Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 1 StR 523/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:230118B1STR523.17.0
bei uns veröffentlicht am23.01.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 20. Juni 2017 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

I.

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 32 Fällen sowie wegen versuchten Betrugs in 20 Fällen und wegen Computerbetrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

2

Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand.

3

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 24. Oktober 2017 insoweit unter anderem ausgeführt:

„Die Anordnung der Unterbringung hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sind nicht hinreichend belegt.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 -1 StR 594/16 -, m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird das Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.

a) Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht zweifelsfrei, dass der Angeklagte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründete.

Nach den Feststellungen der Strafkammer war der Angeklagte 'aufgrund einer Intelligenzminderung erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt' (UA S. 12).

Zwar kann - wie von der Strafkammer für den Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung angenommen (UA S. 14 f.) - eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund dem Eingangsmerkmal des 'Schwachsinns' unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen, die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 55/17 -, m.w.N.). Auf der Ebene der Darlegungsanforderungen bedarf es aber stets einer konkretisierenden Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 -1 StR 594/16 -, m.w.N.).

Eine solche ist - auch bei Berücksichtigung des Gesamtkontextes der Urteilsgründe - dem Urteil nicht zu entnehmen. Die Strafkammer geht davon aus, dass aufgrund der beim Angeklagten anzunehmenden Intelligenzminderung ein 'Bedürfnisaufschub für ihn nur schwer zu kontrollieren und eine Abwägung der für und wider eine Tatbegehung sprechenden Gesichtspunkte nur eingeschränkt möglich' sei (UA S. 14). Wie sich diese festgestellten Defizite konkret auswirken, wird nicht näher beschrieben. Nicht nachvollziehbar dargelegt ist daher, weshalb die Strafkammer aufgrund dieser Defizite 'hinsichtlich des Tatentschlusses' von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (UA S. 15) ausgeht, zumal sie ohne weitere Begründung zwischen Tatentschluss und Umsetzung desselben differenziert und bei letzterer eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit verneint (UA S. 15). Die Urteilsausführungen hinsichtlich der Diagnose des Schwachsinns sind auch insoweit wenig aussagekräftig, als dass nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 -1 StR 55/17 -).

b) Die Gefahrenprognose begegnet ebenfalls rechtlichen Bedenken.

Die Strafkammer hat zutreffend erkannt, dass die Gefährlichkeitsprognose nach der zum 1. August 2016 in Kraft getretenen, für den Täter gegenüber der Altfassung günstigeren (vgl. BT-Drucksache 18/7244 S. 41) Neufassung des § 63 StGB zu treffen ist (§ 2 Abs. 6 StGB, UA S. 26).

aa) Sie hat allerdings nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Taten um solche handelt, durch die ein 'schwerer wirtschaftlicher Schaden' im Sinne des § 63 Satz 1 StGB entstanden ist und derartige Taten in Zukunft zu erwarten sind.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass für die Auslegung des Begriffs 'schwerer wirtschaftlicher Schaden' im Sinne des § 63 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die Literatur und die Rechtsprechung zur Auslegung der gleichlautenden Formulierung in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung zurückgegriffen werden kann (vgl. BT-Drucksache a.a.O., S. 20). Er hat den Richtwert für die Bewertung eines Schadens als 'schwer' mit einem Betrag in Höhe von 5.000,- € beziffert, aber darauf hingewiesen, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Daher könne im Einzelfall auch ein geringerer drohender Schaden die Gefährlichkeit des Täters begründen, ebenso wie diese auch bei höheren Schäden verneint werden könne. Ebenfalls auf die Umstände des Einzelfalls sei für die Frage abzustellen, ob bei einer drohenden Vielzahl von weniger schweren Taten, die für sich gesehen keinen schweren wirtschaftlichen Schaden begründen würden, auf den drohenden Gesamtschaden abzustellen ist, wobei auch hier der generelle Maßstab das Ausmaß der Störung des Rechtsfriedens sei. So könne schon die Tendenz zur serienmäßigen Tatbegehung den friedensstörenden Charakter jeder einzelnen Tat so erhöhen, dass sie alle als erheblich empfunden werden, während auf der anderen Seite drohende Taten mit geringen Schadenswerten selbst dann nicht zu einer empfindlichen, die Unterbringung des Täters erfordernden Störung des Rechtsfriedens führen dürften, wenn diese aufgrund der zu erwartenden serienmäßigen Begehung insgesamt zu einem 'schweren' wirtschaftlichen Schaden führen würden (vgl. BT- Drucksache a.a.O., S. 21, m.w.N.).

Die Strafkammer hat bei der danach gebotenen Gesamtwürdigung wesentliche Umstände nicht erkennbar bedacht.

Sie stellt maßgeblich auf den durch die verfahrensgegenständlichen Taten entstandenen und durch künftige Taten zu erwartenden Gesamtschaden ab, wobei auch Erwähnung findet, dass 'mit Schadenssummen analog denen im gegenständlichen Verfahren, das heißt von Einzelschäden im Bereich von einigen hundert Euro mit Abweichungen nach unten und nach oben (bis deutlich über 1.000,- € hinaus)' zu rechnen sei (UA S. 26). Diese pauschalen Erwägungen lassen besorgen, dass die Strafkammer nicht bedacht hat, dass sich die Einzelschäden vorliegend in den überwiegenden Fällen allenfalls im mittleren dreistelligen, teilweise sogar nur im zweistelligen Bereich bewegen (UA S. 4 ff.), mithin deutlich unterhalb des Richtwertes von 5.000,- € liegen, was gegen einen friedensstörenden Charakter der Taten sprechen könnte (vgl. BT- Drucksache a.a.O., S. 21, m.w.N.).

Soweit die Strafkammer bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung auch darauf abstellt, dass voraussichtlich wahllos unterschiedliche Arten von Unternehmen, vom kleinen Internetshop bis hin zum Serviceprovider, geschädigt werden (UA S. 26), lassen die Urteilsgründe ebenfalls die gebotene Differenzierung vermissen. Lediglich in vier Fällen (Fälle IV. 1. bis 4.; UA S. 9 f.) handelte es sich bei dem Geschädigten um einen Einzelunternehmer, während in den weiteren Fällen - zum Teil finanzkräftige - Unternehmen geschädigt wurden.“

4

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.

5

Der Maßregelausspruch bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.

Graf     

      

Jäger     

      

Bellay

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 1 StR 523/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2018 - 1 StR 523/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B1STR594.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen zwei jeweils als Bedrohung (§ 241 StGB) gewerteter , im Zustand aufgehobener Einsichtsfähigkeit begangener Anlasstaten angeordnet. Die auf eine ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.


2
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).
4
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
6
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, aufgrund dessen er „oftmals die Realität (verkennt) und nach seinen objektiv falschen Vorstellungen (handelt)“ (UA S. 7, siehe auch UA S. 10). Im Rahmen der Beweiswürdigung ordnet das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, den psychischen Zustand des Beschuldigten als akute polymorphe psychotische Störung (ICD-10 F.23.1.) ein. Beide Anlasstaten würden auf dieser Störung beruhen, weil sich die krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen des Beschuldigten über einen Zeitraum erstreckt hätten, der beide Tatzeiten umfasse (UA S. 15).
7
bb) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der konkreten Ausprägung der psychotischen Störung beschränken sich auf die Beschreibung, der Beschuldigte leide unter der wahnhaften Vorstellung, bereits mehrfach gelebt zu haben und in einem seiner früheren Leben mit der Zeugin S. verlobt gewesen und auch aktuell noch mit ihr verlobt zu sein. Wie sich die „psychotisch intendierte(n) wahnhaft geprägte(n) Psychopathologie“ konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bezüglich der Anlasstaten ausgewirkt haben soll, wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt. Die Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Tatgericht anschließt, erschöpft sich in der Aussage, die Kritikfähigkeit des Beschuldigten sei derart tiefgreifend verändert gewesen, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns sowie in den Realcharakter der Situationen als aufgehoben bewertet werden müsse (UA S. 16). Das lässt eine Darstellung der auf den Beschuldigten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner allein konkret benannten wahnhaften Vorstellung mehrfacher Wiedergeburt und des (vermeintlichen) Verlöbnisses mit S. auf die Unrechtseinsichtsfähigkeit bei den beiden Anlasstaten nahezu vollständig vermissen. Näherer Ausführungen sowohl zum psychischen Zustand des Beschuldigten und der Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten hätte es aber auch deshalb bedurft, weil sich das Krankheitsbild seit der ersten festgestellten stationären Behandlung des Beschuldigten im November 2008 bis zu den Taten im September 2015 bzw. Januar 2016 verändert hat und im Verlaufe seiner mehrfachen stationären Aufenthalte wechselnde Diagnosen seitens der behandelnden Ärzte gestellt worden sind (UA S. 4 und 5).
8
cc) Hinsichtlich der Anlasstat zum Nachteil des früheren Betreuers des Beschuldigten, Rechtsanwalt Sc. , (Tat B.1. der Urteilsgründe) erweisen sich die Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung zudem als in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat festgestellt, der Beschuldigte sei bezüglich des an den Betreuer gerichteten Drohbriefs infolge seiner psychischen Erkrankung der Auffassung gewesen, Rechtsanwalt Sc. sei für die erfolgte Kürzung von Sozialleistungen verantwortlich (UA S. 7). Ein Zusammenhang mit dem dargestellten Störungsbild wahnhafter Annahme mehrfacher Wiedergeburt und eines Verlöbnisses mit der Zeugin S. ist insoweit nicht zu erkennen. Die referierte Einlassung des Beschuldigten, er habe durch den Brief den Wechsel seines Betreuers erreichen wollen (UA S. 10 unten), lässt sich mit der Feststellung krankheitsbedingter Fehlwahrnehmung jedenfalls nicht in Einklang bringen , wenn das Störungsbild ausschließlich als eines beschrieben wird, das sich allein auf die Wiedergeburt und das Verhältnis zur Zeugin S. bezieht. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychotischen Störung und der Anlasstat zum Nachteil von Rechtsanwalt Sc. ausführt, der Beschuldigte habe – nach Begehung der Tat – gegenüber ihn behandelnden Ärzten im Bezirkskrankenhaus L. angegeben, sein Betreuer sei in seine Wohnung gegangen und habe seine Freundin geschwängert (UA S. 16), ist dies mit der Feststellung, die Verantwortungszuschreibung an den Betreuer für die erfolgte Kürzung der ALG II-Leistungen sei der auslösende Grund für den Drohbrief an den Betreuer gewesen (UA S. 7), ohne nähere Darlegungen kaum zu vereinbaren. Die Widersprüchlichkeiten zwischen Feststellungen und Beweiswürdigung können sich auf die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen ausgewirkt haben. Sowohl für die Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen der diagnostizierten Störung und der Anlasstat als auch für die Gefährlichkeitsprognose kommt dem Motiv der Tat zum Nachteil des früheren Betreuers Bedeutung zu.
9
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
10
aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheitsund Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH aaO mwN).
11
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In sol- chen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefochtene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol - und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehender – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte allein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Umstände , die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugunggewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.

II.


12
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 55/17
vom
24. Mai 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:240517B1STR55.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der im Jahr 1979 geborene Beschuldigte an einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit gravierenden Verhaltensstörungen. In Anbetracht ihres „Ausprägungsgrades“ hat das sachverständig beratene Landgericht diese Erkrankung als „Schwachsinn“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB eingestuft. Aufgrund dieser Er- krankung und der damit verbundenen Defizienzen war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit nach der Wertung des Landgerichts mit Sicherheit erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar vollständig aufgehoben. Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten war demgegenüber nicht beeinträchtigt.
3
Der Beschuldigte, der sich bereits als Kind in Heimeinrichtungen befunden und eine Schule für geistig Behinderte besucht hatte, befand sich von 1997 bis 1999 wegen zum Teil massiver selbst- und fremdgefährdender Vorfälle in einem Bezirkskrankenhaus. Er ist seit 1997 durchgängig auf zivilrechtlicher Grundlage untergebracht und steht unter Betreuung. Mehrfach kam es zu stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken. Zuletzt befand er sich seit März 2015 im I. Klinikum W. .
4
Dort nutzte er am Tattag, dem 18. Februar 2016, gegen 20.35 Uhr den Wechsel des Pflegepersonals aus, um bei der Mitpatientin und Geschädigten K. im hinteren Bereich der Herrentoilette den vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr vollziehen zu können. Die Geschädigte leidet an einer schwergradigen Intelligenzminderung und ist nicht in der Lage zu kommunizieren. Sie vermag lediglich unverständliche Laute zu äußern. Zu einer eigenen Willensbildung bezüglich ihrer Sexualität war sie nicht in der Lage. Auch konnte sie einen Willensentschluss gegen ein sexuelles Ansinnen des Beschuldigten weder äußern noch durchsetzen, was der Beschuldigte bewusst ausnutzte. Er veranlasste sie vor den Toilettenkabinen, mit heruntergezogener Hose und Unterhose ihren Oberkörper nach vorne zu beugen. Der Beschuldigte stand, ebenfalls mit herunter gezogener Hose und Unterhose, mit erigiertem Penis unmittelbar hinter der Geschädigten. Als eine Krankenpflegerin, die durch ein deutlich hörbares Wimmern der Geschädigten auf den Vorfall aufmerksam ge- worden war, die Herrentoilette betrat, ließ der Beschuldigte von seinem Vorhaben ab.
5
Das Landgericht konnte weder feststellen, ob die Geschädigte eigenständig in die Herrentoilette gegangen war, noch ob der Beschuldigte mit seinem Penis vaginal oder anal in die Geschädigte eingedrungen war. Es hat das Verhalten des Beschuldigten als versuchten schweren sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung gewertet, für das der Beschuldigte aber nicht bestraft werden könne, weil er sich zur Tatzeit nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befunden habe.
6
2. Die Entscheidung zur Frage der Schuldfähigkeit und zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. gestützt. Nach dessen Ausführungen sei beim Beschuldigten von einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung auszugehen, wobei eine eindeutige Ursache für seine Intelligenzminderung nicht bekannt sei. Diese sei aus forensisch-psychiatrischer Sicht dem biologischen Merkmal des „Schwachsinns“ zuzuordnen. Zwar sei sich der Beschuldigte bei Tatbegehung trotz seiner Intelligenzminderung darüber im Klaren gewesen, dass sein Vorgehen nicht statthaft gewesen sei und die Geschädigte weder Einverständnis noch Missfallen zum Ausdruck habe bringen können; seine Einsichtsfähigkeit sei daher noch erhalten gewesen. „Aufgrund des diagnostizierten Schwachsinns“ und der damit verbundenen De- fizienzen mit impulshaftem Ausagieren und fehlender Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub bzw. suffizienter Antizipation seines Handelns sei aber sicher von erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB und nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB zum Tatzeitpunkt auszugehen. Das Landgericht schloss sich dem Gutachten „aufgrund eigener Bewertung“ in vollem Umfang an.

II.


7
Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Bereits die Ausführungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als Grundlage für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Die Urteilsgründe ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund, wie das Landgericht sie für den Beschuldigten angenommen hat, dem Eingangsmerkmal des „Schwachsinns“ unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR497/14, Rn. 15, NStZ-RR 2015, 71), die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschlüsse vom 22. August2012 – 4 StR 308/12, Rn. 9 und vom 10. September 2013 – 4 StR 287/13, Rn. 8).
9
Wie sich die „leicht- bis mittelgradige Intelligenzminderung“ des Beschuldigten und deren „Ausprägungsgrad“ (UA S. 5) konkret auswirken, wird nicht näher beschrieben. Auch enthält das Urteil keine Angabe, welchen Intelli- genzquotienten der Beschuldigte erreicht. Schon im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 5 StR 240/10 für die Diagnose „Schwachsinn“) sind die Urteilsausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche Überprüfung unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist. Es bleibt zudem offen, ob der Beschuldigte entgegen der vom Landgericht angenommenen fehlenden Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub in der Lage war, gerade den Zeitpunkt des Personalwechsels abzuwarten und mit der Geschädigten einen unbeobachteten Ort aufzusuchen, um „heimlich“ (UA S. 12) vorgehen zu können. Eine solche Fähigkeit könnte gegen die im Urteil angenommene erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit aufgrund intellektueller Minderbegabung sprechen. Überhaupt fehlen neben einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209 mwN) Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation hatte (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 – 2StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306). Ferner erörtert das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht, in welchem Zusammenhang die Intelligenzminderung mit den beim Beschuldigten ebenfalls angenommenen Verhaltensstörungen (UA S. 5) steht.

III.

10
Das Landgericht hat wegen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschuldigten nicht angenommen, dass der Beschuldigte in die Geschädigte eingedrungen ist. Im Hinblick darauf, dass bei einer abweichenden Beurteilung des geistigen und seelischen Zustands des Beschuldigten das neue Tatgericht auch die Frage der Glaubhaftigkeit seiner Angaben anders beant- worten könnte, hebt der Senat auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Zudem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hin. Jäger Bellay Radtke Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B1STR594.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen zwei jeweils als Bedrohung (§ 241 StGB) gewerteter , im Zustand aufgehobener Einsichtsfähigkeit begangener Anlasstaten angeordnet. Die auf eine ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.


2
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).
4
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
6
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, aufgrund dessen er „oftmals die Realität (verkennt) und nach seinen objektiv falschen Vorstellungen (handelt)“ (UA S. 7, siehe auch UA S. 10). Im Rahmen der Beweiswürdigung ordnet das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, den psychischen Zustand des Beschuldigten als akute polymorphe psychotische Störung (ICD-10 F.23.1.) ein. Beide Anlasstaten würden auf dieser Störung beruhen, weil sich die krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen des Beschuldigten über einen Zeitraum erstreckt hätten, der beide Tatzeiten umfasse (UA S. 15).
7
bb) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der konkreten Ausprägung der psychotischen Störung beschränken sich auf die Beschreibung, der Beschuldigte leide unter der wahnhaften Vorstellung, bereits mehrfach gelebt zu haben und in einem seiner früheren Leben mit der Zeugin S. verlobt gewesen und auch aktuell noch mit ihr verlobt zu sein. Wie sich die „psychotisch intendierte(n) wahnhaft geprägte(n) Psychopathologie“ konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bezüglich der Anlasstaten ausgewirkt haben soll, wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt. Die Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Tatgericht anschließt, erschöpft sich in der Aussage, die Kritikfähigkeit des Beschuldigten sei derart tiefgreifend verändert gewesen, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns sowie in den Realcharakter der Situationen als aufgehoben bewertet werden müsse (UA S. 16). Das lässt eine Darstellung der auf den Beschuldigten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner allein konkret benannten wahnhaften Vorstellung mehrfacher Wiedergeburt und des (vermeintlichen) Verlöbnisses mit S. auf die Unrechtseinsichtsfähigkeit bei den beiden Anlasstaten nahezu vollständig vermissen. Näherer Ausführungen sowohl zum psychischen Zustand des Beschuldigten und der Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten hätte es aber auch deshalb bedurft, weil sich das Krankheitsbild seit der ersten festgestellten stationären Behandlung des Beschuldigten im November 2008 bis zu den Taten im September 2015 bzw. Januar 2016 verändert hat und im Verlaufe seiner mehrfachen stationären Aufenthalte wechselnde Diagnosen seitens der behandelnden Ärzte gestellt worden sind (UA S. 4 und 5).
8
cc) Hinsichtlich der Anlasstat zum Nachteil des früheren Betreuers des Beschuldigten, Rechtsanwalt Sc. , (Tat B.1. der Urteilsgründe) erweisen sich die Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung zudem als in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat festgestellt, der Beschuldigte sei bezüglich des an den Betreuer gerichteten Drohbriefs infolge seiner psychischen Erkrankung der Auffassung gewesen, Rechtsanwalt Sc. sei für die erfolgte Kürzung von Sozialleistungen verantwortlich (UA S. 7). Ein Zusammenhang mit dem dargestellten Störungsbild wahnhafter Annahme mehrfacher Wiedergeburt und eines Verlöbnisses mit der Zeugin S. ist insoweit nicht zu erkennen. Die referierte Einlassung des Beschuldigten, er habe durch den Brief den Wechsel seines Betreuers erreichen wollen (UA S. 10 unten), lässt sich mit der Feststellung krankheitsbedingter Fehlwahrnehmung jedenfalls nicht in Einklang bringen , wenn das Störungsbild ausschließlich als eines beschrieben wird, das sich allein auf die Wiedergeburt und das Verhältnis zur Zeugin S. bezieht. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychotischen Störung und der Anlasstat zum Nachteil von Rechtsanwalt Sc. ausführt, der Beschuldigte habe – nach Begehung der Tat – gegenüber ihn behandelnden Ärzten im Bezirkskrankenhaus L. angegeben, sein Betreuer sei in seine Wohnung gegangen und habe seine Freundin geschwängert (UA S. 16), ist dies mit der Feststellung, die Verantwortungszuschreibung an den Betreuer für die erfolgte Kürzung der ALG II-Leistungen sei der auslösende Grund für den Drohbrief an den Betreuer gewesen (UA S. 7), ohne nähere Darlegungen kaum zu vereinbaren. Die Widersprüchlichkeiten zwischen Feststellungen und Beweiswürdigung können sich auf die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen ausgewirkt haben. Sowohl für die Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen der diagnostizierten Störung und der Anlasstat als auch für die Gefährlichkeitsprognose kommt dem Motiv der Tat zum Nachteil des früheren Betreuers Bedeutung zu.
9
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
10
aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheitsund Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH aaO mwN).
11
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In sol- chen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefochtene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol - und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehender – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte allein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Umstände , die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugunggewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.

II.


12
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 55/17
vom
24. Mai 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:240517B1STR55.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 24. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der im Jahr 1979 geborene Beschuldigte an einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung mit gravierenden Verhaltensstörungen. In Anbetracht ihres „Ausprägungsgrades“ hat das sachverständig beratene Landgericht diese Erkrankung als „Schwachsinn“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB eingestuft. Aufgrund dieser Er- krankung und der damit verbundenen Defizienzen war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit nach der Wertung des Landgerichts mit Sicherheit erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar vollständig aufgehoben. Die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten war demgegenüber nicht beeinträchtigt.
3
Der Beschuldigte, der sich bereits als Kind in Heimeinrichtungen befunden und eine Schule für geistig Behinderte besucht hatte, befand sich von 1997 bis 1999 wegen zum Teil massiver selbst- und fremdgefährdender Vorfälle in einem Bezirkskrankenhaus. Er ist seit 1997 durchgängig auf zivilrechtlicher Grundlage untergebracht und steht unter Betreuung. Mehrfach kam es zu stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken. Zuletzt befand er sich seit März 2015 im I. Klinikum W. .
4
Dort nutzte er am Tattag, dem 18. Februar 2016, gegen 20.35 Uhr den Wechsel des Pflegepersonals aus, um bei der Mitpatientin und Geschädigten K. im hinteren Bereich der Herrentoilette den vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr vollziehen zu können. Die Geschädigte leidet an einer schwergradigen Intelligenzminderung und ist nicht in der Lage zu kommunizieren. Sie vermag lediglich unverständliche Laute zu äußern. Zu einer eigenen Willensbildung bezüglich ihrer Sexualität war sie nicht in der Lage. Auch konnte sie einen Willensentschluss gegen ein sexuelles Ansinnen des Beschuldigten weder äußern noch durchsetzen, was der Beschuldigte bewusst ausnutzte. Er veranlasste sie vor den Toilettenkabinen, mit heruntergezogener Hose und Unterhose ihren Oberkörper nach vorne zu beugen. Der Beschuldigte stand, ebenfalls mit herunter gezogener Hose und Unterhose, mit erigiertem Penis unmittelbar hinter der Geschädigten. Als eine Krankenpflegerin, die durch ein deutlich hörbares Wimmern der Geschädigten auf den Vorfall aufmerksam ge- worden war, die Herrentoilette betrat, ließ der Beschuldigte von seinem Vorhaben ab.
5
Das Landgericht konnte weder feststellen, ob die Geschädigte eigenständig in die Herrentoilette gegangen war, noch ob der Beschuldigte mit seinem Penis vaginal oder anal in die Geschädigte eingedrungen war. Es hat das Verhalten des Beschuldigten als versuchten schweren sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung gewertet, für das der Beschuldigte aber nicht bestraft werden könne, weil er sich zur Tatzeit nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befunden habe.
6
2. Die Entscheidung zur Frage der Schuldfähigkeit und zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. G. gestützt. Nach dessen Ausführungen sei beim Beschuldigten von einer leicht- bis mittelgradigen Intelligenzminderung auszugehen, wobei eine eindeutige Ursache für seine Intelligenzminderung nicht bekannt sei. Diese sei aus forensisch-psychiatrischer Sicht dem biologischen Merkmal des „Schwachsinns“ zuzuordnen. Zwar sei sich der Beschuldigte bei Tatbegehung trotz seiner Intelligenzminderung darüber im Klaren gewesen, dass sein Vorgehen nicht statthaft gewesen sei und die Geschädigte weder Einverständnis noch Missfallen zum Ausdruck habe bringen können; seine Einsichtsfähigkeit sei daher noch erhalten gewesen. „Aufgrund des diagnostizierten Schwachsinns“ und der damit verbundenen De- fizienzen mit impulshaftem Ausagieren und fehlender Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub bzw. suffizienter Antizipation seines Handelns sei aber sicher von erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB und nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB zum Tatzeitpunkt auszugehen. Das Landgericht schloss sich dem Gutachten „aufgrund eigener Bewertung“ in vollem Umfang an.

II.


7
Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Bereits die Ausführungen des Landgerichts zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als Grundlage für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Die Urteilsgründe ergeben nicht zweifelsfrei, dass der Beschuldigte bei Tatbegehung an einem geistigen oder seelischen Zustand litt, der die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher begründete. Zwar kann eine Intelligenzminderung ohne nachweisbaren Organbefund, wie das Landgericht sie für den Beschuldigten angenommen hat, dem Eingangsmerkmal des „Schwachsinns“ unterfallen und damit eine besondere Erscheinungsform schwerer anderer seelischer Abartigkeiten darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR497/14, Rn. 15, NStZ-RR 2015, 71), die zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen kann. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1994 – 2 StR 366/94, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschlüsse vom 22. August2012 – 4 StR 308/12, Rn. 9 und vom 10. September 2013 – 4 StR 287/13, Rn. 8).
9
Wie sich die „leicht- bis mittelgradige Intelligenzminderung“ des Beschuldigten und deren „Ausprägungsgrad“ (UA S. 5) konkret auswirken, wird nicht näher beschrieben. Auch enthält das Urteil keine Angabe, welchen Intelli- genzquotienten der Beschuldigte erreicht. Schon im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieser Behinderung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 5 StR 240/10 für die Diagnose „Schwachsinn“) sind die Urteilsausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche Überprüfung unzureichend, zumal nicht mitgeteilt wird, aufgrund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt ist. Es bleibt zudem offen, ob der Beschuldigte entgegen der vom Landgericht angenommenen fehlenden Fähigkeit zum Bedürfnisaufschub in der Lage war, gerade den Zeitpunkt des Personalwechsels abzuwarten und mit der Geschädigten einen unbeobachteten Ort aufzusuchen, um „heimlich“ (UA S. 12) vorgehen zu können. Eine solche Fähigkeit könnte gegen die im Urteil angenommene erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit aufgrund intellektueller Minderbegabung sprechen. Überhaupt fehlen neben einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209 mwN) Ausführungen dazu, welchen Einfluss die Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation hatte (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2015 – 2StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306). Ferner erörtert das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht, in welchem Zusammenhang die Intelligenzminderung mit den beim Beschuldigten ebenfalls angenommenen Verhaltensstörungen (UA S. 5) steht.

III.

10
Das Landgericht hat wegen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschuldigten nicht angenommen, dass der Beschuldigte in die Geschädigte eingedrungen ist. Im Hinblick darauf, dass bei einer abweichenden Beurteilung des geistigen und seelischen Zustands des Beschuldigten das neue Tatgericht auch die Frage der Glaubhaftigkeit seiner Angaben anders beant- worten könnte, hebt der Senat auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Zudem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hin. Jäger Bellay Radtke Fischer Bär

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.