Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 1 StR 105/15

bei uns veröffentlicht am21.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 1 0 5 / 1 5
vom
21. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 4. November 2014 soweit es sie betrifft , im Ausspruch über die Dauer des jeweiligen Vorwegvollzugs dahin abgeändert, dass vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt
a) des Angeklagten D. zwei Jahre der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe
b) des Angeklagten M. ein Jahr sieben Monate und zwei Wochen der gegen ihn verhängten Jugendstrafe zu vollziehen sind. 2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen. 3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schwerer räuberischer Erpressung und versuchtem Computerbetrug schuldig gesprochen und den Angeklagten D. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten M. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen beide hat es die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und für den Angeklagten D. den Vorwegvollzug der Strafe vor der Maßregel von drei Jahren und einem Monat, für den Angeklagten M. einen solchen von zwei Jahren und sieben Monaten bestimmt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge. Sie haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuld- und der Strafausspruch erweisen sich als rechtsfehlerfrei. Zwar ist dem Urteil weder ausdrücklich noch in seinem Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass die Jugendkammer die gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG gebotene Prüfung vorgenommen hat, ob von Jugendstrafe wegen der Unterbringung in der Entziehungsanstalt abgesehen werden kann. Aus den Urteilsgründen ergibt sich angesichts der Schwere der Tat aber gleichwohl ohne weiteres, dass eine Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG ausscheidet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2009 – 2 StR 240/09; vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13 und vom 23. Juni 2015 – 1 StR 243/15).
3
2. Auch die jeweilige Anordnung der Maßregel des § 64 StGB ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat aber die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafen vor der Unterbringung fehlerhaft bemessen.
4
Der Senat setzt die Dauer des Vorwegvollzugs – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – fest. Da die jeweils zur Therapie erforderliche Dauer der Unterbringung rechtsfehlerfrei festgestellt ist, kann der Senat den Urteilstenor entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abändern (vgl. BGH, Be- schlüsse vom 15. Dezember 2010 – 1 StR 642/10 mwN und vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107, 108).
5
Ausgehend vom Zeitpunkt der Halbstrafe (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB) von drei Jahren und sechs Monaten für den Angeklagten D. und drei Jahren ein Monat und zwei Wochen für den Angeklagten M. und einer voraussichtlichen Therapiedauer von jeweils einem Jahr und sechs Monaten beträgt die Dauer des festzusetzenden Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe zwei Jahre für den Angeklagten D. und ein Jahr sieben Monate und zwei Wochen für den Angeklagten M. .
6
Der teilweise Erfolg der Rechtsmittel ist nicht von einer solchen Bedeutung , dass es unbillig wäre, die Beschwerdeführer mit den Kosten und Auslagen in vollem Umfang zu belasten, § 473 Abs. 1 und 4 StPO.
Raum Rothfuß Jäger
Cirener Mosbacher

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 1 StR 105/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2015 - 1 StR 105/15

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 372/13
vom
17. September 2013
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2013 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Coburg vom 11. März 2013 im Rechtsfolgenausspruch mit
den Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
1. Der wegen einer Vielzahl von Einbrüchen, Körperverletzungen und weiterer Delikte vorgeahndete Angeklagte wurde wegen einer Reihe wiederholt in alkoholisiertem Zustand begangener Straftaten wie etwa - räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung und versuchter Nötigung (begangen etwa z. N. eines Zechgenossen oder eines Bekannten aus dem Obdachlosenmilieu); - Widerstandshandlungen, Körperverletzung, Beleidigung im Rahmen der häufig von ihm verursachten polizeilichen Einsätze; - Sachbeschädigung (er zertrümmerte die Tür der von ihm gemieteten Wohnung, weil er den Schlüssel vergessen hatte); - Verstößen gegen Weisungen der Führungsaufsicht zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich wurde er gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Bei allen Taten war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich i.S.d. § 21 StGB vermindert. Wie näher dargelegt ist, liegt bei ihm eine schwergradig ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung vor, die durch eine Intel- ligenzminderung und Alkoholabhängigkeit „erheblich kompliziert“ werde, sodass hier insgesamt von einer schweren (anderen) seelischen Abartigkeit i.S.d. § 20 StGB auszugehen sei. Nachdem er inzwischen anders als früher auch Personen bedroht, um sich Vermögensvorteile zu verschaffen, seien von ihm weitere, i.S.d. § 63 StGB gefährliche Straftaten zu erwarten. Diese Taten seien „geeignet , den Rechtsfrieden der Allgemeinheit … zu stören, da sich die Taten in der Vergangenheit nicht gegen bestimmte Personen richteten und ihre Ursache allein in dem konkreten persönlichen Verhältnis des Beschuldigten (gemeint: Angeklagten) zu diesen Personen hatten, sondern wahllos und situationsbe- dingt begangen wurden“.
2
2. Während der Schuldspruch ohne den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ist (§ 349 Abs. 2 StPO), kann der Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben (§ 349 Abs. 4 StPO):
3
a) Dem Urteil ist weder ausdrücklich noch in seinem Gesamtzusammenhang zu entnehmen, dass die Jugendkammer die gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG gebotene Prüfung vorgenommen hätte, ob von Jugendstrafe wegen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen werden kann.
4
b) Der Senat hat geprüft, ob sich gleichwohl ohne weiteres aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe von selbst versteht, dass eine Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG ausscheidet (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 2 StR 240/09).
5
Dies war zu verneinen:
6
Die Jugendkammer folgt dem Sachverständigen, wonach der Angeklagte ein „seltener Ausnahmefall“ sei, bei dem „die Zuordnung einer Persönlichkeitsstörung zum vierten Eingangsmerkmal des § 20 StGB … gerechtfertigt“ sei. Auch wenn bei ihm „keine zusätzliche psychotische Symptomatik“ vorliege, bewirke die Persönlichkeitsstörung Einbußen, wie sie vor allem bei „Schizophrenien und Demenzen auftreten könnten“. Angesichts dieser Besonderheiten liegt die Entscheidung darüber, ob hier neben der Unterbringungsanordnung Jugendstrafe zu verhängen ist, nicht offenkundig auf der Hand. Daher kann der Senat nicht selbst abschließend hierüber entscheiden, da er das insoweit von der Jugendkammer auszuübende, aber nicht ausgeübte Ermessen nicht durch eigenes Ermessen ersetzen kann (vgl. allgemein zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 4. Juni 2013 - 1 StR 32/13 Rn. 86 mwN).
7
c) Schon angesichts des Sachzusammenhangs zwischen Jugendstrafe und Unterbringung kann auch die Unterbringungsanordnung keinen Bestand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2009 - 2 StR 240/09 und vom 27. Mai 2008 - 3 StR 131/08 mwN).
8
d) Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass die im Rahmen der Prüfung von § 63 StGB angestellten Erwägungen der Jugendkammer nicht widerspruchsfrei erscheinen (1) und darüber hinaus - dies würde für sich genommen hier den Angeklagten nicht beschweren - keinen zutreffenden Maßstab anlegen (2):
9
(1) Die Bewertung der zurückliegenden Taten (vgl. oben 1. am Ende) als wahllos und ohne Zusammenhang mit Beziehungen zu den Opfern begangen, stimmt jedenfalls auf die hier als wesentlich angesehenen Taten - räuberische Erpressung und versuchte räuberische Erpressung - bezogen, nicht mit den Feststellungen überein. Opfer der räuberischen Erpressung war ein Nachbar des Angeklagten. Diesen hatte er zunächst zum gemeinsamen Zechen in seine Wohnung geholt, mit ihm die dort vorhandenen Alkoholvorräte ausgetrunken und dann von ihm gewaltsam Geld für weiteren Alkohol und Zigaretten erpresst. Auch mit dem Geschädigten der versuchten räuberischen Erpressung hatte der Angeklagte offenbar schon länger Kontakt. Jedenfalls hatte sich der Angeklagte , so ein Zeuge über Bekundungen des inzwischen verstorbenen Geschädigten , häufiger in der Wohnung des Geschädigten aufgehalten und von diesem dort Geld verlangt.
10
(2) Andererseits besteht eine Gefahr für die Allgemeinheit aber nicht nur, wenn eine unbestimmte Vielzahl noch nicht näher individualisierter Personen betroffen ist. Vielmehr ist jeder als Einzelner Mitglied der Allgemeinheit, wenn ihm schwerer Schaden droht. Dementsprechend genügt es für eine Gefährlichkeit i.S.d. § 63 StGB, wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen einen begrenzten Personenkreis oder sogar nur gegen eine Einzelperson zu erwarten sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1976 - 1 StR 847/75, BGHSt 26, 321; BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 - 1 StR 530/06 mwN zum hinsichtlich des Begriffs der Allgemeinheit gleich zu behandelnden Fall des § 66 StGB).
Raum Wahl Rothfuß
Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 4 3 / 1 5
vom
23. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. September 2014 im Ausspruch über den Vorwegvollzug eines Teils der Jugendstrafe aufgehoben, der Ausspruch entfällt. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags, einer Vielzahl von Körperverletzungsdelikten und wegen weiterer Straftaten zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, dass drei Jahre und sechs Monate der Jugendstrafe vor der Maßregel vollzogen werden. Die Revision führt mit der näher ausgeführten Sachrüge zur Aufhebung und zum Wegfall des Vorwegvollzuges eines Teils der Jugendstrafe (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift genannten Gründen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
2
1. Angesichts der rechtsfehlerfreien Feststellung einer Therapiedauer von zwei Jahren hat das Landgericht den Zeitraum des Vorwegvollzuges der Maßregel nicht wie nach § 105 Abs. 1, § 7 Abs. 1 JGG i.V.m. § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB geboten auf ein Jahr und neun Monate, sondern fehlerhaft auf drei Jahre und sechs Monate festgesetzt. Aufgrund der Dauer der nunmehr bereits verbüßten und anzurechnenden Untersuchungshaft bleibt für die Anordnung des Vorwegvollzugs kein Raum; die Anordnung hat deshalb zu entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2013 – 2 StR 397/13, NStZ-RR 2014, 58 mwN).
3
2. Eine Revisionserstreckung auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten nach § 357 StPO (zur vergleichbaren Rechtsfrage bei § 69 Abs. 1 StGB Senatsurteil vom 4. November 2014 – 1 StR 233/14) findet nicht statt, da sich die Dauer des Vorwegvollzuges nach der jeweils individuellen Therapiedauer richtet (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 – 4 ARs 18/09; umfassend zur Problematik BGH, Beschlüsse vom 23. September 2009 – 2 StR 305/09, NStZ 2010, 32 und vom 16. Dezember 2009 – 2 StR 305/09, NStZ-RR 2010, 118 mwN). Zudem ist es stets möglich, dass bei dem Nichtrevidenten aus in seiner Person liegenden Gründen nach Eintritt der Rechtskraft die Anordnung des Vorwegvollzuges gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB durch die zuständige Strafvollstreckungskammer geändert oder aufgehoben wurde.
4
3. Die Kammer hat zwar nicht nach § 5 Abs. 3 JGG i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG ausdrücklich erörtert, ob von Jugendstrafe deshalb abgesehen werden muss, weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Mai2011 – 4 StR 159/11, StraFo 2011, 288; Altenhain/Laue in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 5 JGG Rn. 22 ff. mwN). Dies erweist sich jedoch im vorliegenden Fall als un- schädlich. Angesichts der rechtsfehlerfrei begründeten Höhe der Jugendstrafe und der prognostizierten Therapiedauer lag ein Absehen von Jugendstrafe fern (vgl. zum Fernliegen der Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG bei sehr hoher Jugendstrafe und einer Maßregel nach § 64 StGB auch BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 2 StR 227/09). Was fern liegt, bedarf regelmäßig keiner ausdrücklichen Erörterung (vgl. Senat, Urteil vom 20. Mai 2014 – 1 StR 90/14). Zudem kann der Senat angesichts der geschilderten Umstände ausschließen, dass das Landgericht in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG keine Jugendstrafe verhängt hätte.
5
4. Angesichts des nur geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig , den Beschwerdeführer insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels und den Auslagen des Nebenklägers zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
Rothfuß Graf Radtke
Mosbacher Fischer

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 642/10
vom
15. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 21. Juli 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet
verworfen, dass vor der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt zwei Jahre von der gegen den Angeklagten
verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zu vollziehen sind.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 40 Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 20 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zuvor noch ein Jahr und sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe vollzogen werden.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Berichtigung des Ausspruchs über die Dauer des Vorwegvollzugs (§ 349 Abs. 4 StPO).
3
Bei der Bestimmung des vorweg zu vollziehenden Teils der Freiheitsstrafe hat sich die Strafkammer zwar zutreffend am Halbstrafen-Zeitpunkt orientiert (§ 67 Abs. 2 Satz 3 StGB), hier also an dem Zeitraum von vier Jahren. Die erforderliche Therapiedauer beträgt im vorliegenden Fall voraussichtlich, so das sachverständig beratene Landgericht, etwa zwei Jahre. Es verbleiben daher für den Vorwegvollzug von Strafhaft zwei Jahre. Zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils befand sich der Angeklagte sechs Monate in Untersuchungshaft. Die Strafkammer hat deshalb die Anordnung eines Vorwegvollzugs von noch einem Jahr und sechs Monaten angeordnet. Nach der Rechtsprechung ist die erlittene Untersuchungshaft gemäß § 51 StGB grundsätzlich auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Strafteil anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2010 - 1 StR 43/10, Rn. 1). Da die Grundlagen der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs rechtsfehlerfrei festgestellt sind, kann der Senat die Formulierung im Urteilstenor entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst korrigieren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Februar 2010 - 3 StR 558/09, Rn. 3; vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, Rn. 6).
4
Im Übrigen ist die Revision unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig , den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 531/13
vom
14. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2014 beschlossen
:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts München I vom 1. März 2013 im Ausspruch über
die Dauer des Vorwegvollzugs dahin abgeändert, dass vor der
Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ein
Jahr und elf Monate der gegen sie verhängten Freiheitsstrafe zu
vollziehen sind.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die der
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen
werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt. Zudem hat es ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; dabei hat es bestimmt, dass von der Strafe noch ein Jahr und ein Monat vor der Maßregel zu vollziehen sind. Mit ihrer Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, gestützt auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts, die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe, auf die sie ihr Rechtsmittel auch beschränkt hat. Sie erstrebt die Festsetzung der Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor der Maßregel auf ein Jahr und elf Monate. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam.
3
a) Eine Revisionsbeschränkung ist nur möglich, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 318 Rn. 6 mwN). Dies setzt bei der Anfechtung der Dauer des Vorwegvollzugs einer Unterbringung voraus, dass die Maßregel als solche rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 7/12, NStZ 2012, 587), zumal da die Dauer des Vorwegvollzugs auch von der Einschätzung der Behandlungsdauer abhängt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 167/08).
4
b) Die Voraussetzungen der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sind hier hinreichend belegt. Sowohl das Vorliegen eines Hanges der Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, als auch der Gefahr, dass die Angeklagte infolge ihres Hanges weitere rechtswidrige Taten begehen wird, werden von den Feststellungen, die auf einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung beruhen, getragen. Den Symptomwert des von der Angeklagten begangenen versuchten Tötungsdelikts für eine hangbedingte Gefährlichkeit hat die sachverständig beratene Strafkammer rechtsfehlerfrei begründet. Sie durfte dabei in den Blick nehmen, dass der von der Angeklagten betriebene übermäßige Drogen- und Medikamentenkonsum für die Tat ursächlich war, weil sich die Angeklagte überhaupt nur wegen dieses übermäßigen Konsums berauschender Substanzen "im sozialen Milieu" des Geschädigten aufgehalten hat. Auch die Wertung der Strafkammer, dass ohne weitere Maßnahmen mit der Fortsetzung des Drogen- und Medika- mentenkonsums der Angeklagten und mit hierauf zurückgehenden Taten, die der Anlasstat vergleichbar sind, zu rechnen ist (UA S. 37), wird von den Feststellungen getragen. Bei der Angeklagten wurde eine Polytoxikomanie mit einem Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert. Sie hat - ohne dass die Voraussetzungen der §§ 20 oder 21 StGB vorlagen - die Anlasstat in einem leichtgradig ausgeprägten, auf eine akute Intoxikation multipler Substanzen zurückzuführenden Rausch begangen (UA S. 28), darunter die amphetaminähnlich wirkende Designerdroge MDPV ("Badesalz"), die eine psychotisch, aber auch aggressiv machende Wirkung haben kann (UA S. 26 f.). Es wird hinreichend deutlich, dass das Landgericht bei der Annahme eines drogenbedingten Rauschs der Beurteilung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. S. gefolgt ist (UA S. 29).
5
c) Angesichts dieser Diagnose und der zudem bei der Angeklagten vorliegenden kombinierten Persönlichkeitsstörung (UA S. 28) ist auch die von der sachständig beratenen Strafkammer angenommene Therapiedauer von zwei Jahren aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
6
2. Die Revision hat Erfolg.
7
Das Landgericht hat zwar an sich die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung nach der Maßgabe des § 67 Abs. 2 StGB zutreffend bemessen. Es hat jedoch hiervon die zum Urteilszeitpunkt bereits verbüßte Untersuchungshaft von zehn Monaten in Abzug gebracht und hat deshalb einen Vorwegvollzug von noch einem Jahr und einem Monat angeordnet. Dies ist rechtsfehlerhaft; denn die erlittene Untersuchungshaft ist für die Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs ohne Bedeutung, sie ist vielmehr gemäß § 51 StGB auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Teil der Strafe anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - 1 StR 642/10 mwN).
8
3. Der Senat setzt die Dauer des Vorwegvollzugs durch Beschluss (§ 349 Abs. 4 StPO) selbst auf ein Jahr und elf Monate fest.
9
a) Da die Grundlagen der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs rechtsfehlerfrei festgestellt sind, kann der Senat den Urteilstenor entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abändern (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - 1 StR 642/10 mwN). Ausgehend vom Zeitpunkt der Halbstrafe (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB) von drei Jahren und elf Monaten und einer Therapiedauer von zwei Jahren beträgt die Dauer des festzusetzenden Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe ein Jahr und elf Monate.
10
b) Der Senat kann durch Beschluss entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 7/12, NStZ 2012, 587 = BGHR § 349 Abs. 4 Revision der Staatsanwaltschaft 2), da die auf Antrag der Staatsanwalt vorgenommene Korrektur der Dauer des Vorwegvollzugs zugunsten der Angeklag- ten ergeht, denn die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge dienen auch der Sicherung des Therapieerfolgs (BGH, Beschluss vom 21. August 2007 - 3 StR 263/07 a.E.).
Raum Wahl Rothfuß
Jäger Cirener

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.