Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 27. Okt. 2023 - 1 L 1303/23

published on 17/07/2024 19:57
Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 27. Okt. 2023 - 1 L 1303/23
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Verwaltungsgericht Köln

Beschluss vom 27. Okt. 2023 - 1 L 1303/23

 

 

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 0,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 12. Juli 2023 gegen die Sicherstellungsanordnung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2023 anzuordnen,

ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft, weil der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Sicherstellungsanordnung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2023 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 13 SanktDG keine aufschiebende Wirkung hat. Gegen die Zulässigkeit bestehen auch im Übrigen keine Bedenken.

Der Antrag ist unbegründet.

Dies folgt vorliegend daraus, dass im Rahmen einer Beurteilung und Abwägung der je nach Ausgang dieses Verfahrens eintretenden Folgen das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Sicherstellungsanordnung das gegenläufige Interesse der Antragstellerin an der begehrten Aussetzung überwiegt.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen. Dies setzt voraus, dass das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich - wenn auch nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu orientieren, wie diese sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung abschätzen lassen.

Stellt sich bei dieser Rechtsprüfung jedoch eine Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage an den EuGH erfordert, so lassen sich weder - ohne Weiteres - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit verneinen, noch kann die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bejaht werden. In diesen Fällen wird eine Antragsablehnung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nur dann Bestand haben können, wenn dieser Umstand - über die notwendig nur vorläufige rechtliche Einschätzung des Gerichts hinausgehend - in die Abwägung des Aussetzungsinteresses des Antragstellers mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse einbezogen wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris Rn. 18.

So liegt der Fall hier. Die Frage, ob die streitgegenständlichen Konten der Antragstellerin einer Verfügungsbeschränkung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 SanktDG unterliegen, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit beantworten. Die Beantwortung hängt im Wesentlichen davon ab, wie die Begriffe des "Haltens" und der "Kontrolle" in Art. 2 Abs. 1 VO (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, zuletzt geändert durch die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1765 des Rates vom 13. September 2023 (im Folgenden: VO (EU) 269/2014), auszulegen ist.

Über die Auslegung eines solchen Sekundärrechtsakts entscheidet gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b) AEUV der EuGH im Wege der Vorabentscheidung. Zur Vorlage ist jedes Gericht eines Mitgliedstaats befugt, dem eine derartige Frage gestellt wird und das eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält (Art. 267 Abs. 2 AEUV). Kann die Entscheidung des Gerichts nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden, besteht eine Vorlagepflicht (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des EuGH nicht gegeben ist, kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 2 Satz 2 GG entzogen sein,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2017 - 2 BvR 987/16 -, juris Rn. 3.

Nach der Rechtsprechung des EuGH muss ein letztinstanzliches nationales Gericht seiner Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nachkommen, wenn sich in einem bei ihm anhängigen Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen.

Vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 -, juris Rn. 21, und vom 9. September 2015 - C-160/14 -, juris Rn. 38 f.

Gemessen hieran bedarf es in der Hauptsache voraussichtlich eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH. Die unklare und bislang ungeklärte unionsrechtliche Frage zur Auslegung der Begriffe des "Haltens" und der "Kontrolle" ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2023 entscheidungserheblich.

Rechtsgrundlage für die Sicherstellungsanordnung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 SanktDG. Danach kann die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen bestimmter Personen oder Personengesellschaften, die nach einem im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, einer Verfügungsbeschränkung unterliegen, sicherstellen, um zu verhindern, dass über diese unter Verstoß gegen einen solchen Rechtsakt verfügt wird oder dass diese entgegen einem solchen Rechtsakt genutzt werden.

Eine solche Verfügungsbeschränkung kann sich vorliegend aus Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 ergeben. Danach werden sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder der dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, eingefroren.

Bei den streitgegenständlichen Konten der Antragstellerin handelt es sich um Gelder i.S.d. Art. 1 Buchst. g) VO (EU) 269/2014.

Die Antragstellerin ist als nach deutschem Recht errichtete GmbH eine eigenständige juristische Person (§ 13 Abs. 1 GmbHG). Sie ist weder selbst noch als sog. verbundenes Unternehmen in Anhang I der VO (EU) 269/2014 gelistet. Ihre Geschäftsanteile werden jedoch zu 100 % von der in Ziffer 158 des Anhangs I der VO (EU) Nr. 269/2014 gelisteten P. gehalten. Damit steht die Antragstellerin im Eigentum einer gelisteten Einrichtung.

Vgl. zum Begriff des "Eigentum" EuGH, Urteil vom 13. März 2012 - C-380/09 P, Melli Bank plc -, Rn. 2 und 79; Rat der Europäischen Union, Restriktive Maßnahmen (Sanktionen) - Aktualisierung der vorbildlichen Verfahren der EU für die wirksame Umsetzung restriktiver Maßnahmen vom 27. Juni 2022 - 10572/22 -, Rn. 62.

Davon ausgehend sind die streitgegenständlichen Konten gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 eingefroren, wenn sie - trotz der rechtlichen Eigenständigkeit der Antragstellerin - von deren Muttergesellschaft, der P., "gehalten" oder "kontrolliert" werden. Die Begriffe sind in der VO (EU) 269/2014 nicht definiert und bedürfen der Auslegung. Hierfür sind nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH der Wortlaut und Zusammenhang der Bestimmung zu berücksichtigen sowie die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden,

vgl. EuGH, Urteil vom 13. März 2012 - C-380/09 P, Melli Bank plc -, Rn. 38 m.w.N.

Dem Wortlaut nach bedeutet "Halten", etwas zu seiner Verfügung, zu seinem Nutzen oder zu seinem Vergnügen zu haben und zu unterhalten. "Kontrolle" bezeichnet eine dauernde Überwachung oder Aufsicht, der etwas untersteht, oder die Herrschaft oder Gewalt, die man über etwas hat.

Vgl. Cornelsen Verlag GmbH, Duden, Wörterbuch .

Dieser Bedeutungsgehalt stimmt überein mit dem Wortlaut der englischen ("held or controlled"), französischen ("détiennent ou contrôlent") und bulgarischen ("държат или контролират") Sprachfassungen, für deren Verständnis die Kammer über entsprechende Sprachkenntnisse verfügt.

Der systematische Zusammenhang spricht für eine weite Auslegung, da "sämtliche" Vermögenswerte eingefroren werden.

Die zugrundeliegenden Ziele sprechen ebenfalls für eine weite Auslegung der Begriffe "Halten" und "Kontrolle". Denn bei dem Einfriergebot in Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 handelt es sich - ebenso wie bei dem Bereitstellungsverbot in Art. 2 Abs. 2 VO (EU) 269/2014 - um eine restriktive Maßnahme (Sanktion). Sanktionen stellen ein wichtiges Mittel dar, um Frieden und Sicherheit auf internationaler Ebene im Einklang mit den Grundsätzen der UN-Charta und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union zu erhalten und wiederherzustellen. Sie sollen so gezielt eingesetzt werden, dass sie die größtmögliche Wirkung auf diejenigen haben, deren Verhalten beeinflusst werden soll.

Vgl. Rat der Europäischen Union, Grundprinzipien für den Einsatz restriktiver Maßnahmen (Sanktionen) vom 7. Juni 2005 - 10198/1/04 -, Anlage 1 Rn. 1 und 6.

In Bezug auf die VO (EU) 269/2014 war das Einfrieren von Vermögenswerten zunächst gegen Personen gerichtet, die für Handlungen verantwortlich sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen - einschließlich Handlungen, die den zukünftigen Status jeglichen Teils des Gebiets beeinflussen und die gegen die Ukrainische Verfassung verstoßen - und gegen mit ihnen verbundene Personen, Organisationen oder Einrichtungen,

vgl. Erwägungsgrund 4 des Beschlusses 2014/145/GASP des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen.

Diese Kriterien für die Benennung wurden zwischenzeitlich erweitert. So wurden als Reaktion auf den russischen Angriff gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 Personen und Organisationen einbezogen, die die Regierung der Russischen Föderation unterstützen oder von ihr profitieren, und Personen und Organisationen, die eine wesentliche Einnahmequelle für sie darstellen, sowie natürliche oder juristische Personen, die mit auf der Liste stehenden Personen oder Organisationen verbunden sind,

vgl. Erwägungsgrund 11 des Beschlusses (GASP) 2022/329 des Rates vom 25. Februar 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP.

Gleichwohl ergibt sich aus alledem keine eindeutige Rechtslage. Denn es bleibt unklar, unter welche Voraussetzungen eine "Kontrolle" der gelisteten P. über die streitgegenständlichen Konten ihrer - rechtlich eigenständigen und selber nicht gelisteten - Tochtergesellschaft angenommen werden kann.

Sanktionen sollen auch deshalb gezielt eingesetzt werden, damit alle unbeabsichtigten Folgen für Personen, gegen die sie sich nicht richten, so gering wie möglich gehalten werden,

vgl. Rat der Europäischen Union, Grundprinzipien für den Einsatz restriktiver Maßnahmen (Sanktionen) vom 7. Juni 2005 - 10198/1/04 -, Anlage 1 Rn. 6.

Andererseits ist der Gefahr einer Umgehung der Sanktionen zu begegnen. Denn wenn die Gelder einer gelisteten Einrichtung eingefroren werden, besteht die nicht unerhebliche Gefahr, dass sie auf die ihr gehörenden oder von ihr kontrollierten Einrichtungen Druck ausübt, um die Auswirkungen der gegen sie gerichteten Maßnahmen zu unterlaufen. In diesen Fällen ist das Einfrieren der Gelder dieser Einrichtungen erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der gegen die letztgenannte Einrichtung erlassenen Maßnahmen zu gewährleisten und um zu garantieren, dass diese Maßnahmen nicht unterlaufen werden.

Vgl. EuG, Urteil vom 9. Juli 2009 - T-246/08 und T-332/08, Melli Bank plc -, Rn. 103, und daran anschließend EuGH, Urteil vom 13. März 2012 - C-380/09 P, Melli Bank plc -, Rn. 58.

Vor diesem Hintergrund kommt die Europäische Kommission - aus Sicht der Kammer nachvollziehbar - zu der Auffassung, dass vermutet werden könne, dass sich die Kontrolle einer gelisteten Person auch auf solche Vermögenswerte erstrecke, die im Eigentum eines von ihr kontrollierten Unternehmens stünden. Das Unternehmen könne aber nachweisen, dass einige oder alle seine Vermögenswerte tatsächlich nicht von der gelisteten Person kontrolliert würden, etwa weil Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden seien, die einen Zugang der gelisteten Person zu diesen Vermögenswerten verhinderten. So solle ein Bankkonto, das formal dem Unternehmen gehöre, nicht eingefroren werden, wenn festgestellt werde, dass die gelistete Person keine Kontrolle darüber habe.

Vgl. Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19. Juni 2020 zu Artikel 2 der VO (EU) Nr. 269/2014 - C (2020) 4117 final -, S. 3 f. (in englischer Sprache).

Diese Vermutung besteht nach Auffassung der Europäische Kommission auch im Verhältnis von Mutter- und Tochtergesellschaften. So könne vermutet werden, dass sich die Kontrolle einer gelisteten Person über das nichtgelistete Mutterunternehmen auch auf deren Tochterunternehmen erstrecke. Diese Vermutung könne im Einzelfall widerlegt werden, wenn das Tochterunternehmen nachweise, dass sich einige oder alle seine Vermögenswerte außerhalb der Kontrolle des Mutterunternehmens befänden.

Vgl. Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 8. Juni 2021 zu Artikel 2 Absatz 2 der VO (EU) Nr. 269/2014 - C(2021) 4223 final -, S. 3 (in englischer Sprache). Andere Ansicht wohl Bundesbank, FAQ zu Finanzsanktionen (Stand: 05.09.2023), Ziffer B.4a.

Unklar bleibt jedoch, welche Anforderungen an einen solchen Nachweis zu stellen sind. Nach Auffassung des Rats der Europäischen Union sind unter "Halten" oder "Kontrollieren" alle Fälle zu verstehen, in denen eine gelistete Person oder Organisation, die über keine Eigentumsrechte verfügt, rechtlich in der Lage ist, Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen, die ihr nicht gehören, zu veräußern oder zu transferieren, ohne dass der rechtmäßige Eigentümer vorab zustimmen muss. Als Beispiel nennt der Rat das Vorliegen einer umfassenden oder vergleichbaren Vollmacht zur Vertretung des Eigentümers, die es ihr erlaubt, den Transfer von Geldern, die ihr nicht gehören, zu veranlassen.

Vgl. Rat der Europäischen Union, Restriktive Maßnahmen (Sanktionen) - Aktualisierung der vorbildlichen Verfahren der EU für die wirksame Umsetzung restriktiver Maßnahmen vom 27. Juni 2022 - 10572/22 -, Rn. 34.

Demgegenüber fasst der EuG den Begriff der Kontrolle weiter. Er sieht die Umgehungsgefahr darin begründet, dass die gelistete Einrichtung die ihr gehörenden oder von ihr kontrollierten Einrichtungen dazu bringen könnte, entweder ihre Gelder unmittelbar oder mittelbar auf sie zu übertragen oder Geschäfte zu tätigen, die sie selbst wegen des Einfrierens ihrer Gelder nicht ausführen kann. In der Folge stellt er vorrangig auf Gesichtspunkte ab, die sich auf die Ernennung des Personals beziehen.

Vgl. EuG, Urteil vom 9. Juli 2009 - T-246/08 und T-332/08, Melli Bank plc -, Rn. 103 und 121.

Der EuGH hat sich mit den Begriffen des "Haltens" und der "Kontrolle" - soweit ersichtlich - noch nicht auseinandergesetzt.

Auf die vorgenannten Ausführungen des EuG kam es in der Rechtsmittelinstanz nicht an, weil der EuGH den Begriff des "Eigentum" allein an die Geschäftsanteile anknüpfte, vgl. Urteil vom 13. März 2012 - C-380/09 P, Melli Bank plc -, Rn. 75 ff.

Die nach alledem unklare und bislang ungeklärte Frage zur Auslegung der Begriffe des "Haltens" und der "Kontrolle" in Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 ist hier entscheidungserheblich. Würde man - wie der Rat der Europäischen Union - auf ein von der Antragstellerin unabhängiges Zugriffsrecht der P. auf die streitgegenständlichen Konten abstellen, wäre eine Kontrolle zu verneinen. Eine Verfügungsberechtigung der P. über die streitgegenständlichen Konten lässt sich den Verwaltungsvorgängen, insbesondere den Kontoinformationen der BaFin vom 31. Januar 2023 (Beiakte Heft 6, S. 255 ff.) nicht entnehmen. Die D., bei der die streitgegenständlichen Konten geführt werden, wies in ihrer Meldung vom 6. März 2023 ebenfalls darauf hin, dass ihr keine Vollmachten vorlägen, auf deren Basis Mitarbeiter der P. ohne Zustimmung von Vertretern der Antragstellerin über die Konten verfügen könnten. Zugleich teilte sie mit, technische Sicherungsmaßnahmen getroffen zu haben, um sicherzustellen, dass von den bei ihr geführten Konten keine Überweisungen an die P. getätigt werden könnten (Beiakte Heft 2, Bl. 106 ff.). Die P. könnte als Alleingesellschafterin zwar beschließen, die Antragstellerin aufzulösen (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Dies würde aber zunächst ein Liquidationsverfahren in Gang setzen (§§ 65 ff. GmbHG). Erst nach dessen Abschluss würde - das gegenwärtige Bereitstellungsverbot nach Art. 2 Abs. 2 VO (EU) 269/2014 außer Acht gelassen - etwaig verbleibendes Vermögen der Antragstellerin auf die P. verteilt (§ 72 GmbHG). Insoweit ist der Fall der Auflösung nicht vergleichbar mit der hier streitigen Frage nach einem Zugriffsrecht der P. auf die Konten der in ihrer Existenz unveränderten Antragstellerin.

Würde man demgegenüber - wie der EuG - vorrangig auf Gesichtspunkte abstellen, die sich auf die Ernennung des Personals beziehen, wäre eine Kontrolle zu bejahen. Als Alleingesellschafterin hat die P. entscheidenden Einfluss auf die Geschäftsleitung der Antragstellerin. Sie bestimmt die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie deren Entlastung (§ 46 Nr. 5 GmbHG), wobei die Bestellung der Geschäftsführer jederzeit widerruflich ist (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Des Weiteren bestimmt sie die Bestellung von Prokuristen und anderen Handlungsbevollmächtigten (§ 46 Nr. 7 GmbHG) sowie die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung (§ 46 Nr. 6 GmbHG). Der Gesellschaftsvertrag vom 9. Juni 2023 sieht in § 5 Abs. 3 zwar vor, dass der Geschäftsführer unabhängig und weisungsfrei handelt. Zur Bestellung und Abberufung enthält der Gesellschaftsvertrag aber keine abweichenden Bestimmungen, sodass es insoweit gemäß § 45 Abs. 2 GmbHG bei den vorgenannten gesetzlichen Vorschriften bleibt. Soweit die Antragstellerin geltend macht, alle Sanktionsregeln einzuhalten und ein Verstoß gemäß § 18 AWG mit Strafe bedroht wäre, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn es könnten Maßnahmen getroffen werden, um die Rechtswidrigkeit der betreffenden Geschäftsvorgänge zu verschleiern. Zudem würde ein Verstoß erst im Nachhinein aufgedeckt, was der präventiven Wirkung restriktiver Maßnahmen zuwiderliefe.

Vgl. dazu auch EuG, Urteil vom 9. Juli 2009 - T-246/08 und T-332/08, Melli Bank plc -, Rn. 126 f.

Im letztgenannten Fall wäre die Sicherstellungsanordnung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2023 auch im Übrigen rechtmäßig.

Die weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 SanktDG, dass die Gefahr eines Sanktionsverstoßes drohen muss, ist erfüllt. Die D. weist zwar in ihrer E-Mail vom 30. Juni 2023 darauf hin, dass sie sich auch ohne Sicherstellung an die Vorgaben der Sanktionsverordnung halten würde, wenn nunmehr festgestellt sei, dass die Konten gemäß Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 eingefroren seien (Beiakte Heft 9, Bl. 19). Daran hat die Kammer auch keine Zweifel. Die Gefahr eines Verstoßes folgt hier aber aus der unklaren Rechtslage. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge vertreten die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung und die Bundesbank bei der Frage, ob die Konten der Antragstellerin eingefroren sind, widersprüchliche Auffassungen. Dies hat in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Handhabungen in der Praxis geführt. So behandelt die O. die dortigen Konten der Antragstellerin als eingefroren. Die D. ging hingegen nicht davon aus, dass die Konten der Antragstellerin eingefroren sind. Anfang März 2023 änderte sie vorsorglich ihre Entscheidung. Mit Blick auf die von der Bundesbank vertretene Auffassung, dass die Gelder nicht dem Einfriergebot unterfielen, gab sie die Konten am 22. März 2023 wieder frei, was die Antragsgegnerin wiederum am 23. März 2023 zum Erlass der vorläufigen Sicherstellungsanordnung veranlasste (vgl. zu alledem Beiakte Heft 2). Vor diesem Hintergrund bedarf es der Sicherstellung der streitgegenständlichen Konten, um einen Verstoß gegen die - im Falle einer Kontrolle der P. bestehende - Verfügungsbeschränkung zu verhindern. Hierzu trägt auch der Umstand bei, dass die Antragsgegnerin die Verfügungsbeschränkung bislang nicht anderweitig festgestellt hat, etwa durch einen Eintrag in das nach § 14 SanktDG einzurichtende Register. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand der Kammer existiert dieses Sanktionsvermögensregister noch nicht.

Die Antragsgegnerin hat auch das durch § 3 Abs. 1 Satz 1 SanktDG eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Es kann dahinstehen, ob bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen überhaupt noch Raum für eine ablehnende Ermessensentscheidung verbleibt. Denn jedenfalls sind vorliegend keine Ermessensfehler erkennbar. Zudem darf die Antragsgegnerin ihr Ermessen noch im Widerspruchsverfahren ausüben.

Die Sicherstellungsanordnung ist verhältnismäßig. Sie dient dem legitimen Zweck, Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 zu verhindern und die Wirksamkeit der restriktiven Maßnahme zu gewährleisten. Hierzu ist sie geeignet und erforderlich. Ein gleich geeignetes, weniger belastendes Mittel steht nicht zur Verfügung. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind weder ein Verbot von Zahlungen nach Russland oder ins Ausland noch eine Verpflichtung zur Rechenschaft über geleistete Zahlungen in gleicher Weise geeignet, einen Sanktionsverstoß zu verhindern, wenn feststeht, dass die P. die Konten kontrolliert. Die Sicherstellungsanordnung ist auch angemessen. Bei der Abwägung der beiderseitigen Belange überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherstellung das Interesse der Antragstellerin, frei über ihre Konten zu verfügen. Die Sicherstellungsanordnung verstößt auch nicht gegen Grundrechte der Antragstellerin. Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie in Art. 16 und 17 GRCh ist angesichts des mit der Sicherstellung verfolgten, überragend wichtigen Zwecks gerechtfertigt.

Kommt es nach alledem entscheidungserheblich auf die Frage der Auslegung der Begriffe des "Haltens" und der "Kontrolle" in Art. 2 Abs. 1 VO (EU) 269/2014 an und bedarf es deshalb im Hauptsacheverfahren voraussichtlich einer Vorlage an den EuGH, erweisen sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Sicherstellungsanordnung der Antragsgegnerin vom 26. Juni 2023 als offen.

Die danach vorzunehmende Folgenabwägung geht hier zulasten der Antragstellerin. Bei der Abwägung der beiderseitigen Belange überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Sicherstellungsanordnung das gegenläufige Aussetzungsinteresse der Antragstellerin.

Auf Seiten der Antragsgegnerin besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an der Vollziehung der Sicherstellunganordnung. Die mit der VO (EU) 269/2014 verfolgten Ziele sind von überragender Bedeutung. Die Verordnung steht im Zusammenhang mit weiteren Rechtsakten der EU, namentlich der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2023/1214 des Rates vom 23. Juni 2023 (im Folgenden: VO (EU) 833/2014). Die Ziele dieser Rechtsakte bestehen darin, zum einen die Werte der Union, ihre grundlegenden Interessen, ihre Sicherheit, ihre Unversehrtheit und ihre öffentliche Ordnung zu schützen und zum anderen den Frieden zu wahren und die internationale Sicherheit zu stärken. Sie fügen sich ein in die Gesamtstrategie der Union, durch den raschen Erlass einer Reihe restriktiver Maßnahmen mit dem Ziel, größtmöglichen Druck auf die Russische Föderation auszuüben, damit sie ihren gegen das Völkerrecht und die UN-Charta verstoßenden militärischen Angriff auf die Ukraine beendet. Sie stehen dabei im Einklang mit den in Art. 21 EUV genannten Zielen des auswärtigen Handelns der Union.

Vgl. EuG, Urteil vom 27. Juli 2022 - T-125/22, E. France -, Rn. 160 ff. und 226.

Die Rechtsakte der EU zielen auch auf einen Schutz vor der systematischen internationalen Propagandakampagne, die von der Russischen Föderation über die von ihrer Führung direkt oder indirekt kontrollierten Medien durchgeführt wird, um die Nachbarländer, die Union und ihre Mitgliedstaaten zu destabilisieren und den militärischen Angriff auf die Ukraine zu unterstützen.

Vgl. EuG, Urteil vom 27. Juli 2022 - T-125/22, E. France -, Rn. 161.

Gegen Medien, deren Aufgabe in einer solchen Propagandaaktion besteht, wurden verschiedene restriktive Maßnahmen erlassen. Hierzu gehört unter anderem das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der P.. Deren Listung wird in Ziffer 158 des Anhangs I der VO (EU) 269/2014 wie folgt begründet:

"I. ist eine mit der russischen Regierung verbundene Medienorganisation. Sie wird aus dem föderalen Haushalt der Russischen Föderation finanziert. Über die ihr unterstellten Medien, einschließlich E., verbreitete sie kremelfreundliche Propaganda und Desinformation und unterstützte den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Daher unterstützte sie materiell oder finanziell Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen. Zudem profitierte sie von der Regierung der Russischen Föderation, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist."

Auch der Generaldirektor der P., X., wurde gelistet (Ziffer 1391 des Anhangs I der VO (EU) 269/2014), ebenso die B. des Fernsehnachrichtennetzes E. (Ziffer 228) sowie ein Vorstandsmitglied von F. (Ziffer 886).

Daneben wurden im März 2022 durch Art. 2f VO (EU) 833/2014 die Sendetätigkeiten diverser Medien eingestellt. Die Antragstellerin ist - nach wie vor - nicht in Anhang XV der VO (EU) 833/2014 gelistet, anders als etwa "Z.". Die hiervon mitbetroffene L. GmbH ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Antragstellerin. Beide Unternehmen hatten in der Vergangenheit in der Regel dieselben Geschäftsführer. Auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist die Geschäftsführerin der Antragstellerin als Liquidatorin der L. GmbH bestellt.

Vgl. die jeweiligen chronologischen Auszüge aus dem Handelsregister, zuletzt abgerufen am 27. Oktober 2023 .

Ungeachtet des Sendeverbots und der Liquidation der L. GmbH läuft der Internetauftritt von "Y." unter der Webseite J." weiter. Im Impressum wird die P. angeführt und als Verantwortlicher ihr Geschäftsführer C. genannt. In der Rubrik "Über uns" wird dargestellt, dass Y. seinem Publikum einen Einblick in die Logik, Interessen und Ansichten Russlands gebe. Dies entspricht dem Satzungszweck der P.. Denn laut Ziffer 3 der Satzung zielt die Tätigkeit der Organisation nicht auf Gewinn, sondern auf die Erbringung von Dienstleistungen zur Erstellung und Verbreitung objektiver Informationen über Ereignisse des sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens in Russland und im Ausland (Beiakte Heft 6, Bl. 68 ff.). In der Rubrik "Über uns" wird darüber hinaus ausgeführt, dass E. heute eine global agierende Mediengruppe mit acht TV-Kanälen und diversen digitalen Plattformen sei, auf denen "gemeinsam mit der Schwesternachrichtenagentur V." Nachrichten, aktuelle Ereignisse und Dokumentationen ausgestrahlt würden. Unter der Rubrik "In eigener Sache" kritisiert E. die Sperrung durch die EU, die darauf ziele, eine "kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen", und ruft zugleich zur Fortsetzung eines "Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative" auf.

Vgl. Webseite von Y., zuletzt abgerufen am 27. Oktober 2023 .

Die Antragstellerin beschrieb sich auf ihrer Webseite "U." als internationale Nachrichtenagentur, die visuelle Echtzeit- und Archivnachrichteninhalte bereitstelle. Ihr Ziel sei es, einen mutigeren, tieferen Blickwinkel als die etablierten Figuren des Nachrichtenmarkts zu bieten - Nachrichten ohne Augenbinde.

Vgl. Webseite von V., "R..", abgerufen am 12. Juni 2023 (in englischer Sprache). Da die Webseite aktuell nur für registrierte Nutzer zugänglich ist, wird ein Abdruck der Quelle zur Akte genommen.

Auch im Jahresabschlussbeschluss zum Geschäftsjahr 2021 führt die Antragstellerin aus, dass sie 2013 mit der Mission in Betrieb genommen worden sei, eine wettbewerbsfähige Alternative zu den seit langem etablierten globalen Nachrichtenagenturen wie The Associated Press, Reuters News Agency, AFP und CNN Newsource zu werden,

vgl. Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2021 bis zum 31.12.2021, Nr. 2 Wirtschaftsbericht, zuletzt abgerufen am 27. Oktober 2023 .

Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie handele lediglich mit Video-Rohmaterial, ergibt sich aus den beiden vorgenannten Quellen etwas anderes. So führte sie auf ihrer Webseite aus, dass ihr Nachrichten-Team auch aus Produzenten vor Ort bestehe und sie bestrebt sei, mehr von den gewünschten Inhalten zu produzieren. Im Jahresabschlussbericht wird außerdem dargestellt, dass 2021 in die Content-Produktion investiert worden sei. Außerdem wird betont, dass die Antragstellerin über wichtige Ereignisse live gesendet habe und für ihre Berichterstattung ausgezeichnet worden sei.

Davon ausgehend hat die Kammer keinen Zweifel, dass die Antragstellerin trotz ihrer rechtlichen Eigenständigkeit zum Medien-Netzwerk der P. gehört. Y. spricht insoweit bezeichnend von einer "Schwesternachrichtenagentur". Auch die Europäische Kommission geht davon aus, dass die Antragstellerin zum Medien-Netzwerk von F. gehört,

vgl. Europäisches Parlament, Parliamentary question E-002174/2023, Answer given by Ms McGuinness on behalf of the European Commission, 15. September 2023 (in englischer Sprache).

Davon ausgehend besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an der Vollziehung der Sicherstellungsanordnung. Andernfalls könnten die mit der Listung der P. verfolgten, überragend wichtigen Ziele für die Dauer des Widerspruchsverfahrens keine Wirkung entfalten.

Das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von der Vollziehung der Sicherstellungsanordnung verschont zu bleiben, tritt dahinter zurück.

Die Kammer verkennt nicht, dass die Antragstellerin durch die Sicherstellungsanordnung massiv in ihrer Geschäftstätigkeit beschränkt ist. Der Verlust der Verfügungsbefugnis über die betroffenen Konten und der Umstand, dass Zahlungen nur nach Maßgabe der Art. 4 ff. VO (EU) 269/2014 freigegeben werden, sind mit erheblichen Nachteilen für die Antragstellerin verbunden. Diese sind auch - sollte sich später herausstellen, dass die Sicherstellung zu Unrecht erfolgt ist - kaum reversibel. Die Antragstellerin ist damit zwar nicht in ihrem Bestand, wohl aber massiv in ihrem Betrieb beschränkt. Zudem greift die Sicherstellungsanordnung in Grundrechte der Antragstellerin ein, namentlich in Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie in Art. 16 und 17 GRCh. Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt angesichts der überragend wichtigen Ziele, die mit der Sicherstellungsanordnung und der zugrundeliegenden restriktiven Maßnahme gegen die P. verfolgt werden. Dies gilt auch dann, wenn sich später herausstellen sollte, dass die Konten der Antragstellerin tatsächlich nicht von der P. kontrolliert werden. Denn jede restriktive Maßnahme hat definitionsgemäß Auswirkungen, die die Eigentumsrechte und die freie Berufsausübung beeinträchtigen, und schädigt damit Parteien, deren Verantwortlichkeit für die Situation, die zum Erlass der betreffenden Maßnahmen geführt hat, nicht nachgewiesen ist. Die Bedeutung der mit der Regelung verfolgten Ziele kann aber - wie hier - selbst erhebliche negative Konsequenzen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen.

Vgl. EuG, Urteil vom 9. Juli 2009 - T-246/08 und T-332/08, Melli Bank plc -, Rn. 111.

Auch der deutsche Gesetzgeber nimmt mit der Befugnis der Antragsgegnerin, Gelder und wirtschaftliche Ressourcen sicherzustellen, etwaige erhebliche Nachteile auf unbeteiligte Dritte hin. Dies zeigt sich nicht nur im Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 13 SanktDG), sondern auch in der Befugnis der Antragsgegnerin zur vorläufigen Sicherstellung während eines noch laufenden Ermittlungsverfahrens (§ 3 Abs. 2 SanktDG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Maßgeblich ist dabei, welchen Streitgegenstand der Kläger dem Gericht mit seinem Klageantrag zur Entscheidung unterbreitet und welche wirtschaftliche Bedeutung dieser gerade für ihn hat. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Sichtweise des Klägers, sondern auf eine objektive Beurteilung an. Mit der Befugnis, den Streitwert nach richterlichem Ermessen zu bestimmen, ist dem Gericht im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung die Möglichkeit eingeräumt, den Wert des Streitgegenstandes zu schätzen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2023 - 10 E 375/23 -, juris Rn. 3.

In Ausübung des dem Gericht zustehenden Ermessens berücksichtigt die Kammer, dass die Antragstellerin infolge der angegriffenen Sicherstellungsanordnung vorübergehend nicht mehr über ihre Konten verfügen darf. Um die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Antragstellerin zu bestimmen, orientiert sich die Kammer in erster Linie am Saldo dieser Konten und setzt hiervon 25 % für den Streitwert in der Hauptsache an. Dabei lehnt sich die Kammer an Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit an, wonach im Streit um Geldleistungen das Interesse an einer vorläufigen Regelung mit ¼ angesetzt wird.

Die Kammer hält insoweit nicht mehr an dem noch im Verfahren gegen die vorläufige Sicherstellungsanordnung vertretenen Ansatz fest, den Streitwert pauschal auf einen bestimmten Betrag zu bestimmen,

50.000 Euro für die vorläufige Sicherstellungsanordnung, vgl. VG Köln, Einstellungsbeschluss vom 17. Juli 2023 - 1 K 3004/23 -. Vgl. auch die Festsetzung eines Streitwerts von 100.000 Euro im Rechtsstreit um die Feststellung, dass Verfügungen über Gelder im Rahmen eines allgemeinen Bankgeschäfts innerhalb der Bundesrepublik nicht vom Einfriergebot umfasst sind: VG München, Urteil vom 23. Juni 2008 - M 16 K 07.5545 -, juris, und nachfolgend BayVGH, Beschluss vom 14. Dezember 2009 - 22 ZB 08.2288 -, juris.

Ein pauschalierter Ansatz wird den Umständen des konkreten Einzelfalls nicht hinreichend gerecht.

Das Saldo der hier von der Sicherstellungsanordnung betroffenen Konten lag ausweislich der Aufstellung der D. am 15. März 2023 (Beiakte Heft 4, S. 2) bei insgesamt 0 Euro und unter Berücksichtigung der Kontoumsätze bis zum 22. März 2023 (Beiakte Heft 3) bei 0 Euro. Dem Gericht ist aus anderen Eilverfahren der Antragstellerin bekannt, dass im Anschluss an die vorläufige Sicherstellungsanordnung vom 23. März 2023 eine Vielzahl von Zahlungen freigegeben wurde. Allein im Verfahren 1 L 1075/23 betraf dies Zahlungen in Höhe von 0 Euro. Zugleich geht die Kammer davon aus, dass den Konten Zahlungseingänge, etwa von Kunden, gutgeschrieben wurden. Ausgehend von einem Abzug von ca. 10 % pro Monat schätzt die Kammer den Saldo der Konten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 12. Juli 2023 (vgl. § 40 GKG) auf 65 % des Saldos vom 22. März 2023, mithin auf 0 Euro.

Hiervon setzt das Gericht wie dargestellt 25 % an, um die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Antragstellerin zu bestimmen. Demnach ergibt sich in der Hauptsache ein Streitwert von 0 Euro, der wegen des nur vorläufigen Charakters der hier beantragten Eilentscheidung halbiert (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit) und auf volle Euro gerundet worden ist.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.

Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) wird hingewiesen.

Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.

Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.

Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.

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