Zwangsvollstreckung: Hessisches LAG: Bewertung der Privatnutzung eines Firmenwagens bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens

bei uns veröffentlicht am14.05.2009

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Rechtsberatung zur Zwangsvollstreckung - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB

Das LAG Hessen hat mit dem Urteil vom 15.10.2008 (Az.: 6 Sa 1025/07) folgendes entschieden: Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgericht Gießen vom 08. Mai 2007 – 5 Ca 1/07 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des bei der Beklagten beschäftigten Insolvenzschuldners im Hinblick auf die Berücksichtigung des dem Insolvenzschuldner arbeitsvertraglich zustehenden Sachbezuges der privaten Nutzung eines Firmenfahrzeugs und einer privaten Krankenversicherung des Insolvenzschuldners. Der Kläger ist als Insolvenzverwalter über das Vermögen des bei der Beklagten beschäftigten Insolvenzschuldners bestellt.

Der Insolvenzschuldner hat gemäß Arbeitsvertrag vom 20. April 2004 ab dem 01. Mai 2004 einen Anspruch auf ein Nettogehalt von € Xxxxxx bzw. aufgrund Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 24. April 2006 ab dem 01. Mai 2006 von € 1.000,00 (vgl. die zu den Akten gereichten Kopien des Arbeitsvertrages bzw. der Ergänzung des Arbeitsvertrages Bl. 28 - 30 d.A.).

Die Beklagte errechnet das Bruttogehalt des Insolvenzschuldners auf der Grundlage dieser zugesagten Nettovergütung zusätzlich des steuerlich zu berücksichtigenden geltwerten Vorteils für die private Nutzung des Firmen-Pkw von € 730,00. Den Betrag von € 730,00 zieht sie von dem sich auf dieser Berechnungsgrundlage ergebenden Nettovergütung wieder ab. Die ausgezahlte Nettovergütung des Insolvenzschuldners betrug demgemäß ab Mai 2004 € Xxxxxx bzw. ab Mai 2006 € 1.000,00. Abzüge für eine gesetzliche Krankenbzw. Rentenversicherung nahm die Beklagte dabei nicht vor.

Der Kläger hat den abgerechneten Nettoverdienst des Insolvenzschuldners für die Zeit von August 2003 bis Dezember 2006 ohne Abzug des Betrages für die private Nutzung des Firmen-Pkw von € 730,00 zur Grundlage der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens genommen. Hierbei errechnet sich bei dem ledigen und keiner Unterhaltsverpflichtung unterliegenden Insolvenzschuldner eine Klageforderung von € 14.397,20 nebst Zinsen. Die Klageschrift trägt das Datum des 27. Dezember 2006 und den Eingangsstempel des Arbeitsgerichts vom 02. Januar 2007. Zugestellt wurde die Klageschrift der Beklagten am 05. Januar 2007. Der Kläger hat behauptet, die Klageschrift sei am 29. Dezember 2006 in den Briefkasten des Arbeitsgerichtes eingeworfen worden.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 b ArbGG) und form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 66 ArbGG, 517, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig. In der Sache ist die Berufung der Beklagten jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von € 14.397,20 nebst Zinsen gem. § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Beklagten mit dem Insolvenzschuldner aus abgetretenem Recht hat. Der Kläger kann ab August 2003 den pfändbaren Teil des Einkommens des Insolvenzschuldners beanspruchen. Der Insolvenzschuldner hat den pfändbaren Teil seines Einkommens wirksam an den Kläger abgetreten und die Abtretungserklärung ist der Beklagten im Juli 2007 zugestellt worden. Die Höhe des Anspruchs ergibt sich aus der zutreffenden Berechnung des Klägers.

Hierzu ist zunächst zu berücksichtigen, dass zur Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens das in Geld gezahlte Einkommen mit dem geldwerten Vorteil der Privatnutzung des vom Arbeitgeber unentgeltlich zur Verfügung gestellten Firmenfahrzeugs zusammenzurechnen ist (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 10.04.1991 - 2 (16) Sa 619/90 - LAGE § 850 e ZPO Nr. 2). § 850 e Ziffer 3 ZPO bestimmt insoweit ausdrücklich, dass Geld- und Naturalleistungen zusammenzurechnen sind. Weiter bestimmt § 850 e Ziffer 3 ZPO auch, dass der in Geld zahlbare Betrag insoweit pfändbar ist, als der nach § 850 c ZPO unpfändbare Teil des Gesamteinkommens durch den Wert der dem Schuldner verbleibenden Naturalleistungen gedeckt ist. Dies bedeutet, dass der Wert der Naturalleistung voll berücksichtigt wird. Weiter bedeutet dies auch, dass in Geld zahlbares Einkommen des Schuldners bei Zusammentreffen mit Naturalleistungen auch unterhalb der unpfändbaren Beträge liegen kann. Bei der Ermittlung der Pfändungsgrenze nach § 850 e ZPO ist der Wert der Naturalleistungen einzusetzen und auf den Teil zu verrechnen, der dem Schuldner verbleibt, denn durch den Erhalt der Naturalien ist ein Teil des Bedarfs bereits gedeckt. Typische Naturalleistungen sind: freie Verpflegung, Unterkunft, Nutzung von Dienstwohnung und -Wagen. Die Wertberechnung obliegt dem Drittschuldner. Die Richtsätze des Sozialversicherungsrechts, die auch im Steuerrecht gelten, sind regelmäßig Grundlage zur Feststellung des ortsüblichen Wertes. Besondere Umstände erlauben abweichende Festlegungen. Bei Meinungsverschiedenheiten kann jeder Beteiligte eine Klarstellung durch das Vollstreckungsgericht erwirken, die, anders als die Festlegung durch den Drittschuldner, nach herrschender Meinung das Prozessgericht in Bezug auf die Umrechnung bindet.

Richtig ist das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass die Privatnutzung eines Firmen-Pkw kein unpfändbarer Bezug im Sinne von § 850 a Ziffer 3 ZPO ist. Das Arbeitsgericht hat weiter auch den Wert der privaten Nutzung des Firmenfahrzeugs mit monatlich 1% des auf volle Hundert abgerundeten Listenpreises gemäß der lohnsteuerrechtlichen Behandlung als Sachbezug für richtig erachtet. Der Vortrag der Beklagten zu einer verschwindend geringen Nutzung des Firmenfahrzeugs für private Zwecke des Insolvenzschuldners ist unsubstantiiert.

Es fehlen insoweit z. B. Angaben zu den dienstlich gefahrenen Kilometern im Verhältnis zu der Gesamtkilometerleistung des bzw. der überlassenen Fahrzeuge. Auch der weitere Sachvortrag der Beklagten, dass eine berufliche Notwendigkeit für die Nutzung des Firmen-Pkw insoweit bestehe, als der Insolvenzschuldner wegen der ständig wechselnden Einsatzorte und der spät abendlichen Arbeitszeiten öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen könne, überzeugt nicht. Hier hätte es nämlich ausgereicht dem Insolvenzschuldner das Firmenfahrzeug für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Verfügung zu stellen. Schließlich teilt das Berufungsgericht auch nicht der Ansicht der Beklagten, die Nettolohnvereinbarung der Parteien beinhalte, dass ein zugesagter Sachbezug im Nettolohn enthalten ist und nur der Nettolohn abzüglich des Geldwertes des Sachbezugs dem Arbeitnehmer als in Geld auszuzahlendes Entgelt zusteht. Die Arbeitsvertragsparteien beziehen eine Nettolohnvereinbarung auf das in Geld zu zahlende Gehalt. Im Arbeitsverhältnis gewährte Sachbezüge werden regelmäßig zu dem in Geld zu zahlenden Arbeitsentgelt gewährt. Dies unabhängig davon, ob die Parteien hinsichtlich des in Geld zu zahlenden Arbeitsentgelts eine Brutto- oder Nettolohnvereinbarung treffen. So haben die Beklagte und der Insolvenzschuldner ihre Vertragsbeziehung auch über Jahre durchgeführt. Auch aus dem Arbeitsvertrag der Parteien ergibt sich nicht, dass dem Kläger ein Nettogehalt abzüglich des Geldeswertes des Sachbezugs private Nutzung Firmenfahrzeug zustehen sollte. Die Beklagte selbst weist im Schriftsatz vom 27. Februar 2007 darauf hin, dass die Herausrechnung der steuerlich veranlassten privaten Nutzung des Firmenfahrzeugs dazu führen würde, dass der Arbeitnehmer nur noch € Xxxxxx zum Leben übrig hätte. Dies spricht keinesfalls dafür, dass die Parteien gerade dies, nämlich die Bezahlung eines Arbeitsentgelts in Geld von € Xxxxxx netto vereinbaren wollten. Im Gegenteil. Zumindest im Hinblick auf die vorliegende Nettovereinbarung der Parteien ist es schließlich auch gerechtfertigt, den geldwerten Vorteil der privaten Nutzung des Firmenwagens im Rahmen des § 850e Ziff. 3 ZPO Brutto für Netto in Ansatz zu bringen. Substantiierte Einwände gegen die Berechnung der pfändbaren Beträge hat die Beklagte nicht vorgebracht.

Dem Arbeitsgericht ist schließlich auch hinsichtlich der Berechnung des pfändbaren Einkommens ohne Berücksichtigung der Aufwendungen des Insolvenzschuldners für eine freiwillige Krankenversicherung zu folgen. Diese Aufwendungen sind nicht nach § 850 e Ziffer 1 b ZPO abzugsfähig. Das Arbeitsverhältnis des Insolvenzschuldners unterliegt der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung gem. § 5 Abs. 1 Ziffer 1 SGB V. Es ist von der Beklagten trotz entsprechender Auflage nicht dargelegt worden, dass Versicherungsfreiheit nach § 6 SGB IV oder nach anderen Vorschriften besteht. Derartige Umstände sind für das Berufungsgericht auch nicht ersichtlich. Darüber hinaus weist die Beklagte auch zu Recht darauf hin, dass die mit dem Insolvenzschuldner getroffene Nettolohnvereinbarung beinhaltet, dass der Arbeitgeber alle Kosten, wie Steuern, Abgaben, Sozialversicherungsabgaben usw. zu tragen hat. Hierzu gehören auch die Kosten einer substituiven privaten Krankenversicherung. Ob der Insolvenzschuldner einen entsprechenden Anspruch gegenüber der Beklagten geltend macht, ist für die Berechnung der Höhe des pfändbaren Teils seines Nettolohns unbeachtlich. Auch weitere Erwägungen der Beklagten hinsichtlich der fehlerhaften Berechnung des pfändbaren Einkommens des Insolvenzschuldners seitens des Arbeitsgerichts überzeugen nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass der Insolvenzschuldner überzahlt wurde und der Beklagten gegen ihn ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch besteht. Die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens des Insolvenzschuldners und die Abführung der gepfändeten Beträge obliegt der Beklagten.

Der Insolvenzschuldner hat es auch nicht zu vertreten, wenn der Arbeitgeber bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens Naturalleistungen rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt.

Hinsichtlich der Erwägungen des Arbeitsgerichts zur Verjährung und zur Begründetheit des Zinsanspruchs wird zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen auf die arbeitsgerichtliche Entscheidung voll und ganz verwiesen. Angriffe der Berufung sind insoweit auch nicht erfolgt.

Die verkürzte Darstellung bedingt, dass eine vollständige Beschreibung der relevanten Rechtslage hier nicht möglich ist und daher eine professionelle Beratung nicht ersetzt. Trotz sorgfältiger Bearbeitung bleibt eine Haftung ausgeschlossen.

 

Gesetze

Gesetze

7 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag


(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

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Referenzen

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.