeworfen. Er stürzte mit dem Hinterkopf auf die Fahrbahndecke und blieb schwer verletzt liegen.
10
Der Angeklagte, der erkannt hatte, dass K. durch den Aufprall schwer verletzt oder sogar getötet worden sein konnte, fuhr mit seinem Fahrzeug davon, weil er zu Recht Vergeltungsmaßnahmen der vermummten Begleiter von K. befürchtete. Als er nach etwa zwei Minuten auf ein Polizeifahrzeug traf, hielt er dieses an und offenbarte sich den Beamten (UA 12).
11
Durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten erlitt K. insbesondere eine lebensgefährliche Hirnblutung sowie diverse Häma- tome und Schürfwunden. Aufgrund der Hirnblutung kam es bei ihm zu einer motorischen Aphasie. Er musste intensivmedizinisch behandelt werden und sich einer einmonatigen stationären Rehabilitationsmaßnahme zum Wiedererlernen der Sprachfähigkeit unterziehen. Derzeit leidet er noch an temporären Wortfindungsstörungen und einem defekten Mundschluss sowie Angstgefühlen. Ob es zu weiteren Spätfolgen kommen wird, ist ungewiss (UA 13).
12
Der Angeklagte hätte eine Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit auch dadurch vermeiden können, dass er den Pendlerparkplatz über die zweite Ausfahrt verlassen hätte oder von der ersten Ausfahrt nicht nach links, sondern nach rechts abgebogen und davongefahren wäre. Eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungs- und Selbstschutzchancen wäre hierdurch in beiden Fällen nicht eingetreten (UA 12). Bei einem Ausfahren über die zweite Ausfahrt wäre ein Kontakt mit den Angreifern allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, weil sich der Zeuge H. , der zu der Gruppe um die Nebenkläger gehörte, bereits in der Nähe befand (UA 39).
13
2. Das Landgericht ging davon aus, dass der Angeklagte die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers K. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenkläger P. und S. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 22 StGB) verwirklicht hat. Außerdem erfülle sein Verhalten die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, wobei er durch die Tat eine schwere Gesundheitsbeschädigung bei einem anderen Menschen verursacht habe (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Eine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB scheide aus. Zwar sei der Angeklagte einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff der Nebenkläger ausgesetzt gewesen, doch habe sich seine Abwehrmaßnahme nicht im Rahmen des Erforderlichen gehalten. Dem Angeklagten sei es möglich gewesen, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung zu entziehen. Angesichts der offensichtlichen Gefährlichkeit seines Verhaltens habe er diese Möglichkeit ergreifen und „flüchten müssen“. Drohe dem Angegriffenen selbst keine Lebensgefahr, könne auch die Flucht ein Verteidigungsmittel sein, wenn das stattdessen eingesetzte Abwehrmittel mit Lebensgefahren für den Angreifer verbunden sei. Der Angeklagte sei aber nicht ausschließbar nach § 33 StGB entschuldigt, da er aus Verwirrung, Angst und Schrecken die Grenzen der Notwehr überschritten habe (UA 43). Der Tatbestand des § 142 StGB sei nicht erfüllt, weil dem Angeklagten nicht zugemutet werden konnte, am Unfallort zu verbleiben. Er habe sich entschuldigt entfernt und sofort nachträglich die erforderlichen Feststellungen ermöglicht.

II.


14
Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der Nebenkläger und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben schon deshalb Erfolg, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund eines Notwehrexzesses im Sinne des § 33 StGB ohne Schuld gehandelt, nicht tragfähig begründet ist.
15
1. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr nach § 33 StGB setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2003 – 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600 mwN). Von einer Angriffsabwehr kann dabei nur die Rede sein, wenn der Täter nicht nur in Kenntnis der die Notwehrlage begründenden Umstände, sondern auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat (BGH, Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 33 Rn. 48; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Rn. 590; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., § 12 Rn. 149a).
16
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Anfahrens des Nebenklägers K. und des Beinahe-Zusammenstoßes mit den Nebenklägern P. und S. einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt war und sich deshalb objektiv in einer Notwehrlage befand (§ 32 Abs. 2 StGB).
17
Ein Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/ 87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Nach den Feststellungen waren die Nebenkläger und ihre Begleiter im Begriff, den Angeklagten in seinem Fahrzeug körperlich anzugreifen. Dazu bewegten sie sich schnellen Schrittes auf ihn zu und hatten nur noch wenige Meter zu überwinden. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer und ihrer Bewaffnung (Reizgas, präparierte Handschuhe) hätte ein Zuwarten den Angeklagten der Gefahr ausgesetzt, nicht mehr rechtzeitig reagieren zu können oder wichtige Handlungsoptionen zu verlieren.
18
Da der Angriff der Nebenkläger und ihrer Begleiter auf den Angeklagten in Widerspruch zur Rechtsordnung stand, war er auch rechtswidrig (BGH, Urteil vom 23. September 1997 – 1 StR 446/97, NJW 1998, 1000).
19
b) Dagegen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich mit dem Zufahren auf die Nebenkläger gegen deren Angriff verteidigt, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Aufgrund seiner Feststellungen zur Tatvorgeschichte hätte sich das Landgericht an dieser Stelle mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Vorgehen des Angeklagten auch von dem erforderlichen Verteidigungswillen getragen war.
20
aa) Wird von dem Angegriffenen in einer Notwehrlage ein Gegenangriff auf Rechtsgüter der Angreifer geführt (sog. Trutzwehr), kann darin nur dann eine Angriffsabwehr gesehen werden, wenn in diesem Vorgehen auch tatsächlich der Wille zum Ausdruck kommt, der drohenden Rechtsverletzung entgegenzutreten (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; Urteil vom 19. März 1968 – 1 StR 648/67, MDR 1969, 15, 16 bei Dallinger; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 32 Rn. 25; Schmidhäuser, GA 1991, 91, 132; ders., JZ 1991, 937, 939; Schünemann, GA 1985, 341, 371; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 86; vgl. Alwart, GA 1983, 433, 448 ff.). Dazu reicht allein die Feststellung, dass dem Angegriffenen die Notwehrlage bekannt war, nicht aus. Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille das Recht zu wahren ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, NStZRR 2012, 84, 86; Urteil vom 31. Januar 2007 – 1 StR 429/06, NStZ 2007, 325, 326; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02; NJW 2003, 1955, 1957 f.; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365, 366; Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117; Urteil vom 4. September 1979 – 5 StR 461/79, GA 1980, 67, 68; Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198). Hieran ist trotz in der Literatur geäußerter Kritik (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 266; Matt/ Renzikowski/Engländer, StGB, § 32 Rn. 63; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 241; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 32 Rn. 63; Prittwitz, GA 1980, 381 ff.; Rath, Das subjektive Rechtfertigungselement, 2002, S. 241 f.; Waider, Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, 1970, S. 91 ff.) festzuhalten.
21
bb) Die Äußerungen des Angeklagten im Vorfeld der Geschehnisse, wo- nach er nur darauf warte, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne, wie auch das damit verbundene begeis- terte Ausmalen eines Szenarios, in dem es zur Tötung eines politischen Geg- ners („Zecke“) in einer Notwehrsituation kommt, lassen es nicht als fernliegend erscheinen, dass er den Angriff der Nebenkläger lediglich zum Anlass genommen hat, gegen sie Gewalt zu üben. Dem entspricht es, dass es das Landgericht an anderer Stelle im Zusammenhang mit diesen Äußerungen selbst für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte auf die Nebenkläger und ihre Begleiter zugefahren ist, um sie unter Inkaufnahme von Verletzungen „springen“ zu lassen (UA 39). Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nicht ohne nähere Begründung davon ausgehen, dass der Angeklagte bei seinem Vorgehen gegen die Nebenkläger zumindest auch von dem Willen geleitet war, das Recht zu wahren. Die ausführliche Bewertung der Äußerungen des Angeklagten vom 28. September 2011 und seiner daraus abzuleitenden Haltung gegenüber den Nebenklägern im Zusammenhang mit der Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 36) kann die fehlenden Ausführungen zum Verteidigungswillen nicht ersetzen.
22
2. Die Sache bedarf schon aus diesem Grund neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen zur Tatvorgeschichte und zum Tatgeschehen kam nicht in Betracht, weil dies den nicht geständigen Angeklagten belasten würde und er keine Möglichkeit hatte, das Urteil insoweit anzugreifen (BGH, Urteil vom 27. Januar 1998 – 1 StR 727/97, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 2; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
23
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
24
a) Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Fährt der Täter mit einem Pkw auf eine oder mehrere Personen zu, ist der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann erfüllt, wenn er dabei billigend in Kauf nimmt, dass die betroffenen Personen angefahren werden und unmittelbar durch den Anstoß mit dem fah- renden Pkw eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erleiden. Rechnet der Täter nur mit Verletzungen infolge von Ausweichbewegungen oder bei Stürzen, scheidet die Annahme einer (versuchten) gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus.
25
Eine gefährliche Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Umstände kennt, aus denen sich in der konkreten Situation die allgemeine Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens ergibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 224 Rn. 13 mwN). Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, das der Nebenkläger K. aus ungeklärten Gründen auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten gesprungen und das Vorgehen des Angeklagten erst dadurch für ihn generell lebensgefährdend geworden ist, müsste der Angeklagte auch ein solches Geschehen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1992 – 4 StR 607/91, BGHR StGB § 315b Abs. 3 Absicht 1).
26
b) Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer objektiv gegebenen Notwehrlage auf die Nebenkläger zugefahren ist und dabei jedenfalls auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat, wird erneut zu prüfen sein, ob die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind.
27
aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage begangene Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt , das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen entschieden werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027). Da das Notwehrrecht nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung dient (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359), kommen als alternativ in Betracht zu ziehende Abwehrhandlung grundsätzlich nur Maßnahmen in Betracht, die die bedrohte Rechtsposition gegen den Angreifer durchsetzen. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nicht, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht, noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957; Urteil vom 24. Juli 1979 – 1 StR 249/79, NJW 1980, 2263; Urteil vom 21. Dezember 1977 – 2 StR 421/77, BGHSt 27, 313, 314; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 182; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 118; NK-StGB/ Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 94 mwN). Etwas anderes kann lediglich dann gelten , wenn besondere Umstände das Notwehrrecht einschränken, etwa weil dem Angriff eine vorwerfbare Provokation des Angegriffenen vorausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31) oder der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204 m. Anm. Walther, JZ 2003, 52).
28
bb) Daran gemessen wird sich eine Überschreitung der Grenzen des Erforderlichen nicht mit den vom Erstgericht hierzu angestellten Erwägungen begründen lassen. Der Angeklagte war nicht gehalten, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung (Flucht) zu entziehen. Auch für die vom Landgericht angestellte Abwägung zwischen den Gefahren, die dem Angeklagten im Fall einer Flucht gedroht hätten und den mit der gewählten Verteidigung verbundenen Gefahren für die Rechtsgüter der angreifenden Nebenkläger, ist kein Raum. Stattdessen wird der neue Tatrichter auf der Grundlage der von ihm dazu getroffenen Feststellungen zu erörtern haben, ob es dem Angeklagten in dem Zeitpunkt der Zufahrt auf die Nebenkläger möglich war, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Sollte sich wiederum ergeben, dass der Angeklagte mit Vollgas auf die in seinem Fahrweg laufenden Nebenkläger zugefahren ist, wird dabei gegebenenfalls die Frage beantwortet werden müssen, ob diese die Nebenkläger erheblich gefährdende Fahrweise tatsächlich erforderlich war, um sie von ihrem Angriffsvorhaben abzubringen. Wurde der Nebenkläger K. auch nach den neu getroffenen Feststellungen nur deshalb gravierend verletzt, weil er aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten sprang, wird auch entschieden werden müssen, ob diese Entwicklung aus der an dieser Stelle maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters vorhersehbar war. Wäre dies zu verneinen, müsste diese Auswirkung als nicht vorhersehbare Folge bei der vergleichenden Betrachtung mit anderen möglichen Verteidigungshandlungen außer Ansatz bleiben (vgl. für eine andere Fallkonstellation BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14).
29
c) Gelangt der neue Tatrichter zu dem Ergebnis, dass sich der Angeklagte bei der Abwehr des Angriffs der Nebenkläger in den Grenzen des Erforderlichen gehalten hat, entfiele damit auch die Rechtswidrigkeit des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. März 1974 (4 StR 399/73, unter 4.a), insoweit in BGHSt 25, 306; NJW 1974, 1340; MDR 1974, 679; VerkMitt 1974, Nr. 97 und JZ 1974, 621 nicht abgedruckt) implizit bejaht, indem er für einen vergleichbaren Fall die Möglichkeit einer Putativnotwehr und dementsprechend eine Bestrafung wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB) in Betracht zog. Dem steht nicht entgegen , dass § 315b StGB vornehmlich die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs schützt und die Bewahrung der Individualrechtsgüter der gefährdeten Verkehrsteilnehmer von diesem Schutzzweck lediglich mit umfasst wird (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 123; SSWStGB /Ernemann, § 315b Rn. 1). Zwar vermag Notwehr grundsätzlich nur Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers die Rechtswidrigkeit zu nehmen (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 159), doch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 32 StGB ausnahmsweise auch die Verletzung von Universalrechtsgütern zu rechtfertigen vermag, wenn deren Begehung – wie hier – untrennbar mit der erforderlichen Verteidigung verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 2 StR 380/11, NStZ 2012, 452; Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 508/09, NStZ-RR 2010, 140; Beschluss vom 18. Februar 1999 – 5 StR 45/99, NStZ 1999, 347; Beschluss vom 11. Juli 1996 – 1 StR 285/96, StV 1996, 660; Urteil vom 12. Mai 1981 – 5 StR 109/81, NStZ 1981, 299, jeweils zu mit der Notwehrhandlung begangenen Verstößen gegen das Waffengesetz; a.A. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 160; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 123; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 80 f.; Maatz, MDR 1985, 881, 882).
30
d) Ergibt sich dagegen, dass die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind, wird sich ein Eingehen auf § 33 StGB anschließen müssen. Dabei wird zu beachten sein, dass eine Exkulpierung nach dieser Vorschrift nur zu rechtfertigen ist, wenn sich der Angeklagte aufgrund der Bedrohung durch die Nebenkläger in einem psychischen Ausnahmezustand mit einem Störungsgrad befunden hat, der eine erhebliche Reduzierung seiner Fähigkeit das Geschehen zu verarbeiten zur Folge hatte (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65, 66; Urteil vom 16. August 1994 – 1 StR 244/94, NStZ 1995, 76, 77; Urteil vom 25. August 1992 – 5 StR 266/92, BGHR StGB § 33 Furcht 2; vgl. Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, NStZ 2001, 591, 593; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 33 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Engländer, § 33 Rn. 10; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 33 Rn. 23 mwN). War dies der Fall, kann ein entschuldigender Notwehrexzess auch dann noch anzunehmen sein, wenn die Überschreitung der Notwehrgrenzen durch andere (sthenische) Affekte (Wut, Zorn etc.) mitverursacht worden ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1998 – 1 StR 779/97, StV 1999, 148; Beschluss vom 9. Oktober 1998 – 2 StR 443/98, NStZ-RR 1999, 264; Beschluss vom 11. Juli 1986 – 3 StR 269/86, BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Hierzu bedarf es konkreter Feststellungen und einer wertenden Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.
31
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend in der von den vermummt auftretenden Nebenklägern ausgehenden Bedrohungslage, der durch den Überraschungseffekt bedingten zuge- spitzten Entscheidungssituation und den Angaben von Zeugen zum psychischen Zustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat wichtige Beweisanzeichen für einen Affekt im Sinne des § 33 StGB gesehen und dem die gegen einen solchen Affekt sprechenden Umstände (gedankliche Vorwegnahme möglicher Angriffe, Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Gegenaktionen) gegenübergestellt (UA 39 ff.). Seine Erwägungen sind jedoch entscheidend von der rechtsfehlerhaften Annahme beeinflusst, dass der Angeklagte die Notwehrgrenzen bereits deshalb überschritten habe, weil er den Ort des Geschehens nicht fluchtartig verließ.
32
Sollte der neue Tatrichter zu einer Erörterung der Voraussetzungen des § 33 StGB gelangen, wird er neben den genannten Gesichtspunkten auch in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen haben, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Einvernahme am 12. Oktober 2011 zwar von „Panik“ berichtet hat, dann aber seine Entscheidung für ein Zufahren auf die Gruppe um die Nebenkläger als das Ergebnis einer Abwägung zwischen verschiedenen Risiken und fahrtechnischen Möglichkeiten schilderte (UA 18). Ein Verhaltensalternativen in den Blick nehmendes Entscheiden kann Ausdruck einer Verarbeitung des Geschehens sein und damit gegen die Annahme einer Störung im Sinne des § 33 StGB sprechen.

III.


33
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die damit verknüpfte Entschädigungsgrundentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteil vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09, Rn. 20).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 551/12
vom
25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für die Nebenkläger und ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für die Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger K. , S. und P. wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Dem Angeklagten lag zur Last, sich des versuchten Totschlags in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, indem er mit einem Pkw unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen auf die Nebenkläger zufuhr und sich ohne anzuhalten entfernte, nachdem der Nebenkläger K. von seinem Fahrzeug erfasst und erheblich verletzt worden war. Das Landgericht hat den Angeklagten von allen Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen haben die Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Nebenkläger streben jeweils eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und eines tateinheitlich begangenen vollendeten Körperverletzungsdeliktes an. Die Staatsanwaltschaft beanstandet die Annahme der Voraussetzungen des § 33 StGB und die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird von dem Generalbundesanwalt vertreten, soweit sie sich gegen die Annahme einer Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB wendet. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war Mitglied der NPD und weiterer Zusammenschlüsse von Personen mit rechtsradikaler Gesinnung. Er nahm an Veranstaltungen mit entsprechender politischer Ausrichtung teil und kandidierte im Jahr 2011 für die NPD bei der Landtagswahl in . Am 4. August 2011 wurde er von Personen aus dem linken Spektrum als Rechtsradikaler „geoutet“ und daraufhin in einschlägigen Internetblogs beschimpft. Bei einem am 28. September 2011 mit einem Gesinnungsgenossen im Internet geführten Dialog berichtete der Angeklagte über eine gegen ihn gerichtete anonyme Schmähung. Dabei erklärte er, nur darauf zu warten, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne. Als ihm sein Dialogpartner beipflichtete , schrieb der Angeklagte weiter: „Ja! Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr! Man stelle sich das mal bildlich vor! So ne Zecke greift an und du ziehst n Messer. Die Flachzange klappt zusammen und rührt sich nicht mehr. Das muss doch ein Gefühl sein, wie wenn man kurz vor dem Ejakulieren ist!“
4
Am 1. Oktober 2011 sollte eine von dem Angeklagten und der „ “, der der Angeklagte angehörte, ausgerichtete so- genannte „Soli-Party“ auf einer Ackerfläche in B. stattfinden. Auf dieser Party sollte Geld für eine von dem Angeklagten für den 22. Oktober 2011 angemeldete Demonstration erwirtschaftet werden. Im Vorfeld war den der linken Szene zuzuordnenden Nebenklägern K. , P. und S. sowie fünf weiteren Personen bekannt geworden, dass für ortsunkundige Besucher dieser „Party“ für die Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.30 Uhr eine Person auf einem Pendlerparkplatz bereitstehen würde, die den Weg zum Veranstaltungsgelände weisen sollte. Die Nebenkläger und ihre Begleiter fuhren deshalb in zwei Fahrzeugen zu dem ihnen bekannten Pendlerparkplatz , um vor Ort weitere Informationen für ihr Vorgehen zu sammeln und eine Weiterleitung von Besuchern zum Veranstaltungsgelände zu verhindern. Dabei planten sie den Einsatz körperlicher Gewalt und nahmen mögliche Verletzungen der dort anzutreffenden Kontaktperson billigend in Kauf.
5
Zwischen 19.00 Uhr und 19.15 Uhr entdeckten der Nebenkläger S. und ein Begleiter bei einer Erkundungsfahrt den ihnen als führendes Mitglied der rechten Szene bekannten Angeklagten, der am Steuer seines im hinteren Teil des Pendlerparkplatzes abgestellten Pkw Mitsubishi Colt saß und die Rolle der angekündigten Kontaktperson übernommen hatte. Sie trafen sich daraufhin mit den übrigen Nebenklägern und deren Begleitern auf einem kleineren Parkplatz, der gegenüber dem Pendlerparkplatz auf der anderen Seite des Flusslaufs liegt und für den Angeklagten nicht einsehbar war.
6
Etwa gegen 19.15 Uhr begaben sich die dunkel gekleideten Nebenkläger mit zwei Begleitern (insgesamt fünf Personen) zu Fuß zu einer kleinen Brücke, die über den Flusslauf zur L. straße und dem Pendlerparkplatz führte, um den Angeklagten dort anzugreifen und notfalls unter Einsatz von körperlich wirkender Gewalt zu vertreiben. Dabei führte S. eine Dose mit Pfefferspray mit, während einer seiner Begleiter Handschuhe trug, die zur Erhöhung der Schlagkraft und zur Vermeidung von Handverletzungen im Bereich der Knöchel mit Quarzsand gefüllt waren. Auf dem Weg vermummten sich die Nebenkläger und ihre Begleiter mit Sturmhauben, Kapuzen und anderen schwar- zen Textilien. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte seinen Standort verändert, nachdem er ein ziviles Polizeifahrzeug wahrgenommen hatte, von den Beamten aber nicht bemerkt worden war. Er befand sich nun mit seinem Pkw im vorderen Bereich des Pendlerparkplatzes nur wenige Meter von der ersten Ausfahrt entfernt. Sein Fahrzeug war dabei in Richtung der Ausfahrt eingeparkt. Der Angeklagte saß bei geöffnetem Seitenfenster auf dem Fahrersitz und telefonierte mit dem auf dem Festgelände befindlichen Zeugen A. .
7
Als der Nebenkläger S. bei der Überquerung der Brücke den Angeklagten entdeckte, rief er aus: „Das ist er!“ und zog den Sicherungs- splint aus der Pfefferspraydose. Daraufhin beschleunigte die Gruppe ihren Schritt und versuchte die L. straße schräg in Richtung der noch ca. 14 Meter von der Brücke entfernten ersten Ausfahrt des Pendlerparkplatzes zu überqueren. Als der Angeklagte die vermummte Personengruppe bemerkte und deren Vorhaben erkannte, teilte er seinem Gesprächspartner A. mit, dass er von „Zecken“ angegriffen werde und warf sein Mobiltelefon auf den Bei- fahrersitz.
8
Der Angeklagte befürchtete zu Recht, körperlich attackiert zu werden. Er geriet nicht ausschließbar in Panik und beschloss zu flüchten. Dazu startete er sein Fahrzeug und fuhr mit Vollgas beschleunigend über die erste Ausfahrt auf die L. straße und dann nach links auf die Personengruppe mit den Nebenklägern zu, die sich zu diesem Zeitpunkt wenige Meter von der Brücke entfernt in Richtung des Angeklagten auf der Straße befand. Jedenfalls die drei Nebenkläger hielten sich zu diesem Zeitpunkt in der Mitte der Straße bzw. der in Fahrtrichtung des Angeklagten rechten Fahrbahnhälfte und damit in dessen direktem Fahrweg auf. Als der Angeklagte sein Fahrzeug beschleunigte, war ihm bewusst, dass er die Nebenkläger in die erhebliche Gefahr brachte, ohne eine Ausweichbewegung ihrerseits von seinem Fahrzeug erfasst und hierbei verletzt zu werden. Eine Verletzung der drei Nebenkläger, jedenfalls im Rahmen einer Ausweichbewegung, nahm er billigend in Kauf (UA 11). Auch eine „leichte Kollision“ und ein nicht ausschließbares „leichtes Anfahren“ wurden von ihm für möglich gehalten und gebilligt (UA 38). Der Angeklagte rechnete jedoch nicht damit, dass er eine der Personen oder gar mehrere überfahren könnte und nahm ihren Tod nicht billigend in Kauf. Vielmehr ging er davon aus, dass sie die Straße noch rechtzeitig räumen würden, was ihnen sowohl räumlich als auch zeitlich möglich gewesen wäre (UA 11 f.).
9
Die Nebenkläger P. und S. konnten sich vor dem schnell herannahenden Fahrzeug des Angeklagten durch einen Sprung zur Seite retten. K. sprang – obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte – aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des auf ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h zukommenden Fahrzeugs. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde abgeworfen. Er stürzte mit dem Hinterkopf auf die Fahrbahndecke und blieb schwer verletzt liegen.
10
Der Angeklagte, der erkannt hatte, dass K. durch den Aufprall schwer verletzt oder sogar getötet worden sein konnte, fuhr mit seinem Fahrzeug davon, weil er zu Recht Vergeltungsmaßnahmen der vermummten Begleiter von K. befürchtete. Als er nach etwa zwei Minuten auf ein Polizeifahrzeug traf, hielt er dieses an und offenbarte sich den Beamten (UA 12).
11
Durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten erlitt K. insbesondere eine lebensgefährliche Hirnblutung sowie diverse Häma- tome und Schürfwunden. Aufgrund der Hirnblutung kam es bei ihm zu einer motorischen Aphasie. Er musste intensivmedizinisch behandelt werden und sich einer einmonatigen stationären Rehabilitationsmaßnahme zum Wiedererlernen der Sprachfähigkeit unterziehen. Derzeit leidet er noch an temporären Wortfindungsstörungen und einem defekten Mundschluss sowie Angstgefühlen. Ob es zu weiteren Spätfolgen kommen wird, ist ungewiss (UA 13).
12
Der Angeklagte hätte eine Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit auch dadurch vermeiden können, dass er den Pendlerparkplatz über die zweite Ausfahrt verlassen hätte oder von der ersten Ausfahrt nicht nach links, sondern nach rechts abgebogen und davongefahren wäre. Eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungs- und Selbstschutzchancen wäre hierdurch in beiden Fällen nicht eingetreten (UA 12). Bei einem Ausfahren über die zweite Ausfahrt wäre ein Kontakt mit den Angreifern allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, weil sich der Zeuge H. , der zu der Gruppe um die Nebenkläger gehörte, bereits in der Nähe befand (UA 39).
13
2. Das Landgericht ging davon aus, dass der Angeklagte die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers K. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenkläger P. und S. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 22 StGB) verwirklicht hat. Außerdem erfülle sein Verhalten die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, wobei er durch die Tat eine schwere Gesundheitsbeschädigung bei einem anderen Menschen verursacht habe (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Eine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB scheide aus. Zwar sei der Angeklagte einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff der Nebenkläger ausgesetzt gewesen, doch habe sich seine Abwehrmaßnahme nicht im Rahmen des Erforderlichen gehalten. Dem Angeklagten sei es möglich gewesen, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung zu entziehen. Angesichts der offensichtlichen Gefährlichkeit seines Verhaltens habe er diese Möglichkeit ergreifen und „flüchten müssen“. Drohe dem Angegriffenen selbst keine Lebensgefahr, könne auch die Flucht ein Verteidigungsmittel sein, wenn das stattdessen eingesetzte Abwehrmittel mit Lebensgefahren für den Angreifer verbunden sei. Der Angeklagte sei aber nicht ausschließbar nach § 33 StGB entschuldigt, da er aus Verwirrung, Angst und Schrecken die Grenzen der Notwehr überschritten habe (UA 43). Der Tatbestand des § 142 StGB sei nicht erfüllt, weil dem Angeklagten nicht zugemutet werden konnte, am Unfallort zu verbleiben. Er habe sich entschuldigt entfernt und sofort nachträglich die erforderlichen Feststellungen ermöglicht.

II.


14
Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der Nebenkläger und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben schon deshalb Erfolg, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund eines Notwehrexzesses im Sinne des § 33 StGB ohne Schuld gehandelt, nicht tragfähig begründet ist.
15
1. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr nach § 33 StGB setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2003 – 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600 mwN). Von einer Angriffsabwehr kann dabei nur die Rede sein, wenn der Täter nicht nur in Kenntnis der die Notwehrlage begründenden Umstände, sondern auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat (BGH, Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 33 Rn. 48; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Rn. 590; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., § 12 Rn. 149a).
16
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Anfahrens des Nebenklägers K. und des Beinahe-Zusammenstoßes mit den Nebenklägern P. und S. einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt war und sich deshalb objektiv in einer Notwehrlage befand (§ 32 Abs. 2 StGB).
17
Ein Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/ 87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Nach den Feststellungen waren die Nebenkläger und ihre Begleiter im Begriff, den Angeklagten in seinem Fahrzeug körperlich anzugreifen. Dazu bewegten sie sich schnellen Schrittes auf ihn zu und hatten nur noch wenige Meter zu überwinden. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer und ihrer Bewaffnung (Reizgas, präparierte Handschuhe) hätte ein Zuwarten den Angeklagten der Gefahr ausgesetzt, nicht mehr rechtzeitig reagieren zu können oder wichtige Handlungsoptionen zu verlieren.
18
Da der Angriff der Nebenkläger und ihrer Begleiter auf den Angeklagten in Widerspruch zur Rechtsordnung stand, war er auch rechtswidrig (BGH, Urteil vom 23. September 1997 – 1 StR 446/97, NJW 1998, 1000).
19
b) Dagegen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich mit dem Zufahren auf die Nebenkläger gegen deren Angriff verteidigt, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Aufgrund seiner Feststellungen zur Tatvorgeschichte hätte sich das Landgericht an dieser Stelle mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Vorgehen des Angeklagten auch von dem erforderlichen Verteidigungswillen getragen war.
20
aa) Wird von dem Angegriffenen in einer Notwehrlage ein Gegenangriff auf Rechtsgüter der Angreifer geführt (sog. Trutzwehr), kann darin nur dann eine Angriffsabwehr gesehen werden, wenn in diesem Vorgehen auch tatsächlich der Wille zum Ausdruck kommt, der drohenden Rechtsverletzung entgegenzutreten (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; Urteil vom 19. März 1968 – 1 StR 648/67, MDR 1969, 15, 16 bei Dallinger; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 32 Rn. 25; Schmidhäuser, GA 1991, 91, 132; ders., JZ 1991, 937, 939; Schünemann, GA 1985, 341, 371; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 86; vgl. Alwart, GA 1983, 433, 448 ff.). Dazu reicht allein die Feststellung, dass dem Angegriffenen die Notwehrlage bekannt war, nicht aus. Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille das Recht zu wahren ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, NStZRR 2012, 84, 86; Urteil vom 31. Januar 2007 – 1 StR 429/06, NStZ 2007, 325, 326; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02; NJW 2003, 1955, 1957 f.; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365, 366; Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117; Urteil vom 4. September 1979 – 5 StR 461/79, GA 1980, 67, 68; Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198). Hieran ist trotz in der Literatur geäußerter Kritik (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 266; Matt/ Renzikowski/Engländer, StGB, § 32 Rn. 63; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 241; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 32 Rn. 63; Prittwitz, GA 1980, 381 ff.; Rath, Das subjektive Rechtfertigungselement, 2002, S. 241 f.; Waider, Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, 1970, S. 91 ff.) festzuhalten.
21
bb) Die Äußerungen des Angeklagten im Vorfeld der Geschehnisse, wo- nach er nur darauf warte, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne, wie auch das damit verbundene begeis- terte Ausmalen eines Szenarios, in dem es zur Tötung eines politischen Geg- ners („Zecke“) in einer Notwehrsituation kommt, lassen es nicht als fernliegend erscheinen, dass er den Angriff der Nebenkläger lediglich zum Anlass genommen hat, gegen sie Gewalt zu üben. Dem entspricht es, dass es das Landgericht an anderer Stelle im Zusammenhang mit diesen Äußerungen selbst für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte auf die Nebenkläger und ihre Begleiter zugefahren ist, um sie unter Inkaufnahme von Verletzungen „springen“ zu lassen (UA 39). Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nicht ohne nähere Begründung davon ausgehen, dass der Angeklagte bei seinem Vorgehen gegen die Nebenkläger zumindest auch von dem Willen geleitet war, das Recht zu wahren. Die ausführliche Bewertung der Äußerungen des Angeklagten vom 28. September 2011 und seiner daraus abzuleitenden Haltung gegenüber den Nebenklägern im Zusammenhang mit der Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 36) kann die fehlenden Ausführungen zum Verteidigungswillen nicht ersetzen.
22
2. Die Sache bedarf schon aus diesem Grund neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen zur Tatvorgeschichte und zum Tatgeschehen kam nicht in Betracht, weil dies den nicht geständigen Angeklagten belasten würde und er keine Möglichkeit hatte, das Urteil insoweit anzugreifen (BGH, Urteil vom 27. Januar 1998 – 1 StR 727/97, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 2; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
23
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
24
a) Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Fährt der Täter mit einem Pkw auf eine oder mehrere Personen zu, ist der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann erfüllt, wenn er dabei billigend in Kauf nimmt, dass die betroffenen Personen angefahren werden und unmittelbar durch den Anstoß mit dem fah- renden Pkw eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erleiden. Rechnet der Täter nur mit Verletzungen infolge von Ausweichbewegungen oder bei Stürzen, scheidet die Annahme einer (versuchten) gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus.
25
Eine gefährliche Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Umstände kennt, aus denen sich in der konkreten Situation die allgemeine Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens ergibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 224 Rn. 13 mwN). Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, das der Nebenkläger K. aus ungeklärten Gründen auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten gesprungen und das Vorgehen des Angeklagten erst dadurch für ihn generell lebensgefährdend geworden ist, müsste der Angeklagte auch ein solches Geschehen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1992 – 4 StR 607/91, BGHR StGB § 315b Abs. 3 Absicht 1).
26
b) Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer objektiv gegebenen Notwehrlage auf die Nebenkläger zugefahren ist und dabei jedenfalls auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat, wird erneut zu prüfen sein, ob die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind.
27
aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage begangene Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt , das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen entschieden werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027). Da das Notwehrrecht nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung dient (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359), kommen als alternativ in Betracht zu ziehende Abwehrhandlung grundsätzlich nur Maßnahmen in Betracht, die die bedrohte Rechtsposition gegen den Angreifer durchsetzen. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nicht, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht, noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957; Urteil vom 24. Juli 1979 – 1 StR 249/79, NJW 1980, 2263; Urteil vom 21. Dezember 1977 – 2 StR 421/77, BGHSt 27, 313, 314; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 182; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 118; NK-StGB/ Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 94 mwN). Etwas anderes kann lediglich dann gelten , wenn besondere Umstände das Notwehrrecht einschränken, etwa weil dem Angriff eine vorwerfbare Provokation des Angegriffenen vorausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31) oder der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204 m. Anm. Walther, JZ 2003, 52).
28
bb) Daran gemessen wird sich eine Überschreitung der Grenzen des Erforderlichen nicht mit den vom Erstgericht hierzu angestellten Erwägungen begründen lassen. Der Angeklagte war nicht gehalten, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung (Flucht) zu entziehen. Auch für die vom Landgericht angestellte Abwägung zwischen den Gefahren, die dem Angeklagten im Fall einer Flucht gedroht hätten und den mit der gewählten Verteidigung verbundenen Gefahren für die Rechtsgüter der angreifenden Nebenkläger, ist kein Raum. Stattdessen wird der neue Tatrichter auf der Grundlage der von ihm dazu getroffenen Feststellungen zu erörtern haben, ob es dem Angeklagten in dem Zeitpunkt der Zufahrt auf die Nebenkläger möglich war, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Sollte sich wiederum ergeben, dass der Angeklagte mit Vollgas auf die in seinem Fahrweg laufenden Nebenkläger zugefahren ist, wird dabei gegebenenfalls die Frage beantwortet werden müssen, ob diese die Nebenkläger erheblich gefährdende Fahrweise tatsächlich erforderlich war, um sie von ihrem Angriffsvorhaben abzubringen. Wurde der Nebenkläger K. auch nach den neu getroffenen Feststellungen nur deshalb gravierend verletzt, weil er aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten sprang, wird auch entschieden werden müssen, ob diese Entwicklung aus der an dieser Stelle maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters vorhersehbar war. Wäre dies zu verneinen, müsste diese Auswirkung als nicht vorhersehbare Folge bei der vergleichenden Betrachtung mit anderen möglichen Verteidigungshandlungen außer Ansatz bleiben (vgl. für eine andere Fallkonstellation BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14).
29
c) Gelangt der neue Tatrichter zu dem Ergebnis, dass sich der Angeklagte bei der Abwehr des Angriffs der Nebenkläger in den Grenzen des Erforderlichen gehalten hat, entfiele damit auch die Rechtswidrigkeit des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. März 1974 (4 StR 399/73, unter 4.a), insoweit in BGHSt 25, 306; NJW 1974, 1340; MDR 1974, 679; VerkMitt 1974, Nr. 97 und JZ 1974, 621 nicht abgedruckt) implizit bejaht, indem er für einen vergleichbaren Fall die Möglichkeit einer Putativnotwehr und dementsprechend eine Bestrafung wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB) in Betracht zog. Dem steht nicht entgegen , dass § 315b StGB vornehmlich die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs schützt und die Bewahrung der Individualrechtsgüter der gefährdeten Verkehrsteilnehmer von diesem Schutzzweck lediglich mit umfasst wird (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 123; SSWStGB /Ernemann, § 315b Rn. 1). Zwar vermag Notwehr grundsätzlich nur Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers die Rechtswidrigkeit zu nehmen (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 159), doch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 32 StGB ausnahmsweise auch die Verletzung von Universalrechtsgütern zu rechtfertigen vermag, wenn deren Begehung – wie hier – untrennbar mit der erforderlichen Verteidigung verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 2 StR 380/11, NStZ 2012, 452; Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 508/09, NStZ-RR 2010, 140; Beschluss vom 18. Februar 1999 – 5 StR 45/99, NStZ 1999, 347; Beschluss vom 11. Juli 1996 – 1 StR 285/96, StV 1996, 660; Urteil vom 12. Mai 1981 – 5 StR 109/81, NStZ 1981, 299, jeweils zu mit der Notwehrhandlung begangenen Verstößen gegen das Waffengesetz; a.A. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 160; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 123; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 80 f.; Maatz, MDR 1985, 881, 882).
30
d) Ergibt sich dagegen, dass die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind, wird sich ein Eingehen auf § 33 StGB anschließen müssen. Dabei wird zu beachten sein, dass eine Exkulpierung nach dieser Vorschrift nur zu rechtfertigen ist, wenn sich der Angeklagte aufgrund der Bedrohung durch die Nebenkläger in einem psychischen Ausnahmezustand mit einem Störungsgrad befunden hat, der eine erhebliche Reduzierung seiner Fähigkeit das Geschehen zu verarbeiten zur Folge hatte (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65, 66; Urteil vom 16. August 1994 – 1 StR 244/94, NStZ 1995, 76, 77; Urteil vom 25. August 1992 – 5 StR 266/92, BGHR StGB § 33 Furcht 2; vgl. Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, NStZ 2001, 591, 593; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 33 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Engländer, § 33 Rn. 10; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 33 Rn. 23 mwN). War dies der Fall, kann ein entschuldigender Notwehrexzess auch dann noch anzunehmen sein, wenn die Überschreitung der Notwehrgrenzen durch andere (sthenische) Affekte (Wut, Zorn etc.) mitverursacht worden ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1998 – 1 StR 779/97, StV 1999, 148; Beschluss vom 9. Oktober 1998 – 2 StR 443/98, NStZ-RR 1999, 264; Beschluss vom 11. Juli 1986 – 3 StR 269/86, BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Hierzu bedarf es konkreter Feststellungen und einer wertenden Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.
31
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend in der von den vermummt auftretenden Nebenklägern ausgehenden Bedrohungslage, der durch den Überraschungseffekt bedingten zuge- spitzten Entscheidungssituation und den Angaben von Zeugen zum psychischen Zustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat wichtige Beweisanzeichen für einen Affekt im Sinne des § 33 StGB gesehen und dem die gegen einen solchen Affekt sprechenden Umstände (gedankliche Vorwegnahme möglicher Angriffe, Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Gegenaktionen) gegenübergestellt (UA 39 ff.). Seine Erwägungen sind jedoch entscheidend von der rechtsfehlerhaften Annahme beeinflusst, dass der Angeklagte die Notwehrgrenzen bereits deshalb überschritten habe, weil er den Ort des Geschehens nicht fluchtartig verließ.
32
Sollte der neue Tatrichter zu einer Erörterung der Voraussetzungen des § 33 StGB gelangen, wird er neben den genannten Gesichtspunkten auch in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen haben, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Einvernahme am 12. Oktober 2011 zwar von „Panik“ berichtet hat, dann aber seine Entscheidung für ein Zufahren auf die Gruppe um die Nebenkläger als das Ergebnis einer Abwägung zwischen verschiedenen Risiken und fahrtechnischen Möglichkeiten schilderte (UA 18). Ein Verhaltensalternativen in den Blick nehmendes Entscheiden kann Ausdruck einer Verarbeitung des Geschehens sein und damit gegen die Annahme einer Störung im Sinne des § 33 StGB sprechen.

III.


33
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die damit verknüpfte Entschädigungsgrundentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteil vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09, Rn. 20).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
1. Der Erpresser ist in einer von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten
gegenüber einem wehrenden Gegenangriff des Erpreßten auf sein Leben
regelmäßig nicht arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke,
wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu
beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpreßten
zu bewirken.
2. Zur Notwehr gegen eine Erpressung.
BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 - 1 StR 403/02 - LG Nürnberg-Fürth

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 403/02
vom
12. Februar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
11. Februar 2003 in der Sitzung vom 12. Februar 2003, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung am 11. Februar 2003 -,
Rechtsanwalt
- in der Sitzung vom 12. Februar 2003 -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts Nürnberg-Fürth vom 15. März 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe heimtückisch gehandelt, ist ebenso rechtsfehlerhaft wie die Verneinung einer Notwehrlage. Zudem weisen die weiteren Ausführungen der Strafkammer zur Frage einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten und zur inneren Tatseite Erörterungsmängel auf.

I.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatte der später vom Angeklagten getötete M. diesem in Teilbeträgen 6.000 DM abgepreßt. Er hatte ihm gedroht, ihm im Nichtzahlungsfalle wegen seines Han-
dels mit sog. Raubpressungen von Kompaktschallplatten (CDs) Schwierigkeiten bei der Polizei zu bereiten und ihn von Freunden zusammenschlagen zu lassen. Beide, M. und der Angeklagte, waren miteinander bekannt und hat- ten oft persönlichen Kontakt. Als der Angeklagte am Tattage morgens M. in dessen Wohnung besuchte, verlangte dieser weitere 1.000 DM. M. drohte ihm erneut mit einer Anzeige wegen seiner illegalen Geschäfte. Um den Angeklagten zur Zahlung zu veranlassen, rief M. über die Notrufnummer die Polizei an, um "einen Termin" zu vereinbaren. Er kündigte überdies an, er werde mit Freunden das Geld von ihm eintreiben. Der Angeklagte ließ sich jedoch nicht zur Zahlung bewegen und verließ schließlich M. s Wohnung. Abends suchte M. in Begleitung eines gewissen Ma. den Angeklagten in dessen Wohnung auf. Der Angeklagte ließ beide ein. Während Ma. Proviant und eine Flasche Wodka besorgte, stritten der Angeklagte und M. lautstark miteinander. M. hielt dem Angeklagten vor, daß er seit drei Jahren von Sozialhilfe lebe und daneben illegal CDs verkaufe. Er forderte nunmehr vom Angeklagten die Zahlung von 5.000 DM. Nach Ma. s Rückkehr tranken die drei Anwesenden schließlich - am Wohnzimmertisch sitzend - drei Viertel des Inhalts einer Flasche Wodka, der Angeklagte indessen lediglich etwa 0,2 cl. Als der Angeklagte auch auf M. s erneute, nun höhere Forderung nicht einging und diese ablehnte, drohte M. , die Wohnzimmereinrichtung zu zerstören. Der Angeklagte bot M. darauf die Übergabe von 1.200 DM an, die er in der Wohnung habe. Dies war M. jedoch zu wenig; er bestand auf der Zahlung von 5.000 DM und drohte im weiteren Verlauf erneut mit Polizei und Finanzamt sowie der Zerstörung der Sachen in der Wohnung oder aber der Mitnahme von Gegenständen im Wert von 5.000 DM. Schließlich begann M. , gegen die CD-Sammlung des Angeklagten zu treten. Der Angeklagte erklärte sich daraufhin bereit, den geforderten Betrag zu zahlen, wenn
M. "seine Sachen in Ruhe ließe". Er ging ins Badezimmer seiner "Einraum- wohnung mit offenem Küchenbereich" und holte dort eine Plastiktüte aus einem Versteck, in der sich 5.000 DM und 500 US-Dollar befanden. Zurück im Wohnzimmer überließ er Ma. die Tüte. Die Strafkammer vermochte nicht zu klären, ob Ma. dem Angeklagten die Tüte aus der Hand riß oder ob der Angeklagte sie an Ma. übergab. M. stand zu diesem Zeitpunkt mit den Händen in den Hosentaschen im Wohnzimmer. Völlig überraschend für ihn, der "keinerlei Angriff erwartete", trat der Angeklagte hinter ihn, um ihn zu töten. Er war wütend darüber, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte; er mochte sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen. Blitzschnell riß er den Kopf M. s zurück , schlug ihm mehrfach auf denselben und schnitt M. mit einem aus der Hosentasche gezogenen feststehenden, einseitig geschliffenen Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 5,8 cm sofort mehrfach von links nach rechts durch den Hals. Dabei fügte er M. mehrere bis auf die Wirbelsäule reichende Schnittverletzungen zu. M. brach zusammen und verstarb umgehend. Der völlig überraschte Ma. rannte unter Mitnahme des Geldes aus der Wohnung. Er wurde später aufgrund seines Tatbeitrages wegen Erpressung zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt (UA S. 32). Bei dem trinkgewohnten M. bestand zum Todeszeitpunkt eine hochgradige Alkoholbeeinflussung. Seine Blutalkoholkonzentration lag zwischen 3,03 und 3,26 Promille. Die Strafkammer geht davon aus, daß M. , der als „laut, nervig, sich aufspielend und trinkfest“ charakterisiert wird (UA S. 6), auch von anderen Personen Geldbeträge „gefordert“ hatte, ohne „hierauf einen Anspruch zu haben“ (UA S. 18).

II.

Der Schuldspruch wegen Mordes kann von Rechts wegen keinen Bestand haben. Das Landgericht hält die Tötungshandlung des Angeklagten für heimtückisch (§ 211 Abs. 2 StGB). M. sei zum Zeitpunkt der Messerattacke des Angeklagten arglos gewesen; er habe sich keines Angriffs versehen. Der Streit zwischen beiden sei beendet gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgegeben und das Geld herbeigeholt habe. Der Angeklagte habe sich deshalb auch nicht mehr in einer Notwehrsituation befunden (§ 32 StGB). Der Angriff M. s, der seiner Geldforderung mit einem Fußtritt gegen die CDSammlung des Angeklagten Nachdruck verliehen habe, sei abgeschlossen gewesen, als der Angeklagte der Forderung M. s nachgekommen sei. Beide Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Annahme heimtückischen Handelns des Angeklagten steht hier entgegen, daß M. wegen seines erpresserischen Angriffs mit Gegenwehr des objektiv noch in einer Notwehrlage befindlichen Angeklagten rechnen mußte und deshalb nicht gänzlich arglos sein konnte. 1. Die Notwehrlage bestand für den Angeklagten während seiner Messerattacke auf M. noch fort. M. s erpresserischer Angriff auf das Vermögen des Angeklagten war noch "gegenwärtig" im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB. Er war zwar vollendet, aber noch nicht beendet; denn die Beute war noch nicht gesichert (vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 985; siehe weiter BGHSt 27, 336, 339; BGH NJW 1979, 2053; RGSt 55, 82, 84; Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder, StGB 26. Aufl. § 32 Rdn. 13, 15; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 32
Rdn. 4). Notwehr ist nicht darauf beschränkt, die Verwirklichung der gesetzlichen Merkmale des Tatbestandes abzuwenden. Sie ist zum Schutz gegen den Angriff auf ein bestimmtes Rechtsgut zugelassen. Dieser Angriff kann trotz Vollendung des Delikts noch fortdauern und deshalb noch gegenwärtig sein, solange die Gefahr, die daraus für das bedrohte Rechtsgut erwächst, entweder doch noch abgewendet werden kann oder bis sie umgekehrt endgültig in den Verlust umgeschlagen ist. Nur im Falle des endgültigen Verlustes handelt es sich etwa bei einem Angriff auf Eigentum und Besitz beweglicher Sachen für den Berechtigten nicht mehr um die Erhaltung der Sachherrschaft, sondern um deren Wiedererlangung, für die Gewaltanwendung jedenfalls nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der Notwehr zugelassen ist (so schon RGSt 55, 82, 84). 2. Die fortbestehende Notwehrlage bleibt - unbeschadet der weiteren Voraussetzungen dieses Rechtfertigungsgrundes (siehe unten unter III.) - in Fällen der vorliegenden Art nicht ohne Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage heimtückischen Handelns (§ 211 Abs. 2 StGB) des sich zur Wehr setzenden Opfers der Erpressung, des Angeklagten: Heimtücke setzt unter anderem die Ausnutzung der Arglosigkeit des Getöteten voraus (vgl. nur BGHSt 32, 382, 388). Der Erpresser ist in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpreßten im Blick auf einen etwaigen wehrenden Gegenangriff des Opfers auf sein Leben jedoch nicht arglos, wenn er in dessen Angesicht im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und zu beenden und damit den endgültigen Rechtsgutsverlust auf Seiten des Erpreßten zu bewirken. Das sich wehrende Erpressungsopfer handelt in einem solchen Falle mithin in aller Regel nicht heimtückisch. Arglos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn ist der Getötete dann, wenn er nicht mit einem gegen seine körperliche
Unversehrtheit gerichteten erheblichen, geschweige denn mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnet. Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles. Die Frage, ob ein Mensch arglos ist, beurteilt sich grundsätzlich nach seiner tatsächlich vorhandenen Einsicht in das Vorhandensein einer Gefahr. Daß er einen tätlichen Angriff (hier: Gegenangriff) in Rechnung gestellt hat, kann sich allein schon aus seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten ergeben (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13; vgl. weiter BGHSt 20, 301, 302; 33, 363, 365; BGH NJW 1980, 792; StV 1985, 235). Ist in einem Fall wie dem vorliegenden eine Notwehrlage aufgrund eines gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriffs durch den später Getöteten gegeben, der aktuell nicht nur im Fortwirken einer erpressungstypischen Dauergefahr besteht (Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit, etwa durch Setzen einer Frist zur Zahlung unter Übelsandrohung), sondern darüber hinaus in einer konkreten Tathandlung im Angesicht des Opfers, die unmittelbar die Verletzung eines beachtlichen Rechtsguts des Opfers besorgen läßt, so gilt: Es ist regelmäßig der Angreifer, der durch sein Verhalten einen schützenden oder trutzwehrenden Gegenangriff herausfordert, mag dieser sich nun im Rahmen des durch Notwehr Gerechtfertigten halten oder deren Grenzen überschreiten. Für die Frage der Arglosigkeit ist letzteres unerheblich. Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit bereits zuvor verloren. Er ist der wirkliche Angreifer. Dem Angegriffenen gesteht die Rechtsordnung das Notwehrrecht zu. Mit dessen Ausübung muß jeder Angreifer in solcher Lage grundsätzlich rechnen. Das ist von der strafrechtlichen Werteordnung und damit normativ prägend vorgegeben. Dem entspricht, daß das Notwehrrecht generell im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung tief verwur-
zelt ist. Der Erpresser ist deshalb unter den hier gegebenen Umständen regelmäßig nicht gänzlich arglos (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Das Mordmerkmal der Heimtücke ist einer solchen, auch normativ orientierten einschränkenden Auslegung zugänglich. Diese gründet mit darin, daß der Gegenwehr hier ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den gesteigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Es gilt zudem, einen Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht zu gewährleisten. Gerade für ein zunächst unterlegenes Opfer kann es sich als unausweichlich erweisen, gegenüber dem überlegenen Rechtsbrecher, der gar noch von einem Tatteilnehmer unterstützt wird, bei der Verteidigung einen Überraschungseffekt auszunutzen, soll die Notwehr überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. Unter solchen Umständen erscheint es bei wertender Betrachtung nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer, wenn es in der gegebenen Lage - in der Regel plötzlich - in den Randbereich der erforderlichen und gebotenen Verteidigung gerät oder gar exzessiv handelt, das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder auch der Entschuldigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen. Der Senat läßt offen, ob gleichwohl unter besonderen Umständen Fallgestaltungen denkbar sind, bei denen ausnahmsweise eine Arglosigkeit des Erpressers tragfähig festgestellt werden kann, obgleich dieser im Angesicht seines Opfers eine Tathandlung verwirklicht und im Begriff ist, seine Tat zu vollenden und den endgültigen Verlust des Rechtsguts des Erpreßten zu bewirken. Solche besonderen Umstände sind hier weder den Urteilsgründen zu entnehmen noch sind sie sonst angesichts der Rahmenbedingungen denkbar.
Der danach anzunehmende Argwohn des später getöteten M. wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß er den Feststellungen zufolge von dem Gegenangriff des Angeklagten "überrascht" war und diesen nicht erwartet hatte. Das belegt lediglich, daß er die Aussichten falsch eingeschätzt hat, seinen Rechtsbruch ohne Gegenwehr zu Ende führen zu können; seine Arglosigkeit hatte er - mangels entgegenstehender Umstände - bereits mit seinem (erneuten ) Angriff auf das Vermögen des Angeklagten in dessen Angesicht verloren. Dem steht nicht entgegen, daß er sich auch in der Gefährlichkeit eines möglicherweise zu erwartenden Gegenangriffs verschätzt haben mag, weil er bis zuletzt wohl die Bewaffnung des Angeklagten mit einem kleinen Messer nicht bemerkt hatte (ebenso BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13). Nach allem gilt: Büßt der später Getötete wegen seines eigenen gegenwärtigen rechtswidrigen erpresserischen Angriffs nicht gänzlich seine Arglosigkeit gegenüber der Möglichkeit eines körperlichen (schutz- oder trutzwehrenden) Gegenangriffs ein, so fehlt es an der Heimtücke selbst dann, wenn der sich Wehrende das Überraschungsmoment bewußt ausnutzt. 3. Der Schuldspruch wegen Mordes unterliegt danach schon aus den genannten Gründen der Aufhebung. Es kommt deswegen nicht mehr darauf an, daß die Strafkammer auch das Bewußtsein des Angeklagten nicht hinreichend dargetan hat, einen durch seine etwaige Ahnungslosigkeit gegenüber einem Gegenangriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. zum sog. HeimtückeBewußtsein nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9, 11, 26). Der Senat stellt allerdings klar, daß in den Fällen der Erpressung, in denen eine Drohung als sog. Dauergefahr zwischen einzelnen Angriffsakten des Täters auf die Willensentschließungsfreiheit des Opfers als gegenwärtig im Sinne des Tatbestandes fortwirkt (vgl. dazu BGHR StGB § 255 Drohung 9; BGH
NStZ-RR 1998, 135), eine Tötung des Erpressers durch sein Opfer in einer von diesem, also dem Opfer gesuchten, vorbereiteten Situation sehr wohl heimtükkisch sein kann (siehe etwa BGH NStZ 1995, 231) und dann auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt ist. Sie wäre als Verteidigung jedenfalls nicht geboten (im Sinne des § 32 Abs. 1 StGB). Dem Opfer wäre regelmäßig die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe zuzumuten (vgl. § 154c StPO). In solcher Lage würde weder das individuelle Schutzinteresse noch das Rechtsbewährungsinteresse, die das Notwehrprinzip prägen, eine solche "Verteidigung" tragen (so im Ergebnis auch BGH NStZ 1995, 231).

III.

Die von der Strafkammer angestellten Hilfserwägungen zu einer etwaigen Rechtfertigung des Angeklagten sowie zur inneren Tatseite leiden an Erörterungsmängeln , denen der neue Tatrichter Rechnung zu tragen haben wird. 1. Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe - eine Notwehrlage unterstellt - das Maß der objektiv erforderlichen Verteidigung überschritten. Der Angeklagte habe "weggehen können", die Polizei rufen können oder M. , als dieser mit ihm allein war, aus der Wohnung weisen können, "notfalls auch unter Einsatz adäquater körperlicher Aktion" (UA S. 40). Diese Würdigung ist lükkenhaft und wird den rechtlichen Grundsätzen zur Frage der Erforderlichkeit einer Verteidigung nicht in jeder Hinsicht gerecht.
a) Ein "Weggehen" des Angeklagten aus seiner eigenen Wohnung oder ein Herbeirufen der Polizei nach dem etwaigen Verlassen der Wohnung durch M. und Ma. , also ein Abziehenlassen der Erpresser wäre keine Verteidigung gegen den rechtswidrigen Angriff mehr gewesen. Daß ein dro-
hendes, wehrendes Vorzeigen des mit kurzer Klinge versehenen Küchenmessers sich ebenso wie der Versuch einer "körperlichen Auseinandersetzung" als aussichtsreiche Verteidigungsmittel erwiesen hätten, versteht sich im Blick auf die Übermacht zweier Angreifer nicht von selbst. Der trinkgewohnte M. war zwar hochgradig alkoholisiert, aber ersichtlich aktionsfähig und aggressionsbereit. Zuvor, als der Angeklagte mit M. vorübergehend allein war, weil Ma. Proviant herbeiholte, hatte der Angeklagte versucht, M. hinzuhalten. Als die Tat vollendet wurde, sah der Angeklagte sich indessen wieder zwei Angreifern gegenüber. Daß der Versuch einer vom Angeklagten mittels körperlicher Gewalt geübten Trutzwehr, die Androhung des Einsatzes des Messers oder aber der Versuch des Herbeirufens der Polizei in Anwesenheit zweier Angreifer aussichtsreich gewesen wären, liegt nicht nahe, hätte deshalb der näheren Darlegung bedurft. Hätte der Angeklagte den Einsatz des Messers angedroht oder hätte er sich auf eine körperliche Auseinandersetzung eingelassen, wäre zu besorgen gewesen, daß er eine Eskalation durch die Angreifer heraufbeschworen hätte. Ein nicht bloß geringes Risiko, daß ein milderes Verteidigungsmittel fehlschlägt und dann keine Gelegenheit mehr für den Einsatz eines stärkeren Verteidigungsmittels bleibt, braucht der Angegriffene zur Schonung des rechtswidrig Angreifenden nicht einzugehen. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang muß er sich nicht einlassen (vgl. nur BGH StV 1999, 143; BGH NStZ 2001, 591, jew. m.w.N.). Allerdings hat der Verteidigende grundsätzlich, wenn ihm mehrere wirksame Mittel zur Verfügung stehen und er Zeit zur Auswahl und zur Einschätzung der Gefährlichkeit hat, dasjenige Mittel zu wählen, das dem Angreifer am wenigsten gefährlich ist. Ist der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Verteidigers unbekannt, so ist je nach der Auseinandersetzungslage grundsätzlich zu verlangen, daß er den Einsatz der Waffe androht,
ehe er sie lebensgefährlich oder gar gezielt tödlich einsetzt (BGHSt 26, 256, 258; BGH NStZ-RR 1999, 40, 41; NStZ 2001, 591, 592). Diese rechtlichen Grundsätze wird der neue Tatrichter zu bedenken, seiner Würdigung zugrundezulegen und die Auseinandersetzungslage mit den bei lebensnaher Betrachtung in Frage kommenden aussichtsreichen Verteidigungsmöglichkeiten zu erörtern haben.
b) In diesem Zusammenhang wird das sog. Kräfteverhältnis zwischen dem Angeklagten einerseits sowie M. und Ma. andererseits näher zu bewerten sein. Dafür spielt auch die Aktionsfähigkeit M. s eine Rolle. Dieser ging nach den Feststellungen wohl recht zielstrebig vor, obwohl er - freilich trinkgewohnt - eine Blutalkoholkonzentration von drei Promille hatte. Hingegen hat sein Mittäter Ma. als Zeuge bekundet, M. habe aufgrund seiner Alkoholisierung kaum stehen können (UA S. 30). Je nach der Bewertung der Auseinandersetzungslage und des Kräfteverhältnisses wird dann möglicherweise zu erwägen sein, ob etwa das Anlegen des kleinen Messers an den Hals des M. mit der Androhung einer massiven körperlichen Attacke eine aussichtsreiche Verteidigung gewesen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Würdigung könnte sich erweisen, daß der überraschende Einsatz des Küchenmessers mit dem Ziel der Tötung M. s - objektiv betrachtet - der einzig sicher erfolgversprechende Weg zur Ausschaltung des "Hauptangreifers" war. Ob er aber auch aussichtsreich hinsichtlich des Zieles war, den endgültigen Verlust des Geldes im gegebenen Zeitpunkt noch abzuwenden, bedarf ebenfalls der Bewertung. Denn auch nach der Tötung M. s blieb Ma. - im Besitz des Geldes - handlungsfähig. Ihm gelang tatsächlich die Flucht. Das verdeutlicht, daß allein ein Gegenangriff auf M. nicht genügen konnte, den Vermögensverlust zu verhindern. Vielmehr war eine
weitere Verteidigungshandlung vonnöten, um Ma. an der Flucht mit dem Geld zu hindern. Auch insoweit kommt es auf die konkrete Lage an, in subjektiver Hinsicht zudem darauf, welche Vorstellungen der Angeklagte gegebenenfalls zum Verteidigungserfolg seiner Gegenwehr hatte (vgl. BGHSt 45, 378, 384; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 32 Rdn. 27). 2. Die Auffassung des Landgerichts, die Tötung M. s sei "völlig unverhältnismäßig" gewesen, vermag der Senat nicht zu teilen. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter findet bei der Notwehr grundsätzlich nicht statt (anders etwa im Notstandsfall gemäß § 34 StGB; vgl. BGH NStZ 1996, 29; Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 17). Ein Fall des Mißbrauchs des Notwehrrechts wegen geringen Gewichts des angegriffenen Rechtsguts stand hier nicht in Rede (sog. Bagatellfälle; vgl. BGH MDR bei Holtz 1979, 985; Tröndle /Fischer aaO § 32 Rdn. 20 m.w.N.). Es ging bei dem Angriff M. s nicht lediglich um eine etwaige Sachbeschädigung der CD-Sammlung des Angeklagten , sondern um die Erpressung eines Bargeldbetrages in Höhe von 5.000 DM. Bei solcher Ausgangslage gilt der Grundsatz, daß das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht. 3. Die bisherigen Feststellungen und die Würdigung des Landgerichts tragen schließlich nicht die Annahme, der Angeklagte habe nicht mit Verteidigungswillen gehandelt, sondern "Selbstjustiz" geübt. In den Feststellungen hebt die Strafkammer selbst hervor, daß der Angeklagte "wütend darüber war, daß M. ihm das angesparte Geld wegnehmen wollte und er sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen wollte" (UA S. 11). Dies kann darauf hindeuten , daß der Angeklagte sich jedenfalls auch vom Willen zur Verteidigung gegen den Verlust des Geldes hat leiten lassen. Hinzutretende andere Tatmotive schließen den Verteidigungswillen nicht aus. Eine Rechtfertigung kommt
nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann in Betracht , wenn neben der Abwehr eines Angriffs auch andere Ziele verfolgt wer- den, solange sie den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen (vgl. nur BGH NStZ 1983, 117; BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1, jew. m.w.N.). Die Beweiswürdigung genügt diesem Maßstab nicht. Die Strafkammer hätte alle bedeutsamen tatsächlichen Umstände und die Einlassungen des Angeklagten einer eingehenden Bewertung unterziehen müssen, um auf dieser Grundlage seine Beweggründe festzustellen und an den rechtlichen Maßstäben zu messen. Die Urteilsgründe geben die verschiedenen Äußerungen des Angeklagten während der Ermittlungen zu seinen subjektiven Vorstellungen wieder. Dem Kriminalbeamten H. hatte er erklärt, er habe vermeiden wollen, daß Ma. eingreift, da er M. unbedingt habe töten wollen. Er habe sich das Geld nicht wegnehmen lassen wollen; ebensowenig andere Sachen, die ihm gehört hätten (UA S. 26). Beim Ermittlungsrichter hatte er sich dahin eingelassen, er sei "sehr böse" gewesen, weil ihm sein angespartes Geld weggenommen worden sei. Um zukünftig weitere Wegnahmen zu verhindern, habe er sich zur Tötung M. s entschlossen. Das Messer habe er schon längere Zeit bei sich getragen, weil er befürchtet habe, M. könne zur Durchsetzung seiner Geldforderung mit weiteren Personen zu ihm kommen (UA S. 28). Dem Kriminalbeamten K. hatte der Angeklagte erklärt, er habe M. "aus Haß heimzahlen" wollen, "was dieser ihm die ganzen Monate vorher angetan habe" (UA S. 29). Er habe M. getötet, weil dieser durch seine ständigen Geldforderungen seine Pläne, eigentlich seine ganze Existenz bedroht bzw. kaputt gemacht habe (UA S. 30). Die Strafkammer meint, der Angeklagte habe die unberechtigte Geldforderung M. s "für immer unterbinden wollen", indem er ihn tötete. "Aus Wut über den Verlust" des Geldes habe der Angeklagte unter
Ausnutzung des Überraschungseffekts der Drucksituation ein Ende bereitet. Die Tat beruhe auf dem "normalpsychologischen Motiv" der Wut. Dabei durfte die Strafkammer nicht stehen bleiben. Sie hätte sich angesichts der Einlassung des Angeklagten, er habe sich - naheliegender Weise auch aktuell - das Geld nicht wegnehmen lassen wollen, die Frage vorlegen müssen, ob hier die Wut des Angeklagten, ein Bestreben zur Verhinderung künftiger, aber noch nicht gegenwärtiger Erpressungen sowie der Wille zur "Bestrafung" für früheres Unrecht (vgl. UA S. 40) einerseits und der Wille zur aktuellen Verteidigung gegen den Verlust des Geldes andererseits nebeneinander Beweggrund waren, oder ob die zuerst genannten Motive so stark ausgeprägt waren, daß sie den Verteidigungszweck völlig in den Hintergrund gedrängt haben. Daran fehlt es. Im letzten Falle würde Notwehr mangels mitbestimmenden Verteidigungswillens ausscheiden. Bei der nunmehr vorzunehmenden Würdigung wird indes zu beachten sein, daß der sich zur Verteidigung Entschließende in einer sich zuspitzenden Situation oft erst durch ein gewisses Maß gleichsam "natürlicher Wut" in den Stand gesetzt wird, seinen Entschluß zur Wehr zu fassen und umzusetzen. Andererseits wird auch in diesem Zusammenhang zu würdigen sein, was sich der Angeklagte aus seiner Sicht von der Tötung M. s versprach und versprechen konnte, wenn er den Verlust des Geldes zu verhindern trachtete, das Ma. in Händen hielt. Die Urteilsgründe sind überdies zur Frage des Motivs des Angeklagten widersprüchlich. In ihren Feststellungen geht die Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe sich sein angespartes Geld nicht wegnehmen und sich von M. nicht seine Existenz zerstören lassen wollen (UA S. 11). Bei ihrer rechtlichen Würdigung hingegen legt sie ein nicht deckungsgleiches Motiv zugrunde: Dort hebt sie hervor, er habe in dem Bestreben gehandelt, M. für sein vor-
angegangenes Tun zu bestrafen und künftige Forderungen auszuschließen (UA S. 40). 4. Der neue Tatrichter wird im Blick auf die bisherigen Feststellungen und die Einlassungen des Angeklagten möglicherweise weiter zu prüfen haben, ob ein Fall der sog. Absichtsprovokation vorliegt: Der Angeklagte könnte sich nicht wirksam auf Notwehr berufen, wenn er sich absichtlich oder jedenfalls vorsätzlich in eine erwartete Verteidigungssituation hineinbegeben hätte, um dann M. unter dem Vorwand einer objektiven Notwehrlage angreifen und "vernichten" zu können. In einem solchen Fall erwiese sich seine Gegenwehr in Wahrheit als vorgeplanter Angriff auf das Leben M. s, rechtsmißbräuchlich im Gewande der Verteidigung geführt (vgl. nur BGH NJW 1983, 2267; NStZ 2001, 143; vgl. Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 18, 23). In diesem Zusammenhang bedarf es auch einer Bewertung der Äußerung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, wonach er auch "zukünftige weitere Wegnahmen" habe verhindern wollen. Dies kann für sich betrachtet auf den Willen zu einer Art (unerlaubter) "Präventivnotwehr" hindeuten. Für die tatsächliche Würdigung kann auch eine Rolle spielen (Indizwirkung), daß der Angeklagte M. und Ma. in Kenntnis des wiederkehrenden, vorangegangenen erpresserischen Verhaltens M. s und von dessen Ankündigung am Vormittag in seine Wohnung einließ. Die Tatsache, daß und wann der Angeklagte sich mit einem kleinen Küchenmesser bewaffnet hatte, kann im Gesamtzusammenhang des Geschehens für den Schluß auf seine Beweggründe bedeutsam sein. Dem steht nicht entgegen, daß es im Grundsatz dem Notwehrübenden nicht anlastbar ist, wenn er sich für den Fall einer ihm aufgezwungenen Auseinandersetzung bewaffnet. Auch der Stellenwert der Äußerung, er habe M. unbedingt töten wollen, ist in ihrer Bedeutung für die Motivlage zu beurteilen. Gleiches gilt für den Umstand, daß der Angeklagte sich beim gemeinsamen Wodka-Trinken
vergleichsweise zurückhielt und lediglich ca. 0,2 cl zu sich nahm. Andererseits ist aber auch im Auge zu behalten, daß M. die Intensität seines Angriffs gesteigert hatte. So forderte er einen erheblich höheren Geldbetrag als noch am Vormittag. Er ließ sich auch nicht mehr erfolgreich hinhalten, sondern begann mit Sachbeschädigungen und drohte weitere Übel an, die die Durchsetzung mit räuberischen Mitteln nicht fernliegend erscheinen ließen. Daß der Angeklagte erst dann zum Gegenangriff überging, als ihm der endgültige Verlust seines Geldes unausweichlich vor Augen stehen mußte, könnte eher gegen eine Absichtsprovokation sprechen. Nach allem muß sich der neue Tatrichter fragen, ob er sich im Blick auf einen etwaigen Mißbrauch des Notwehrrechts davon überzeugen kann, daß der Angeklagte in der vorgefaßten Absicht handelte, M. zu töten und sich nicht erst in der aktuellen Situation, weil er möglicherweise den Verlust seines Geldes nicht mehr anders meinte abwenden zu können, zur Verteidigung entschloß. Hat der Tatrichter Zweifel, wird ein mitbestimmender wirklicher Verteidigungswille des Angeklagten anzunehmen und Rechtsmißbrauch zu verneinen sein. Er wird den zeitnah zur Tat gemachten Angaben des Angeklagten naheliegenderweise größeres Gewicht beimessen als etwa solchen in einer erneuten Hauptverhandlung. 5. Der neue Tatrichter wird dann gegebenenfalls zu bedenken haben, ob das Notwehrrecht des Angeklagten einer erheblichen Einschränkung unterlag (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 2 f.) und ob der Angeklagte deren Grenzen mit seinem sofortigen Messerangriff auf das Leben M. s überschritten hat. Hierzu bemerkt der Senat im einzelnen vorsorglich:

a) Eine Einschränkung des Notwehrrechts des Angeklagten im Blick auf eine etwaige Provokation M. s durch vorwerfbares Vorverhalten würde voraussetzen , daß dieses Vorverhalten rechtswidrig oder wenigstens sozialethisch zu mißbilligen wäre; zudem müßte zwischen ihm und dem rechtswidrigen Angriff des M. ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestehen (vgl. zu diesen Erfordernissen: BGHSt 27, 336, 338; 42, 97, 101; siehe auch BGHSt 24, 356, 358 f.; 26, 143, 145; BGH NStZ 1998, 508; NStZ-RR 1999, 40, 41; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, aaO § 32 Rdn. 54, 59; Tröndle/ Fischer aaO § 32 Rdn. 24). aa) Die bisherigen Feststellungen belegen nicht, daß der Angeklagte die Notwehrlage in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu mißbilligender Weise herbeigeführt und M. "provoziert" hätte. Das bloße Einlassen M. s und dessen Begleiters in seine, des Angeklagten Wohnung trotz der zuvor ausgesprochenen Drohungen und der bereits erfolgten Erpressungen genügt dafür nicht. Damit hat er M. lediglich die Gelegenheit zum erneuten Erpressungsversuch gegeben und damit gleichsam fahrlässig - die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten betreffend - die Notwehrlage mit herbeigeführt. Ein rechtlich erlaubtes Tun - wie etwa das Öffnen der Wohnungstür gegenüber einem unbekannten Bewaffneten (BGH NStZ 1993, 332, 333) - führt jedoch nicht ohne weiteres zur Einschränkung des Notwehrrechts, auch wenn der Täter wußte oder wissen mußte, daß der andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlaßt werden könnte (so schon BGH NStZ 1993, 332, 333). Entscheidend ist nicht, ob der später Angegriffene die Entwicklung vorhersehen konnte, sondern - mit Blick auf das Rechtsbewährungsinteresse - ob der Angreifer sich durch das vorwerfbare Verhalten des von ihm Angegriffenen provoziert fühlen konnte (vgl. Roxin ZStW Bd. 75 <1963>, 497, 582). Die bloß fahrlässige oder gar leichtfertige Herbeiführung einer Notwehrlage führt nicht
zu einer Einschränkung des Maßes der gebotenen Verteidigung. Das würde selbst dann gelten, wenn der Angeklagte mit einem erneuten Angriff M. s gerechnet und dies beim Einlassen in seine Wohnung - wenn er dies hätte verhindern können - in Kauf genommen und geglaubt hätte, einen solchen Angriff hinhaltend oder sonst "schon irgendwie" abwehren zu können. Er hätte auch dann nicht im Sinne einer Provokation des Angreifers gehandelt, sondern lediglich eine notwehrträchtige Lage durch erlaubtes Tun mitverursacht, für die er sich sogar wappnen durfte. Dieses Verhalten mochte dann zwar in hohem Maße den Geboten der Vorsicht und der Lebensklugheit zuwiderlaufen; es nahm dem Angeklagten jedoch nichts von seinem Recht, sich gegen den Angriff mit den nach Maßgabe der Situation erforderlichen und gebotenen Mitteln zu verteidigen (BGH, Urteil vom 20. Juli 1983 - 2 StR 43/83 - S. 12, aber auch Urteil vom 5. Juli 1978 - 2 StR 201/78 - S. 5 f.). bb) Ebensowenig erweist sich bei dem festgestellten Sachverhalt der illegale Handel des Angeklagten mit Raubpressungen von CD's als notwehreinschränkendes vorwerfbares Vorverhalten im Sinne einer Provokation der Notwehrlage oder M. s. Dieses Verhalten des Angeklagten ist zwar von Rechts wegen ersichtlich vorwerfbar. Es richtete sich jedoch nicht gegen ein Rechtsgut gerade des M. , wie das etwa bei Tätlichkeiten oder Beleidigungen gegenüber dem späteren Angreifer der Fall ist. Betroffen waren vielmehr Rechtsgüter Dritter, nämlich der Urheberrechtsinhaber der CD-Titel. Dementsprechend fehlte auch der räumliche und zeitliche Zusammenhang mit dem Angriff M. s. Eine Notwehr des Angeklagten (wenn seine Trutzwehr vom Verteidigungswillen mitgetragen und erforderlich war) stünde "nicht im Zeichen seines eigenen Unrechts"; seiner Gegenwehr würde das eigene Unrecht nicht unmittelbar anhaften. Sie wäre mithin durch seine anderweitigen Straftaten nicht in einer Weise bemakelt, daß sie deshalb nicht mehr uneingeschränkt als Mittel
auch der Rechtsbewährung gegenüber dem erpresserischen Angriff M. s auf sein Vermögen hätte angesehen werden können (vgl. BGHSt 27, 336, 338; BGH NStZ 1989, 474; BGH, Urt. vom 25. Februar 1975 - 1 StR 702/74; BGH, Beschl. vom 15. April 1980 - 1 StR 130/80; Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder, aaO § 32 Rdn. 59). Auch demjenigen, der früher eine strafbare Handlung begangen hat, steht grundsätzlich ein uneingeschränktes Notwehrrecht zur Seite, wenn er in anderem Zusammenhang selbst Opfer einer Straftat wird. Er hat nicht etwa deshalb, weil die gegen ihn gerichtete Tat (hier: eine Erpressung) vom Täter an seine gegen die Rechtsgüter Dritter begangene eigene Straftat angeknüpft wird, einen "Status minderen Rechts", der Erpresser nicht deswegen einen größeren, im Ergebnis nicht notwehrfähigen Freiraum für seinen Rechtsbruch. cc) Eine Einschränkung des Notwehrrechts jenseits der in der Rechtsprechung bislang anerkannten Fallgruppen wird in der Literatur für die Fälle der sogenannten Schweigegelderpressung diskutiert ("Chantage"). Typischerweise droht der Erpresser hier mit der Enthüllung kompromittierender Tatsachen , namentlich mit einer Strafanzeige wegen einer vom Erpressungsopfer seinerseits begangenen Straftat. Wehrt der Erpreßte sich oder tötet gar den Erpresser, so wird das Gebotensein der Notwehr verneint oder von einer Einschränkung des Notwehrrechts wegen verminderten Rechtsbewährungsinteresses ausgegangen. Das Interesse des Erpreßten am Schutz vor Enthüllung einer Straftat verdiene keinen uneingeschränkten Schutz (vgl. zu alledem nur Roxin, Strafrecht AT 3. Aufl. [1997] Kap. VIII § 15 [S. 593] Rdn. 89/90; Haug MDR 1964, 548, 549; Amelung GA 1982, 381; H. E. Müller NStZ 1993, 366; Novoselec NStZ 1997, 218; dazu die Erwiderung von Amelung NStZ 1998, 70; Arzt JZ 2001, 1052; weiter Eggert NStZ 2001, 225; zum Phänomen der "Chantage" siehe grundlegend schon die rechtsvergleichende Arbeit von Reinhold,
Die Chantage, Abhandlungen des kriminalistischen Seminars an der Universi- tät Berlin , 1909). Der Senat stellt dahin, ob und inwieweit einer solchermaßen begründeten Einschränkung des Notwehrrechts beizupflichten wäre. Das muß hier nicht entschieden werden. Der vorliegende Fall ist - anders als die in der Literatur zumeist erörterten Sachverhalte - dadurch geprägt, daß eine Erpressung in Rede steht, die nicht ausschließlich auf der Androhung der Anzeige von Straftaten des Erpreßten fußt. Vielmehr hatte M. dem Angeklagten schon damit gedroht, ihn zusammenschlagen zu lassen; noch am Vormittag des Tattages hatte er angekündigt, das Geld "mit Freunden einzutreiben". Ob daraus eine Leibesgefahr im Sinne des § 255 StGB folgte, die zum Vorfallszeitpunkt noch "gegenwärtig" war, bedürfte gegebenenfalls der tatrichterlichen Würdigung (vgl. zu deren Fortwirken in Erpressungsfällen BGH NStZ-RR 1998, 135; BGHR StGB § 255 Drohung 9). In der aktuell gegebenen Notwehrlage drohte M. mit erheblichen Sachbeschädigungen und der Wegnahme von Gegenständen aus der Wohnung des Angeklagten im Wert von 5.000 DM, was naheliegen -derweise durch Gewaltanwendung gegenüber dem Angeklagten oder jedenfalls durch Drohung mit weiteren Übeln durchzusetzen gewesen wäre und sich dann rechtlich möglicherweise gar als Raub oder räuberische Erpressung erwiesen hätte. Sind die Drohmittel solcherart verschieden, um gleichsam eine "gemischte Drohkulisse“ aufzubauen, so liegt kein reiner Fall der Schweigegelderpressung mehr vor; es steht eine Mischung aus Schutz- und Schweigegelderpressung in Rede. In diesen Fällen ist das, was zur Verteidigung „geboten“ ist, unter dem Gesichtspunkt eigenen strafbaren Vorverhaltens des Erpressungsopfers gegenüber Dritten jedenfalls dann nicht eingeschränkt, wenn der Angriff des Erpressers auf die Willensentschließungsfreiheit zugleich in einen gegenwärtigen Angriff auf das Vermögen übergeht, mit weiteren Übelsdrohun-
gen verstärkt wird und der Angreifer im Angesicht des Opfers dabei ist, mit aktuell realisierbaren - auch konkludenten - Drohungen gegen Sachwerte und etwa auch die körperliche Integrität des Opfers seinen Angriff auf das Vermögen zu vollenden und zu beenden. Daran ändert nichts, daß das Erpressungsopfer zuvor die Möglichkeit gehabt hätte, staatliche Hilfe zu suchen. Maßgeblich für die Beurteilung dessen , was zur Abwehr des Angriffs erforderlich und geboten ist, sind die Verhältnisse im Augenblick des konkreten Angriffs, also zum Zeitpunkt der Verteidigung durch den Angegriffenen ("Auseinandersetzungslage"; vgl. BGH NJW 1989, 3027; StV 1999, 143, 144; Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 16b).
b) In Betracht zu ziehen haben wird der neue Tatrichter für den Fall einer vom Verteidigungswillen jedenfalls mitbestimmten und erforderlichen Notwehr schließlich eine Einschränkung dieses Rechts im Blick auf M. s Trunkenheit , an deren Zustandekommen der Angeklagte durch Gestattung und Mitwirkung am Konsum von Dreivierteln des Inhalts einer Flasche Wodka beteiligt war. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß das Notwehrrecht gegenüber schuldlos handelnden Angreifern eingeschränkt sein kann (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 19). Daß M. allerdings schuldunfähig gewesen sein könnte, dürfte eher fernliegen. Näher wird - zumal in Rücksicht auf den Zweifelssatz - eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit liegen, weil er jedenfalls noch in beachtlichem Maße aktionsfähig war.
c) Der Senat hat schließlich erwogen, ob eine weitere Kategorie eingeschränkter (gebotener) Notwehr zu begründen ist, wenn mehrere Umstände vorliegen, die Anlaß zur Prüfung einer Einschränkung nach den insoweit anerkannten Fallgruppen geben, dort aber eine solche Einschränkung je für sich nicht zu rechtfertigen vermögen. Dies hat der Senat jedoch verworfen: Das liefe
auf eine Art Gesamtschau und die Gewichtung verschiedener Umstände hinaus. Damit verlöre das Notwehrrecht in solchen Fällen seine Konturenschärfe. Es muß geeignet bleiben, in den einschlägigen, oft durch die Plötzlichkeit der Entwicklung charakterisierten Fällen des Lebens dem rechtlichen Laien ohne weiteres überschaubare, grundsätzlich einfache Richtschnur für das Handeln zu sein. Allzu differenzierte Erwägungen würden seinem Zweck widerstreiten. Die anerkannten Fälle der Einschränkung des Notwehrrechts sind denn auch solche, in denen das zumutbar geringere Maß der gebotenen Verteidigung oder eine Pflicht zum Ausweichen für jedermann ohne weiteres augenfällig ist (Evidenzfälle). 6. Zur inneren Tatseite wird folgendes im Auge zu behalten sein: Handelte der Angeklagte auch mit Verteidigungswillen, kann es darauf ankommen, welche Vorstellungen er über das Maß der erforderlichen und gebotenen - und damit auch der erlaubten - Verteidigung hatte. Hierzu werden soweit möglich Feststellungen zu treffen sein. Daraus kann sich die Notwendigkeit der Erörterung von Irrtumsfragen ergeben (zu deren Voraussetzungen und Folgen vgl. nur Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 27 m.w.N.; zum übrigen: Tröndle/Fischer aaO § 32 Rdn. 26, 27, § 33 Rdn. 2 m.N.). Hätte der Angeklagte über die Eignung der Tötung M. s zur Abwendung des Geldverlustes geirrt, käme möglicherweise ein Erlaubnistatbestandsirrtum und damit fahrlässige Tötung in Betracht (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGHSt 45, 378, 384). Läge eine Fehlvorstellung über die Grenzen der erlaubten Notwehr vor, wäre nach den Grundsätzen für den Verbotsirrtum zu verfahren (§ 17 StGB). Im Falle eines vermeidbaren Irrtums stünde eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB im Raum.
7. Sollte der neue Tatrichter im Handeln des Angeklagten einen strafba- ren vorsätzlichen Totschlag sehen, wird er die Voraussetzungen des § 213 StGB (sonst minder schwerer Fall) zu prüfen haben. Die Würdigung der Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit wird im Blick auf die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen näher zu begründen sein, sollte der neue Tatrichter vom Gutachten des Sachverständigen abweichen wollen (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1, 5; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 65). Schließlich wird auch der Einfluß der Befindlichkeit des Angeklagten auf die Voraussetzungen des Strafausschließungsgrundes nach § 33 StGB zu erörtern sein (vgl. dazu auch BGH StV 1999, 145).

IV.

Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Auch die Feststellungen können nicht bestehen bleiben. Im Blick auf die dem neuen Tatrichter obliegende Würdigung der Auseinandersetzungslage und des Kräfteverhältnisses , insbesondere aber der Beweggründe des Angeklagten unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten muß der Tatrichter hinsichtlich der Feststellung des Sachverhalts frei sein (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf