Bundesgerichtshof Beschluss, 20. März 2012 - 1 StR 64/12

bei uns veröffentlicht am20.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 64/12
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. März 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 17. November 2011 im gesamten Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Es hat weiter die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet und zum einen bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt vor der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu vollziehen ist, und zum anderen , dass vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt drei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vorweg zu vollziehen sind.
2
Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und die er auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt wissen will.
3
Sein Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Der gesamte Maßregelausspruch war aufzuheben.
4
1. Die Beschränkung auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) ist hier unwirksam. Die Anfechtung erstreckt sich auch auf die zugleich angeordnete Unterbringung in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Beide Anordnungen sind - wie sich auch aus den Urteilsgründen ergibt (UA S. 42 ff.) - untrennbar verknüpft. Sie können nicht losgelöst voneinander geprüft und beurteilt werden (vgl. auch § 72 StGB).
5
2. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es kann dahinstehen, ob die vom Landgericht gegebene Begründung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) und des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 4 StR 594/11) gerecht wird. Die Maßregelanordnung war schon deshalb aufzuheben, weil die Strafkammer bei der Prüfung des Hangs und im Rahmen der Gefahrenprognose zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu dessen Nachteil verwertet hat (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11; BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11 und BGH, Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11 jeweils mwN). Der Angeklagte bestreitet die Taten im Wesentlichen (UA S. 20 bis 22). Die Strafkammer stellt gleichwohl bei Bejahung der materiellen Voraussetzungen des § 66 StGB u.a. darauf ab, dass der Angeklagte zu seinen Taten nicht steht, diese im Wesentlichen bestreitet, sein Verhalten bagatellisiert und die Opferzeugin der Lüge bezichtigt (UA S. 40/41). Dieses Verhalten durfte ihm im Zuge der Maßregelanordnung nicht angelastet werden. Anderenfalls wäre der Angeklagte gezwungen , seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Siche- rungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl. BGH aaO).
6
Die Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung zieht die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach sich, da beide hier untrennbar miteinander verknüpft sind.
7
Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft die Zeit der erlittenen Untersuchungshaft von der Dauer des Vorwegvollzugs der Unterbringung gemäß § 64 StGB abgezogen hat (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 - 5 StR 423/11 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 28. September 2011 - 2 StR 376/11; BGH, Beschluss vom 28. Juni 2011 - 4 StR 17/11 jeweils mwN; auch Fischer, StGB, 59. Aufl., Rn. 9a zu § 67 StGB).
8
Es kann auch dahinstehen, ob im vorliegenden Fall zu erörtern gewesen wäre, dass sich an die Unterbringung in die Entziehungsanstalt erst die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anschließt, der Angeklagte also nicht ohne Weiteres im Anschluss an die Therapie in Freiheit kommt (vgl. hierzu BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 14 = BGH, Beschluss vom 9. Oktober 1998 - 2 StR 423/98 zu § 67 Abs. 2 StGB aF). Nack Rothfuß Elf Jäger Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. März 2012 - 1 StR 64/12

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol

Strafgesetzbuch - StGB | § 72 Verbindung von Maßregeln


(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am we

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 346/11
vom
8. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 4. April 2011 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen in Tatmehrheit mit Verbreitung kinderpornographischer Schriften in 113 Fällen in Tatmehrheit mit Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften in 44 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gleichzeitig hat es von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, bleibt ohne Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte mit Urteil des Landgerichts Gera vom 15. November 2007 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 22 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Dieser Verurteilung lagen sexuelle Übergriffe auf zwei sieben- bzw. dreizehnjährige Jungen zugrunde, an deren Geschlechtsteil der Angeklagte manipuliert hatte. In einem der Fälle hatte sich der Angeklagte auf einen der Jungen gelegt, dessen Arme festgehalten und es so erreicht, ihn zu küssen.
3
Nach der Haftentlassung in dieser Sache im November 2009 wandte sich der Angeklagte auf Veranlassung eines früheren Mitgefangenen an dessen ehemalige Lebensgefährtin, um die er sich kümmern sollte. Mit ihr hatte der Mitgefangene eine gemeinsame fast volljährige Tochter, die ebenso wie der damals zwölfjährige Nebenkläger, der aus einer anderen Beziehung der Frau stammte, in deren Haushalt lebte. Dem Angeklagten war es im Rahmen der Entscheidung zur Führungsaufsicht zwar untersagt, mit Kindern zu verkehren. Gleichwohl ließ er sich nicht davon abhalten, Kontakt zur Familie des ehemaligen Mitgefangenen aufzubauen und derart zu intensivieren, dass er für den Sohn der Frau bald eine Art Ersatzvater darstellte. Bereits nach kurzer Zeit übernachtete der Angeklagte im Hause der Familie, wobei er grundsätzlich auf einer Matratze im Zimmer des Jungen, gelegentlich aber auch neben ihm in dessen Bett schlief.
4
Anlässlich einer solchen Gelegenheit griff der Angeklagte, der wusste, dass der Nebenkläger noch keine vierzehn Jahre alt war, zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls vor Weihnachten des Jahres 2009, an dessen Penis und manipulierte daran (Fall 1). Dies wiederholte er bis zur Aufnahme des Jungen in ein Kinderheim am 17. Februar 2010 bei mindestens vier weiteren Gelegenheiten (Fälle 2-5).
5
Im Zeitraum vom 19. Dezember 2009 bis zum 3. Januar 2010 nutzte der Angeklagte einen Laptop, den er dem Nebenkläger geschenkt hatte, um über einen Chatraum Bild- und Videodateien zu verschicken bzw. zu erlangen, die pornographische Darstellungen sexueller Handlungen von oder an Personen wiedergaben, die tatsächlich oder nach ihrem Erscheinungsbild unter 14 Jahre alt waren. Er versandte insgesamt 113 und verschaffte sich 44 solcher Dateien.
6
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellem Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 1 StGB in fünf Fällen zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall 1) und viermal jeweils zwei Jahren (Fälle 2-5), wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB in 113 Fällen zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten und wegen Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 StGB in 44 Fällen zu Geldstrafen von 60 Tagessätzen zu 1 € verurteilt und eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet.
7
Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen, weil der Angeklagte nicht im Sinne des § 66 Abs. 1 Ziff. 4 StGB infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden, für die Allgemeinheit gefährlich sei. Es spreche aus Sicht der Kammer nichts dafür, der Angeklagte werde künftig pädophile Delikte unter Einsatz von Gewalt begehen.
8
Die Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet die Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Außerdem rügt sie, dass das Landgericht fehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen habe.
9
2. Der Senat hatte die Revisionshauptverhandlung mit Beschluss vom 11. Januar 2012 ausgesetzt. Dies beruhte auf der Ansicht des Senats, er sei in der Person des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann nicht ordnungsgemäß besetzt, weil dieser seit 1. Januar 2012 zugleich geschäftsplanmäßiger Vorsitzender des 4. Strafsenats ist. Der Senat hat daher dem Präsidium des Bundesgerichtshofs Gelegenheit gegeben, durch eine Änderung der Geschäftsverteilung Abhilfe zu schaffen. Mitglied des Präsidiums ist auch der Vorsitzende des 2. und 4. Strafsenats.
10
Das Präsidium des Bundesgerichtshofs, dem die Entscheidung des Senats in vollem Wortlaut vorlag, hat mit nicht begründetem Beschluss vom 18. Januar 2012 einstimmig entschieden, dass an dem Beschluss vom 15. Dezember 2011, mit dem VRiBGH Dr. Ernemann der Vorsitz des 2. und zugleich des 4. Strafsenats übertragen worden ist, festgehalten wird.
11
Nach der Beschlussfassung hat das Präsidium drei Richter des Senats, die an der Entscheidung vom 11. Januar 2012 beteiligt waren, jeweils einzeln angehört; von der Anhörung der weiteren Richter wurde abgesehen. Gegenstand der Befragungen war unter anderem, wie der Senat, aber auch der einzelne Richter mit der mitgeteilten Entscheidung des Präsidiums umgehen werde.

II.

12
Der Senat gibt dem Verfahren Fortgang. Er ist allerdings weiterhin der Ansicht, dass er nicht ordnungsgemäß besetzt ist. Insoweit gelten die Gründe aus dem Beschluss vom 11. Januar 2012 unverändert fort.
13
Der Senat sieht aber nach der Entscheidung des Präsidiums, keine Maßnahmen zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans zu ergreifen, keine rechtliche Möglichkeit, den Verfahrensbeteiligten in überschaubarer Zeit zu einer Entscheidung durch ein ordnungsmäßig besetztes Revisionsgericht zu verhelfen.
14
Der Senat hat erwogen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache den Großen Senat für Strafsachen anzurufen, hiervon aber letztlich abgesehen. Das Präsidium hat seine Entscheidung vom 18. Januar 2012 nicht begründet ; daher ist offen geblieben, welche Gründe das Präsidium bewogen haben , auf Änderungen der Geschäftsverteilung zu verzichten.
15
Sollte dem die Ansicht zugrunde liegen, Beschlüsse eines gerichtlichen Präsidiums zur Geschäftsverteilung seien regelmäßig bindend, so dass die Spruchkörper des Gerichts nicht befugt seien, im fachgerichtlichen Verfahren die Gesetzmäßigkeit ihrer Besetzung zu prüfen und darüber zu entscheiden, würde dem der Senat nicht folgen. Diese - möglicherweise aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 1975 – VII C 47.73 (BVerwGE 50, 11) abgeleitete - Ansicht stünde - worauf der Senat in seinem Beschluss vom 18. Januar 2012 bereits tragend hingewiesen hat - in deutlichem Widerspruch zum Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1997 - 1 PBvU 1/95, wonach jeder Spruchkörper bei auftretenden Bedenken die Ordnungsmäßigkeit seiner Besetzung von Amts wegen zu prüfen und darüber zu entscheiden hat (BVerfGE 95, 322, 330; vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 7. April 1981 - 7 B 80/81, NJW 1982, 900). Wenn man gleichwohl annähme, die Spruchkörper des Gerichts seien nicht befugt, die Gesetzund Verfassungsmäßigkeit ihrer Besetzung im Rahmen des fachgerichtlichen Verfahrens auch mit Blick auf den Geschäftsverteilungsplan zu prüfen, wäre für das Präsidium auch eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen unbeachtlich.
16
Andere eigene Möglichkeiten, den Verfahrensbeteiligten entsprechend der Rechtsansicht des Senats Rechtsschutz durch ein ordnungsgemäß besetztes Gericht zu verschaffen, hat der Senat nicht gesehen.
17
Bei dieser Sachlage, die sich dem Senat in allen bei ihm anhängigen Verfahren gleichermaßen stellt, hält er es für geboten, über sämtliche bei ihm eingelegte Revisionen in der Sache zu entscheiden, auch wenn er sich weiterhin nicht für ordnungsgemäß besetzt hält. Maßgebend für diese Entscheidung, die ungeachtet des Ausgangs der Rechtsmittel zu treffen war, war namentlich die Erwägung, dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen und in angemessener Zeit zu einer - gegebenenfalls mit der Verfassungsbeschwerde überprüfbaren - Entscheidung zu gelangen. Die Alternative, die Sache bis zu einer weiteren Klärung, etwa durch erneute Vorlage an das Präsidium oder bis zum vorläufigen Ende der Doppelbesetzung Ende Juni 2012, ruhen zu lassen, würde nicht nur zu einem nicht hinnehmbaren zeitweiligen, partiellen Stillstand der Strafrechtspflege führen. Sie bedeutete zudem eine nicht in den Verantwortungsbereich der Betroffenen fallende Rechtsschutzverweigerung , die mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsschutzgewährung nicht in Einklang stünde. Dass das Präsidium Rechtsprechung des Senats nicht umgesetzt hat, darf nicht zu Lasten der Rechtsmittelführer gehen.
18
Aus diesem Grund hatte bei dieser besonderen Fallkonstellation die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG partiell zurückzustehen. Danach ist zwar gewährleistet, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Im Bereich richterlicher Tätigkeit sind Richter demnach an keine Weisungen und nur an das Gesetz gebunden. Dies bedeutet Freiheit und Pflicht jeden Richters zu eigenverantwortlicher Entscheidung im Rahmen von Gesetz und Recht. Diese Freiheit sieht der Senat im konkreten Fall eingeschränkt , weil er nach der Entscheidung des Präsidiums gehalten ist, in seiner Meinung nach verfassungswidriger Besetzung zu entscheiden. Er nimmt es nach umfassender Abwägung hin, weil er zum einen ausdrücklich auf den Fortbestand seiner Rechtsansicht hinweisen kann und den Angeklagten zum anderen mit der Verfassungsbeschwerde eine weitere Rechtsschutzmöglichkeit offen steht.

III.

19
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
20
1. Soweit sie sich gegen den Strafausspruch richtet, bleibt sie schon aus dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Gründen ohne Erfolg. Die insoweit von der Revision vorgebrachten Einwendungen zeigen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten nicht auf. Die Höhe der Strafen selbst ist unter Berücksichtigung des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums nicht zu beanstanden.
21
2. Die Revision hat aber auch keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet. Dabei kann dahin stehen, ob die Begründung, mit der die Kammer von der Anordnung abgesehen hat, an sich rechtlicher Überprüfung standhielte. Denn der Senat schließt unter Beachtung der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung der verfassungswidrigen Vorschrift des § 66 StGB aus, dass das Urteil auf einem möglichen Rechtsfehler beruht.
22
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 ist die Vorschrift des § 66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner Weitergeltung muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrechtsgrundrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts darf die Regelung der Sicherungsverwahrung nur nach Maßgabe einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; BGH, Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; Beschluss vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11).
23
Unter Beachtung dieses besonderen Maßstabs ist für die Annahme eines Hangs zur Begehung ausreichend schwerer Straftaten und einer daran anknüpfenden Gefährlichkeit des Angeklagten kein Raum.
24
a) Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten hat das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen nur hinsichtlich solcher Straftaten angenommen, die im vorliegenden Verfahren abgeurteilt worden sind (UA S. 46). Die Verbreitung und der Erwerb kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 und 4 StGB (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - 2 StR 328/11) stellen aber keine ausreichend schwere Sexualstraftat im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts dar. Dies gilt unter Berücksichtigung der Strafdrohungen auch für den sexuellen Missbrauch eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB, mag er auch wiederholt begangen sein (§ 176a Abs. 1 StGB), jedenfalls dann, wenn die Missbrauchshandlungen , wie hier, in ihrer konkreten Gestalt ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten haben (vgl. UA S. 42).
25
b) Eine konkrete Gefahr, der Angeklagte könne künftige pädophile Delikte unter Einsatz von Gewalt verwirklichen, hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Dass es sich darüber hinaus nicht ausdrücklich mit der Frage befasst hat, ob es bei dem Angeklagten zu einer relevanten Steigerung der Sexualdelinquenz kommen könnte, ist vorliegend auch angesichts der Fragen des Angeklagten an das Opfer zu möglichem Oralverkehr jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden (vgl. UA S. 32). Zwar stellen Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 StGB regelmäßig "schwere Sexualstraftaten" im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts dar (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; BGH, Beschlüsse vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11 und vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11), doch liegt hier die Annahme, der Angeklagte werde gerade solche Delikte begehen, unter Beachtung des nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltenden strengeren Maßstabs bei der Gefahrenprognose (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11) nicht hinreichend nahe. Sämtliche Taten des Angeklagten, auch diejenigen aus der Vorverurteilung , beschränkten sich trotz des Umstands, dass sie sich über einen längeren Zeitraum hinzogen, stets wiederkehrend auf Manipulationen mit der Hand am Geschlechtsteil des Tatopfers. Demgegenüber geben allein die Fragen des Angeklagten nach der Möglichkeit von Oralverkehr keinen konkreten Aufschluss darüber, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen mit solchen sexuellen Übergriffen gerechnet werden könnte. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte einen entgegenstehenden Willen des Opfers jederzeit respektiert hat (UA S. 46) und es zudem an greifbaren Anhaltspunkten dafür fehlt, der Angeklagte könne Anreizen zu Straftaten nach § 176a Abs. 2 StGB nicht wiederstehen. Eine in den Fragen des Angeklagten an das Tatopfer zum Ausdruck kommende gewisse Tatgeneigtheit begründet deshalb nach Maßgabe der verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit der Begehung zukünftiger Straftaten keine hinreichende Gefährlichkeit des Angeklagten.
Ernemann Fischer Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 594/11
vom
24. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Januar 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 8. Juli 2011 im Ausspruch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in vier Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der vielfach vorbestrafte Angeklagte etwa ein Jahr nach Entlassung aus über 10jähriger Strafhaft, der eine Verurteilung wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu Grunde lag, in einem Zeitraum von nur knapp zwei Monaten die hier abgeurteilten Straftaten. In den Fällen der (schweren ) räuberischen Erpressung ging er dabei jeweils in der Weise vor, dass er – vornehmlich zur Nachtzeit – seinen nichts ahnenden Opfern, denen er zufällig auf der Straße begegnete, zur Einschüchterung ein Messer an den Hals bzw. vor das Gesicht hielt und sie auf diese Weise zur Herausgabe von Geld oder Wertsachen veranlasste. In einem Fall verursachte er durch den Einsatz des Messers bei dem Geschädigten einen leichten Kratzer oberhalb der Halsschlagader und versetzte ihn durch sein Handeln in Todesangst. Der Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen liegt zu Grunde, dass der Angeklagte zwei von einem Fußballspiel heimkehrenden Zuschauern in den späten Abendstunden unvermittelt jeweils einen heftigen Schlag mit der Faust ins Gesicht versetzte, wodurch einer der Geschädigten seine Zahnprothese im Wert von 1.000 Euro vollständig einbüßte und auch heute noch unter Problemen bei der Nahrungsaufnahme leidet.
4
Das Landgericht hat wegen der Körperverletzungstaten Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monaten bzw. sechs Monaten, wegen der Erpressungsta- ten solche von (zweimal) fünf Jahren sechs Monaten, sechs Jahren drei Monaten bzw. sechs Jahren sechs Monaten verhängt.
5
2. Dem Urteil des Landgerichts Rostock vom 18. Juni 1999, durch das der Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Festsetzung von Einzelstrafen in Höhe von sechs Jahren sechs Monaten sowie acht Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde, liegt im Wesentlichen folgendes Tatgeschehen zu Grunde:
6
Die beiden Taten dienten dem Angeklagten zur gewaltsamen Beschaffung elektronischer Geräte bzw. von Betäubungsmitteln. In beiden Fällen verschaffte er sich maskiert, mit einer Schreckschusswaffe ausgerüstet und von einem bzw. zwei ebenfalls maskierten Mittätern begleitet, die in einem Fall ihrerseits mit einem Schlagring, einem bajonettartigen Messer und einem Baseballschläger bewaffnet waren, gewaltsam Zugang zu den Wohnungen der Tatopfer. Dort bedrohten und beleidigten sie die Anwesenden – jeweils einverständlich – nicht nur in massiver Form, sondern misshandelten sie unter Verwendung der mitgeführten Waffen bzw. Gegenstände äußerst brutal, um ihren Forderungen den nötigen Nachdruck zu verleihen, und verletzten die Opfer teilweise schwer; in einem Fall führte der – vom gemeinsamen Tatentschluss allerdings nicht umfasste – Einsatz des Messers durch einen der Mittäter zum Tod eines der Tatopfer.
7
3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2, 3 Satz 1 StGB in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung bejaht und, insoweit sachverständig beraten, auch die materiellen Voraussetzungen für die Maßregelanordnung als erfüllt angesehen. Von dem Angeklagten seien weiterhin schwerwiegende Straftaten zu erwarten. Seine „mehr oder weniger“ progrediente kriminelle Fehlentwicklung als Hangtäter habe in der schweren Raubstraftat im Jahr 1998 ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden; in dieser Tat sei die aggressive und antisoziale Einstellung des Angeklagten bereits deutlich hervorgetreten. Die nachfolgende Verurteilung und die langjährige Strafhaft hätten keine Verhaltensänderung bewirkt; vielmehr habe er sich nach der Haftentlassung nur kurze Zeit rechtstreu verhalten, dann seinen Drogenkonsum fortgesetzt und den Kontakt zu seiner Bewährungshelferin abgebrochen. Sein Verhalten sei von hoher Deliktfrequenz und ebenso hoher Rückfallgeschwindigkeit gekennzeichnet: Es sei bei ihm von einem eingeschliffenen kriminellen Verhaltensmuster auszugehen.

II.


8
Diese Begründung hält unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. muss die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergeben, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder durch die schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es wegen der derzeit verfas- sungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ , wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. Die Anordnung wird danach „in der Regel“ nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 aaO, Tz. 172). Die darin liegende Einschränkung im Vergleich zu den nach bisherigem Recht geltenden Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung betrifft die Straftatenkataloge und die konkrete Beschreibung der Straftaten, auf die sich der Hang beziehen muss. Nicht alle „er- heblichen Straftaten“, durch welche die Opfer „seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F. bzw. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB), sind auch „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ im Sinne der Anord- nung des Bundesverfassungsgerichts zur Weitergeltung von § 66 StGB (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, Tz. 12).
10
2. a) Gemessen daran erweist sich die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung als nicht hinreichend begründet.
11
Der Senat entnimmt der vom Bundesverfassungsgericht geforderten strengen Prüfung der Verhältnismäßigkeit allerdings nicht, dass hinsichtlich der Taten, deren künftige Begehung durch den Täter als möglich erscheint, bestimmte Deliktsgruppen oder Begehungsweisen vom Anwendungsbereich des § 66 StGB schlechthin ausgenommen sind. Jedenfalls sind schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend „schwere Straftaten“ im vorstehenden Sinne anzusehen (BGH, Beschluss vom 4. August 2011 – 3 StR 235/11, StV 2011, 673, Tz. 6 m.w.N.; einschränkend BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 305/11, Tz. 13 ff.). Das muss erst recht für Taten wie die im angefochtenen Urteil abgeurteilten Fälle der besonders schweren räuberischen Erpressung gelten, insbesondere dann, wenn der Täter sein Opfer durch den Einsatz einer Waffe in Todesangst versetzt.
12
b) Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt indes vom Tatrichter eine auf die Umstände des Einzelfalles zugeschnittene, detaillierte Darlegung derjenigen Taten, die in Zukunft vom Täter zu erwarten sind. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
13
Die Urteilsgründe enthalten zwar eine Wiedergabe der Einschätzung der medizinischen Sachverständigen und eine Darlegung des Lebensweges des Angeklagten unter Berücksichtigung seiner Delinquenzentwicklung. Bei der Gesamtwürdigung beschränkt sich das Landgericht jedoch auf die Formulierung, vom Angeklagten seien auf Grund eines eingeschliffenen Verhaltensmusters, das ihn „immer wieder neue Straftaten begehen“ lasse, „erheblicheStraftaten“ zu erwarten, namentlich solche, „durch welche die Opfer seelisch oder körper- lich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden ange- richtet wird“. Diese bloße Wiedergabe des – im Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits überholten – Gesetzestextes vermag die erforderliche einzelfallbezogene Darlegung der vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht zu ersetzen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin
5 StR 267/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 9. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 21 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 77 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Jugendlicher in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs Jugendlicher in 33 Fällen und wegen Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte in der Zeit von Mitte Juni 2002 bis Oktober 2007 an 16 Jungen im Alter zwischen elf und 15 Jahren – oftmals gegen Entgelt – sexuelle Handlungen unterschiedlichen Ausmaßes bis hin zum wechselseitigen Oralverkehr vor.
3
Das Landgericht hat Einzelstrafen zwischen sechs Monaten und vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verhängt. Das Vorliegen minder schwerer Fälle hat es in allen in Betracht kommenden Fällen verneint. Ferner hat es die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen.
4
2. Die Einwendungen gegen den Schuldspruch sind unbegründet. Auch die Zumessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe hält sachlichrechtlicher Überprüfung stand. Insbesondere besorgt der Senat trotz wiederholter uneingeschränkter Erwähnung noch nicht, dass das Landgericht im Rahmen der Einzel- und Gesamtstrafbildung im Nachhinein erkennbar gewordene schwere psychische Schäden von Tatopfern sowie den besonderen Aufwand und das systematische Vorgehen, durch das der Angeklagte die Jungen an sich gebunden hatte, zu weitgehend zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, ferner die Strafen nicht ausreichend differenziert und unter teilweise zu weitreichender Anlastung krimineller Energie gebildet hätte (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 661).
5
3. Indes hält die Begründung des Maßregelausspruchs – ungeachtet der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF, welche die Strafkammer noch nicht berücksichtigen konnte – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Strafkammer begründet ihre Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2, 3 Satz 2 StGB aF maßgebend auch damit, dass der Angeklagte seine Taten „bagatellisiere und aufgrund seiner histrionischen Persönlichkeit sein eigenes Verhalten schönfärbe, so dass eine ech- te Einsicht in sein Fehlverhalten nicht zu erkennen“ sei. Diese und weitere Erwägungen zur Einlassung des Angeklagten (UA S. 240 f.) lassen besorgen , dass die Strafkammer bei der Prüfung des Hangs und im Rahmen der Gefahrenprognose sowie der Ermessensentscheidung zulässiges Verteidigungsverhalten zu dessen Nachteil verwertet hat. Bei der Verwendung der Begriffe der Bagatellisierung oder der mangelnden Einsicht hat es nämlich nicht etwa auf eine Geringschätzung eingestandenen Unrechts abgestellt, sondern im Wesentlichen das Bestreiten von die Strafbarkeit begründenden und das Behaupten von schuldmindernden tatsächlichen Umständen herangezogen. Der Versuch eines Angeklagten, das ihm vorgeworfene Verhalten sachlich anders darzustellen oder wegen tatsächlicher Umstände in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, stellt indessen zulässiges Verteidigungsverhalten dar (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270), das ihm im Zuge der Maßregelanordnung nicht angelastet werden darf (BGH, Beschlüsse vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11; vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482; vom 13. November 2007 – 3 StR 341/07, StV 2008, 301; vom 25. Februar2000 – 2 StR 555/99, StV 2002, 19; Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, NJW 1992, 3247). Andernfalls wäre der Angeklagte ge- zwungen, seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, will er hinsichtlich der Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2000 aaO).
7
4. Das neue Tatgericht wird bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und für verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung bis zum 31. Mai 2013 fort; die Regelungen dürfen aber nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden (BVerfG aaO). In der Regel wird die Verhältnismäßigkeit nur dann gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (BVerfG aaO Rn. 172; BGH, Urteile vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11, und vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11). Ein entsprechend strenger Maßstab ist demnach sowohl hinsichtlich der Erheblichkeit der Taten als auch bei der Prüfung der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung anzulegen (BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11; Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11).
8
Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB können im Hinblick auf die hohe Strafdrohung und die für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen grundsätzlich – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – als schwere Sexualstraftaten im vorgenannten Sinn bewertet werden (vgl. zur Vergewaltigung BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11). Ob die Gefahr künftiger Begehung gerade solcher Taten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Angeklagten abzuleiten ist, wird das neue Tatgericht namentlich unter Berücksichtigung der langen Dauer der Untersuchungshaft sowie der erstmaligen Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe sorgsam zu prüfen haben.
Basdorf Schaal Schneider König Bellay
5 StR 189/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. September 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 3. Januar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 13 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. In der Zeit von Ende 2000 bis Anfang 2010 nahm der Angeklagte an vier Kindern – zwei Jungen und zwei Mädchen – im Alter zwischen sechs und 13 Jahren, die in seinem Haushalt lebten und ihm zur Betreuung anvertraut waren, unterschiedlich intensive Sexualhandlungen vor.
3
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF angenommen. Die formellen Voraussetzungen der Vorschrift seien erfüllt, darüber hinaus weise der Angeklagte auch den notwendigen Hang zu erheblichen Straftaten auf, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, weshalb er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
4
2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuld- und Strafausspruch ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
a) Das gilt auch für die Verfahrensrüge, die erkennende Jugendschutzkammer sei mit nur zwei Berufsrichtern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 1 StPO).
6
aa) Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Beschwerdeführer zwei Anklagen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in insgesamt mehr als 100 Fällen zum Nachteil der vier Kinder erhoben. Beide Anklagen wurden durch die Jugendschutzkammer verbunden und unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen; es wurden die reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG angeordnet und zunächst sieben Hauptverhandlungstermine anberaumt. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO wurde nicht erhoben.
7
Weder Anklageschriften noch Eröffnungsbeschluss setzten sich mit einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auseinander. Ein entsprechender rechtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO erging erst am siebten Hauptverhandlungstag, nachdem am vorherigen Verhandlungstag die Schlussvorträge gehalten worden waren, ohne jeweils auf eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einzugehen, und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden war. Die Strafkammer beraumte weitere fünf Hauptverhandlungstage an und bestellte einen Sachverständigen zur Exploration des Angeklagten.
8
bb) Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG hat die große Strafkammer die Entscheidung, dass sie die Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung durchführt, bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen. Eine Besetzungsentscheidung kann grundsätzlich nicht mehr geändert werden, wenn sie im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzesgemäß war; eine nachträglich eingetretene Änderung des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache ist deshalb regelmäßig nicht geeignet, eine der geänderten Verfahrenslage angepasste neue Besetzungsentscheidung zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 – 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333, und Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 199/03, NJW 2003, 3644, 3645, und vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169). Hierdurch wird – de lege lata auch im Einklang mit § 6a StPO – sichergestellt, dass Verfahrensbeteiligte nicht durch entsprechende Antragstellungen nach einer einmal gefassten Besetzungsentscheidung Einfluss auf die Schwierigkeit und den Umfang der Sache und damit auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters nehmen können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 aaO).
9
Nur ausnahmsweise kann der Grundsatz der Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung durchbrochen werden. Solches regelt § 222b StPO bei einem begründeten Besetzungseinwand (vgl. dazu insbesondere BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – 3 StR 567/08, BGHSt 53, 169) oder § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG für Fälle der Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht. Die Besetzungsentscheidung kann schließlich vom Gericht – vor Eintritt in die Hauptverhandlung – korrigiert werden, wenn sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar und damit objektiv willkürlich getroffen worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 31.
August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss

8).


10
cc) Das Revisionsvorbringen muss danach erfolglos bleiben. Zwar wird der mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verbundene besonders tiefe Eingriff in die Grundrechte eines Angeklagten es in der Regel – im Gleichklang mit der gesetzlich zwingenden Besetzung der Schwurgerichtskammer mit drei Berufsrichtern und mit § 74f Abs. 3 GVG – angezeigt erscheinen lassen, bei Entscheidungen nach § 66 StGB von der Möglichkeit der Besetzungsreduktion abzusehen und wegen ihrer strukturellen Überlegenheit in einer Dreierbesetzung zu verhandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 4; Rieß in Festschrift Schöch [2010], S. 895, 912; Heß/Wenske, DRiZ 2010, 262, 268 und ferner Begründung zu Artikel 1 Ziffer 4 des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Die Rüge bleibt hier aber wegen des fehlenden Besetzungseinwands nach § 222b StPO präkludiert. Die mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung war angesichts der Vielzahl und Schwere der angeklagten Taten und ihrer Begehung zum Nachteil mehrerer Kinder für alle Verfahrensbeteiligten ungeachtet fehlender Ausführungen in der Anklageschrift und im Eröffnungsbeschluss ersichtlich auch nicht etwa fernliegend; neue Vorwürfe, etwa im Wege einer weiteren Verfahrensverbindung, sind nicht Verfahrensgegenstand geworden. Der Senat kann es deshalb dahinstehen lassen, ob – mit dem Revisionsvorbringen – eine derart veränderte Verfahrenslage während laufender Hauptverhandlung überhaupt eine nachträgliche Korrektur der ursprünglichen Besetzungsentscheidung ermöglichen, etwa über eine unerlässliche Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO erzwingen kann.
11
b) Einer Entscheidung über die von der Revision ebenfalls beanstandete Verletzung des § 265 StPO bedarf es bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation nicht.
12
Die Voraussetzungen des § 265 Abs. 3 StPO lagen mangels veränderter Tatsachengrundlage (oben a) nicht vor. Zu prüfen bleibt, ob für das Landgericht etwa ein zwingender Anlass für eine Verfahrensaussetzung in mindestens entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 4 StPO bestanden hätte – was anschließend einen Neubeginn der Hauptverhandlung nach Änderung der Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 GVG nahegelegt hätte (nach den Grundsätzen von BGH, Beschluss vom 31. August 2010 – 5 StR 159/10, BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 8; vgl. ferner § 76 Abs. 5 Alternative 2 GVG-E in der Fassung des Entwurfs eines Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung vom 5. September 2011, BT-Drucks. 17/6905). Dafür mögen das Gewicht und der späte Zeitpunkt des Hinweises nach § 265 Abs. 2 StPO sprechen, dagegen freilich der Umstand, dass auch die Revision keinen konkreten Aufklärungsmangel – etwa im Wege einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – durch die späte Erstreckung der Hauptverhandlung auf die Zuziehung eines Sachverständigen nach § 246a StPO oder ein konkretes Verteidigungsdefizit durch unzureichende Vorbereitung vorbringt. Die Frage kann letztlich offen bleiben.
13
Gegenstand der nach Ablehnung des Aussetzungsantrags der Verteidigung fortgesetzten Beweisaufnahme war hier allein noch die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Schuld- und Strafausspruch durch das Ergebnis der fortgeführten Hauptverhandlung zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst worden wären. Deshalb und mit Blick auf den Schutzzweck des § 265 StPO ist ein über die Aufhebung des Maßregelausspruchs hinausreichender Erfolg der Verfahrensrüge auszuschließen; dieser wird hier indes schon durch die Sachrüge erreicht (vgl. nachfolgend 3).
14
Nichts anderes gilt im Blick auf den Umstand, dass die Verfahrensrüge naheliegend jedenfalls mit der Stoßrichtung hätte Erfolg haben müssen, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise den Aussetzungsantrag des Beschwerdeführers in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung beschieden. Auch insoweit bleiben die Belange des Angeklagten durch den Erfolg der Sachrüge umfassend gewahrt.
15
3. Die Begründung des Maßregelausspruchs hält – insbesondere unter Berücksichtigung der Maßgaben der durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2011 (NJW 2011, 1931 ff.) erlassenen Weitergeltungsanordnung zu § 66 Abs. 2 StGB aF – sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Das sachverständig beratene Landgericht nimmt – insoweit nachvollziehbar – an, dass sich beim Angeklagten über einen langen Zeitraum hinweg eine pädophile Störung verfestigt habe und an verschiedenen Kindern beiderlei Geschlechts ausgelebt worden sei. Der Angeklagte gehe mit seiner pädophilen Störung „unehrlich“ um, was prognostisch ungünstig einzuschätzen sei. Angesichts des breiten Spektrums der Geschädigten bestehe im Hinblick auf eine ohnehin anzunehmende verhältnismäßig hohe Rückfallrate bei wegen Kindesmissbrauchs verurteilten unbehandelten Tätern bei dem Angeklagten ein noch ungleich höheres Risikopotential und damit eine „nicht unerhebliche Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art“ (UA S. 32). Mit Blick auf das Streben des Angeklagten, „sich mit Kindern zu umgeben und diese zu missbrauchen“, hat die Strafkammer „nach Abwägung aller Umstände die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung für notwendig und unumgänglich erachtet“ (UA S.

32).


17
b) Die Ausführungen zur Gefährlichkeit lassen besorgen, dass die Strafkammer, dem Sachverständigen folgend, den unehrlichen Umgang des Angeklagten mit seiner pädophilen Störung aus seinem Bestreiten der Taten geschlossen, damit aber die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1992 – 2 StR 277/92, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hang- oder gefahrbegründend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, StV 2011, 482 mwN). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet („unehrlicher Umgang“), ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 – 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8). Zudem begegnet schon die Formulierung einer – lediglich – „nicht unerheblichen“ Gefahr für weitere Straftaten vergleichbarer Art Bedenken.
18
c) Die Urteilsgründe lassen überdies nicht hinreichend deutlich erkennen, dass und aus welchen Gründen von der Ermessensbefugnis nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB aF Gebrauch gemacht wurde.
19
aa) Das Tatgericht muss im Rahmen der Ermessensausübung erkennbar auch diejenigen Umstände erwägen, die gegen die Anordnung der Maßregel sprechen können. Das gilt vor allem für den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift, dem Tatgericht die Möglichkeit zu geben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit soll dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF Rechnung getragen werden, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung nicht vorausgesetzt werden. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung regelmäßig zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f. mwN; ferner BGH, Beschlüsse vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11, aaO, und vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
20
bb) Einer Überprüfung an diesem Maßstab hält die Begründung des angefochtenen Urteils bislang nicht stand. Die möglichen Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf den 49 Jahre alten Angeklagten hat die Strafkammer bei ihrer Ermessensausübung unerörtert gelassen. Das Tatgericht hat sich damit nicht nur den Blick auf mögliche, mit dem fortschreitenden Lebensalter einhergehende Verhaltensänderungen beim Angeklagten verstellt, sondern auch darauf, dass sich nunmehr durch den erstmaligen Vollzug einer längeren Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer langfristigen Therapie bietet. Auch aus der Tatsache, dass sich der Angeklagte bereits im Jahre 2003 einem – mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellten – Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgesetzt sah und ihn dies nicht von dem „weiteren Vollzug“ gleich gelagerterHandlungen abgehalten hat, kann nicht zwingend auf die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs geschlossen werden.
21
d) Das neue Tatgericht wird – naheliegend nunmehr in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 2 Satz 2 GVG) – bei seiner Entscheidung über den Maßregelausspruch die Maßgaben des vorstehend genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (aaO) zu beachten haben. Danach gelten die hier anzuwendenden und als verfassungswidrig erklärten Vorschriften über die Sicherungsverwahrung zeitlich bis zum 31. Mai 2013 begrenzt fort. Der Senat entnimmt der hierfür verfassungsrechtlich notwendigen „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“ (BVerfG aaO, S. 1946 Rn. 172) in Übereinstimmung mit dem 3. Strafsenat (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11) das Erfordernis eines strengen Maßstabs sowohl bei der Erheblichkeit zu erwartender Straftaten als auch bei der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung. Ein solcher erfordert jedenfalls, dass die Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist (vgl. BGH aaO; ferner Urteil vom 7. Juli 2011 – 5 StR 192/11 – und Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11).
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 12/11
vom
5. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. c) und 2. auf dessen Antrag - am
5. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 22. Juli 2010
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 16 Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen schuldig ist;
b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den drei Fällen des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Nebenklägerin W. (jeweils Einführen einer Kerze in den Randbereich des Anus u.a.) und über die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten;
c) im Ausspruch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin W. dadurch ent- standenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Angeklagte hat die der Nebenklägerin K. durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in 16 Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet; von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten in den drei Fällen des sexuellen Miss- brauchs zum Nachteil der Nebenklägerin W. (jeweils Einführen einer Kerze in den Randbereich des Anus u.a.) jeweils auch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt hat; denn die Feststellungen belegen nicht, dass die Nebenklägerin dem Angeklagten bereits zum Zeitpunkt dieser Taten zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut war.
3
a) Ein die Anforderungen des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllendes Anvertrautsein setzt ein den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich erfassendes Abhängigkeitsverhältnis des Jugendlichen zu dem Betreuer im Sinne einer Unter- und Überordnung voraus (BGH, Beschluss vom 21. April 1995 - 3 StR 526/94, BGHSt 41, 137, 139); entscheidend ist, ob nach den konkreten Umständen ein Verantwortungsverhältnis besteht, kraft dessen dem Täter das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2003 - 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661).
4
b) Ein derartiges Obhutsverhältnis ist den Urteilsgründen für die Tatzeit im März 2008 nicht zu entnehmen. Danach war die Nebenklägerin zwar sehr oft bei der Zeugin K. und dem Angeklagten zu Besuch; dieser kümmerte sich um sie, machte die Wäsche und half ihr bei den Hausarbeiten. Allein diese Umstände genügen jedoch auch bei Berücksichtigung des Alters der Nebenklägerin nicht zur Begründung eines dem Schutzzweck des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB entsprechenden Abhängigkeitsverhältnisses. Ein solches entstand vielmehr erst nach Pfingsten 2008, als die Nebenklägerin ganz bei der Zeugin K. und dem Angeklagten lebte und dieser sich nunmehr auch um ihre Erziehung kümmerte , mithin den der Norm unterfallenden Pflichtenkreis tatsächlich übernahm (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 1967 - 1 StR 595/65, BGHSt 21, 196, 201 f.; Urteil vom 5. November 1985 - 1 StR 491/85, BGHSt 33, 340, 344 f.).
5
c) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die bereits für März 2008 ein Obhutsverhältnis in dem dargelegten Sinne belegen; er ändert deshalb in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch selbst ab. § 265 StPO steht nicht entgegen; denn der Angeklagte hätte sich gegen den alleinigen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
6
2. Der Wegfall des vom Landgericht angenommenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in den genannten Fällen führt zur Aufhebung der jeweiligen Einzelfreiheitsstrafen; denn das Landgericht hat ausdrücklich die tateinheitliche Verwirklichung dieses Delikts strafschärfend berücksichtigt. Aufgrund des Wegfalls der drei Einzelfreiheitsstrafen kann auch die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben. Die zugehörigen Strafzumessungstatsachen werden allerdings durch den aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen durch das neue Tatgericht, die den bisherigen nicht widersprechen, sind zulässig.
7
3. Die auf § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu u.a. ausgeführt : "Zur Begründung des Hangs hat die Kammer eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und der Taten vorgenommen (UA S. 52 ff.). Die starke Neigung zu pädosexuellen Handlungen begründet die Strafkammer dabei auch mit dem Einlassungsverhalten des Angeklagten: Die Betonung der eigenen Anteile des Opfers und des Guten, das er auch getan habe, sowie die Uneinsichtigkeit des Angeklagten seien Merkmale, die das eingeschliffene Verhaltensmuster kennzeichnen (UA S. 55 f.). Bei der Begründung der Gefährlichkeit lastet das Tatgericht - dem Sachverständigen folgend - dem Angeklagten seine fehlende Verantwortungsübernahme und dessen verformte Realitätswahrnehmung an, weil er stets die Nebenklägerin W. als die eigentliche Täterin dargestellt und sämtliche Schuld bei ihr gesehen habe (UA S. 56). Bei der Annahme, dass sich der Angeklagte in Zukunft weiterer erheblicher Taten nicht enthalten kann, hat die Strafkammer zur Begründung auf das unbelehrbare Verhalten des Angeklagten, seine Projektion seiner Schuld auf andere sowie den Mangel an Einsicht abgestellt (UA S. 58). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des - hier jedenfalls nicht voll geständigen - Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf nicht hangbegründend verwertet werden (BGH NStZ 2001, 595, 596; 2010, 270, 271; …). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 9, 10). Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10). Diese Grenze zu einer verbotenen oder auch nur die Belange der Geschädigten grob missachtenden Verteidigungsstrategie ist hier jedoch noch nicht überschritten."
8
Dem stimmt der Senat zu.
9
4. Sollte das neue Tatgericht die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB aF gegen den 68 Jahre alten Angeklagten auch ohne Berücksichtigung von dessen zulässigem Verteidigungsverhalten erneut bejahen, weist der Senat zur pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens auf Folgendes hin:
10
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken , sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 StGB - im Gegensatz zu Abs. 1 - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f. mwN). Dies gilt entsprechend auch für § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB.
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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

6
4. Hinsichtlich des Ausspruchs über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vor der Maßregel und seiner Bemessung weist der Senat auf folgendes hin: Die erlittene Untersuchungshaft ist gemäß § 51 StGB von der Vollstreckungsbehörde auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Strafteil anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1991 – 4 StR 121/91, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweise 8); dieser ist daher im Urteilstenor grundsätzlich nicht um die Dauer der bisherigen Untersuchungshaft zu kürzen. Die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat allerdings zu unterbleiben, wenn sich der mögliche Vorwegvollzug durch die vom Angeklagten seit seiner Festnahme erlittene Polizei- und Untersuchungshaft bereits erledigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober2007 – 2 StR 354/07, NStZ 2008, 212, 213).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 376/11
vom
28. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. September 2011
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 28. April 2011 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Vollziehung von einem Jahr und einem Monat der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt angeordnet wird. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Der Senat hat entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts die sich zutreffend aus den Urteilsgründen ergebende Dauer des Vorwegvollzugs der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe vor der sich anschließenden Unterbringung im Tenor berichtigt, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft die vom Beschwerdeführer bereits erlittene Untersuchungshaft von dem vorweg zu vollstreckenden Teil der Strafe in Abzug gebracht hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 - 2 StR 487/09).
Fischer Appl Schmitt Krehl Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 17/11
vom
28. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. Juni 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten Muhammed Y. und Yunus Y. gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 20. September 2010 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Revision des Angeklagten Tolga Ö. gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 20. September 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der erkannten Freiheitsstrafe ein Jahr und drei Monate vor der Maßregel zu vollziehen sind. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzugs bei dem Angeklagten Ö. § 67 Abs. 2 StGB Rechnung tragen wollen. Daraus folgt jedoch, dass zunächst ein Jahr und drei Monate der erkannten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Erst danach ist bei einer zu erwartenden Therapiedauer von zwei Jahren der Halbstrafenzeitpunkt von drei Jahren und drei Monaten erreicht (§ 67 Abs. 2 Satz 3 StGB).
Eine Kürzung der Dauer des angeordneten Vorwegvollzugs um die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft ist dabei nicht zulässig (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171, 172; Beschluss vom 25. Februar 2009 - 5 StR 22/09, BeckRS 2009, 8265). Da die sachverständig beratene Kammer rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Therapie voraussichtlich zwei Jahre dauern wird, konnte der Senat analog § 354 Abs. 1 StPO die Dauer des Vorwegvollzugs selbst festlegen. Der Angeklagte ist dadurch nicht beschwert (BGH, Beschluss vom 9. August 2007 - 4 StR 283/07, NStZ-RR 2007, 371, 372). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ernemann Roggenbuck Franke Bender Quentin

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.