Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2014 - 1 StR 605/13

bei uns veröffentlicht am12.03.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 6 0 5 / 1 3
vom
12. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2014 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 14. Februar 2013 wird mit der Maßgabe verworfen , dass der Angeklagte wegen Beihilfe zu zwölf Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und zu zwölf Fällen der Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wird.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in jeweils zwölf Fällen – also wegen 24 rechtlich selbständiger Taten – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Seine Revision ist auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie bleibt im Kern erfolglos. Allerdings hat die Strafkammer zu Unrecht 24 rechtlich selbständige Handlungen angenommen. Der Senat ändert den Schuldspruch dahin ab, dass das ohne den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler festgestellte Geschehen sich als nur eine Tat im Rechtssinne darstellt. Die aus den verhängten 24 Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe bleibt als Einzelstrafe bestehen.

I.

3
Folgendes ist festgestellt:
4
Die vier Mitangeklagten, über deren Revisionen der Senat gesondert befunden hat, erbrachten im Rahmen von Bauunternehmen, die sie gegründet hatten, gewerbliche Bauleistungen in Millionenhöhe. Zur Steigerung der „Wettbewerbsfähigkeit“ wurden für die – tatsächlichin bar ausgezahlten, unter dem Mindestlohn für das Baugewerbe liegenden – Löhne der Bauarbeiter nur in einem geringen Umfang öffentliche Abgaben bezahlt. Die Baufirmen sollten jedoch den Anschein legalen Verhaltens wahren. Da die erbrachten und in Rechnung gestellten Bauleistungen einerseits und die den zuständigen öffentlichen Stellen gemeldeten Lohnzahlungen andererseits nicht vereinbar gewesen wä- ren, wurden für die jeweiligen Einnahmen „Abdeckrechnungen“ beschafft, durch die der Eindruck erweckt wurde, die Einnahmen der Firmen seien mit Hilfe von – von ihnen vergüteten – Fremdleistungen erbracht worden. Den genannten Mitangeklagten war klar, dass die jeweiligen Firmen nach längstens anderthalb bis zwei Jahren ihrer Tätigkeit mit behördlichen Kontrollen rechnen mussten. Daher sollte die jeweilige Firma regelmäßig nur für etwa einen Zeitraum von einem halben Jahr bis anderthalb Jahre „aktiv“ am Markt bleiben und jedenfalls dann nicht mehr, wenn der Eindruck entstand, die Behörden könnten Verdacht geschöpft haben. Dann wurde eine neue Firma gegründet, die gegebenenfalls auch nicht abgeschlossene Aufträge zu Ende führte. Die Verantwortung für die genannten Firmen sollte verschleiert werden. Daher wurden Personen, die über falsche Pässe verfügten, dazu veranlasst, unter falschem Namen als Gesellschafter und Geschäftsführer aufzutreten. Dies war erforderlich bei Gründung der Gesellschaft, bei Eintragungen in öffentliche Register (z.B. Handelsregister, Gewerberegister, Handwerkerrolle) aber auch bei der Errichtung von Konten, bei denen die Banken die Identität des Berechtigten prüften oder dann, wenn Auftraggeber auf Kontakt mit dem jeweiligen Geschäftsführer bestanden oder dessen Ausweis verlangten, um sich eine Kopie hiervon zu ziehen.
5
Zu den Personen, die für die Mitangeklagten in diesem Sinne tätig wurden , zählt auch der Angeklagte. Er unterstützte sie in der dargelegten Weise durch vielfältige, teilweise näher beschriebene einzelne Handlungen, etwa im Zusammenhang mit der zeitnahen Abhebung von Eingängen für Bauleistungen von auf seinen Namen eingerichteten Konten, indem er im Rahmen der „Fa. R. Ltd.“ als „T. R. “ auftrat. Diese Firma erzielte in den Mona- ten November 2008 bis Oktober 2009 im Einzelnen festgestellte Umsätze, ohne dass sich die daraus ergebenden Lohnanteile ordnungsgemäß deklariert worden wären.
6
Demgemäß wurden die Haupttäter für jeden Monat wegen Hinterziehung von Lohnsteuer und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt. Der Angeklagte wurde dementsprechend wegen 24 Fällen der Beihilfe verurteilt.

II.


7
Keine der Verfahrensrügen greift durch.
8
1. Verfahrensrüge I
9
Das Vorbringen, das Gericht habe keine Feststellungen zur Eröffnung des Hauptverfahrens getroffen und damit die gebotene Prüfung nach Prozess- hindernissen unterlassen, geht im Ansatz fehl. Die dem Senat von Amts wegen obliegende Prüfung hat keine Prozesshindernisse ergeben. Anhaltspunkte für ein möglicherweise gegenteiliges Ergebnis sind auch dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen.
10
2. Verfahrensrüge II
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a) Die Hauptverhandlung war am 31. Januar 2013 nach 59 Verhandlungstagen beendet. Ohne dass sie nochmals eröffnet worden wäre, wurde das Urteil am 14. Februar 2013 verkündet. Hierauf gestützt, macht die Revision zutreffend geltend, dass die Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO überschritten worden sei.
12
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf einem solchen Mangel beruht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07 mwN), maßgeblich sind aber – wiebei allen sog. relativen Revisionsgründen – unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, „dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinne- rung sind“ (BGH, aaO).Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO befunden wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 5 StR 349/06 mwN) oder nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2007 – 1 StR 58/07 und vom 30. November 2008 – 4 StR 452/06; Urteil vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07). Ob dies der Fall war, kann allein anhand der schriftlichen Urteilsgründe regelmäßig nicht zuverlässig überprüft werden (BGH, Urteil vom 30. Mai 2007 – 2 StR 22/07).
13
Dementsprechend zieht der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang regelmäßig dienstliche Äußerungen bei (vgl. sämtliche genannte Entscheidungen ).
14
c) Hier hat der Vorsitzende folgende dienstliche Erklärung – an der zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht – abgegeben:
15
„Es war zunächst vorgesehen, das Urteil bereits am 31.01.2013 zu ver- künden. Hiervon wurde abgesehen, da Rechtsanwalt L. für diesen Fall die Stellung eines Befangenheitsantrags in Aussicht stellte. Rechtsanwalt L. erklärte, er halte es nicht für angezeigt – unmittelbar im Anschluss an die Schlussvorträge der Verteidigung und nach einer relativ kurzen Beratungszeit – das Urteil zu verkünden.
16
Daraufhin wurde von mir der 07.02.2013 als nächster Verhandlungstermin benannt.
17
Verschiedene Verteidiger erklärten, an diesem Tag verhindert zu sein. Allerdings vermag ich aus der Erinnerung nicht mehr mitzuteilen, welche Verteidiger dies waren.
18
Es wurde dann von Seiten der Verteidiger (möglicherweise die Herren Rechtsanwälte C. und D. ) vorgeschlagen, den 07.02.2013 als Verhandlungstag entfallen zu lassen und den 14.02.2013 als nächsten Verhandlungstag zu bestimmen.
19
Hierauf habe ich mich leider eingelassen und mir ist dann der Fehler unterlaufen am 14.02.2013 nicht nochmals in die Beweisaufnahme einzutreten.
20
Das am 14.02.2013 verkündete Urteil wurde nach dem Ende der Sitzung vom 31.01.2013 beraten. Im Rahmen dieser Beratung wurde der Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche beraten. Des weiteren wurden die Strafen beraten. Insoweit wurde ein vorläufiges Ergebnis gefunden. Hierbei ist anzumerken , dass während der gesamten Hauptverhandlung immer wieder der Stand des Verfahrens sowie die möglichen Rechtsfolgen erörtert und beraten wurden. Dies war u.a. aufgrund der zahlreichen Beweisanträge erforderlich. Im Rahmen der Beratung am 31.01.2013 konnte immer wieder auf die bereits gefundenen Zwischenergebnisse Bezug genommen werden.
21
Die abschließende Beratung erfolgte dann am 14.02.2013 in der Zeit ab ca. 11.15 Uhr bis ca. 13.00 Uhr. Im Rahmen dieser Beratung wurden die zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert. Bereits der Umfang des Verfahrens sowie der Umfang der getroffenen Feststellungen zeigen, dass in dieser kurzen Zeit eine umfassende Beratung nicht stattgefunden haben kann.“
22
d) Dem entnimmt der Senat:
23
Auf der Grundlage zahlreicher vorangegangener Zwischenberatungen hat die Strafkammer das Urteil unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung noch am 31. Januar 2013 beraten und zu allen für ein Urteil maßgeblichen Gesichtspunkten („Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche“; „die Strafen“) Ergebnisse gefunden. Der Umstand, dass unmittelbar vor der Urteilsverkün- dung die „zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert“ wurden, stellt nicht in Frage, dass hier die Entscheidung rechtzeitig und unter dem noch frischen Eindruck der soeben beendeten Hauptverhandlung getroffen wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht. Umstände des Einzelfalls, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich.

24
3. Verfahrensrüge III
25
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht die Frage, ob vorhandene Unterlagen als eine ausreichende Grundlage für die Einholung eines Sachverständigengutachtens geeignet sind, auch aufgrund eigener Sachkunde beantworten kann. Die Frage, ob aufgrund von Zahlen, die nur einen geringen Individualisierungsgrad aufweisen, beurteilt werden kann, ob diese von derselben Person geschrieben wurden, von der auch eine Unterschrift stammt, ist sehr einfach gelagert und von besonderen Umständen des Einzelfalles unabhängig. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Strafkammer diese Frage aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat, nachdem die Mitglieder der Strafkam- mer „in ihrer langjährigen beruflichen Tätigkeit bereits eine Vielzahl von graphologischen Gutachten eingeholt haben“.
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4. Verfahrensrüge IV
27
Die Revision rügt die abgelehnte „Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens“.
28
Dem liegt Folgendes zugrunde:
29
Ein Auftraggeber der Firma R. hatte ein Foto vorgelegt, auf dem vermerkt war, es sei der „GF“ (gemeint: Geschäftsführer) der Firma R. abgebildet, der an einem bestimmten Tag in den Räumlichkeiten des Auftraggebers gewesen sei.
30
Die Verteidigung hatte beantragt, ein Gutachten zu erheben, welches unter anderem beweisen solle, dass das Foto nicht in den Räumlichkeiten der Firma des Auftraggebers erstellt und nicht an dem angegebenen Tag gefertigt worden sei.
31
Die Strafkammer hat den Antrag unter anderem deshalb abgelehnt, weil ein Sachverständiger ohne weitere Unterlagen das exakte Datum der Herstellung des Fotos nicht feststellen könne. Die übrigen Themen des Beweisantrags könne es auch ohne sachverständigen Rat beurteilen.
32
Die Auffassung der Strafkammer, für das Gutachten fehlten hinsichtlich des Datums seiner Erstellung die erforderlichen Grundlagen, ist nicht zu beanstanden.
33
Die Auffassung der Revision, dies könne die Strafkammer ohne sachverständigen Rat nicht beurteilen, verdeutlicht keine Rechtsfehler. Insoweit gilt Vergleichbares wie hinsichtlich des graphologischen Gutachtens (s. unter II.3). Soweit die Revisionsbegründung darauf hinweist, der Sachverständige hätte anhand eines Abgleichs der Geschäftsräume einer Firma mit der Fotografie festgestellt, dass das Foto nicht in diesen Räumlichkeiten gefertigt worden ist, ist nicht ersichtlich, warum das Landgericht sich insoweit sachverständiger Hilfe hätte bedienen müssen. Darauf, dass das Revisionsvorbringen ergänzend auf eine Rüge „XY“ verweist, ohne dass anhand der Revisionsbegründung erkenn- bar ist, was damit gemeint sein könnte, kommt es daher nicht einmal mehr an.

34
5. Verfahrensrüge V
35
Die Revision wendet sich gegen die Zurückweisung eines Hilfsbeweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Zusammenhang mit den Pässen des Angeklagten. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer diesen Antrag im Ergebnis auch wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen. Zugrunde liegt, dass die Strafkammer im Laufe der sich über etwa anderthalb Jahre hinziehenden Hauptverhandlung eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen gesetzt hatte. Dies ist grundsätzlich zulässig, auch kann gegebenenfalls ein Hilfsbeweisantrag in den Urteilsgründen wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen werden (vgl. grundlegend BGH, Beschluss vom 23. September 2008 – 1 StR 484/08). Ist in der genannten Fristsetzung dargelegt, dass bei Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert zu erklären hat, kann das Gericht dann, wenn dies unterblieben ist und auch sonst ein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung nicht erkennbar ist (und die Aufklärungspflicht nicht zur Beweiserhebung drängt), grundsätzlich davon ausgehen, dass ein solcher Antrag allein zum Zwecke der Verfahrensverzögerung gestellt ist (BGH, aaO). Da die Strafkammer zur Annahme von Verschleppungsabsicht ausdrücklich auf die genannte Fristsetzung Bezug nimmt, und in einer solchen Entscheidung die Annahme von Verschleppungsabsicht bei Antragstellung nach Fristablauf in ihren Grundzügen darzulegen ist, wäre die genannte Entscheidung von der Revision mitzuteilen gewesen. Dies ist nicht geschehen. Gründe die dafür sprächen, dass den in Rede stehenden Anträgen im Blick auf die Aufklärungspflicht nachzugehen gewesen wäre, sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
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6. Verfahrensrüge VI
37
Der Umfang einer Wahrunterstellung kann nicht über das hinausgehen, was äußerstenfalls anhand des Beweismittels festgestellt werden kann. Ist ein Konto auf einen bestimmten Namen eingerichtet, können die dieses Konto betreffenden Auszüge nur die Geldflüsse belegen, die über dieses Konto gelaufen sind. Die Wahrunterstellung, „dass von den Konten der Firma R. keine Geldüberweisungen auf Konten, die auf den Namen des Angeklagten A. lauten, getätigt wurden“, steht nicht im Widerspruch zu den Urteilsfeststellun- gen.
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7. Verfahrensrüge VII
39
Gründe, wonach die Strafkammer sich - ausnahmsweise - zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen sachverständiger Hilfe hätte bedienen müssen, sind auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens nicht zu erkennen.
40
8. Verfahrensrügen VIII und XIX
41
Eine weitere Rüge bezieht sich darauf, dass die Strafkammer nicht, wie von der Verteidigung im Rahmen eines Hilfsbeweisantrages beantragt, ein biometrisches Gutachten darüber eingeholt hat, dass der Angeklagte nicht mit der Person auf dem oben genannten Foto (Verfahrensrüge IV) identisch sei. Auch insoweit äußert sich die Revision nicht dazu, dass dieser Antrag auch wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen wurde. Es ist auch nicht erkennbar , warum die Strafkammer nicht in der Lage sein sollte, zu beurteilen, ob die auf einen von ihr als ergiebig bewerteten Foto abgebildete Person mit einer Person identisch ist, die sie über etwa 60 Verhandlungstage persönlich in der Hauptverhandlung gesehen hat. Der Umstand, dass, wie in einer weiteren Rüge (XIX) geltend gemacht wird, ein von der Strafkammer verlesenes Gutachten des Bundeskriminalamts zu dem Ergebnis kommt, die auf verschiedenen Fotos abgebildete Person, sei „wahrscheinlich“ der Angeklagte oder die festgestellten Ähnlichkeiten würden auf ihn hindeuten, stellt dies nicht in Frage.
42
9. Verfahrensrüge IX
43
Unter Bezugnahme auf den in den Urteilsgründen festgestellten Inhalt einer beim Angeklagten sichergestellten SIM-Karte wird gerügt, die Strafkammer hätte über diese SIM-Karte näheren Beweis erheben müssen, da „nach dem Bericht über die Datensicherung im Amt vom 8. Februar 2011 lediglich die Mobilfunknummer des B. [nicht aber, wie es in den Urteilsgründen heißt, auch von zwei hier mitabgeurteilten Tätern] gespeichert war“. Dies, so führt die Revision aus, ergebe sich aus einem beigefügten Bericht. Der beigefügte Bericht über die Auswertung einer SIM-Karte ergibt jedoch weder, dass es sich um eine SIM-Karte handelt, die am 6. Oktober 2010 sichergestellt wurde , noch ergibt sich aus ihm ein sonstiger Bezug zum Angeklagten A. . Auf dieser Grundlage kann der Senat, ohne dass es auf Weiteres ankäme, nicht erkennen, dass sich die nach Auffassung der Revision für erforderlich gehaltene weitere Beweiserhebung dem Landgericht hätte aufdrängen müssen.
44
10. Verfahrensrüge X
45
Der Zeuge G. hatte gegenüber dem Zollbeamten H. erklärt, er erkenne den Angeklagten auf Lichtbildern als denjenigen wieder, der unter dem Namen R. in seiner Anwesenheit einen Mietvertrag abgeschlossen hatte.
In der Hauptverhandlung hatte der Zeuge dies abgeschwächt, jedoch angegeben , dass der Angeklagte ihm bekannt vorkomme. Die Strafkammer hatte keinen Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts der ursprünglichen Angaben des Zeugen G. gegenüber dem Zeugen H. . Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich der Strafkammer unter diesen Umständen die Annahme aufdrängen sollte, die bei Vertragsunterzeichnung ebenfalls anwesende Ehefrau des Zeugen G. werde nunmehr in Abweichung ihrer ursprünglichen Aussage gegenüber dem Zeugen H. erklären, dass es sich bei dem Angeklagten nicht um denjenigen handele, der unter dem Namen R. den Mietvertrag abgeschlossen habe. Darauf, dass das Vorbringen der Revision, die Zeugin werde die Aussage ihres Mannes bestätigen, dass es sich bei dem Angeklagten nicht um die unter dem Namen R. auftretende Person gehandelt habe, die Angaben des Zeugen G. unzutreffend wiedergibt, kommt es daher nicht mehr an.
46
11. Verfahrensrüge XI
47
Die Revision macht geltend, die Strafkammer hätte einen näher bezeichneten Bankangestellten zum Beweis der Tatsache vernehmen müssen, dass der Angeklagte nicht derjenige war, der unter dem Namen T. R. ein Konto eröffnete und später dort Barabhebungen vorgenommen hat. Dies, so die Revision, hätte sich aufgedrängt, weil nach dem Akteninhalt der Bankangestellte mit dem angeblichen R. in diesen Angelegenheiten persönlichen Kontakt gehabt habe. Die Revision verkennt, dass die Aufklärungspflicht nicht schon dann verletzt ist, wenn zusätzliche Beweiserhebungen möglich gewesen wären, sondern erst dann, wenn sich dem Gericht die Annahme aufdrängen muss, dass die zusätzlichen Beweiserhebungen das bisherige Beweisergebnis in Frage stellen könnten. Allein die ohne weitere Begrün- dung aufgestellte Behauptung, die Beweiserhebung hätte ein derartiges Ergebnis erbracht, kann den erforderlichen Vortrag dazu, warum sich die Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, nicht ersetzen.
48
12. Verfahrensrüge XII
49
Die Revision meint, Feststellungen der Strafkammer zum Inhalt einer zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Telefonüberwachung (der Angeklagte habe auf überwiegend serbokroatisch mit anderen Angeklagten telefoniert) könnten nicht zutreffen, dementsprechend könnten sie nicht auf dem Ergebnis der Hauptverhandlung beruhen. Über das Ergebnis eines Augenscheins - hierunter fällt auch das Abhören eines Tonbands (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11 mwN) - hat jedoch allein der Tatrichter zu befinden. Es unterliegt auch bei entsprechender Verfahrensrüge nicht der Überprüfung durch das Revisionsgericht (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78).
50
13. Verfahrensrüge XIII
51
Die Rüge bezüglich der entgegen § 250 StPO erfolgten Verlesung einer Urkunde anstelle der Vernehmung ihres Verfassers – sie betrifft eine Feststellung zu den Taten, zu denen der Angeklagte Beihilfe geleistet hat – versagt, weil dieselbe Feststellung auch auf Zeugenaussagen gestützt ist. Unter diesen Umständen hätte die Revision vortragen müssen, aus welchem Grund eine Vernehmung des von der Revision sowohl als Herr M. als auchHerr Ma. bezeichneten Zeugen die bisherigen Erkenntnisse in Frage gestellt hätte.

52
14. Verfahrensrüge XIV
53
Die Revision rügt, dass in der Hauptverhandlung aufgrund eines Beschlusses der Strafkammer Blatt 53 der Anklageschrift verlesen worden sei, wobei es sich um einen Teil des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen handelt. Zum prozessualen Hintergrund dieses Beschlusses äußert sich die Revision nicht, ebensowenig die (im Übrigen weitgehend sachgerechte) Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft. Die Revision macht geltend, wegen der Verlesung sei nicht auszuschließen, dass die Schöffen ihre Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft haben.
54
a) Die Möglichkeit eines Rechtsfehlers unter dem genannten Gesichtspunkt ist im Blick auf die Kenntnisnahme des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen durch die ehrenamtlichen Richter vor allem im Zusammenhang mit der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt erörtert worden (vgl. nur BGH, Urteil vom 2. Dezember 1986 – 1 StR 433/86; Kellnhofer in Radtke/Hohmann, StPO, § 243 Rn. 54). Ob die hierbei maßgeblichen Gesichtspunkte ohne Weiteres auf eine Fallgestaltung übertragbar sind, in der die Verlesung nicht im Zusammenhang mit der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt und damit noch vor der Beweisaufnahme, sondern – wie hier – als Teil der Beweisaufnahme erfolgt ist, versteht sich nicht von selbst. Die Gefahr einer subjektiven Vermischung von Beweisaufnahme mit sonstigem Verfahrensgeschehen bei den ehrenamtlichen Richtern besteht jedenfalls nicht, allenfalls die Gefahr einer unangemessenen Gewichtung eines Teils der Beweisaufnahme durch die ehrenamtlichen Richter.
55
b) Letztlich kann dies aber offen bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden "durch ein einmaliges Verlesen ... auch Laienrichter regelmäßig nicht so stark beeindruckt, dass sie das wirkliche Ergebnis der Hauptverhandlung nicht mehr unbefangen in sich aufnehmen können" (BGH, Urteil vom 27. August 1968 - 1 StR 381/68; ebenso BGH, Urteil vom 2. Dezember 1986 – 1 StR 433/86). Dementsprechend ist maßgebend, ob sich das Verlesene nach Umfang, Inhalt und Aufbau ohne Weiteres durch bloßes Zuhören erfassen oder gar einprägen lässt; die Möglichkeit seiner überzeugungsbildenden Wirkung hängt auch von der Dauer der der Verlesung nachfolgenden Hauptverhandlung ab (BGH, aaO).
56
c) Der in Rede stehende Auszug aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen umfasst eine von insgesamt über 50 Seiten. Er verweist auf dort nicht mitgeteilte Aktenvermerke und Dokumente. Diese Verweisungen sind zwar inhaltlich sachgerecht, da das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen den Akteninhalt zusammenfasst, sie führen aber dazu, dass der in Rede stehende Auszug aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen für sich genommen nur schwer verständlich ist. Der Angeklagte ist in diesem Auszug nicht erwähnt, ebenso wenig die ihm zur Last gelegten Tatbeiträge. Nach der Verlesung fanden noch in einem Zeitraum von mehr als 15 Monaten über 50 Hauptverhandlungstage statt.
57
Ohne dass es auf Weiteres ankäme, ist die genannte überzeugungsbildende Wirkung der Verlesung hinsichtlich der Feststellungen, die der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen, daher sicher auszuschließen.

58
15. Verfahrensrüge XV
59
Die Strafkammer hat einen Antrag auf Vernehmung von Arbeitnehmern der Firma R. dazu, ob der Angeklagte deren Geschäftsführer war, als Beweisermittlungsantrag bewertet. Diese Bewertung greift die Revision nicht an, sie meint aber, die Aufklärungspflicht hätte geboten, die Arbeitnehmer als Zeugen zu hören, da sie die auf das übrige Beweisergebnis gestützte Annahme , derjenige, der als R. aufgetreten sei, sei der Angeklagte gewesen, widerlegt hätten. Sie trägt jedoch nicht vor, warum sich der Strafkammer diese Annahme hätte aufdrängen müssen. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich.
60
16. Verfahrensrüge XVI
61
Diese Ordnungsziffer ist in der Revisionsbegründung nicht enthalten.
62
17. Verfahrensrüge XVII
63
Das Vorbringen, aus einer Urkunde, wonach der Angeklagte in einem bestimmten Monat 108 Stunden gearbeitet habe, ergebe sich in Verbindung mit Überlegungen zu Routenplanern und mit weiteren Aussagen von Zeugen, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort im näheren Umkreis seines Aufenthaltsbereichs denknotwenig nicht gewesen sein könne, geht offenbar von der Auffassung aus, das Revisionsgericht nehme eine eigene Beweiswürdigung vor. Dies geht fehl, ohne dass dies näherer Erläuterung bedürfte.

64
18. Verfahrensrüge XVIII
65
Die Strafkammer führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass „Unternehmer , die sich … normtreu verhalten, nach Kenntnis der Mitglieder der Kammer eine Stundenvergütung zwischen € 30,- und € 50,-" berechnen. Die Revision macht geltend, es sei nicht ersichtlich, worauf diese Erkenntnisse beruhten , jedenfalls hätten sie eingeführt werden müssen, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es ist fraglich, ob es sich bei den Feststellungen zu typischem Verhalten normtreuer Unternehmer um mehr als den Beleg besonderer Sachkunde – zu einer typischerweise bei einer Wirtschaftsstrafkammer anfallenden Frage – handelt. Derartiges Spezialwissen oder seine Quellen brauchen in der Hauptverhandlung nicht erörtert zu werden. Wenn das Gericht sein Spezialwissen für seine Urteilsfindung nutzt, so handelt es sich dabei nicht um eine Beweiserhebung, zu der es die Verfahrensbeteiligten im Einzelnen anhören müsste (vgl. näher Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 69).
66
Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die genannten Erkenntnisse ein in der Hauptverhandlung zu erörternder Erfahrungssatz wären (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Februar 2012 – 1 StR 378/11 mwN), würde dies im Ergebnis den Bestand des Urteils nicht gefährden. Gegebenenfalls läge eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Bei der Überprüfung von dessen Folgen gelten nach Auffassung des Senats vergleichbare Grundsätze wie dann, wenn dem Urteil ohne vorangegangenen Hinweis ein rechtlicher Aspekt zugrunde gelegt ist, den der Angeklagte nicht erkennen konnte (Verstoß gegen § 265 StPO). Auch dann führt allein der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit hatte, Anträge zu stellen oder Erklärungen abzugeben, nicht notwendig zur Aufhebung des Urteils. Dies ist vielmehr nur dann geboten, wenn für den Fall der Erteilung eines entsprechenden Hinweises ein Prozessverhalten des Angeklagten nicht auszuschließen ist, das den Bestand des Urteils hätte in Frage stellen können. Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor, wie der Generalbundesanwalt – im Ergebnis auch zu den ebenfalls auf den Schadensumfang bezogenen Ausführungen im Schriftsatz vom 10. Juli 2013 – im Einzelnen zutreffend dargelegt hat.

III.

67
Zur Sachrüge:
68
1. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils führt zu einer Änderung des Schuldspruchs.
69
Die vom Angeklagten unterstützten Haupttäter wurden (bezogen auf die R. Ltd.) wegen jeweils zwölf Taten der Steuerhinterziehung und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt verurteilt, weil sie innerhalb des Jahres, in dem die R. Ltd. aktiv war, in jedem Monat ihre steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten verletzten. Die Unterstützungshandlungen des Angeklagten, insbesondere im Zusammenhang mit der Verschleierung der Verantwortlichkeit für die Gesellschaft, können nicht den auf den einzelnen Monat bezogenen Taten der Haupttäter zugeordnet werden. Auch bei den Geldabhebungen ist dies auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht klar möglich. Die fortlaufende Förderung der Taten stellt sich deshalb hier in einer Gesamtschau als nur eine – dauerhafte – Beihilfehandlung des Angeklagten zu den insgesamt 24 Haupttaten dar. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 – 1 StR 556/06); es ist ausgeschlossen, dass der Angeklagte, der jede Tatbeteiligung bestritten hat, sich im Falle eines Hinweises nach § 265 StPO erfolgversprechender als geschehen hätte verteidigen können.
70
2. Auch die vom Landgericht verhängte Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten (ausgehend von 18 Einzelfreiheitsstrafen zwischen neun Monaten und zwei Monaten Freiheitsstrafe und sechs Einzelgeldstrafen von je 20 Tagessätzen) kann als Einzelstrafe bestehen bleiben. Der Senat vermag auszuschließen, dass die Strafkammer bei Annahme nur einer Beihilfehandlung eine noch mildere Strafe verhängt hätte, zumal sie auch beim Angeklagten ausdrücklich bedacht hat, dass „es einen grundlegenden Tatentschluss gab, der dem gesamten Tatgeschehen vorgelagert war“. Denn die „Konkurrenzkorrektur“ bedeutet in aller Regel keine Verringerung des verwirklichten Tatun- rechts (vgl. BGH, aaO mwN).
71
Gründe, die hier eine andere Beurteilung veranlassten, oder sonstige Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Strafzumessung, ergeben sich weder aus dem Revisionsvorbringen, noch sind sie sonst ersichtlich. Ergänzend ist insoweit lediglich Folgendes zu bemerken:
72
Der Hinweis des Generalbundesanwalts auf die unterlassene Festsetzung der Tagessatzhöhe kann unter diesen Umständen ebenso auf sich beruhen wie die Ausführungen der Revision zu § 47 StGB.
73
Im Übrigen hat die Strafkammer die Dauer der Hauptverhandlung ausdrücklich zugunsten des Angeklagten strafmildernd berücksichtigt und dabei bedacht, dass er nur wegen eines geringen Teils der insgesamt zu verhandelnden Taten angeklagt war. Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Revision , das Gericht habe strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „nur hinsichtlich der Taten betreffend die R. angeklagt war“, nicht nachzuvollziehen.
74
Auch das weitere Vorbringen der Revision deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.
RiBGH Prof. Dr. Jäger ist urlaubsabwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Wahl Rothfuß Wahl Radtke Mosbacher

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2014 - 1 StR 605/13 zitiert 5 §§.

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Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Urteil, 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11

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Referenzen

(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes.

(2) Das Urteil wird durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe verkündet. Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. Bei der Entscheidung, ob die Urteilsgründe verlesen werden oder ihr wesentlicher Inhalt mündlich mitgeteilt wird, sowie im Fall der mündlichen Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe soll auf die schutzwürdigen Interessen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten Rücksicht genommen werden. Die Verlesung der Urteilsformel hat in jedem Falle der Mitteilung der Urteilsgründe voranzugehen.

(3) Das Urteil soll am Schluß der Verhandlung verkündet werden. Es muß spätestens zwei Wochen danach verkündet werden, andernfalls mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist. § 229 Absatz 3, 4 Satz 2 und Absatz 5 gilt entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die besondere Unterbrechungsfrist
von elf Tagen in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO, anders als die neue Dreiwochenfrist
in § 229 Abs. 1 StPO, nunmehr nur noch als nicht revisible Ordnungsvorschrift
anzusehen ist.
BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 5 StR 349/06
LGHamburg–

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 9. November 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit
Garantiefunktion u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2006

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. März 2006 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch für die Rüge, mit der beanstandet wird, das Urteil (vom 8. März 2006) sei unter Verstoß gegen § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO später als am elften Tag nach Schluss der Verhandlung (23. Februar 2006) verkündet worden.
2
Neben den von der Bundesanwaltschaft unter Hinweis auf BGH StV 2006, 516 geäußerten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge kann der Senat vorliegend ausnahmsweise ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Ein solcher Ausschluss ist nämlich möglich, wenn – wie hier durch die dienstliche Äußerung des Vorsitzenden , die diesbezügliche Eintragung in die Terminsrolle und die Entschädigungsfestsetzungen für die Schöffen zur Überzeugung des Senats belegt – die abschließende Urteilsberatung (am 3. März 2006) sicher innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO stattgefunden hat (vgl. RGSt 57, 422, 423; BGH StV 1982, 4, 5; 2006, 516).
3
Abgesehen davon bestehen durchgreifende Bedenken, ob nach der Neuregelung über die Höchstgrenze der regelmäßigen Unterbrechungsfrist in § 229 Abs. 1 StPO ein Verstoß gegen die nunmehr kürzere Fristbemessung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO überhaupt noch als bedeutsam erachtet werden kann. Die unterschiedliche Fristenregelung erscheint unstimmig , zumal da eine Nichtwahrung der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO durch einen kurzen Wiedereintritt in die Verhandlung vor Urteilsverkündung ohne weiteres unbedenklich zu umgehen ist. Dies legt nahe, in Fällen dieser Art auch ohne eine – freilich wünschenswerte – Korrektur durch den Gesetzgeber die besondere Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO nunmehr nur noch – anders als diejenige in § 229 Abs. 1 StPO, die selbstverständlich nicht überschritten werden darf – als Ordnungsvorschrift zu werten, auf deren Verletzung allein ein Urteil niemals im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO beruhen kann.
4
Der hier konkret mögliche Beruhensausschluss macht – neben den Zulässigkeitsbedenken – eine Entscheidung wegen dieser Verfahrensrüge ohne entsprechende tragende Begründung möglich, so dass einer Verfahrensweise nach § 349 Abs. 2 StPO nichts entgegensteht.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 58/07
vom
20. Juni 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2007 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. Juni 2006 - soweit es die Angeklagten betrifft - mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. A. wegen Betruges und Beihilfe zum Betrug in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie den Angeklagten F. A. wegen Betruges und Beihilfe zum Betrug zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit der Revision, mit der sie das Verfahren beanstanden und die Verletzung sachlichen Rechts rügen. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Verfahrensrüge Erfolg.
2
Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer die Verletzung der Urteilsverkündungsfrist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO.
3
Der Generalbundesanwalt hat folgendes ausgeführt: "Die Beweisaufnahme wurde am 8. Hauptverhandlungstag, dem 29. Mai 2006, geschlossen (Bd. VII Bl. 2865 d.A.). Am selben Tag hielten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Schlussvorträge; die Angeklagten hatten das letzte Wort (Bd. VII Bl. 2865 ff. d.A.). Der Vorsitzende verkündete zum Schluss der Sitzung folgende Verfügung: 'Die heutige Hauptverhandlung wird unterbrochen und fortgesetzt am Montag, den 12. Juni 2006, 10.30 Uhr (…)' (Bd. VII Bl. 2869 d.A.). Tatsächlich konnte die Hauptverhandlung mit der Urteilsverkündung aber erst am 19. Juni 2006 fortgesetzt werden (Bd. VII Bl. 2871 ff. d.A.), weil der beisitzende Richter dem Vermerk vom 8. Juni 2006 zufolge erkrankt war und es deshalb zu einer Terminsverlegung kam (Bd. VII Bl. 3260 d.A.)."
4
Damit hat das Landgericht gegen § 268 Abs. 3 StPO verstoßen. Demgemäß muss, sofern das Urteil nicht am Schluss der Verhandlung verkündet wird, die Verkündung des Urteils spätestens am 11. Tage danach erfolgen; andernfalls ist mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen. Die Elftagefrist begann am 29. Mai 2006 und endete bereits am Freitag, den 9. Juni 2006, also noch vor dem ursprünglich festgelegten Termin zur Urteilsverkündung. Eine Verlängerung der Frist, wie im Fall des § 229 Abs. 2 StPO, gibt es bei der Unterbrechung der Hauptverhandlung unmittelbar vor der Urteilsverkündung nicht. § 268 Abs. 3 Satz 3 StPO verweist hierzu ausdrücklich nur auf § 229 Abs. 3 StPO, nicht aber auf § 229 Abs. 2 StPO (BGH NStZ 2004, 52; NStZ 2007, 235).
5
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann nur in Ausnahmefällen ein Beruhen des Urteils auf dem Verstoß ausgeschlossen werden (BGH aaO, BGHR StPO § 268 Abs. 3 Verkündung 1 und 2). Besondere Umstände , die einen solchen Ausnahmefall begründen könnten, sind vorliegend nicht ersichtlich. Der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden und des beisitzenden Richters der Strafkammer vom 14. Mai 2007 kann hierzu entnommen werden, dass die abschließende Urteilsberatung mit den Schöffen erst am 19. Juni 2006 unmittelbar vor der Urteilsverkündung, also erheblich nach Ablauf der Frist des § 268 Abs. 3 StPO erfolgt ist.
6
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2006 entschieden, dass sich nichts anderes aus den Regelungen des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24. August 2004 (BGBl I, 2198) ergibt. Dieses Gesetz hat die Fristenregelung in § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO unberührt gelassen, so dass es bei der als zwingendes Recht ausgestalteten Fristenregelung des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO verblieben ist (NStZ 2007, 235). Dem verschließt sich der Senat nicht.
7
Auf die erhobenen Sachrügen kam es daher nicht mehr an. Die Sache ist, soweit sie die Beschwerdeführer betrifft, insgesamt neu zu verhandeln. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 484/08
vom
23. September 2008
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
________________________
1. Aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens
folgt die Befugnis, den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von
Beweisanträgen zu setzen. § 246 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.
2. Wird nach der gesetzten Frist ein Beweisantrag gestellt, kann dies ein Indiz
für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht darstellen, wenn der Antragsteller
die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar
und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244
Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt.
3. Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die
Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Die Verfahrensbeteiligten
sind darauf hinzuweisen, dass eine Ablehnung der Beweisanträge
, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht
bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.
4. Wurde der Hinweispflicht entsprochen, können Hilfsbeweisanträge auch erst
im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden.
BGH, Beschl. vom 23. September 2008 - 1 StR 484/08 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2008 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Münster vom 7. März 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt, wovon vier Monate als verbüßt gelten. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die rechtsfehlerhafte Ablehnung verschiedener Hilfsbeweisanträge wegen Prozessverschleppungsabsicht geltend gemacht wird, hat keinen Erfolg.
3
1. Die Revision trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:
4
Am 10. Hauptverhandlungstag wurde seitens des Vorsitzenden der Strafkammer angeordnet, dass „den Beteiligten … zur Stellung von weiteren Beweisanträgen eine Frist bis zum 26.09.2007 gesetzt“ wird. Auf Antrag des Verteidigers des Angeklagten wurde die Frist unmittelbar im Anschluss durch weitere Anordnung des Vorsitzenden bis zum 9. Oktober 2007 verlängert. Sodann wurde den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Am darauf folgenden Verhandlungstag beantragte der Verteidiger, die Frist für weitere Beweisanträge aufzuheben, und einen diesbezüglichen Beschluss der Strafkammer. Nach Unterbrechung der Verhandlung bestätigte die Kammer die vom Vorsitzenden angeordnete Fristsetzung. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass es „nach der neuen Rechtsprechung des BGH vor al- lem in umfangreichen Verfahren zulässig und sinnvoll ist, solche Fristen zu setzen.“ Die gesetzte Frist erscheine zudem angemessen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurden auch nach dem 9. Oktober 2007 gestellte Beweisanträge seitens des Landgerichts entgegengenommen, denen teilweise auch nachgegangen wurde. Im Rahmen seines Schlussvortrages am 27. Verhandlungstag stellte der Verteidiger dann verschiedene Hilfsbeweisanträge, die allesamt im Urteil wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt wurden.
5
2. Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 6 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 StPO sowie des Rechts auf ein faires Verfahren ist bereits unzulässig, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entspricht.
6
a) Der Beschwerdeführer muss die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau mitteilen, dass das Revisionsgericht auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Ver- fahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. statt aller Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 344 Rdn. 24 m.w.N.). Für einen erschöpfenden Vortrag sind dabei auch - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 2005, 1999, 2002) - die Verfahrenstatsachen vorzutragen, die der erhobenen Rüge entgegenstehen könnten (vgl. zuletzt Senat NStZ-RR 2007, 53, 54).
7
b) Mit der Rüge wird geltend gemacht, dass die Strafkammer die Hilfsbeweisanträge im Urteil wegen Verschleppungsabsicht abgewiesen habe, ohne zuvor darauf hingewiesen zu haben, dass Beweisanträge, die nach Ablauf der am 10. Hauptverhandlungstag gesetzten Frist gestellt werden, auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden können. Dies ist indes nach der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer, die in der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft mitgeteilt wird und der die Revision nicht entgegengetreten ist, nicht der Fall. Danach wurde vielmehr am 11. Hauptverhandlungstag nachdem der Gerichtsbeschluss verkündet worden war, der die Fristsetzung des Vorsitzenden bestätigte, mit den Verfahrensbeteiligten die Bedeutung der Fristsetzung erörtert. Seitens des Vorsitzenden wurde darauf hingewiesen , dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Fristablauf gestellt werden, und dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen eine Zurückweisung der Beweisanträge wegen Prozessverschleppung in Betracht kommt. Dieses Verfahrensgeschehen mitzuteilen, das für die Beurteilung der Verfahrensrüge bedeutsam ist, versäumt die Revision. Das mag seine Ursache darin haben, dass in der Revisionsinstanz ein anderer Verteidiger als in der Tatsacheninstanz beauftragt war. In solchen Fällen trifft den neuen Verteidiger indes eine Erkundigungspflicht (vgl. Senat NStZ 2005, 283, 284), zumal in der Revisionsbegründung ausdrücklich das Fehlen eines entsprechenden Hinweises gerügt wurde. Unter diesen Voraussetzungen gebietet auch das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes kein anderes Ergebnis (BVerfG StraFo 2005, 512).
8
c) Bei der gegebenen Sachlage wäre die Rüge zudem aber auch unbegründet. Das Landgericht hat die Hilfsbeweisanträge zu Recht wegen Prozessverschleppungsabsicht abgelehnt. Die verlangte Beweiserhebung konnte nichts Sachdienliches zugunsten des Angeklagten erbringen, was dem Antragsteller auch bewusst war. Darüber hinaus bezweckte er mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses. Durch die begehrte Beweiserhebung wäre auch eine wesentliche Verzögerung eingetreten.
9
aa) Unter umfassender Würdigung aller maßgeblichen Umstände (vgl. BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 17) hat die Strafkammer die vorstehend aufgezeigten Voraussetzungen für die Ablehnung der Hilfsbeweisanträge wegen Verschleppungsabsicht (vgl. insoweit nur BGHSt 51, 333, 336 Rdn. 15) rechtsfehlerfrei dargelegt. Ihr war dabei nicht verwehrt, das voraussichtliche Beweisergebnis vorweg zu würdigen (BGHSt 21, 118, 122).
10
Hierfür hat sie die Aussagen der bisher vernommenen Zeugen und den sonstigen Akteninhalt berücksichtigt, aus der sich für die in den abgelehnten Beweisanträgen behauptete herausragende Stellung des Zeugen im Unternehmen des Angeklagten keinerlei Anhaltspunkte ergaben. Weiter führt die Strafkammer aus, dass auch die Vernehmung anderer Zeugen, die in Erledigung früherer Beweisanträge der Verteidigung zu identischen Beweisthemen erfolgte, keine Erkenntnisse, die den Angeklagten entlasteten, erbracht hatte. Aufgrund eingehender Würdigung der dargelegten Gesichtspunkte gelangt das Landgericht sodann zu der Überzeugung, dass sich die Verteidigung bei Stellung der gegenständlichen Hilfsbeweisanträge über die Nutzlosigkeit der begehrten Beweiserhebung bewusst war. Unter Darlegung des bisherigen Prozessverlaufes und Prozessverhaltens, wobei unter anderem - neben anderweitigen Gesichtspunkten - auch auf die seitens der Kammer gesetzte Frist abgestellt wird, begründet die Strafkammer anschließend, dass seitens der Verteidigung mit den Hilfsbeweisanträgen ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt wurde.
11
Diese Erwägungen erweisen sich in tatsächlicher Hinsicht als tragfähig und rechtlich zutreffend. Namentlich war es der Strafkammer nicht verwehrt, den Umstand, dass die Hilfsbeweisanträge nach Ablauf der seitens der Strafkammer gesetzten Frist zur Stellung von Beweisanträgen gestellt worden waren , in die Abwägung mit einzubeziehen. Dieser Aspekt wurde lediglich als einer von mehreren Gesichtspunkten in die erforderliche Gesamtabwägung eingestellt. Es führte nicht die verspätete Antragstellung als solche zur Zurückweisung , was nach § 246 Abs. 1 StPO unzulässig wäre. Darauf, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge nach Fristablauf gestellt werden (vgl. insoweit auch BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37), waren die Verfahrensbeteiligten hingewiesen worden.
12
bb) Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer auch dargelegt, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer wesentlichen Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Für die Vernehmung des nicht am Gerichtsort wohnenden Zeugen hätte, da aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten eine Durchführung der Beweisaufnahme am Tag der Antragstellung nicht mehr möglich war, ein weiterer Hauptverhandlungstag anberaumt werden müssen. Hierbei konnte das Landgericht - neben anderen Gesichtspunkten - auch berücksichtigen, dass aufgrund der eingeschränkten Verhandlungsfähig- keit des Angeklagten eine - zudem auch aus anderen Gründen nicht ohne weiteres durchführbare - unmittelbare Beweisaufnahme am Tage der Antragstellung nicht möglich war. Es zog insoweit bei seiner Bewertung der Wesentlichkeit der Verzögerung lediglich eine Verfahrenstatsache heran, von der abzuweichen ohne weiteres kein Anlass bestand. Ein von der Revision in diesem Zusammenhang erkannter Zynismus ist nicht gegeben. Angesichts der Tatsache , dass seitens des Gerichts für den Tag der Antragstellung bereits im Anschluss an die Schlussvorträge die Urteilsberatung und -verkündung vorgesehen war, wäre - auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Rubrum des Urteils ergebenden Folge der bisherigen Hauptverhandlungstermine (zuletzt einmal wöchentlich) - eine Verzögerung von mehreren Tagen eingetreten. Da das Verfahren im Übrigen abschlussreif war und bereits seit Ende 2001 andauerte , war die Verzögerung, die demnach eingetreten wäre, auch wesentlich. Im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz sind, je länger ein Strafverfahren andauert, die Anforderungen an die Wesentlichkeit der Verfahrensverzögerung geringer. In solchen Fällen kann auch eine relativ geringfügige zeitliche Verzögerung wesentlich sein. Ob an der bisherigen Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, wonach der Ablehnungsgrund der Verschleppungsabsicht nur Anwendung finden kann, wenn die Erhebung des beantragten Beweises das Verfahren wesentlich verzögern würde, braucht daher vorliegend - wenngleich gute Gründe für die Aufgabe der diesbezüglichen Rechtsprechung sprechen (vgl. BGHSt 51, 333, 342 Rdn. 32 ff., BGH StV 2008, 9, 10) - nicht entschieden zu werden.
13
cc) Nachdem die Verfahrensbeteiligten im Anschluss an den Beschluss der Strafkammer, der die Frist für die Stellung von Beweisanträgen des Vorsitzenden bestätigte, darauf hingewiesen worden waren, dass nach Fristablauf gestellte Beweisanträge auch wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=BGHSt&B=22&S=124 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=NStZ&B=1986&S=372 [Link] http://rsw.beck.de/bib/bin/reference.asp?Y=300&Z=StV&B=1990&S=394 - 9 - können, war es auch zulässig, die Hilfsbeweisanträge darauf gestützt im Urteil abzulehnen. Zutreffend trägt die Revision in diesem Zusammenhang zwar vor, dass dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig nicht zulässig ist. Die insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte, die ein solches Vorgehen dem Grundsatz nach verbieten, sind vorliegend indes nicht gegeben.
14
(1) In der Regel kann ein Hilfsbeweisantrag im Urteil abgelehnt werden. Mit der hilfsweisen Antragstellung im Schlussvortrag bringt der Antragsteller zum Ausdruck, dass er auf eine Bescheidung in der Hauptverhandlung nach § 244 Abs. 6 StPO verzichtet und sich damit einverstanden zeigt, dass sein Antrag erst in den Urteilsgründen beschieden wird (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 92). Dies gilt indes nicht, wenn die Ablehnung des Beweisantrags auf Verschleppungsabsicht gestützt werden soll. Dann ist der Beweisantrag grundsätzlich wie ein unbedingt gestellter Antrag zu behandeln; er ist mit einem in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss zu bescheiden, um dem Antragsteller die Gelegenheit zu geben, den gegen ihn erhobenen Verschleppungsvorwurf zu entkräften (vgl. BGHSt 22, 124 f.; BGH NStZ 1986, 372; StV 1990, 394; BGH NStZ 1998, 207 m. Anm. Sander).
15
(2) Ist aber im Laufe des Verfahrens - wie hier - durch entsprechenden Hinweis des Gerichts klargestellt, dass es als Indiz für eine Verschleppungsabsicht gewertet werden kann, wenn Beweisanträge erst nach Ablauf einer zuvor gesetzten Frist gestellt werden, besteht kein Anlass, dem Antragsteller nochmals die Möglichkeit zur Verteidigung gegen den Verschleppungsvorwurf zu geben. Maßnahmen, mit denen er die Ablehnung des Beweisantrags unter diesem Gesichtspunkt hätte vermeiden können, wie z.B. die in der Revision aufgezeigte Ausübung des Selbstladerechts oder die Stellung anderweitiger, möglicherweise gar im Hinblick auf die Bescheidung des ersten Hilfsbeweisantrags bedingte Anträge, sind zumutbar und vom redlichen Antragsteller auch zu erwarten , wenn er aufgrund entsprechender Hinweise des Gerichts darum weiß, dass nach einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit der Ablehnung wegen Verschleppungsabsicht erwogen wird. Zudem besteht für den Antragsteller in Kenntnis der konkreten prozessualen Situation ohne weiteres die Möglichkeit, die Beweisanträge unbedingt zu stellen. Dadurch wird weder die Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt, noch das Verfahren verzögert. Zudem würden die mit der Fristsetzung zur Antragstellung verfolgten Zwecke im Wesentlichen leer laufen, wenn in diesen Konstellationen der Grundsatz Anwendung fände, dass Hilfsbeweisanträge nicht im Urteil wegen Verschleppungsabsicht zurückgewiesen werden dürfen.
16
3. Soweit mit der Revision darüber hinaus im Hinblick auf die Fristsetzung durch das Landgericht die Verletzung von § 246 Abs. 1 StPO gerügt wird, ist die Rüge unbegründet. § 246 Abs. 1 StPO verbietet nicht die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 244 Abs. 3 StPO. Verspätete Stellung eines Beweisantrags kann alleine schon für Verschleppungsabsicht sprechen (BGH NStZ 1990, 350, 351). Einer Fristsetzung, die lediglich ein Indiz für die innere Tatsache der Verschleppungsabsicht sein kann und die zudem keine Ausschlussfrist ist, steht § 246 Abs. 1 StPO nicht entgegen. Vielmehr folgt eine diesbezügliche Befugnis aus dem Recht und der Pflicht des Vorsitzenden zur Sachleitung des Verfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung.
17
a) Nach den §§ 213 ff., § 238 Abs. 1 StPO hat der Vorsitzende die Durchführung der Hauptverhandlung durch geeignete Maßnahmen vorzubereiten und deren Durchführung sicherzustellen. Dies gibt ihm - soweit der Verfahrensgang nicht durch § 243 StPO festgelegt ist - auch die Befugnis, den Gang der Beweisaufnahme, insbesondere auch die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Beweiserhebungen, zu bestimmen (vgl. Fischer in KK 6. Aufl. § 238 Rdn. 3). Daraus folgt auch die Befugnis, durch eine Fristsetzung für eventuelle Beweisanträge die weitere Gestaltung der Beweisaufnahme zu fördern, wenn die vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten gehaltene Beweiserhebung abgeschlossen ist. Eine solche Vorgehensweise wird bei Verfahren, die bereits seit längerem andauern, insbesondere solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst (§ 229 Abs. 2 StPO), regelmäßig im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz , der einen Abschluss des Verfahrens in einem angemessenen zeitlichen Rahmen gebietet (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), angezeigt sein, um eine hinreichend straffe Verhandlungsführung zu ermöglichen.
18
b) § 246 Abs. 1 StPO verbietet demgegenüber lediglich aufgrund des im Strafprozess geltenden Prinzips materieller Wahrheit eine Präklusion von Beweisvorbringen auf Grund Zeitablaufs (Fischer in KK 6. Aufl. § 246 Rdn. 1). Eine solche geht indes mit der Fristsetzung nicht einher. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, sind für eine Verschleppungsabsicht des Antragstellers lediglich signifikante Indizien gegeben, wenn dieser die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt (BGHSt 51, 333, 344 Rdn. 37).
19
c) Auch soweit § 246 Abs. 1 StPO ein Verbot enthalten sollte, den Verfahrensbeteiligten einen Zeitpunkt für die Stellung von Beweisanträgen vorzuschreiben (so - nicht tragend - BGH NStZ 1986, 371; BGH NStZ 1990, 350, 351), würde gegen dieses Verbot durch die Fristsetzung nicht verstoßen. Denn den Verfahrensbeteiligten bleibt es - sei es aus prozesstaktischen oder aus an- deren Gründen - weiter freigestellt, auch nach der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen. An der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung der Beweisanträge ändert sich nichts (BGHSt 51, 333, 345 Rdn. 38).
20
d) Macht der Vorsitzende von der Möglichkeit der Fristsetzung Gebrauch, ist die Anordnung nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO zu protokollieren. Es empfiehlt sich, den Grund der Anordnung und die Angemessenheit der Frist in gebotenem Umfang zu begründen. Hierbei sind die Verfahrensbeteiligten darauf hinzuweisen, dass das Gericht Beweisanträge, die nach Ablauf der Frist gestellt werden, nach den allgemeinen Regeln entgegen zu nehmen und zu bescheiden hat. Darüber hinaus ist darzulegen, dass im Falle der Antragstellung nach Fristablauf der Antragsteller die Gründe hierfür substantiiert darzulegen hat und das Gericht, wenn nach dessen Überzeugung kein nachvollziehbarer Anlass für die verfristete Antragstellung besteht, grundsätzlich davon ausgehen kann, dass der Antrag nichts anderes als die Verzögerung des Verfahrens bezweckt, falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl zur Beweiserhebung drängt. Demgemäß sind die Verfahrensbeteiligten auch darauf hinzuweisen, dass - ggfs. bei Hilfsbeweisanträgen auch im Urteil - eine Ablehnung der Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt wurden, wegen Verschleppungsabsicht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen möglich ist.

II.


21
Auch die Sachrüge bleibt ohne Erfolg. Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
22
Entgegen der Auffassung der Revision sind die Feststellungen des angefochtenen Urteils weder lückenhaft noch widersprüchlich. Der Angeklagte initiierte die zur Aburteilung gelangten Geschäfte nicht, um einen günstigeren Rückerwerb der Kraftfahrzeuge zu erreichen. Wie den Urteilsgründen in ihrem Zusammenhang noch hinreichend entnommen werden kann, handelte es sich bei den Geschäften um Scheingeschäfte im Sinne von § 41 Abs. 2 Satz 1 AO, um die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) vorzutäuschen, der dem Unternehmen des Angeklagten tatsächlich nicht zustand. In den weiteren Fällen wurden durch Scheingeschäfte i.S.v. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO umsatzsteuerpflichtige Inlandsgeschäfte zwischen dem Unternehmen des Angeklagten und dessen Kunden verschleiert, um so seine aus § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG folgende Zahlungsverpflichtung zu umgehen. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht als rechtsfehlerhaft.
23
Unter Berücksichtigung des im Urteil hinreichend dargelegten Verfahrensgangs hat die Strafkammer auch der eingetretenen Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung rechtsfehlerfrei Rechnung getragen. Die von der Revision in diesem Zusammenhang vermisste Berücksichtigung bei der Bemessung der Einzelstrafen findet sich im Urteil auf Seiten 97 und 100. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens ist die zur Kompensation gewährte Anrechnung in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 20/11
vom
26. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Mai 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 24. August 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner Frau zu Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt aus, es läge versuchter Totschlag vor. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.


2
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
3
Der angetrunkene Angeklagte hatte seine Frau mit (bedingtem) Tötungsvorsatz durch eine Machete schwer verletzt und meinte, er hätte sie getötet. Das sagte er auch einem Nachbarn, der dann ohne Wissen des Angeklag- ten telefonisch die Polizei informierte, die Beamte und Rettungskräfte schickte. Noch bevor sie eintrafen, rief auch der Angeklagte die Polizei an und sagte, er habe seine Frau getötet. Dies berichtigte er, als er während des Gesprächs merkte, dass sie noch lebte, und forderte, bald einen Arzt zu schicken, sonst verblute sie. Als Polizei und Rettungskräfte kamen, legte er „auf Zuruf nicht sofort alle Gegenstände aus den Händen“. Daher setzte die Polizei zur Eigensi- cherung Pfefferspray ein. Die Frau wurde gerettet.
4
2. Die Strafkammer nimmt einen Rücktritt vom Totschlagsversuch nach Korrektur des Rücktrittshorizonts an; der Angeklagte habe seine Frau nicht mit einem möglichen neuen Machetenangriff getötet, als er merkte, dass sie noch lebte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). „Selbst wenn man … (einen) ... beendeten Versuch annehmen würde“, sei er „zudem“ wegen seiner Forderung nach ei- nem Arzt zurückgetreten. Weil dieser schon allein wegen des Anrufs des Nachbarn gekommen sei, habe er objektiv nichts zur Rettung beigetragen, sich aber freiwillig und ernsthaft um die Abwendung der „auch ohne weiteren Schlag“ wei- terhin „akut drohende(n) Gefahr der Vollendung“ bemüht (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).

II.


5
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen (1.) begründen zwar keinen Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB (2.); wohl aber den (auch bejahten) Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB (3.). Im Übrigen ist das Urteil rechtsfehlerfrei (4.).
6
1. Die Feststellungen sind insgesamt rechtsfehlerfrei. Die Angriffe der Revision gegen die im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Arzt getroffenen Feststellungen versagen.
7
a) Da der Angeklagte schon gesagt hatte, er habe seine Frau getötet, wäre, so die Revision, zu erörtern gewesen, ob er auch ohne konkrete Kenntnis vom Anruf des Nachbarn für möglich hielt, dass ohnehin ein Arzt käme.
8
Warum der angetrunkene Angeklagte dies in der konkreten Lage erwogen haben sollte, ist nicht erkennbar. Nur theoretische Möglichkeiten sind nicht zu behandeln.
9
b) Die Strafkammer, die hierzu insbesondere den Nachbarn und einen Polizeibeamten vernommen hat, konnte einen Versuch des Angeklagten zur Behinderung von Polizei und Rettungskräften nicht feststellen. Dies, so die Revision , sei rechtsfehlerhaft, er habe die Tür(en) nicht geöffnet (1) und (mit Pfef- ferspray) „überwältigt“ werden müssen (2).
10
(1) Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass der Angeklagte die Tür(en) nicht geöffnet hätte. Die Revision trägt hierzu vielmehr die Abschrift des in der Hauptverhandlung abgehörten Mitschnitts vom - bei Eintreffen der Polizei noch nicht beendeten - Anruf des Angeklagten sowie einen dort angebrachten polizeilichen Vermerk vor. Urteilsfremder Vortrag kann die Sachrüge nicht begründen (BGH, Beschluss vom 17. März 1988 - 1 StR 361/87, BGHSt 35, 238, 241; Kuckein in KK 6. Aufl., § 337 Rn. 28 mwN). Im Übrigen wäre aber auch eine entsprechende Verfahrensrüge erfolglos. Über das Ergebnis eines Augenscheins - hierunter fällt auch das Abhören eines Tonbands (BGH, Beschluss vom 3. März 1977 - 2 StR 390/76, BGHSt 27, 135; Pfeiffer/Hannich in KK 6. Aufl., Einl. Rn. 113 mwN) - hat allein der Tatrichter zu befinden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18). Ebenso wenig kann die Sach- oder eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich von Urteilsgründen und Akteninhalt, etwa dem von der Revision vorgetragenen Vermerk, gestützt werden (vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 73 mwN).
11
(2) Die Annahme der Strafkammer, der sofortige Einsatz von Pfefferspray belege keine vom Angeklagten verursachte oder erstrebte nennenswerte Verzögerung des Einsatzes, ist rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer musste dies auch nicht breiter als geschehen ausführen, da Gründe für einen entsprechenden Sinneswandel des Angeklagten weder aufgezeigt noch sonst erkennbar sind.
12
2. Die Strafkammer nimmt in erster Linie einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags an, da der Angeklagte seine Frau nicht mittels eines erneuten Angriffs getötet hat, als er merkte, dass sie noch lebte.
13
Ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, hängt von der Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont) ab. Hält er für den Taterfolg noch weitere Handlungen für (möglich und) nötig, ist der Versuch unbeendet, er kann durch Untätigkeit zurücktreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative). Hält er dagegen den Eintritt des Taterfolgs für möglich, ist der Versuch beendet; ein Rücktritt erfordert eine Verhinderung des Erfolgs durch eigene Tätigkeit (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zweite Alternative) oder entsprechende Bemühungen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausgeblieben ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 229 mwN).
14
Hier liegt kein Rücktritt vom unbeendeten Versuch vor; wie der Hinweis des Angeklagten, ohne Arzt werde seine Frau verbluten, zeigt, hielt er ihren Tod für möglich. Dem entsprechend ist allein der Verzicht auf eine (gewisse) Beschleunigung ihres von ihm ohnehin erwarteten verletzungsbedingten Todes kein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative. Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass der Angeklagte nicht seinen Rücktrittshorizont korrigierte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224; Lilie/Albrecht in LK 12. Aufl., § 24 Rn. 178 ff. mwN). Als er bemerkte, dass seine Frau doch noch lebte, entstand vielmehr erstmals ein Rücktrittshorizont , nachdem er sie zuvor für tot gehalten hatte und er daher zuvor noch keinen Rücktrittshorizont gehabt haben konnte.
15
3. Auf der Annahme eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch beruht das Urteil aber nicht, da rechtsfehlerfrei (auch) ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB bejaht ist (vgl. I 2).
16
a) Zu Unrecht hält die Revision dem gegenüber das Verhalten des Angeklagten nicht für freiwillig, da die Tat, wie er wusste, schon entdeckt gewesen sei.
17
Freiwillig ist ein Rücktritt, wenn weder eine äußere Zwangslage noch seelischer Druck den Täter an der Vollendung der Tat hindert (st. Rspr., vgl. schon BGH, Beschluss vom 14. April 1955 - 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299; zusammenfassend Lilie/Albrecht aaO Rn. 222, 248 f., 319 mwN); eine vorherige Entdeckung der Tat kann gegen Freiwilligkeit sprechen (BGH, Beschluss vom 29. Januar 1982 - 3 StR 496/81, StV 1982, 219 mwN). Für die Freiwilligkeit von Rücktrittsbemühungen gilt all dies entsprechend (Lilie/Albrecht aaO Rn. 359).
18
Hier hatte der Angeklagte vor seiner Forderung nach einem Arzt gegenüber dem Nachbarn und (zu Beginn des Gespräches) der Polizei ein hinsichtlich einer Gewaltanwendung zum Nachteil seiner Frau zwar zutreffendes, hin- sichtlich ihres dadurch verursachten Todes aber objektiv falsches „Geständnis“ abgelegt. Nach Erkenntnis seines Irrtums hat er sich bemüht, diese zwar dro- hende, aber entgegen seinem bisherigen „Geständnis“ noch nicht eingetretene Folge seiner Tat zu verhindern. Es ist nicht zu erkennen, dass dies aus seiner Sicht auf äußerem oder innerem Druck beruht hätte und daher unfreiwillig wäre.
19
b) Auch die Bewertung der Bemühungen des Angeklagten als ernsthaft ist rechtsfehlerfrei. Die, wie dargelegt (II 1 b), rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen ergeben entgegen der Auffassung der Revision insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sein Verhalten für die Verhinderung des Todes seiner Frau selbst für nicht erforderlich gehalten, sondern geglaubt hätte, sie würde auch ohne sein Zutun gerettet (vgl. hierzu BGH b. Holtz MDR 1978, 988; Lilie/Albrecht aaO Rn. 331, 332 mwN), oder dass er sogar die Rettung behindert (vgl. hierzu Lilie/Albrecht aaO Rn. 343) oder dies jedenfalls versucht hätte.
20
4. Im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben.
Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Sander

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 378/11
vom
22. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Diebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
22. Februar 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten J. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten P. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten P. gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 13. April 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten J. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs mit den Feststellungen aufgehoben.
3. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben
a) in den Fällen II B 8, 10, 11, 13, 15, 19, 20, 23, 29 der Urteilsgründe unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Sachverhalt;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafen.
4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Die in Leipzig wohnenden Angeklagten finanzierten Lebensunterhalt und Drogenkonsum durch Einbrüche, vor allem in Pfarrhäuser, aber auch Zahnarztpraxen und andere Objekte in oft kleineren Orten vorwiegend in Oberfranken. Der Angeklagte P. steuerte den PKW zum Tatort und stand Schmiere, der Angeklagte J. drang in die Häuser ein. Beide wurden wegen Diebstahls in 15 Fällen - meist in Tateinheit mit Sachbeschädigung -, versuchten Diebstahls in sechs Fällen sowie - im Zusammenhang mit entwendeten EC- und Kreditkarten - Computerbetrugs in 18 Fällen und versuchten Computerbetrugs in drei Fällen verurteilt, P. zu zwei Jahren und sieben Monaten, der erheblich vorbestrafte J. zu vier Jahren und neun Monaten Gesamtfreiheitsstrafe. J. wurde bei Anordnung eines Vorwegvollzugs von zwei Jahren und neun Monaten Strafe auch in einer Entziehungsanstalt untergebracht.
2
Während die Revision des Angeklagten P. erfolglos bleibt (A.), hat die auf die Dauer des Vorwegvollzugs beschränkte Revision des Angeklagten J. ebenso Erfolg (B.) wie die der Staatsanwaltschaft, die in den angefochtenen Fällen eine Verurteilung wegen (versuchten) Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) anstrebt (C.).

A.

3
Revision des Angeklagten P. :
4
I. Zum Schuldspruch:
5
1. Zweimal wurden zwei erbeutete Karten jeweils fast zeitgleich eingesetzt. Offenbar haben die Angeklagten jeweils gleichzeitig eingekauft. Anders als die Revision meint, war trotzdem jeder Angeklagte wegen sämtlicher Einkäufe zu verurteilen, da sie gemeinsam geplant und im gemeinsamen Interesse arbeitsteilig, also mittäterschaftlich, durchgeführt wurden.
6
2. Auch sonst ist der Schuldspruch ohne den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler.
7
II. Zum Strafausspruch:
8
1. Die Revision hält § 267 Abs. 3 (Satz 4) StPO für verletzt. Ein Antrag auf Bewährung löst aber nur dann eine gesonderte Begründungspflicht aus, wenn eine aussetzungsfähige Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Bei einer höheren Strafe braucht nicht gesondert begründet zu werden, warum die beantragte Bewährungsstrafe nicht ausreicht (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 438/11 mwN).
9
2. Auch sonst ist der Strafausspruch nicht zu beanstanden. Die Revision beschränkt sich im Wesentlichen auf eine eigene Gewichtung auch von der Strafkammer beachteter Gesichtspunkte.

B.

10
Revision des Angeklagten J. :
11
Die Urteilsgründe behandeln die Dauer des Vorwegvollzugs nicht. Das Ergebnis widerspricht dem Gesetz:
12
Ist teilweiser Vorwegvollzug bei mehr als drei Jahren Strafe nicht einzelfallbedingt generell ausgeschlossen, so i s t er gemäß § 67 Abs. 2 Sätze 2 und 3 StGB in Verbindung mit § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB so zu bemessen, dass da- nach und nach einer anschließenden Unterbringung eine Halbstrafenentlassung möglich ist. Der Tatrichter hat insoweit keinen Beurteilungsspielraum. Erwägungen dazu, ob eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt zu erwarten ist, sind also bei der Bemessung des Vorwegvollzugs nach gesetzlicher Wertung nicht möglich. Stattdessen ist, naheliegend mit sachverständiger Hilfe, die erforderliche Unterbringungsdauer genau zu prognostizieren. Der Zeitraum zwischen dem so bestimmten Ende der Unterbringung und dem Halbstrafenzeitpunkt ergibt den - ohne Beurteilungsspielraum zu errechnenden - vorweg zu vollziehenden Teil der Strafe (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2008 - 1 StR 233/08 mwN). Da die Anordnung, vor der Unterbringung über die Hälfte der Strafe zu vollziehen, keinesfalls zutreffen kann, ist hierüber neu zu befinden.

C.

13
Revisionen der Staatsanwaltschaft:
14
Die Strafkammer hat die Annahme eines (gegebenenfalls versuchten) Wohnungseinbruchdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB in allen in Frage kommenden Fällen verneint, weil die Angeklagten nie in bewohnte Anwesen einbrechen wollten. Die gegen diese Annahme gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind auf die Fälle beschränkt, in denen die Tatobjekte entweder bewohnt waren oder in denen dies offen bleibt. Nicht angefochten - etwa im Blick auf einen untauglichen Versuch - sind die Fälle, in denen die Angeklagten in unbewohnte Pfarrhäuser eingebrochen sind.
15
I. Im Umfang der Anfechtung haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft Erfolg. Die Annahme, die Angeklagten hätten nicht in bewohnte Anwesen einbrechen wollen (im Ergebnis also die Annahme eines Tatbestandsirrtums, vgl. hierzu Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 244 Rn. 76), ist nicht auf eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung gestützt.
16
1. Die Strafkammer hält die Einlassung der Angeklagten, sie hätten keinesfalls in bewohnte Anwesen einbrechen wollen, für nachvollziehbar. Sie stützt dies unter anderem auf folgende Erwägungen:
17
a) In fünf der Pfarrhäuser, in die die Angeklagten eingebrochen waren, befanden sich - obwohl sie „durchaus wie Wohngebäude wirken“ - nur Büros. Daraus folgert die Strafkammer, die Angeklagten hätten sich offensichtlich davon überzeugt, dass diese Pfarrhäuser nicht bewohnt waren.
18
b) Hinzu komme, dass die Angeklagten in einem dieser Pfarrhäuser (Himmelkron) eine Innentür aufgebrochen hatten, die zu einer ungenutzten Wohnung führte. Diese haben sie nicht betreten, was ebenfalls, so die Strafkammer , die Absicht belege, nicht in Wohnungen einzubrechen.
19
c) Die Angeklagten haben die Versuche, in das bewohnte Pfarrhaus von Neuhaus und in das ebenfalls bewohnte Pfarrzentrum von Ahorntal einzubrechen , abgebrochen und sind geflohen, nachdem sie von Zeugen gestört wur- den. Dadurch hätten sie „dokumentiert, dass sie von bewohnten Einbruchsob- jekten Abstand nehmen wollten“.
20
2. Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
21
a) Allein der Hinweis, dies sei „offensichtlich“, macht nicht deutlich, wann - noch in Leipzig oder nach der Ankunft am jeweiligen Tatort - und wie die Angeklagten die Überzeugung gewonnen haben könnten, dass die genannten fünf Pfarrhäuser unbewohnt waren.
22
b) Es ist fraglich, wie der Aufbruch der Tür im nicht angefochtenen Fall des Einbruchs in das Pfarrhaus von Himmelkron mit der Annahme vereinbar ist, die Angeklagten hätten sich zuvor über die Verhältnisse im jeweiligen Tatobjekt informiert. Unabhängig hiervon lässt dieser Fall Schlussfolgerungen auf andere Fälle nicht zu. Die Absicht eines Einbrechers, nicht aus bewohnten Häusern zu stehlen, wird nicht dadurch belegt, dass er eine unbewohnte Wohnung nicht betritt.
23
c) Auch für die übrigen vier Einbrüche in unbewohnte Pfarrhäuser gilt im Ergebnis nichts anderes: Selbst wenn die Angeklagten wussten, dass diese unbewohnt sind, kann dies nicht belegen, dass sie in bewohnte Pfarrhäuser nur einbrachen, weil sie sie für unbewohnt hielten.
24
d) Auch der Umstand, dass die Angeklagten flohen, als sie in Neuhaus und Ahorntal beim Einbruch gestört wurden, kann ihre Absicht, nicht in bewohnte Häuser einzubrechen, nicht tragfähig belegen. Einen Erfahrungssatz, dass ertappte Einbrecher nicht flüchten, wenn sie in ein bewohntes Haus einbrechen wollten, gibt es - ohne dass dies weiterer Darlegung bedürfte - nicht.
25
3. Darüber hinaus sind Gesichtspunkte, die sich aus einigen abgeurteilten Taten ergeben, nicht erörtert, obwohl nicht ohne Weiteres klar ist, wie sie mit der Einlassung der Angeklagten zu vereinbaren sind, dass sie niemals in bewohnte Anwesen einbrechen wollten.
26
a) Im bewohnten Pfarrhaus von Streitau wurden „diverse Schmuck- stücke“ entwendet. In welchem Raum des Hauses sich diese befunden hatten, ist nicht mitgeteilt. Schmuck wird aber typischerweise nicht in Büros, sondern in Wohnungen verwahrt.
27
b) Vergleichbares gilt für das Pfarrhaus von Hassfurt. Es ist nicht erörtert, ob es bewohnt war. Hierfür spricht aber die Beute, die z.B. aus einer Taschenuhr , einer Handtasche und Silbertalern bestand.
28
c) Es ist auch weder dargelegt noch ersichtlich, warum die Angeklagten bei dem Einbruch in das Pflegeheim König David in Naila dieses für ein unbewohntes (Büro-)Gebäude gehalten haben sollten.
29
d) Gleiches gilt für den Einbruch in ein bewohntes privates Wohnhaus in Berg. Hier kommt hinzu, dass Garage und Keller durchsucht wurden. Die Annahme , dass die Angeklagten geglaubt hätten, in Garage oder Keller eines unbewohnten Hauses würden stehlenswerte Gegenstände aufbewahrt, liegt nicht nahe.
30
4. In den in Rede stehenden Fällen war das Urteil daher aufzuheben. Dies führt zugleich zur Aufhebung der Gesamtstrafen, während die von der Staatsanwaltschaft nicht gesondert angefochtene Unterbringungsentscheidung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11) von der durch deren Revision bewirkten (nur) teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs unberührt bleibt. Die bisher getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf können bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind.
31
II. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
32
1. Die Strafkammer hat ihre Annahme, die Angeklagten hätten nicht in bewohnte Anwesen einbrechen wollen, ergänzend auch darauf gestützt, es sei „allgemein bekannt“, dass in Pfarrhäusern „Wohn- und Bürobereich … getrennt sind … die Büros im Erdgeschoss und die Wohnräume im ersten Stock“. Die Staatsanwaltschaft meint demgegenüber, zumindest auf dem Land diene das Pfarrhaus einheitlich als Arbeits- und Wohnraum. Dem geht der Senat nicht nä- her nach, da die Beweiswürdigung der Strafkammer zur inneren Tatseite schon aus den dargelegten Gründen keinen Bestand haben kann. Er bemerkt jedoch, dass ein Erfahrungssatz über eine regelhafte Nutzungsstruktur von Pfarrhäusern nicht zum allgemein verbreiteten Wissen gehört. Bevor ein solcher Erfahrungssatz einem Urteil zu Grunde gelegt wird, müssen die Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung und zur Anbringung von Beweisanträgen gehabt haben (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO, 25. Aufl., § 261 Rn. 24, 25; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 570, 571 jew. mwN).
33
2. Da die Strafkammer Wohnungseinbruchdiebstahl schon aus subjektiven Gründen abgelehnt hat, ist sie seinen objektiven Voraussetzungen nicht näher nachgegangen. Dies wird gegebenenfalls nachzuholen sein, nicht jeder Einbruch in ein bewohntes Haus ist Wohnungseinbruchdiebstahl:
34
a) Wohnungseinbruchdiebstahl ist - zusammengefasst - wegen der damit verbundenen Verletzung der Privatsphäre des Opfers ein eigener Tatbestand mit erhöhter Strafdrohung (BGH, Beschluss vom 24. April 2008 - 4 StR 126/08, NStZ 2008, 514, 515 mwN). Nach seinem Wortlaut muss der Täter „in“ eine Wohnung eingebrochen (bzw. eingestiegen, eingedrungen oder in ihr verborgen gewesen) sein, aber er muss nicht „aus“ ihr gestohlen haben (vgl. zusammen- fassend Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 244 Rn. 76 mwN).
35
b) Für die auch hier (möglicherweise) einschlägigen Fragen nach der Bewertung von Einbrüchen in gemischt genutzte Gebäude und/oder in Nebenräume von Wohnhäusern ergibt sich daher nach dem Schutzzweck des Gesetzes und seinem Wortlaut - der die Grenze einer Gesetzesauslegung zum Nachteil des Angeklagten bildet - Folgendes:
36
(1) Der Bundesgerichtshof hat bei gemischt - also zugleich zu Wohn- und Geschäftszwecken - genutzten Gebäuden Wohnungseinbruchdiebstahl bejaht, wenn der Täter nur deshalb in einen privaten Wohnraum einbrach, um von dort ungehindert in Geschäftsräume zu gelangen und dort zu stehlen.
37
Bei einem Einbruch in einen Geschäftsraum gilt dagegen die Annahme eines Wohnungseinbruchdiebstahls auch dann als mit dem Gesetzeswortlaut unvereinbar, wenn es dem Täter nur darum geht, von dort ohne weitere Hindernisse in den Wohnbereich vorzudringen und dort zu stehlen (BGH aaO mwN), jedoch nur soweit die Räumlichkeiten, in die eingebrochen wurde, vom Wohnbereich völlig getrennt untergebracht sind (BGH aaO).
38
Dagegen liegt Wohnungseinbruchdiebstahl vor, wenn der Täter in einen Raum einbricht, der zwar ausschließlich beruflich genutzt, aber so in den Wohnbereich integriert ist, dass insgesamt eine in sich geschlossene Einheit vorliegt (offen gelassen b. BGH aaO). Ein Raum in einer Wohnung bleibt auch dann Teil der Wohnung, wenn der Bewohner ihn zu seinem Arbeitsraum bestimmt hat. Dies gilt nicht nur für das Büro eines Rechtsanwalts in dessen Wohnung (vgl. hierzu BGH aaO; Vogel aaO), sondern auch für das Amtszimmer in der Wohnung eines Pfarrers. Die Verletzung der Privatsphäre wiegt nicht weniger schwer, wenn der Täter in diesen Raum der Wohnung einbricht. Greift aber der Schutzzweck des Gesetzes in gleicher Weise ein wie bei einem Einbruch in einen anderen Wohnungsteil und steht der Wortlaut des Gesetzes nicht entgegen, so führt dies in derartigen Fällen zur Annahme eines Wohnungseinbruchdiebstahls (im Ergebnis ebenso Vogel aaO).
39
(2) Vergleichbares gilt für Einbrüche in Nebenräume wie z.B. Keller oder Garagen. Auch hier wird Wohnungseinbruchdiebstahl verneint, wenn diese, auch bei räumlicher Nähe zur Wohnung, abgeschlossen oder selbständig sind (vgl. näher Vogel aaO mwN).
40
Jedoch liegt aus den genannten Gründen Wohnungseinbruchdiebstahl vor, wenn der Täter in Räume einbricht, die dem Begriff des Wohnens typischerweise zuzuordnen sind, wie z.B. den Keller eines Einfamilienhauses. Dies gilt sowohl, wenn er sich von dort ungehindert Zugang zum ohne Weiteres erreichbaren Wohnbereich im Erd- oder Obergeschoß verschafft (Vogel aaO; offen geblieben bei BGH aaO, in der Tendenz aber ebenso) als auch dann, wenn er aus derartigen Räumen stiehlt (Vogel aaO).
41
a) Auf dieser Grundlage bemerkt der Senat zu den einzelnen, von der Revision betroffenen Fällen:
42
(1) Fall II B 8 der Urteilsgründe, Pfarrhaus in Streitau:
43
Hier wurde (auch) Schmuck gestohlen (vgl. oben C. I. 3. a)), die Annahme , dass aus einer Wohnung gestohlen wurde, liegt nahe. Feststellungen darüber , wo eingebrochen wurde, werden nachzuholen sein.
44
(2) Fall II B 10 der Urteilsgründe, Pflegeheim König David in Naila:
45
Hier ist nur festgestellt, dass aus dem Inneren des Pflegeheims gestohlen wurde. Ein Wohnungseinbruchdiebstahl läge zweifelsfrei vor, wenn in ein Zimmer des Pflegeheims eingebrochen worden wäre (vgl. zum insoweit vergleichbaren Einbruch in ein Hotelzimmer BGH, Beschluss vom 3. Mai 2001 - 4 StR 59/01). Für den Fall eines Einbruchs in den Flur und/oder den Empfangsbereich des Heims käme es darauf an, ob diese Räumlichkeiten als Nebenräume der Zimmer der Heimbewohner (also deren Wohnungen) zu bewerten sind (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2005 - 2 StR 129/05, NStZ 2005, 631).
46
(3) Fall II B 11 der Urteilsgründe, Pfarrhaus in Joditz:
47
Das Pfarrhaus war bewohnt, gestohlen wurde aus einem Büro. Entscheidend ist daher, wo genau eingebrochen wurde.
48
(4) Fall II B 13 der Urteilsgründe, privates Wohnhaus in Berg:
49
Das Haus war bewohnt. Eingedrungen wurde in die Kellerräume, (vergeblich ) durchsucht wurden die Räume im Keller und die Garage (vgl. C. I. 3. d)). Es kommt also darauf an, ob Keller und/oder Garage unmittelbar mit dem Wohnbereich verbunden oder hiervon baulich getrennt waren.
50
(5) Fall II B 15 der Urteilsgründe, Pfarramt in Neuhaus:
51
Hier ist nur festgestellt, dass J. gerade versuchte, ein Fenster aufzubrechen , als der im Haus wohnende Pfarrer kam (vgl. C. I. 2. d)). In welchen Raum J. im Erfolgsfalle eingedrungen wäre, ist nicht festgestellt.
52
(6) Fall II B 19 der Urteilsgründe, Pfarramt in Hollfeld:
53
Ob das Pfarramt bewohnt war, ist nicht festgestellt. Hier könnte gegen einen Wohnungseinbruchdiebstahl sprechen, dass im Urteil nur von dem Pfarrsaal, den Jugendräumen und dem Büro des Pfarrers die Rede ist. Eine abschließende Beurteilung ist jedoch nicht möglich, da auch hier nicht festgestellt ist, wo genau eingebrochen wurde.
54
(7) Fall II B 20 der Urteilsgründe, Pfarramt in Altenkunstadt:
55
Hier ist weder festgestellt, ob das Pfarramt bewohnt war, noch, wo genau eingebrochen wurde. Nachdem „sämtliche“ Schränke und Behältnisse durch- sucht wurden, erscheint ein Wohnungseinbruchdiebstahl möglich.
56
(8) Fall II B 23 der Urteilsgründe, Pfarrhaus in Hassfurt:
57
Feststellungen darüber, ob das Objekt bewohnt war, fehlen ebenso wie Feststellungen darüber, wo genau eingebrochen wurde. Die Beute, u.a. eine Taschenuhr, eine Handtasche und Silbertaler, spricht dagegen, dass ausschließlich aus einem Büro gestohlen wurde (vgl. C. I. 3. b)), wenngleich nur von „Büroschränken“ die Rede ist.
58
(9) Fall II B 29 der Urteilsgründe, Pfarrzentrum in Ahorntal:
59
J. hatte sich durch Einschlagen eines Kellerfensters schon Zutritt zum bewohnten Pfarrzentrum verschafft. Als er von einer Zeugin überrascht wurde, entfernte er sich ohne Beute (vgl. oben C. I. 2. d)). Für die Annahme eines versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls kommt es auch hier auf die genauen örtlichen Verhältnisse an.
60
3. Sollten aus den dargelegten Gründen ergänzende Feststellungen notwendig werden, wären hierfür noch erforderliche Ermittlungen zweckmäßigerweise schon vor der neuen Hauptverhandlung nachzuholen. Damit könnte entsprechend § 202 StPO auch die Staatsanwaltschaft betraut werden (vgl. näher Lindemann, Ermittlungsrechte und -pflichten der Staatsanwaltschaft nach Beginn der Hauptverhandlung S. 221 f. mwN).
61
4. Würde festgestellt, dass die Angeklagten billigend in Kauf nahmen, in einen von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB umfassten Raum einzubrechen, der dann diese Voraussetzungen nicht erfüllte, käme untauglicher Versuch in Betracht.
62
5. Im Blick auf § 2 Abs. 3 StGB wird gegebenenfalls zu beachten sein, dass § 244 Abs. 3 StGB nF einen minder schweren Fall vorsieht (vgl. Artikel 1 Ziffer 5 des Vierundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 1. November 2011, BGBl. I S. 2130).
63
6. Werden, wie hier, im Urteil Feststellungen gemäß § 111i Abs. 2 Satz 1 StPO getroffen, sollten diese tunlichst auch in die Urteilsformel aufgenommen werden (Nack in KK-StPO, 6. Aufl., § 111i Rn. 14).
Nack Wahl Graf Jäger Sander

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 556/06
vom
6. Dezember 2006
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Betrug
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Dezember 2006 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 18. Mai 2006 im Schuld- und Strafausspruch
dahingehend geändert beziehungsweise neu gefasst, dass der
Angeklagte wegen Beihilfe zum Betrug zu der Freiheitsstrafe von
einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird,
verurteilt wird.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Betrug in 47 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr - unter Strafaussetzung zur Bewährung - verurteilt.
2
In der Zeit vom 17. August 2000 bis zum 30. Mai 2001 erwarben andere Tatbeteiligte - namens eines Handelsunternehmens - von drei Mobilfunknetzbetreibern 11.340 Handy-Prepaid-Einzelpakete (sogenannte Bundles) in 47 Tranchen, in der vorgefassten Absicht, die im Hinblick auf die Bindung von den Netzbetreibern im Verkauf zunächst subventionierten Einheiten entgegen der vertraglichen Zusicherung zu trennen, nämlich das Mobiltelefon - nach Entfernung des SIM-Locks - separat teurer zu verkaufen und getrennt davon die SIM-Karten unter Verwendung fiktiver Kundendaten zu aktivieren und anschließend zu verkaufen, zu verschenken oder selbst abzutelefonieren. Im Glauben, die Handy-Prepaid-Pakete würden entsprechend der vertraglichen Vereinbarung als Einheit und nicht manipuliert - das Mobiltelefon hätte dann zwei Jahre lang nur über das entsprechende Netz betrieben werden können - an die Endabnehmer weiterveräußert werden, bezahlten die Netzbetreiber insgesamt 378.660,80 € an Provisionen, um die sie so geschädigt wurden.
3
Der Angeklagte unterstützte die anderweitig verfolgten Tatbeteiligten hierbei fortlaufend auf vielfältige Art und Weise. Dabei sind die Unterstützungshandlungen nicht immer - nicht mehr - einer der Haupttaten zuordenbar. So stand der Angeklagte etwa im Falle der Abwesenheit des Haupttäters "ständig bereit", um für diesen anfallende Begleitarbeiten zur Abwicklung der tatbezogenen Geschäfte zu übernehmen. Die fortlaufende Förderung der Taten stellt sich deshalb hier in der Gesamtschau als nur eine - dauerhafte - Beihilfehandlung des Angeklagten zu den 47 Haupttaten dar (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 9; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 27 Rdn. 13). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.
4
Die vom Landgericht verhängte Gesamtstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe (ausgehend von einer Einsatzstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe und weiteren 46 Einzelstrafen in Höhe von insgesamt sieben Jahren Freiheitsstrafe ) kann als Einzelstrafe bestehen bleiben. Der Senat vermag auszuschließen , dass die Strafkammer bei Annahme einer Beihilfehandlung eine noch mildere Strafe verhängt hätte. Denn die "Konkurrenzkorrektur" bedeutet in aller Regel keine Verringerung des verwirklichten Tatunrechts (vgl. BGH NStZ 1999, 513, 514; 1996, 383, 384; 1984, 262). So stellt sich dies auch im vorliegenden Fall dar, zumal der Tatbeitrag des Angeklagten mittäterschaftlichem Handeln sehr nahe kam. Der langen Verfahrensdauer und der unzureichenden Kontrolle bei den Netzbetreibern wird mit der erkannten Strafe in hohem Maße Rechnung getragen.
5
Die weitergehende Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
6
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4 StPO. Es erscheint nicht als unbillig, den Beschwerdeführer trotz des geringfügigen Teilerfolgs mit seinen Auslagen und den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten. Nack Boetticher Hebenstreit Elf Graf

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.

(2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist. Droht das Gesetz ein erhöhtes Mindestmaß der Freiheitsstrafe an, so bestimmt sich das Mindestmaß der Geldstrafe in den Fällen des Satzes 1 nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe; dabei entsprechen dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe.