Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0
bei uns veröffentlicht am10.01.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16 zitiert oder wird zitiert von 15 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Aug. 2011 - 1 StR 114/11

bei uns veröffentlicht am 10.08.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 114/11 vom 10. August 2011 in der Strafsache gegen wegen sexueller Nötigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August 2011, an der teilgenommen haben: Vorsi

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Aug. 2012 - 5 StR 394/12

bei uns veröffentlicht am 30.08.2012

5 StR 394/12 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 30. August 2012 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. August 2012 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Lan

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Apr. 2016 - 2 StR 408/15

bei uns veröffentlicht am 06.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 408/15 vom 6. April 2016 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02

bei uns veröffentlicht am 16.05.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 40/02 vom 16. Mai 2002 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2002, an der teilgenommen haben: Vor

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2014 - 5 StR 113/14

bei uns veröffentlicht am 24.04.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR113/14 vom 24. April 2014 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2014 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagte
10 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - 2 StR 235/16.

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Juni 2017 - 4 StR 1/17

bei uns veröffentlicht am 22.06.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 1/17 vom 22. Juni 2017 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung ECLI:DE:BGH:2017:220617U4STR1.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Juni 2017, an der tei

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Dez. 2017 - 2 StR 273/17

bei uns veröffentlicht am 13.12.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 273/17 vom 13. Dezember 2017 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:131217B2STR273.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Be

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2018 - 5 StR 457/17

bei uns veröffentlicht am 24.01.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 457/17 (alt: 5 StR 599/15) vom 24. Januar 2018 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen ECLI:DE:BGH:2018:240118B5STR457.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2018 - 2 StR 194/17

bei uns veröffentlicht am 25.04.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 194/17 vom 25. April 2018 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes ECLI:DE:BGH:2018:250418U2STR194.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung v

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 408/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
11
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
12
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
14
Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
15
Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
16
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
17
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 408/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
11
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
12
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
14
Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
15
Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
16
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
17
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng
5 StR 394/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 30. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. August 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung in zehn tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und drei Monate der verhängten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.
2
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung betreffend die sexuellen Übergriffe des Angeklagten vom 5./6. Februar 2010 hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Angesichts der vorliegenden Aussagegegen -Aussage-Konstellation hätte das Landgericht im Wege einer umfassenden Gesamtwürdigung alle möglicherweise entscheidungsbeeinflussenden Umstände darstellen und in seine Überlegung einbeziehen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – 5 StR 84/09, vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10, und vom 22. Mai 2012 – 5 StR 15/12, StraFo 2012, 269, je- weils mwN). Daran fehlt es hier.
3
Das Landgericht bescheinigt der Nebenklägerin „hohe Aussagekonstanz“ (UA S. 14). Dies steht in deutlichem Widerspruch zu dem Um- stand, dass die Nebenklägerin bei ihrer vier Tage nach dem Geschehen erstatteten Strafanzeige durch den Angeklagten vollführte sexuelle Übergriffe gar nicht erwähnte, vielmehr rund zwei Wochen zurückliegende Schläge gegen ihr Ohr sowie eine Nötigung zum Drogenkonsum am Tatabend mitteilte. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 2. März 2010 bekundete sie erst- mals „einen erzwungenen Geschlechtsverkehr“, was sie bei einer Verneh- mung vom 12. April 2010 dahin erweiterte, dass der Angeklagte auf sie uriniert und ihr befohlen habe, das nasse Oberteil während eines (von mindestens zehn) Geschlechtsakts nicht auszuziehen; in einer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung vom 28. September 2010 gab sie dann ergänzend an, der Angeklagte habe eine Substanz gemischt und auf ihre Scheide aufgetragen, wonach er seinen Hund veranlasst habe, an ihrer Scheide zu lecken (UA S. 14).
4
Bereits angesichts dieses das Kerngeschehen betreffenden auffälligen Aussageverhaltens waren eine eingehende Darstellung und Würdigung der Bekundungen der einzigen Belastungszeugin einschließlich der näheren Umstände der Anzeigeaufnahme und der weiteren Aussageentwicklung unabdingbar , um dem Revisionsgericht eine Nachprüfung in rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen (vgl. zur Beweiswürdigung in einschlägigen Fällen BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 274/02, NStZ 2003, 165 mwN). Dem werden die rudimentären Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die Zeugin das einmal geschilderte Geschehen bei ihren Vernehmungen stets wieder- holt und „lediglich um einzelne Details ergänzt“ habe, die die rechtliche Quali- tät nicht verändert hätten, trifft dies im Übrigen auf den Inhalt der Strafanzei- ge offensichtlich und auf die zweite Aussage („einen“ erzwungenen Ge- schlechtsakt) möglicherweise nicht zu. Zudem liegt auf der Hand, dass die hinzugekommenen überaus erniedrigenden Einzelhandlungen den Unrechtsund Schuldgehalt der Tat beträchtlich erhöhen. Ferner hätte die von der Nebenklägerin gegebene Erklärung der kritischen Nachprüfung bedurft, sie habe erst Vertrauen zu den sie vernehmenden Personen fassen müssen. Das gilt etwa mit Blick darauf, dass die Nebenklägerin auch Vertrauenspersonen (Mutter und ehemalige Schwiegermutter) von sexuellen Übergriffen nichts gesagt hat (UA S. 17).
5
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
6
2. Der Senat hebt auch den Schuldspruch wegen Körperverletzung am 21. Januar 2010 auf. Dem neuen Tatgericht soll eine insgesamt stimmige Beweiswürdigung ermöglicht werden.
7
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
8
a) Dass der Angeklagte und die Nebenklägerin die Umstände ihres Zusammenlebens im Wesentlichen übereinstimmend geschildert haben, gibt für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich der durch den Angeklagten bestrittenen Taten entgegen der Wertung im angefochtenen Urteil (UA S. 13) nichts her.
9
b) Das neu verhandelnde Tatgericht wird sich eingehend mit der Tatsache zu befassen haben, dass die Nebenklägerin nach der sie in besonderem Maße erniedrigenden Tat noch weitere vier Tage beim Angeklagten gelebt hat. Die im angefochtenen Urteil insoweit angestellte Erwägung, die späte Anzeigeeerstattung sei durch die vom Angeklagten geschaffene finanzielle Abhängigkeit der Nebenklägerin und deren abgebrochene Kontakte zu Familie und Freunden bedingt (UA S. 14), leuchtet nicht ein. Vier Tage nach der Tat vermochte die Nebenklägerin ohne Weiteres den Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen, die sie auch sogleich betreute. Es ist nicht ersichtlich, aus wel- chem Grund dies nicht auch früher hätte der Fall gewesen sein können. Darüber hinaus existieren, was allgemein bekannt ist, für derartige Notsituationen öffentliche Anlaufstellen.
10
c) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin eingangs des Tatgeschehens beim Drogenkonsum und einer anschließenden Selbstbefriedigung gefilmt (UA S. 7). Zu diesem Umstand und etwaigen Ermittlungshandlungen zur Auffindung des hergestellten Films verhalten sich die Urteilsgründe im Rahmen der Beweiswürdigung nicht.
11
d) Sollte das neue Tatgericht erneut zu einer Verurteilung des Angeklagten gelangen, wird es dessen Schuldfähigkeit unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu prüfen haben.
12
e) Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen des § 177 StGB mehrere sexuelle Handlungen – was das Landgericht hier wohl angenommen hat – bei fortdauernder Gewalt eine Tat im Rechtssinn bilden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. April 2007 – 4 StR 572/06, NStZ-RR 2007, 235 mwN), nicht mehrere tateinheitlich verwirklichte Verbrechen der Vergewaltigung.
Basdorf Raum Schaal König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 408/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
11
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
12
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
14
Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
15
Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
16
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
17
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 40/02
vom
16. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2002,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 6. September 2001 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 159 Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. I. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, seine am 15. Juni 1974 geborene leibliche Tochter K. Kö. vornehmlich im elterlichen Haus inP. zwischen dem 30. Juni 1984, als K. 10 Jahre alt war, und dem 13. Geburtstag am 15. Juni 1987 wiederkehrend sexuell mißbraucht zu haben (Vergehen, strafbar nach § 176 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB aF). Zu den ersten sexuellen Übergriffen soll es bereits in K. Kö. s drittem oder viertem Lebensjahr und damit in verjährter Zeit im Saunabereich des Hauses beim samstäglichen gemeinsamen Duschen gekommen sein;
K. Kö. muûte der Anklage zufolge dort dem Angeklagten den Penis bis zum Samenerguû mit dem Waschlappen abreiben. Ab dem sechsten Lebensjahr des Mädchens soll es schlieûlich einmal wöchentlich zum Oralverkehr gekommen sein. Im Alter von etwa sieben Jahren habe erstmals und in der Folgezeit dann regelmäûig Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und seiner Tochter stattgefunden. Die sexuellen Übergriffe hätten geendet, als K. Kö. ihre erste Regelblutung hatte. Der letzte Vorfall habe sich im August 1988 während eines Urlaubs in Jugoslawien ereignet. Die Anklage geht weiter davon aus, daû K. Kö. aufgrund des Miûbrauchs später an einer erheblichen posttraumatischen Belastungsstörung litt, die sie veranlaûte, sich über Jahre hinweg psychotherapeutisch behandeln zu lassen. K. Kö. tötete sich am 20. Dezember 1999 im Alter von 25 Jahren selbst. Sie stand deshalb schon im Ermittlungsverfahren nicht als Zeugin zur Verfügung. Die Anklage stützt sich im wesentlichen auf ihre Äuûerungen gegenüber Freunden, Ärzten und Therapeuten sowie auf handschriftliche Abschiedszeilen , die sie hinterlieû. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Die Strafkammer hat sich von seiner Täterschaft nicht zu überzeugen vermocht. Sie konnte nicht ausschlieûen , daû die Äuûerungen K. Kö. s auf eine Gedächtnistäuschung zurückzuführen sind, derzufolge sie nur der Meinung war, miûbraucht worden zu sein. Die Äuûerungen K. Kö. s können nach der Bewertung des Landgerichts ihre Erklärung u.a. auch in intensiver gedanklicher Befassung mit fiktiven Ereignissen und in bestätigenden Gesprächen finden; sie können sich nach dem Gutachten des aussagepsychologischen Sachverständigen, dem die Strafkammer unter weiterer Beratung durch einen jugendpsychiatrischen Sachverständigen folgt, auch "narziûtisches Mittel der Selbstdarstellung" und eine "the-
rapieinduzierte Suggestion" gewesen sein. Im wesentlichen hebt die Strafkammer bei ihren Zweifeln an der Täterschaft des Angeklagten darauf ab, daû K. Kö. erstmals sieben Jahre nach dem Ende des behaupteten sexuellen Miûbrauchs ihrer Freundin davon erzählte, dies etwa ein weiteres Jahr später wiederholte und dann auch gegenüber ihrer Hausärztin, ihrer Frauenärztin und während zweier Klinikaufenthalte davon berichtete. Die Schilderungen hätten kaum Einzelheiten enthalten. Während der Tatzeitspanne seien weder in der Schule noch im Freundes- und Familienkreis Verhaltensauffälligkeiten beobachtet worden, wie sie bei miûbrauchten Kindern häufig vorlägen. Ihre Mutter und der im gemeinsamen Haushalt wohnende Bruder hätten trotz der Hellhörigkeit des Hauses und der Vielzahl der in Rede stehenden Fälle nie Verdacht geschöpft. K. Kö. habe weiter schon früh sexuelle Beziehungen zu Männern unterhalten. Probleme wie Abneigung, Ekel oder Frigidität seien dabei nicht aufgetreten. Einer ihrer als Zeugen vernommenen Liebhaber habe gar berichtet, daû sie mit Gewalt verbundene Sexualität als anregend empfunden habe. Schlieûlich habe sie trotz jahrelanger Psychotherapie bei der Diplompsychologin Dr. B. nie von sexuellem Miûbrauch in der Kindheit berichtet. Auch bei einer Exploration in der Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik der psychiatrischen Klinik der Universität München durch Dr. Bu. Ende 1997 habe sie einen Miûbrauch nicht erwähnt. Im übrigen sei es gerade der Angeklagte gewesen, der im November 1997 darauf gedrungen habe, daû sie sich wegen ihrer ständigen Kopfschmerzen in der Universitätsklinik untersuchen lasse. Im Falle der Täterschaft habe dem Angeklagten als Arzt bewuût sein müssen, daû die Taten auf diese Weise offenbar werden könnten. Die Zweifel der Kammer am objektiven Wahrheitsgehalt der Erzählungen K. Kö. s wurden verstärkt durch Gutachten zweier Sachverständiger. Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. T. hat ausgeführt, die bei K.
Kö. während zweier Klinikaufenthalte in den Jahren 1998 und 1999 gestellte Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung sei offensichtlich falsch. Ein Rückschluû von den bei ihr festgestellten Symptomen auf einen sexuellen Miûbrauch in der Kindheit sei nicht möglich. Man könne daran denken, daû K. Kö. der Eindruck, sie sei sexuell miûbraucht worden, "antherapiert" worden sei. Der aussagepsychologische Sachverständige Prof. Dr. F. vermochte auf der Grundlage des Aktenstudiums und der Teilnahme an der Hauptverhandlung die These, daû die Vorwürfe objektiv falsch seien, nicht auszuschlieûen. Die Möglichkeit einer falschen Beschuldigung existiere nicht nur, sondern müsse als substantiell angesehen werden. Unstimmigkeiten in den Aussagen, der Mangel an Details, jegliches Fehlen "unabhängiger Evidenz" und die Erkenntnisse der Gedächtnispsychologie erzeugten erhebliche Zweifel. Die Strafkammer hat die Ausführungen der Sachverständigen für überzeugend und nachvollziehbar erachtet. Sie hatte aufgrund der Angaben der vernommenen Zeugen und der Gutachten der Sachverständigen so erhebliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten, daû sie diesen freigesprochen hat. II. Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft , die eine Verurteilung des Angeklagten erstrebt, bleibt ohne Erfolg. 1. Die Aufklärungsrüge ist schon nicht in zulässiger Weise erhoben, überdies auch unbegründet. Die Beschwerdeführerin meint, das Landgericht habe sich gedrängt sehen müssen, die Ärzte der Kliniken zu vernehmen, die bei K. Kö. die Eingangsuntersuchungen vorgenommen haben, als diese sich im Sommer 1998 zur stationären Behandlung in der klinik in Bad W. (Indikationsgruppe für traumatisierte Frauen) und im Spätsommer 1999 in der psy-
chosomatischen Abteilung der klinik in Ka. (frauenspezifische Abteilung für posttraumatische Belastungsstörungen) befunden habe. Deren Vernehmung hätte ergeben, daû K. Kö. sehr wohl an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten habe. Die Strafkammer habe sich nicht mit der Vernehmung der behandelnden Therapeuten begnügen dürfen. Sie hätte sich zu der weiteren Beweiserhebung gedrängt sehen müssen, weil in den Strafakten die Befunde der Ärzte enthalten seien, welche die Eingangsuntersuchungen in den genannten Spezialkliniken für Opfer sexuellen Miûbrauchs vorgenommen hätten. Die Rüge scheitert bereits daran, daû die Beschwerdeführerin die betreffenden Ärzte nicht namentlich benennt und vor allem die konkreten Befunde , die diese hätten bestätigen sollen, nicht mitteilt. Die Beschwerdeführerin geht überdies daran vorbei, daû das Landgericht in den Urteilsgründen die in den Kliniken gestellte Diagnose einer "posttraumatischen Belastungsstörung" ausdrücklich feststellt, sie indessen - wie der Zusammenhang der Beweiswürdigung ergibt - mit dem dazu gehörten kinder- und jugendpsychiatrischen Sachverständigen als "falsch" verwirft. Über die im einzelnen dazu getroffenen Feststellungen hinausgehende Einzelheiten, die geeignet wären, dieses Ergebnis konkret in Frage zu stellen, trägt die Revision nicht vor. Bei dieser Sachlage liegt auf der Hand, daû sich der Strafkammer die von der Revision vermiûte Vernehmung der Ärzte der Kliniken nicht aufdrängen muûte, nachdem sie die dort tätigen Therapeuten als Zeugen gehört hatte. Dem entspricht, daû auch in der Hauptverhandlung weder die Beschwerdeführerin noch ein anderer Verfahrensbeteiligter einen Grund gesehen haben, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.
2. Die sorgfältige Beweiswürdigung der Strafkammer hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände gehen fehl.
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (vgl. § 337 StPO). Deshalb hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Sachlich-rechtliche Fehler können indessen vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lükkenhaft ist. Insbesondere muû die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung , die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht , ist fehlerhaft. Schlieûlich dürfen die Anforderungen an eine Verurteilung nicht überspannt werden. Dabei ist zu beachten, daû eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschlieûende und von niemandem anzweifelbare Gewiûheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maû an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloû auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht zuläût. Der Zweifelsatz darf schlieûlich erst nach einer solchen erschöpfenden Würdigung des gesamten Beweisergebnisses zur Anwendung kommen. Das Ergebnis eines Glaubwürdigkeitsgutachtens kann den Richter bei der gebotenen umfassenden Bewertung der Indiztatsachen lediglich unterstützen (vgl. zu alldem nur BGH NStZ 1999, 153; BGHR StPO § 261 Einlassung 5; Beweiswürdigung 16, jew. m.w.Nachw.; siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. § 261 Rdn.

26).


Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof für unterschiedliche Fallgestaltungen , bei denen im Kern "Aussage gegen Aussage" steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. So hat er etwa in Fällen, in denen die Aussage des einzigen Belastungszeugen in einem wesentlichen Detail als bewuût falsch anzusehen war, auf dessen Angaben jedoch die Verurteilung gestützt werden soll, verlangt, daû Indizien für deren Richtigkeit vorliegen müssen, die auûerhalb der Aussage selbst liegen (vgl. BGHSt 44, 256, 257). Steht "Aussage gegen Aussage" und hängt die Entscheidung im wesentlichen davon ab, welchen Angaben das Tatgericht folgt, sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären. Das gilt vor allem dann, wenn ein Zusammenhang mit familiären Auseinandersetzungen nicht von vornherein auszuschlieûen ist (BGH NStZ 1999, 45; NStZ 2000, 496). Die Aussage eines "Zeugen vom Hörensagen" vermag für sich genommen ohne zusätzliche Indizien einen Schuldspruch nicht zu tragen (BGHSt 44, 153, 158).
b) Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daû eine Verurteilung des Angeklagten letztlich allein auf die Angaben K. Kö. s zu stützen gewesen wäre, die diese gegenüber Dritten gemacht und in ihren handschriftlichen Abschiedszeilen angesprochen hat. K. Kö. stand indessen weder im Ermittlungsverfahren noch im Hauptverfahren als Zeugin zur Verfügung. Objektive Tatspuren oder sonst unmittelbare Beweismittel fehlen. All dies schlieût zwar nicht von vornherein und von Rechts wegen aus, auch auf solcher Grundlage eine Überzeugung von der Täterschaft gewinnen zu können. Allerdings sind strenge Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung zu stellen. Das ergibt sich bereits daraus, daû der Tatrichter hier die Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Beweisperson und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht originär, sondern nur vermittelt
über Berichte anderer beurteilen kann. Eine Befragung gezielt im Blick auf die Tatvorwürfe war ebensowenig möglich wie eine etwaige Glaubwürdigkeitsbegutachtung. Nicht einmal im Ermittlungsverfahren konnte eine Vernehmung der einzigen unmittelbaren Belastungszeugin konkret zu der gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigung erfolgen, deren Ziel es naheliegenderweise auch gewesen wäre, weitere Anhaltspunkte für eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts der strafrechtlich erheblichen Vorwürfe zu gewinnen. Das Fehlen jeglicher strafverfahrensbezogenen, mit einer Belehrung verbundenen und unter Wahrheitspflicht (vgl. §§ 153, 164 StGB) erfolgten Vernehmung K. Kö. s berührt die Tragfähigkeit der Tatsachengrundlage für eine etwaige Verurteilung hier um so mehr, als die Sachverständigen, denen das Landgericht auch insoweit folgt, hervorgehoben haben, daû K. Kö. die Übernahme förmlicher Verantwortung für ihre Vorwürfe durch Erstattung einer Strafanzeige vermieden habe und daû die “Validität”, also der Wahrheitsgehalt ihrer Äuûerungen in den stationären Therapien nicht hinreichend geprüft worden sei; diese hätten in erster Linie die Minderung ihres subjektiven Leidensdrucks bezweckt. Die Strafkammer hat überdies festgestellt, daû es zwischen K. Kö. und dem Angeklagten auch nach dem angenommenen Tatzeitraum wiederholt zu heftigem Streit im häuslichen Bereich gekommen war. Darüber hinaus waren aus den genannten Gründen die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in hohem Maûe eingeschränkt; auch er und sein Verteidiger vermochten K. Kö. nicht zu befragen. Unter all diesen Umständen war der Beweiswert der Äuûerungen K. Kö. s von vornherein erheblich gemindert (vgl. dazu auch BGHSt 46, 93, 103).
c) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht gerecht geworden. Es hat die Anforderungen an seine Überzeugungsbildung indessen auch nicht überspannt. Seine Beweis-
würdigung leidet schlieûlich nicht unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel. aa) Die Beschwerdeführerin meint, die Urteilsfeststellungen seien "unzureichend" ; die Strafkammer habe die Zeugenaussagen nur teilweise wiedergegeben. Belastende Bekundungen der Zeuginnen St. und I. Kö. fänden sich nicht im Urteil und die Strafkammer setze sich nicht mit ihnen auseinander. Die Beanstandung greift nicht durch. Die Strafkammer hat den für sie überzeugungskräftig feststellbaren Sachverhalt in den Urteilsgründen dargestellt (UA S. 6 bis 20 unter II.). Im Zusammenhang mit der folgenden Beweiswürdigung (UA S. 21 ff. unter III.) ergibt sich ohne weiteres, auf welche Beweismittel sich die Kammer dabei stützt. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann keine Rede davon sein, daû Feststellungen und die Wiedergabe der Zeugenaussagen "undurchschaubar ineinander übergingen". Eine vollständige Dokumentation aller Zeugenaussagen in den Urteilsgründen würde im übrigen deren Zweck verfehlen (vgl. nur BGH NStZ 1998, 51). Der Hinweis auf das Fehlen einer Auseinandersetzung mit im Urteil nicht erwähnten belastenden Angaben, die auch die Revision nicht näher darlegt, geht ins Leere. Der sachlich-rechtlichen Überprüfung ist allein das zugrundezulegen, was sich aus dem Urteil selbst ergibt. bb) Der Revision ist allerdings einzuräumen, daû eine ausdrückliche Erörterung der Bedeutung des Hinweises auf einen stattgefundenen sexuellen Miûbrauch, der sich aus den kurzen Abschiedszeilen ergibt, welche K. Kö. vor ihrer Selbsttötung geschrieben hat, in der Beweiswürdigung fehlt. Das erweist sich unter den im übrigen gegebenen Umständen jedoch nicht als Beweiswürdigungslücke.
Die in Rede stehenden Zeilen waren im Blick auf die Tatvorwürfe ersichtlich von geringem Aussagegehalt. Sie bleiben inhaltlich noch hinter dem zurück, was K. Kö. anderen erzählt hatte; sie lauten: “Ich fühle mich wie ein Zombie, wie eine lebendige Tote. Schon zu lange. Miûbrauch - es zerfriût mich von innen wie ein tödliches Krebsgeschwür. Es tut mir so leid. Ich habe euch so lieb. Ihr habt alle versucht mir zu helfen." Diese Empfindungen stehen ohne weiteres mit der These im Einklang, daû K. Kö. lediglich glaubte, als Kind sexuell von ihrem Vater miûbraucht worden zu sein. Ein gegenläufiger Erkenntnisgewinn von Gewicht läût sich aus ihnen ersichtlich nicht ziehen. Es erscheint ausgeschlossen, daû die ausdrückliche Einbeziehung des Inhalts dieser Abschiedszeilen in die Gesamtschau aller Beweisumstände die Zweifel der Strafkammer hätte ausräumen und gar eine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung hätte mitbegründen können. cc) Die Strafkammer hat sich nicht etwa auf einen nicht bestehenden allgemein-gültigen Erfahrungssatz gestützt. Soweit die Kammer bei ihrer Beweiswürdigung erwähnt, daû Bruder und Mutter von K. Kö. trotz der Vielzahl der Fälle und der Hellhörigkeit des Hauses über Jahre hinweg nichts aufgefallen sei, daû K. Kö. im Sommer 1988 allein mit dem Angeklagten zurück an den Urlaubsort nach Jugoslawien fuhr und ohne Probleme schon früh sexuelle Beziehungen zu Männern unterhielt, bezieht sie in ihre Würdigung einzelne Umstände ein, die zumal in der Summe mit weiteren Tatsachen und in der Gesamtschau ihre Zweifel an der Richtigkeit der Tatvorwürfe begründeten. Damit hat sie entgegen der Auffassung der Revision nicht etwa allgemein -gültige Erfahrungssätze zugrundegelegt, die keine Ausnahme zulassen und schlechthin zwingende Folgerungen ergeben. Vielmehr handelt es sich um auf Erfahrung beruhende Einsichten, die nur Wahrscheinlichkeitsbewertungen ermöglichen, welche die zu beweisende Tatsache also wahrscheinlicher oder
unwahrscheinlicher machen, die der Richter aber erst anhand weiterer Beweisanzeichen prüfen und in die Gesamtbewertung der Beweise einstellen muû (vgl. BGHSt 31, 86, 89 f.; Kleinknecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. § 337 Rdn. 31). Daû die genannten Umstände hier möglicherweise auch anders hätten bewertet werden können, erweist sich deshalb nicht als rechtlicher Mangel der Beweiswürdigung. dd) Die Beschwerdeführerin rügt vergebens die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. F. . Sie meint, die Beweiswürdigung sei Aufgabe des Tatrichters, der sich nur in Ausnahmefällen eines Sachverständigen bedienen dürfe. Damit will sie erkennbar darauf hinaus, daû der Tatrichter ihres Erachtens seine Verantwortung für die Urteilsfindung auf den Sachverständigen abgeschoben habe. Zudem sei es hier unmöglich, so die Revision weiter, aufgrund der Aussagen "aus zweiter Hand" ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben einer nicht mehr lebenden Zeugin zu erstellen. Diese Sicht ist von Rechtsirrtum bestimmt. Die Beschwerdeführerin verkennt , daû es gerade dann, wenn wie im vorliegenden Falle die Beweiswürdigung schwierig ist und die maûgebliche Auskunftsperson Fragen aus dem Bereich der Aussagepsychologie und der Jugendpsychiatrie aufwirft, die Pflicht des Tatrichters sein kann (vgl. § 244 Abs. 2 StPO), sich sachverständig beraten zu lassen. Das gilt auch dann, wenn die betreffende Auskunftsperson selbst weder für eine unmittelbare Aussage noch für eine Exploration oder Untersuchung zur Verfügung steht. Daû die tatsächliche Grundlage für Anknüpfungen dann möglicherweise eher schmal ist, schlieût die Einholung sachverständigen Rates nicht aus. Es ist Sache des Sachverständigen, mit zu beurteilen , ob die gegebene Anknüpfungsgrundlage für eine Bewertung ausreicht und
wie verläûlich und aussagekräftig diese sein kann. Die Beschwerdeführerin erkennt in diesem Zusammenhang jedoch zutreffend, daû die Besonderheiten dieses Verfahrens Schwierigkeiten für die Beurteilung der Äuûerungen K. Kö. s gegenüber Dritten begründeten. Das gilt indessen auch und gerade für den Tatrichter. Diesem dann aber verfahrensrechtlich vorwerfen zu wollen, daû er sich für seine Überzeugungsbildung auch des Rates zweier Sachverständiger versichert hat, führt ins Abseits. Das Landgericht hat seine Pflicht zur eigenen Überzeugungsbildung schlieûlich nicht auf den aussagepsychologischen Sachverständigen verschoben , sondern dessen Gutachten bei der gebotenen umfassenden Bewertung der Indiztatsachen lediglich unterstützend herangezogen. Es hat zunächst die Gründe seiner Zweifel am objektiven Wahrheitsgehalt der Darstellungen K. Kö. s begründet und erst im Anschluû hervorgehoben, daû diese durch die eingeholten Gutachten "verstärkt und bestätigt" würden (UA S. 25; siehe auch UA S. 37 unten). ee) Die weiteren Einwände der Beschwerdeführerin erweisen sich in der Sache lediglich als unerhebliche Angriffe auf die tatrichterliche Beweiswürdigung. Damit wird nur der Versuch einer abweichenden Bewertung unternommen , der einer Revision nicht zum Erfolg zu verhelfen vermag.

d) Abschlieûend bemerkt der Senat, daû der Bestand des freisprechenden Urteils hier auch nicht durch die fehlende ausdrückliche Gesamtschau aller be- und entlastenden Beweisanzeichen gefährdet wird. Die Strafkammer hat die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Tatsachen festgestellt und in ihrer Beweiswürdigung vornehmlich die Gründe für ihre Zweifel daran dargestellt. Es kann ausgeschlossen werden, daû ihr dabei die belastenden Umstände aus dem Blick geraten sein könnten. Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR113/14
vom
24. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2014 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 26. August 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts besuchte der 9-jährige Nebenkläger S. an zwei nicht näher feststellbaren Tagen von Mitte August 2011 bis Mitte Oktober 2011 gemeinsam mit seinem damals 9-jährigen Verwandten M. den Angeklagten. Bei diesen Besuchen stimulierten sich der Nebenkläger und der Angeklagte jeweils gegenseitig manuell am entblößten erigierten Penis; beim zweiten Besuch nahm der Angeklagte entsprechende Handlungen auch mit dem Zeugen M. vor und führte zusätzlich bei diesem den Oralverkehr durch.
3
Der Angeklagte hat die Taten bestritten und eine Reihe von Falschbelastungsmotiven angeführt, die im Wesentlichen auf Auseinandersetzungen mit der Familie S. , insbesondere dem älteren Bruder des Nebenklägers, dem Zeugen Sc. , zurückzuführen seien. Das Landgericht sieht den Angeklagten ausschließlich aufgrund der Angaben des Zeugen M. als überführt an. Es hat den Sachver- halt festgestellt, den der Zeuge konstant geschildert hat, und die in der Aussage enthaltenen Divergenzen zugunsten des Angeklagten nicht zugrunde gelegt. Keines der vom Angeklagten genannten Falschbelastungsmotive habe einen engen Bezug zum Zeugen M. aufgewiesen; gegen die Einbindung des Zeugen M. in ein eventuelles Komplott der Familie S. spreche jeweils die Entstehungsgeschichte seiner Aussage und der des Zeugen Sc. . Die Angaben des Nebenklägers hat das Landgericht nicht herangezogen, weil sie Abweichungen im Kerngeschehen aufwiesen, detailarm seien und eine fremdsuggestive Beeinflussung durch den Zeugen Sc. , bei dem der Angeklagte im Sommer 2011 ebenfalls unter ähnlichen Umständen den Oralverkehr durchgeführt haben soll, nicht ausgeschlossen werden konnte.
4
2. Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Würdigung der Aussage des von der Strafkammer als einzigen Belastungszeugen herangezogenen Zeugen M. erfüllt die insofern geltenden strengen Anforderungen nicht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f., und vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12 – sowie Beschluss vom 30. August 2012 – 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19 und 119).
5
a) Die Urteilsgründe enthalten schon keine zusammenhängende Darstellung der Aussage des Zeugen M. mit den zugehörigen Details, die eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den im Einzelnen festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden, Abweichungen in der eigenen Aussage des Belastungszeugen für das Revisionsgericht überprüfbar machen. Hinzu kommt, dass das Landgericht zwar keine Feststellungen auf die Angaben des Nebenklägers gestützt hat; es hat sich aber auch nicht damit auseinandergesetzt , ob diese insgesamt der Glaubhaftigkeit der zugrunde gelegten Angaben entgegenstehen könnten.
6
b) Das Landgericht befasst sich zudem nur beiläufig mit der Entstehungsgeschichte der Aussagen des Zeugen M. und des Nebenklägers, ohne sie näher auszuführen. Namentlich teilen die Urteilsgründe nicht mit, wie es zur Aufdeckung der Taten und zur Anzeigeerstattung kam. Der Entstehungsgeschichte einer Aussage kommt aber gerade bei der Bewertung kindlicher Zeugen in Missbrauchsfällen besondere Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1997 – 3 StR 558/97, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3). Ihre Darstellung war hier gerade mit Blick auf das von dem Angeklagten behauptete Familienkomplott und den Tatvorwurf Sc. betreffend unentbehrlich.
7
Der Zeuge M. ist erstmals am 13. Januar 2012 polizeilich vernommen worden. Ausgangspunkt für seine Vernehmung waren die Angaben des Nebenklägers in dessen polizeilicher Vernehmung vom 9. Januar 2012. Das Landgericht hätte deshalb darstellen müssen, welche Angaben der Nebenkläger in dieser vorangegangenen Vernehmung gemacht hat und wie es wiederum zur Entstehung und Entwicklung dieser Aussage kam.
8
Am 16. Januar 2012 ist dann der Zeuge Sc. zu dem ihn betreffenden (von der Staatsanwaltschaft inzwischen eingestellten) Missbrauchsvorwurf gegen den Angeklagten polizeilich vernommen worden. Dieser enge zeitliche Zusammenhang seiner Vernehmung mit den polizeilichen Vernehmungen der geschädigten Kinder, die Ähnlichkeit der Tatvorwürfe und der Umstand, dass sich um die Familie des Nebenklägers, insbesondere um seinen Bruder , eine Reihe von möglichen Falschbelastungsmotiven rankt, hätten es erfordert, auch ihn betreffend Aussageentstehung und -entwicklung eingehender darzustellen und insbesondere auch in diesem Zusammenhang die Umstände und den Zeitpunkt der Anzeigeerstattung im Einzelnen darzulegen.
9
c) Schließlich ist die Feststellung, der Zeuge M. habe vor seiner Vernehmung mit niemandem über das Geschehen gesprochen (UA S. 17), durchgrei- fenden Zweifeln unterworfen. Insbesondere wäre zu erörtern gewesen, ob und inwieweit zwischen dem Zeugen M. und dem Nebenkläger Gespräche über die gemeinsam erlebten Taten, deren Aufdeckung und das Ermittlungsverfahren stattgefunden haben, um eine gegenseitige Beeinflussung der Zeugen – auch vor dem Hintergrund einer möglichen Fremdsuggestion durch den Zeugen Sc. (vgl. UA S. 19) – ausschließen zu können. Zudem erscheint die Annahme, dass die von der Polizei über den wesentlichen Inhalt der Aussage des Nebenklägers informierten Eltern des Zeugen M. vor dessen Vernehmung ihren Sohn nicht auf die Vorwürfe angesprochen haben sollen, schon nach der Lebenserfahrung zweifelhaft. Insoweit verweist der Senat ergänzend auf den Revisionsvortrag im Zusammenhang mit einer zulässig erhobenen Aufklärungsrüge.
10
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Angesichts des Alters der zur Tatzeit kindlichen Zeugen und der gesamten Begleitumstände wird das neue Tatgericht die Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten ernsthaft zu erwägen haben.
11
Der Senat weist darauf hin, dass die Aussagen des Nebenklägers und des Zeugen Sc. durchaus geeignet sein könnten, die Angaben des Zeugen M. zu stützen. Dies setzt freilich eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten gegenseitiger Beeinflussung der drei Zeugen voraus.
Basdorf Schneider Dölp
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 114/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
die Nebenklägerin persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.

I.


2
1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
3
In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
4
Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
5
In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
6
Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
7
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
8
Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.

II.


9
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
11
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).

12
2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
13
a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
14
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
15
aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
16
bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
17
b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
18
c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
19
d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
20
e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
21
Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
22
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
Nack Wahl Elf Graf Sander