Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063

bei uns veröffentlicht am13.06.2016
vorgehend
Verwaltungsgericht Würzburg, W 2 K 15.30636, 23.12.2015

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 23. Dezember 2015 ist unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO nicht vorliegen.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Wenn ein Urteil nebeneinander auf mehrere je selbstständig tragende Begründungen (kumulativ) gestützt ist, kann ein Rechtsmittel nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und gegeben ist (BVerwG, B. v. 17.12.2010 - 9 B 60.10 - BayVBl 2011, 352). Die Gründe für die Zulassung sind in dem Antrag substantiiert darzulegen.

Der Kläger hält für klärungsbedürftig „zum einen die Frage der Blutrache aufgrund einer Ehrverletzung, insbesondere deren Trag- und Reichweite; zum anderen eine Neubewertung der zumutbaren inländischen Fluchtalternative in Kabul für männliche jüngere afghanische Staatsangehörige und eine etwaige Gefährdung und das hieraus resultierende Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zumindest für diese Personen, die keinerlei verwandtschaftliche Unterstützung in Afghanistan mehr haben und auch keinerlei Bezug zu Kabul.“ Er macht geltend, dass durch das Scheitern der Eheverabredung eine Ehrverletzung der Familie der „Verlobten“ vorgelegen habe. Die familiär bezogene Ehrverletzung habe nicht einfach durch Tötung seines Bruders gesühnt werden können, sondern erfordere nach paschtunischer Tradition die Auslöschung der Familie. Das Verwaltungsgericht habe indes lediglich auf die Tötung des Bruders als Akt der Blutrache abgestellt. Die Reichweite und Handhabung der Blutrache nach traditionellem paschtunischem Recht habe grundsätzliche Bedeutung, weil diesbezüglich bisher kaum Erkenntnisse vorlägen. Die Klärung der Frage würde deshalb eine Fortentwicklung des Asylrechts darstellen. Zur Lage jugendlicher Rückkehrer in Afghanistan gebe es zwei aktuelle Erkenntnismaterialien (amnesty international bzw. Adam Nader - jeweils 2016).

Das Verwaltungsgericht hat es in dem angefochtenen Urteil ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob die Verfolgungsgeschichte des Klägers - Verabredung einer Eheschließung, die Weigerung seines Bruders, die Ehe einzugehen, dessen Tötung und die Furcht vor weiteren Racheakten - glaubhaft ist (UA S. 8). Denn selbst wenn man den Kläger für glaubwürdig hielte, würde es an einer für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlichen asylrelevanten Verfolgung im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG fehlen. Bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrags bestünde nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Sippengefährdung, weil durch die Tötung des Bruders durch einen Familienangehörigen des betroffenen Mädchens das Verbrechen gesühnt und der Ehrenkonflikt beendet wäre. Im Übrigen stünde dem [aus der Provinz Balkh stammenden] Kläger eine inländische Fluchtalternative im Sinn von § 3e AsylG zur Verfügung. In Kabul wäre er nicht durch Nachstellungen seitens der gegnerischen Familie gefährdet und würde wegen seines Lebensunterhalts auch nicht in eine extreme Gefahrenlage geraten. Da der Kläger im Fall der Abschiebung nicht etwa dem baldigen Hungertod ausgeliefert werden würde, bestehe kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in entsprechender Anwendung).

Der diesbezügliche Vortrag des Klägers entspricht nicht den Begründungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Der Hinweis allein, dass noch keine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsgerichtshofs vorliegt, reicht ohne Auseinandersetzung mit dem Erkenntnismaterial zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus. Erforderlich ist vielmehr über den ergebnisbezogenen Hinweis, dass der Bewertung der Verfolgungslage zu der als klärungsbedürftig bezeichneten Tatsachenfrage durch das Verwaltungsgericht nicht gefolgt werden kann, hinaus, dass in Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismitteln dargetan wird, aus welchen Gründen dieser Bewertung nicht zu folgen ist. Es ist im Einzelnen unter Bezeichnung konkreter Erkenntnismittel - etwa gegensätzliche Auskünfte, Presseberichte, andere Gerichtsentscheidungen oder anderweitige Erkenntnisse - anzugeben, welche Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung bestehen (Berlit in GK-AsylG, Stand April 2016, § 78 Rn. 610; ebenso: Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 214). Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass durch die Tötung des Missetäters die Tat gesühnt und der Ehrkonflikt grundsätzlich beendet ist, entspricht den Erkenntnissen des UNHCR, die ins Verfahren eingeführt und im Urteil zitiert sind (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6.8.2013 - HCR/EG/AFG/13/01 - III. A. 12). Nach dem Paschtunwali müsse sich die Rache grundsätzlich gegen den Missetäter selbst richten, unter bestimmten Umständen könne aber auch dessen Bruder oder ein anderer Verwandter aus der väterlichen Linie zum Ziel der Rache werden. Gemäß der dort in Fußnote 445 angeführten (norwegischen) Landinfo, Afghanistan: Blood Feuds, Traditional Law (Paschtunwali) and Traditional Conflict Resolution, 1. November 2011 richtet sich die Blutrache primär gegen den Missetäter („perpetrator“) selbst, kann stattdessen („alternative“) aber auch an einem Bruder oder einem anderen Familienmitglied der männlichen Linie geübt werden (a. a. O. S. 10). Hieraus ergibt sich, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts auf maßgeblichen Erkenntnisquellen fußt und plausibel ist, ohne dass der Zulassungsantrag dies in Frage stellt. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob außer dem (getöteten) Missetäter noch sonstige Familienangehörige von Blutrache bedroht sein könnten, hängt nach den Erkenntnissen des UNHCR (a. a. O. S. 80) von den Umständen des Einzelfalls ab, lässt sich also nicht allgemeingültig klären (vgl. Happ in Eyermann a. a. O. § 124 Rn. 38).

Da somit bezüglich der einen tragenden Begründung ein Zulassungsgrund nicht gegeben ist, kommt es darauf, ob bezüglich der anderen (Fluchtalternative) ein solcher gegeben ist, nicht mehr an.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich auch nicht aus der Einschätzung der Existenzbedingungen junger alleinstehender Männer bei einer Abschiebung nach Kabul. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen würde (BayVGH, U. v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris; U. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30107 - juris; U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris = KommunalPraxisBY 2014, 62 -LS-). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne familiären Rückhalt und ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. An dieser Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof auch unter Berücksichtigung der aktuellen Auskünfte von UNHCR, Auswärtigem Amt und Schweizerischer Flüchtlingshilfe festgehalten (zuletzt U. v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - a. a. O.; B. v. 23.10.2015 - 13a ZB 15.30201 - juris). Die vom Kläger angeführten Erkenntnismittel schaffen keine neue Auskunftslage im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur sog. Extremgefahr, so dass eine Neubewertung der kritischen Versorgungssituation von Rückkehrern nicht veranlasst ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Einzelfall Ausländern ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Eine solche existenzielle Gefährdung lässt sich weder dem Amnesty International Report 2015/2016 - The State oft he World’s Human Rights - Afghanistan noch dem Aufsatz von Adam Naber, Afghanistan: Gründe der Flucht und Sorgen jugendlicher Rückkehrer, Asylmagazin 1-2/2016, S. 4 ff. entnehmen. Amnesty International berichtet davon, dass Ende 2015 noch immer tausende Menschen in überbelegten Lagern und Behelfsunterkünften bei mangelnden sanitären Einrichtungen lebten. Es ist aber nicht die Rede davon, dass etwa das Existenzminimum unterschritten wäre. Nader berichtet u. a. davon, dass junge zurückkehrende Männer im Durchschnitt ca. neun Monate lang nach einer Arbeit suchen und sich in Kabul vielfach auf eigene Faust durchschlagen, weil sie dort keine Familie haben oder sich nicht in deren Obhut begeben wollen. Außerdem ist vom Tagelöhnerdasein mit temporärer Minimalgrundsicherung und von absoluter Armut die Rede. Den Schluss, dass Rückkehrer im Allgemeinen einer unmittelbar drohenden extremen Gefahrensituation für Leib oder Leben ausgesetzt wären, kann man hieraus aber nicht ziehen.

Auch der Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels liegt nicht vor (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO). In diesem Zusammenhang macht der Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Er rügt, das Verwaltungsgericht habe sich lediglich mit der individuellen Ehrverletzung hinsichtlich des Verhaltens des Bruders beschäftigt, die familiäre Ehrverletzung aber nicht erwähnt. Außerdem habe das Verwaltungsgericht drei Urteile des Verwaltungsgerichts Ansbach zitiert, die weder in der vorab übersandten Erkenntnismittelliste noch in der mündlichen Verhandlung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden seien.

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann allerdings nur dann festgestellt werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfG, B. v. 29.10.2015 - 2 BvR 1493/11 - NVwZ 2016, 238 zu BVerfGE 47, 182). Das angefochtene Urteil zeigt, dass das Verwaltungsgericht das Vorbringen zwar erwogen, aber von seinem Standpunkt aus als unwesentlich beurteilt hat (BVerfG, B. v. 24.2.2009 - 1 BvR 188/09 - NVwZ 2009, 580; B. v. 25.2.1994 - 2 BvR 50/93 - NJW 1994, 2279; B. v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146). Der Tatbestand enthält u. a. die Aussage des Klägers, dass der Onkel des betroffenen Mädchens als mutmaßlicher Mörder seines Bruders auch die restlichen Angehörigen bedroht habe. In den Entscheidungsgründen hat sich das Verwaltungsgericht mit der Wahrscheinlichkeit einer Sippenhaftgefährdung sachlich auseinandergesetzt (UA S. 3, 9). Mit der hier zum Ausdruck gebrachten Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör aber grundsätzlich nicht begründet werden (BVerfG, E. v. 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267/273; BVerwG, B. v. 30.7.2014 - 5 B 25.14 - juris; B. v. 15.5.2014 - 9 B 14.14 - juris Rn. 8).

Es liegt wegen der Bezugnahme auf andere erstinstanzliche Urteile auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor. Eine solche ist gegeben, wenn das Gericht in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Verwaltungsverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde, auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen als fernliegend anzusehen war und damit dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gab (BVerwG, B. v. 27.7.2015 - 9 B 33.15 - NJW 2015, 3386; BVerwG, B. v. 19.7.2010 - 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 = NVwZ 2011, 372). Das Gericht darf nur solche Tatsachen verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten vorher äußern konnten (BVerfG, B. v. 19.12.2013 - 1 BvR 859/13 - juris zu BVerfGE 101, 106). Im Asylverfahren dürfen bei Wahrung des rechtlichen Gehörs nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse - einschließlich Presseberichten und Behördenauskünften - verwertet werden, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden (BVerfG, B. v. 18.6.1985 - 2 BvR 414/84 - BVerfGE 70, 180/189 = NJW 1986, 371). Die Erkenntnismittel müssen ordnungsgemäß ins Verfahren eingeführt sein (BVerwG, U. v. 29.12.1983 - 9 C 68.83 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 142; U. v. 8.2.1983 - 9 C 847.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 132). Es verstößt aber nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn ein Gericht andere Entscheidungen (ohne vorherigen Hinweis) nur als bestätigenden Beleg dafür heranzieht, dass andere Gerichte ein bestimmtes Problem tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt haben (BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 = BayVBl 2014, 508).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063

Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063 zitiert 12 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 78 Rechtsmittel


(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 138


Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn1.das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,2.bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes aus

Referenzen - Urteile

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2015 - 13a B 14.30309

bei uns veröffentlicht am 12.02.2015

Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2014 wird die Klage abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. III. Das Urteil ist im

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 21. Nov. 2014 - 13a B 14.30107

bei uns veröffentlicht am 21.11.2014

Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsle

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 30. Jan. 2014 - 13a B 13.30279

bei uns veröffentlicht am 30.01.2014

Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 24. Oktober 2012 wird die Klage insgesamt abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. III. Das

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 29. Okt. 2015 - 2 BvR 1493/11

bei uns veröffentlicht am 29.10.2015

Tenor Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 3 C 44.09 - verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes und

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 19. Dez. 2013 - 1 BvR 859/13

bei uns veröffentlicht am 19.12.2013

Tenor 1. Das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 21. Januar 2013 - 509 C 11880/12 - und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 27. Februar 2013 - 509 C 11880/12 - verletzen die Beschwerdeführ
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2016 - 13a ZB 16.30063.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2019 - 13a ZB 17.31432

bei uns veröffentlicht am 24.01.2019

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen d

Referenzen

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2014 wird die Klage abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 31. Dezember 1993 in Herat geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens und Hazara. Er reiste auf dem Landweg vom Iran über die Türkei, Griechenland, Italien und Österreich am 25. März 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. April 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 11. Juli 2012 gab der Kläger an, er spreche Dari, außerdem Farsi und ein wenig Englisch. Seit seinem zweiten Lebensjahr habe er mit seiner Familie im Iran gelebt. Die Familie stamme aus der Provinz Herat, Gebiet Guzara. Seine Eltern hätten sich zwar über Afghanistan unterhalten, aber er habe mit ihnen nicht darüber gesprochen. Sie seien wegen der schlechten Sicherheitslage, insbesondere für Hazara, geflohen. In Afghanistan habe er keine Verwandten. Er habe im Iran, in Bodjnord, fünf Jahre die Schule besucht und anschließend sowohl in Restaurants gearbeitet als auch Motorräder in Stand gesetzt. Er habe immer drei bis vier Monate in Teheran gearbeitet und sei dann wieder zur Familie zurückgekehrt. Wann er aus dem Iran ausgereist sei, wisse er nicht. Er sei seit über zweieinhalb Jahren unterwegs. Eineinhalb Jahre sei er in der Türkei gewesen, neun bis zehn Monate in Griechenland. Die Fahrt habe er mit seinem Verdienst in Teheran finanziert. In Griechenland habe er nicht gearbeitet, in der Türkei als Spüler in Restaurants. Den Iran habe er verlassen, weil die Afghanen dort unterdrückt würden. Die Familie habe auch keine offiziellen Dokumente und sei nicht einmal sozialversichert. Er habe eine Schwester mit elfeinhalb Jahren und einen Bruder mit ca. zehn Jahren.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 5. September 2013 wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt (1.), festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (2.) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. (3.) nicht vorliegen und dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (4.). Zur Begründung ist ausgeführt, wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara liege keine Verfolgung vor. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Herat bestehe nicht. Auch die Voraussetzungen von nationalen Abschiebungsverboten lägen nicht vor, insbesondere bestehe keine extreme Gefahrenlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Da der Kläger nach seinen Angaben bereits nach Beendigung der Schule in Restaurants gearbeitet und Motorräder repariert habe, könne er auch ohne den Rückhalt seiner Familie das erforderliche Einkommen erzielen.

Mit der hiergegen gerichteten Klage an das Verwaltungsgericht München verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. In der mündlichen Verhandlung am 25. März 2014 erklärte der Kläger, Bodjnord sei etwa 17 bis 18 Stunden mit dem Bus von Teheran entfernt, wo er gearbeitet habe. In Deutschland habe er keine Schule besucht und keine Berufsausbildung gemacht. Derzeit arbeite er in einem Restaurant. Mit Urteil vom 25. März 2014 wurde der Bescheid des Bundesamts vom 5. September 2013 antragsgemäß in Nr. 3 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt. Zudem wurde er in Nr. 4 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Die allgemeine Gefahr in Afghanistan habe sich in der Person des Klägers trotz seiner Volljährigkeit ausnahmsweise zu einer extremen Gefahr verdichtet. Aufgrund der besonderen Umstände kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass der Kläger, der bereits im Alter von zwei Jahren sein Herkunftsland dauerhaft mit seiner Familie verlassen habe, mit den Verhältnissen in Afghanistan nicht vertraut sei und zudem über keine Berufsausbildung verfüge, nicht dazu in der Lage wäre, die hohen Anforderungen so bewältigen zu können, dass er sich ohne die Hilfe eines aufnahmebereiten Familienverbands wenigstens ein Existenzminimum erwirtschaften könnte. Allein aufgrund seiner langjährigen Abwesenheit sei davon auszugehen, dass ihm die aktuellen Lebensumstände in Afghanistan fremd seien. Er sei mit den Gepflogenheiten der afghanischen Gesellschaft nicht vertraut, zumal dort während seiner Abwesenheit entscheidende Umbrüche und Veränderungen stattgefunden hätten. Erschwerend wirke sich die fehlende Berufsausbildung aus.

Auf Antrag der Beklagten hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. August 2014 die Berufung zugelassen wegen Divergenz zur Rechtsprechung des Senats zur extremen Gefahrenlage in den Fällen, in denen der betreffende Ausländer Afghanistan bereits im Kleinkindalter verlassen hat (BayVGH, U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris). Unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs führt die Beklagte aus, dass bei alleinstehenden, arbeitsfähigen und gesunden männlichen afghanischen Rückkehrern in aller Regel kein Abschiebungsschutz in Betracht käme, zumal Mittel der Rückkehrförderung in Anspruch genommen werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2014 vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger geht davon aus, dass er gemessen an seiner persönlichen Situation ausnahmsweise alsbald nach der Rückkehr in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Er beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein national begründetes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Beim national begründeten Abschiebungsverbot handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Allerdings sind weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 noch diejenigen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG(U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht erkennbar.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Auf eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat sich der Kläger, der sich nach seinen Angaben ab seinem zweiten Lebensjahr nicht mehr in Afghanistan aufgehalten hat, nicht berufen. Vielmehr trägt er vor, dass seine Eltern Afghanistan wegen der damaligen schlechten Sicherheitslage - eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG - verlassen hätten. Diese kann auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 3. März 2014, Az. IA2-2081.13-15 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind, vorrangig zurückzuführen sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären (seit U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris). Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Der Senat hat sich dabei im Urteil vom 30. Januar 2014 (a. a. O.) u. a. auf die Lageberichte des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: 4. Juni 2013) gestützt sowie auf die Stellungnahmen von Dr. Danesch vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i.L.) vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) und von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012. Nach den dortigen Erkenntnissen geht der Senat davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind.

Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. März 2014 (Stand: Februar 2014, S. 19 ff. - Lagebericht 2014) stellt zum einen fest, dass sich Afghanistans Bewertung im Human Development Index kontinuierlich verbessert habe. Auch wenn Afghanistan weiterhin einen sehr niedrigen Rang belege und der Entwicklungsbedarf noch beträchtlich sei, habe es sich einerseits in fast allen Bereichen positiv entwickelt. Die afghanische Wirtschaft wachse, wenn auch nach einer starken Dekade vergleichsweise schwach. Andererseits würden Investitionen aufgrund der politischen Unsicherheit weitgehend zurückgehalten. Allerdings könne nach dem Wahljahr 2014 mit einer Normalisierung des durch die starke Präsenz internationaler Truppen aufgeblähten Preis- und Lohnniveaus zu rechnen sein. Eine weitere Abwertung der afghanischen Währung könnte zu einer gestärkten regionalen Wettbewerbsfähigkeit afghanischer Produkte führen. Negativ würde sich jedoch zum anderen eine zunehmende Unsicherheit und Destabilisierung des Landes auswirken. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sei auch bei einer stabilen Entwicklung der Wirtschaft eine zentrale Herausforderung. Für größere Impulse mangle es bisher an Infrastruktur und förderlichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und einer umfassenden politischen Strategie. Da die Schaffung von Perspektiven auch zu Sicherheit und Stabilität beitrage, sei die Unterstützung der Privatwirtschaft einer der Schlüsselbereiche der bilateralen Zusammenarbeit. Im Übrigen greift der Lagebericht 2014 mit Ausnahme der medizinischen Versorgung keine Einzelaspekte auf, sondern stellt nur die generelle Situation für Rückkehrer und die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dar. Es wird darauf verwiesen, dass es an grundlegender Infrastruktur fehle und die Grundversorgung - wie schon bisher - für große Teile der Bevölkerung eine große Herausforderung sei. Die medizinische Versorgung habe sich in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, falle allerdings im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück. Nach wie vor seien die Verfügbarkeit von Medikamenten und die Ausstattung von Kliniken landesweit unzureichend.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update, die aktuelle Sicherheitslage vom 5.10.2014, S. 18 ff. - SFH) führt aus, dass 36% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten. Besonders die ländliche Bevölkerung sei den starken klimatischen Schwankungen hilflos ausgeliefert. Die Zahl der Arbeitslosen werde weiter ansteigen. 73,6% aller Arbeitstätigen gehörten zu den working poor, die pro Tag zwei US$ oder weniger verdienten. Die Analphabetenrate sei weiterhin hoch und die Anzahl der gut qualifizierten Fachkräfte sehr tief.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6.8.2013, S. 9 [UNHCR-Richtlinien] und Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u. a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013 vom August 2014 [UNHCR-2014]) geht davon aus, dass es für eine Neuansiedlung grundsätzlich bedeutender Unterstützung durch die (erweiterte) Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm bedarf. Die einzige Ausnahme seien alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten Schutzbedarf, die unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben könnten, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung böten, und die unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle ständen.

Zusammenfassend lassen sich damit aus diesen Berichten keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen. Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen sind insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, wesentlich höher. Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Nach der Beurteilung des Auswärtigen Amts in der Auskunft vom 2. Juli 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof (um Verfahren 8 A 2344/11.A) dürfte es unwahrscheinlich sein, dass besonders in der Hauptstadt Kabul Personen verhungern oder verdursten. Im Urteil vom 4. September 2014 (8 A 2434/11.A - juris) teilt der Hessische Verwaltungsgerichtshof die vorliegende Einschätzung (ebenso OVG NW, U. v. 27.1.2015 - 13 A 1201/12.A - juris). Demgegenüber stellt der Kläger lediglich die Vermutung auf, dass sich die Situation für Rückkehrer verschlechtert habe. Konkrete Anzeichen, die auf eine Verschlechterung hinweisen würden, benennt er nicht. Er beschränkt sich vielmehr auf Annahmen, ohne dass sich diese auf signifikante Veränderungen stützen würden.

Bei dieser Ausgangslage bedurfte es auch nicht der Einholung einer neuen Auskunft.

Die vorhandenen Auskünfte ergeben einen ausreichenden Einblick in die tatsächliche Lage in Afghanistan. Im Hinblick auf den teilweisen Abzug der internationalen Truppen ergibt sich nichts anderes. Anhaltspunkte, dass sich bei der Versorgungs- und Sicherheitslage im jetzt maßgeblichen Zeitpunkt erhebliche Veränderungen ergeben hätten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Ob in Zukunft Verschlechterungen eintreten werden, lässt sich derzeit nicht beurteilen.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger der Minderheit der Hazara keine Chance hätte, sich als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Der Umstand, dass der Kläger seit seinem zweiten Lebensjahr mit seiner Familie im Iran gelebt hat, steht der Annahme, er könne sich in Kabul auf sich allein gestellt notfalls „durchschlagen“, ebenfalls nicht entgegen. Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Urteil vom 24. Oktober 2013 (13a B 13.30031 - juris) ausgeführt, dass eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht am fehlenden vorherigen Aufenthalt im Heimatland scheitere. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Ein spezielles „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ mag die Sicherung des Lebensunterhalts vereinfachen. Anhaltspunkte, dass dies erforderlich sein könnte, sind jedoch nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor. Der Kläger ist im Iran, einer islamisch geprägten Umgebung, aufgewachsen und spricht Farsi sowie die hiermit sehr eng verwandte Landessprache Afghanistans Dari. Zudem hebt er sich bereits dadurch von der Masse der Arbeit suchenden Analphabeten ab, dass er im Iran fünf Jahre lang die Schule besucht hat. In Teheran hat er anschließend sowohl in Restaurants gearbeitet als auch Motorräder in Stand gesetzt. Damit konnte er nicht nur seinen Lebensunterhalt erwirtschaften, sondern auch die Ausreise sowie seinen neun- bis zehnmonatigen Aufenthalt in Griechenland, wo er nach seinen Angaben nicht gearbeitet hat, finanzieren. Während seines eineinhalb jährigen Aufenthalts in der Türkei hat er - ohne Kenntnis der Landessprache - als Spüler in Restaurants gearbeitet. Ebenso ist er derzeit in Deutschland in einem Gasthof als Küchenhilfe beschäftigt. In der mündlichen Verhandlung hat er zudem relativ gut Deutsch gesprochen. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten, etwa in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (UNHCR-2014).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 23. August 1984 in Mashad (Iran) geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und tadschikischer Volkszugehöriger muslimisch-schiitischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben im Dezember 2010 über Griechenland, Italien und Frankreich per Bahn ins Bundesgebiet ein. Am 19. Januar 2011 stellte er Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 23. Februar 2011 gab er Folgendes an: Er habe ursprünglich mit seiner Familie in Iran gelebt. Dort sei er sieben Jahre lang zur Schule gegangen. Im Jahr 1986 sei seine Familie wieder nach Afghanistan gegangen und habe fortan in der Stadt Herat gelebt. Dort habe er als gut beschäftigter Berufsfotograf gearbeitet. Er sei im Frühjahr 2010 geflohen, weil ihm ein Clanchef einen Racheakt angedroht habe. Er sei im Mai/Juni 2010 in der Provinz/Stadt Ghor drei Tage lang als Hochzeitsfotograf tätig gewesen. Dieser Ort sei ca. 20 Autostunden von Herat entfernt. Dort habe der Sohn eines Großgrundbesitzers (Clanchef Khan) mit zahlreichen Gästen in einer großen Villa seine Hochzeit gefeiert. Die Feier sei teuer und prächtig gewesen. Hierbei habe er hochrangige und berühmte Leute fotografiert und gefilmt. Die Personenaufnahmen hätten auch in den vielen Obstplantagen (Äpfel und Orangen) um die Villa herum stattgefunden. Hierbei habe er zufällig den Opiumanbau hinter den Obstplantagen gefilmt und fotografiert. Nach Hause zurückgekehrt habe er drei Tage nach der Hochzeit einen Freund seines Vaters, welcher der Leiter der Drogenbekämpfungsbehörde der Provinz Herat und anderer Provinzen sei, angetroffen und ihm erzählt, dass er auf der Plantage des Clanchefs Opiumanbau beobachtet habe. Außerdem habe er ihm die entsprechenden Fotos gezeigt. Eine Woche nach der Hochzeit habe der Clanchef das Film- und Fotomaterial in Herat abholen lassen. Danach habe der Behördenleiter auf dem Anwesen des Clanchefs eine polizeiliche Kontrolle vornehmen lassen. Der Clanchef sei aber von dem Kommandeur dieses Gebiets gedeckt worden. Anschließend sei der Leiter der Drogenbekämpfungsbehörde selbst zu dem Anwesen des Clanchefs gefahren, um sich eigene Erkenntnisse zu verschaffen. Danach hätten die Leute des Clanchefs nach ihm als Fotografen im Geschäft sowie im Elternhaus gesucht, mit dem Vorwurf, er habe den Clan bei der Polizei angezeigt. Sie hätten gedroht, ihn deshalb zu bestrafen und zu vernichten. Er habe sich zu diesem Zeitpunkt bei einem Freund in der Stadt Jebrail aufgehalten. Sein Vater habe ihn rechtzeitig gewarnt. Danach sei er mit dessen Unterstützung geflüchtet. Die Dateien der verdächtigen Fotos habe er gelöscht.

Mit Bescheid vom 8. März 2013 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (1.), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (2.) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (3.) und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an (4.).

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht München beantragte der Kläger die Anerkennung als Asylberechtigter und darüber hinaus die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. In der schriftlichen Klagebegründung (Schriftsatz v. 22.4.2013) machte der Kläger geltend, dass der im Hintergrund einzelner Personenfotos zu erkennende Opiumanbau zufällig ins Bild geraten sei. Aus heutiger Sicht halte er es für einen Fehler, den Freund seines Vaters informiert zu haben. Im Jahr 2012 hätten die Leute des Clanchefs sein Elternhaus in Herat aufgesucht und damit gedroht, seinen jüngeren Bruder als Geisel zu nehmen, um dadurch seinen eigenen Aufenthaltsort zu erfahren. Außerdem sei sein Vater körperlich attackiert worden. Daraufhin habe seine Familie Afghanistan verlassen und lebe seitdem illegal in der Nähe von Mashad. Er habe zu seinen Angehörigen in Iran noch telefonischen Kontakt. In der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2013 führte der Kläger ergänzend Folgendes aus: Er sei in Herat ein bekannter Fotograf. Der Bräutigam, der ihn als Fotograf eingeladen habe, sei ein Bekannter von ihm. Einige Gäste hätten ihn damals gebeten, sie auch vor den Mohnfeldern zu fotografieren. Hierdurch seien die ca. 200 m von den Gästen entfernt gelegenen Mohnfelder ins Bild gekommen. Der Leiter der Antidrogenbehörde habe sich drei der belastenden Fotos auf eine DVD gebrannt und diese mitgenommen. Er habe danach alle Fotodateien gelöscht. Diese seien so umfangreich gewesen, dass die Festplatte für deren Speicherung nicht ausgereicht habe. Nach seiner Ausreise hätten die Leute des Clanchefs noch weiter im Elternhaus nach ihm gesucht, obwohl sein Vater ihnen gesagt habe, er sei im Ausland. Schließlich hätten sie mit der Entführung seines Bruders gedroht. Seine Angehörigen in Iran seien dort mittlerweile als Flüchtlinge anerkannt.

Mit Urteil vom 10. September 2013, dem Kläger zugestellt am 19. September 2013, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Soweit es um die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG gehe, sei die Klage wegen Verfristung unzulässig. Im Übrigen sei sie unbegründet.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung durch Beschluss vom 3. April 2014 (13a ZB 13.30324) hinsichtlich des Begehrens nach Zuerkennung subsidiären Schutzes und Feststellung eines national begründeten Abschiebungsverbots gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zugelassen.

In der nach Fristverlängerung durch Schriftsatz vom 13. Juni 2013 abgegebenen Berufungsbegründung macht der Kläger geltend, mit dem von ihm damals verwendeten Zoomobjektiv sei es ohne weiteres möglich gewesen, auf 200 m Entfernung Pflanzen detailgetreu zu erkennen. Die vom Verwaltungsgericht gehegten Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Bedrohungsgeschichte seien in keiner Weise nachvollziehbare Mutmaßungen, die darauf beruhten, dass der Sachverhalt nicht richtig aufgeklärt worden sei. Im Fall der Abschiebung würde ihm eine extreme Gefahrenlage drohen, weil er in Herat der Rache des Clanchefs ausgesetzt wäre und losgelöst vom Familienverband keine Existenzmöglichkeit hätte. Eine inländische Fluchtalternative wie z. B. Kabul scheide wegen fehlender Lebensgrundlage aus.

Er beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 10. September 2013 zu verpflichten festzustellen, dass ihm der subsidiäre Schutz zuerkannt wird, hilfsweise dass die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den vom Kläger geschilderten Hergang der Aufnahme des Mohnfelds fototechnisch nicht für plausibel und wendet ein, dass das fragliche Mohnfeld weder versteckt noch bekannt gewesen sein dürfte, so dass die Antidrogenbehörde hiervon auch ohne den Hinweis des Klägers hätte Kenntnis erlangen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger subsidiärer Schutz besteht oder ein national begründetes Abschiebungsverbot vorliegt.

Die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG sind nicht gegeben. Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden im Sinn dieser Vorschrift droht.

Dafür, dass dem Kläger in Afghanistan die strafprozessuale Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG drohen würde, gibt es keinen Anhaltspunkt.

Die Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht nicht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG). Die Befürchtung des Klägers, Opfer eines Racheakts eines in der Provinz Ghor ansässigen Clanchefs zu werden, ist abstrakt geeignet, die genannten Tatbestandsmerkmale zu erfüllen. Nach § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c Nr. 3 AsylVfG sind derartige Handlungen nicht nur relevant, wenn sie vom Staat ausgehen, sondern auch dann, wenn sie von nichtstaatlichen Akteuren vorgenommen werden

Der Senat hält die Bedrohungsgeschichte allerdings nicht für glaubwürdig, weil sie Ungereimtheiten und Widersprüche enthält, die sich nicht plausibel auflösen lassen. Es ist schon wenig wahrscheinlich, dass der Kläger als Berufsfotograf ohne Not und Anlass den Auftraggeber eines dreitägigen, bezahlten Hochzeitsfoto-Einsatzes wegen eines Mohnfeldes am Rande von dessen großer Farm bei der Drogenpolizei in einer anderen Provinz anzeigte (Ghor bzw. Herat), zumal Indiskretionen im Zusammenhang mit einem Auftrag durchaus geschäftsschädigend sein können. Gänzlich unverständlich ist dieses Vorbringen des Klägers, weil der Auftrag von dem Bräutigam (Sohn des Clanchefs) erteilt worden war, der nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ein Bekannter von ihm war (s. Bl. 60 d. VG-Akte). Insofern ist es auch nicht nachvollziehbar, dass der Kläger vor dem Verwaltungsgerichtshof angab, er wisse nicht, wie der Ort der Hochzeit heißt und wo er liegt. Dieser Vortrag steht außerdem im Widerspruch zu den Angaben vor dem Bundesamt, wo der Kläger erklärte, dass der Ort des Foto-Auftrags die Stadt Ghor war (s. S. 37 d. BAMF-Akte). Auch die Umstände, wie die Aufnahmen von dem fraglichen Mohnfeld zustande kamen, sind nicht plausibel. Vor dem Bundesamt hatte der Kläger angegeben, er habe den Opiumanbau zufällig gefilmt und fotografiert (s. S. 34 d. BAMF-Akte), wohingegen er vor dem Verwaltungsgericht erklärte, die Gäste hätten ihn gebeten, sie auch vor den Mohnfeldern zu fotografieren (s. Bl. 62 der VG-Akte). Letzteres steht allerdings im Widerspruch dazu, dass die Mohnfelder ca. 200 m von den Personen entfernt gewesen seien sollen. Wie auch einem Fotoamateur bekannt ist, wird ein so weit entfernter Hintergrund bei Fokussierung auf die Personen im Vordergrund nur sehr klein und unscharf abgebildet. Außerdem werden die Personen üblicherweise direkt vor einer Blumenwiese platziert. Die ergänzende Behauptung, mit dem von ihm verwendeten Zoomobjektiv könne man Pflanzen in 200 m Entfernung detailgetreu abbilden, geht in zweierlei Hinsicht fehl. Abgesehen davon, dass ein versierter Fotograf bei Porträt- und Gruppenaufnahmen auf den Vordergrund, aber nicht auf „unendlich“ fokussiert, wäre es mit einer maximalen Brennweite von 105 mm (s. Niederschrift vom 20.11.2014, S. 3) ohnehin unmöglich gewesen, das geltend gemachte Ergebnis einer detailgetreuen Abbildung so weit entfernter Blumen zu erzielen. Die Angaben des Klägers widersprechen den einfachen Abbildungsgesetzen, wobei hierfür unterstellt werden kann, dass dieser früher im Besitz einer Kamera vom Typ EOS 5D war.

Zudem erscheint dem Senat eine aus dem geschilderten Vorfall resultierende ernsthafte Bedrohung nicht realistisch. Zunächst hätte ein etwaiges Foto mit einem unscharf abgebildeten farbigen Streifen im Bildhintergrund kaum mehr Beweiswert als die mündliche Mitteilung, dass sich am Rand der Plantage Mohnfelder befänden. Im Übrigen ist auch nicht zu erkennen, warum der Clanchef gerade den Kläger verdächtigt haben sollte, der Drogenpolizei einen Tipp gegeben zu haben. Bei der Vielzahl der Gäste und deren ausgedehnten Spaziergängen wäre die Existenz von Mohnfeldern ohnehin kein Geheimnis gewesen, so dass viele Personen als Informanten in Betracht gekommen wären. Dass die Drogenpolizei ohne zwingenden Anlass den Namen ihres Informanten preisgegeben hätte, ist unüblich und unwahrscheinlich, zumal der Fahndungsleiter ein guter Freund des Vaters des Klägers gewesen sein soll. Gegen eine konkrete Bedrohung spricht weiter die Behauptung des Klägers, die Leute des Clanchefs hätten alsbald nach der angeblichen Razzia und dann noch weitere zwei Jahre nach ihm in Herat, das nach Aussage des Klägers ca. 20 Autostunden entfernt liegt, gesucht (2010/2012) und erst dann mit Repressalien gegen seinen jüngeren Bruder gedroht, weil für das Zuwarten kein Grund ersichtlich ist. Im Übrigen war der Clanchef nach den Angaben des Klägers keiner Konsequenz ausgesetzt, für die er Rache nehmen könnte, zumal dieser vom zuständigen Kommandeur gedeckt werde.

Aufgrund der genannten Umstände ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nach der von ihm geschilderten Verfolgungsgeschichte nicht der Gefahr eines Racheakts ausgesetzt wäre. Dass die Familie des Klägers (Vater, Mutter, Bruder, Schwestern) mittlerweile in Mashad/Iran lebt, wo sie sich nach Angaben des Klägers schon von 1984 bis 2000 aufhielt, lässt die Bedrohung nicht in einem anderen Licht erscheinen, zumal es vielfältige Gründe gibt, Afghanistan zu verlassen. Diese können auch in der schlechten wirtschaftlichen Lage begründet sein. Für die frühere Behauptung, seine Eltern seien in Iran als Flüchtlinge anerkannt worden, hat der Kläger keinen Nachweis erbracht, sondern lediglich vorläufige Aufenthaltsausweise vorgelegt, die bis 20. Juni 2014 befristet waren (s. Bl. 60, 63 der VG-Akte).

Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG sind ebenfalls nicht gegeben. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ist nicht zu befürchten.

In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu der genannten Vorschrift (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.) ist geklärt, dass für Afghanistan im Ganzen und für die zur Westregion gehörende Heimatprovinz des Klägers, Herat, derzeit nicht davon auszugehen ist, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militanter Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, U. v. 15.3.2013 - 13a B 12.30292 - juris; B. v. 26.11.2014 - 13a ZB 14.30366 - juris). Die Gefährdungswahrscheinlichkeit ist dort im unteren Promillebereich. Die Gefahr, Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, lag für 2012 bei 0,05% pro Person und Jahr. Unterstellt, auch in Herat läge entsprechend der landesweiten Tendenz seither eine Verschärfung vor, bliebe die Größenordnung des Risikos unverändert (siehe auch BayVGH, B. v. 23.4.2014 - 13a ZB 14.30095 - juris). Eine Gefahrendichte von weniger als 1:1.000 liegt weit unter der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 Rn. 23).

Auch die Voraussetzungen eines national begründeten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht erfüllt. Hierbei handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17).

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG(U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Besondere individuelle Umstände, aufgrund derer der Kläger einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen wäre, liegen nicht vor.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt bei dem Kläger, der nach der Überzeugung des Senats nicht persönlich bedroht war, nicht vor.

Die schlechte Sicherheitslage - eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG - kann auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 3. März 2014, Az. IA2-2081.13-15 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind, vorrangig zurückzuführen sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, für welche ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären (seit U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris). Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Der Senat hat sich dabei im Urteil vom 30. Januar 2014 (a. a. O.) u. a. auf die Lageberichte des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: 4.6.2013) gestützt sowie auf die Stellungnahmen von Dr. Danesch vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i.L.) vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) und von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012. Nach den dortigen Erkenntnissen geht der Senat davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind.

Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. März 2014 (Stand: Februar 2014, S. 19 ff. - Lagebericht 2014) stellt zum einen fest, dass sich Afghanistans Bewertung im Human Development Index kontinuierlich verbessert habe. Auch wenn Afghanistan weiterhin einen sehr niedrigen Rang belege und der Entwicklungsbedarf noch beträchtlich sei, habe es sich einerseits in fast allen Bereichen positiv entwickelt. Die afghanische Wirtschaft wachse, wenn auch nach einer starken Dekade vergleichsweise schwach. Andererseits würden Investitionen aufgrund der politischen Unsicherheit weitgehend zurückgehalten. Allerdings könne nach dem Wahljahr 2014 mit einer Normalisierung des durch die starke Präsenz internationaler Truppen aufgeblähten Preis- und Lohnniveaus zu rechnen sein. Eine weitere Abwertung der afghanischen Währung könnte zu einer gestärkten regionalen Wettbewerbsfähigkeit afghanischer Produkte führen. Negativ würde sich jedoch zum anderen eine zunehmende Unsicherheit und Destabilisierung des Landes auswirken. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sei auch bei einer stabilen Entwicklung der Wirtschaft eine zentrale Herausforderung. Für größere Impulse mangle es bisher an Infrastruktur und förderlichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und einer umfassenden politischen Strategie. Da die Schaffung von Perspektiven auch zu Sicherheit und Stabilität beitrage, sei die Unterstützung der Privatwirtschaft einer der Schlüsselbereiche der bilateralen Zusammenarbeit. Im Übrigen greift der Lagebericht 2014 mit Ausnahme der medizinischen Versorgung keine Einzelaspekte auf, sondern stellt nur die generelle Situation für Rückkehrer und die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dar. Es wird darauf verwiesen, dass es an grundlegender Infrastruktur fehle und die Grundversorgung - wie schon bisher - für große Teile der Bevölkerung eine große Herausforderung sei und dies für Rückkehrer verstärkt gelte. Die hohe Arbeitslosigkeit werde verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen. Die medizinische Versorgung habe sich in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, falle allerdings im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück. Nach wie vor seien die Verfügbarkeit von Medikamenten und die Ausstattung von Kliniken landesweit unzureichend.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. 8.2013, S. 9 [UNHCR-Richtlinien] und Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u. a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013 vom August 2014 [UNHCR-2014]) geht davon aus, dass es für eine Neuansiedlung grundsätzlich bedeutender Unterstützung durch die (erweiterte) Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm bedarf. Die einzige Ausnahme seien alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten Schutzbedarf, die unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben könnten, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung böten, und die unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle ständen.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in Iran sieben Jahre lang die Schule besuchte, eine abgeschlossene Berufsausbildung und Berufserfahrung hat und Computerkenntnisse besitzt. Da sich der Kläger mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen von der Masse der Arbeit suchenden Analphabeten abhebt, ist davon auszugehen, dass er selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten in Herat oder notfalls auch in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (UNHCR-2014). In diese Beurteilung ist nicht mit eingeflossen, dass die Tante des Klägers in Herat ein Haus bewohnt, in dem dieser möglicherweise Obhut finden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 24. Oktober 2012 wird die Klage insgesamt abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der nach seinen Angaben am 1. Januar 1991 in Malestan, Provinz Ghazni, geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und hazarischer Volkszugehöriger muslimisch-schiitischen Glaubens. Er reiste am 15. Juni 2009 auf dem Luftweg ins Bundesgebiet ein und stellte am 19. Juni 2009 Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) übermittelte dem Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2009 die Benachrichtigung zur Anhörung für den 17. August 2009 in München. Der Kläger nahm diesen Termin nicht wahr und reiste weiter nach Norwegen. Am 2. Februar 2010 wurde er von Oslo nach Hamburg zurück überstellt. Mit Schreiben vom 30. März 2010 teilte das Bundesamt dem Kläger gemäß § 25 Abs. 4 Satz 5 AsylVfG mit, dass er den Anhörungstermin vom 17. August 2009 unentschuldigt nicht wahrgenommen habe und nunmehr die Möglichkeit bestünde, innerhalb eines Monats den Asylantrag und die übrigen Umstände schriftlich zu begründen. Am 3. Mai 2010 teilte der Bevollmächtigte des Klägers dem Bundesamt mit, dass ein Großteil der Verwandtschaft des Klägers aufgrund der Bürgerkriegswirren kurz vor dem Sturz der Taliban gestorben sei. Lediglich sein älterer Bruder habe überlebt. Nachdem aber auch dieser verschollen war, sei er aus Afghanistan geflohen und in den Iran gegangen. Nach ca. acht Monaten habe er sich auf den Weg nach Europa gemacht. Der Kläger stamme aus einer Provinz, wo Krieg herrsche. Ein aufnahmebereiter Familienverband bestehe in Afghanistan nicht.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2011 lehnte das Bundesamt (1.) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft offensichtlich nicht vorliegen und (3.) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte (4.) dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

Durch Beschluss vom 8. Juli 2011 nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnete das Verwaltungsgericht München (M 23 S 11.30195) die aufschiebende Wirkung der Klage (M 23 K 11.30194) gegen die Ziffer 4 des Bundesamtsbescheids vom „20. Februar 2007“ [?] insoweit an, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht München am 7. Oktober 2012 gab der Kläger Folgendes an: Er sei drei bis vier Jahre zur Schule gegangen und habe dort Lesen und Schreiben gelernt. Sein Vater sei zur Zeit der Taliban-Herrschaft in Afghanistan umgebracht worden, seine Mutter sei verstorben und sein Bruder verschwunden. Seine Familie habe in Ghazni in einer Mietwohnung gelebt. Die landwirtschaftlichen Grundstücke der Familie in Malestan bearbeite sein Onkel. Er könne aber wegen der Probleme mit seinem Onkel nicht in seinen Heimatort zurückkehren. Dieser behaupte, dass ihm die Grundstücke allein gehörten, wohingegen er selbst meine, dass sie seinem Onkel und seinem Vater gemeinschaftlich gehört hätten.

Durch Urteil vom 24. Oktober 2012 hob das Verwaltungsgericht den Bundesamtsbescheid vom 17. Februar 2011 in Nr. 3 insoweit auf, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegt. Zudem wurde dieser im Nr. 4 insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Afghanistan angedroht wurde. Die Beklagte wurde verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass für den Kläger im Fall der Abschiebung nach Afghanistan eine extreme Gefahr für Leib oder Leben bestünde. Er wäre angesichts der schlechten Versorgungslage in Afghanistan der Gefahr des baldigen Todes durch Verhungern oder Erfrieren ausgeliefert. Der Kläger habe in Afghanistan keine Familie als soziales Netz und hätte auch keine Möglichkeit, allein Fuß zu fassen und als Tagelöhner das Existenzminimum zu erlangen. Als Rückkehrer aus dem westlich geprägten Ausland täte sich der Kläger besonders schwer. In Kabul könnte er sich mangels Ortskenntnissen nicht zurechtfinden. Außerdem seien ihm die Lebensumstände in Afghanistan ohnehin fremd geworden, weil er sich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten habe. Hinzu komme, dass er nur die Grundschule besucht und keine Berufsausbildung erhalten habe. Aus diesen Gründen wären seine Chancen, irgendeinen Job zu finden, als aussichtslos einzuschätzen. Außerdem gehöre er als Hazara einer geächteten Volksgruppe an.

Durch Beschluss vom 13. September 2013 (13a ZB 13.30037) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsschutzes wegen Divergenz von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezüglich der Annahme einer extremen Gefahr zugelassen.

Am 27. September 2013 hat die Beklagte die Berufung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag begründet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München

vom 24. Oktober 2012 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe vier Jahre lang die Schule besucht und dann seinem Vater in der Landwirtschaft geholfen. Nach dessen Tod sei er seinem Bruder zur Hand gegangen. Er habe zwar von seinem Vater Land bekommen, sei deswegen aber von seinem Onkel bedroht worden, so dass er Afghanistan verlassen habe. Ihm drohten nunmehr Gefahren durch die Taliban und insbesondere durch seinen Onkel. Dieser arbeite im Innenministerium in Kabul und habe ihn sogar bedroht, als er sich im Zuge der Ausreise kurzzeitig in Herat aufgehalten habe. Es gehe bei dem Streit auch um Baugrundstücke in Kabul. Das Land in seinem Heimatdorf Balagsan (bei Malestan) werde von Söhnen des Onkels bearbeitet. Im Übrigen habe er keinen Kontakt mehr zu seinem Onkel. Es sei hier von einer extremen Gefahrenlage auszugehen, welche ein Abschiebungsverbot in analoger Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründe. Er habe seit 2008 im Ausland gelebt. Es bestünde die Gefahr, dass er im Fall der Abschiebung in eine hilflose Lage geraten und den nächsten Winter nicht überleben würde. Er habe keine Chance auf dem derzeitigen Arbeitsmarkt in Afghanistan. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass gemäß den Erkenntnissen von amnesty international im Winter 2011/2012 und 2012/2013 mehr als 100 Personen in Flüchtlingslagern durch Erfrieren gestorben seien (Bericht vom 19.10.2012 und vom 21.1.2013). Der Kläger weist außerdem auf einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) aus der Sitzung vom 4. bis 6. Dezember 2013 (TOP 39) hin, demgemäß die IMK die Entwicklung der rückführungsrelevanten Situation in Afghanistan mit großer Aufmerksamkeit beobachte und der Auffassung sei, dass die bestehende Beschlusslage aus dem Jahr 2005 unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung - insbesondere infolge des Abzugs der ausländischen Streitkräfte - einer Überprüfung und Neubewertung bedürfe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein national begründetes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Beim national begründeten Abschiebungsverbot handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Allerdings sind weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 noch diejenigen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952).

Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht dem Kläger nicht.

Es ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger bei Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni eine Gefahr von Seiten seines Onkels drohen würde. Der Senat hält den Vortrag des Klägers nicht für glaubwürdig. Die diesbezüglichen Angaben vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof weisen eine auffällige und nicht plausible Steigerung auf. In erster Instanz sprach der Kläger von Problemen mit seinem Onkel, die daher rührten, dass dieser die landwirtschaftlichen Grundstücke im Heimatdorf (für sich allein) bewirtschafte und ihm seine Ansprüche aus dem väterlichen Miteigentum streitig gemacht habe. Von (nicht näher beschriebenen) Drohungen war erst in der Berufungsverhandlung die Rede. Neu ist auch die Behauptung, der Onkel sei im Innenministerium beschäftigt, er habe den Kläger während eines einmonatigen Zwischenaufenthalts in Herat bedroht und es gebe außer den landwirtschaftlichen Flächen in der Provinz Ghazni auch noch Baugrundstücke in Kabul. Würden die geschilderten Ereignisse und Umstände den Tatsachen entsprechen, so wäre es unerklärlich, warum sie der Kläger nicht schon früher geltend gemacht hätte. Der Vortrag bezüglich des Zwischenaufenthalts in Herat entbehrt jeglicher Realitätsnähe. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Onkel dem Kläger nach dessen Weggang aus dem Heimatdorf noch nachgestellt haben sollte und wie es ihm gelungen sein könnte, ihn in Herat aufzuspüren. Bei kritischer Würdigung des gesteigerten Vortrags ist nach der Überzeugung des Senats allenfalls der Streit wegen der geltend gemachten Erbansprüche, aber nicht die fortgesetzte Bedrohung glaubwürdig.

Die erstmals in der Berufungsverhandlung geltend gemachte Bedrohung durch Taliban begründet die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr ebenfalls nicht. Sollte sich dieser Hinweis auf ein persönliches Bedrohungsszenario beziehen, so wäre er unbeachtlich, da gänzlich unsubstantiiert.

Soweit sich der Kläger auf die allgemeine Gefährdung durch die Taliban und die unzureichende Versorgungslage in Afghanistan bezieht, handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden können, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage sind (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 16. April 2013 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor vorrangig zurückzuführen sind alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Hinsichtlich der vom Kläger befürchteten allgemeinen Gefährdung durch Taliban (z. B. Sprengfallen) ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 60 Abs. 7 Satz 2 (a. F.) AufenthG schon nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr auszugehen. Gemäß den Erkenntnissen des Senats lag das Risiko für Angehörige der Zivilbevölkerung, in der nach UNAMA zur Südostregion zählenden Provinz Ghazni durch (jegliche) militante Gewalt Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, im Jahr 2012 unter 1:1.000 (weniger als 0,1%). Diese Risikohöhe ist weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (BayVGH, U. v. 15.3.2013 - 13a B 12.30294 - juris Rn. 22 f.). Gemäß dem UNAMA-Bericht vom Juli 2013 (United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Mid-Year Report 2013, Protection of Civilians in Armed Conflict) ist derzeit in der Südostregion nicht mit einer signifikanten Verschlechterung der Gefährdungslage oder einer wesentlichen Erhöhung des Risikos, Opfer militanter Gewalt zu werden, zu rechnen. Somit ist erst recht nicht von einer extremen Gefahr im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auszugehen.

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger ebenfalls nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist (vgl. ständige Rspr. des Senats, z. B. U. v. 8.12.2011 - 13a B 11.30276 - EzAR-NF 69 Nr. 11 = AuAS 2012, 35 -LS-; U. v. 20.1.2012 - 13a B 11.30425 - juris; U. v. 22.3.2013 - 13a B 12.30044 - juris; U. v. 4.6.2013 - 13a B 12.30063 - juris; U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris; so auch VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3177/11 - EzAR-NF 69 Nr. 13 - juris; VGH BW, U. v. 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris = DÖV 2012, 651 -LS-; OVG RhPf, U. v. 21.3.2012 - 8 A 11050/10.OVG - juris; SächsOVG, U. v. 10.10.2013 - A 1 A 474/09 - juris; HessVGH, U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der Rechtsprechung des Senats ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Senat hat sich dabei zunächst u. a. auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Januar 2012 (S. 26 ff.) gestützt, wonach sich nahezu alle volkswirtschaftlichen Indikatoren Afghanistans positiv entwickelt hätten. Von den verbesserten Rahmenbedingungen profitierten dem Lagebericht zufolge grundsätzlich auch Rückkehrer. Die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten sei allerdings nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer. Dort erfolge die Ansiedlung unter schwierigen Rahmenbedingungen; für eine permanente Ansiedlung seien die vorgesehenen „Townships“ kaum geeignet. Auch sei der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich.

Ähnliche Erkenntnisse haben sich für den Senat aus den weiter zugrunde gelegten Berichten ergeben. So geht der Sachverständige Dr. Danesch in seinem Gutachten vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten davon aus, dass am ehesten noch junge kräftige Männer, häufig als Tagelöhner, einfache Jobs, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt sei, fänden. In diesen Sektor, meist im Baugewerbe, ströme massiv die große Zahl junger Analphabeten. Ein älterer Mann, der vorher schon lange im Westen gelebt habe, hätte keine Chance auf einen solchen Arbeitsplatz. Hieraus konnte der Senat im Umkehrschluss die Folgerung ziehen, dass bei anderen Voraussetzungen eine Beschäftigung möglich ist. Nach der Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i. L.) gebe es für qualifiziertes Personal ein umfangreiches Angebot an offenen Stellen. Für einen nicht oder gering qualifizierten Rückkehrer bestünden nur geringe Chancen für eine dauerhafte Beschäftigung mit geregeltem Einkommen. Das Existenzminimum für eine Person könne durch Aushilfsjobs ermöglicht werden (S. 9). Fälle, in denen Rückkehrer aufgrund von Hunger oder Unterernährung verstorben seien, seien nicht bekannt. Schließlich hat der Senat auch die Auskunft von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012 herangezogen, in der ebenfalls auf die schwierige Arbeitssuche hingewiesen wird. Die meisten Männer und Jugendlichen würden versuchen, auf nahe gelegenen Märkten als Träger zu arbeiten. Aufgrund dieser Auskünfte sah der Senat deshalb die Annahme als gerechtfertigt an, dass grundsätzlich Arbeitsmöglichkeiten bestehen.

Der aktuelle Lagebericht vom 4. Juni 2013 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: März 2013) formuliert die maßgeblichen Passagen zwar anders (S. 17 ff: „IV. Rückkehrerfragen“). Danach ist der Entwicklungsbedarf in Afghanistan weiterhin beträchtlich. Die Möglichkeiten des afghanischen Staats, die Grundbedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu befriedigen und ein Mindestmaß an sozialen Dienstleistungen, etwa im Bildungsbereich, zur Verfügung zu stellen, würden aufgrund des rapiden Bevölkerungswachstums zusätzlich unter Druck geraten. Die Situation am Arbeitsmarkt stelle das Land vor besondere wirtschaftliche und soziale Herausforderungen. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Andererseits wird im Lagebericht dargestellt, dass zunehmend Arbeiter aus Bangladesch, Iran und Pakistan nach Afghanistan kommen, da hier höhere Gehälter bezahlt würden, wenngleich es an einer politischen Strategie zur Schaffung von Arbeitsplätzen fehle (S. 17). Auch sei die afghanische Wirtschaft in den vergangenen Jahren aufgrund der internationalen Präsenz ständig gewachsen, unterliege allerdings derzeit besonderen Herausforderungen. Die medizinische Versorgung sei zwar immer noch unzureichend, Verbesserungen seien aber erkennbar (S. 18). Zusammenfassend lassen sich dem Lagebericht vom 4. Juni 2013 damit keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen geht der Senat weiterhin davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind. Insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, wesentlich höher (Lagebericht 2012, S. 27). Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts (Auskunft vom 2.7.2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zum Verfahren 8 A 2344/11.A) dürfte es unwahrscheinlich sein, dass besonders in der Hauptstadt Kabul Personen verhungern oder verdursten.

Das vom Kläger unter Hinweis auf aktuelle Erkenntnisse von amnesty international geltend gemachte Risiko des Erfrierens begründet die Annahme einer extremen Gefahr ebenfalls nicht. Wie aus dem vom Kläger zitierten offenen Brief von amnesty international vom 19. Oktober 2012 (www.amnesty.org/en/news/afghanistan-urgent-assistance-needed-avoid-deaths) hervorgeht, gab es in den Flüchtlingslagern Afghanistans infolge des außerordentlich strengen Winters 2011/2012 über 100 Menschen, meistens Kinder, die an Kälte oder Krankheiten starben. Gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6. August 2013 - HCR/EG/AFG/13/01 - besteht hinsichtlich der provisorischen und notdürftigen Unterkünfte für Binnenvertriebene sowie zurückkehrende Flüchtlinge folgende Situation: Die Betroffenen - in Kabul ca. 35.000 Personen -, die angesichts begrenzter Unterkunftsmöglichkeiten in informellen Siedlungen (Slums) leben müssten, seien dem strengen Winter schutzlos ausgeliefert. Infolge dessen seien in Kabul Anfang 2012 zehn Personen und Anfang 2013 17 Personen an der Kälte gestorben. Die meisten von ihnen seien Kinder (UNHCR a. a. O. Fn. 154, 157, 162). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 2. Juli 2013 (a. a. O.) kommt es in Kabul im Winter gelegentlich vor, dass Personen, die keine winterfeste Bleibe haben, erfrieren. Hierbei handle es sich zumeist um Säuglinge. Das für die Kinder als besonders gefährdete Gruppe bestehende Risiko lässt sich jedoch nicht auf den Kläger als erwachsenen Mann übertragen.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger der Minderheit der Hazara keine Chance hätte, sich als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Der Umstand, dass der Kläger noch nicht in Kabul gelebt und sich seit 2008 im Ausland aufgehalten hat, steht der Annahme, er könne sich in Kabul auf sich allein gestellt notfalls „durchschlagen“, ebenfalls nicht entgegen (BayVGH, U. v. 24.10.2013 a. a. O.).

Bei dieser Ausgangslage ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten, etwa in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. UNHCR ist ebenfalls der Auffassung, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (Richtlinien vom 6.8.2013 a. a. O. S. 9).

Der Hinweis auf den Beschluss der IMK zu TOP 39 (Rückführung nach Afghanistan) aus der Sitzung vom 4. bis 6. September 2013, demgemäß die abschiebungsrelevante Situation in Afghanistan der Überprüfung und Neubewertung bedürfe, vermag die Einschätzung des Senats nicht in Frage zu stellen. Die von der IMK zu klärende Frage, ob die Abschiebung afghanischer Staatsangehöriger ausgesetzt werden soll, richtet sich nach § 60a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die Anordnung eines sog. Abschiebestopps aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland ergehen. Für die IMK besteht somit ein weites Entscheidungsspektrum (Bauer in Renner/Bergmann/Dienelt a. a. O., § 60a AufenthG Rn. 6). Die Frage hingegen, ob eine Extremgefahr für einen bestimmten Ausländer gegeben wäre, betrifft nur einen kleinen Ausschnitt dieses Spektrums und hängt somit nicht von der humanitären Bewertung der Sicherheits- und Gefährdungslage im Ganzen ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

I.

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2014 wird die Klage abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der am 31. Dezember 1993 in Herat geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens und Hazara. Er reiste auf dem Landweg vom Iran über die Türkei, Griechenland, Italien und Österreich am 25. März 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. April 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 11. Juli 2012 gab der Kläger an, er spreche Dari, außerdem Farsi und ein wenig Englisch. Seit seinem zweiten Lebensjahr habe er mit seiner Familie im Iran gelebt. Die Familie stamme aus der Provinz Herat, Gebiet Guzara. Seine Eltern hätten sich zwar über Afghanistan unterhalten, aber er habe mit ihnen nicht darüber gesprochen. Sie seien wegen der schlechten Sicherheitslage, insbesondere für Hazara, geflohen. In Afghanistan habe er keine Verwandten. Er habe im Iran, in Bodjnord, fünf Jahre die Schule besucht und anschließend sowohl in Restaurants gearbeitet als auch Motorräder in Stand gesetzt. Er habe immer drei bis vier Monate in Teheran gearbeitet und sei dann wieder zur Familie zurückgekehrt. Wann er aus dem Iran ausgereist sei, wisse er nicht. Er sei seit über zweieinhalb Jahren unterwegs. Eineinhalb Jahre sei er in der Türkei gewesen, neun bis zehn Monate in Griechenland. Die Fahrt habe er mit seinem Verdienst in Teheran finanziert. In Griechenland habe er nicht gearbeitet, in der Türkei als Spüler in Restaurants. Den Iran habe er verlassen, weil die Afghanen dort unterdrückt würden. Die Familie habe auch keine offiziellen Dokumente und sei nicht einmal sozialversichert. Er habe eine Schwester mit elfeinhalb Jahren und einen Bruder mit ca. zehn Jahren.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 5. September 2013 wurde der Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt (1.), festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (2.) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. (3.) nicht vorliegen und dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (4.). Zur Begründung ist ausgeführt, wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara liege keine Verfolgung vor. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Herat bestehe nicht. Auch die Voraussetzungen von nationalen Abschiebungsverboten lägen nicht vor, insbesondere bestehe keine extreme Gefahrenlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Da der Kläger nach seinen Angaben bereits nach Beendigung der Schule in Restaurants gearbeitet und Motorräder repariert habe, könne er auch ohne den Rückhalt seiner Familie das erforderliche Einkommen erzielen.

Mit der hiergegen gerichteten Klage an das Verwaltungsgericht München verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. In der mündlichen Verhandlung am 25. März 2014 erklärte der Kläger, Bodjnord sei etwa 17 bis 18 Stunden mit dem Bus von Teheran entfernt, wo er gearbeitet habe. In Deutschland habe er keine Schule besucht und keine Berufsausbildung gemacht. Derzeit arbeite er in einem Restaurant. Mit Urteil vom 25. März 2014 wurde der Bescheid des Bundesamts vom 5. September 2013 antragsgemäß in Nr. 3 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht vorliegt. Zudem wurde er in Nr. 4 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen. Die allgemeine Gefahr in Afghanistan habe sich in der Person des Klägers trotz seiner Volljährigkeit ausnahmsweise zu einer extremen Gefahr verdichtet. Aufgrund der besonderen Umstände kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass der Kläger, der bereits im Alter von zwei Jahren sein Herkunftsland dauerhaft mit seiner Familie verlassen habe, mit den Verhältnissen in Afghanistan nicht vertraut sei und zudem über keine Berufsausbildung verfüge, nicht dazu in der Lage wäre, die hohen Anforderungen so bewältigen zu können, dass er sich ohne die Hilfe eines aufnahmebereiten Familienverbands wenigstens ein Existenzminimum erwirtschaften könnte. Allein aufgrund seiner langjährigen Abwesenheit sei davon auszugehen, dass ihm die aktuellen Lebensumstände in Afghanistan fremd seien. Er sei mit den Gepflogenheiten der afghanischen Gesellschaft nicht vertraut, zumal dort während seiner Abwesenheit entscheidende Umbrüche und Veränderungen stattgefunden hätten. Erschwerend wirke sich die fehlende Berufsausbildung aus.

Auf Antrag der Beklagten hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. August 2014 die Berufung zugelassen wegen Divergenz zur Rechtsprechung des Senats zur extremen Gefahrenlage in den Fällen, in denen der betreffende Ausländer Afghanistan bereits im Kleinkindalter verlassen hat (BayVGH, U. v. 24.10.2013 - 13a B 13.30031 - juris). Unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Zulassungsantrag und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs führt die Beklagte aus, dass bei alleinstehenden, arbeitsfähigen und gesunden männlichen afghanischen Rückkehrern in aller Regel kein Abschiebungsschutz in Betracht käme, zumal Mittel der Rückkehrförderung in Anspruch genommen werden könnten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 25. März 2014 vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger geht davon aus, dass er gemessen an seiner persönlichen Situation ausnahmsweise alsbald nach der Rückkehr in eine extreme Gefahrenlage geraten würde. Er beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG) nicht verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein national begründetes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Beim national begründeten Abschiebungsverbot handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, weshalb alle entsprechenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind (BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 16 und 17). Allerdings sind weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 noch diejenigen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig (EMRK) ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG(U. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse). Dabei sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167 unter Verweis auf EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht erkennbar.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird.

Auf eine individuelle erhebliche konkrete Gefahr i. S. v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hat sich der Kläger, der sich nach seinen Angaben ab seinem zweiten Lebensjahr nicht mehr in Afghanistan aufgehalten hat, nicht berufen. Vielmehr trägt er vor, dass seine Eltern Afghanistan wegen der damaligen schlechten Sicherheitslage - eine allgemeine Gefahr im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG - verlassen hätten. Diese kann auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt wird, aber nur eine typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage ist (BVerwG, U. v. 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77). Dann greift grundsätzlich die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Eine Abschiebestoppanordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht (mehr). Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr hat durch die Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht (BayVVAuslR) mit Rundschreiben vom 3. März 2014, Az. IA2-2081.13-15 bezüglich der Rückführungen nach Afghanistan verfügt, dass nach wie vor alleinstehende männliche afghanische Staatsangehörige, die volljährig sind, vorrangig zurückzuführen sind (s. BayVVAuslR Nr. C.3.2).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG; vgl. nur BVerwGE 99, 324; 102, 249; 108, 77; 114, 379; 137, 226). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extrem zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Im Hinblick auf die unzureichende Versorgungslage hat sich die allgemeine Gefahr in Afghanistan für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ergibt sich aus den Erkenntnismitteln nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher afghanischer Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären (seit U. v. 3.2.2011 - 13a B 10.30394 - juris; zuletzt U. v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris). Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Der Senat hat sich dabei im Urteil vom 30. Januar 2014 (a. a. O.) u. a. auf die Lageberichte des Auswärtigen Amtes (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: 4. Juni 2013) gestützt sowie auf die Stellungnahmen von Dr. Danesch vom 7. Oktober 2010 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, von Dr. Karin Lutze (stellvertretende Geschäftsführerin der AGEF - Arbeitsgruppe Entwicklung und Fachkräfte im Bereich der Migration und der Entwicklungszusammenarbeit i.L.) vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz (zum dortigen Verfahren 6 A 11048/10.OVG) und von ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation) vom 1. Juni 2012. Nach den dortigen Erkenntnissen geht der Senat davon aus, dass trotz großer Schwierigkeiten grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts bestehen und jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten sind.

Aus den aktuellen Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Der Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. März 2014 (Stand: Februar 2014, S. 19 ff. - Lagebericht 2014) stellt zum einen fest, dass sich Afghanistans Bewertung im Human Development Index kontinuierlich verbessert habe. Auch wenn Afghanistan weiterhin einen sehr niedrigen Rang belege und der Entwicklungsbedarf noch beträchtlich sei, habe es sich einerseits in fast allen Bereichen positiv entwickelt. Die afghanische Wirtschaft wachse, wenn auch nach einer starken Dekade vergleichsweise schwach. Andererseits würden Investitionen aufgrund der politischen Unsicherheit weitgehend zurückgehalten. Allerdings könne nach dem Wahljahr 2014 mit einer Normalisierung des durch die starke Präsenz internationaler Truppen aufgeblähten Preis- und Lohnniveaus zu rechnen sein. Eine weitere Abwertung der afghanischen Währung könnte zu einer gestärkten regionalen Wettbewerbsfähigkeit afghanischer Produkte führen. Negativ würde sich jedoch zum anderen eine zunehmende Unsicherheit und Destabilisierung des Landes auswirken. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sei auch bei einer stabilen Entwicklung der Wirtschaft eine zentrale Herausforderung. Für größere Impulse mangle es bisher an Infrastruktur und förderlichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und einer umfassenden politischen Strategie. Da die Schaffung von Perspektiven auch zu Sicherheit und Stabilität beitrage, sei die Unterstützung der Privatwirtschaft einer der Schlüsselbereiche der bilateralen Zusammenarbeit. Im Übrigen greift der Lagebericht 2014 mit Ausnahme der medizinischen Versorgung keine Einzelaspekte auf, sondern stellt nur die generelle Situation für Rückkehrer und die allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dar. Es wird darauf verwiesen, dass es an grundlegender Infrastruktur fehle und die Grundversorgung - wie schon bisher - für große Teile der Bevölkerung eine große Herausforderung sei. Die medizinische Versorgung habe sich in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, falle allerdings im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück. Nach wie vor seien die Verfügbarkeit von Medikamenten und die Ausstattung von Kliniken landesweit unzureichend.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Update, die aktuelle Sicherheitslage vom 5.10.2014, S. 18 ff. - SFH) führt aus, dass 36% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebten. Besonders die ländliche Bevölkerung sei den starken klimatischen Schwankungen hilflos ausgeliefert. Die Zahl der Arbeitslosen werde weiter ansteigen. 73,6% aller Arbeitstätigen gehörten zu den working poor, die pro Tag zwei US$ oder weniger verdienten. Die Analphabetenrate sei weiterhin hoch und die Anzahl der gut qualifizierten Fachkräfte sehr tief.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 6.8.2013, S. 9 [UNHCR-Richtlinien] und Darstellung allgemeiner Aspekte hinsichtlich der Situation in Afghanistan - Erkenntnisse u. a. aus den UNHCR-Richtlinien 2013 vom August 2014 [UNHCR-2014]) geht davon aus, dass es für eine Neuansiedlung grundsätzlich bedeutender Unterstützung durch die (erweiterte) Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm bedarf. Die einzige Ausnahme seien alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten Schutzbedarf, die unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben könnten, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung böten, und die unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle ständen.

Zusammenfassend lassen sich damit aus diesen Berichten keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen. Aufgrund der in den Auskünften geschilderten Rahmenbedingungen sind insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, wesentlich höher. Hinzu kommt, dass eine extreme Gefahrenlage zwar auch dann besteht, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.2010 - 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226), jedoch Mangelernährung, unzureichende Wohnverhältnisse und eine schwierige Arbeitssuche nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit „alsbald“ zu einer extremen Gefahr führen. Diese muss zwar nicht sofort, also noch am Tag der Ankunft eintreten. Erforderlich ist allerdings eine hinreichende zeitliche Nähe zwischen Rückkehr und unausweichlichem lebensbedrohenden Zustand. Die Gefahr muss sich alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies ist aus den genannten Erkenntnismitteln nicht ersichtlich. Nach der Beurteilung des Auswärtigen Amts in der Auskunft vom 2. Juli 2013 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof (um Verfahren 8 A 2344/11.A) dürfte es unwahrscheinlich sein, dass besonders in der Hauptstadt Kabul Personen verhungern oder verdursten. Im Urteil vom 4. September 2014 (8 A 2434/11.A - juris) teilt der Hessische Verwaltungsgerichtshof die vorliegende Einschätzung (ebenso OVG NW, U. v. 27.1.2015 - 13 A 1201/12.A - juris). Demgegenüber stellt der Kläger lediglich die Vermutung auf, dass sich die Situation für Rückkehrer verschlechtert habe. Konkrete Anzeichen, die auf eine Verschlechterung hinweisen würden, benennt er nicht. Er beschränkt sich vielmehr auf Annahmen, ohne dass sich diese auf signifikante Veränderungen stützen würden.

Bei dieser Ausgangslage bedurfte es auch nicht der Einholung einer neuen Auskunft.

Die vorhandenen Auskünfte ergeben einen ausreichenden Einblick in die tatsächliche Lage in Afghanistan. Im Hinblick auf den teilweisen Abzug der internationalen Truppen ergibt sich nichts anderes. Anhaltspunkte, dass sich bei der Versorgungs- und Sicherheitslage im jetzt maßgeblichen Zeitpunkt erhebliche Veränderungen ergeben hätten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Ob in Zukunft Verschlechterungen eintreten werden, lässt sich derzeit nicht beurteilen.

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger als Angehöriger der Minderheit der Hazara keine Chance hätte, sich als Tagelöhner oder Gelegenheitsarbeiter zu verdingen. Die vorliegenden Gutachten und Berichte enthalten keine entsprechenden Hinweise. Der Umstand, dass der Kläger seit seinem zweiten Lebensjahr mit seiner Familie im Iran gelebt hat, steht der Annahme, er könne sich in Kabul auf sich allein gestellt notfalls „durchschlagen“, ebenfalls nicht entgegen. Hierzu hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Urteil vom 24. Oktober 2013 (13a B 13.30031 - juris) ausgeführt, dass eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht am fehlenden vorherigen Aufenthalt im Heimatland scheitere. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Ein spezielles „Vertrautsein mit den afghanischen Verhältnissen“ mag die Sicherung des Lebensunterhalts vereinfachen. Anhaltspunkte, dass dies erforderlich sein könnte, sind jedoch nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor. Der Kläger ist im Iran, einer islamisch geprägten Umgebung, aufgewachsen und spricht Farsi sowie die hiermit sehr eng verwandte Landessprache Afghanistans Dari. Zudem hebt er sich bereits dadurch von der Masse der Arbeit suchenden Analphabeten ab, dass er im Iran fünf Jahre lang die Schule besucht hat. In Teheran hat er anschließend sowohl in Restaurants gearbeitet als auch Motorräder in Stand gesetzt. Damit konnte er nicht nur seinen Lebensunterhalt erwirtschaften, sondern auch die Ausreise sowie seinen neun- bis zehnmonatigen Aufenthalt in Griechenland, wo er nach seinen Angaben nicht gearbeitet hat, finanzieren. Während seines eineinhalb jährigen Aufenthalts in der Türkei hat er - ohne Kenntnis der Landessprache - als Spüler in Restaurants gearbeitet. Ebenso ist er derzeit in Deutschland in einem Gasthof als Küchenhilfe beschäftigt. In der mündlichen Verhandlung hat er zudem relativ gut Deutsch gesprochen. Mit diesen Erfahrungen und Kenntnissen ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten, etwa in Kabul, wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht komme (UNHCR-2014).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 3 C 44.09 - verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes und in ihrem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2011 - BVerwG 3 C 14.11 (3 C 44.09) - verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführerinnen ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die öffentliche Finanzierung eines kommunalen Zweckverbands, der Dienstleistungen auch auf dem Markt der Tierkörperbeseitigung erbringt.

I.

2

1. Sowohl die Beschwerdeführerinnen als auch der Zweckverband, der Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagter), verarbeiten tierische Nebenprodukte, die nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Diese Produkte teilt die Verordnung (EG) Nr. 1069/2009, ABl Nr. L 300 vom 14. November 2009, S. 1 ff., in drei Kategorien ein. Die Materialien der Kategorien 1 und 2 bergen erhebliche Risiken und müssen daher entsorgt oder nach bestimmten Maßgaben verarbeitet werden. Material der Kategorie 3 birgt keine Risiken, ist aber genussuntauglich oder wird aus wirtschaftlichen Gründen nicht für den menschlichen Verzehr verwendet. Dieses Material kann etwa zu Futtermittel verarbeitet und in Verkehr gebracht werden. Nach § 3 Abs. 1 TierNebG sind die nach Landesrecht zuständigen Körperschaften des öffentlichen Rechts verpflichtet, die Beseitigung beziehungsweise Verarbeitung von Material der Kategorien 1 und 2 durchzuführen. Zur Erfüllung dieser Pflicht können sich die Körperschaften Dritter bedienen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 TierNebG). Gemäß § 3 Abs. 2 TierNebG kann die zuständige Behörde diese Aufgaben auch auf Private übertragen. Dagegen kann Material der Kategorie 3 von jedem Verarbeitungsbetrieb beseitigt oder verarbeitet werden.

3

2. Die Beschwerdeführerinnen verarbeiten gewerblich Material der Kategorie 3. Die Beschwerdeführerin zu 1. ist bundesweit tätig. Die Beschwerdeführerin zu 2. hat ihren Sitz in Frankreich und will ihre Tätigkeit auf den deutschen Markt ausweiten.

4

Der mittlerweile aufgelöste Beklagte war eine Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß § 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes zur Ausführung des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes (AGTierNebG) vom 20. Oktober 2010, GVBl S. 367. Mitglieder des Beklagten waren Landkreise und kreisfreie Städte. Der Beklagte übernahm nach seiner Verbandsordnung die Aufgaben, die den Landkreisen und kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz hinsichtlich der Materialien der Kategorien 1 und 2 oblagen. Insoweit erhob der Beklagte Gebühren. Ferner wurde der Beklagte in zweifacher Hinsicht über seinen gesetzlichen und satzungsmäßigen Zweck hinaus tätig. Zum einen beseitigte der Beklagte auch Material der Kategorie 3. Dazu vereinbarte er privatrechtliche Entgelte. Insofern stand der Beklagte in Konkurrenz zu privaten Dienstleistern wie den Beschwerdeführerinnen. Zum anderen beseitigte der Beklagte auch Material der Kategorien 1 und 2, das nicht aus dem Verbandsgebiet stammte. Insoweit hatte der Beklagte mit einem Zweckverband aus Baden-Württemberg eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung getroffen. Ferner hatte sich der Beklagte im Rahmen einer Ausschreibung erfolgreich um die Beseitigung der Materialen aus zwei Regierungsbezirken in Hessen beworben. Bis dahin wurde dort die Beseitigung dieser Materialien durch ein demselben Konzern wie die Beschwerdeführerinnen angehörendes Unternehmen durchgeführt, das sich ebenfalls an der Ausschreibung beteiligt hatte, sich gegen den Beklagten jedoch nicht durchsetzen konnte.

5

Der Beklagte finanzierte sich nicht nur aus den so erzielten Einnahmen (Gebühren und Entgelte). Soweit diese nicht ausreichten, um die Ausgaben zu decken, erhob der Beklagte von seinen Mitgliedern eine Umlage. Dies war seit seiner Gründung im Jahr 1979 durchgehend der Fall. In den im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Jahren 2005 bis 2008 betrug die Umlage jeweils 2,25 Mio. Euro, in den darauffolgenden Jahren jeweils um 2 Mio. Euro. Aufgrund einer Satzungsänderung durfte die Umlage ab dem Jahr 2010 nur noch zur Deckung solcher Kosten erhoben werden, die im Zusammenhang mit der Beseitigung von aus dem Verbandsgebiet stammenden Materialien der Kategorien 1 und 2 anfielen, sowie für die Vorhaltung einer Seuchenreservekapazität.

6

3. Die Beschwerdeführerinnen halten die Umlagen für Beihilfen im Sinne der Art. 87, 88 EGV (Art. 107, 108 AEUV). Da deren Einführung entgegen der beihilferechtlichen Notifizierungspflicht aus Art. 88 Abs. 3 Satz 1 EGV (Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV) nicht der Kommission angezeigt worden sei und die Beihilfen unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV) ausgezahlt worden seien, seien sie rechtswidrig und müssten zurückgezahlt werden. Die Beschwerdeführerinnen erhoben daher im Juni 2008 Klage zum Verwaltungsgericht Mainz, das die Sache an das Verwaltungsgericht Trier verwiesen hat. Sie beantragten, den Beklagten zur Rückzahlung der in den Jahren 2005 bis 2008 erhobenen Umlage nebst Zinsen an seine Mitglieder zu verpflichten sowie festzustellen, dass der Beklagte die Umlagen künftig nur nach vorheriger Genehmigung durch die Kommission erheben dürfe.

7

a) Mit Urteil vom 2. Dezember 2008 traf das Verwaltungsgericht die begehrte Feststellung, wies den Zahlungsantrag aber ab.

8

Die Umlage sei eine Beihilfe, da sie alle diesbezüglichen Tatbestandsmerkmale erfülle. Insbesondere sei der Beklagte wirtschaftlich tätig. Dabei könne dahinstehen, ob dies auch für die Beseitigung der Materialien der Kategorien 1 und 2 gelte. Aufgrund der landesrechtlichen Bestimmungen, die die Beseitigung dieser Materialien den Landkreisen und kreisfreien Städten beziehungsweise einem von diesen getragenen Zweckverband auferlege, sei diese Tätigkeit möglicherweise dem Markt entzogen. Jedenfalls hinsichtlich des Materials der Kategorie 3 werde der Beklagte wirtschaftlich tätig. Der Beihilfecharakter der Umlage werde durch die vom Gerichtshof der Europäischen Union für gemeinwirtschaftliche Aufgaben entwickelten Altmark-Kriterien (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans, C-280/00, Slg. 2003, I-7747, Rn. 88 ff.) nicht in Frage gestellt. Diese Kriterien seien nicht vollständig erfüllt.

9

Hinsichtlich des Leistungsantrags sei die Klage unbegründet. Es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Verpflichtung des Beklagten zur Rückzahlung derzeit als nicht sachgerecht erscheinen ließen. Die erhobenen Umlagen entsprächen mehr als der Hälfte der Erträge eines Jahres. Eine Rückzahlung in dieser Höhe stelle die ordnungsgemäße Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben in Frage. Zudem sei der Beklagte gutgläubig gewesen. In den vielen Jahren, in denen die Umlage bereits erhoben worden sei, sei deren Gemeinschaftsrechtswidrigkeit niemals behauptet worden.

10

b) Die von allen Beteiligten eingelegte Berufung wies das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 24. November 2009 zurück. Das Oberverwaltungsgericht machte sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen und vertiefte sie. Mit Blick auf die Berechnung der Umlage führte das Oberverwaltungsgericht aus, es würden pauschal sämtliche Einnahmen und Ausgaben einander gegenübergestellt. Da der Beklagte auch Material der Kategorie 3 und gebietsfremdes Material der Kategorien 1 und 2 verarbeite, werde die Umlage auch für nicht gemeinwirtschaftliche Aufgaben erhoben. Daher sei ausgeschlossen, dass die Umlage ausschließlich der Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Aufgabe diene.

11

Eine Rückzahlung der in den Jahren 2005 bis 2008 erhobenen Umlage scheide jedoch aus. Hinsichtlich des Materials der Kategorien 1 und 2 habe es keinen Markt gegeben, der durch die Umlage hätte beeinflusst werden können. Hinsichtlich des Materials der Kategorie 3 habe sich der Beklagte keinen nennenswerten Wettbewerbsvorteil verschaffen können. Denn insgesamt habe sich für die Verarbeitung von Schlachtabfällen ein positiver Saldo ergeben, so dass sich die Umlage als Abdeckung der Kosten für ungenutzte Kapazitäten niedergeschlagen habe. Diese Kapazitäten seien nicht größer gewesen, als für eine Seuchenreserve erforderlich. Auch soweit die Beschwerdeführerinnen darauf hingewiesen hätten, dass der Beklagte das Material der Kategorie 3 kostenlos und damit nicht kostendeckend zusammen mit demjenigen der Kategorien 1 und 2 mitentsorge, sei eine Marktbeeinflussung nicht ersichtlich, da der Beklagte an einer solchen kostenlosen Mitentsorgung kein wirtschaftliches Interesse haben könne.

12

Schließlich werde der Wettbewerb auch deshalb nicht beeinflusst, weil der Beklagte im Falle einer Rückzahlung derart in Zahlungsschwierigkeiten geriete, dass dessen Mitglieder oder das Land anderweit Mittel zur Verfügung stellen müssten, um die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben sicherzustellen. Der wirtschaftliche Effekt der Umlage werde dadurch auf andere Weise herbeigeführt.

13

c) Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision der Beschwerdeführerinnen wies das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 16. Dezember 2010 zurück. Zugleich änderte es auf die Anschlussrevision des Beklagten das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und wies die Klage insgesamt ab.

14

aa) Mit Blick auf das Leistungsbegehren könne es offenbleiben, ob es sich bei den Umlagen um eine Beihilfe handle. Die Beschwerdeführerinnen könnten schon deshalb keine Rückzahlung verlangen, weil sie die der Umlage zugrundeliegenden Bescheide nicht angefochten hätten. Zwar treffe zu, dass Marktteilnehmer, die mit einem Beihilfeempfänger potentiell im Wettbewerb stünden, bei Verstößen gegen formelle Anforderungen des Gemeinschaftsrechts Ansprüche gegen den Subventionsgeber auf verzinste Rückzahlung der Beihilfe hätten. Dies folge aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV (Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV) und gelte unabhängig davon, ob die Beihilfe später von der Kommission als mit dem Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärt werde.

15

Jedoch richte sich die Durchführung der Rückforderung nach nationalem Recht. Rückzahlung könne nur nach den dort geltenden Verfahrensvoraussetzungen verlangt werden. Nach deutschem Recht müssten Verwaltungsakte, die Grundlage einer gewährten Leistung seien, durch die Behörde oder durch ein Gericht beseitigt werden. Vorliegend hätten die Beschwerdeführerinnen versäumt, die Bescheide, mit denen die Umlage erhoben worden sei, anzufechten. Der geltend gemachte Verstoß gegen das Durchführungsverbot mache die Bescheide nicht nichtig. Das Erfordernis, die Bescheide anzugreifen, erschwere die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts auch nicht unzumutbar. Der Umstand, dass die Bescheide nicht an die Beschwerdeführerinnen gerichtet seien, ändere nichts daran, dass es sich um Verwaltungsakte handle, die hätten angefochten werden müssen. Dieser Umstand führe allerdings dazu, dass die Anfechtungsfrist nicht einen Monat, sondern ein Jahr betrage und erst zu laufen begonnen habe, nachdem die Beschwerdeführerinnen von der Existenz und vom Inhalt der Bescheide sichere Kenntnis erlangt hätten oder hätten erlangen müssen. Dies entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Vorliegend hätten die Beschwerdeführerinnen spätestens mit der Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Kenntnis erlangt.

16

bb) Auch die Feststellungsklage bleibe, entgegen der Auffassung der Vorinstanzen, ohne Erfolg. Hinsichtlich des Jahres 2009 sei die Klage gemäß § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig, da die Beschwerdeführerinnen ihre Rechte durch Gestaltungsklage hätten verfolgen können. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hätten die dieses Jahr betreffenden Bescheide angefochten werden können. Hinsichtlich der Jahre ab 2010 sei die Feststellungsklage zulässig, aber unbegründet. Bei den Umlagen handle es sich nicht um Beihilfen, weil die Umlage ausschließlich der Finanzierung einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung des Beklagten diene. Dies ergebe sich aus der Altmark-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union. Anlass, den Gerichtshof um weitere Klärung zu ersuchen, bestehe nicht.

17

Der vorliegende Fall unterscheide sich bereits im Ansatz deutlich von der Rechtssache Altmark. Während es dort um ein privates Busunternehmen gegangen sei, das seine Dienstleistungen am Markt angeboten habe und dem einzelne gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt worden seien, welche die Art und Weise der Erbringung dieser Dienstleistungen modifizierten, gehe es vorliegend um ein öffentliches Unternehmen, das in erster Linie gemeinwirtschaftliche Pflichten erfülle und daneben Dienstleistungen auch am Markt anbiete. Dabei seien die gemeinwirtschaftlichen Pflichtaufgaben schon technisch klar von der sonstigen wirtschaftlichen Betätigung geschieden. Hinsichtlich dieser wirtschaftlichen Betätigung bestünden keinerlei zusätzliche gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen. Diese Unterschiede führten dazu, dass die Altmark-Kriterien teilweise vollkommen unproblematisch erfüllt seien, weil die Gemengelage aus Marktbetätigung und gemeinwirtschaftlicher Verpflichtung, die dem Gerichtshof vor Augen gestanden habe, von vornherein nicht gegeben sei.

18

Das erste Altmark-Kriterium - Betrauung eines Unternehmens mit einer klar definierten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung - sei erfüllt. Die Verarbeitung und Entsorgung des Materials der Kategorien 1 und 2 sei in europäischem und nationalem Recht den betreffenden Körperschaften als gemeinwirtschaftliche Verpflichtung übertragen. Dies gelte nicht nur für gebietseigenes und gebietsfremdes Material, sondern auch für das Vorhalten der Seuchenreserve. Dabei sei unerheblich, ob diese Reserve größer als erforderlich sei. Auch bei einer Überkapazität werde sie zum Zwecke der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgaben vorgehalten. Etwas anderes könne nur angenommen werden, wenn die Kapazitäten außerhalb von Spitzenbelastungszeiten nicht ungenutzt blieben, sondern für andere Zwecke eingesetzt würden, etwa zur wirtschaftlichen Betätigung des Beklagten im Bereich des Materials der Kategorie 3. Dies hätten die Beschwerdeführerinnen aber nicht geltend gemacht. Für eine zweckwidrige Nutzung der Reservekapazitäten sei auch nichts ersichtlich.

19

Das zweite Altmark-Kriterium - vorherige, objektive und transparente Festlegung der Parameter für die Berechnung des Ausgleichs, der für die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung gewährt wird - sei ebenfalls erfüllt. Jedenfalls ab dem Jahr 2010, ab dem die Umlage nur noch zur Finanzierung der Verarbeitung des gebietseigenen Materials der Kategorien 1 und 2 erhoben werde, seien diese Anforderungen eingehalten. In Übereinstimmung mit dem dritten Altmark-Kriterium lege die Verbandssatzung fest, dass die Umlage nicht über das hinausgehen dürfe, was erforderlich sei, um die durch die Gebühreneinnahmen nicht gedeckten Kosten der Beseitigung von Material der Kategorien 1 und 2 zu bestreiten.

20

Das vierte Altmark-Kriterium - Bestimmung der Höhe des Ausgleichs am Maßstab eines gut geführten Unternehmens - könne vorliegend keine Berücksichtigung finden. Es unterstelle, dass die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung, deren (Mehr-)Kosten ausgeglichen werden dürften, durch ein privates Unternehmen und damit in einer Gemengelage gemein- und marktwirtschaftlicher Betätigung erfüllt werden könne. Die schadlose Beseitigung des Materials der Kategorien 1 und 2 im Gebiet der Mitgliedskommunen des Beklagten stehe dem Markt jedoch nicht offen. Sie sei im deutschen Recht als hoheitliche Pflichtaufgabe ausgestaltet. Daher diene die Umlage nicht dem Ausgleich von Mehrkosten aus der Übernahme einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung im Rahmen einer im Übrigen marktwirtschaftlichen Betätigung, sondern der Finanzierung der hoheitlichen Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe außerhalb des Marktes.

21

d) Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erhoben die Beschwerdeführerinnen Anhörungsrüge. Bis zur Revisionsverhandlung sei während des gesamten Rechtsstreits niemals thematisiert worden, ob die Erhebung der Umlage auf Verwaltungsakten beruhe. Vielmehr seien auch die Instanzgerichte davon ausgegangen, dass die Umlage durch die Haushaltssatzungen des Beklagten festgesetzt worden sei. Zudem sei der Verwaltungsaktcharakter der Schreiben, durch die der Beklagte seine Mitglieder um Zahlung bat, von den Beschwerdeführerinnen mit Gegenargumenten bestritten worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe ohne Prüfung und ungeachtet dieser Einwände bereits im Tatbestand des Urteils unterstellt, dass es sich um Verwaltungsakte handle. Ferner habe das Gericht dadurch Vortrag der Beschwerdeführerinnen nicht zur Kenntnis genommen, dass es davon ausgehe, dass die gemeinwirtschaftlichen Pflichtaufgaben schon technisch klar von der wirtschaftlichen Betätigung des Beklagten geschieden seien. Gleiches gelte für die Annahme des Gerichts, die Beschwerdeführerinnen hätten nicht geltend gemacht, dass die Kapazitäten außerhalb von Spitzenbelastungszeiten nicht ungenutzt geblieben seien. Zur Untermauerung dieser Rüge verwiesen die Beschwerdeführerinnen auf im Laufe des Rechtsstreits eingereichte Schriftsätze.

22

Ferner habe das Bundesverwaltungsgericht unterstellt, die Beschwerdeführerinnen hätten die Bescheide für das Jahr 2009 nicht angegriffen, ohne die Beschwerdeführerinnen dazu anzuhören. Außerdem habe sich das Gericht nicht mit den geforderten Rechtswidrigkeitszinsen auseinandergesetzt. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht den Feststellungsantrag dahingehend ausgelegt, dass er sich auf eine Umlageerhebung gemäß der seit 2010 geltenden Fassung der Verbandsordnung (Umlage nur für die Kosten, die durch die Beseitigung gebietseigenen Materials der Kategorien 1 und 2 entstehen) beziehe. Tatsächlich hätten die Beschwerdeführerinnen aber beantragt, dass die Umlage nicht gemäß der vorangegangenen Fassung der Verbandsordnung erhoben werden dürfe. Schließlich legten die Beschwerdeführerinnen dar, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung hätte befassen müssen.

23

e) Das Bundesverwaltungsgericht wies die Anhörungsrüge durch Beschluss vom 9. Juni 2011 zurück. Nach dem Verlauf der Revisionsverhandlung könne es nicht überraschend gewesen sein, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Existenz von Verwaltungsakten ausgehe. Hinsichtlich der Trennung der verschiedenen Materialien handele es sich bei der Annahme, die Umlage finanziere ausschließlich die Pflichtaufgaben, um eine Bewertung, die von den Beschwerdeführerinnen schlicht nicht geteilt werde. Die Schriftsätze, auf die die Beschwerdeführerinnen insofern Bezug genommen hätten, beträfen die Behauptung, der Beklagte habe umlagefinanzierte Kapazitäten dazu genutzt, Material der Kategorien 1 und 2 aus anderen Bundesländern zu entsorgen. Dieser Einwand betreffe nicht die Trennung der Verarbeitungskapazitäten. Auch mit weiteren Rügen drangen die Beschwerdeführerinnen nicht durch.

24

4. Parallel zum Ausgangsverfahren legten die Beschwerdeführerinnen Anfang 2008 bei der Europäischen Kommission eine Beihilfebeschwerde ein. Die Kommission eröffnete das formelle Prüfverfahren durch Beschluss vom 20. Juli 2010. Dort formulierte sie Zweifel an der Vereinbarkeit der Umlage mit europäischem Beihilferecht. Das Verfahren endete durch Beschluss vom 25. April 2012. Darin kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass die Umlagen rechtswidrig gewährte Beihilfen darstellten und forderte die Bundesrepublik Deutschland auf, die seit 1998 erhobenen Umlagen nebst Zinsen vom Beklagten zurückzufordern. Die gegen diesen Beschluss erhobene Klage des Beklagten wies das Gericht der Europäischen Union durch Urteil vom 16. Juli 2014 - T-309/12 - ab. Der Beklagte hat sein gegen dieses Urteil eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen (vgl. Beschluss des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. März 2015 - C-447/14 P -).

II.

25

1. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.

26

a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei dadurch verletzt, dass es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen habe, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen. Das Bundesverwaltungsgericht weiche in mehrfacher Hinsicht von der Rechtsprechung des Gerichtshofs ab. Die Annahme, der Rückzahlung der Umlage stehe die Bestandskraft der Umlagebescheide entgegen, widerspreche der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach sich der Empfänger einer rechtswidrig gewährten Beihilfe nicht auf Vertrauensschutz oder Rechtssicherheit berufen könne. Dies gelte erst recht, wenn dieser die Bescheide selbst erlassen habe. Auch habe der Gerichtshof dazu befragt werden müssen, ob Verwaltungsakte nichtig seien, wenn sie Unionsrecht verletzten. Ferner habe das Bundesverwaltungsgericht das vierte Altmark-Kriterium bewusst unangewendet gelassen und dies willkürlich begründet. Schließlich folge eine Vorlagepflicht daraus, dass das Bundesverwaltungsgericht den Eröffnungsbeschluss der Kommission offen missachtet habe.

27

b) Art. 103 Abs. 1 GG sei dadurch verletzt, dass das Bundesverwaltungsgericht sich nicht mit den Einwänden auseinandergesetzt habe, die gegen eine Qualifizierung der Zahlungsaufforderungen als Verwaltungsakte sprächen. Ferner habe das Bundesverwaltungsgericht den Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerinnen nicht berücksichtigt, wonach die Materialien der verschiedenen Kategorien durch Nutzung der freien Kapazitäten der Anlagen des Beklagten gemeinsam beseitigt würden. Schließlich habe sich das Bundesverwaltungsgericht auch nicht mit dem geltend gemachten Zinsanspruch befasst.

28

c) Die Qualifizierung der Umlagebescheide als Verwaltungsakte verletze die Beschwerdeführerinnen auch in ihrem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Weder das Verwaltungsgericht noch das Oberverwaltungsgericht hätten die Existenz von Verwaltungsakten in Erwägung gezogen. Die Gerichte seien vielmehr davon ausgegangen, dass Rechtsgrund der Umlage allein die Haushaltssatzungen gewesen seien. Auch der Beklagte habe sich niemals darauf berufen, dass es bestandskräftige Verwaltungsakte gebe. Die Beschwerdeführerinnen hätten somit nicht damit rechnen müssen, dass das Bundesverwaltungsgericht sich darauf stützen werde. Da das Gericht ferner darauf hingewiesen habe, dass eine Umstellung der Klage wegen des Verbots der Klageänderung in der Revisionsinstanz (§ 142 Abs. 1 VwGO) nicht mehr zulässig sei, sei der entsprechende Hinweis in der Revisionsverhandlung zu spät gekommen. Das Versäumnis der Instanzgerichte dürfe sich nicht zulasten der Beschwerdeführerinnen auswirken.

29

d) Art. 19 Abs. 4 GG sei dadurch verletzt, dass das Bundesverwaltungsgericht ohne jede Begründung und ohne Abwägung der Umstände des Einzelfalls angenommen habe, dass für die Anfechtung der Bescheide eine Jahresfrist gelte. Dadurch beraube das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführerinnen der Möglichkeit, das beihilferechtliche Durchführungsverbot durchzusetzen.

30

2. Dem Bundesverfassungsgericht lagen die Akten des Ausgangsverfahrens vor. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur des Landes Rheinland-Pfalz hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

31

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

32

1. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2010 verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Die Annahme, die der Umlage zugrundeliegenden Verwaltungsakte seien nicht angefochten worden, erschwert den Rechtsweg für die Beschwerdeführerinnen in unzumutbarer Weise.

33

a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert einen umfassenden gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 25, 352 <365>; 51, 176 <185>; 54, 39 <41>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>). Diese Garantie effektiven Rechtsschutzes gewährleistet nicht nur formal die Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gebietet auch die Effektivität des damit verbundenen Rechtsschutzes, das heißt einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Zugang zu Gericht darf daher nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <274 f.>; 77, 275 <284>).

34

Vor diesem Hintergrund haben die Gerichte etwa das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>). Sie dürfen nicht durch die Art und Weise der Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts unzumutbar verkürzen (vgl. BVerfGE 84, 366 <369 f.>).

35

b) Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich bei den Schreiben, mit denen der Beklagte die Umlage anforderte, um Verwaltungsakte, die nicht angefochten worden seien. Diese Annahme wird den Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht gerecht, weil sie den Zugang zu Gericht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert.

36

aa) Die Anfechtung eines Verwaltungsakts erfolgt durch Erhebung einer Klage (§ 42 Abs. 1 VwGO). Die Beschwerdeführerinnen haben Klage erhoben, gerichtet auf Rückzahlung der durch die Bescheide festgesetzten Umlagen. Das von Beginn des Ausgangsverfahrens an unverändert gebliebene Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerinnen ging offensichtlich dahin, die für die Rückzahlung erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Das Leistungsbegehren erfasste somit auch die inzidente Aufhebung der Verwaltungsakte gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die dem Rechtsstandpunkt des Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegende Auffassung, die Umlagebescheide seien nicht angefochten worden, beruht daher auf einer verfassungsrechtlich nicht haltbaren Anwendung der §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO.

37

§ 88 VwGO erlegt den Verwaltungsgerichten die Aufgabe auf, das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln (vgl. BVerwGE 60, 144 <149>). Diese Bestimmung stellt zugleich klar, dass es auf das wirkliche Begehren der Partei ankommt, nicht auf die Fassung der Anträge. In diesem Rahmen muss eine ausdrücklich gewählte Klageart auch umgedeutet werden (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 8, 10). Übersieht der Kläger, dass es sich um Verwaltungsakte handelt, und begehrt er eine Leistung, die ohne Aufhebung der Verwaltungsakte nicht erreicht werden kann, muss der gestellte Antrag so ausgelegt werden, dass das Rechtsschutzziel erreicht werden kann (vgl. für den umgekehrten Fall, die Umdeutung eines Anfechtungsantrags in einen Leistungsantrag, BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1981 - 2 C 42/78 -, NVwZ 1982, S. 103 f.). Das Gericht muss gemäß § 86 Abs. 3 VwGO, der eine Ausprägung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz ist, darauf hinwirken, dass Unklarheiten bei Anträgen und tatsächlichen Angaben beseitigt werden.

38

Das angegriffene Urteil setzt sich jedoch weder mit dem Rechtsschutzbegehren der Beschwerdeführerinnen noch mit den gestellten Anträgen auseinander. Sachliche Gründe, aus denen das Bundesverwaltungsgericht die Fassung der Anträge, nicht aber das Rechtsschutzziel für maßgeblich gehalten und dadurch verhindert hat, dass die Beschwerdeführerinnen dieses Ziel erreichen konnten, sind nicht ersichtlich.

39

bb) Auch die weitere Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Verwaltungsakte hätten nur innerhalb einer bereits abgelaufenen Jahresfrist angefochten werden können, erschwert den Rechtsschutz in unzumutbarer Weise. Sie beruht auf einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Anwendung des Verfahrensrechts.

40

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es in Drittanfechtungskonstellationen eine Anfechtungsfrist nur in bestimmten Fällen. Unter besonderen Umständen sind Verwaltungsakte durch Dritte, denen sie nicht bekanntgegeben wurden, innerhalb eines Jahres anzufechten, nachdem diese Dritten von der Existenz und vom Inhalt der Bescheide sichere Kenntnis erlangt haben oder hätten erlangen müssen (vgl. BVerwGE 44, 294 <299 ff.>). Diese Anfechtungsfrist leitet das Bundesverwaltungsgericht aus einem besonderen nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis ab und hat ausdrücklich klargestellt, dass diese Rechtsprechung auf Fälle, in denen es an einem solchen besonderen Gemeinschaftsverhältnis fehlt, nicht übertragen werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999 - 8 B 116/98 -, juris, Rn. 8). Das gilt insbesondere mit Blick auf vermögensrechtliche Streitigkeiten (vgl. BVerwGE 115, 302 <311>; BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999, a.a.O., Rn. 8). Im Allgemeinen gibt es daher keine Ausschlussfrist für den Widerspruch gegen nicht bekanntgegebene Verwaltungsakte (Rennert, a.a.O., § 70 Rn. 5).

41

Im Verhältnis zwischen den Beschwerdeführerinnen und dem Beklagten bestand kein Gemeinschaftsverhältnis. Andere Sachgründe, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Annahme einer gesetzlich nicht vorgesehenen Frist rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.

42

(2) Gälte vorliegend eine Jahresfrist, wäre sie bei Klageerhebung zudem noch nicht abgelaufen gewesen. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts haben die Beschwerdeführerinnen Kenntnis von den angegriffenen Bescheiden spätestens mit der Einsichtnahme in die Verwaltungsvorgänge des Beklagten erlangt. Aus dem Beschluss vom 9. Juni 2011 ergibt sich, dass damit die Vorlage dieser Unterlagen beim Verwaltungsgericht in erster Instanz gemeint ist. Somit konnte die Frist bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen sein.

43

(3) Vom Rechtsstandpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aus konnte die Klage auch nicht deshalb unzulässig sein, weil kein Vorverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO durchgeführt wurde. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein Vorverfahren entbehrlich ist, wenn sich der Beklagte in der Sache auf die Klage einlässt und deren Abweisung beantragt oder wenn der Zweck des Vorverfahrens ohnehin nicht mehr erreicht werden kann (BVerwGE 64, 325 <330>). Vorliegend ist jedenfalls die erste dieser Alternativen erfüllt.

44

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen auch in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG, da sie Kernvorbringen der Beschwerdeführerinnen unberücksichtigt lassen.

45

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 42, 364 <367 f.>; 47, 182 <187>; BVerfGK 20, 53 <57>). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 25, 137 <141 f.>; 47, 182 <187>; BVerfGK 20, 53 <57>). Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung der Entscheidung ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 13, 132 <149>; 42, 364 <368>; 47, 182 <187>; BVerfGK 20, 53 <57>). Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 27, 248 <252>; 47, 182 <187 f.>; BVerfGK 20, 53 <57>). Dergleichen Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in der Begründung der Entscheidung nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>; BVerfGK 6, 334 <340>; 10, 41 <46>; 20, 53 <57 f.>). Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; BVerfGK 10, 41 <46>; 20, 53 <58>).

46

b) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.

47

aa) Das Bundesverwaltungsgericht geht im Kern davon aus, dass die vom Beklagten erhobene Umlage allein zur Finanzierung der Beseitigung von Material der Kategorien 1 und 2 verwendet wurde. Insoweit ordnet es die Beseitigung als hoheitliche Aufgabe ein, die dem Markt entzogen sei. Daher könne die Umlage nicht der Finanzierung der wirtschaftlichen Betätigung des Beklagten hinsichtlich des Materials der Kategorie 3 dienen. Zur Untermauerung der Annahme, die Umlage finanziere nur die gemeinwirtschaftlichen Pflichtaufgaben des Beklagten, führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass diese Aufgaben schon technisch klar von der sonstigen wirtschaftlichen Betätigung des Beklagten geschieden seien. Ferner könne nicht angenommen werden, dass Kapazitäten, die nicht für die Beseitigung von Material der Kategorien 1 und 2 benötigt würden, außerhalb von Spitzenbelastungszeiten zweckwidrig für die wirtschaftliche Betätigung des Beklagten im Bereich des Materials der Kategorie 3 genutzt würden, da die Beschwerdeführerinnen dies nicht geltend gemacht hätten. Insofern fehle es an einer Gemengelage von gemein- und marktwirtschaftlicher Betätigung.

48

bb) Diese Annahmen übergehen Kernvorbringen der Beschwerdeführerinnen. Diese haben während des gerichtlichen Verfahrens mehrfach vorgetragen, dass gebietsfremdes Material der Kategorien 1 und 2 und Material der Kategorie 3 zusammen mit gebietseigenem Material der Kategorien 1 und 2 verarbeitet werde - unter Nutzung der vom Beklagten vorgehaltenen Kapazitäten.

49

Im Einzelnen haben die Beschwerdeführerinnen vorgetragen, dass die vom Beklagten vorgehaltene Verarbeitungskapazität weit über dem liege, was zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben notwendig sei. Diese Überkapazität würde durch die Umlage finanziert und habe es dem Beklagten ermöglicht, Material der Kategorie 3 ohne Mehrkosten mit zu entsorgen. Zugleich versetzten ihn die Überkapazitäten in die Lage, seine Dienste auch außerhalb seines Einzugsbereichs anzubieten und hierbei die Preise seiner privaten Mitbewerber zu unterbieten. Die ungenutzten Kapazitäten hätten es dem Beklagten unter anderem ermöglicht, am Vergabewettbewerb in Hessen erfolgreich teilzunehmen. Der Beklagte nutze beihilfefinanzierte Verarbeitungskapazitäten mit anderen Worten dazu, unter bevorzugten Bedingungen am Wettbewerb teilzunehmen. Dazu benötige er weder zusätzliches Personal noch zusätzliche Transportkapazitäten oder zusätzliche Mittel. Die Nutzung der umlagefinanzierten Kapazitäten für die marktwirtschaftliche Betätigung sei vielmehr allein deshalb möglich, weil die Anlagen unausgelastet seien.

50

Die Annahmen des Bundesverwaltungsgerichts, die Reservekapazität bleibe ungenutzt und werde insbesondere nicht für die Verarbeitung von Material der Kategorie 3 eingesetzt sowie, dass die Beschwerdeführerinnen Gegenteiliges nicht vorgetragen hätten, lassen sich nur dadurch erklären, dass das Gericht den entsprechenden Vortrag der Beschwerdeführerinnen nicht zur Kenntnis genommen hat.

51

cc) Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, dass die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene technische Trennung der Beseitigung der verschiedenen Materialien in den tatsächlichen Feststellungen der Urteile des Verwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts nicht nur keine Grundlage findet, sondern dass das Oberverwaltungsgericht - im Gegenteil - festgestellt hat, dass die Umlage gerade nicht nur zur Finanzierung der Beseitigung der Materialien der Kategorien 1 und 2 erhoben werde, sondern auch zur Finanzierung der Beseitigung des Materials der Kategorie 3.

52

Das gilt auch für die Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen der Europäischen Kommission im Eröffnungsbeschluss vom 20. Juli 2010 fehlinterpretiert und geradezu in ihr Gegenteil verkehrt hat. Die Europäische Kommission hat insoweit festgestellt, dass ungenutzte Kapazitäten bestanden, die aus einer betriebswirtschaftlichen Fehlentscheidung resultierten und dazu verwendet werden konnten, außerhalb des satzungsmäßigen Aufgabenbereichs in verzerrender Weise am Wettbewerb teilzunehmen. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, die Überkapazitäten würden nach den Feststellungen der Kommission überhaupt nicht genutzt, sodass gebietsfremdes Material und solches der Kategorie 3 denknotwendig anderweitig entsorgt werden müssten, entbehrt jeder Grundlage.

53

dd) Diese Verletzung rechtlichen Gehörs wird durch den auf die Anhörungsrüge ergangenen Beschluss vom 9. Juni 2011 in rechtlich selbständig tragender Weise noch verstärkt.

54

Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, es sei wegen des unterschiedlichen Gefahrenpotentials der Materialien der verschiedenen Kategorien selbstverständlich, dass diese getrennt verarbeitet würden. Daher handele es sich bei der Annahme, die Umlage finanziere ausschließlich die Pflichtaufgaben, lediglich um eine Bewertung, die von den Beschwerdeführerinnen nicht geteilt werde. Indem das Bundesverwaltungsgericht Tatsachenvortrag als eine bloße Bewertung einschätzt, verletzt es erneut das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

55

Eine weitere selbständige Verletzung dieses Rechts liegt in der Annahme, die Behauptung der Beschwerdeführerinnen, freie Kapazitäten würden zur wirtschaftlichen Betätigung genutzt, habe allein die Verarbeitung gebietsfremden Materials der Kategorien 1 und 2 betroffen. Bereits im ersten vom Bundesverwaltungsgericht insoweit angeführten Schriftsatz der Beschwerdeführerinnen tragen diese vor, der Beklagte entsorge zur Auslastung seiner Überkapazitäten und damit kostenlos auch Material der Kategorie 3.

56

3. Es bedarf nach alledem keiner Entscheidung, ob die angegriffenen Entscheidungen weitere Rechte der Beschwerdeführerinnen verletzen. Insbesondere kann offen bleiben, ob das Bundesverwaltungsgericht das Recht der Beschwerdeführerinnen aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt hat, dass es keine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingeholt hat.

57

4. Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, da dies zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

58

Die Annahme ist zur Durchsetzung der verfassungsgemäßen Rechte angezeigt, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existenzieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten.

59

Im vorliegenden Fall haben die festgestellten Verletzungen besonderes Gewicht, da die angegriffenen Entscheidungen die aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen deutlich verfehlen. Sie verkennen das Rechtsschutzziel der Beschwerdeführerinnen, indem sie davon ausgehen, die erhobene Klage sei nicht auf die Anfechtung der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Verwaltungsakte gerichtet. Ferner übergehen die Entscheidungen nicht nur Einzelheiten des Tatsachenvortrags der Beschwerdeführerinnen. Sie ignorieren vielmehr den Kern und Auslöser des Rechtsstreits - die Subventionierung der Marktteilnahme des Beklagten insbesondere hinsichtlich des Materials der Kategorie 3 - und korrigieren dies auch auf eine entsprechende Rüge hin nicht.

IV.

60

Die Entscheidungen sind aufzuheben. Die Sache ist an das Bundesverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

61

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

1. Das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 21. Januar 2013 - 509 C 11880/12 - und der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 27. Februar 2013 - 509 C 11880/12 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten aus Artikel 103 Absatz 1 und aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hannover zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine zivilrechtliche Auseinandersetzung über die Rückzahlung eines Bearbeitungsentgelts, das im Zusammenhang mit der Gewährung eines Verbraucherdarlehens von einer Bank erhoben wurde.

2

Die Beschwerdeführerin, Klägerin des Ausgangsverfahrens, nahm bei der beklagten Bank ein zu verzinsendes Verbraucherdarlehen in Höhe von 10.000 € auf, für das die Bank neben der Verzinsung ein Bearbeitungsentgelt in Höhe von 300 €, mithin 3 % des Nettokreditbetrages erhob. Nachdem die Beschwerdeführerin, die die Erhebung eines einmaligen Bearbeitungsentgelts als unzulässig ansah, die Bank ergebnislos zu dessen Rückzahlung aufgefordert und der Ombudsmann der privaten Banken wegen der grundsätzlichen Bedeutung der sich stellenden Rechtsfrage von einer Schlichtung abgesehen hatte, erhob sie Klage zum Amtsgericht. Sie stützte ihre Forderung auf die Unwirksamkeit der das Bearbeitungsentgelt vorsehenden Klausel und bezog sich auf mehrere obergerichtliche Entscheidungen, die ein formularmäßig erhobenes Bearbeitungsentgelt neben dem vertraglichen Darlehenszins als unangemessene Benachteiligung des Bankkunden und daher als geschäftsbedingungsrechtlich unwirksam eingestuft hätten.

3

Das Amtsgericht beschloss, den Rechtsstreit gemäß § 495a ZPO im schriftlichen Verfahren zu betreiben; der beklagten Bank gab es auf, innerhalb von zwei Wochen auf die Klage schriftlich zu erwidern. Nach Eingang der Klageerwiderung verfügte das Amtsgericht am 21. Dezember 2012 die formlose Übermittlung einer Durchschrift an die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin "zur evtl. Stellungnahme binnen 3 Wochen"; ausweislich eines Vermerks der Serviceeinheit des Amtsgerichts wurde die Verfügung noch am selben Tag ausgeführt. Am 21. Januar 2013 entschied das Amtsgericht ohne mündliche Verhandlung im Verfahren gemäß § 495a ZPO unter Hinweis auf eine "Erklärungsfrist bis zum 17.01.2013" mit dem von der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil auf Klageabweisung, ohne die Berufung zuzulassen. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, dass Verträge zu halten seien. Die Beschwerdeführerin habe aufgrund der "wesentlichen und vereinbarten Vertragsleistungen" gewusst, dass sie im Gegenzug für die Darlehensgewährung eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 300 € und zudem Zinsen zu zahlen habe. Rechtliche Gesichtspunkte wie Übervorteilung, arglistige Täuschung oder Sittenwidrigkeit, die die "nicht in einer allgemeinen Geschäftsbedingung" stehende Vereinbarung unwirksam erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich. Am 22. Januar 2013 ging bei der Serviceeinheit der zuständigen Abteilung des Amtsgerichts die am 21. Januar 2013 an die elektronische Posteingangsstelle/Telefaxannahmestelle des Amtsgerichts übermittelte Replik der Beschwerdeführerin per Fax ein, in der unter Hinweis auf den Preisaushang und eine als Anlage beigefügte Produktinformation der beklagten Bank ausgeführt wurde, dass es sich bei der Entgeltvereinbarung um eine von der Bank gestellte allgemeine Geschäftsbedingung handle, die unwirksam sei.

4

Die Beschwerdeführerin erhob fristgerecht Gehörsrüge (gemäß § 321a ZPO) gegen das Urteil. Sie machte geltend, es sei unklar, ob das Gericht die am 21. Januar 2013 gefaxte Replik überhaupt berücksichtigt habe, weil das Urteil am selben Tag ergangen sei. Auch sei die im Urteil genannte Erklärungsfrist unzutreffend, weil die Klageerwiderung ihren Prozessbevollmächtigten erst am 2. Januar 2013 ohne Empfangsbekenntnis zur Stellungnahme binnen drei Wochen zugegangen und demzufolge die Stellungnahmefrist bei Erlass des Urteils noch nicht abgelaufen gewesen sei. Im Übrigen warf die Beschwerdeführerin dem Amtsgericht vor, ihr Klagevorbringen nicht berücksichtigt und unangekündigt eine der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung zuwiderlaufende Überraschungsentscheidung getroffen zu haben, ohne die Berufung zuzulassen.

5

Das Amtsgericht wies die Gehörsrüge zurück. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liege nicht vor, weil dem Urteil ausschließlich eine andere Rechtsauffassung als die der Klägerin zugrunde liege.

II.

6

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil und den die Gehörsrüge zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts. Sie rügt eine Verletzung sowohl von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot als auch ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Die Urteilsbegründung, die sich nicht mit der Unwirksamkeit der das Bearbeitungsentgelt vorsehenden Klausel befasse, dokumentiere, dass das Amtsgericht das Klagevorbringen ignoriert und es sich mit der entgegenstehenden obergerichtlichen Rechtsprechung nicht befasst habe. Das missachte ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und verstoße zugleich gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes und gegen das Willkürverbot. Darüber hinaus habe das Amtsgericht, indem es die Berufung nicht zugelassen habe, ihr den Zugang zum gesetzlichen Richter verwehrt.

III.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist dem Justizministerium des Landes Niedersachsen und der im Ausgangsverfahren beklagten Bank zugestellt worden. Beide haben von einer Stellungnahme abgesehen.

IV.

8

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen. Ihr ist durch die Kammer stattzugeben, weil sie unter Berücksichtigung der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 103 Abs. 1 GG und zu Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG offensichtlich begründet ist (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

9

1. Die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG, weil es die Sache vor Ablauf einer von ihm gesetzten Frist zur Replik entschieden, infolgedessen den noch fristgerecht eingegangenen replizierenden Schriftsatz der Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt und den darin liegenden Gehörsverstoß auch auf Gehörsrüge hin nicht geheilt hat.

10

a) Die Gewährung rechtlichen Gehörs setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass das Gericht die Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht (BVerfGE 47, 182 <187 f.>; 49, 212 <215>; stRspr).

11

Maßgebend ist dabei der Gedanke, dass die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit haben müssen, durch einen sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (BVerfGE 22, 114 <119>; 49, 212 <215>; 89, 28 <35>; 101, 106 <129>). Daher muss die Gelegenheit zur Äußerung grundsätzlich zu jedem dem Gericht unterbreiteten Vortrag der Gegenseite eingeräumt werden, soweit er für die Entscheidung erheblich ist (BVerfGE 19, 32 <36>; 49, 325 <328>; 89, 381 <392>; 101, 106 <129>). Das Gericht darf nur solche Tatsachen verwerten, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten vorher äußern konnten (BVerfGE 70, 180 <189>; 101, 106 <129>). Dementsprechend ist der Anspruch einer Verfahrenspartei auf rechtliches Gehör verletzt, wenn das Gericht zu ihrem Nachteil eine Entscheidung trifft, ohne eine dieser Partei zuvor selbst gesetzte Äußerungsfrist abzuwarten (BVerfGE 12, 110 <113>; 18, 380 <384>; 42, 243 <247>; 49, 212 <215>). In einem solchen Fall setzt sich das Gericht außer Stande, entsprechend dem durch Art. 103 Abs. 1 GG statuierten Gebot jeden Schriftsatz, der innerhalb einer gesetzlichen oder richterlich bestimmten Frist bei Gericht eingeht, bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 70, 215 <218>; stRspr).

12

In diesem Zusammenhang erwächst dem Gericht aus Art. 103 Abs. 1 GG ferner die Pflicht, vor dem Erlass seiner Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten das rechtliche Gehör auch tatsächlich gewährt wurde (BVerfGE 36, 85<88>; 50, 280 <285 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. März 2006 - 2 BvR 1104/05 -, NJW 2006, S. 2248 <2249>). Insbesondere dann, wenn dem Gebot des Art. 103 Abs. 1 GG durch die Übersendung von Schriftsätzen genügt werden soll, hat das Gericht - etwa durch förmliche Zustellung oder durch Beifügen einer rückgabepflichtigen Empfangsbescheinigung - zu überwachen, ob die Verfahrensbeteiligten in ihren Besitz gelangt sind (BVerfGE 36, 85<88>; 42, 243 <246>; 50, 280 <285 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. März 2006 - 2 BvR 1104/05 -, NJW 2006, S. 2248 <2249>); eine Vermutung für den Zugang einer formlos übersandten Mitteilung gibt es nicht (BVerfGE 36, 85 <88 f.>; 42, 243 <246>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2013 - 2 BvR 1960/12 -, NJW 2013, S. 2658).

13

Diese dem Gericht obliegende Überwachungspflicht gilt auch, wenn sich der Lauf der einer Partei zur Äußerung gesetzten Frist vom Zugang des Schriftstücks an bemisst, in dem die Mitteilung der Äußerungsfrist enthalten ist. Nur wenn der Zeitpunkt des Zugangs festgestellt ist, kann das Ende der Frist ermittelt und zugleich sichergestellt werden, dass das Gericht eine Entscheidung nicht vor Ablauf der von ihm selbst gesetzten Frist erlässt. Erst hierdurch wird gewährleistet, dass die Partei die ihr zur Wahrnehmung ihres rechtlichen Gehörs eingeräumte Äußerungsfrist effektiv ausschöpfen kann.

14

b) Mit diesen Grundsätzen stehen die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts nicht im Einklang.

15

(1) Das klageabweisende Urteil erging am 21. Januar 2013 und damit - wie sich nachträglich zeigte - vor Ablauf der vom Amtsgericht selbst gesetzten Frist zur Replik sowie ohne Berücksichtigung derselben.

16

Das Amtsgericht hat im Ausgangspunkt nicht verkannt, dass es verpflichtet war, der Beschwerdeführerin nach Eingang der Klageerwiderung rechtliches Gehör zu gewähren. Das dokumentiert die Verfügung vom 21. Dezember 2012, durch die es der Beschwerdeführerin eine Frist von drei Wochen zur Stellungnahme zu der Klageerwiderung eingeräumt hat. Der Lauf dieser Frist begann frühestens am Mittwoch, dem 2. Januar 2013. Denn an diesem Tag ist die Klageerwiderung nebst Mitteilung der Äußerungsfrist den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugegangen (vgl. zum Fristbeginn § 221 ZPO). Dies ergibt sich aus dem Vorbringen in der Gehörsrüge, das aufgrund des fehlenden Nachweises des Zugangszeitpunktes und mangels diesbezüglicher Feststellungen durch das Amtsgericht sowie gegenteiliger Erkenntnisse aus der beigezogenen Gerichtsakte bei der Prüfung der Verfassungsbeschwerde zugrunde zu legen ist. Die Angaben zum Zugangszeitpunkt der richterlichen Verfügung mit der Fristsetzung erscheinen zudem im Blick auf die dazwischenliegenden Feiertage plausibel.

17

Demnach hat das Amtsgericht am 21. Januar 2013 über die Klage entschieden, ohne die erst mit Ablauf des 23. Januar 2013 endende Frist abzuwarten und ohne die am 22. Januar 2013 - mithin fristgerecht - bei der Serviceeinheit eingegangene Replik der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen.

18

Die vom Amtsgericht in seinem Urteil ohne Begründung genannte "Erklärungsfrist bis zum 17.01.2013" führt zu keiner abweichenden Bewertung. Die suggerierte Setzung einer kalendarisch bestimmten Äußerungsfrist bis zum 17. Januar 2013 lässt sich der Gerichtsakte nicht entnehmen; ausweislich der richterlichen Verfügung vom 21. Dezember 2012 wurde vielmehr eine Äußerungsfrist von "3 Wochen" gesetzt, deren Lauf den Zugang bei den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin voraussetzte. Ein Nachweis für den Zugang der Klageerwiderung nebst Fristmitteilung bei den Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 27. Dezember 2012, den die im Urteil genannte Äußerungsfrist voraussetzt, fehlt aufgrund der verfügten formlosen Übersendung. Der Gerichtsakte lässt sich nicht entnehmen, dass die Klageerwiderung vor dem 27. Dezember 2012 in den externen Postlauf gelangt ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich der vom Amtsgericht ohne tragfähige Grundlage unterstellte Zugang am 27. Dezember 2012 als unhaltbar.

19

(2) Dieser Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt sich fort in dem Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Gehörsrüge der Beschwerdeführerin zurückwies. Das Amtsgericht hat dort den Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Nichteinhaltung der von ihm selbst für die Replik gesetzten Frist, die erst mit dem Zugang der Klageerwiderung bei den Prozessbevollmächtigten am 2. Januar 2013 begonnen habe, unberücksichtigt gelassen. Aufgrund dieses unter Beweis gestellten Vorbringens hätte sich dem Amtsgericht jedoch die Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geradezu aufdrängen müssen. Die Anhörungsrüge ist vom Gesetzgeber gerade für Fälle wie den vorliegenden geschaffen worden. Deshalb hätte das Amtsgericht dem Gehörsverstoß durch Fortführung des Verfahrens nach § 321a Abs. 5 ZPO abhelfen müssen.

20

2. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen überdies gegen die Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil sich das Amtsgericht durch die Nichtberücksichtigung des Vorbringens in der Replik außer Stande gesetzt hat, die Berufung zuzulassen und damit die maßgebliche verfahrensrechtliche Vorschrift in unhaltbarer Weise gehandhabt hat.

21

a) Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung ist vorrangig das Rechtsstaatsprinzip, aus dem für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes abzuleiten ist (vgl. BVerfGE 54, 77 <291>; 80, 103 <107>; 85, 337 <345>; stRspr). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 69, 381 <385>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 104, 220 <232>; 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar sind eine den Zugang zur Berufung erschwerende Auslegung und Anwendung des hier einschlägigen § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen sind, sich damit als objektiv willkürlich erweisen und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränken (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, NJW 2009, S. 572 <573>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. April 2010 - 1 BvR 1991/09 -, GRUR 2010, S. 1333; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juni 2012 - 1 BvR 2952/08 -, WM 2013, S. 15 f.). Von objektiver Willkür ist dabei insbesondere dann auszugehen, wenn das Gericht ohne Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder deren Inhalt bei Auslegung und Anwendung in krasser Weise missdeutet (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).

22

b) Dies ist hier bei der unterlassenen Anwendung des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO der Fall.

23

(1) Nach Variante 3 dieser Vorschrift lässt das Gericht des ersten Rechtszugs - bei Streitwerten bis 600 € - die Berufung unter anderem zu, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Damit soll ausweislich der Gesetzesmaterialien vermieden werden, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 93 <104>). Von solchen Unterschieden ist bei Abweichung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage insbesondere dann auszugehen, wenn die Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung ist, weil sie in einer Mehrzahl von Fällen auftreten kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 2004 - 1 BvR 172/04 -, NJW 2004, S. 2584 <2585> m.w.N.). Die willkürliche Nichtzulassung der Berufung in solchen Fällen verletzt Grundrechte der im Ausgangsverfahren unterliegenden Partei (vgl. BVerfGK 12, 298 <301 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 26. Mai 2004 - 1 BvR 172/04 -, NJW 2004, S. 2584 [jeweils Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG]; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 - 1 BvR 2524/06 -, NVwZ 2009, S. 515 <516>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, S. 1062 <1063> Rn. 13 ff. [jeweils Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG im Verwaltungsrechtsstreit]; BVerfGK 2, 202 <204> [Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch willkürliche Nichtzulassung der Revision]; vgl. auch BerlVerfGH, Beschluss vom 1. April 2008 - VerfGH 203/06 -, NJW 2008, S. 3420 [Verletzung der mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG übereinstimmenden Vorschrift der Landesverfassung]).

24

Diese Rechtslage hat das Amtsgericht verkannt. Es hat nicht nur sein Urteil vor Ablauf der von ihm selbst gesetzten Replikfrist sowie ohne Berücksichtigung der fristgerecht eingegangenen Replik und somit unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG erlassen. Es hat sich hiermit zugleich auch - fortgesetzt durch seinen die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin formularmäßig zurückweisenden Beschluss - in Widerspruch zu einer im Entscheidungspunkt gegebenen und von der Beschwerdeführerin in der Klageschrift angeführten einhelligen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung gesetzt. Das Amtsgericht hat - ohne nachvollziehbare und tragfähige Begründung - die das Bearbeitungsentgelt vorsehende vertragliche Bestimmung nicht als allgemeine Geschäftsbedingung eingeordnet, ungeachtet einer mit der Replik vorgelegten Produktinformation der Bank. Darin war unter der Rubrik "Kosten" ein "Bearbeitungsentgelt" in der - auch tatsächlich berechneten - Höhe von 3 % des Nettokreditbetrags ausgewiesen. In diesem Zusammenhang hatte die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass das Bearbeitungsentgelt auf der Grundlage des Preisaushangs und dieser Produktinformation der Bank erhoben worden sei. Damit ist das Amtsgericht von einer im Zeitpunkt seiner Entscheidungen einhelligen oberlandesgerichtlichen Auffassung abgewichen, derzufolge entsprechende Bearbeitungsentgelte, die in einem Preis- und Leistungsverzeichnis, in einem Preisaushang oder sonstigen Geschäftsbedingungen vorgesehen sind, als Geschäftsbedingungen einzuordnen sind (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 4. August 2010 - 3 U 78/10 -, WM 2010, S. 2072 f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 4 U 174/10 -, MDR 2011, S. 1125; OLG Düsseldorf, Urteil vom 24. Februar 2011 - I-6 U 162/10 -, juris Rn. 10 f.; OLG Hamm, Urteil vom 11. April 2011 - 31 U 192/10 -, juris Rn. 10 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 3. Mai 2011 - 17 U 192/10 -, WM 2011, S. 1366; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 27. Juli 2011 - 17 U 59/11 -, juris; OLG Dresden, Urteil vom 29. September 2011 - 8 U 562/11 -, WM 2011, S. 2320 f.; OLG Celle, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 3 W 86/11 -, WM 2011, S. 2323 f. [Berichtigung WM 2012, S. 191]; OLG Hamm, Urteil vom 17. September 2012 - I-31 U 60/12 -, juris).

25

(2) Hinzu kommt, dass die entscheidungserheblichen Rechtsfragen - die Einordnung eines Bearbeitungsentgelts als allgemeine Geschäftsbedingung, gegebenenfalls deren Kontrollfähigkeit im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB und, bejahendenfalls, die Frage nach ihrer AGB-rechtlichen Wirksamkeit -, die eine Vielzahl von Zivilrechtsstreitigkeiten der hier fraglichen Art betreffen, höchstrichterlich noch nicht geklärt sind (vgl. nur LG Bonn, Urteil vom 16. April 2013 - 8 S 293/12 -, juris; LG Berlin, Urteil vom 4. Juni 2013 - 10 S 2/13 -, ZIP 2013, S. 1613 ff.; LG Stuttgart, Urteil vom 20. September 2013 - 4 S 67/13 -, juris; LG Stuttgart, Urteile vom 23. Oktober 2013 - 13 S 65/13 bzw. 13 S 108/13 -, juris; AG Bonn, Urteil vom 30. Oktober 2012 - 108 C 271/12 -, juris; AG Mannheim, Urteil vom 1. Februar 2013 - 3 C 465/12 -, juris; AG Marienberg, Urteil vom 5. Februar 2013 - 4 C 63/13 -, juris; AG Köln, Urteil vom 13. März 2013 - 136 C 600/12 -, juris; AG Stuttgart, Urteil vom 20. März 2013 - 1 C 39/13 -, juris; AG Bonn, Urteil vom 5. April 2013 - 105 C 8/13 -, juris; AG Gelsenkirchen-Buer, Urteil vom 14. Mai 2013 - 23 C 41/13 -, juris; AG München, Urteil vom 16. Mai 2013 - 282 C 1718/13 -, WM 2013, S. 1946 f.; AG Düsseldorf, Urteil vom 24. Mai 2013 - 35 C 15807/12 -, WM 2013, S. 1944 ff.; AG Bonn, Urteil vom 13. Juni 2013 - 102 C 262/12 -, BKR 2013, S. 423 ff.; AG Gießen, Urteil vom 25. Juni 2013 - 47 C 46/13 -, juris; AG Halle (Saale), Urteil vom 25. Juli 2013 - 93 C 137/13 -, juris; AG München, Urteil vom 29. Juli 2013 - 231 C 6023/13 -, WM 2013, S. 1947 f.; AG Hamburg, Urteil vom 31. Juli 2013 - 8a C 406/12 -, juris; AG Bad Urach, Urteil vom 2. August 2013 - 1 C 310/13 -, juris; siehe auch die Nachweise zu der in weiten Teilen nicht veröffentlichten instanzgerichtlichen Rechtsprechung bei Billing, WM 2013, S. 1777 <1778 in Fn. 14 und 15> und bei Schmieder, WM 2012, S. 2358 in Fn. 5).

26

Es fügt sich in das Gesamtbild, dass der vor Klageerhebung angerufene Ombudsmann der privaten Banken sich ausweislich seiner mit der Klageschrift vorgelegten Mitteilung vom 26. Februar 2012 veranlasst gesehen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfragen von der Durchführung einer Schlichtung abzusehen. Dieser Standpunkt wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung geteilt und hat - nach Erlass der von der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts - in zwei Fällen wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof geführt (vgl. LG Bonn, Urteil vom 16. April 2013 - 8 S 293/12 -, juris Rn. 57 [Revision anhängig unter dem Az. XI ZR 170/13]; LG Stuttgart, Urteil vom 20. September 2013 - 4 S 67/13 -, juris Rn. 62 f. [Revision anhängig unter dem Az. XI ZR 373/13]).

27

(3) Es stand dem Amtsgericht frei, wie geschehen zu entscheiden. Es hätte dann allerdings auf die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin das Verfahren fortführen und - von Amts wegen (vgl. Ball, in: Musielak, ZPO, 10. Aufl., § 511 Rn. 42; Heßler, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 511 Rn. 39) - nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung (Nr. 1 Var. 1) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Nr. 1 Var. 3) die Berufung zulassen müssen.

28

3. Das die Klage abweisende Urteil und der die Gehörsrüge zurückweisende Beschluss beruhen hiernach auf einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör sowie des Justizgewährungsanspruchs. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Berücksichtigung des replizierenden - teilweise neuen und vertieften - Sachvortrags insbesondere zu der Frage, ob es sich bei der ein Bearbeitungsentgelt vorsehenden Vertragsbestimmung um eine allgemeine Geschäftsbedingung handelt, zu einer anderen, der Beschwerdeführerin günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerfGE 7, 239 <241>; 18, 147 <150>; 112, 185 <206>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2013 - 2 BvR 1960/12 -, NJW 2013, S. 2658; stRspr).

29

4. Unter diesen Umständen liegen auch die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung vor; die Annahme ist zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b, § 93b Satz 1, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Den aufgezeigten Grundrechtsverstößen kommt besonderes Gewicht zu. Sie beruhen auf einer groben Verkennung des durch die Verfassung gewährten Schutzes, auf einem leichtfertigen Umgang mit den grundrechtlich geschützten Positionen und verletzen damit in krasser Form rechtsstaatliche Grundsätze (BVerfGE 90, 22 <25>).

30

Vor diesem Hintergrund bedürfen die weiteren von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen einer Verletzung ihres Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und eines Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) keiner Entscheidung.

V.

31

Die Anordnung der Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.