Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2013 - 2 StR 128/13

bei uns veröffentlicht am13.08.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 128/13
vom
13. August 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. August 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 12. Dezember 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat angeordnet, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Beschuldigte aufgrund einer zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Körperverletzungsde- likte in einem Zustand, in dem „nicht auszuschließen“ sei, dass seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war (§ 20 StGB); „unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes“ hat das Landgericht hingegen „gesichert“ festgestellt, „dass der Beschuldigte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ge- wesen sei (§ 21 StGB)“ (UA S. 19). Infolge seines Zustands seien auch in Zu- kunft von dem Beschuldigten, der aufgrund seines „systematischen Wahns“ (UA S. 21) keine Krankheitseinsicht zeige und jede medizinische Behandlung ablehne, “ähnlich gelagerte Gewaltdelikte“ (UA S. 20) zu erwarten.
3
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4
Allein die Diagnose einer Schizophrenie führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. auch Senatsbeschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307 mwN). Erforderlich ist stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Strafkammer darauf abstellt, dass „insbesondere der paranoid-halluzinatorische Einschlag der Psychose des Beschuldigten für diesen den Zwang verursacht habe, sich im Rahmen seiner paranoiden Wahr- nehmung zu wehren“ (UA S. 19),ist eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nicht ausreichend klar dargelegt.
5
Bei akuten Schüben einer Schizophrenie ist in der Regel davon auszugehen , dass der Betroffene schuldunfähig ist, weil bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146 mwN; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Bei erhaltener Unrechtseinsicht kann zwar auch (allein) die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 278/10). Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist aber erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat eingesehen hat oder einsehen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2012 – 3 StR 304/12 und vom 9. September 1986 – 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, stellen hingegen die Ausnahme dar (vgl. Senat, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Das Landgericht hat sich erkennbar nicht mit solchen Fallkonstellationen auseinandergesetzt.
6
Die Unterbringungsanordnung kann auch nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, aaO). Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB bedarf daher insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter.
7
3. Sollte gemäß § 416 Abs. 2 StPO das Sicherungsverfahren in das Strafverfahren überzuleiten sein (zur Möglichkeit einer Überleitung nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 416 Rn. 5 mwN), wird auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hingewiesen. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2013 - 2 StR 128/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2013 - 2 StR 128/13

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2013 - 2 StR 128/13 zitiert 7 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 416 Übergang in das Strafverfahren


(1) Ergibt sich im Sicherungsverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Schuldfähigkeit des Beschuldigten und ist das Gericht für das Strafverfahren nicht zuständig, so spricht es durch Beschluß seine Unzuständigkeit aus und verweist die Sache

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Dez. 2012 - 4 StR 417/12

bei uns veröffentlicht am 19.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 417/12 vom 19. Dezember 2012 in der Strafsache gegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19.

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bei uns veröffentlicht am 29.05.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 139/12 vom 29. Mai 2012 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. Mai 2012 gemäß § 349 Abs.
5 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Aug. 2013 - 2 StR 128/13.

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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 139/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Mai 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des in zwei Fällen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steue- rungsfähigkeit auf motivationaler Ebene vollständig aufgehoben waren (§ 20 StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und des dadurch bedingten Wahnerlebens seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten , auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Maßregelvollzuges erfolgen.
3
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4
Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat (BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1; Fischer StGB 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch BGH NStZRR 2006, 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.
5
Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, StraFo 2004, 390 mwN). Die Strafkammer schließt sich insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs - und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden "Wahnerlebens" (UA S. 18) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in (vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" (UA S. 19), wird dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten , der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde, mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.
6
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2011, 55 mwN).
Fischer Berger Krehl Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 417/12
vom
19. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte leidet an einer schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entwickelt hat und seit dem Jahr 2009 ausgeprägt vorliegt. Neben formalen und inhaltlichen Denkstörungen treten massive Affektstörungen und paranoide Symptome auf. Die Persönlichkeit des Angeklagten weist dar- über hinaus autistische Züge auf. Auf Grund eines sog. „Liebeswahns“nimmt er die Beziehung zu einer Frau vollkommen irreal wahr. Deren für jedermann ersichtliche Abwehrhaltung deutet er als ein Zeichen von Zuneigung. Die paranoide Symptomatik kommt darin zum Ausdruck, dass er sich sehr leicht angegriffen fühlt und dann aggressiv reagiert. Im Affekt zeigen sich Auffälligkeiten im Sinne einer situativ auslösbaren Aggressivität und Explosivität. Es kommt zu unangemessenen affektiven Reaktionen. Kritikfähigkeit, Realitätsprüfung und Empathiefähigkeit fehlen völlig. Insgesamt bietet er das Bild eines hochgradig verschrobenen, bizarr wirkenden, autistischen und chronischen Schizophrenen (UA S. 23). Das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB ist erfüllt. Nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts war der Angeklagte bei Begehung der verfahrensgegenständli- chen Taten „bei abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ in seiner Steuerungs- fähigkeit erheblich vermindert. Bei den Taten zum Nachteil der Zeugin V. (Nebenklägerin) beruhe dies auf dem stark ausgeprägten Liebeswahn, hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin B. und der Polizeibeamten auf paranoidem Erleben und Störungen des Affekts.
4
Taten im Zusammenhang mit der Nebenklägerin (Fälle III. 1 a und b)
5
a) Tatzeitraum vom 20. Mai 2009 bis 3. März 2011
6
In einer Vielzahl von Fällen parkte der Angeklagte seinen Pkw in der Nähe der Wohnung der Nebenklägerin und beobachtete diese. Als die Nebenklägerin an einem Tag zur Bank fahren wollte, verfolgte sie der Angeklagte mit seinem Pkw über einen Zeitraum von ca. einer Stunde, wobei er immer wieder dicht und bedrängend auffuhr. In dem Tatzeitraum warf der Angeklagte mindestens 22 Briefe persönlich in den Briefkasten der Nebenklägerin ein, in denen er in konfuser und zum Teil bedrohlicher Art zum Ausdruck brachte, dass die Zeugin und er füreinander bestimmt seien. Sie habe sich seinem Willen unterzuordnen. Er habe ein moralisches Recht auf die Nebenklägerin, die sein Lebenselixier sei. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 untersagte das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung, sich der Nebenklägerin, ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Der Angeklagte empfand den Antrag auf Anordnung eines Näherungsverbotes nicht als Ablehnung seiner Person, sondern reagierte erfreut , weil ihm dies aus seiner Sicht zeigte, dass die Nebenklägerin sich mit ihm beschäftigte. Fortan war er nahezu ständig präsent. Unter anderem wartete er am Bahnsteig, als die Nebenklägerin von einer Geschäftsreise zurückkehrte. Anlässlich einer Fahrradfahrt, die die Nebenklägerin unternahm, stellte sich der Angeklagte auf einsamer Strecke plötzlich und unerwartet in den Weg. Ab Februar 2011 begann der Angeklagte, auch den Bereich der Arbeitsstelle der Ne- benklägerin aufzusuchen, schrieb einen Brief an deren Arbeitgeber und beobachtete stundenlang das Firmengebäude.
7
Am 9. Oktober 2010 trafen die Polizeibeamten K. und D. den Angeklagten in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Nebenklägerin an und wollten eine Personalienfeststellung durchführen. Als der Polizeibeamte K. den eine ablehnende Haltung einnehmenden Angeklagten am Arm fasste, drehte sich dieser abrupt um und holte mit dem Arm zum Schlag aus. Er wurde daraufhin fixiert und zur Wache verbracht. Als die Polizeibeamtin D. versuchte , dem Angeklagten die Schuhe auszuziehen, trat er ihr gegen den linken Unterarm. Dabei erlitt die Beamtin Hautabschürfungen.
8
b) Tatzeitraum vom 11. August 2011 bis 27. November 2011
9
Wegen Zuwiderhandlung gegen das mit Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 28. Oktober 2010 angeordnete Näherungsverbot wurde gegen den Angeklagten am 1. März 2011 Ordnungshaft verhängt, die er in dem Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 7. August 2011 verbüßte. Nach Vollzug der Ordnungshaft intensivierte er seine Annäherungshandlungen gegenüber der Nebenklägerin. Bis zu der am 2. Dezember 2011 beginnenden erneuten Ordnungshaft erhielt sie nahezu täglich Briefe des Angeklagten, deren Inhalte zunehmend bizarrer wurden. Am 15. August 2011 verfolgte er die Nebenklägerin mit dem Fahrrad, als diese einen Bekannten aufsuchte. Am 16. und 18. August 2011 stand er gut sichtbar vor ihrem Wohnhaus und am 24. August 2011 hielt er sich auf dem Gelände des Arbeitgebers der Nebenklägerin auf, so dass diese ihn wahrnehmen musste. Mit Briefen vom 31. August und 4. September 2011 übersandte er eine Damenquarzuhr bzw. drei Musik-CDs als Geschenke. Ebenfalls am 4. September 2011 warf er einen ausführlichen Brief, dem Glüh- birnen für die Kfz-Beleuchtung beigefügt waren, in den Briefkasten der Arbeitsstelle der Nebenklägerin. In einem Brief vom 7. September 2011 pries er – wie häufig – das Aussehen der Nebenklägerin und entwickelte eine abstruse For- mel, in der er den „Schönheitsfinanzierungsidealwert“ ihrer „Emanzipationsfeminisierungsautoselbstfahrfreizeitlichkeitsrealitätsperson“ zu dem Gesamtge- wicht der Erde in „imaginären 1039 DM-Scheinen“ in Relation setzte. Ferner teilte er mit, dass er „das Recht“ habe,sie und ihren Sohn J. „entlästigend umsonst zu erhalten“ (UA S. 17).
10
Am 10. September 2011 begab sich der Angeklagte wiederum zum Wohnhaus der Nebenklägerin, die daraufhin die Polizei benachrichtigte. Die Polizeibeamten Kl. und S. trafen den Angeklagten ca. 150 Meter von der Wohnung der Nebenklägerin entfernt an und forderten ihn auf, sich zu entfernen. Dies verweigerte der Angeklagte. Er wurde aggressiv und fing zu schreien an, wobei er den Polizeibeamten S. als „dämlich“ bezeichnete. Nach Ingewahrsamnahme des Angeklagten weigerte er sich, in den Zellentrakt zu gehen und sperrte sich dagegen, indem er sich wegdrehte und stehen blieb. Die Polizeibeamten brachten ihn schließlich „gegen seinen Widerstand“ in eine Zelle und zogen dem sich sträubenden Angeklagten die Schuhe aus. Am 21. September 2011 trafen ihn die Polizeibeamten Kl. und D. beim Einwerfen eines Briefes in den Hausbriefkasten der Nebenklägerin an. Zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises wurde der aggressiv reagierende Angeklagte auf die Polizeiwache Wanne-Eickel verbracht. Dort spuckte er auf das Hemd des Polizeibeamten Kl. .
11
Zu den Tatfolgen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
12
Die Nebenklägerin ist durch die Handlungen des Angeklagten psychisch und physisch erheblich beeinträchtigt (Schlafstörungen, Panikattacken, Unruhezustände , Atemnot, schwere Magen-Darmprobleme, Tinnitus). Sie nimmt seit ca. Oktober 2009 in akuten Phasen Anti-Depressiva ein und hat sich in therapeutische Behandlung begeben. Auf Grund psychosomatischer Beschwerden entwickelte sie Essstörungen, die zu einer Gewichtsabnahme führten. Zeitweise konnte sie auf Grund ihres Gesundheitszustandes ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen und war in drei Fällen für mehrere Tage arbeitsunfähig. Bevor sie abends nach Hause zurückkehrte, erkundigte sie sich zunächst telefonisch bei Nachbarn, ob der Angeklagte ihr in seinem Pkw in Wohnungsnähe auflauerte. Aus Angst vor dem Angeklagten konnte sie nicht mehr allein spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Sie hat das Grundvertrauen, sicher zu sein, wenn sie ihre Wohnung verlässt, verloren (UA S. 13 und S. 20). Dieser Zustand hat sich nach der erneuten Inhaftierung des Angeklagten am 3. Dezember 2011 nur eingeschränkt gebessert. Bei Fortsetzung seines Tuns ist davon auszugehen , dass die Nebenklägerin an einer schweren Depression erkranken werde (UA S. 21).
13
Taten zum Nachteil der Zeugin B. (Fälle III. 2 a und b)
14
Als die Nachbarin B. am 17. Juni 2011 gegen 23.25 Uhr in den Kellerräumen des Wohnanwesens des Angeklagten diesen höflich fragte, ob er seine Wohnung wegen der austretenden Gerüche künftig gelegentlich lüften könnte, nahm er dies auf Grund „seiner paranoiden Vorstellungswelt und seiner Affektstörungen“ zum Anlass, die Zeugin gegen eine Wand des Kellerraums zu sto- ßen (schmerzhafte Prellung am linken Arm).
15
Bei einem erneuten Zusammentreffen mit der Zeugin B. am 30. Juni 2011 gegen 23.00 Uhr wiederholte diese ihre Bitte um bessere Lüftung der Wohnung. Der Angeklagte drückte die Zeugin daraufhin mit der flachen Hand gegen eine Wand (starke Schwellung und Hämatom am Unterarm).
16
2. Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Der keine Krankheitseinsicht zeigende Angeklagte werde in Freiheit mit größter Wahrscheinlichkeit erneut ähnliche Handlungen, insbesondere Nachstellungen und Körperverletzungen, begehen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er auch Straftaten von höherem Gewicht begehen könnte. Erheblichere Körperverletzungen seien möglich. Sollte er sich künftig von der Nebenklägerin fernhalten, sei ein Wechsel des Stalkingopfers zu erwarten (UA S. 24).

II.


17
Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
18
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstellung in zwei Fällen erfüllt ist.
19
Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 193, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 654/10, WuM 2011, 295, 296). Die Handlungen des Angeklagten erfüllen in beiden Tatzeiträumen die Voraussetzungen des Nachstellens in den Tatvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben. Da der Tatbestand vom Gesetzgeber jedoch als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden ist, muss die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BT-Drucks. 16/575 S. 7). Sie wird beeinträchtigt, wenn durch die Handlung des Täters eine Veränderung der äußeren Lebensumstände erzwungen wird. Die Beeinträchtigung muss zudem schwerwiegend sein (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196 f.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 22 ff.).
20
Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits durch die verfahrensgegenständlichen einzelnen Handlungen des Angeklagten eingetreten ist. Denn das Landgericht stellt im Rahmen des Grundtatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft in erster Linie auf die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin und deren psychosomatische Auswirkungen ab. Zu der entscheidenden Frage, ob und inwieweit die Nebenklägerin zu gravierenden, nicht mehr hinzunehmenden Modifikationen ihrer äußeren Lebensgestaltung gezwungen war (z.B. Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes, Treffen besonderer Schutzvorkehrungen beim Verlassen der Wohnung bzw. in den Nachtstunden, Aufgeben erheblicher Teile von Freizeitaktivitäten), werden ohne jede zeitliche Einordnung nur knappe und pauschale Feststellungen getroffen, die sich konkreten Nachstellungs- handlungen – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einer sukzessiven Tatbegehung einzelne Handlungen des Täters erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen können – nicht zuordnen lassen. Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Tatgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen in zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen jeweils zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der äußeren Lebensgestaltung geführt haben, ist somit nicht möglich.
21
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen verurteilt hat, fehlt jegliche rechtliche Subsumtion. Angesichts der Vielzahl von möglicherweise strafbaren Verhaltensweisen des Angeklagten , die in dem Urteil geschildert werden (UA S. 9 – 22), ist unklar, welche Handlungen des Angeklagten – über die beiden Taten zum Nachteil der Nachbarin B. hinaus – das Landgericht als tatbestandsmäßig im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gewertet hat. Gleiches gilt, soweit das Landgericht von einer tateinheitlich verwirklichten Beleidigung ausgegangen ist. Auch hier ist unklar, welche Verhaltensweise des Angeklagten dem Schuldspruch zu Grunde liegt.
22
3. Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen (§ 113 Abs. 1, § 53 StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
23
Hinsichtlich der Tat vom 9. Oktober 2010 sind die Feststellungen widersprüchlich und tragen die Verurteilung nicht. Auf UA S. 14 wird ausgeführt, dass dem Angeklagten der „Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts Herne-Wanne“ bekannt gewesen sei und er gewusst habe, „dass die Beamten zur Durchsetzung des Beschlusses berechtigt waren“. Demgegenüber stellt das Landgericht auf UA S. 11 fest, dass das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten erst mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 verboten hat, sich der Nebenklägerin bzw. ihrer Wohnung oder Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Danach ist ausgeschossen, dass die Polizeibeamten zur Durchsetzung dieses Näherungsverbots tätig geworden sind.
24
Bei der Tat vom 10. September 2011 ist die Tathandlung des „Widerstandleistens“ nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Indem der Angeklagte sich weigerte, in den Zellentrakt zu gehen, und sich lediglich wegdrehte, hat er noch nicht „mit Gewalt“ Widerstand geleistet. Es fehlt an einem auf körperlicher Kraftentfaltung beruhenden, tätigen Handeln gegen die Polizeibeamten (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 23). Soweit die Polizeibeamten den Angeklagten „gegen seinen Widerstand“ in die Zelle brachten und „dem sich sträu- benden Angeklagten“ die Schuhe auszogen, lassen sich dem Urteil keine kon- kreten Feststellungen zur Art und Weise der Tathandlung entnehmen.
25
Zur Tat vom 21. September 2011 teilt das Landgericht lediglich mit, dass der „aggressiver werdende Angeklagte“ zur Durchsetzung des Platzverweises auf die Polizeiwache verbracht wurde. Ein im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Widerstandleisten ist nicht ersichtlich.
26
4. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft.
27
Die Strafkammer kommt nach sachverständiger Beratung zu dem Ergebnis , der Angeklagte sei bei der Tatbegehung, wenn auch erheblich vermin- dert, schuldfähig gewesen; bei „abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Woraus sich die (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt, ist jedoch nicht dargelegt. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte seit vielen Jahren an einer unbehandelten schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), wobei es zu massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie zu erheblichen Affektstörungen und paranoidem Erleben kommt. Seit dem Jahr 2009 ist eine stetige Steigerung seines krankhaften Verhaltens zu beobachten. Er wirkte hochgradig verschroben und bizarr. Dieses schizophrene Krankheitsbild war auch während der Hauptverhandlung offen erkennbar (UA S. 27/28). Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer konkret darlegen müssen, woraus sich (nach der von ihr geteilten Meinung des Sachverständigen) trotz der chronischen Schizophrenie des Angeklagten seine (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt. Jedenfalls bei akuten Schüben einer Schizophrenie und in der „Endphase“ einer Schizophrenie – die Erkrankung des Angeklagten besteht seit geraumer Zeit – ist in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist. Häufig wird bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/95, MDR 1995, 1090; Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 StR 531/02, bei Theune NStZ-RR 2004, 161, 166; Beschluss vom 16. Mai 2007 – 2 StR 96/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Der Tatrichter wäre daher gehalten gewesen , unter Würdigung des gesamten Beweisergebnisses und unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Gutachters sich mit der Frage auseinanderzusetzen , ob der Angeklagte die Taten während akuter Schübe (oder während eines lang dauernden Schubes) begangen hat. Nach dem mitgeteilten Ergebnis der Beweisaufnahme liegen deutliche Anzeichen dafür vor, dass die Taten während akuter Schübe begangen wurden. Denn der Angeklagte wurde ab dem Jahr 2009 zunehmend aggressiver und steigerte sich immer weiter in seine wahnhafte Vorstellung hinein, die Nebenklägerin und er seien auf ewige Zeiten füreinander bestimmt.
28
§ 20 StGB setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit „bei Begehung der Tat“ aufgehoben sind. Die Schuldfähigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 47). Dies verkennt die Straf- kammer, indem sie – dem Sachverständigen folgend – allein auf die „abstrakt bestehende Einsichtsfähigkeit“ abstellt.
29
Nach alledem kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Hiervon unberührt bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin (§ 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. . Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.

III.


30
Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand.
31
1. Da das Landgericht die Voraussetzungen von § 20 StGB oder § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bedarf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12). Eine Unterbringungsanordnung kann nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/05, MDR 1995, 1090).
32
2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
33
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Dies muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt regelmäßig voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Die gebotene Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Die bislang getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten belegen die wegen des gravierenden Eingriffs in die persönliche Freiheit erforderliche Tatschwere nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als sich die Kammer bei der Feststellung der Tatfolgen der Nachstellungen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10). Wesentliche Grundlage der Entscheidung des Landgerichts zu § 63 StGB ist zudem die Prognose, dass erheblichere Körper- verletzungen lediglich „möglich“ seien und Straftaten von höherem Gewicht „nicht ausgeschlossen“ werden könnten (UA S. 24). Damit fehlen Feststellun- gen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades.
34
Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Zur Vorbereitung der erforderlichen umfassenden und gründlichen Exploration des Angeklagten, die bislang unterblieben ist, wird das Tatgericht die Beauftragung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 304/12
vom
28. August 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. August 2012 gemäß
§§ 44, 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Dem Beschuldigten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 26. März 2012 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Beschuldigte.
2. Auf die Revision des Beschuldigten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Beschuldigten hat Erfolg. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erkrankte der Beschuldigte erstmals im Jahr 2003 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und wurde in den Folgejahren mehrfach sowohl stationär als auch ambulant behandelt, wobei die Klinikaufenthalte auf freiwilliger Basis, auf Unterbringungsbeschlüssen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten des Landes Nordrhein-Westfalen sowie auf amtsgerichtlich genehmigten Anordnungen des Betreuers beruhten.
3
Während eines Klinikaufenthalts im Sommer 2011 schlug der Beschuldigte einem Mitpatienten ohne Anlass ins Gesicht. An einem anderen Tag versuchte er, einem Pfleger ins Gesicht zu schlagen. Als dieser ihn zu Boden brachte, schlug er ihm in den Nieren-Beckenbereich. In beiden Fällen erlitten die Geschlagenen Schmerzen.
4
2. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Die Strafkammer hat die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte negative Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei durchgeführt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die eine außerordentlich beschwerende Maßnahme darstellt, darf nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169 mwN). Die Erwartung erheblicher rechtswidriger Taten wird von den Feststellungen nicht getragen. Dies erfordert nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind; die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte zwar regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH aaO; BGH, Beschluss vom 25.04.2012 - 4 StR 81/12 mwN). Zumindest die Anlasstat Nr. 1 bewegt sich mit einer einfachen Ohrfeige schon an der Grenze der Erheblichkeit im Sinne des § 223 StGB (BGH, Urteil vom 7. März 1990 - 2 StR 615/89, NJW 1990, 3156, 3157). Der als erheblichere Straftat anzusehende erfolgreiche Schlag gegen einen Krankenpfleger (Anlasstat Nr. 2) erfolgte erst, als dieser den Beschuldigten zu Boden brachte, also in einer für den Beschuldigten subjektiv bedrohlichen Situation (UA S. 7). Hinzu kommt, dass solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Pflegepersonal nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen sind, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 25.04.2012 - 4 StR 81/12). Auf dieser Grundlage vermag allein die Gefahr , dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Denn damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Der Beschuldigte ist vor den Anlasstaten nicht mit Gewalt- oder Aggressionsdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten , obwohl die Erkrankung seit 2003 besteht (UA S. 3). Aggressive Verhaltensweisen sind erst nach der stationären Aufnahme auf der geschützten allgemeinen psychiatrischen Station des A. Krankenhauses , dem Tatort der Anlasstaten, im November 2010 und der anschließenden zivilrechtlichen Unterbringung in dieser Einrichtung seit Januar 2011 aufgetreten, was einen Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und der Unterbringung nahe legt. Auch die weiteren aggressiven Auffälligkeiten, zu denen es neben den festgestellten Taten durch den Beschuldigten gekommen ist (UA S. 5 f.), sind auf unterbringungsspezifische Situationen zurückzuführen, nämlich hinsichtlich des Übergriffs auf eine Passantin auf eine Fehlreaktion des Klinikpersonals (UA S. 6) und des Richters am Amtsgericht W. auf eine Anhörung im Betreuungsverfahren (UA S. 5), nachdem der Beschuldigte bereits untergebracht war. Anlässlich des letztgenannten Vorfalls ließ der Beschuldigte sich offensichtlich wieder beruhigen und wurde nicht tätlich. Ansonsten ist der Beschuldigte zuvor nie in strafrechtlich relevanter Weise aufgefallen."
5
Dem schließt sich der Senat an. Über die Unterbringung muss deshalb erneut verhandelt und entschieden werden. Es ist denkbar, dass in einer neuen Verhandlung weitergehende Feststellungen - auch zu den übrigen Tätlichkeiten des Beschuldigten, die das Landgericht als eine "zunehmende Eskalation der fremdaggressiven Impulsdurchbrüche gegenüber Mitarbeitern und Mitpatienten" umschrieben hat - getroffen werden können, und sich daraus eine Gesamtbeurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten ergibt, die eine Unterbringung rechtfertigt. Um insoweit einheitliche Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat auch die Feststellungen zu den Anlasstaten auf.
6
3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, widerspruchsfrei darzulegen , worauf die angenommene Schuldunfähigkeit des Beschuldigten beruht. Dies ist bislang nicht geschehen. Auf eine Erörterung, ob fehlende Einsicht oder fehlende Steuerungsfähigkeit die Schuldunfähigkeit begründet haben, kann nicht verzichtet werden. Der Schuldausschluss kann grundsätzlich nicht auf beide Alternativen des § 20 StGB gestützt werden. Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat eingesehen hat oder einsehen konnte (BGH, Beschluss vom 9. September1986 - 4 StR 570/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, stellen die Ausnahme dar (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167).
Schäfer Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist deshalb verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Schäfer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 417/12
vom
19. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte leidet an einer schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entwickelt hat und seit dem Jahr 2009 ausgeprägt vorliegt. Neben formalen und inhaltlichen Denkstörungen treten massive Affektstörungen und paranoide Symptome auf. Die Persönlichkeit des Angeklagten weist dar- über hinaus autistische Züge auf. Auf Grund eines sog. „Liebeswahns“nimmt er die Beziehung zu einer Frau vollkommen irreal wahr. Deren für jedermann ersichtliche Abwehrhaltung deutet er als ein Zeichen von Zuneigung. Die paranoide Symptomatik kommt darin zum Ausdruck, dass er sich sehr leicht angegriffen fühlt und dann aggressiv reagiert. Im Affekt zeigen sich Auffälligkeiten im Sinne einer situativ auslösbaren Aggressivität und Explosivität. Es kommt zu unangemessenen affektiven Reaktionen. Kritikfähigkeit, Realitätsprüfung und Empathiefähigkeit fehlen völlig. Insgesamt bietet er das Bild eines hochgradig verschrobenen, bizarr wirkenden, autistischen und chronischen Schizophrenen (UA S. 23). Das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB ist erfüllt. Nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts war der Angeklagte bei Begehung der verfahrensgegenständli- chen Taten „bei abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ in seiner Steuerungs- fähigkeit erheblich vermindert. Bei den Taten zum Nachteil der Zeugin V. (Nebenklägerin) beruhe dies auf dem stark ausgeprägten Liebeswahn, hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin B. und der Polizeibeamten auf paranoidem Erleben und Störungen des Affekts.
4
Taten im Zusammenhang mit der Nebenklägerin (Fälle III. 1 a und b)
5
a) Tatzeitraum vom 20. Mai 2009 bis 3. März 2011
6
In einer Vielzahl von Fällen parkte der Angeklagte seinen Pkw in der Nähe der Wohnung der Nebenklägerin und beobachtete diese. Als die Nebenklägerin an einem Tag zur Bank fahren wollte, verfolgte sie der Angeklagte mit seinem Pkw über einen Zeitraum von ca. einer Stunde, wobei er immer wieder dicht und bedrängend auffuhr. In dem Tatzeitraum warf der Angeklagte mindestens 22 Briefe persönlich in den Briefkasten der Nebenklägerin ein, in denen er in konfuser und zum Teil bedrohlicher Art zum Ausdruck brachte, dass die Zeugin und er füreinander bestimmt seien. Sie habe sich seinem Willen unterzuordnen. Er habe ein moralisches Recht auf die Nebenklägerin, die sein Lebenselixier sei. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 untersagte das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung, sich der Nebenklägerin, ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Der Angeklagte empfand den Antrag auf Anordnung eines Näherungsverbotes nicht als Ablehnung seiner Person, sondern reagierte erfreut , weil ihm dies aus seiner Sicht zeigte, dass die Nebenklägerin sich mit ihm beschäftigte. Fortan war er nahezu ständig präsent. Unter anderem wartete er am Bahnsteig, als die Nebenklägerin von einer Geschäftsreise zurückkehrte. Anlässlich einer Fahrradfahrt, die die Nebenklägerin unternahm, stellte sich der Angeklagte auf einsamer Strecke plötzlich und unerwartet in den Weg. Ab Februar 2011 begann der Angeklagte, auch den Bereich der Arbeitsstelle der Ne- benklägerin aufzusuchen, schrieb einen Brief an deren Arbeitgeber und beobachtete stundenlang das Firmengebäude.
7
Am 9. Oktober 2010 trafen die Polizeibeamten K. und D. den Angeklagten in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Nebenklägerin an und wollten eine Personalienfeststellung durchführen. Als der Polizeibeamte K. den eine ablehnende Haltung einnehmenden Angeklagten am Arm fasste, drehte sich dieser abrupt um und holte mit dem Arm zum Schlag aus. Er wurde daraufhin fixiert und zur Wache verbracht. Als die Polizeibeamtin D. versuchte , dem Angeklagten die Schuhe auszuziehen, trat er ihr gegen den linken Unterarm. Dabei erlitt die Beamtin Hautabschürfungen.
8
b) Tatzeitraum vom 11. August 2011 bis 27. November 2011
9
Wegen Zuwiderhandlung gegen das mit Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 28. Oktober 2010 angeordnete Näherungsverbot wurde gegen den Angeklagten am 1. März 2011 Ordnungshaft verhängt, die er in dem Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 7. August 2011 verbüßte. Nach Vollzug der Ordnungshaft intensivierte er seine Annäherungshandlungen gegenüber der Nebenklägerin. Bis zu der am 2. Dezember 2011 beginnenden erneuten Ordnungshaft erhielt sie nahezu täglich Briefe des Angeklagten, deren Inhalte zunehmend bizarrer wurden. Am 15. August 2011 verfolgte er die Nebenklägerin mit dem Fahrrad, als diese einen Bekannten aufsuchte. Am 16. und 18. August 2011 stand er gut sichtbar vor ihrem Wohnhaus und am 24. August 2011 hielt er sich auf dem Gelände des Arbeitgebers der Nebenklägerin auf, so dass diese ihn wahrnehmen musste. Mit Briefen vom 31. August und 4. September 2011 übersandte er eine Damenquarzuhr bzw. drei Musik-CDs als Geschenke. Ebenfalls am 4. September 2011 warf er einen ausführlichen Brief, dem Glüh- birnen für die Kfz-Beleuchtung beigefügt waren, in den Briefkasten der Arbeitsstelle der Nebenklägerin. In einem Brief vom 7. September 2011 pries er – wie häufig – das Aussehen der Nebenklägerin und entwickelte eine abstruse For- mel, in der er den „Schönheitsfinanzierungsidealwert“ ihrer „Emanzipationsfeminisierungsautoselbstfahrfreizeitlichkeitsrealitätsperson“ zu dem Gesamtge- wicht der Erde in „imaginären 1039 DM-Scheinen“ in Relation setzte. Ferner teilte er mit, dass er „das Recht“ habe,sie und ihren Sohn J. „entlästigend umsonst zu erhalten“ (UA S. 17).
10
Am 10. September 2011 begab sich der Angeklagte wiederum zum Wohnhaus der Nebenklägerin, die daraufhin die Polizei benachrichtigte. Die Polizeibeamten Kl. und S. trafen den Angeklagten ca. 150 Meter von der Wohnung der Nebenklägerin entfernt an und forderten ihn auf, sich zu entfernen. Dies verweigerte der Angeklagte. Er wurde aggressiv und fing zu schreien an, wobei er den Polizeibeamten S. als „dämlich“ bezeichnete. Nach Ingewahrsamnahme des Angeklagten weigerte er sich, in den Zellentrakt zu gehen und sperrte sich dagegen, indem er sich wegdrehte und stehen blieb. Die Polizeibeamten brachten ihn schließlich „gegen seinen Widerstand“ in eine Zelle und zogen dem sich sträubenden Angeklagten die Schuhe aus. Am 21. September 2011 trafen ihn die Polizeibeamten Kl. und D. beim Einwerfen eines Briefes in den Hausbriefkasten der Nebenklägerin an. Zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises wurde der aggressiv reagierende Angeklagte auf die Polizeiwache Wanne-Eickel verbracht. Dort spuckte er auf das Hemd des Polizeibeamten Kl. .
11
Zu den Tatfolgen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
12
Die Nebenklägerin ist durch die Handlungen des Angeklagten psychisch und physisch erheblich beeinträchtigt (Schlafstörungen, Panikattacken, Unruhezustände , Atemnot, schwere Magen-Darmprobleme, Tinnitus). Sie nimmt seit ca. Oktober 2009 in akuten Phasen Anti-Depressiva ein und hat sich in therapeutische Behandlung begeben. Auf Grund psychosomatischer Beschwerden entwickelte sie Essstörungen, die zu einer Gewichtsabnahme führten. Zeitweise konnte sie auf Grund ihres Gesundheitszustandes ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen und war in drei Fällen für mehrere Tage arbeitsunfähig. Bevor sie abends nach Hause zurückkehrte, erkundigte sie sich zunächst telefonisch bei Nachbarn, ob der Angeklagte ihr in seinem Pkw in Wohnungsnähe auflauerte. Aus Angst vor dem Angeklagten konnte sie nicht mehr allein spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Sie hat das Grundvertrauen, sicher zu sein, wenn sie ihre Wohnung verlässt, verloren (UA S. 13 und S. 20). Dieser Zustand hat sich nach der erneuten Inhaftierung des Angeklagten am 3. Dezember 2011 nur eingeschränkt gebessert. Bei Fortsetzung seines Tuns ist davon auszugehen , dass die Nebenklägerin an einer schweren Depression erkranken werde (UA S. 21).
13
Taten zum Nachteil der Zeugin B. (Fälle III. 2 a und b)
14
Als die Nachbarin B. am 17. Juni 2011 gegen 23.25 Uhr in den Kellerräumen des Wohnanwesens des Angeklagten diesen höflich fragte, ob er seine Wohnung wegen der austretenden Gerüche künftig gelegentlich lüften könnte, nahm er dies auf Grund „seiner paranoiden Vorstellungswelt und seiner Affektstörungen“ zum Anlass, die Zeugin gegen eine Wand des Kellerraums zu sto- ßen (schmerzhafte Prellung am linken Arm).
15
Bei einem erneuten Zusammentreffen mit der Zeugin B. am 30. Juni 2011 gegen 23.00 Uhr wiederholte diese ihre Bitte um bessere Lüftung der Wohnung. Der Angeklagte drückte die Zeugin daraufhin mit der flachen Hand gegen eine Wand (starke Schwellung und Hämatom am Unterarm).
16
2. Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Der keine Krankheitseinsicht zeigende Angeklagte werde in Freiheit mit größter Wahrscheinlichkeit erneut ähnliche Handlungen, insbesondere Nachstellungen und Körperverletzungen, begehen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er auch Straftaten von höherem Gewicht begehen könnte. Erheblichere Körperverletzungen seien möglich. Sollte er sich künftig von der Nebenklägerin fernhalten, sei ein Wechsel des Stalkingopfers zu erwarten (UA S. 24).

II.


17
Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
18
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstellung in zwei Fällen erfüllt ist.
19
Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 193, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 654/10, WuM 2011, 295, 296). Die Handlungen des Angeklagten erfüllen in beiden Tatzeiträumen die Voraussetzungen des Nachstellens in den Tatvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben. Da der Tatbestand vom Gesetzgeber jedoch als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden ist, muss die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BT-Drucks. 16/575 S. 7). Sie wird beeinträchtigt, wenn durch die Handlung des Täters eine Veränderung der äußeren Lebensumstände erzwungen wird. Die Beeinträchtigung muss zudem schwerwiegend sein (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196 f.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 22 ff.).
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Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits durch die verfahrensgegenständlichen einzelnen Handlungen des Angeklagten eingetreten ist. Denn das Landgericht stellt im Rahmen des Grundtatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft in erster Linie auf die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin und deren psychosomatische Auswirkungen ab. Zu der entscheidenden Frage, ob und inwieweit die Nebenklägerin zu gravierenden, nicht mehr hinzunehmenden Modifikationen ihrer äußeren Lebensgestaltung gezwungen war (z.B. Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes, Treffen besonderer Schutzvorkehrungen beim Verlassen der Wohnung bzw. in den Nachtstunden, Aufgeben erheblicher Teile von Freizeitaktivitäten), werden ohne jede zeitliche Einordnung nur knappe und pauschale Feststellungen getroffen, die sich konkreten Nachstellungs- handlungen – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einer sukzessiven Tatbegehung einzelne Handlungen des Täters erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen können – nicht zuordnen lassen. Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Tatgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen in zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen jeweils zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der äußeren Lebensgestaltung geführt haben, ist somit nicht möglich.
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2. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen verurteilt hat, fehlt jegliche rechtliche Subsumtion. Angesichts der Vielzahl von möglicherweise strafbaren Verhaltensweisen des Angeklagten , die in dem Urteil geschildert werden (UA S. 9 – 22), ist unklar, welche Handlungen des Angeklagten – über die beiden Taten zum Nachteil der Nachbarin B. hinaus – das Landgericht als tatbestandsmäßig im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gewertet hat. Gleiches gilt, soweit das Landgericht von einer tateinheitlich verwirklichten Beleidigung ausgegangen ist. Auch hier ist unklar, welche Verhaltensweise des Angeklagten dem Schuldspruch zu Grunde liegt.
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3. Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen (§ 113 Abs. 1, § 53 StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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Hinsichtlich der Tat vom 9. Oktober 2010 sind die Feststellungen widersprüchlich und tragen die Verurteilung nicht. Auf UA S. 14 wird ausgeführt, dass dem Angeklagten der „Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts Herne-Wanne“ bekannt gewesen sei und er gewusst habe, „dass die Beamten zur Durchsetzung des Beschlusses berechtigt waren“. Demgegenüber stellt das Landgericht auf UA S. 11 fest, dass das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten erst mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 verboten hat, sich der Nebenklägerin bzw. ihrer Wohnung oder Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Danach ist ausgeschossen, dass die Polizeibeamten zur Durchsetzung dieses Näherungsverbots tätig geworden sind.
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Bei der Tat vom 10. September 2011 ist die Tathandlung des „Widerstandleistens“ nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Indem der Angeklagte sich weigerte, in den Zellentrakt zu gehen, und sich lediglich wegdrehte, hat er noch nicht „mit Gewalt“ Widerstand geleistet. Es fehlt an einem auf körperlicher Kraftentfaltung beruhenden, tätigen Handeln gegen die Polizeibeamten (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 23). Soweit die Polizeibeamten den Angeklagten „gegen seinen Widerstand“ in die Zelle brachten und „dem sich sträu- benden Angeklagten“ die Schuhe auszogen, lassen sich dem Urteil keine kon- kreten Feststellungen zur Art und Weise der Tathandlung entnehmen.
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Zur Tat vom 21. September 2011 teilt das Landgericht lediglich mit, dass der „aggressiver werdende Angeklagte“ zur Durchsetzung des Platzverweises auf die Polizeiwache verbracht wurde. Ein im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Widerstandleisten ist nicht ersichtlich.
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4. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft.
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Die Strafkammer kommt nach sachverständiger Beratung zu dem Ergebnis , der Angeklagte sei bei der Tatbegehung, wenn auch erheblich vermin- dert, schuldfähig gewesen; bei „abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Woraus sich die (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt, ist jedoch nicht dargelegt. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte seit vielen Jahren an einer unbehandelten schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), wobei es zu massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie zu erheblichen Affektstörungen und paranoidem Erleben kommt. Seit dem Jahr 2009 ist eine stetige Steigerung seines krankhaften Verhaltens zu beobachten. Er wirkte hochgradig verschroben und bizarr. Dieses schizophrene Krankheitsbild war auch während der Hauptverhandlung offen erkennbar (UA S. 27/28). Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer konkret darlegen müssen, woraus sich (nach der von ihr geteilten Meinung des Sachverständigen) trotz der chronischen Schizophrenie des Angeklagten seine (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt. Jedenfalls bei akuten Schüben einer Schizophrenie und in der „Endphase“ einer Schizophrenie – die Erkrankung des Angeklagten besteht seit geraumer Zeit – ist in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist. Häufig wird bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/95, MDR 1995, 1090; Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 StR 531/02, bei Theune NStZ-RR 2004, 161, 166; Beschluss vom 16. Mai 2007 – 2 StR 96/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Der Tatrichter wäre daher gehalten gewesen , unter Würdigung des gesamten Beweisergebnisses und unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Gutachters sich mit der Frage auseinanderzusetzen , ob der Angeklagte die Taten während akuter Schübe (oder während eines lang dauernden Schubes) begangen hat. Nach dem mitgeteilten Ergebnis der Beweisaufnahme liegen deutliche Anzeichen dafür vor, dass die Taten während akuter Schübe begangen wurden. Denn der Angeklagte wurde ab dem Jahr 2009 zunehmend aggressiver und steigerte sich immer weiter in seine wahnhafte Vorstellung hinein, die Nebenklägerin und er seien auf ewige Zeiten füreinander bestimmt.
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§ 20 StGB setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit „bei Begehung der Tat“ aufgehoben sind. Die Schuldfähigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 47). Dies verkennt die Straf- kammer, indem sie – dem Sachverständigen folgend – allein auf die „abstrakt bestehende Einsichtsfähigkeit“ abstellt.
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Nach alledem kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Hiervon unberührt bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin (§ 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. . Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.

III.


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Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand.
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1. Da das Landgericht die Voraussetzungen von § 20 StGB oder § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bedarf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12). Eine Unterbringungsanordnung kann nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/05, MDR 1995, 1090).
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2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Dies muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt regelmäßig voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Die gebotene Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Die bislang getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten belegen die wegen des gravierenden Eingriffs in die persönliche Freiheit erforderliche Tatschwere nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als sich die Kammer bei der Feststellung der Tatfolgen der Nachstellungen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10). Wesentliche Grundlage der Entscheidung des Landgerichts zu § 63 StGB ist zudem die Prognose, dass erheblichere Körper- verletzungen lediglich „möglich“ seien und Straftaten von höherem Gewicht „nicht ausgeschlossen“ werden könnten (UA S. 24). Damit fehlen Feststellun- gen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades.
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Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Zur Vorbereitung der erforderlichen umfassenden und gründlichen Exploration des Angeklagten, die bislang unterblieben ist, wird das Tatgericht die Beauftragung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Ergibt sich im Sicherungsverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Schuldfähigkeit des Beschuldigten und ist das Gericht für das Strafverfahren nicht zuständig, so spricht es durch Beschluß seine Unzuständigkeit aus und verweist die Sache an das zuständige Gericht. § 270 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend.

(2) Ergibt sich im Sicherungsverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Schuldfähigkeit des Beschuldigten und ist das Gericht auch für das Strafverfahren zuständig, so ist der Beschuldigte auf die veränderte Rechtslage hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Behauptet er, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen. Ist auf Grund des § 415 in Abwesenheit des Beschuldigten verhandelt worden, so sind diejenigen Teile der Hauptverhandlung zu wiederholen, bei denen der Beschuldigte nicht zugegen war.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn sich im Sicherungsverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt, daß der Beschuldigte verhandlungsfähig ist und das Sicherungsverfahren wegen seiner Verhandlungsunfähigkeit durchgeführt wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.