Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 39/13

bei uns veröffentlicht am05.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 39/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 5. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2013

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Oktober 2012 mit den Feststellungen nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Nach den durch das Landgericht getroffenen Feststellungen vergewaltigte der bislang unbestrafte Angeklagte den am 1. November 1983 geborenen Nebenkläger zwischen Anfang 1992 und Januar 1993 in mindestens fünf Fällen brutal, wobei er in einem Fall dem Hund des Kindes zur Verstärkung seiner Drohungen das Rückgrat brach und in einem anderen Fall Zigaretten auf der Haut des Kindes ausdrückte. Tatort war ein von den Beteiligten als „Hexenhäuschen“ bezeichnetes Haus in Weiskirchen, in dem der Ange- klagte mit seiner damaligen Lebensgefährtin, der Mutter des Nebenklägers, im fraglichen Zeitraum wohnte.
3
Der Nebenkläger war schon im Kindesalter verhaltensauffällig. Auf Anraten des behandelnden Psychologen und des Jugendamts wurde er 1992 aus der Familie herausgenommen und in die Obhut der Großmutter gegeben , hielt sich aber auch beim Angeklagten und seiner Mutter auf. Er befand sich mehrfach, auch stationär, in jugendpsychiatrischer Behandlung. So wurde er aus einer psychiatrischen Einrichtung im Kindesalter am 14. Januar 1993 entlassen und kehrte in die Obhut der Großmutter zurück. Einzelheiten der sexuellen Übergriffe teilte der Nebenkläger erstmals als Erwachsener seiner damaligen Lebensgefährtin und, nachdem sein Verteidiger solches pauschal in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren thematisiert hatte, im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 2. Januar 2012 mit.
4
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5
a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
6
Der Verteidiger hatte die Einholung eines Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben des Nebenklägers beantragt. Dieser leide an einer antisozialen bzw. dissozialen Persönlichkeitsstörung, die sich aus bereits im frühen Kindesalter aufgetretenem aggressiv-dissozialem Verhalten herleite. Hauptmerkmal der Persönlichkeitsstörung sei ein tiefgreifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer, das in der Kindheit beginne und bis ins Erwachsenenalter fortdauere. Weil Täuschung und Manipulation zentrale Merkmale dieser Störung seien, müssten die Tatschilderungen zu Lasten des Angeklagten als höchst unzuverlässig gelten.
7
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil es über die erforderliche Sachkunde selbst verfüge (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die von der Verteidigung behauptete Persönlichkeitsstörung möge bei dem Nebenkläger vorliegen. Jedoch seien Täuschung und Manipulation gerade keine zentralen Merkmale dieser Störung. Die Hinzuziehung medizinischer Hilfe sei nicht erforderlich, weil die Aussage des Nebenklägers eine Vielzahl von Realkennzeichen aufweise, in hohem Maße konstant sei und im Randbereich durch Bekundungen anderer Zeugen gestützt werde.
8
b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die Rüge zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben. Zwar bedarf es hierfür – was die Revision auch nicht verkennt – grundsätzlich des Vortrags der Einwilligung der zu begutachtenden Person in die beantragte Untersuchung (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 8. Januar 2013 – 1 StR 602/12 mwN). Das kann aber dann nicht gelten, wenn einem Sachverständigen ersichtlich unabhängig von einer Einwilligung des Zeugen die erforderlichen Erkenntnisse auch ohne persönliche Begutachtung verschafft werden können (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 27. März 1990 – 5 StR 119/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 7, vom 25. September 1990 – 5 StR 401/90, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 6, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347). So liegt es hier.
9
c) Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101, und vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12, NStZ-RR 2012, 353, 354). Solche Umstände sind hier gegeben. Die Beurteilung einer psychischen Störung des vielfach in psychiatrischen Einrichtungen untergebrachten sowie in seinem Aussageverhalten auffälligen Nebenklägers und von deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darle- gung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschlüsse vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232, und vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12, aaO). Eine solche ist weder dem Zurückweisungsbeschluss noch den Urteilsgründen zu entnehmen.
10
d) Die Ablehnung des Beweisantrags führt auf die Revisionsrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils, weil dieses insgesamt auf dem Rechtsfehler beruhen kann.
11
3. Der Senat weist darauf hin, dass die im angefochtenen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung auch sachlich-rechtlich revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standgehalten hätte. Hierzu sowie für die neue Hauptverhandlung ist namentlich zu bemerken:
12
a) Angesichts der überaus schwierigen Beweislage betreffend die rund 20 Jahre zurückliegenden Taten hätte es einer eingehenden und zusammenhängenden Darstellung und Bewertung der Bekundungen des Nebenklägers bedurft, wobei auch im angefochtenen Urteil angesprochene Widersprüche zwischen der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung und der Aussage in der Hauptverhandlung im Einzelnen zu benennen und zu würdigen gewesen wären. Dem genügen die eher kursorischen Erwägungen des Landgerichts nicht, die jeglichen konkreten Beleg für Aussagekonstanz oder markante Realkennzeichen vermissen lassen. Gänzlich unzulänglich bleiben die Ausführungen zu der für die Einschätzung der Lebensumstände und einer Gewalttätigkeit des Angeklagten zur Tatzeit besonders bedeutsamen Aussage der Mutter des Nebenklägers.
13
b) Entsprechend den Ausführungen der Revision sind die Feststellungen zur zeitlichen Einordnung der Taten nicht frei von Widersprüchen. Das Landgericht hat den Tatzeitraum auf Anfang 1992 bis Januar 1993 festgelegt. Dies tritt schon in erhebliche Spannung mit der zugleich zugrunde gelegten Aussage des im November 1983 geborenen Nebenklägers, der Ange- klagte habe ihn im Alter von vier bis acht Jahren sexuell missbraucht. Ferner erhält sich das Urteil nicht dazu, dass der Nebenkläger, der das „Hexenhäuschen“ als „Ge ängnis“ emp unden hat (UA S 1 ), gerade im Jahr 199 aus der Familie herausgenommen und bei der Großmutter untergebracht wurde und dass eine stationäre psychiatrische Unterbringung am 14. Januar 1993 endete, nach der der Nebenkläger zur Großmutter zurückkehrte. Es versteht sich in diesem Zusammenhang auch nicht von selbst, dass die Großmutter, der der Nebenkläger nach seiner Aussage von sexuellen Übergriffen des Angeklagten erzählt hat, gleichwohl und ungeachtet nach den Urteilsgründen aufgrund ständiger Misshandlungen von Seiten des Angeklagten vorhandener multipler Hämatome und anderer Verletzungen des Ne- benklägers etwa weitere Besuche im „Hexenhäuschen“ zugelassen hat
14
c) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Schließmuskel des Nebenklägers durch die analen Vergewaltigungen geschädigt worden sei, weswegen dieser immer wieder eingekotet habe (UA S. 8). Der Angeklagte hat in diesem Zusammenhang angegeben, dass der Nebenkläger im fraglichen Zeitraum seinen Onkel S. sexueller Übergriffe beschuldigt habe, woraufhin der Nebenkläger ohne Befund durch einen in den Urteilsgründen benannten Arzt untersucht worden sei (UA S. 10, 11). Diese Angaben , denen das Landgericht nach den Urteilsgründen nicht nachgegangen ist, finden eine gewisse Bestätigung in der Aussage der Mutter des Nebenklägers , wonach aufgrund der Beschuldigung des Onkels das Jugendamt eingeschaltet worden sei, ohne dass sich der Vorwurf habe erhärten lassen (UA S. 21). Hiermit und namentlich mit Art, Umfang und Ergebnis eingeleiteter Untersuchungen hätte sich das Landgericht im Einzelnen auseinandersetzen müssen.
15
d) Eine zentrale Bedeutung misst das Urteil der durch einen Polizeibeamten eingeführten Aussage der – durch das Landgericht wegen einer Erkrankung nicht vernommenen – Tante des Nebenklägers bei. Ihr gegenüber soll sich der Nebenkläger als einziger neben der verstorbenen Groß- mutter bereits im Kindesalter offenbart haben, indem er bekundete, er müsse am „Pimmel“ des Angeklagten spielen und dieser stecke den „Pimmel“ in seinen Po. Den Urteilsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, wie die Zeugin auf diese Mitteilung reagiert und was sie gegebenenfalls veranlasst hat. Der Mutter des Nebenklägers scheint sie nach deren im Rahmen einer von der Verteidigung erhobenen Aufklärungsrüge wiedergegebenen polizeilichen Aussage hiervon nichts gesagt zu haben. Der Senat weist darauf hin,dass – beiunveränderter Beweissituation – die persönliche Vernehmung der genannten Zeugin in der neuen Hauptverhandlung dringend angezeigt sein wird.
16
e) Nach den Feststellungen ist der unbestrafte Angeklagte nunmehr in vierter Ehe verheiratet, wobei in die 1995/1996 eingegangene dritte Ehe durch die Ehefrau Kinder im Alter von vier und sechs Jahren eingebracht worden sind (UA S. 5). Es könnte von indizieller Bedeutung sein, wenn insbesondere diese Ehe – wie nach den Urteilsgründen die Beziehung zur Mutter des Nebenklägers – durch fortwährenden Alkoholmissbrauch, ständige gravierende Gewalttätigkeiten und unter Umständen auch sexuelle Übergriffe des Angeklagten geprägt gewesen wäre.
17
f) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei allen Taten beträchtlich alkoholisiert gewesen ist. Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Schuldfähigkeit hat es nicht gesehen (UA S. 25). Damit sind indessen die Voraussetzungen der verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Zwar zeigte der An- geklagte nach den Feststellungen „keine Aus allerscheinungen“ (UA S 8) Im Hinblick darauf, dass für diesen Befund ausschließlich die Wahrnehmung eines Kindes von jedenfalls unter zehn Jahren in Betracht kommt, wären insoweit nähere Ausführungen unabdingbar gewesen.
Basdorf Sander Schneider Dölp König

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 39/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 39/13

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Bundesgerichtshof Beschluss, 05. März 2013 - 5 StR 39/13 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 602/12
vom
8. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Januar 2013 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19. Juni 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht wegen des Unterbleibens der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. bleibt ohne Erfolg.
1. Sie genügt bereits nicht in jeder Hinsicht den gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift - entgegen der Erwiderung der Revision vom 27. Dezember 2012 - zutreffend aufgezeigt hat, bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die gesetzlich nicht geregelte Untersuchung von Zeugen auf ihre Glaubwürdigkeit einer Einwilligung der Betroffenen (BGH, Urteil vom 29. Juni 1989 - 4 StR 201/89, BGHSt 36, 217, 219; BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 498/04, NJW 2005, 1519; Senge in KK-StPO, 6. Aufl., § 81c Rn. 9 mwN). Das Vorliegen einer entsprechenden Zustimmung der zu begutachtenden Person muss von der Revision dargetan werden (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 1 StR 284/04). Daran fehlt es vorliegend.
Die Revision teilt, worauf der Generalbundesanwalt ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, zudem nicht sämtliche von der Verteidigung während des Strafverfahrens gestellten Anträge auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens und die daraufhin ergangenen Entscheidungen der Strafkammer mit. Dessen hätte es aber vorliegend bedurft, um den gesetzlichen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu entsprechen. Danach müssen die notwendigen Angaben zum Verfahrensgeschehen so umfassend sein, dass dem Revisionsgericht im Sinne einer vorweggenommenen Schlüssigkeitsprüfung ohne Rückgriff auf die Akten die Beurteilung ermöglicht wird, festzustellen, ob der behauptete Verfahrensverstoß vorliegt (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 25. März 1998 - 3 StR 686/97, NJW 1998, 2229; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 344 Rn. 21 mwN). Um dem zu entsprechen, muss bei einer auf die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO gestützten Rüge regelmäßig angegeben werden, welche Umstände das Tatgericht zu weiterer Aufklärung hätten drängen müssen (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 4 StR 139/03, NStZ 2004, 690, 691; Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 52 mwN). Damit das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, zu überprüfen, ob sich der Tatrichter zu der begehrten Aufklärung hätte gedrängt sehen müssen, bedarf es grundsätzlich auch der Mitteilung des Inhalts darauf gerichteter Beweisanträge und der Entscheidungen des Tatgerichts über diese Anträge. Denn gerade aus dem Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen ergeben sich Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage, ob die Amtsaufklärungspflicht eine weitergehende Beweiserhebung erforderte oder nicht. Angesichts dessen hätte die Revision die in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft ausgeführte (erneute ) Stellung eines Beweisantrags auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens im Termin zur Hauptverhandlung vom 19. Juni 2012 und den Inhalt des Ablehnungsbeschlusses der Strafkammer vom selben Tage mitteilen müssen.
2. Die Rüge wäre auch in der Sache unbegründet. Der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens über die Zeugin S. bedurfte es nicht. Die Jugendkammer konnte die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage aufgrund eigener Sachkunde beurteilen und hat daher nicht gegen die Amtsaufklärungspflicht verstoßen.
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter - wie auch hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (BGH, Urteil vom 18. August 2009 - 1 StR 155/09, NStZ 2010, 51, 52). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist , die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 12. November 1993 - 2 StR 594/93, StV 1994, 173; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Solche Umstände können gegeben sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erinnerungsfähigkeit einer Beweisperson aus besonderen, psychodiagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt ist oder dass besondere psychische Dispositionen oder Belastungen - die auch im verfahrensgegenständlichen Geschehen selbst ihre Ursache haben können - die Zuverlässigkeit der Aussage in Frage stellen könnten, und dass für die Feststellung solcher Faktoren und ihrer möglichen Einflüsse auf den Aussageinhalt eine besondere, wissenschaftlich fundierte Sachkunde erforderlich ist, über welche der Tatrichter im konkreten Fall nicht verfügt (BGH, Urteil vom 26. April 2006 - 2 StR 445/05, NStZ-RR 2006, 241 mwN).
Nach diesen Maßstäben bedurfte es vorliegend keiner Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens, um der Amtsaufklärungspflicht zu entsprechen. Die Jugendkammer hat sich auf der Grundlage des der Zeugin Aussagetüchtigkeit zuschreibenden psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit der Persönlichkeit der Zeugin und möglichen für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit relevanten Aspekten, wie ihrer zeitweiligen psychiatrischen Behandlung, den Berichten von Déjà-vu-Erlebnissen sowie einer denkbaren Übertragung einer möglicherweise während ihres Aufenthaltes in Pakistan erlebten Vergewaltigung auf das Verhalten des Angeklagten, umfassend und sorgfältig auseinandergesetzt sowie erkennen lassen, warum sie zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit aufgrund eigener Sachkunde in der Lage war. Angesichts der mit sachverständiger Hilfe rechtsfehlerfrei ausgeschlossenen Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit und dem Fehlen von Wahrnehmungsstörungen lagen in der Person der Zeugin keine solchen Besonderheiten vor, die eine in Jugendschutzsachen erfahrene Jugendkammer außer Stande gesetzt hätte, die Zuverlässigkeit der Angaben zu beurteilen. Erst recht bestanden keine Besonderheiten im genannten Sinn darin, dass Gegenstand der Aussage Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin waren und dass diese zur Zeit der geschilderten Vorfälle in kindlichem bzw. jugendlichem Alter war (vgl. BGH, aaO, NStZ-RR 2006, 241).
Nack Rothfuß Jäger Cirener Radtke

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 364/08
vom
28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. Oktober 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; von einem weiteren Vorwurf der schweren Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; das Landgericht hat einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte die im Jahre 1983 geborene Zeugin P. seit ihrer frühen Jugend Kokain und Heroin und war zum Tatzeitpunkt im Herbst 2001 betäubungsmittelabhängig. Der Angeklagte und zwei oder drei Begleiter besorgten ihr Heroin. Sie nahm das Rauschgift ein, war hierdurch berauscht und fiel in einen betäubungsähnlichen Zustand. Der Angeklagte und seine Begleiter vollzogen nunmehr nacheinander mit der regungslos auf einem Sofa liegenden Zeugin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Obwohl sie aufgrund ihres Zustands zu einem körperlichen Widerstand nicht in der Lage war, konnte sie ihre Umgebung noch wahrnehmen und sagte zu jedem der Täter: "Nein".
3
Das Landgericht hat den Angeklagten im Wesentlichen aufgrund der Aussage der Zeugin verurteilt, die es für glaubhaft erachtet hat.
4
2. Der Angeklagte hat mit Anträgen vom 8. Oktober und 6. November 2007 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aussagefähigkeit der Zeugin beantragt. Diese sei nicht aussagetüchtig, da aufgrund ihres langen Drogenabusus ihre Fähigkeit, Wahrnehmungen zu erinnern und zu reproduzieren , erheblich eingeschränkt sei; ihre Aussagen zu dem Tatvorwurf seien unzuverlässig. Zur Begründung hat der Angeklagte unter Hinweis auf zahlreiche aus seiner Sicht bestehende Ungenauigkeiten und Widersprüche in den verschiedenen Vernehmungen der Zeugin ausgeführt, dass diese in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.
5
Mit Beschluss vom 14. November 2007 hat die Strafkammer den Beweisantrag vom 6. November 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie auf ihre eigene Sachkunde verwiesen. Besonderheiten, die eine sachverständige Beratung erforderlich machten, seien nicht erkennbar und lägen auch nicht darin, dass die Zeugin zur Tatzeit und möglicherweise noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung drogenabhängig gewesen sei. Im Übrigen dürfte - so das Landgericht - das Beweismittel ungeeignet sein, weil die Zeugin es ablehne, sich der für ein Glaubwürdigkeitsgutachten erforderlichen Exploration zu unterziehen.
6
3. Diese Ablehnung hält in der Sache rechtlicher Nachprüfung nicht stand; deshalb kann dahinstehen, ob mit dem Beschluss vom 14. November 2007 auch der Antrag vom 8. Oktober 2007 beschieden worden ist oder insoweit ein von der Revision ebenfalls gerügter Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO vorliegt.
7
a) Soweit die Strafkammer eigene Sachkunde in Anspruch genommen hat, reicht die Begründung ihrer Entscheidung aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Sachverhalts nicht aus. Die Anforderungen, die an den Ausweis der richterlichen Sachkunde in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss oder den Urteilsgründen zu stellen sind, richten sich nach dem Maß der Schwierigkeit der Beweisfrage (vgl. BGHSt 12, 18, 20). Anders als in gewöhnlichen Fällen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung, in denen sich die eigene Sachkunde des Tatrichters regelmäßig schon aus seiner Berufserfahrung ergibt (vgl. BVerfG NJW 2004, 209, 211), bestand hier ausnahmsweise mit Blick auf die konkrete Fallgestaltung ein erhöhter Begründungsbedarf.
8
Das Beweisbegehren zielte erkennbar nicht auf allgemeine Fragen der Glaubwürdigkeit der Zeugin im Hinblick auf ihre Drogenabhängigkeit, sondern darauf ab, dass aufgrund der konkreten Gegebenheiten ihre kognitiven Fähigkeiten erheblich beeinträchtigt waren. Die Beurteilung der Auswirkungen ihres langjährigen Drogenmissbrauchs in Kombination mit der akuten Intoxination zur Tatzeit, die so stark war, dass sie sich - zu jeglichem Widerstand unfähig - in einem "betäubungsähnlichen Zustand" befand, auf ihre Fähigkeit zur Wahrnehmung und späteren Wiedergabe des konkreten Geschehens nimmt jedoch mehr als Allgemeinwissen in Anspruch. Unter diesen Umständen versteht sich die Sachkunde der Strafkammer nicht von selbst; sie hätte vielmehr in dem Zurückweisungsbeschluss oder den Urteilsgründen näher dargelegt werden müs- sen (vgl. BGH NStZ 1991, 47; Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 198 m. zahlr. w. N.).
9
b) Der - nicht näher begründete - Hinweis der Strafkammer auf die mögliche Ungeeignetheit des Beweismittels vermag die Zurückweisung des Beweisbegehrens ebenfalls nicht zu tragen. Zwar kann ein Beweisantrag, der sich auf ein - nach dem Gesetzeswortlaut allerdings "völlig" - ungeeignetes Beweismittel stützt, aus diesem Grund nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden. Dabei muss es sich aber um ein Beweismittel handeln, dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen würde (vgl. BGH StV 1997, 338). Nach diesen Maßstäben kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann abgelehnt werden, wenn auszuschließen ist, dass es sich zu der vorgelegten Beweisfrage sachlich überhaupt äußern kann (vgl. BGH NStZ 2008, 116), z. B. weil es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, derer er für sein Gutachten bedarf (vgl. Fischer in KK aaO § 244 Rdn. 154). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Zeugin konnte zwar ohne ihre Einwilligung nicht psychiatrisch untersucht werden (§ 81 c StPO). Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Sachverständige auf andere Weise, etwa durch das Studium der Akten und die Beobachtung der Zeugin in der Hauptverhandlung ausreichende Anknüpfungstatsachen hätte ermitteln und auf deren Basis zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zu der Beweisbehauptung machen können.
10
4. Der Schuldspruch beruht auf der rechtsfehlerhaft unterlassenen Beweiserhebung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung gekommen wäre, wenn es das beantragte Gutachten eingeholt und der Sachverständige die Beweisbehauptung bestätigt hätte. Becker Miebach Sost-Scheible Hubert Schäfer
5 StR 419/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2009

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. März 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es ihn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin in Höhe von 5.000 € verurteilt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte an der Nebenklägerin an einem nicht mehr feststellbaren Tag Ende Juni/Anfang Juli 2008 gewaltsam den Vaginal- und Analverkehr vollzogen. Am Abend des 22. Juli 2008 gegen 21 Uhr hat er die Nebenklägerin erneut vergewaltigt, wobei er an ihr über einen längeren Zeitraum hinweg den Vaginalverkehr vollzogen hat. Beide Taten fanden in der Wohnung der Nebenklägerin statt.
3
2. Das Rechtsmittel dringt mit einer Verfahrensrüge durch. Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
4
a) Die Verteidigerin hatte die Einholung eines psychiatrisch-psychologischen Gutachtens zum Beweis der Behauptung beantragt, dass die Nebenklägerin , auf deren Aussage die Feststellungen im Wesentlichen beruhen , an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung oder an einer anderen , selbstverletzendes Verhalten auslösenden Persönlichkeitsstörung leide und ihre Aussagekompetenz gerade in Bezug auf Beziehungstaten aus diesem Grunde nicht gegeben sei. Zur Begründung hat sie vorgetragen, bei der rechtsmedizinischen Untersuchung zwei Tage nach der Tat seien an beiden Unterarmen der Nebenklägerin mehrere bereits vernarbte schnittartige Verletzungen sowie zwei frischere strichförmige und in Abheilung befindliche Schnittwunden festgestellt worden. Der in der Hauptverhandlung vernommene rechtsmedizinische Sachverständige habe erklärt, die Wunden seien eindeutig auf eine Selbstverletzung zurückzuführen; Ursache für selbstverletzendes Verhalten könne ein psychiatrisches Krankheitsbild, etwa eine Borderline -Störung sein.
5
Zu den Schnittwunden, die im schriftlichen Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen vermerkt sind, enthält ein in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken verlesener Vermerk der bei der Untersuchung anwesenden Polizeibeamtin E. folgende Aussage: „Schnittverletzungen durch Selbstbeibringung (Suizidgedanken bejaht, entsprechende [ernsthafte ] Versuche jedoch verneint; keine diesbezügliche ärztliche Behandlung ).“
6
Das Landgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil es selbst über die notwendige Sachkunde verfüge, um die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu beurteilen (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Daneben fehle es im jetzigen Stand der Beweisaufnahme an Anknüpfungstatsachen, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machen könnten. Die Zeugin habe zwar eingeräumt, sich als Jugendliche nach Auseinandersetzungen mit den Eltern Verletzungen zugefügt zu haben. Die im Zeitpunkt der Untersuchung frischen Schnittwunden seien jedoch dadurch entstanden, dass sie beim Schneiden einer Melone mit dem Messer abgeglitten sei. Die Strafkammer habe sich in der Hauptverhandlung durch Inaugenscheinnahme davon überzeugt , dass die Nebenklägerin keine frischen Schnittspuren aufwies.
7
b) Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden.
8
Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH StV 1994, 634; NStZ-RR 1997, 106; NStZ 2009, 346, 347). Solche Umstände liegen hier vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind deutliche Anhaltspunkte für tatzeitnahe Selbstverletzungen und Suizidalität der Nebenklägerin vorhanden , die auf eine Persönlichkeitsstörung hindeuten können. Da die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit spezifisches Fachwissen erfordert, das nicht Allgemeingut von Richtern ist, hätte die eigene Sachkunde einer näheren Darlegung bedurft (vgl. BGHSt 12, 18, 20; BGH StV 1984, 232). Diese ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
9
Die Strafkammer hat in ihrem ablehnenden Beschluss demgegenüber angenommen, für ein Sachverständigengutachten fehle es an hinreichenden Anknüpfungstatsachen; denn die Nebenklägerin habe „plausibel begründet“, dass die frischen Schnittverletzungen beim Schneiden einer Melone entstanden seien. Diese Wertung lässt die Befunde des rechtsmedizinischen Sachverständigen und die Wahrnehmungen der Zeugin E. außer Acht. Namentlich steht die Erklärung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung in deutlichem Widerspruch zum Vermerk der Zeugin E. , dessen Inhalt es überdies nahe legt, dass er – auch – auf Angaben der Nebenklägerin beruht.
10
Die Ablehnung des Beweisantrags hält danach rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie führt auf die Revisionsrüge zur Aufhebung des Urteils, da dieses auf dem Rechtsfehler beruhen kann.
11
3. Der Senat weist darauf hin, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts auch sachlichrechtlich erheblichen Bedenken begegnet. So stehen die der Einlassung des Angeklagten widerstreitenden Angaben der Nebenklägerin zum Stand ihrer Beziehung zum Angeklagten zur Tatzeit in einem nicht plausibel erklärten Spannungsverhältnis zu festgestellten Bekundungen der Nebenklägerin gegenüber der Zeugin K. (UA S. 30) und zum Inhalt mehrerer SMS (UA S. 9/10). Insbesondere ist die im Rahmen der Aussageanalyse des Landgerichts angenommene Aussagekonstanz kaum vereinbar mit festgestellten, das Kerngeschehen betreffenden Divergenzen zu Verletzungen und Sexualpraktiken in Angaben der Nebenklägerin bei der Anzeige, gegenüber dem rechtsmedizinischen Sachverständigen, bei der späteren polizeilichen Vernehmung und der Aussage in der Hauptverhandlung. In diesem Zusammenhang wären auch die in einer Verfahrensrüge thematisierten Angaben der Nebenklägerin über tatbezogene Beobachtungen ihrer Kinder und deren mangelnde Bestätigung im Rahmen der Zeugenvernehmung der Tochter in der Hauptverhandlung abzuhandeln gewesen. Dem wird das neue Tatgericht Rechnung zu tragen haben. In einem Fall wie dem vorliegenden bedarf es zur Beurteilung der Aussagekonstanz einer zusammenhängenden Darstellung und erschöpfenden Würdigung des Aussageverhaltens der Nebenklägerin. Auch für die Entstehung ihrer jeweiligen Aussagen bedarf es eingehenderer Feststellungen.
Basdorf Raum Brause Schaal König
5 StR 174/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 2. Dezember 2011 mit den Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von denen es sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der 65 Jahre alte Angeklagte die 58-jährige Nebenklägerin Ende Dezember 2007 vaginal und im März 2008 anal (Taten 1 und 2). Über das angeklagte Geschehen hinaus hat die Strafkammer eine weitere im Mai 2006 begangene vaginale Vergewaltigung festgestellt, die die Nebenklägerin erstmals in der Hauptverhandlung bekundet hat. Nach den Vergewaltigungen wohnte die Nebenklägerin weiterhin mit dem Angeklagten zusammen, wobei es jedenfalls vor Tat 2 gelegentlich auch noch zu einvernehmlichem Geschlechtsver- kehr kam. Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattete sie nach einer Körperverletzungshandlung vom 26. April 2008, bei der der Angeklagte sie am Hals gepackt und gegen ein Treppengeländer gedrückt hatte (Tat 3). Die Strafanzeige vom 26. April 2008 beschränkte sich auf die Körperverletzungshandlung. Auf Nachfrage der Polizeibeamtin nach sexuellen Übergriffen sagte die Nebenklägerin, dass dies vor zwei oder drei Jahren der Fall gewesen sei. Näheres wolle sie im Moment nicht sagen. Ähnlich verlief eine Vernehmung im Mai 2008. Details über die sexuellen Gewalthandlungen berichtete sie in einer Vernehmung im August 2008. Gegenstand eines von ihr angestrengten zivilrechtlichen Gewaltschutzverfahrens war nur die Körperverletzung vom 26. April 2008.
3
2. Die Revision dringt mit einer Verfahrensrüge durch.
4
a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
5
Der Verteidiger hatte die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis der Behauptung beantragt, dass die Nebenklägerin, auf deren Aussage die Feststellungen beruhen, an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leide, die ihre Zeugentüchtigkeit in Frage stelle. Zur Begründung führte er eine Reihe von Auffälligkeiten im Verhalten der Nebenklägerin auf.
6
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die unter Be- weis gestellte Tatsache „für die Entscheidungsfindung unerheblich“ sei. Per- sonen mit paranoider Persönlichkeitsstörung seien in ihrer Fähigkeit nicht eingeschränkt, reale Erlebnisse wahrzunehmen und deren äußeres Erscheinungsbild wiederzugeben. Nach ICD-10 gehörten Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen, Wahnerleben oder eine Neigung zur bewussten Erfindung fiktiver Handlungsabläufe nicht zur Symptomatik. Auch eine erhöhte Sugges- tibilität gehe damit nicht einher. Es würden nur „reelle Erlebnisse“ dahinge- hend interpretiert, dass neutrale oder freundliche Handlungen der betroffenen Person als feindselige Akte erschienen. Die Nebenklägerin habe das äußere Erscheinungsbild der Vorfälle jedoch konstant und detailliert in einer Art geschildert, die ausschließe, dass es sich dabei um neutrale oder freundliche Handlungen gehandelt haben könnte, die von ihr nur fehlinterpretiert würden. Selbst bei Vorliegen einer paranoiden Persönlichkeitsstörung bestünden deshalb keine Anhaltspunkte für deren Auswirkung auf die Aussagetüchtigkeit , weswegen die Strafkammer die Glaubwürdigkeit in eigener Kompetenz bewerten könne.
7
b) Mit dem Generalbundesanwalt geht der Senat trotz Nichtvorlage einiger im Beweisantrag benannter Schriftstücke von der Zulässigkeit der Verfahrensrüge im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO aus. Denn das Urteil befasst sich mit den maßgebenden auch vom Verteidiger benannten Anknüpfungstatsachen für das Vorliegen eines psychischen Defektzustandes, womit dem Senat die Sachprüfung der Verfahrensbeanstandung eröffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385 mwN).
8
c) Die Rüge hat in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden.
9
aa) Hat die Strafkammer den Beweisantrag, wofür der Wortlaut des Ablehnungsbeschlusses spricht, wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit nach § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Variante StPO abgelehnt, so hält dies rechtlicher Nachprüfung schon deswegen nicht stand, weil sie das Beweisergebnis rechtsfehlerhaft vorweggenommen hat. Denn der Verteidiger hatte auch unter Beweis gestellt, dass im Fall einer paranoiden Persönlichkeitsstörung die Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin beeinträchtigt war.
10
bb) Nichts anderes ergibt sich, wenn man – dem Generalbundesanwalt folgend – eine nur missverständlich formulierte Zurückweisung des Beweisbegehrens unter Inanspruchnahme eigener Sachkunde annimmt (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor. Die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschluss vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232). Eine solche ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Strafkammer unter Heranziehung der im ICD-10 für die paranoide Persönlichkeitsstörung aufgeführten Symptome einen Erfahrungssatz zu generellen Wechselwirkungen der Störung mit der Aussagetüchtigkeit her, der wissenschaftlicher Absicherung entbehrt (vgl. etwa zu möglichen Übergängen der Störung Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 180).
11
Die Ablehnung des Beweisantrags führt auf die Revisionsrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils, weil dieses insgesamt auf dem Rechtsfehler beruhen kann.
12
3. Der Senat weist darauf hin, dass die im angefochtenen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung auch sachlichrechtlich durchgreifenden Bedenken begegnet.
13
a) Namentlich befasst sich die Strafkammer unzureichend mit der Aussageentstehung und dem Aussageverhalten der Nebenklägerin. Die Nebenklägerin hat Sexualstraftaten des Angeklagten überhaupt nur auf Initiative der vernehmenden Beamtinnen offenbart und im Detail erst zu einem sehr späten Zeitpunkt geschildert. Das Urteil führt dies – ohne erkennbaren Beleg in deren Aussage – darauf zurück, dass die Nebenklägerin sich generell schäme, sexuelle Dinge zu besprechen (UA S. 19, 25). Abgesehen davon, dass es wenig lebensnah erscheint, einer 58-jährigen Gastwirtin, deren Jugendzeit in die Jahre ab 1968 fällt, höhergradige Scham zuzuweisen als „dies nach heutigen Maßstäben die Regel wäre“ (UA S. 19), ist die Beweis- würdigung in diesem Punkt durchgreifend lückenhaft und widersprüchlich. So erklärt etwaige Scham der Nebenklägerin nicht, warum sie bei der Strafanzeige sexuelle Übergriffe als zwei oder drei Jahre zurückliegend bezeichnet hat, obwohl die abgeurteilten Taten nach ihren späteren Angaben erst einen Monat bzw. vier Monate vor der Strafanzeige begangen worden sind. Ferner legt das Urteil wohl die Aussage der Nebenklägerin ihren Feststellungen zugrunde , sie habe nach Tat 2 mit dem Zeugen W. einen (nicht zu den Akten gelangten) Brief an die Staatsanwaltschaft verfasst, in dem sie die sexuellen Übergriffe zur Anzeige gebracht habe (UA S. 23). Das würde bedeuten , dass sie dem Zeugen die Taten trotz ihrer Scham mitgeteilt hat. Hingegen bezeichnet die Strafkammer den Zeugen, nach dessen Aussage ihm die Nebenklägerin die drei Taten jeweils zeitnah geschildert hat, unter anderem deshalb für nicht glaubhaft, weil es schwer nachvollziehbar sei, „wieso ausgerechnet der Zeuge W. die einzige Person sein sollte, gegenüber welcher die Nebenklägerin sich öffnet, nachdem sie ihrem eigenen Sohn die sexuellen Übergriffe monatelang verschwiegen“ habe (UA S. 31). Beides ist nicht miteinander vereinbar und erscheint geeignet, dem vom Landgericht unterstellten zentralen Motiv anfänglichen Schweigens der Nebenklägerin die Grundlage zu entziehen und ihre Aussage insgesamt in Frage zu stellen.
14
b) Das angefochtene Urteil zieht ferner den Umstand indiziell für eine Täterschaft des Angeklagten heran, dass er mit der Nebenklägerin einen Vergleich geschlossen und auf das vereinbarte Schmerzensgeld von 6.000 € bereits 1.000 € geleistet hat. Dem stehe nicht entgegen, dass beides vor dem Hintergrund einer angestrebten Verständigung und einer in diesem Rahmen in Aussicht gestellten Bewährungsstrafe für den Fall eines TäterOpfer -Ausgleichs gestanden habe und der Angeklagte von seinem Verteidi- ger gewarnt worden sei, dass die Strafkammer nach dessen Erfahrungen in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen unter Verletzung des Zweifelssatzes gegen den Angeklagten entscheide und langjährige Haftstrafen verhänge. Wäre Letzteres Grund für ein falsches Schuldeingeständnis gewesen, erschiene es konsequent unverständlich, warum der Angeklagte nach dem Scheitern des Täter-Opfer-Ausgleichs zur Vermeidung einer hohen Haftstrafe nicht gleichwohl ein Geständnis und eine persönliche Entschuldigung ausgesprochen habe. Deswegen sei plausibel, dass er sich durchgehend seiner Schuld bewusst gewesen sei, selbst wenn er gegenüber dem Verteidiger seine Unschuld beteuert habe.
15
Der Senat kann offenlassen, ob – nach dem zu klärenden Verlauf der zwischen den Verfahrensbeteiligten unter Einbeziehung der Strafkammer geführten Gespräche – der indiziellen Verwertung des Vergleichsabschlusses und der Zahlungen der Rechtsgedanke des in § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO normierten Verwertungsverbots entgegenstehen könnte. Jedenfalls war ausweislich der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren mit Scheitern des Täter-Opfer-Ausgleichs auch die Grundlage für eine Bewährungsstrafe entfallen. Die Abgabe eines „Scheingeständnisses“ hätte demgemäß aus Sicht des Angeklagten unweigerlich zu einer Vollzugsstrafe geführt. Das macht sein Verhalten auch im Fall fehlender Schuld erklärbar. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie dieses sich aufdrängende Motiv berücksichtigt hätte.
16
4. Auch der Strafausspruch hätte keinen Bestand haben können. Nicht nachvollziehbar ist namentlich die Begründung, mit der die Strafkammer das Vorliegen von „Beziehungstaten“ im Rahmen der Erörterung der Regelwir- kung nach § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB ablehnt. Nach den von ihr zugrunde gelegten Bekundungen der Nebenklägerin war die Beziehung schon länger auch dadurch geprägt, dass diese häufig sexuellen Handlungen des Ange- klagten nach anfänglicher Ablehnung „über sich ergehen ließ“. Dies war so- gar noch nach der vom Landgericht angenommen ersten Vergewaltigung sowie nach Tat 1 der Fall. Selbst nach Tat 1 wohnten der Angeklagte und die Nebenklägerin – wenngleich bei häufiger Abwesenheit des Angeklagten – weiter zusammen. Dem durfte bei der Strafrahmenwahl nicht jegliche Bedeutung abgesprochen werden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 4 StR 389/03, StV 2004, 479 mwN). Hinzu kommen weitere im Urteil angesprochene gewichtige Umstände, die die Taten in einem milderen Licht erscheinen lassen konnten. Dem entspricht, dass am ersten Hauptverhandlungstag unter den Verfahrensbeteiligten – für den Fall eines Geständnisses und eines Täter-Opfer-Ausgleichs – gar eine Bewährungsstrafe im Gespräch war. Die Nichtanwendung milderer Strafrahmen und die Verhängung hoher Einzelstrafen sowie einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten ist vor diesem Hintergrund selbst dann nicht erklärlich , wenn man die strafmildernde Wirkung der genannten Gesichtspunkte einbezieht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Juni 2004 – 5 StR 579/03, StV 2004, 470, 471 mwN).
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.