Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2015 - 15 ZB 14.2115
vorgehend
Tenor
I.
Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
II.
Von den Kosten des Zulassungsverfahrens haben die Kläger zu 1 und 2 (Au 4 K 14.83) als Gesamtschuldner, der Kläger zu 3 (Au 4 K 14.84), die Klägerin zu 4 (Au 4 K 14.86), die Klägerin zu 5 (Au 4 K 14.87) und der Kläger zu 6 ( Au 4 K 14.88) jeweils ein Fünftel einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 18.750 Euro (Gesamtstreitwert) festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2015 - 15 ZB 14.2115
Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2015 - 15 ZB 14.2115
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. Okt. 2015 - 15 ZB 14.2115 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.
(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger begehrt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Hähnchenmast ohne die Auflage, zur Minderung der Emission von Bioaerosolen eine Abluftbehandlungsanlage zu betreiben.
- 2
-
Der Beklagte erteilte dem Kläger auf der Grundlage des Bundes-Immissionsschutzgesetzes mit Bescheid vom 31. Mai 2012 die Genehmigung, auf dem Flurstück ..., Flur ... der Gemarkung W. eine Anlage zur Aufzucht und zum Halten von Mastgeflügel zu errichten und betreiben. Die inzwischen errichtete Anlage besteht u.a. aus zwei Hähnchenmastställen mit insgesamt 84 900 Plätzen. Etwa 250 m nordwestlich der Anlage befindet sich das Wohnhaus des Nachbarn A. Die Genehmigung wurde zur "Vorsorge nach TA-Luft" mit folgender Auflage verbunden:
-
"36A
-
Nach Maßgaben der TA-Luft (2002), Nr. 5.4. 7.1 (Keime) und der VDI-Richtlinie 4250 E sind aus Gründen der Vorsorge über die Hintergrundbelastung hinaus erhöhte Bioaerosol-Konzentrationen durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zu vermindern. Insofern dürfen auf den im 500 m Radius liegenden Wohngrundstücken keine Zusatzbelastungen durch Bioaerosole (luftgetragene Partikel biologischer Herkunft wie Pilze, Bakterien, Viren sowie ihre Stoffwechselprodukte und Zellwandbestandteile wie Endotoxine) entstehen. Daher sind die geplanten Hähnchenmastställe jeweils mit von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) zertifizierten Abluftbehandlungsanlagen (z.B. MagixX-B, DLG Prüfbericht 5952) zu betreiben, die Stäube um mindestens 70% reduzieren bzw. durch gleichwertige Abluftbehandlungsanlagen, bei denen vor dem Einbau die Staubreduzierung von mindestens 70% dem Landkreis Oldenburg durch eine bekanntgegebene Messstelle nach § 26 BlmSchG nachzuweisen ist."
- 3
-
Weitere Auflagen regeln die Betriebsbereitschaft der Abluftbehandlungsanlage (37 A), die Antragsunterlagen für diese Anlage (38 A) und die Bauausführung (39 A).
- 4
-
Auf die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht O. mit Urteil vom 6. Februar 2013 (NdsVBl. 2013, 173; juris) den Bescheid vom 31. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2012 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die beantragte Genehmigung ohne die Auflagen Nr. 36 A bis 39 A zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
- 5
-
Die Klage sei als Verpflichtungsklage zulässig. Die Beteiligten hätten zu Recht angenommen, dass es sich bei den streitigen Nebenbestimmungen um sogenannte modifizierende Auflagen handele. Die Klage sei auch begründet. Zwar lägen die Voraussetzungen für die Anordnung von Vorsorgemaßnahmen im Rahmen eines vorbeugenden Gefahrenschutzes gegenüber Risiken aus der Ausbreitung von Bioaerosolen durch den Betrieb der beantragten Hähnchenmastställe vor, soweit mit der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts hinreichende Gründe für die Annahme zu bejahen seien, dass Bioaerosole möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führten. Hier sei es möglich, aber nicht geklärt, ob es durch die Hähnchenmastställe zu einer Erhöhung von Immissionskonzentrationen gegenüber den Hintergrundwerten kommen würde und davon sich nicht nur vorübergehend aufhaltende Personen betroffen wären. Der Beklagte gehe davon aus, dass aufgrund der fehlenden standardisierten Mess- und Detektionsverfahren für Bioaerosole aus Tierhaltungsanlagen weder die Vorbelastung noch die Zusatzbelastung auch nur annähernd sicher prognostiziert werden könnten und dass eine der Hintergrundbelastung entsprechende Luftkontamination nur bei Einhaltung einer genügenden Entfernung von Wohnbebauung zu Tierställen - hier 500 m - erreicht werden könne. Dem könne in dieser pauschalen Betrachtungsweise nicht gefolgt werden. Der Entwurf der VDI-Richtlinie 4250 sehe bei geringer Entfernung eine Ausbreitungsrechnung, eine Ermittlung der Zusatzbelastung und eine Messung der Hintergrundkonzentration vor; der Entwurf eines Erlasses niedersächsischer Ministerien zur Durchführung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren verlange die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
- 6
-
Unabhängig davon seien die Anordnungen unverhältnismäßig. Der Beklagte habe nicht hinreichend begründet, dass die voraussichtlichen Mehrkosten für den Kläger in einem angemessenen Verhältnis zur angestrebten Risikominimierung stünden. Maßgeblich hierfür sei zunächst, dass Vorsorge nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG insbesondere, also vorrangig durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen getroffen werden solle. Es sei nicht davon auszugehen, dass die vom Beklagten geforderte, von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) zertifizierte Abluftbehandlungsanlage dem Stand der Technik entspreche. Weiter habe der Beklagte nicht dargelegt, dass die Ställe auch bei Installation und Betrieb der Abluftreinigungsanlagen wirtschaftlich betrieben werden könnten. Der Beklagte habe auch im Übrigen keine tragfähige Abwägungsentscheidung getroffen. Seine pauschale Argumentation, das private Interesse des Klägers müsse hinter dem hohen Gut der menschlichen Gesundheit zurücktreten, genüge nicht. Ausgehend von den Unsicherheiten in Bezug auf den Gefahrenverdacht könne dieses Gut nicht mit seinem gesamten Gewicht in die anzustellende - und hier fehlende - Prüfung der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen eingestellt werden.
- 7
-
Der Beklagte hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt. Er macht zur Begründung geltend: Das Verwaltungsgericht habe den Grundsatz der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG verletzt. Er habe keineswegs eine "pauschale Betrachtungsweise" angestellt, sondern auf der Grundlage der vorliegenden Forschungsergebnisse angenommen, dass bei Geflügel erst mit einer Entfernung von 500 m eine Erhöhung der Bioaerosol-Immissionen vermieden werden könne. Vorsorgepflichten seien nicht auf eine Begrenzung der Emissionen nach dem Stand der Technik begrenzt; sie könnten - wie etwa bei den Abstandsvorschriften der TA Luft - auch raumbezogen an der Begrenzung von Immissionen ansetzen und dadurch eine Sicherheitszone unterhalb der Gefahrenschwelle gewährleisten.
- 8
-
Die von der DLG zertifizierte Abluftbehandlungsanlage entspreche dem Stand der Technik. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts führe dazu, dass die Anforderungen an den Stand der Technik nicht mehr zu erreichen seien. Selbst wenn die Kosten ein Viertel der Herstellungskosten der Gesamtanlage erreichen sollten, sei dies im Hinblick auf das hohe Gut der menschlichen Gesundheit nicht unverhältnismäßig.
- 9
-
Der Beklagte beantragt,
-
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts O. vom 6. Februar 2013 die Klage abzuweisen.
- 10
-
Der Kläger beantragt,
-
die Revision zurückzuweisen.
- 11
-
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Dem Urteil sei im Übrigen nicht zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht die Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur möglichen Schädlichkeit von Bioaerosolen teile. Für die Bejahung eines Gefahrenverdachts fehle eine wissenschaftlich tragfähige Basis.
- 12
-
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren. Er legt dar, dass die Abluftreinigung ein geeignetes Verfahren sei, um die Emissionen von Bioaerosolen zu reduzieren. Abluftreinigungsanlagen könnten Partikelemissionen um bis zu 70 % mindern; die angelagerten Bioaerosole würden in gleichem Umfang gemindert. Der Einsatz von Abluftreinigungsanlagen befinde sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene im Umbruch. Seit Erlass der TA Luft 2002 habe sich der Stand der Technik fortentwickelt. Im Bereich der großen Geflügelmast werde noch geprüft, ob Abluftreinigungsanlagen derzeit schon dem Stand der Technik entsprächen; die Entwicklungen deuteten aber in diese Richtung. Dass sie technisch machbar seien, stehe außer Frage. Die Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz habe einen Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Bioaerosol-Immissionen (Stand 31. Januar 2014 - im Folgenden: Leitfaden) erarbeitet. Der Leitfaden verfolge das Ziel, eine bundesweit einheitliche, standardisierte Methodik zur Ermittlung und Bewertung von Bioaerosol-Belastungen insbesondere für diejenigen genehmigungsbedürftigen Anlagen zu entwickeln, für die hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, dass der Schutz der menschlichen Gesundheit vor Bioaerosol-Belastungen nicht immer gewährleistet ist.
Entscheidungsgründe
- 13
-
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei der Geflügelmast sei ein Anlass für eine Abluftbehandlung aus Vorsorgegründen nicht schon dann gegeben, wenn der Abstand der Anlage zur nächsten Wohnbebauung weniger als 500 m beträgt, ist bundesrechtlich zwar nicht zu beanstanden (1.). Sein Rechtsstandpunkt, der Kläger habe unabhängig davon, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Betrieb der Hähnchenmastanlage auf Wohngrundstücken in der Nachbarschaft der Anlage zu einer relevanten Zusatzbelastung durch Bioaerosole führt, einen Anspruch auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ohne die Anordnung, eine Abluftbehandlungsanlage zu betreiben, verstößt aber gegen § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG (2.). Das Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO - 3.). Für eine abschließende Entscheidung über den Genehmigungsanspruch bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen; daher ist die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO - 4.).
- 14
-
1. Das Verwaltungsgericht hat zugunsten des Beklagten unterstellt, es bestünden hinreichende Gründe für die Annahme, dass Bioaerosole möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen (UA S. 9; juris Rn. 32), und es komme unter Vorsorgegesichtspunkten in Betracht, jede Erhöhung von Bioaerosol-Immissionskonzentrationen gegenüber den Hintergrundwerten zu vermeiden (UA S. 10; juris Rn. 34). Der Beklagte ist der Auffassung, dass ausgehend hiervon Anlass zur Vorsorge bei der Geflügelmast schon immer dann gegeben sei, wenn der Abstand der Anlage zur nächsten Wohnbebauung weniger als 500 m betrage. Mangels geeigneter Mess- und Detektionsverfahren für Bioaerosole könne nur durch Einhaltung dieses Abstands hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass die Wohnbebauung einer Zusatzbelastung durch Bioaerosole ausgesetzt werde. Dieser Auffassung ist das Verwaltungsgericht nicht gefolgt. Das ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass allein das Unterschreiten eines Abstands von 500 m kein hinreichender Anhaltspunkt für eine durch die Anlage des Klägers hervorgerufene Bioaerosol-Zusatzbelastung ist und dass es geeignete Verfahren zur Ermittlung einer solchen Zusatzbelastung gibt. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Wirksame Verfahrensrügen können mit der Sprungrevision nicht erhoben werden (§ 134 Abs. 4 VwGO). Mängel der Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die als materiell-rechtliche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 VwGO einzuordnen wären, wie etwa ein Verstoß gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze und die Denkgesetze (BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 7 C 12.13 - BVerwGE 150, 383 Rn. 41 m.w.N.), hat der Beklagte nicht geltend gemacht; sie sind auch nicht ersichtlich.
- 15
-
2. Einen Anspruch auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ohne die Anordnung, eine Abluftbehandlungsanlage zu betreiben, hat das Verwaltungsgericht bejaht, obwohl weder im Genehmigungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren geklärt worden ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Betrieb der Hähnchenmastanlage auf Wohngrundstücken in der Nachbarschaft der Anlage zu einer relevanten Zusatzbelastung durch Bioaerosole führt (UA S. 10, 13; juris Rn. 36, 42). Das ist mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht vereinbar. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts rechtfertigen es nicht, die Verhältnismäßigkeit der Anordnung unabhängig von der Klärung dieser Frage zu verneinen.
- 16
-
a) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Einsatz von Abluftbehandlungsanlagen in der Geflügelhaltung aus wirtschaftlichen Gründen noch nicht dem Stand der Technik entspricht, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (aa, bb). Die Abluftbehandlung kann aber dennoch eine erforderliche und wirtschaftlich zumutbare Vorsorgemaßnahme sein (cc - ff).
- 17
-
aa) Gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG kann eine Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen dem Stand der Technik nur entsprechen, wenn ihre praktische Eignung hierfür insgesamt gesichert erscheint. Zur Frage, ob die geforderte DLG-zertifizierte Abluftbehandlungsanlage praktisch geeignet erscheint, die Emission nicht nur von Staub, sondern auch von Bioaerosolen zu begrenzen, hat das Verwaltungsgericht abschließende Feststellungen nicht getroffen. Für das Revisionsverfahren muss deshalb unterstellt werden, dass dies der Fall ist. Das Verwaltungsgericht hat zur Frage der praktischen Eignung einen in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 2012 (12 ME 270/11, ZUR 2012, 565; juris) auszugsweise wiedergegeben und ergänzend auf Ziffer 2 eines niedersächsischen Erlassentwurfs vom 19. Dezember 2012 zur Durchführung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren verwiesen. In dem Beschluss hat das Oberverwaltungsgericht "gewisse Zweifel" an der Eignung der DLG-zertifizierten Abluftbehandlungsanlage auch zur Bioaerosol-Abscheidung geäußert. Im Leitsatz des Beschlusses hat es ausdrücklich auf den nur summarischen Charakter dieser Prüfung hingewiesen. Es brauchte der praktischen Eignung nach seiner Rechtsauffassung im Übrigen nicht weiter nachzugehen, weil der damalige Antragsgegner jedenfalls der Verneinung der wirtschaftlichen Eignung nicht substantiiert entgegengetreten war (a.a.O. juris Rn. 32). Dass die bei summarischer Prüfung bestehenden Zweifel im Hauptsacheverfahren nicht ausgeräumt werden können, hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt. Auch unter Ziffer 2 des Erlassentwurfs wird allein die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Forderung nach einer Abluftreinigungsanlage bei zwangsbelüfteten Anlagen für die Geflügelkurzmast verneint. Die praktische Eignung von Abluftbehandlungsanlagen zur Bioaerosol-Abscheidung wird unter Ziffer 4 des Erlassentwurfs ausdrücklich bejaht.
- 18
-
bb) Gemäß § 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG i.V.m. der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG sind bei der Bestimmung des Standes der Technik die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen und der Grundsatz der Vorsorge und der Vorbeugung zu berücksichtigen. Der Stand der Technik ist ein genereller Maßstab, für den die Umstände des jeweiligen Einzelfalls keine Rolle spielen (vgl. Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 3 Rn. 99; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand Januar 2015, § 5 Rn. 150). Das gilt auch für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen. Maßgebend für die sogenannte wirtschaftliche Eignung ist, ob der wirtschaftliche Aufwand für eine emissionsbegrenzende Maßnahme einem durchschnittlichen Betreiber einer Anlage der bestimmten Art unter in dem betreffenden industriellen Sektor wirtschaftlich und technisch vertretbaren Verhältnissen (vgl. Art. 3 Nr. 10 Buchst. b der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen, ABl. L 334 S. 17 - im Folgenden: IE-RL) zugemutet werden kann (vgl. Jarass, a.a.O. § 3 Rn. 107 f.). Die wirtschaftliche Lage des betroffenen Betreibers und die jeweiligen Gegebenheiten in der Nachbarschaft seiner Anlage sind hierfür ohne Bedeutung.
- 19
-
Das Verwaltungsgericht hat bezogen auf die Geflügelhaltung die für den Stand der Technik erforderliche wirtschaftliche Eignung der Abluftbehandlung verneint. Das ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Es hat - wie sich aus der Bezugnahme auf den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. März 2012 und Ziffer 2 des Erlassentwurfs ergibt - in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass Abluftbehandlungsanlagen in der Geflügelhaltung wegen der mit ihrem Einsatz verbundenen hohen Kosten in Fachkreisen noch als unwirtschaftlich gelten (UA S. 15; juris Rn. 47, 49). An die dieser Annahme zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.
- 20
-
cc) Dass die Abluftbehandlung, solange sie noch nicht dem Stand der Technik entspricht, von vornherein nicht geboten sein kann, dürfte das Verwaltungsgericht nicht angenommen haben. Jedenfalls ist seinen weiteren Erwägungen zur wirtschaftlichen Situation des Klägers (UA S. 16 f.; juris Rn. 50 - 52) und zum Gewicht des Gefahrenverdachts (UA S. 17; juris Rn. 53) nicht eindeutig zu entnehmen, dass sie lediglich die Verneinung der generellen Verhältnismäßigkeit als Voraussetzung des Standes der Technik untermauern, nicht aber die Unverhältnismäßigkeit der Abluftreinigung im hier vorliegenden Fall begründen sollen.
- 21
-
Dem Stand der Technik kommt eine Sperrwirkung für über diesen Stand hinausgehende Vorsorgemaßnahmen auch nicht zu. Eine Maßnahme zur Emissionsbegrenzung kann auch dann eine erforderliche und wirtschaftlich zumutbare Vorsorgemaßnahme sein, wenn sie zur Emissionsminderung praktisch geeignet ist, aber aus wirtschaftlichen Gründen noch nicht dem Stand der Technik entspricht. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ist Vorsorge "insbesondere" durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Sie kann mithin im Einzelfall auch über den Stand der Technik hinausgehen (vgl. Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 3 Rn. 108, § 5 Rn. 54; Kotulla, BImSchG, Band 1, Stand Januar 2014, § 5 Rn. 75). Seit Neufassung des § 5 Abs. 1 BImSchG durch Art. 2 Nr. 5 Buchst. a) des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1950) ist der Stand der Technik bei allen Vorsorgemaßnahmen einzuhalten, nicht nur bei Maßnahmen der Emissionsbegrenzung. Er ist nach der Begründung des Gesetzentwurfs allerdings nur ein "Regelstandard" (BT-Drs. 14/4599 S. 126). Die dem Stand der Technik entsprechenden Vorsorgemaßnahmen können als Regel, d.h. unabhängig von den Umständen des Einzelfalls verlangt werden. Die konkrete Immissionssituation in der Nachbarschaft der Anlage braucht nicht ermittelt zu werden; eine Zuordnung von Emittenten und Immissionen ist nicht erforderlich (BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 7 C 8.82 - BVerwGE 69, 37 <43 f.>; Beschluss vom 10. Januar 1995 - 7 B 112.94 - Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 4 = juris Rn. 7). Die Pflicht, Vorsorge nach dem sich fortentwickelnden Stand der Technik zu treffen, ist deshalb ein ebenso effizientes wie wettbewerbsneutrales Mittel zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt (vgl. Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 5 Rn. 47; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand Januar 2015, § 5 Rn. 136). Der "Regelstandard" schließt jedoch nicht aus, einzelfallbezogen unter Berücksichtigung von Aufwand und erreichbarer Immissionsminderung in der Nachbarschaft der Anlage eine über den Stand der Technik hinausgehende Emissionsbegrenzung zu verlangen. Auch nach der Industrieemissions-Richtlinie (Art. 11 Buchst. a) und b) IE-RL, 12. Erwägungsgrund) müssen beim Betrieb einer Anlage nicht nur die besten verfügbaren Techniken angewendet werden, sondern alle geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Umweltverschmutzungen getroffen werden.
- 22
-
dd) Nr. 5.4.7.1 TA Luft 2002 schließt eine über den Stand der Technik hinausgehende Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Bioaerosole nicht aus. Nach dieser Vorschrift sind die Möglichkeiten zu prüfen, die Emissionen an Keimen und Endotoxinen durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zu mindern. Bei Erlass der TA Luft 2002 ging man davon aus, dass Bioaerosole zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen können; einen Stand der Technik konnte man aber noch nicht formulieren, eine Abluftreinigung deshalb nicht generell verlangen (vgl. Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, Leitfaden S. 1). Die Möglichkeit, im Einzelfall, insbesondere im Hinblick auf eine bestimmte Immissionssituation in der Nachbarschaft der Anlage, zur Vorsorge gegen Bioaerosol-Immissionen eine Abluftbehandlung anzuordnen, bleibt von dem Prüfauftrag für dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen unberührt. Anderenfalls wäre die genannte Regelung in Nr. 5.4.7.1 TA Luft 2002 mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG unvereinbar.
- 23
-
ee) Ob eine über den Stand der Technik hinausgehende Abluftbehandlung zur Minderung von Bioaerosol-Emissionen verhältnismäßig und damit geboten ist, kann in unmittelbarer Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG auf den jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Eine vorherige Konkretisierung der diesbezüglichen Betreiberpflichten durch eine Verordnung nach § 7 BImSchG oder eine Verwaltungsvorschrift nach § 48 BImSchG ist insoweit nicht erforderlich (vgl. Jarass, DVBl 1986, 314 <317>; Dolde, NVwZ 1986, 873 <881>). Eine solche Konkretisierung hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich für Maßnahmen der Emissionsbegrenzung gefordert, die unabhängig von der Immissionssituation in der jeweiligen Umgebung von allen Anlagen eines bestimmten industriellen Sektors verlangt werden; es ging um Vorsorge gegen Ferntransporte von Luftschadstoffen (BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 7 C 8.82 - BVerwGE 69, 37 <45>). Einer Prüfung des Einzelfalls hat es eine Absage nur erteilt, wenn die Betreiberpflichten - anders als hier - konkretisiert worden waren, ein Betreiber aber die für alle geltenden Vorsorgeanforderungen unter Berufung auf die Umstände seines Einzelfalls nicht erfüllen wollte (BVerwG, Urteile vom 17. Februar 1984 a.a.O. S. 42 ff. und vom 20. Dezember 1999 - 7 C 15.98 - BVerwGE 110, 216 <221>; Beschluss vom 10. Januar 1995 - 7 B 112.94 - Buchholz 406.25 § 48 BImSchG Nr. 4 = juris Rn. 7). Eine Konkretisierung der Betreiberpflichten zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Bioaerosole in der TA Luft würde den Gesetzesvollzug zwar wesentlich vereinfachen; die durch § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gebotene Vorsorge darf jedoch nicht allein deswegen unterbleiben, weil eine Ergänzung der TA Luft aussteht.
- 24
-
Vorsorge muss nach Umfang und Ausmaß dem Risikopotential der Immissionen, die sie verhindern soll, proportional sein (BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1984 - 7 C 8.82 - BVerwGE 69, 37 <44>; Beschluss vom 30. August 1996 - 7 VR 2.96 - Buchholz 406.25 § 17 BImSchG Nr. 3 = juris Rn. 22). Der Grundsatz der Risikoproportionalität setzt eine Bagatellgrenze voraus, bei deren Unterschreitung emissionsbegrenzende Maßnahmen nicht angeordnet werden dürfen (BVerwG, Urteile vom 20. Dezember 1999 - 7 C 15.98 - BVerwGE 110, 216 <224> und vom 11. Dezember 2003 - 7 C 19.02 - BVerwGE 119, 329 <333 f.>). Eine Prüfung auf Irrelevanz (vgl. hierzu z.B. S. 5 des Leitfadens der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz) ist auch bei Bioaerosolen erforderlich. Überschreitet die anlagebedingte Bioaerosol-Zusatzbelastung eine Bagatell- bzw. Irrelevanzschwelle, muss das Besorgnispotential dieser Zusatzbelastung beurteilt werden. Hierfür ist es grundsätzlich erforderlich, jedenfalls überschlägig zu ermitteln, in welchem Umfang der Betrieb der Anlage zu zusätzlichen Bioaerosol-Immissionen auf Wohngrundstücken in der Nachbarschaft führt. Weiter kann es erforderlich sein, für die relevanten Immissionsorte auch die Gesamtbelastung durch Bioaerosole, also die Summe aus Vor- und Zusatzbelastung, zu ermitteln. Bei einer Vorbelastung durch Anlagen mit vergleichbaren Emissionen wird das Besorgnispotential einer zusätzlichen Belastung durch Bioaerosole größer sein als ohne eine solche Vorbelastung. Dem Besorgnispotential der zu vermeidenden Immissionen sind die Auswirkungen der geforderten Emissionsminderung auf den konkreten Betreiber gegenüberzustellen. Die Aufwendungen für die Vermeidung einer zusätzlichen Bioaerosol-Belastung dürfen nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu den mit ihr erreichbaren günstigen Wirkungen stehen (vgl. BT-Drs. 7/179 S. 32; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand Januar 2015, § 5 Rn. 159; Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 5 BImSchG Rn. 60). Bei neu zu errichtenden Anlagen können höhere Anforderungen gestellt werden als bei bestehenden Anlagen (Dietlein, a.a.O.; Kotulla, BImSchG, Band 1, Stand Januar 2014, § 5 Rn. 76).
- 25
-
ff) Auch im vorliegenden Fall kann hiernach eine Abluftbehandlung geboten sein. Für das Revisionsverfahren ist wegen der entsprechenden Unterstellung des Verwaltungsgerichts davon auszugehen, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass Bioaerosol-Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Anlage des Klägers zu einer relevanten Erhöhung von Bioaerosol-Immissionskonzentrationen auf Wohngrundstücken in der Umgebung der Anlage führt, ist nicht geklärt; das Verwaltungsgericht hat eine zusätzliche Belastung durch Bioaerosole ausdrücklich als möglich bezeichnet (UA S. 10; juris Rn. 36).
- 26
-
b) Selbst wenn der Kläger die Hähnchenmastanlage - wie das Verwaltungsgericht ohne nähere Auseinandersetzung mit der Höhe des zu erwartenden Gewinns angenommen hat (UA S. 16 f.; juris Rn. 50 - 53) - bei Installation und Betrieb der verlangten Abluftbehandlungsanlage nicht wirtschaftlich betreiben könnte, würde dies nicht notwendigerweise zur Unverhältnismäßigkeit der Anordnung führen. Auch ein hoher, den Betreiber stark belastender Aufwand ist ins Verhältnis zu den mit der Abluftbehandlung erreichbaren günstigen Wirkungen für die Nachbarschaft zu setzen. Bei der Gewichtung der Auswirkungen für den Betreiber ist zudem zu berücksichtigen, dass die Wirtschaftlichkeit des Anlagenbetriebs auch von den jeweiligen Standort- und Marktbedingungen abhängt. Ist die Höhe des Aufwands durch den Ertrag der Abluftbehandlung gerechtfertigt, müssen unter vergleichbaren Standortbedingungen andere Betreiber ebenfalls für eine Abluftbehandlung sorgen und die Mehrkosten an die Verbraucher weitergeben. Kann der betroffene Betreiber die Mehrkosten nicht weitergeben, weil andere Betreiber ausreichenden Abstand zu empfindlichen Nutzungen halten und deshalb eine Abluftbehandlung nicht benötigen, kann es verhältnismäßig sein, den Betreiber darauf zu verweisen, entweder seinerseits einen besser geeigneten Standort zu suchen oder am gewählten Standort die Mehrkosten der Abluftbehandlung in Kauf zu nehmen. Bei Errichtung einer neuen Anlage kann die Vorsorgepflicht nicht nur dazu zwingen, die Art und Weise des Anlagenbetriebs zu modifizieren; sie kann auch der Genehmigungsfähigkeit der Anlage am gewählten Standort entgegenstehen (vgl. Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 5 Rn. 56; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand Januar 2015, § 5 Rn. 154; Schmidt-Kötters, in: Giesberts/Reinhardt, Umweltrecht, 2007, § 5 Rn. 106 - dort jeweils im Hinblick auf raumbezogene Vorsorge; a.A. Storost, in: Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, Band 1, Stand Juli 2015, § 5 Rn. C 27).
- 27
-
c) Das Verwaltungsgericht hat schließlich die Abwägung des Beklagten zwischen der menschlichen Gesundheit und dem finanziellen Mehraufwand für den Kläger nicht für tragfähig erachtet. Ausgehend von den Unsicherheiten in Bezug auf den von Bioaerosolen ausgehenden Gefahrenverdacht könne das Gut der menschlichen Gesundheit nicht mit seinem gesamten Gewicht in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Aufwand und Nutzen eingestellt werden. Demgegenüber habe der Beklagte die Argumente des Klägers zum wirtschaftlichen Mehraufwand nicht hinreichend gewürdigt und mit dem ihnen gebührenden erheblichen Gewicht berücksichtigt (UA S. 17; juris Rn. 53).
- 28
-
Auch diese Erwägungen rechtfertigen es nicht, die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Abluftbehandlung zu verneinen, ohne zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Betrieb der Hähnchenmastanlage auf Wohngrundstücken in der Nachbarschaft der Anlage zu einer relevanten Zusatzbelastung durch Bioaerosole führt. Das in die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einzustellende Risikopotential der Bioaerosol-Immissionen hängt zwar auch davon ab, wie stark nach dem Stand der Wissenschaft und der allgemeinen Lebenserfahrung die Gründe für die Annahme sind, dass die in Rede stehenden Bioaerosol-Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen (vgl. Jarass, BImSchG, 10. Aufl. 2013, § 5 Rn. 64). Wenn trotz bestehender Erkenntnislücken Anlass zur Vorsorge besteht - das Verwaltungsgericht hat dies unterstellt -, kann das Besorgnispotential der Bioaerosol-Immissionen, um deren Minderung es geht, aber nicht gewichtet werden, ohne jedenfalls ihre Menge zu ermitteln. Vorsorge ist nicht darauf gerichtet, erkannte Gefahren abzuwehren; sie soll gerade bei einem bloßen Gefahrenverdacht ergriffen werden, um eine Sicherheitszone unterhalb der Gefahrenschwelle zu gewährleisten.
- 29
-
3. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
- 30
-
a) Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine etwaige anlagebedingte Erhöhung von Bioaerosol-Immissionen auf Wohngrundstücken in der Nachbarschaft der Anlage die Bagatellgrenze überschreitet. Die Landwirtschaftskammer hat lediglich ermittelt, dass die Zusatzbelastung durch Schwebstaub auf dem Grundstück des Nachbarn A. unterhalb des Irrelevanzwertes nach Nr. 4.2.2 Buchst. a TA Luft liegt (UA S. 11; juris Rn. 38). Den Schluss, dass deshalb auch eine Zusatzbelastung durch Bioaerosole irrelevant sei, hat das Verwaltungsgericht nicht gezogen. Es hat dem Beklagten lediglich vorgehalten, ausgehend hiervon nicht ermittelt zu haben, wie hoch eine Zusatzbelastung durch Bioaerosole dann noch sein könne. Die Einhaltung des Irrelevanzwertes für Feinstaub dürfte im Übrigen nicht ohne weiteres auf die Irrelevanz einer Bioaerosol-Zusatzbelastung schließen lassen. Im Leitfaden der Bund/Länderarbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz wird mitgeteilt, dass bei Geflügelanlagen nach derzeitigem Erkenntnisstand selbst bei Einhaltung des Irrelevanzkriteriums für Feinstaub in der Regel noch relevante Belastungen an Bioaerosolen prognostiziert werden (S. 5).
- 31
-
b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass allein das Wohnhaus des Nachbarn A. einer relevanten Bioaerosol-Zusatzbelastung ausgesetzt wird (aa). Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre die Anordnung der Abluftbehandlung nicht von vornherein unverhältnismäßig (bb).
- 32
-
aa) Innerhalb eines Abstands von 500 m liegt nur das Wohnhaus des Nachbarn A. Ohne weitere Feststellungen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Wohngrundstücke außerhalb dieses Abstands einer relevanten Bioaerosol-Zusatzbelastung ausgesetzt werden. Die Entfernungen, die Anlass zu einer näheren Prüfung der Bioaerosol-Belastung geben, sind nicht als Mindestabstände zu verstehen; auch darüber hinaus können noch relevante Konzentrationen von anlagenspezifischen Bioaerosolen auftreten (vgl. Niedersächsischer Erlass zur Durchführung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren vom 22. März 2013, Ziffer 5).
- 33
-
bb) Selbst wenn allein das Nachbargrundstück A. von einer relevanten Bioaerosol-Zusatzbelastung betroffen sein sollte, könnte die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Abluftbehandlung nicht unabhängig vom Ausmaß dieser Betroffenheit verneint werden. Für Gerüche verlangt Nr. 5.4.7.1 TA Luft einen Mindestabstand nur "zur nächsten vorhandenen oder in einem Bebauungsplan festgesetzten Bebauung". In der Rechtsprechung wird hierfür eine zusammenhängende Wohnbebauung gefordert; ein vereinzelt im Außenbereich gelegenes Hausgrundstück genüge nicht, derartige Grundstücke seien durch die dem Außenbereich zugewiesenen emittierenden Nutzungen "situationsbelastet" (OVG Münster, Beschluss vom 27. September 2013 - 10 B 679/13 - juris Rn. 39 f.; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand Januar 2015, TA Luft Nr. 5.4.7 Rn. 3). Anders als bei Gerüchen geht es bei Bioaerosolen nicht um Belästigungen, sondern um Gesundheitsrisiken. Dies schließt nicht aus, bei der Gewichtung des Besorgnispotentials der Immissionen auch die Zahl der Betroffenen zu berücksichtigen. Bei Errichtung einer neuen Anlage muss die Anordnung einer Abluftbehandlung aber auch dann in Erwägung gezogen werden, wenn nur ein einzelnes Hausgrundstück betroffen ist. Jedenfalls wenn die Zusatz- und die Vorbelastung hoch sind, kann die Verhältnismäßigkeit einer solchen Anordnung nicht von vornherein verneint werden.
- 34
-
4. Das Verwaltungsgericht wird ausgehend von den dargelegten rechtlichen Maßstäben den Anspruch des Klägers auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ohne die Anordnung einer Abluftbehandlung neu prüfen und die Sache spruchreif machen müssen. Maßgebend für die Entscheidung über die hier erhobene Verpflichtungsklage ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erneuten Entscheidung. Das Verwaltungsgericht wird sich, wenn eine relevante Bioaerosol-Zusatzbelastung von Wohngrundstücken in der Umgebung nicht ausgeschlossen werden kann, auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse und in Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu der Frage positionieren müssen, ob Bioaerosol-Immissionen möglicherweise zu schädlichen Umwelteinwirkungen, insbesondere zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen können. Sollte es die Frage bejahen, wird es klären müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Betrieb der Hähnchenmastanlage auf Wohngrundstücken in der Nachbarschaft der Anlage zu einer relevanten Zusatzbelastung durch Bioaerosole führt.
-
Sollte hiernach ein Anlass zur Vorsorge gegen Bioaerosol-Immissionen bestehen, wird es ausgehend von dem unter II. 2. a) ee) dargelegten Maßstab prüfen müssen, ob es verhältnismäßig ist, hier eine Abluftbehandlung zu verlangen.
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
II.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Gründe
- 1
-
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
- 2
-
1. Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
- 3
-
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15).
- 4
-
Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
-
ob § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 1 der Bergverordnung für Tiefbohrungen, Untergrundspeicher und für die Gewinnung von Bodenschätzen durch Bohrungen im Land Nordrhein-Westfalen
), soweit nach dieser Vorschrift Sicherheitsabstände (Achtungsabstände) einzuhalten sind, um die Auswirkungen von Dennoch-Störfällen so gering wie möglich zu halten, die Pflicht zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG konkretisiert oder aber die Pflicht des Errichters und Betreibers einer genehmigungspflichtigen Anlage gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG näher bestimmt, Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren zu treffen mit der Folge, dass die Pflicht, gemäß § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 1 BVOT) einen Sicherheitsabstand zur Auswirkungsbegrenzung von vernünftigerweise ausgeschlossenen Dennoch-Störfällen einzuhalten, nicht nachbarschützend ist und keine bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmepflichten nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zwischen dem Anlagenbetreiber und einem benachbarten Bauherrn begründet,
-
und
-
ob bei der Bemessung des erforderlichen Sicherheitsabstandes nach § 9 Abs. 1 BVOT, § 3 Abs. 3 der 12. BlmSchV dann, wenn als Grenze eine Wärmestrahlung gewählt wird, bei der letale Folgen selbst innerhalb eines Wohngebäudes unmittelbar zu erwarten stehen, im Gegenzug bei der Betrachtung des Störfallszenarios eine Windstärke von 10 m/s, d.h. eine Starkwindlage, von dem Störfallbetrieb in Richtung auf das schutzwürdige Vorhaben ungeachtet ihrer konkreten Wahrscheinlichkeit nach Maßgabe der örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen ist.
- 5
-
Diese Fragen rechtfertigen - soweit sie überhaupt einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich sind - die Zulassung der Revision nicht, weil es auf sie nicht (mehr) entscheidungserheblich ankommt. Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 - (zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen) ist den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG (sog. Seveso-II-Richtlinie) an die Zulassung von Vorhaben in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs stellt, durch eine richtlinienkonforme Auslegung des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen. Die Grundsätze, die der Senat in der vorbezeichneten Entscheidung entwickelt hat, finden - ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte - im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Belangs des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, der eine besondere Ausprägung des nachbarlichen Gebots der Rücksichtnahme darstellt, entsprechende Anwendung. Damit kann sich ein unter die Richtlinie 96/82/EG fallender Betrieb (wie hier - nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts - der Betrieb der Beigeladenen) darauf berufen, der von Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG geforderte "angemessene Abstand" werde durch ein geplantes Wohnbauvorhaben nicht eingehalten; dieses sei gegenüber dem Betrieb rücksichtslos. Dem entsprechend kommt es nicht mehr darauf an, ob § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV (ggf. i.V.m. § 9 Abs. 1 BVOT) selbst drittschützende Wirkung zukommt bzw. anhand welcher Faktoren der nach § 9 Abs. 1 BVOT bzw. § 3 Abs. 3 der 12. BImSchV erforderliche Sicherheitsabstand zu bemessen ist.
- 6
-
2. Die Entscheidung des Senats vom 20. Dezember 2012 (a.a.O.) nötigt nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (siehe zur "überholten" Grundsatzrüge etwa Beschlüsse vom 11. Februar 1986 - BVerwG 8 B 7.85 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 240 = juris Rn. 3, vom 9. April 1999 - BVerwG 9 B 21.99 - juris Rn. 3 und vom 21. Februar 2000 - BVerwG 9 B 57.00 - juris Rn. 6). Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Vorhaben der Klägerin deshalb planungsrechtlich unzulässig sei, weil es Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB beeinträchtige und damit zugleich zulasten der Beigeladenen einen Verstoß gegen das in dieser Vorschrift enthaltene Rücksichtnahmegebot begründe (UA S. 24); auf S. 47 des Urteilsabdrucks werden zudem die Kriterien angewendet, die der Europäische Gerichtshof in der Vorabentscheidung vom 15. September 2011 - Rs. C-53/10 - (ABl EU 2011 Nr. C 319 S. 5 = ZfBR 2011, 763) genannt hat. Das entspricht dem Urteil des Senats vom 20. Dezember 2012 (a.a.O.).
- 7
-
3. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die geltend gemachten Verfahrensfehler sind entweder schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt oder liegen jedenfalls nicht vor.
- 8
-
Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. Beschlüsse vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 26). Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Verfahrensmangel leidet, ist dabei vom materiellrechtlichen Standpunkt der Tatsacheninstanz aus zu beurteilen, selbst wenn dieser verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. etwa Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; Beschlüsse vom 25. Januar 2005 - BVerwG 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447 <449> = juris Rn. 21, insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 22 und vom 20. Dezember 2010 - BVerwG 5 B 38.10 - juris Rn. 18).
- 9
-
a) Soweit die Klägerin geltend macht, ein Verfahrensfehler liege darin, dass bereits der Beschluss über die Zulassung der Berufung verfahrensfehlerhaft ergangen sei, verkennt sie, dass sie die Zulassung der Revision mit einer solchen Rüge schon deshalb nicht erreichen kann, weil die Zulassung der Berufung als unanfechtbare Vorentscheidung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich entzogen ist (vgl. etwa Beschlüsse vom 30. September 2005 - BVerwG 1 B 26.05 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 82 = juris Rn. 6 und vom 14. Dezember 2006 - BVerwG 1 B 272.06 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 33 Rn. 3). Das gleiche gilt, soweit die Beschwerde einen Verfahrensfehler darin sieht, dass das Oberverwaltungsgericht den Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens (§ 94 VwGO) abgelehnt hat (Beschluss vom 13 September 2005 - BVerwG 7 B 14.05 - juris Rn. 20 f.); diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO ebenfalls unanfechtbar.
- 10
-
Der weiter in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, das Oberverwaltungsgericht habe die Berufung zu Unrecht als zulässig erachtet, weil die Beigeladene als Berufungsführerin zur Zeit der Zulassung der Berufung zwar Eigentümerin, nicht aber Betreiberin des Gaskavernenspeichers gewesen sei, greift nicht, denn jedenfalls im für die Zulässigkeit der Berufung maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2011 war die Beigeladene (unstreitig auch) Betreiberin, womit unter diesem Gesichtspunkt gegen die Zulässigkeit der Berufung keine Bedenken bestehen.
- 11
-
b) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) verletzt. Das gilt sowohl hinsichtlich des Vorwurfs, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit bestimmten Ausführungen der Klägerin nicht auseinander gesetzt (1), nicht in das Verfahren eingeführte und zudem in Englisch verfasste Beweismittel im Urteil verwertet (2) als auch in Bezug auf den Vorhalt, es habe Beweisanträge zu Unrecht abgelehnt (3).
- 12
-
(1) Ein Verstoß gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, liegt vor, wenn das Gericht seiner Verpflichtung, die für die Entscheidung erheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachkommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 - 1 BvR 168/89 u.a. - BVerfGE 87, 363 <392>; BVerwG, Urteile vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 und vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.; jeweils m.w.N.). Daraus folgt aber keine Verpflichtung des Gerichts, jeglichen Vortrag in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden (Beschluss vom 21. Februar 2000 a.a.O. Rn. 8). Vielmehr ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Anderes gilt nur dann, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat. Dieser Ausnahmefall liegt indessen nicht vor, wenn das Gericht den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt gelassen hat, namentlich wenn er nach der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich war (vgl. etwa Beschlüsse vom 22. Mai 2006 - BVerwG 10 B 9.06 - juris Rn. 14, vom 13. Dezember 2010 - BVerwG 7 B 64.10 - juris Rn. 24 und vom 21. Mai 2012 - BVerwG 7 B 70.11 - juris Rn. 12). Zudem verpflichten Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO die Gerichte nicht dazu, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u.a. - BVerfGE 87, 1 <33>).
- 13
-
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe sich mit ihrem Vortrag nicht auseinandergesetzt, die mit ihrem Bauantrag verfolgte Nutzung der ehemaligen Katstelle als Wohnung verlange von der Beigeladenen keine größeren Rücksichtnahmepflichten und keine weiteren Vorkehrungen als die auf dem Grundstück bereits regelmäßig praktizierte Nutzung der Katstelle als Wochenend- und Freizeitwohnung sowie des Grundstückes als Garten, als unbegründet. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 3, 34, 48, 49) beleuchtet das Oberverwaltungsgericht die Folgen der Zulassung des klägerischen Vorhabens für die Beigeladene. Dabei stellt es fest, dass die von der Klägerin derzeit ausgeübte Nutzung nicht genehmigt ist, mithin keinen Bestandsschutz genießt, und die Beigeladene bei Zulassung des klägerischen Vorhabens erstmals auf eine legalerweise ausgeübte Wohnnutzung Rücksicht nehmen müsste, was gegebenenfalls zu nachträglichen Betriebseinschränkungen führen könne. Damit erübrigen sich aber weitere Erörterungen im Hinblick auf eine etwaige "Vorbelastung", auf die die Klägerin offensichtlich abstellt. Soweit sie in diesem Zusammenhang auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 209 Rn. 14) an den Europäischen Gerichtshof verweist, sind die vom Senat dort gemachten Ausführungen zur Berücksichtigung einer etwaigen Vorbelastung durch die - auch schon vom Oberverwaltungsgericht berücksichtigte - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 15. September 2011 (a.a.O.) sowie das Urteil des Senats vom 20. Dezember 2012 (a.a.O.) sachlich überholt. Danach ist das Kriterium der Vorbelastung im Störfallrecht bei richtlinienkonformer Handhabung unbrauchbar (Urteil vom 20. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 34 a.E.).
- 14
-
(2) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die schlüssige Rüge, das rechtliche Gehör sei verletzt worden, regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen voraus, was der Beteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. etwa Beschlüsse 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = juris Rn. 6 m.w.N., vom 19. März 1991 - BVerwG 9 B 56.91 - Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 = juris Rn. 7, vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26 = juris Rn. 4, vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B 188.99 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 44 = juris Rn. 3 und vom 28. Januar 2003 - BVerwG 4 B 4.03 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 53 = juris Rn. 4). Daran fehlt es hier, soweit die Klägerin rügt, dass sich das Oberverwaltungsgericht das Handbuch zum Programm ALOHA aus dem Internet besorgt, es selbst vom Englischen ins Deutsche - soweit erforderlich - übersetzt und im Urteil verwertet habe, obwohl das Handbuch nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung und schon gar nicht in deutscher Übersetzung gewesen sei. Insofern legt sie schon nicht dar, was sie diesbezüglich bei ausreichender Gehörsgewährung (noch) vorgetragen hätte. Das bedarf jedoch keiner Vertiefung, denn die vom Oberverwaltungsgericht verwendeten Aussagen im englischen Handbuch (es handelt sich um einen Satz) waren für das Gericht jedenfalls nicht entscheidungserheblich, das Urteil beruht mithin nicht hierauf. Denn das Berufungsgericht hat die Berechnungen des Gutachters der Klägerin auf der Grundlage des Programms ALOHA bereits aufgrund der Angaben im TÜV-Gutachten sowie in dem Gutachten des LANUV als falsch bewertet (UA S. 42) und dieses Ergebnis nur noch ergänzend - im Wege einer Hilfsbegründung - durch das Handbuch zu besagtem Programm als bestätigt angesehen (UA S. 42). Diese Hilfsbegründung kann jedoch hinweggedacht werden, ohne dass sich am Ergebnis (Feststellung der fehlerhaften Anwendung des Programms ALOHA durch die Gutachter der Klägerin) etwas ändert.
- 15
-
(3) Ein Gehörsverstoß kann auch nicht darin gesehen werden, dass das Oberverwaltungsgericht die Beweisanträge Nr. 1 und 4 der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2011 abgelehnt hat.
- 16
-
Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisantrags (Beschlüsse vom 7. Oktober 1987 - BVerwG 9 CB 20.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 31 und vom 14. Mai 2008 - BVerwG 4 B 46.07 - juris Rn. 28). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings dann verletzt, wenn die Ablehnung eines als sachdienlich und erheblich angesehenen Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Januar 1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141 <143 f.> und vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 <311>; BVerwG, Beschluss vom 24. März 2000 - BVerwG 9 B 530.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 S. 16), mithin auf sachfremde Erwägungen gestützt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 1988 - 1 BvR 818.88 - BVerfGE 79, 51 <62>). Wie bereits ausgeführt, ist hierfür maßgebend auf den materiellrechtlichen Standpunkt der angegriffenen Entscheidung abzustellen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht erfordert eine entsprechende Rüge den substantiierten Vortrag, dass die Ablehnung des Beweisantrags fehlerhaft erfolgt ist, die Begründung der Ablehnungsentscheidung im Gesetz keine Stütze findet und deshalb das rechtliche Gehör verletzt worden ist (Beschluss vom 13. Dezember 2002 - BVerwG 1 B 95.02 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 67 = juris Rn. 6). Hieran fehlt es vorliegend.
- 17
-
(3.1) Der Beweisantrag Nr. 1 der Klägerin zielte auf die Einholung eines Gutachtens durch einen Sachverständigen für Physik, insbesondere für Strömungsphysik, bezüglich der Innenrauhigkeit des Steigrohres in der Kaverne Victor 2 (Nr. 1.1), der Unwahrscheinlichkeit eines sog. Guillotinebruchs am Kavernenkopf (Nr. 1.2), der fehlenden Berücksichtigung einer starken Kontraktion und eines starken Reibungsverlusts am Übergang von Kaverne zum Rohrschuh in den Berechnungen des TÜV von 2006 und des LANUV von 2011 (Nr. 1.3), der maximalen Höhe des Massestroms am Kavernenkopf (Nr. 1.4) sowie dazu, dass die zum Abriss des Kavernenkopfes notwendige Druckbelastung am Kavernenkopf nicht auftreten könne (Nr. 1.5).
- 18
-
Diesen Beweisantrag hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Die Klägerin sieht hierin einen Verfahrensfehler. Ausweislich der in der mündlichen Verhandlung gegebenen Begründung stelle dies eine vorweggenommene Beweiswürdigung dar und beinhalte die Aussage, das Gericht halte den Sachverhalt bereits für hinreichend geklärt. Mit einer solchen Begründung könne ein Beweisantrag nicht in rechtmäßiger Weise abgelehnt werden.
- 19
-
Nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (Urteile vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 = juris Rn. 10). Die Entscheidung eines Tatsachengerichts über Art und Anzahl einzuholender Sachverständigengutachten steht dabei gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO grundsätzlich in seinem tatrichterlichen Ermessen (z.B. Urteil vom 8. Juni 1979 - BVerwG 4 C 1.79 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 120 = NJW 1980, 900). Die unterlassene Einholung eines Obergutachtens stellt deshalb nur dann einen Verfahrensmangel dar, wenn sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (Beschluss vom 13. März 1992 - BVerwG 4 B 39.92 - NVwZ 1993, 268 = juris Rn. 5), weil die bereits vorliegenden Gutachten nicht den ihnen obliegenden Zweck zu erfüllen vermögen, dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts erforderliche Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (stRspr, u.a. Urteil vom 19. Dezember 1968 - BVerwG 8 C 29.67 - BVerwGE 31, 149 <156> = Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 2; Beschlüsse vom 10. März 1977 - BVerwG 6 B 38.76 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 21 und vom 30. August 1993 - BVerwG 2 B 106.93 - juris Rn. 2). Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht ausweislich der Begründung der Entscheidung über die Ablehnung des Beweisantrags, die es in seinem Urteil (UA S. 43, 45, 46) noch weiter präzisiert hat, rechtsfehlerfrei ausgegangen. Von einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung kann damit keine Rede sein. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr angenommen, dass durch die in das Verfahren eingeführten Gutachten ihm die erforderliche Sachkunde bereits soweit vermittelt wurde, um im Wege der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO) den vorliegend maßgeblichen Mindestabstand zwischen dem klägerischen Vorhaben und dem Gaskavernenspeicher der Beigeladenen bestimmen zu können. Das Oberverwaltungsgericht hat sich des Weiteren auf den Seiten 39 bis 46 des Entscheidungsabdrucks ausführlich mit den in das Verfahren - auch von Seiten der Klägerin - eingebrachten bzw. den von ihm eingeholten Gutachten auseinander gesetzt, hat diese umfassend gewürdigt und ist bezüglich des maßgeblichen Sicherheitsabstandes letztlich der durch das LANUV-Gutachten bestätigten Ansicht des TÜV gefolgt, weil es dieses für überzeugend gehalten hat (UA S. 37). Hiermit setzt sich die Klägerin nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise auseinander.
- 20
-
(3.2) Schließlich rügt die Klägerin, auch Beweisantrag Nr. 4 sei in der mündlichen Verhandlung unzulässigerweise abgelehnt worden. Danach sollte den Gutachtern der Gegenseite aufgegeben werden, ihre iterative Berechnung des Massestroms einschließlich der zugehörigen Excel-Tabellen vorzulegen, sowie der Klägerin und ihrem Sachverständigen Gelegenheit gegeben werden, dazu Stellung zu nehmen. Das Oberverwaltungsgericht lehnte diesen Beweisantrag mit der Begründung ab, die eingeforderten Vorlagen würden erkennbar keine relevanten Erkenntnisse erbringen. Die Beschwerde wirft dem Oberverwaltungsgericht insofern vor, den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt zu haben (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil es seine Entscheidung nur auf ein Gutachten stützen dürfe, das schlüssig und nachvollziehbar sei. Das setze gerade im Streit um wissenschaftliche Fragen voraus, dass die methodischen und rechnerischen Schritte, mit denen ein Sachverständiger zu einer Erkenntnis gelangt sei, nachvollzogen werden könnten. Dem habe der Beweisantrag Nr. 4 gedient. Ein Verfahrensfehler ist damit nicht dargetan. Inwieweit Ausgangsdaten und Verarbeitungsschritte einer gutachterlichen Stellungnahme offen gelegt werden müssen, um deren Verwertbarkeit überprüfen zu können, ist eine Frage der Beweiswürdigung und der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 VwGO), die sich regelmäßig nicht allgemeingültig beantworten lässt (Beschlüsse vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B 61.08 - NVwZ 2009, 910 Rn. 24 und vom 14. April 2011 - BVerwG 4 B 77.09 - juris Rn. 44). Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die Eingabegrößen und die Berechnungsgrundlagen im Anhang der Stellungnahme des LANUV aufgeführt sind (UA S. 44). Hinweise, auf durchgreifende, die Aussagekraft der Abschätzung in relevantem Umfang relativierende Fehler bei den Berechnungsgrundlagen, welche Anlass hätten geben können, die angelegten Excel-Tabellen anzufordern, hat das Oberverwaltungsgericht ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 44) nicht gefunden. Vor diesem Hintergrund hätte die Beschwerde darlegen müssen, dass bei der Aufnahme der Grundlagendaten und der Berechnungen Fehler unterlaufen sein könnten (Urteil vom 13. Oktober 2011 - BVerwG 4 A 4000.09 - juris Rn. 61 a.E. für eine Verkehrsprognose). Daran fehlt es.
- 21
-
c) Letztlich liegt auch keine sogenannte aktenwidrige Entscheidung vor.
- 22
-
Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt, betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffes (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben (Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 = juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss "zweifelsfrei" sein (z.B. Urteil vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338). Diese Voraussetzungen sind durch die Beschwerde nicht dargetan.
- 23
-
(1) Die Klägerin rügt, das Gericht habe den Sachverhalt "aktenwidrig" festgestellt, weil es davon ausgehe, dass bei Erreichen einer Wärmestrahlung von 12 kW/qm ein Wohngebäude regelmäßig keinen hinreichenden Schutz mehr biete, sondern mit letalen Folgen zu rechnen sei (UA S. 39). Aus den Akten ergebe sich - so die Klägerin - jedoch genau das Gegenteil. Dieser Einwand greift nicht durch. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei der genannten Passage im Urteil vom 15. Dezember 2011 lediglich um eine Ungenauigkeit in der Diktion handelt. Das folgt daraus, dass das Oberverwaltungsgericht im weiteren Verlauf seiner Prüfung davon ausgeht, dass der Wert von 12 kW/qm aufgrund der Unterschreitung des Sicherheitsabstandes von 85 m durch das verfahrensgegenständliche Gebäude (ca. 75 m Entfernung) überschritten wird und es infolgedessen zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme komme. Die Annahme, dass die typischen in Deutschland anzutreffenden Gebäude bei einer Wärmestrahlung von mehr als 12 kW/qm - somit auch das klägerische Gebäude - keinen ausreichenden Schutz vor letalen Folgen mehr bieten, entspricht jedoch der Aktenlage.
- 24
-
(2) Die Klägerin rügt des Weiteren, dass das Oberverwaltungsgericht bezüglich des der Ausbreitungsbetrachtung zugrunde zu legenden Massenstroms, d.h. der im Störfall auftretenden Emissionen am Kavernenkopf, hinsichtlich der insoweit maßgeblichen Parameter (Ideal-/Realgasverhalten, Druck, Strömungsdurchmesser/Ausströmungsquerschnitt, Inburex-Sicherheitsbericht 2002) von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen sei. Insofern legt sie jedoch schon keinen "offensichtlichen" bzw. "zweifelsfreien" Widerspruch entsprechend obigen Grundsätzen dar, sondern ersetzt die Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts durch eine eigene. Das gilt umso mehr, als die genannten Parameter, ihre Bestimmung und ihre Bedeutung für den maßgeblichen Sicherheitsabstand zwischen den Beteiligten sowie den Gutachtern im Verfahren heftig umstritten waren. Damit fehlt es bereits an der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Darlegung.
- 25
-
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
(1) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), begründen, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.
(2) Der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, ist zulässig.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
II.
II)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so gilt § 100 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die Kosten den mehreren Personen als Gesamtschuldnern auferlegt werden.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.
(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.
(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.