Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2013 - 1 StR 602/12

bei uns veröffentlicht am08.01.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 602/12
vom
8. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2013 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Juni 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht wegen des Unterbleibens der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. bleibt ohne Erfolg.
1. Sie genügt bereits nicht in jeder Hinsicht den gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift - entgegen der Erwiderung der Revision vom 27. Dezember 2012 - zutreffend aufgezeigt hat, bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die gesetzlich nicht geregelte Untersuchung von Zeugen auf ihre Glaubwürdigkeit einer Einwilligung der Betroffenen (BGH, Urteil vom 29. Juni 1989 - 4 StR 201/89, BGHSt 36, 217, 219; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519; Senge in KK-StPO, 6. Aufl., § 81c Rn. 9 mwN). Das Vorliegen einer entsprechenden Zustimmung der zu begutachtenden Person muss von der Revision dargetan werden (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04). Daran fehlt es vorliegend.
Die Revision teilt, worauf der Generalbundesanwalt ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, zudem nicht sämtliche von der Verteidigung während des Strafverfahrens gestellten Anträge auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens und die daraufhin ergangenen Entscheidungen der Strafkammer mit. Dessen hätte es aber vorliegend bedurft, um den gesetzlichen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu entsprechen. Danach müssen die notwendigen Angaben zum Verfahrensgeschehen so umfassend sein, dass dem Revisionsgericht im Sinne einer vorweggenommenen Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Akten die Beurteilung ermöglicht wird, festzustellen, ob der behauptete Verfahrensverstoß vorliegt (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 25. März 1998 - 3 StR 686/97, NJW 1998, 2229; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 344 Rn. 21 mwN). Um dem zu entsprechen, muss bei einer auf die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO gestützten Rüge regelmäßig angegeben werden, welche Umstände das Tatgericht zu weiterer Aufklärung hätten drängen müssen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 4 StR 139/03, NStZ 2004, 690, 691; Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 52 mwN). Damit das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, zu überprüfen, ob sich der Tatrichter zu der begehrten Aufklärung hätte gedrängt sehen müssen, bedarf es grundsätzlich auch der Mitteilung des Inhalts darauf gerichteter Beweisanträge und der Entscheidungen des Tatgerichts über diese Anträge. Denn gerade aus dem Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen ergeben sich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage, ob die Amtsaufklärungspflicht eine weitergehende Beweiserhebung erforderte oder nicht. Angesichts dessen hätte die Revision die in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft ausgeführte (erneute ) Stellung eines Beweisantrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens im Termin zur Hauptverhandlung vom 19. Juni 2012 und den Inhalt des Ablehnungsbeschlusses der Strafkammer vom selben Tage mitteilen müssen.
2. Die Rüge wäre auch in der Sache unbegründet. Der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens über die Zeugin S. bedurfte es nicht. Die Jugendkammer konnte die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage aufgrund eigener Sachkunde beurteilen und hat daher nicht gegen die Amtsaufklärungspflicht verstoßen.
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter - wie auch hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 155/09, NStZ 2010, 51, 52). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist , die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 12. November 1993 - 2 StR 594/93, StV 1994, 173; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Solche Umstände können gegeben sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erinnerungsfähigkeit einer Beweisperson aus besonderen, psychodiagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt ist oder dass besondere psychische Dispositionen oder Belastungen - die auch im verfahrensgegenständlichen Geschehen selbst ihre Ursache haben können - die Zuverlässigkeit der Aussage in Frage stellen könnten, und dass für die Feststellung solcher Faktoren und ihrer möglichen Einflüsse auf den Aussageinhalt eine besondere, wissenschaftlich fundierte Sachkunde erforderlich ist, über welche der Tatrichter im konkreten Fall nicht verfügt (BGH, Urteil vom 26. April 2006 - 2 StR 445/05, NStZ-RR 2006, 241 mwN).
Nach diesen Maßstäben bedurfte es vorliegend keiner Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens, um der Amtsaufklärungspflicht zu entsprechen. Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des der Zeugin Aussagetüchtigkeit zuschreibenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit der Persönlichkeit der Zeugin und möglichen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aspekten, wie ihrer zeitweiligen psychiatrischen Behandlung, den Berichten von Déjà-vu-Erlebnissen sowie einer denkbaren Übertragung einer möglicherweise während ihres Aufenthaltes in Pakistan erlebten Vergewaltigung auf das Verhalten des Angeklagten, umfassend und sorgfältig auseinandergesetzt sowie erkennen lassen, warum sie zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit aufgrund eigener Sachkunde in der Lage war. Angesichts der mit sachverständiger Hilfe rechtsfehlerfrei ausgeschlossenen Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit und dem Fehlen von Wahrnehmungsstörungen lagen in der Person der Zeugin keine solchen Besonderheiten vor, die eine in Jugendschutzsachen erfahrene Jugendkammer außer Stande gesetzt hätte, die Zuverlässigkeit der Angaben zu beurteilen. Erst recht bestanden keine Besonderheiten im genannten Sinn darin, dass Gegenstand der Aussage Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin waren und dass diese zur Zeit der geschilderten Vorfälle in kindlichem bzw. jugendlichem Alter war (vgl. BGH, aaO, NStZ-RR 2006, 241).
Nack Rothfuß Jäger Cirener Radtke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2013 - 1 StR 602/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2013 - 1 StR 602/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 284/04
vom
5. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2004 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 13. Februar 2004 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts und unter
Berücksichtigung des weiteren Revisionsvorbringens vom 3.,
23. und 24. August 2004 bemerkt der Senat:
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich kein Rechtsfehler
daraus, daß das Landgericht nur dem Antrag auf Anhörung eines
psychiatrischen Sachverständigen gefolgt ist und nichtauch
über die Einholung des gleichzeitig beantragten psychologischen
Gutachtens entschieden hat. Dabei steht es im Ermessen des
Tatrichters, welchen Sachverständigen er beauftragt, wenn sich
die Kompetenz von Sachverständigen verschiedener oder ähnlicher
Fachrichtungen überschneidet (vgl. BGHSt 34, 355 ff.; BGH,
Beschl. vom 19. August 1993 - 1 StR 395/93). Psychologische
Kenntnisse gehören zum Rüstzeug auch des Psychiaters; außer-
dem sind die Fachkenntnisse eines Psychologen dann nicht ausreichend
, wenn - worauf die Revision beharrt - eine geistige Erkrankung
oder aktuelle psychopathologische Ursachen Einfluß
auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage haben können; dann
ist ein Psychiater zu hören (BGHSt 23, 8 ff.; Senge in KK 5. Aufl.
§ 73 Rdn. 5). Zudem hat der Generalbundesanwalt zu Recht darauf
hingewiesen, daß eine psychologische Untersuchung der Geschädigten
nur mit deren Einwilligung zulässig ist (BGHSt 36,
217, 219), wobei die Revision entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
das Vorliegen einer entsprechenden Zustimmung nicht dargetan
hat.
Im übrigen ist die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters,
welche vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar ist.
Solche sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere hat das
Landgericht die von der Revision als Indizien angeführten Umstände
, das Heimbegleiten der Geschädigten durch den Angeklagten
nach der Tat, bei welchem es zu der Drohung mit der Tötung
des Kindes und der Familie der Geschädigten kam, und deren
mehrfache Ansätze auf diesem Heimweg, sich vor ein Auto zu
werfen, ebenso berücksichtigt wie die Aufnahme einer neuen Beziehung
durch die Geschädigte zu einem anderen Mann nur wenige
Tage nach der Tat. Die Strafkammer mußte hieraus nicht,
wie die Revision glaubt, Schlußfolgerungen dahin ziehen, daß die
Angaben der Geschädigten zum Tatgeschehen unglaubhaft sind.
Nack Kolz Hebenstreit
Elf Graf
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
___________________________
Auch im Rahmen der vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung ist auf
die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen Bedacht zu nehmen. Beweiserhebungen
zu dessen Privat- und Intimleben sind nur nach sorgfältiger
Prüfung ihrer Unerläßlichkeit statthaft. Dies ist bei der Leitung eines Sachverständigen
ebenso zu berücksichtigen wie bei der Zulassung von Fragen und
bei der Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04 - LG Baden-Baden

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 498/04
vom
11. Januar 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2005 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Baden-Baden vom 16. Februar 2004 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.

1. Der Angeklagte gab der im selben Haus wie er wohnh aften Nebenklägerin im Oktober 2001 einen Zettel, auf den er "Ich liebe Sie von ganzem Herzen , wollen Sie mit mir gehen?" geschrieben hatte. Die gleichgeschlechtlich orientierte Nebenklägerin, die seit Jahren keine sexuellen Kontakte zu einem Mann gehabt hatte, hatte nicht reagiert und auch der Angeklagte war hierauf zunächst nicht zurückgekommen. Am 7. Dezember 2001 ließ ihn die Nebenklägerin in ihre Wohnung, weil er angeblich mit ihr reden wollte und sie glaubte, die ganze Angelegenheit ausräumen zu können. In der Wohnung bedrohte er sie mit einem Messer, schlug sie und vergewaltigte sie.
2. Noch am Tattag wurden Spermaspuren des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin gesichert. Der Angeklagte wollte zwar "glauben machen", diese Spur stamme von einem anderen Mann, räumte aber doch Geschlechtsverkehr ein und gab an, er hätte seit Monaten ein Verhältnis mit der Nebenklägerin gehabt. Mit der Anzeige räche sie sich dafür, daß er nicht für sie seine Familie verlasse. Die Strafkammer hat die Behauptung eines schon länger bestehenden Verhältnisses als Erfindung bewertet, wegen des Zettels ebenso wie deshalb, weil ihm weder ihr Vorname noch die über 20 cm langen Narben unter ihren Brüsten bekannt waren. 3. Sie hat ihn wegen Vergewaltigung zu drei Jahren Freiheitsstrafe und zur Zahlung eines der Höhe nach noch nicht festgesetztes Schmerzensgeldes verurteilt. Die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.

Über die, durch die Erwiderung der Revision nicht entkr äfteten Darlegungen des Generalbundesanwalts hinaus bemerkt der Senat: 1. Da die Nebenklägerin es abgelehnt hat, sich (nochmal s) begutachten zu lassen, geht das hierauf bezogene Revisionsvorbringen ins Leere; die beantragte Begutachtung wäre unzulässig gewesen (st. Rspr. vgl. BGHSt 13, 394, 398; 14, 21, 23; w. Nachw. bei Senge in KK 5. Aufl. § 81c Rdn. 9).
2. Die Revision rügt eine Verletzung von "§§ 406e, 337 StPO", weil die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren dem Rechtsanwalt der Nebenklägerin Akteneinsicht gewährt hat. Später hat sich herausgestellt, daß die Nebenklägerin einigen auch als Zeugen gehörten Mitbewohnern Einsicht zumindest in Teile dieser Akten verschafft hat.
a) Hätte (erst) der Strafkammervorsitzende die Akteneinsi cht gewährt (§ 406e Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz StPO), wäre eine hierauf gestützte Verfahrensrüge unstatthaft, ohne daß es auf weiteres ankäme (§ 406e Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz StPO i. V. m. § 336 Satz 2 StPO; vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 406e Rdn. 17; anders wohl Velten in SK-StPO § 406e Rdn. 20). Hier hat gemäß § 406e Abs. 4 Satz 1, 1. Halbsatz StPO die Staatsanwaltschaft entschieden. Der Beschuldigte hat (offenbar), aus welchen Gründen auch immer (etwa zunächst versagtes rechtliches Gehör kann nachgeholt werden, vgl. BGH NStZ 1991, 95), den zulässigen Rechtsbehelf nicht ergriffen. Dieser hätte zu einer nicht anfechtbaren richterlichen Entscheidung geführt, § 406 Abs. 4 Satz 2 StPO i. V. m. § 161a Abs. 3 Sätze 2 bis 4 StPO. Es kann aber offen bleiben, welchen Einfluß dieser Ver fahrensgang auf die Statthaftigkeit der Rüge hat, da sie hier auf keinen Fall Erfolg haben kann.
b) Wenn überhaupt, hätte hier Akteneinsicht gemäß § 4 06e Abs. 2 Satz 2 StPO versagt werden können. Hinsichtlich der Frage nach einer etwaigen Gefährdung des Untersuchungszwecks besteht ein weiter Entscheidungsspielraum (Hilger aaO Rdn. 12). Die danach gebotene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Mitteilung , ob und gegebenenfalls wie der Staatsanwalt seine Entscheidung begründet hat (vgl. § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO) fehlt aber ebenso wie die Mitteilung des konkreten Ermittlungsstands bei Erteilung der Akteneinsicht. Nur dann könnte
beurteilt werden, ob eine Gefährdung des Untersuchungszwecks überhaupt in Betracht zu ziehen gewesen wäre. Auch zu der Frage, ob und warum zu diesem Zeitpunkt schon mit einer Weitergabe von Akten zu rechnen war (vgl. LG Bielefeld wistra 1995, 118, 120 m. w. N.), äußert sich die Revision nicht.
c) Unabhängig davon würde selbst ein in diesem Zusammenh ang unterlaufener Verfahrensverstoß zu keinem Beweisverwertungsverbot führen (so aber Velten aaO Rdn. 13; offen gelassen bei Hilger aaO Rdn. 18), da ein Beweisverwertungsverbot regelmäßig einen rechtswidrigen Beweiserhebungsakt voraussetzt. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt aber keine Beweiserhebung dar (vgl. Stöckel in KMR § 406e Rdn. 18). Aktenkenntnis, im übrigen auch wenn sie auf zu Recht gewährte Akteneinsicht zurückgeht, ist erforderlichenfalls bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. Stöckel aaO). Dabei spricht es offensichtlich nicht für die inhaltliche Unrichtigkeit einer Aussage, wenn der Zeuge nach Akteneinsicht seine bereits aktenkundige Aussage wiederholt. Die Aussagen der übrigen in Rede stehenden Zeugen haben für die zentrale Frage nach Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs ohnehin eine allenfalls sehr untergeordnete Bedeutung. Sie sollten zahlreiche vom Angeklagten behauptete Details zum Zustandekommen seines näheren Kontaktes mit der Nebenklägerin bestätigen, haben aber keine seiner Behauptungen auch nur ansatzweise bestätigt. So hatte er behauptet, die Nebenklägerin habe ihm etwa sieben Monate vor der Tat im April 2001 im Hof angesprochen; sie habe damals im Hof mit ihrem Sohn Federball gespielt, er (der Angeklagte) habe dort zur gleichen Zeit mit dem Hausmeister Holz gehackt. All dies erwies sich als zweifelsfrei falsch, weil der Sohn zu jener Zeit Soldat in M. war und der Hausmeister im ganzen ersten Halbjahr 2001 schwer erkrankt war. Soweit für all dies das genannte Geschehen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht überhaupt
von Bedeutung sein kann, hat es die Strafkammer in gebotenem Umfang gewürdigt.
d) Soweit die Revision schließlich bemängelt, der Vorsit zende habe in der Hauptverhandlung namens des Gerichts später nicht eingehaltene Zusagen zur Würdigung der genannten Aussagen gemacht, ist diesem Vorbringen schon deshalb nicht näher nachzugehen, weil es ausweislich der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden in tatsächlicher Hinsicht ins Leere geht. 3. Soweit die Revision zur Sachrüge ausführt, die Bewei swürdigung werde den Anforderungen bei "Aussage gegen Aussage" nicht gerecht, ist verkannt , daß diese vom Fehlen sonstiger Erkenntnisse gekennzeichnete Konstellation (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ 2004, 635, 636) nicht vorliegt. Es gibt nämlich, z. B. mit dem Zettel, den Spermaspuren und den Narben eine Reihe von Indizien, die die Strafkammer in die Würdigung der zentralen Aussagen des Angeklagten einbeziehen konnte. Rechtsfehler sind dabei nicht ersichtlich; praktisch jede Behauptung des Angeklagten hat sich als falsch erwiesen. 4. Die Strafkammer ist von einem minder schweren Fall i . S. d. § 177 Abs. 5 StGB ausgegangen. Diese Annahme, die sich zumindest nicht aufdrängt, ist nicht fallbezogen konkret begründet. Es wäre auch zulässig gewesen, bei der Strafzumessung die ebenso ehrenrührige wie haltlose Behauptung des Angeklagten zu berücksichtigen, die Nebenklägerin sei eine Gelegenheitsprostituierte , (vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 14, 19 jew. m. w. N.), zumal sie mit seinem Verteidigungsvorbringen - Geschlechtsverkehr im Rahmen einer Beziehung; Anzeige weil er seine Familie nicht verlassen wollte - in keinem erkennbaren Zusammenhang steht. Zumindest wäre dies zu erörtern gewesen. All dies hat den Angeklagten aber nur begünstigt.
5. Das Vorbringen, der Adhäsionsantrag sei wegen Pfand losigkeit des Angeklagten eine i. S. d. § 114 ZPO mutwillige Rechtsverfolgung, Prozeßkostenhilfe hätte daher (gemäß § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO) nicht gewährt werden dürfen, geht ins Leere. Die gemäß § 404 Abs. 5 Satz 3, 2. Halbsatz StPO unanfechtbare Entscheidung hierüber ist gemäß § 406a Abs. 2 Satz 1 StPO i. V. m. § 336 Satz 2 StPO im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen. So wäre es im Ergebnis auch in einem Zivilprozess, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO. 6. Die Revision bemängelt die Kostenentscheidung, (wohl nur) hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung. Diese erstmals in der Revisionsbegründung vom 7. Mai 2004 (dort S. 87) enthaltenen, wenig spezifizierten Ausführungen können auf sich beruhen, weil sie verspätet sind. Einwände gegen die Kostenentscheidung wären im Rahmen einer zusätzlich zur Revision einzulegenden sofortigen Beschwerde (§ 464 Abs. 3 StPO, hier i. V. m. § 472a Abs. 1 StPO) innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist (§ 311 Abs. 2 StPO) anzubringen gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2003 - 1 StR 357/02 m. w. N.).

III.

Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis: Angesichts der Bedeutung der Aussage der Nebenklägerin f ür die Erweislichkeit eines schweren Verbrechens hat sich die Strafkammer zu Recht eingehend mit dieser Aussage auseinandergesetzt. Auch im Rahmen seiner vorrangigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung hat das Gericht (ebenso wie auch die Ermittlungsbehörden) jedoch auf die Achtung der menschlichen Würde eines Zeugen, wie sie sich letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, Bedacht zu nehmen (vgl. nur BGHSt 48, 372 m. w. N.). "Aufgabe eines sozialen Rechtsstaates ist es nicht allein, darauf zu achten, daß die Straftat aufgeklärt und Schuld
oder Unschuld in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt werden, sondern auch, daß die Belange des Opfers gewahrt werden" (so die Materialien zum OpferRRG vom 24. Juni 2004, BGBl. I 1354 ff., BTDrucks. 15/1976 S. 7 Abschnitt A II vor 1.). Die besondere Bedeutung dieser Grundsätze wird auch in dem Rahmenbeschluß der Europäischen Union über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 (vgl. ABl. der Europäischen Gemeinschaft vom 22. März 2001, L 82/1 ff.) hervorgehoben, auf den die Materialien zum OpferRRG hinweisen (vgl. BTDrucks. 15/1976 und 15/2536 jeweils S. 1 Abschnitt A). In diesem Rahmenbeschluß wird unter anderem "das Recht auf eine Behandlung unter Achtung der Würde des Opfers" und dessen Recht "in den verschiedenen Phasen des Verfahrens geschützt zu werden" (vor Artikel 1, Abschnitt
8) betont. Dementsprechend heißt es in dem genannten Rahmenbeschluß weiter, daß sich die Mitgliedsstaaten "weiterhin nach Kräften (bemühen ), um zu gewährleisten, daß das Opfer während des Verfahrens mit der gebührenden Achtung seiner persönlichen Würde behandelt wird" (Art. 2 Abs. 1 Satz 2) und daß die Mitgliedsstaaten "die gebotenen Maßnahmen (ergreifen), damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren erforderlichen Umfang befragen" (Art. 3 Abs. 2). Aus alledem folgt etwa, daß Erörterungen und Beweiserhebungen zu Privat- und insbesondere auch Intimleben eines Zeugen, die zu dem Verfahrensgegenstand in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen , nur nach sorgfältiger Prüfung ihrer Unerläßlichkeit statthaft sind. Dies ist bei der Leitung der Tätigkeit eines Sachverständigen (§ 77 StPO) ebenso zu berücksichtigen, wie bei der Zulassung von Fragen (§§ 68a, 241 Abs. 2 StPO) und vor allem bei der Entscheidung über den Umfang der Beweisaufnahme (§ 244 Abs. 2 bis 4 StPO). Der Grundsatz, daß eine ausufernde Aufklärung nicht geboten ist (vgl. hierzu Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 244 Rdn. 13 m. w. N.), hat in dem in Rede stehenden Zusammenhang besonderes Gewicht.
1. Die Strafkammer hat sich zur Aussagetüchtigkeit und zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin psychiatrisch beraten lassen.
a) "Aussagetüchtigkeit" bedeutet die Fähigkeit eines Men schen zu einer richtigen und vollständigen Aussage (vgl. nur Schumacher in StV 2003, 641). Der Richter, der glaubt, hierüber ohne sachverständige Hilfe nicht befinden zu können, ist freilich in seiner Entscheidung frei, ob er einen Psychiater oder einen Psychologen beauftragt (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 4 m. w. N.). Psychiatrische Beratung wird aber nur dann angezeigt sein, wenn die Zeugentüchtigkeit dadurch in Frage gestellt ist, daß der Zeuge an einer geistigen Erkrankung leidet oder sonst Hinweise darauf vorliegen , daß die Zeugentüchtigkeit durch aktuelle psychopathologische Ursachen beschränkt sein kann (vgl. BGH StV 2002, 293 m. w. N.). Ob für eine entsprechende Überprüfung überhaupt Anhaltspunkte bestehen, hat der Richter (im Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt) zu entscheiden, der dem Sachverständigen die konkreten Gründe für die Notwendigkeit einer Begutachtung verdeutlichen sollte. Nur so kann vermieden werden, daß, wie hier, der Sachverständige zwar zum Ergebnis kommt, es gebe keinen psychisch auffälligen Befund, er aber gleichwohl eingehend untersucht und erörtert, ob die Nebenklägerin psychotisch , schwachsinnig oder sonst ernsthaft gestört sein könnte. Ebenso wenig ist angezeigt, im Hinblick auf eine mögliche Einschränkung der Aussagetüchtigkeit durch Alkoholismus, über Jahre zurück den nicht immer unproblematischen Umgang der Nebenklägerin mit Alkohol in allen Details und auch allen Peinlichkeiten - bis hin zur Frage eines Zusammenhangs zwischen Alkoholismus und dem zwar unaufgeräumten aber doch hygienisch einwandfreien Zustand ihrer Wohnung - zu ermitteln und auch sachverständig bewerten zu lassen, nur um dann zu dem Ergebnis zu kommen, jeder Zusammenhang zwischen Alkohol und der Aussage sei ausgeschlossen.

b) Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage im übrigen ist letztlich nicht zwischen allgemeiner Glaubwürdigkeit und spezieller Glaubwürdigkeit unterschieden (vgl. schon BGH StV 1994, 64 m. w. N.; eingehend Boetticher in NJW Sonderheft für G. Schäfer 8, 12 m. w. N.); dementsprechend steht weniger die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Zeugen im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft (sein "Leumund") im Vordergrund, sondern vorrangig um die Analyse des Aussageinhalts, d. h. um eine methodische Beurteilung , ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben einem tatsächlichen Erleben des Zeugen entsprechen (vgl. BGHSt 45, 164; StV 2002, 639, 640). Scharfe Abgrenzungen sind nicht immer möglich, sondern richten sich nach den Umständen des Einzelfalles. So kann früheres Verhalten vor allem dann durchaus Schlußfolgerungen zulassen, wenn die entsprechenden Lebenssituationen mit der jetzigen vergleichbar sind. Fehlverhalten der Nebenklägerin bei oder nach der Beendigung privater Beziehungen könnte dann also etwa hier von Bedeutung sein, wenn auch hier die Beendigung einer privaten Beziehung im Raum stünde (vgl. etwa Maiwald in AK-StPO § 261 Rdn. 24). Dies ist jedoch, wie die Erheblichkeit jeder anderen Hilfstatsache, vorab zu klären. Es erscheint nicht angezeigt, vergleichbar der Frage nach dem Alkoholismus, mit Hilfe zahlreicher Zeugen die Beendigung einer Reihe von privater Beziehungen genauestens nachzuzeichnen, Fehlreaktionen und Fehlverhalten der Nebenklägerin dabei in allen Einzelheiten zum Gegenstand der Beweisaufnahme (und teilweise auch Begutachtung) zu machen, nur um dann zu dem Ergebnis zu kommen, all dies sei gleichgültig, weil es keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, daß zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin je irgendeine Beziehung bestanden hätte. 2. Noch weniger zu erkennen ist die Notwendigkeit, so, w ie geschehen, eingehend - ohne daß sich im übrigen irgend ein Anhaltspunkt ergeben hätte -
etwa darüber Beweis zu erheben, ob die Nebenklägerin mit den für das Haus zuständigen Briefträgern und (oder) Kaminkehrern Geschlechtsverkehr gehabt hat. Selbst wenn dies, sei es auch gegen Geld, so gewesen wäre und sie nicht bereit gewesen wäre, dies zuzugeben, hätte es vor solchen Beweisaufnahmen eingehender Überlegung bedurft, ob sich dies überhaupt auf die Entscheidung auswirken könnte. Von selbst versteht sich dies hier nicht. Für die ähnlich intensiv (und mit vergleichbarem Ergebnis) geprüfte Frage, ob die vor Jahren gegen die Nebenklägerin anonym vorgebrachte Beschuldigung einer Frau, die Nebenklägerin habe mit ihr eine zunehmend von Gewalt geprägte sexuelle Beziehung gehabt und der damals minderjährige Sohn der Nebenklägerin sei einbezogen gewesen, entgegen den damaligen polizeilichen Ermittlungen nicht doch einen wahren Kern haben könne, gilt nichts anderes. 3. Die Nebenklägerin war nicht bereit, sich nochmals beg utachten zu lassen (vgl. oben II. 1.). Die - unbeschadet aller rechtlichen Einzelheiten jedenfalls nicht wünschenswerte - Weitergabe der Akten durch die Nebenklägerin an ihr Umfeld (vgl. oben II. 2. vor a)) nach den eingehenden Ermittlungen in diesem Umfeld zu ihrem Privatleben deutet in ähnliche Richtung. Es liegt nahe, daß es sich bei alledem um Gegenreaktionen der Nebenklägerin darauf handelt, daß bei ihr der Eindruck erweckt wurde, nicht die Frage, ob sie Opfer einer Straftat wurde, stehe im Mittelpunkt des Verfahrens, sondern Ausforschung und Bewertung ihres Lebens ("erste lesbische Erfahrungen ca. 1985") mit all seinen Stärken ("Übersiedlung aus der DDR bewältigt") und Schwächen ("episodischer Alkoholmißbrauch" ). Auch wenn vorliegend weder ein Nutzen weiterer Begutachtung noch eine Beeinträchtigung des Werts wesentlicher Aussagen erkennbar ist,
wird durch das aufgezeigte Verhalten der Nebenklägerin im Verfahren doch deutlich, daß durch Art und Umfang der sie betreffenden Überprüfungen in der Tendenz selbst das Ziel der Wahrheitsermittlung eher gefährdet als gefördert wurde. Nack Wahl Hebenstreit Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 284/04
vom
5. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2004 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 13. Februar 2004 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts und unter
Berücksichtigung des weiteren Revisionsvorbringens vom 3.,
23. und 24. August 2004 bemerkt der Senat:
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich kein Rechtsfehler
daraus, daß das Landgericht nur dem Antrag auf Anhörung eines
psychiatrischen Sachverständigen gefolgt ist und nichtauch
über die Einholung des gleichzeitig beantragten psychologischen
Gutachtens entschieden hat. Dabei steht es im Ermessen des
Tatrichters, welchen Sachverständigen er beauftragt, wenn sich
die Kompetenz von Sachverständigen verschiedener oder ähnlicher
Fachrichtungen überschneidet (vgl. BGHSt 34, 355 ff.; BGH,
Beschl. vom 19. August 1993 - 1 StR 395/93). Psychologische
Kenntnisse gehören zum Rüstzeug auch des Psychiaters; außer-
dem sind die Fachkenntnisse eines Psychologen dann nicht ausreichend
, wenn - worauf die Revision beharrt - eine geistige Erkrankung
oder aktuelle psychopathologische Ursachen Einfluß
auf die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage haben können; dann
ist ein Psychiater zu hören (BGHSt 23, 8 ff.; Senge in KK 5. Aufl.
§ 73 Rdn. 5). Zudem hat der Generalbundesanwalt zu Recht darauf
hingewiesen, daß eine psychologische Untersuchung der Geschädigten
nur mit deren Einwilligung zulässig ist (BGHSt 36,
217, 219), wobei die Revision entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO
das Vorliegen einer entsprechenden Zustimmung nicht dargetan
hat.
Im übrigen ist die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters,
welche vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar ist.
Solche sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere hat das
Landgericht die von der Revision als Indizien angeführten Umstände
, das Heimbegleiten der Geschädigten durch den Angeklagten
nach der Tat, bei welchem es zu der Drohung mit der Tötung
des Kindes und der Familie der Geschädigten kam, und deren
mehrfache Ansätze auf diesem Heimweg, sich vor ein Auto zu
werfen, ebenso berücksichtigt wie die Aufnahme einer neuen Beziehung
durch die Geschädigte zu einem anderen Mann nur wenige
Tage nach der Tat. Die Strafkammer mußte hieraus nicht,
wie die Revision glaubt, Schlußfolgerungen dahin ziehen, daß die
Angaben der Geschädigten zum Tatgeschehen unglaubhaft sind.
Nack Kolz Hebenstreit
Elf Graf

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 139/03
vom
11. September 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
11. September 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 19. November 2002 mit den Feststellungen, einschließlich derjenigen zu den Trinkmengen des Angeklagten, aufgehoben
a) im Ausspruch über die wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verhängten Einzelstrafe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es gegen ihn eine isolierte Sperre nach § 69 a StGB angeordnet. Gegen
dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verlet- zung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg.
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat in Bezug auf die Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und den Maßregelausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch der Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Vergewaltigung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Erörterung bedarf insoweit - angesichts des Teilaufhebungsantrags des Generalbundesanwalts - nur die zu § 244 Abs. 2 StPO erhobene Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer die Verletzung der Aufklärungspflicht durch Ablehnung der Vernehmung der Zeugen Rolf, Regina und Roland S. sowie Johanna A. geltend macht.

a) Die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung die Vernehmung der vorgenannten Zeugen „zum Verhalten des Angeklagten am 07.04.2002“ (nach der Tat) und „zum Verhältnis der Eheleute T. “ (bei der Geschädigten handelt es sich um die Ehefrau des Angeklagten) beantragt. Zur Begründung hat sie im wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte habe dem Zeugen Rolf S. noch am Tattag, den übrigen Zeugen „kurz danach“ von dem Vorfall vom 7. April 2002 berichtet. Alle vier Zeugen seien „dem Angeklagten seit Jahren aufs Engste verbunden“ und könnten auch genaue Angaben über das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau und über ein „mögliches Motiv für eine Falschbeschuldigung“ durch diese machen.
Die Strafkammer hat den Antrag durch Beschluß mit der Begründung abgelehnt, mangels bestimmt behaupteter Beweistatsachen liege nur ein Beweisermittlungsantrag vor. Die Vernehmung der angebotenen Zeugen dränge sich im übrigen bei verständiger Würdigung der Sachlage weder auf noch liege sie nahe.
Der Beschwerdeführer sieht hierin einen Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO. Die beantragte Beweiserhebung habe sich dem Gericht aufdrängen müssen, da – wie die Revision durch die Wiedergabe von Ausschnitten aus polizeilichen Vernehmungsprotokollen zu belegen versucht – bei den Angaben der Zeugen, denen die Geschädigte ihrerseits von dem Tatgeschehen berichtet habe, Widersprüchlichkeiten aufgetreten seien. Die Einvernahme der benannten Zeugen hätte demgegenüber ergeben, daß der Angeklagte diesen den Tathergang wie bei seiner polizeilichen Vernehmung und in der Hauptverhandlung geschildert habe.

b) Der Rüge bleibt der Erfolg versagt.
aa) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob sie den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, da die polizeilichen Vernehmungsprotokolle, aufgrund derer der Strafkammer sich die beantragte Beweiserhebung nach Auffassung der Revision hätte aufdrängen müssen, in der Begründungsschrift nicht vollständig, sondern nur in Ausschnitten wiedergegeben werden. Nach dieser Bestimmung sind nämlich die die Rüge begründenden Tatsachen so genau und vollständig anzugeben, daß das Revisionsgericht allein auf ihrer Grundlage prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr., vgl. BGHR StPO
§ 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7, 8 m.w.N.). Dies erfordert bei einer Aufklärungsrüge auch die Darlegung der Umstände und Vorgänge, die für die Beurteilung der Frage, ob sich dem Gericht die vermißte Beweiserhebung aufdrängen mußte, bedeutsam sein konnten (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 3, 6 m.w.N.). Wird - wie hier - der Aufklärungsmangel aus dem Inhalt früherer, im Ermittlungsverfahren erfolgter Zeugenvernehmungen hergeleitet , so bedarf es daher regelmäßig deren (vollständiger) inhaltlicher Wiedergabe (vgl. auch BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6).
bb) Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Das Landgericht hat den gestellten Antrag zu Recht als Beweisermittlungsantrag gewertet, da ihm eine bestimmte Beweisbehauptung nicht entnommen werden kann. Es war – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - auch nicht aufgrund der ihm nach § 244 Abs. 2 StPO obliegenden Aufklärungspflicht gehalten, die beantragten Beweiserhebungen vorzunehmen. Der bloße Umstand, daß der die Vergewaltigung bestreitende Angeklagte nach der Tat Dritten den „Vorfall“ geschildert hat, mußte hier das Gericht nicht bereits zu deren Vernehmung drängen. Denn auch wenn man unterstellt, daß der Angeklagte diesen gegenüber von einer Vergewaltigung nichts berichtet oder eine solche in Abrede gestellt hat, hätte das Landgericht nach Sachlage dem keinen höheren Beweiswert zumessen müssen, als seinem diesbezüglichen Bestreiten im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung selbst. Soweit die benannten Zeugen Angaben über ein „mögliches Motiv für eine Falschbeschuldigung“ hätten tätigen sollen, mußte sich mangels jeglicher konkreter Tatsachenangabe dem Landgericht eine entsprechende Beweiserhebung schon deshalb nicht aufdrängen, da es sich bei der Motivation zu einem Handeln oder Unterlassen um einen Vorgang im Inneren eines anderen Menschen handelt, der grundsätzlich nicht
tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises sein kann (vgl. hierzu Meyer- Goßner StPO 46. Aufl. vor § 48 Rdnr. 2). Schließlich war die beantragte Vernehmung auch nicht aus Gründen der „Waffengleichheit“ geboten. Soweit das Landgericht Zeugen vernommen hat, denen die Geschädigte von der Tat berichtet hat, geschah dies ersichtlich zur Beurteilung der - vom Landgericht rechtsfehlerfrei bejahten - Glaubwürdigkeit der Zeugin. Dies führt jedoch nicht bereits im Sinne eines Automatismus dazu, daß aus Gründen der Amtsaufklärung nunmehr auch all die Personen zu vernehmen sind, denen der Angeklagte seinerseits den Tathergang geschildert hat.
2. Keinen Bestand kann hingegen das Urteil im Ausspruch über die wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung verhängte Einzelstrafe (Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten) haben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine alkoholbedingte erheblich verminderte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten verneint hat, rechtlichen Bedenken begegnen.

a) Das Landgericht ist den Trinkmengenangaben des Angeklagten gefolgt und hat hieraus eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,23 ‰ zum Tatzeitpunkt errechnet. Es hat trotz dieses hohen Wertes eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten verneint und in diesem Zusammenhang auf einzelne Tatumstände verwiesen, welche es – ohne dies näher auszuführen – ersichtlich als Anzeichen für eine uneingeschränkte Schuldfähigkeit gewertet hat. Im Anschluß hat es sich ohne weitere Begründung der Einschätzung des Sachverständigen angeschlossen. Dieser habe lediglich eine „alkoholbedingte Enthemmung aufgrund der Beziehungskonstellation und Tren-
nungssituation“ bejaht, die jedoch nicht den Grad der erheblichen Minderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erreicht habe.

b) Dies hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Schließt sich der Tatrichter dem angehörten Sachverständigen an, muß er sich in eigener Verantwortung mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen und dessen wesentlichen Grundlagen auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise in den Urteilsgründen mitteilen (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 20 Rdnr. 65 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Dem wird das angefochtene Urteil, das sich zu Einzelheiten des Sachverständigengutachtens nicht verhält, nicht gerecht.
bb) Darüber hinaus vermögen die vom Landgericht angeführten Tatumstände nicht den Ausschluß einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu rechtfertigen. Zwar kann die Indizwirkung einer hohen TatzeitBlutalkoholkonzentration (vgl. BGHSt 43, 66) durch Umstände entkräftet werden , die darauf hinweisen, daß das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist (sog. psychodiagnostische Beurteilungskriterien; vgl. hierzu etwa BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 34 und 36). Dem Umstand, daß der Angeklagte „zielgerichtet mit Symbolcharakter in mehreren Etappen über eine Inbesitznahme der Geschädigten hin zu einer Erniedrigung“ (UA 27) gehandelt hat, kommt aber eine entsprechende Aussagekraft nicht ohne weiteres zu. Auch das Nachtatverhalten des Angeklagten, das teilweise eher von Ernüchterung und Reue getragen gewesen sein kann, gestattet keine diesbezüglichen sicheren Schlüsse.

c) Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der betroffenen Einzelstrafe , da nicht ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit von der Möglichkeit der Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht beziehungsweise - auch angesichts des Vorverhaltens der Geschädigten - den Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt und auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte. Dies entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Einer Aufhebung des Schuldspruches bedarf es insoweit nicht, da der Senat eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) zur Tatzeit sicher ausschließen kann. Er hebt jedoch auch die Feststellungen zu den Trinkmengen auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen. Insoweit wird für die neue Hauptverhandlung zu berücksichtigen sein, daß Trinkmengenangaben des Angeklagten der Errechnung der Blutalkoholkonzentration nicht ungeprüft zugrunde gelegt werden müssen (vgl. hierzu im einzelnen Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdnr. 15 m.N.).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 155/09
vom
18. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18. August 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17. November 2008 werden verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf Fällen sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und zwei Wochen verurteilt und von dem Vorwurf der Vergewaltigung der Nebenklägerin aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch richten sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung der Strafkammer beanstandet, und die auf eine Verfahrensrüge gestützte Revision der Nebenklägerin. Beide - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich nach dem Aufenthalt in einer Gaststätte der Angeklagte, sein Bekannter M. sowie die stark alkoholisierte 14-jährige Nebenklägerin und deren Schwester zum Schlafen in das von den beiden Männern bewohnte Zimmer. Der Angeklagte und die Nebenklägerin einerseits sowie M. und die Schwester der Nebenklägerin andererseits legten sich bekleidet in jeweils eines der beiden dort befindlichen Betten und schliefen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein. M. und die Schwester der Nebenklägerin führten zuvor einvernehmlich den Geschlechtsverkehr durch.
3
Den Angaben der Nebenklägerin, der Angeklagte habe seinerseits mit ihr unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr vollzogen, ist das Landgericht nicht gefolgt. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass überhaupt sexuelle Handlungen zwischen dem - bestreitenden - Angeklagten und der Nebenklägerin stattfanden. Den Angaben der Nebenklägerin fehlten zu den näheren Umständen der behaupteten Tat die Konstanz, die Aussagegenese ergebe Rechtfertigungstendenzen. Die Nebenklägerin habe sich an jenem Abend erstmals in einer hochgradigen Trunkenheit befunden, die illusionäre Gedächtnisstörungen möglich erscheinen ließe. Nach den Angaben der Nebenklägerin zu erwartende Spermaspuren oder DNA-Spuren an den Scheiden- und Penisabstrichen seien nicht gefunden worden.
4
2. Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
5
a) Revision der Nebenklägerin
6
Die Rüge, die Strafkammer habe rechtsfehlerhaft den Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens abgelehnt , ist nicht begründet. Die Strafkammer hat den Antrag mit der hier noch tragfähigen Begründung, selbst über die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der Angaben der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 15 Jahre alten Zeugin zu verfügen, abgelehnt.
7
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter - wie hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (vgl. UA S. 54).
8
Der Revision ist zwar einzuräumen, dass die erhebliche Alkoholisierung der Nebenklägerin zum Zeitpunkt der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat sowie psychische Auffälligkeiten der Nebenklägerin die Beweiswürdigung als durchaus problematisch erscheinen ließen. Die Strafkammer hat sich dieser Problematik jedoch gestellt, wobei sie sich dort, wo es erforderlich erschien, ergänzend auf sachverständigen Rat gestützt hat. Zu den mit der Trunkenheit der Nebenklägerin einhergehenden Symptomen und sich daraus ergebenden Folgen hat sie den Sachverständigen Dr. L. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, sowie zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin die diese behandelnde Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie angehört. Unter diesen Umständen gingen die Anforderungen an die Beweiswürdigung noch nicht über das Maß hinaus, das vom Tatrichter regelmäßig verlangt wird. Diesen Anforderungen ist die Strafkammer auch - wie ihre ausführlichen Erwägungen zu den hier gegebenen Besonderheiten der Glaubwürdigkeitsprüfung belegen - noch gerecht geworden.
9
b) Revision der Staatsanwaltschaft
10
Die Freisprechung des Angeklagten hält auch sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
11
Die Würdigung der Beweise hat das Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Das Revisionsgericht hat sie regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie nur deshalb zu beanstanden , weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler überprüfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NJW 2008, 1543).
12
Einen derartigen durchgreifenden Rechtsfehler weist das angefochtene Urteil nicht auf. Das Landgericht hat eine eingehende Prüfung der den Angeklagten belastenden und entlastenden Indizien vorgenommen und diese ausdrücklich - wenn auch knapp - in ihrer Gesamtheit gewürdigt (UA S. 38, 53). Dass es sich im Ergebnis nicht von der Zuverlässigkeit der belastenden Angaben der Nebenklägerin zu überzeugen und Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermocht hat, ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
13
Die Verdachtsmomente gegen den Angeklagten gründeten sich maßgeblich auf die Aussage der Nebenklägerin. Das Landgericht hat deshalb zu Recht diese Aussage und ihre Entwicklung im Laufe des Verfahrens zentral in den Blick genommen und festgestellt, dass sie zu Einzelheiten des inkriminierten Geschehens gewechselt hat, und zwar in der Weise, dass die Nebenklägerin zunehmend einem Erwartungsdruck nachgegeben zu haben schien. Es hat zu berücksichtigen gehabt, dass sich die Nebenklägerin in dem behaupteten Tatzeitraum zum ersten Mal in einem derart starken Rauschzustand befand, dass sie nicht mehr in der Lage war, die Treppen zu dem Zimmer des Angeklagten hochzugehen, und selbst von Erinnerungslücken berichtete. Es hat zutreffend auf das Fehlen verschiedener objektiver Spuren für das Stattfinden sexueller Handlungen verwiesen, ferner darauf, dass der als glaubwürdig eingestufte Mitbewohner M. in dem benachbarten Bett von dem behaupteten Geschehen nichts bemerkt hat.
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Diesen Umständen hat das Landgericht Beweisanzeichen gegenübergestellt , die für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen könnten. Hierbei sind weder revisionsrechtlich relevante Lücken oder Widersprüche erkennbar noch hat das Landgericht dem Angeklagten nachteilig erscheinende Indizien in ihrem Beweiswert rechtsfehlerhaft falsch bewertet. So hat die Strafkammer in Rechnung gestellt, dass es durchaus Anzeichen dafür gibt, dass die Nebenklägerin zum Kerngeschehen nicht bewusst unwahr ausgesagt hat. Sie hat auch gesehen, dass die ungewöhnliche Lage des bei der Untersuchung der Nebenklägerin aufgefundenen Tampons die Richtigkeit der Darstellung der Nebenklägerin bestätigen könnte, aber nachvollziehbar dargelegt, dass es dafür ohne weiteres andere Erklärungen geben kann als ein Eindringen des Angeklagten in die Scheide.
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Wenn die Kammer auf dieser Grundlage die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht gewinnen konnte, spricht dies nicht für übertriebene Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Gewissheit. Vielmehr ist auch insoweit den Anforderungen an die revisionsrechtliche Nachprüfbarkeit der Beweiswürdigung genügt.
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3. Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die beiden Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 128 m.w.N.). Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 579/05
vom
25. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2006 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. August 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts München II zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 27 Fällen , wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in 43 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Gegen das Urteil wendet der Angeklagte sich mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
I. Die Revision beanstandet die Behandlung von zwei Hilfsbeweisanträgen , die auf die Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten E. und M. G. gerichtet waren und von der Strafkammer unter Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt worden sind. Die Rüge nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO greift durch.
3
1. Gegenstand der Verurteilung sind Misshandlungen und sexuelle Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau E. G. , seines am 1. Mai 1989 geborenen Sohnes M. und seiner am 7. November 1993 geborenen Tochter S. . Das Landgericht hat den nicht vorbestraften Angeklagten für schuldig befunden, in den Jahren 1998 bis 2002 im Abstand von jeweils zwei Monaten den Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau erzwun- gen zu haben, indem er sie würgte und bedrohte (“Wenn ich Dich jetzt umbringe , kannst Du gar nichts tun.”). Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Angeklagte zwischen 1994 und 2000 seinen behinderten Sohn M. fünfzehn Mal, indem er das fünf bis elf Jahre alte Kind auf dessen Bett warf, es mit der einen Hand würgte und mit der anderen vor ihm masturbierende Bewegungen an sich vollzog. Mit der vier bis sechs Jahre alten S. führte der Angeklagte nach den Feststellungen in drei Fällen den Geschlechtsverkehr durch. Daneben kam es - so das Landgericht - wiederholt zu Gewalttätigkeiten, indem der Angeklagte S. mit einem eisernen Pfannenwender und M. mit einem Gürtel schlug, M. zudem in zwei weiteren Fällen mit einem Messer in den Arm schnitt.
4
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat sich in seiner Beweiswürdigung im Wesentlichen auf die jeweiligen Aussagen der Geschädigten zu den an ihnen begangenen Taten gestützt. Ergänzend hat es Angaben der Zeugin E. G. zu Begleitumständen des Missbrauchs von S. und zu den Misshandlungen von M. berücksichtigt, weiterhin Angaben der Zeugin K. G. , Schwester von S. und M. , die einen Fall des Missbrauchs von S. beobachtet haben will. Die Kammer hat die Zeugin S. G. einer aussagepsychologischen Begutachtung unterzogen ; sie ist der Bewertung der Sachverständigen, wonach die Schilderungen der Zeugin keinen Erlebnisbezug aufweisen, Aussageentstehung und –inhalt vielmehr deutliche Hinweise auf suggestive Prozesse und die Entstehung von Scheinerinnerungen ergeben, indes nicht gefolgt. Auch die Zeugin K. G. war im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf Missbrauchsvorwürfe, die sie gegenüber dem Angeklagten erhoben hatte, Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung. Die Sachverständige ist auch hinsichtlich dieser Zeugin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Annahme von Scheinerinnerungen und einer darauf beruhenden Falschaussage nicht zurückzuweisen sei. Die Kammer hat dem in die Verhandlung eingeführten Gutachten keine durchgreifende Bedeutung beigemessen, da es sich hauptsächlich auf Berichte der Zeugin über an ihr selbst begangene Taten beziehe, nicht aber auf solche zu Lasten ihrer Schwester S. .
5
Die Verteidigung hat Hilfsbeweisanträge auf Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zum Beweis dafür gestellt, dass die Aussagen der Zeugen E. und M. G. nicht erlebnisfundiert seien. Die Kammer hat die Anträge abgelehnt, weil sie selbst über die erforderliche Sachkunde verfüge.
6
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ablehnung der Beweisanträge erweist sich in Anbetracht der ungewöhnlichen Besonderheiten des Falles als rechtsfehlerhaft.
7
Die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (BGHSt 8, 130; BGH NStZ 2001, 105). Die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens ist allerdings dann geboten, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 2; BGH StV 1994, 173). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
8
a) Auffälligkeiten im Hinblick auf die Aussage der Zeugin E. G. liegen in ihrer Person und in den Umständen der Aussageentstehung begründet. Den Urteilsfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Zeugin nach ihren eigenen Angaben von ihrem vierten bis zum achtzehnten Lebensjahr in ihrer eigenen Familie sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen ist. Solche Übergriffe habe sie auch von einem Freund hinnehmen müssen, mit dem sie eine Beziehung unterhielt, bevor sie den Angeklagten kennen gelernt habe.
9
Zur Entstehung der den Angeklagten belastenden Aussagen verhält sich das Urteil nicht näher. Ihm ist aber zu entnehmen, dass die Zeugin in Gesprächen mit Ärzten eines psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Angeklagte sich im Jahr 2004 zur Behandlung einer Depression aufgehalten hatte, verbalaggressives Verhalten des Angeklagten geschildert, körperliche Übergriffe jedoch entschieden verneint hatte. Den Inhalt weiterer in diesem Zeitraum geführter Unterredungen der Zeugin mit einem Vertrauten, dem Zeugen Ge. Ei. , teilt das Urteil nicht mit. Aus den polizeilichen Vernehmungen des Zeugen Ei. und der Zeugin G. ergibt sich, dass beide Zeugen zahlreiche intensive Gespräche über die familiäre Situation der Zeugin G. geführt haben. Die Zeugin brachte dabei zunächst ihre Überzeugung zum Ausdruck, in einer glücklichen Ehe und heilen Familie zu leben. Nach dem Eindruck des - von der Zeugin G. als “Hobbypsychologen” beschriebenen - Zeugen Ei. lagen dieser Überzeugung jedoch verdrängte familiäre Probleme zugrunde. Auf Anraten des Zeugen unterzog die Zeugin G. sich einer „Familienaufstellung“; hierbei und hiernach sei ihr nach Aussage des Zeugen Ei. “nach und nach zu Be- wusstsein gekommen, was überhaupt passiert ist”.
10
b) Besonderheiten hinsichtlich des Zeugen M. G. finden sich in dessen organischer Hirnschädigung sowie auch hier in den Umständen der Aussageentstehung. Der Zeuge hatte bei seiner von der Revision mitgeteilten polizeilichen Vernehmung sexuelle Übergriffe und Schläge mit Gegenständen seitens des Angeklagten noch ausdrücklich verneint. Erst in seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung schilderte der Zeuge die Geschehnisse, wie sie später Gegenstand der Feststellungen geworden sind, ohne dass ihm seine frühere gegenteilige Aussage hierbei vorgehalten wurde. Die der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des Zeugen beiwohnende aussagepsychologische Sachverständige vermutete ausweislich eines von der Revision mitgeteilten Aktenvermerkes der Staatsanwaltschaft, dass der Aussage durch Suggestion hervorgerufene Pseudoerinnerungen zugrunde liegen könnten.
11
c) Hinsichtlich beider Zeugen war zudem zu berücksichtigen, dass Sachverständigengutachten über die Glaubwürdigkeit der über ähnliche Missbrauchserfahrungen berichtenden familienangehörigen Zeugen S. und K. G. vorlagen, in welchen die Sachverständige erhebliche Anzeichen für eine wechselseitige innerfamiliäre Beeinflussung der Zeuginnen dokumentiert hatte. Auch wenn die Kammer dem Ergebnis der Gutachten nicht gefolgt ist, boten sie bei Würdigung der Aussagen weiterer als Zeugen vernommener Familienmitglieder doch Anlass für eine besonders kritische Prüfung möglicher suggestiver Einflüsse und hierdurch hervorgerufener Fehlerinnerungen.
12
Vor dem Hintergrund all dieser Besonderheiten durfte die Kammer sich nicht für befugt halten, über die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Aussagen der Zeugen E. und M. G. aus eigener Sachkunde zu entscheiden; vielmehr hätte es der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens bedurft (vgl. BGH NStZ 2001, 105).
13
3. Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung aller Urteilsfeststellungen, soweit sie der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen. Denn die Kammer hat die Aussagen dieser beiden Zeugen zur Feststellung sämtlicher Tatkomplexe in wechselnder Beteiligung herangezogen.
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Auf die weiteren von der Revision erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen und auf die Sachrüge kommt es hiernach nicht mehr an.
15
II. Der Senat hat Anlaß zu folgendem Hinweis: Der Tatrichter ist nicht gehindert, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders zu beurteilen als ein hierfür herangezogener Sachverständiger, denn das von diesem erstattete Gutachten kann stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein. Er muss dann aber die wesentlichen Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen darlegen, insbesondere die Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf die er seine abweichende Auffassung stützt. Dem Revisionsgericht ist ansonsten keine Prüfung möglich, ob der Tatrichter das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (st. Rspr.; BGH NStZ 2000, 550f.; BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5). Zu den Anforderungen an ein aussagepsychologisches Gutachten , welche von der herangezogenen Sachverständigen hier beachtet wurden, weist der Senat auf BGHSt 45, 164 hin.
16
Im Hinblick auf die bisherige Länge der Untersuchungshaft wird der neue Tatrichter im weiteren Verfahren das Beschleunigungsgebot besonders zu beachten haben.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Herr RiBGH Dr. Graf ist erkrankt und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack