Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2012 - 1 StR 485/12

bei uns veröffentlicht am24.10.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 485/12
vom
24. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Anstiftung zum Mord
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Oktober 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 21. Mai 2012 wird als unbegründet verworfen. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchter Anstiftung zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete , auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten bleibt erfolglos.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Die Angeklagte hegte seit einiger Zeit Hass auf ihren früheren Ehemann D. . Wegen eines mittels Schusswaffe begangenen Angriffs auf ihn war sie bereits im Jahr 2009 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zur Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik verurteilt worden. D. hatte die Angeklagte in diesem Verfahren durch seine Zeugenaussage maßgeblich belastet.
4
Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im August 2011 bat die Angeklagte den Zeugen I. in dessen Wohnung in A. , ihm Bekannte zu vermitteln, die D. wegen dessen angeblicher Falschaussage im früheren Verfahren ins Gewissen reden könnten. Noch am selben Tag stellte I. der Angeklagten seine Freunde Ö. und K. vor. Das Treffen fand in einer Grünanlage in der Nähe des Südbahnhofs von A. statt. Dabei bot die Angeklagte Ö. und K. an, ihnen für die Tötung von D. einen Betrag von 2.000 Euro zu zahlen. Als „Vorschuss“ übergab sie Ö. sogleich einen Betrag von 1.000 Euro; die Restzahlung sollte nach Erledigung des Auftrages erfolgen. Zur etwaig notwendigen Klärung einzelner Details wurde ein weiteres Treffen verabredet. Ö. und K. , die zu keinem Zeitpunkt vorhatten, dem Ansinnen der Angeklagten Folge zu leisten, gingen zum Schein auf das Angebot ein, um sich in den Besitz der 1.000 Euro zu bringen, und gaben das Geld noch in derselben Nacht in diversen Bars aus. I. , dem D. namentlich zumindest als „Herr D. “ und darüber hinaus vom Sehen her bekannt war, lehnte das Angebot der Angeklagten, ihm als Gegenleistung einen Türkeiurlaub zu finanzieren, ab.
5
Am 3. Oktober 2011 suchten I. , Ö. und K. die Angeklagte in deren Haus in L. auf, um sie zur Zahlung weiterer 1.000 Euro zu bewegen und mittels einer Aufzeichnung des Gesprächs auf dem Mobiltelefon Beweise gegen sie zu sammeln. Bei dem von Ö. heimlich aufgezeichneten, im Auto stattfindenden Gespräch wiederholte die Angeklagte ihren Tötungsauftrag, lehnte jedoch eine weitere Anzahlung ab. I. erbat sich daraufhin die genaue Adresse des mutmaßlichen Opfers und notierte diese handschriftlich auf ein ihm von der Angeklagten zu diesem Zweck ausgehändigtes Briefkuvert.

6
Auf der Heimfahrt informierte Ö. die Angeklagte über die heimliche Gesprächsaufzeichnung und kündigte der Angeklagten an, sie bei der Polizei anzuzeigen, was die Angeklagte mit den Worten „Macht doch!“ quit- tierte. Im Rahmen einer noch in derselben Nacht durchgeführten Routinekontrolle der Polizei offenbarte sich Ö. den Beamten.

II.


7
Das Landgericht hat die Tat als versuchte Anstiftung zum Mord bewertet. Es hat dem im Falle der Tatausführung bei Ö. , K. und - gegebenenfalls - I. vorliegenden Mordmerkmal der Habgier das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf Seiten der Angeklagten gegenüber gestellt und einen strafbefreienden Rücktritt der Angeklagten vom Anstiftungsversuch verneint.

III.


8
1. Die von der Revision erhobene Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Landgerichts (§ 338 Nr. 4 StPO) bleibt erfolglos.
9
a) Es bestehen bereits Bedenken, ob die Rüge zulässig erhoben worden ist. Der Beschwerdeführer muss die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (BGH, Beschluss vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08). Bei der Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des erkennenden Gerichts sind dies neben den im Hinblick auf § 16 StPO zur Vermeidung einer Rügepräklusion erforderlichen Tatsachen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 1994 - 4 StR 136/94, BGHSt 40, 120 ff.) alle Umstände, die für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung im Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses maßgeblich waren. Der Beschwerdeführer darf sich insbesondere nicht auf die Anklage beschränken, sondern muss alle für die Zuständigkeitsbestimmung relevanten Erkenntnisse des Ermittlungsverfahrens (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 460/10) vortragen.
10
Diesen Anforderungen genügt das Revisionsvorbringen nicht. Die vollständig vorgelegte Anklageschrift enthält zwar eine geraffte Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, darunter die Aussage des Zeugen Ö. bei seiner polizeilichen Vernehmung, das erste Treffen mit der Ange- klagten habe „vor der Haustür zur Wohnung von I. “ stattgefunden (Anklageschrift S. 7), darüber hinaus jedoch keine Anhaltspunkte zum ersten Treffpunkt. Demgegenüber sind den Ermittlungsakten zahlreiche weitere Umstände zu entnehmen, die für die gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung von Bedeutung waren: Neben der dargelegten Aussage des Zeugen Ö. (Anklageschrift S. 7) enthielten sie den seinerzeitigen Wohnsitz des Zeugen I. , die M. straße in A. (EA Bd. I, Bl. 13). In seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung hatte der Zeuge Ö. wiederholt, das erste Treffen habe „vor dem Haus in dem B. [der Zeuge I. ] wohnt“, stattgefunden (EA Bd. I, Bl. 40). Der Zeuge K. hatte in seiner ermittlungsrichterlichen Verneh- mung angegeben, das erste Treffen sei „bei B. , in der H. Straße“ gewesen (EA Bd. I, Bl. 45). Demgegenüber hatte der Zeuge I. im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung zunächst ausgesagt, das erste Treffen habe in A. „in der Nähe des Südbahnhofs in einer Anlage, wo sich auch Parkplätze und ein Kinderspielplatz befinden“, stattgefunden (EA Bd. I, Bl. 14). In seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung hatte I. erklärt, er habe ge- meinsam mit der Angeklagten die Zeugen Ö. und K. abgeholt und sei dann erst zum Spielplatz am Südbahnhof gefahren (EA Bd. I, Bl. 53). Das Revisionsvorbringen zeigt all diese Umstände nicht auf.
11
b) Dessen ungeachtet ist die Rüge jedenfalls unbegründet. Das Landgericht hat seine örtliche Zuständigkeit nicht mit Unrecht angenommen.
12
Die Revision überspannt bereits die Anforderungen an das Maß der Gewissheit , die sich das Gericht hinsichtlich der zuständigkeitsbegründenden Um- stände verschaffen muss. Diese Umstände müssen nicht „geklärt“ sein; viel- mehr genügt es, wenn im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung hinreichende Anhaltspunkte für die Zuständigkeit vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 460/10).
13
Das ist hier der Fall. Die Angaben der Zeugen I. , Ö. undK. im Verlauf des Ermittlungsverfahrens belegen - ungeachtet der im Einzelnen divergierenden Ortsangaben innerhalb A. s -, dass das erste Gespräch in A. stattgefunden hat.
14
Entgegen der Rechtsansicht der Revision blieben die Handlungen der Angeklagten beim ersten Treffen in A. auch nicht im Vorbereitungsstadium stecken. Vielmehr hat die Angeklagte bereits unmittelbar dazu angesetzt, die Zeugen I. , Ö. und K. zur Ermordung ihres Ehemannes anzustiften.
15
In diesem Zusammenhang ist ohne Bedeutung, dass in der Anklage- schrift (S. 12) von der „spätestens nach Bekanntgabeder aktuellen Wohnanschrift des zu tötenden D. auch hinreichend konkretisierten Tat“ die Rede ist. Die hierzu von der Revision vorgegebene Deutung, die Staatsanwaltschaft selbst sei hinsichtlich des ersten Gesprächs noch nicht von einer versuchten Anstiftungshandlung ausgegangen, ist, schon weil von der Staatsanwaltschaft auch eine frühere Konkretisierung in den Raum gestellt wird („spä- testens“), keineswegs zwingend.
16
Nach den für die Eröffnungsentscheidung maßgeblichen Angaben der Zeugen I. , Ö. und K. im Ermittlungsverfahren bestanden indes hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte ihren Tötungsentschluss bereits im ersten Gespräch endgültig und bedingungslos entäußert hatte. Sie hatte Ö. und K. aufgefordert, ihren früheren Ehemann zu töten, ihnen dafür einen Betrag von 2.000 Euro zugesichert und einen Vorschuss von 1.000 Euro direkt übergeben. Dass sie Details, etwa die aktuelle Adresse ihres früheren Ehemannes und die Absprache in einer von ihr als notwendig erachteten eigenen Alibibehauptung einer weiteren Besprechung klarstellen wollte, ändert hieran nichts. Wie die Angeklagte wusste, war das potenzielle Opfer jedenfalls dem Zeugen I. namentlich und vom Sehen her bekannt. Nach ihrer Vorstellung bestand damit zumindest die Möglichkeit, dass sich Ö. und K. über I. Zugang zu ihrem früheren Ehemann verschafften.
17
2. Die Sachrüge deckt, worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift mit zutreffender Begründung hinweist, keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler auf. Nack Rothfuß Graf Cirener Radtke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2012 - 1 StR 485/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2012 - 1 StR 485/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 338 Absolute Revisionsgründe


Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid

Strafprozeßordnung - StPO | § 16 Prüfung der örtlichen Zuständigkeit; Einwand der Unzuständigkeit


(1) Das Gericht prüft seine örtliche Zuständigkeit bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen. Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten aussprechen. Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum Beginn seiner Verne
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2012 - 1 StR 485/12 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 593/16 vom 19. September 2017 in der Strafsache gegen wegen Falschbeurkundung im Amt u.a. ECLI:DE:BGH:2017:190917U5STR593.16.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 484/08
vom
23. September 2008
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
1. Aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens
folgt die Befugnis, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von
Beweisanträgen zu setzen. § 246 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.
2. Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz
für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der Antragsteller
die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar
und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244
Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt.
3. Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die
Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Die Verfahrensbeteiligten
sind darauf hinzuweisen, dass eine Ablehnung der Beweisanträge
, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht
bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.
4. Wurde der Hinweispflicht entsprochen, können Hilfsbeweisanträge auch erst
im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden.
BGH, Beschl. vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2008 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Münster vom 7. März 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt, wovon vier Monate als verbüßt gelten. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die rechtsfehlerhafte Ablehnung verschiedener Hilfsbeweisanträge wegen Prozessverschleppungsabsicht geltend gemacht wird, hat keinen Erfolg.
3
1. Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
4
Am 10. Hauptverhandlungstag wurde seitens des Vorsitzenden der Strafkammer angeordnet, dass „den Beteiligten … zur Stellung von weiteren Beweisanträgen eine Frist bis zum 26.09.2007 gesetzt“ wird. Auf Antrag des Verteidigers des Angeklagten wurde die Frist unmittelbar im Anschluss durch weitere Anordnung des Vorsitzenden bis zum 9. Oktober 2007 verlängert. Sodann wurde den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Am darauf folgenden Verhandlungstag beantragte der Verteidiger, die Frist für weitere Beweisanträge aufzuheben, und einen diesbezüglichen Beschluss der Strafkammer. Nach Unterbrechung der Verhandlung bestätigte die Kammer die vom Vorsitzenden angeordnete Fristsetzung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es „nach der neuen Rechtsprechung des BGH vor al- lem in umfangreichen Verfahren zulässig und sinnvoll ist, solche Fristen zu setzen.“ Die gesetzte Frist erscheine zudem angemessen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurden auch nach dem 9. Oktober 2007 gestellte Beweisanträge seitens des Landgerichts entgegengenommen, denen teilweise auch nachgegangen wurde. Im Rahmen seines Schlussvortrages am 27. Verhandlungstag stellte der Verteidiger dann verschiedene Hilfsbeweisanträge, die allesamt im Urteil wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt wurden.
5
2. Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 StPO sowie des Rechts auf ein faires Verfahren ist bereits unzulässig, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspricht.
6
a) Der Beschwerdeführer muss die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Ver- fahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. statt aller Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 344 Rdn. 24 m.w.N.). Für einen erschöpfenden Vortrag sind dabei auch - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 2005, 1999, 2002) - die Verfahrenstatsachen vorzutragen, die der erhobenen Rüge entgegenstehen könnten (vgl. zuletzt Senat NStZ-RR 2007, 53, 54).
7
b) Mit der Rüge wird geltend gemacht, dass die Strafkammer die Hilfsbeweisanträge im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgewiesen habe, ohne zuvor darauf hingewiesen zu haben, dass Beweisanträge, die nach Ablauf der am 10. Hauptverhandlungstag gesetzten Frist gestellt werden, auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden können. Dies ist indes nach der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer, die in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wird und der die Revision nicht entgegengetreten ist, nicht der Fall. Danach wurde vielmehr am 11. Hauptverhandlungstag nachdem der Gerichtsbeschluss verkündet worden war, der die Fristsetzung des Vorsitzenden bestätigte, mit den Verfahrensbeteiligten die Bedeutung der Fristsetzung erörtert. Seitens des Vorsitzenden wurde darauf hingewiesen , dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Fristablauf gestellt werden, und dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eine Zurückweisung der Beweisanträge wegen Prozessverschleppung in Betracht kommt. Dieses Verfahrensgeschehen mitzuteilen, das für die Beurteilung der Verfahrensrüge bedeutsam ist, versäumt die Revision. Das mag seine Ursache darin haben, dass in der Revisionsinstanz ein anderer Verteidiger als in der Tatsacheninstanz beauftragt war. In solchen Fällen trifft den neuen Verteidiger indes eine Erkundigungspflicht (vgl. Senat NStZ 2005, 283, 284), zumal in der Revisionsbegründung ausdrücklich das Fehlen eines entsprechenden Hinweises gerügt wurde. Unter diesen Voraussetzungen gebietet auch das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes kein anderes Ergebnis (BVerfG StraFo 2005, 512).
8
c) Bei der gegebenen Sachlage wäre die Rüge zudem aber auch unbegründet. Das Landgericht hat die Hilfsbeweisanträge zu Recht wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt. Die verlangte Beweiserhebung konnte nichts Sachdienliches zugunsten des Angeklagten erbringen, was dem Antragsteller auch bewusst war. Darüber hinaus bezweckte er mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses. Durch die begehrte Beweiserhebung wäre auch eine wesentliche Verzögerung eingetreten.
9
aa) Unter umfassender Würdigung aller maßgeblichen Umstände (vgl. BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 17) hat die Strafkammer die vorstehend aufgezeigten Voraussetzungen für die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge wegen Verschleppungsabsicht (vgl. insoweit nur BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 15) rechtsfehlerfrei dargelegt. Ihr war dabei nicht verwehrt, das voraussichtliche Beweisergebnis vorweg zu würdigen (BGHSt 21, 118, 122).
10
Hierfür hat sie die Aussagen der bisher vernommenen Zeugen und den sonstigen Akteninhalt berücksichtigt, aus der sich für die in den abgelehnten Beweisanträgen behauptete herausragende Stellung des Zeugen im Unternehmen des Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte ergaben. Weiter führt die Strafkammer aus, dass auch die Vernehmung anderer Zeugen, die in Erledigung früherer Beweisanträge der Verteidigung zu identischen Beweisthemen erfolgte, keine Erkenntnisse, die den Angeklagten entlasteten, erbracht hatte. Aufgrund eingehender Würdigung der dargelegten Gesichtspunkte gelangt das Landgericht sodann zu der Überzeugung, dass sich die Verteidigung bei Stellung der gegenständlichen Hilfsbeweisanträge über die Nutzlosigkeit der begehrten Beweiserhebung bewusst war. Unter Darlegung des bisherigen Prozessverlaufes und Prozessverhaltens, wobei unter anderem - neben anderweitigen Gesichtspunkten - auch auf die seitens der Kammer gesetzte Frist abgestellt wird, begründet die Strafkammer anschließend, dass seitens der Verteidigung mit den Hilfsbeweisanträgen ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt wurde.
11
Diese Erwägungen erweisen sich in tatsächlicher Hinsicht als tragfähig und rechtlich zutreffend. Namentlich war es der Strafkammer nicht verwehrt, den Umstand, dass die Hilfsbeweisanträge nach Ablauf der seitens der Strafkammer gesetzten Frist zur Stellung von Beweisanträgen gestellt worden waren , in die Abwägung mit einzubeziehen. Dieser Aspekt wurde lediglich als einer von mehreren Gesichtspunkten in die erforderliche Gesamtabwägung eingestellt. Es führte nicht die verspätete Antragstellung als solche zur Zurückweisung , was nach § 246 Abs. 1 StPO unzulässig wäre. Darauf, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge nach Fristablauf gestellt werden (vgl. insoweit auch BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37), waren die Verfahrensbeteiligten hingewiesen worden.
12
bb) Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer auch dargelegt, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer wesentlichen Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Für die Vernehmung des nicht am Gerichtsort wohnenden Zeugen hätte, da aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten eine Durchführung der Beweisaufnahme am Tag der Antragstellung nicht mehr möglich war, ein weiterer Hauptverhandlungstag anberaumt werden müssen. Hierbei konnte das Landgericht - neben anderen Gesichtspunkten - auch berücksichtigen, dass aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähig- keit des Angeklagten eine - zudem auch aus anderen Gründen nicht ohne weiteres durchführbare - unmittelbare Beweisaufnahme am Tage der Antragstellung nicht möglich war. Es zog insoweit bei seiner Bewertung der Wesentlichkeit der Verzögerung lediglich eine Verfahrenstatsache heran, von der abzuweichen ohne weiteres kein Anlass bestand. Ein von der Revision in diesem Zusammenhang erkannter Zynismus ist nicht gegeben. Angesichts der Tatsache , dass seitens des Gerichts für den Tag der Antragstellung bereits im Anschluss an die Schlussvorträge die Urteilsberatung und -verkündung vorgesehen war, wäre - auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Rubrum des Urteils ergebenden Folge der bisherigen Hauptverhandlungstermine (zuletzt einmal wöchentlich) - eine Verzögerung von mehreren Tagen eingetreten. Da das Verfahren im Übrigen abschlussreif war und bereits seit Ende 2001 andauerte , war die Verzögerung, die demnach eingetreten wäre, auch wesentlich. Im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz sind, je länger ein Strafverfahren andauert, die Anforderungen an die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung geringer. In solchen Fällen kann auch eine relativ geringfügige zeitliche Verzögerung wesentlich sein. Ob an der bisherigen Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, wonach der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nur Anwendung finden kann, wenn die Erhebung des beantragten Beweises das Verfahren wesentlich verzögern würde, braucht daher vorliegend - wenngleich gute Gründe für die Aufgabe der diesbezüglichen Rechtsprechung sprechen (vgl. BGHSt 51, 333, 342 Rdn. 32 ff., BGH StV 2008, 9, 10) - nicht entschieden zu werden.
13
cc) Nachdem die Verfahrensbeteiligten im Anschluss an den Beschluss der Strafkammer, der die Frist für die Stellung von Beweisanträgen des Vorsitzenden bestätigte, darauf hingewiesen worden waren, dass nach Fristablauf gestellte Beweisanträge auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=22&S=124 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NStZ&B=1986&S=372 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=StV&B=1990&S=394 - 9 - können, war es auch zulässig, die Hilfsbeweisanträge darauf gestützt im Urteil abzulehnen. Zutreffend trägt die Revision in diesem Zusammenhang zwar vor, dass dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht zulässig ist. Die insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte, die ein solches Vorgehen dem Grundsatz nach verbieten, sind vorliegend indes nicht gegeben.
14
(1) In der Regel kann ein Hilfsbeweisantrag im Urteil abgelehnt werden. Mit der hilfsweisen Antragstellung im Schlussvortrag bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass er auf eine Bescheidung in der Hauptverhandlung nach § 244 Abs. 6 StPO verzichtet und sich damit einverstanden zeigt, dass sein Antrag erst in den Urteilsgründen beschieden wird (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 92). Dies gilt indes nicht, wenn die Ablehnung des Beweisantrags auf Verschleppungsabsicht gestützt werden soll. Dann ist der Beweisantrag grundsätzlich wie ein unbedingt gestellter Antrag zu behandeln; er ist mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss zu bescheiden, um dem Antragsteller die Gelegenheit zu geben, den gegen ihn erhobenen Verschleppungsvorwurf zu entkräften (vgl. BGHSt 22, 124 f.; BGH NStZ 1986, 372; StV 1990, 394; BGH NStZ 1998, 207 m. Anm. Sander).
15
(2) Ist aber im Laufe des Verfahrens - wie hier - durch entsprechenden Hinweis des Gerichts klargestellt, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Ablauf einer zuvor gesetzten Frist gestellt werden, besteht kein Anlass, dem Antragsteller nochmals die Möglichkeit zur Verteidigung gegen den Verschleppungsvorwurf zu geben. Maßnahmen, mit denen er die Ablehnung des Beweisantrags unter diesem Gesichtspunkt hätte vermeiden können, wie z.B. die in der Revision aufgezeigte Ausübung des Selbstladerechts oder die Stellung anderweitiger, möglicherweise gar im Hinblick auf die Bescheidung des ersten Hilfsbeweisantrags bedingte Anträge, sind zumutbar und vom redlichen Antragsteller auch zu erwarten , wenn er aufgrund entsprechender Hinweise des Gerichts darum weiß, dass nach einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit der Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht erwogen wird. Zudem besteht für den Antragsteller in Kenntnis der konkreten prozessualen Situation ohne weiteres die Möglichkeit, die Beweisanträge unbedingt zu stellen. Dadurch wird weder die Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt, noch das Verfahren verzögert. Zudem würden die mit der Fristsetzung zur Antragstellung verfolgten Zwecke im Wesentlichen leer laufen, wenn in diesen Konstellationen der Grundsatz Anwendung fände, dass Hilfsbeweisanträge nicht im Urteil wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen werden dürfen.
16
3. Soweit mit der Revision darüber hinaus im Hinblick auf die Fristsetzung durch das Landgericht die Verletzung von § 246 Abs. 1 StPO gerügt wird, ist die Rüge unbegründet. § 246 Abs. 1 StPO verbietet nicht die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 244 Abs. 3 StPO. Verspätete Stellung eines Beweisantrags kann alleine schon für Verschleppungsabsicht sprechen (BGH NStZ 1990, 350, 351). Einer Fristsetzung, die lediglich ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht sein kann und die zudem keine Ausschlussfrist ist, steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entgegen. Vielmehr folgt eine diesbezügliche Befugnis aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung.
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a) Nach den §§ 213 ff., § 238 Abs. 1 StPO hat der Vorsitzende die Durchführung der Hauptverhandlung durch geeignete Maßnahmen vorzubereiten und deren Durchführung sicherzustellen. Dies gibt ihm - soweit der Verfahrensgang nicht durch § 243 StPO festgelegt ist - auch die Befugnis, den Gang der Beweisaufnahme, insbesondere auch die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Beweiserhebungen, zu bestimmen (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 238 Rdn. 3). Daraus folgt auch die Befugnis, durch eine Fristsetzung für eventuelle Beweisanträge die weitere Gestaltung der Beweisaufnahme zu fördern, wenn die vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltene Beweiserhebung abgeschlossen ist. Eine solche Vorgehensweise wird bei Verfahren, die bereits seit längerem andauern, insbesondere solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst (§ 229 Abs. 2 StPO), regelmäßig im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz , der einen Abschluss des Verfahrens in einem angemessenen zeitlichen Rahmen gebietet (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), angezeigt sein, um eine hinreichend straffe Verhandlungsführung zu ermöglichen.
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b) § 246 Abs. 1 StPO verbietet demgegenüber lediglich aufgrund des im Strafprozess geltenden Prinzips materieller Wahrheit eine Präklusion von Beweisvorbringen auf Grund Zeitablaufs (Fischer in KK 6. Aufl. § 246 Rdn. 1). Eine solche geht indes mit der Fristsetzung nicht einher. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, sind für eine Verschleppungsabsicht des Antragstellers lediglich signifikante Indizien gegeben, wenn dieser die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt (BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37).
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c) Auch soweit § 246 Abs. 1 StPO ein Verbot enthalten sollte, den Verfahrensbeteiligten einen Zeitpunkt für die Stellung von Beweisanträgen vorzuschreiben (so - nicht tragend - BGH NStZ 1986, 371; BGH NStZ 1990, 350, 351), würde gegen dieses Verbot durch die Fristsetzung nicht verstoßen. Denn den Verfahrensbeteiligten bleibt es - sei es aus prozesstaktischen oder aus an- deren Gründen - weiter freigestellt, auch nach der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen. An der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung der Beweisanträge ändert sich nichts (BGHSt 51, 333, 345 Rdn. 38).
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d) Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Es empfiehlt sich, den Grund der Anordnung und die Angemessenheit der Frist in gebotenem Umfang zu begründen. Hierbei sind die Verfahrensbeteiligten darauf hinzuweisen, dass das Gericht Beweisanträge, die nach Ablauf der Frist gestellt werden, nach den allgemeinen Regeln entgegen zu nehmen und zu bescheiden hat. Darüber hinaus ist darzulegen, dass im Falle der Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen hat und das Gericht, wenn nach dessen Überzeugung kein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung besteht, grundsätzlich davon ausgehen kann, dass der Antrag nichts anderes als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt, falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt. Demgemäß sind die Verfahrensbeteiligten auch darauf hinzuweisen, dass - ggfs. bei Hilfsbeweisanträgen auch im Urteil - eine Ablehnung der Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.

II.


21
Auch die Sachrüge bleibt ohne Erfolg. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
22
Entgegen der Auffassung der Revision sind die Feststellungen des angefochtenen Urteils weder lückenhaft noch widersprüchlich. Der Angeklagte initiierte die zur Aburteilung gelangten Geschäfte nicht, um einen günstigeren Rückerwerb der Kraftfahrzeuge zu erreichen. Wie den Urteilsgründen in ihrem Zusammenhang noch hinreichend entnommen werden kann, handelte es sich bei den Geschäften um Scheingeschäfte im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 AO, um die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) vorzutäuschen, der dem Unternehmen des Angeklagten tatsächlich nicht zustand. In den weiteren Fällen wurden durch Scheingeschäfte i.S.v. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO umsatzsteuerpflichtige Inlandsgeschäfte zwischen dem Unternehmen des Angeklagten und dessen Kunden verschleiert, um so seine aus § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG folgende Zahlungsverpflichtung zu umgehen. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht als rechtsfehlerhaft.
23
Unter Berücksichtigung des im Urteil hinreichend dargelegten Verfahrensgangs hat die Strafkammer auch der eingetretenen Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung rechtsfehlerfrei Rechnung getragen. Die von der Revision in diesem Zusammenhang vermisste Berücksichtigung bei der Bemessung der Einzelstrafen findet sich im Urteil auf Seiten 97 und 100. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens ist die zur Kompensation gewährte Anrechnung in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

(1) Das Gericht prüft seine örtliche Zuständigkeit bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen. Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten aussprechen. Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend machen.

(2) Ist Anklage von der Europäischen Staatsanwaltschaft erhoben worden, so prüft das Gericht auf Einwand des Angeklagten auch, ob die Europäische Staatsanwaltschaft gemäß Artikel 36 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) (ABl. L 283 vom 31.10.2017, S. 1) befugt ist, vor einem Gericht im Geltungsbereich dieses Gesetzes Anklage zu erheben. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 460/10
vom
31. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. März 2011 einstimmig

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Mai 2010 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Zu der Rüge, das Gericht habe seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen (§ 338 Nr. 4 i.V.m. §§ 7 ff. StPO), bemerkt der Senat ergänzend: Eine Tatortzuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf gemäß § 7 Abs. 1 StPO lässt sich entgegen der - vom Generalbundesanwalt geteilten - Auffassung der Strafkammer zwar nicht daraus herleiten, dass der Erfolg der Tat, zu der der Angeklagte Beihilfe geleistet hat, im Bezirk des erkennenden Gerichts eingetreten ist (§ 9 Abs. 2 Satz 1 1. Var., Abs. 1 3. Var. StGB); denn das hier in Rede stehende Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist kein Erfolgs- sondern ein Tätigkeitsdelikt (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2002 - 2 ARs 77/02, NJW 2002, 3486). Das Landgericht hat aber seine örtliche Zuständigkeit gleichwohl im Ergebnis zu Recht gemäß § 7 Abs. 1 StPO, § 9 Abs. 2 Satz 1 1. Var. StGB angenommen. Denn in dem für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 338 Rn. 31) lagen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass sowohl der Veräußerer als auch der potentielle Erwerber der Betäubungsmittel, die der Angeklagte durch seine Vermittlungstätigkeit gleichermaßen unterstützte, in Düsseldorf auf die Tatbestandsverwirklichung abzielende Handlungen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 1. Var. StGB vornahmen, die (Haupt-)Tat also (auch) im Bezirk des erkennenden Gerichts begingen. Dort fand hinreichend sicher (SA Bl. 146 ff. und Bl. 168 ff.) jedenfalls im Versuchsstadium der Tat zumindest ein persönliches Gespräch des Erwerbers mit dem Verkäufer statt, welches das geplante Betäubungsmittelgeschäft zum Gegenstand hatte. Überdies hielt sich der potentielle Abnehmer des Rauschgifts in Düsseldorf auf, als er weitere telefonische Absprachen über das Geschäft mit dem Verkäufer traf. Die hierdurch für die Haupttäter begründete Tatortzuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf gilt gemäß § 7 Abs. 1 StPO, § 9 Abs. 2 Satz 1 1. Var. StGB in gleicher Weise für den Angeklagten als Teilnehmer der Tat. Becker Sost-Scheible Hubert Schäfer Mayer