Arbeitsrecht: Bundesarbeitsgericht stärkt Unternehmerfreiheit: Konsequenz für Kündigungsmöglichkeiten

bei uns veröffentlicht am08.11.2008
Zusammenfassung des Autors

Mit Urteil vom 13.03.08 – 2 AZR 1037/06 stärkte das Bundesarbeitsgericht die Unternehmerfreiheit - BSP Rechtsanwälte - Anwältin für Arbeitsrecht Berlin

Der Wegfall von Arbeitsplätzen infolge einer Reorganisierung oder Neukonzeption eines Betriebes durch den Arbeitgeber ist als betriebsbedingte Kündigung gesetzlich gemäß § 1 Abs. 2 KSchG gerechtfertigt. Ein betriebsbedingter Kündigungsgrund liegt nach nunmehr höchstrichterlicher Rechtsprechung auch vor, wenn sich ein Arbeitgeber entschließt, dass die bisher von eigenen Arbeitnehmern ausgeübte Tätigkeit zwar als solche weiterhin verrichtet werden soll, allerdings künftig nicht mehr durch seine Arbeitnehmer, sondern durch selbständige Unternehmer. Die Konsequenz daraus ist, dass das bisherige Beschäftigungsbedürfnis für die Arbeitnehmer entfällt und diese betriebsbedingt gekündigt werden können.

Im Falle einer Kündigungsschutzklage ist vom Gericht allein nachzuprüfen, ob eine solche unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die Unternehmerentscheidung selbst nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist.

Nach oben zitiertem Urteil ist die Entscheidung des Arbeitgebers bestimmte Tätigkeiten künftig nur noch durch freie Mitarbeiter ausführen zu lassen grundsätzlich weder willkürlich noch offensichtlich unvernünftig. Die damit einhergehende Umgestaltung der Vertragsbeziehung von einem Arbeitsverhältnis in ein freies Mitarbeiterverhältnis ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Für die Beantwortung der Frage, ob ein Arbeitnehmerverhältnis oder vielmehr eine freie Mitarbeit besteht, ist der Grad der persönlichen Abhängigkeit entscheidend. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend ist. Da jede vertragliche Bindung – auch die des freien Mitarbeiters – eine gewisse Einschränkung der Freiheit mit sich bringt, sieht das BAG ein Arbeitsverhältnis erst dann als begründet an, „ wenn die Begrenzung der persönlichen Freiheit, insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht, eine Dichte erreicht, die sich nicht allein aus der Natur der zu leistenden Tätigkeit, sondern gerade aus der vertraglich dem Arbeitgeber zugestandenen Verfügungsmacht über die Arbeitsleistung ergibt.“

In der Praxis könnte diese Entscheidung des BAG enorme wirtschaftliche Konsequenzen zur Folge haben. Denn die derzeitige Wettbewerbs- und Arbeitsmarktsituation hat bereits vor Jahrzehnten erheblich dazu beigetragen, dass stetig mehr Unternehmen ihre Tätigkeit von Selbständigen ausführen lassen. Die Zusammenarbeit mit einem freien Mitarbeiter statt mit einem Arbeitnehmer ist für einen Unternehmer mit vielerlei Vorteilen verbunden. So müssen Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Falle der Krankheit, bezahlter Urlaub, Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge, ggf. verbesserte Arbeitsbedingungen aufgrund eines Tarifvertrages nur gegenüber Arbeitnehmern, nicht aber den selbständigen Unternehmern gewährt werden. Die Zusammenarbeit mit einem wirklich selbständigen Unternehmer erweist sich hingegen insoweit als nachteilig, als dass dieser nicht den Weisungen des Auftraggebers unterliegt und daher in seiner Arbeitsgestaltung viele Freiheiten genießt und zudem die Aufträge des Auftraggebers auch beliebig ablehnen kann.

Deshalb scheint es für viele Unternehmer gerade zu Ideal, mit einem „selbständigen“ freien Mitarbeiter zusammenzuarbeiten, demgegenüber man von den oben genannten Pflichten weitestgehend freigestellt ist, der aber gleichwohl persönlich abhängig ist und eigenen Weisungen unterliegt. Damit setzten sich viele Unternehmer jedoch dem Risiko einer Beschäftigung von Scheinselbständigen aus. Scheinselbständigkeit liegt nämlich dann vor, wenn jemand zwar nach der Vertragsgestaltung selbstständige Dienst- oder Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber nichtselbstständige Arbeiten in einem Arbeitsverhältnis leistet. Rechtlich gesehen sind sie Arbeitnehmer, sodass für sie Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten wären.
Der Gesetzgeber ist bereits Ende der 90er tätig geworden um der vermehrt aufgetretenen Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken. So trat am 19.12.1998 das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in Kraft. Dieses wurde allerdings schnell modifiziert, mit der Konsequenz, dass seit dem 01.01.1999 das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit in Kraft war. Auch Letzteres wurde durch das Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit abgelöst.

Ob und inwiefern das Urteil des Bundesarbeitsgerichts Konsequenzen in sich birgt, die mit der Intention des Gesetzgebers der Scheinselbständigkeit entgegenzuwirken kollidieren bleibt abzuwarten.
Festzustellen ist aber, dass Entscheidungen eines Unternehmers Tätigkeiten, die ursprünglich von eigenen Arbeitnehmern ausgeführt wurden künftig tatsächlich durch selbständige freie Mitarbeiter verrichten zu lassen nicht angreifbar sein dürften , wenn diese Personen tatsächlich nicht dem für Arbeitsverhältnisse kennzeichnenden Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Ort und Art und Weise der Arbeitsleistung unterliegen und ihre Leistungen nicht in Person erbringen müssen sondern durch Dritte erbringen können.

Gesetze

Gesetze

1 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

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Referenzen

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.