Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2018 - 2 StR 419/18

bei uns veröffentlicht am14.11.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 419/18
vom
14. November 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:141118B2STR419.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , zu Ziff. 3 auf dessen Antrag, und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. November 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 14. Mai 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte im Fall 5 der Urteilsgründe verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und sexuellen Missbrauchs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge, soweit er verurteilt wurde. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte ein Nachbar der Mutter der am 6. März 2001 geborenen Nebenklägerin H. . Diese übernachtete oft beim Angeklagten und schlief dannzusammen mit ihm auf der Couch. Dort kam es zu sexuellen Übergriffen, als die Nebenklägerin zehn Jahre alt war. Dies begann, indem der Angeklagte sich an die Nebenklägerin drückte und die Hand des Mädchens über der Bekleidung an seinen Penis führte.
3
Kurz vor Weihnachten des Jahres 2011 war der Angeklagte mit der Nebenklägerin allein und sah fern. Nachdem die Nebenklägerin eingeschlafen war, versuchte er, ihr die Unterhose herunterzuziehen und machte Bewegungen wie bei einem Geschlechtsverkehr. Das Kind wurde wach und wehrte sich durch Tritte, so dass der Angeklagte von ihm abließ. Nachdem die Nebenklägerin eingeschlafen war, wiederholte sich der Vorgang zweimal aufgrund neuen Entschlusses des Angeklagten (Fälle 1 – 3 der Urteilsgründe).
4
Am folgenden Morgen schmückte der Angeklagte zusammen mit der Nebenklägerin den Weihnachtsbaum. Er stellte sich hinter sie, umfasste ihren Oberkörper und drückte seinen Penis, den er aus der Hose herausgeholt hatte, an ihr Gesäß. Sie befreite sich aus der Umarmung und sah, „dass er etwas aus der Hose hängen hatte.“ Er deklarierte den Vorfall als Versehen (Fall 4 der Urteilsgründe).
5
Anschließend kam es zu einem „Probier-Spiel“. Der Angeklagte stellte Gläser mit Honig, Marmelade, Zucker und Salz zusammen. Die Nebenklägerin sollte mit verbundenen Augen raten, welches Lebensmittel er ihr mit einem Löffel in den Mund steckte. Er strich sich Marmelade auf ein Körperteil und steckte es ihr in den Mund. Davon, dass es sich um seinen Penis handelte, vermochte sich die Strafkammer nicht zu überzeugen. Das Landgericht hat im Zweifel zugunsten des Angeklagten zugrunde gelegt, dass er dem Kind einen Finger, eventuell den Daumen, in den Mund eingeführt habe. Die Nebenklägerin empfand Ekel, biss zu und riss sich das Tuch von den Augen. Der Angeklagte hatte danach „den Hosenknopf geöffnet“ und sein Penis war ein Stück weit zu sehen (Fall 5 der Urteilsgründe).
6
2. Das Landgericht hat die Handlungen in den Fällen 1 – 4 jeweils als sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB bewertet. Im Fall 5 ist es von einem Fall des schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ausgegangen.

II.

7
Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen (Fälle 1 – 4) weist im Schuldspruch und bei den Einzelstrafen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen gegen die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs im Fall 5.
8
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass das festgestellte Einführen des Daumes oder eines anderen Fingers des Angeklagten in den Mund des Kindes nach dem Handlungszusammenhang eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt von Täter und Opfer gewesen ist. Diese Handlung war auch von einiger Erheblichkeit (§ 176 Abs. 1, § 184h Nr. 1 StGB); denn sie lässt sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch § 176 StGB geschützten Rechtsguts besorgen. Jedoch erfüllt die festgestellte Handlung des Einführens des Daumes durch den Angeklagten in den Mund des Kindes nicht den Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes.
9
a) Gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.
10
Der Begriff „Eindringen in den Körper“ umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen der Tat (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 268). Er ist nicht auf Vaginal-, Anal- und Oralverkehr beschränkt (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119; Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 234). Erfasst ist zum Beispiel auch das Eindringen mit Gegenständen in Vagina oder Anus (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16).
11
Die Gesetzgebungsmaterialien belegen, dass der Gesetzgeber eine umfassende Regelung treffen wollte, um besonders schwerwiegende sexuelle Handlungen zu erfassen (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 133; Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120). Anders als § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht auf eine besondere Erniedrigung des Opfers ab (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 269). Eine penetrierende sexuelle Handlung allein führt aber noch nicht zur Qualifikation des sexuellen Missbrauchs. Erforderlich ist auch, dass der Täter mit dem Kind dabei entweder den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt. Welche Handlungen dem Beischlaf ähnlich sind, lässt das Gesetz offen.
12
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Penetration des Körpers erforderlich, die im Belastungsgewicht für das geschützte Rechtsgut dem Beischlaf ähnelt (Senat, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 224 f.). Der Qualifikationstatbestand wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte das qualifizierende Merkmal dem durch das 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung nachgebildet werden (BT-Drucks. 13/8587, S. 31 f.). Hiernach sollte zwar vor allem das Eindringen des männlichen Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst werden (BT-Drucks. 13/2463, S. 7 und BT-Drucks. 13/7324, S. 6). Jedoch hat der Gesetzgeber die Anwendung des Qualifikationstatbestands nicht auf diese Arten sexueller Betätigung beschränkt (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR13/14, BGHSt 59, 263, 269). Dies folgt schon daraus, dass auch das Eindringen mit Gegenständen erfasst werden sollte (BT-Drucks. 13/2463, S. 7; 13/7324, S. 6).
13
Die Beischlafähnlichkeit der sexuellen Handlung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vaginalverkehr voraus (Senat, Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 270; a.A. Eschelbach/Krehl in Festschrift für Kargl, 2015, S. 81, 86 ff.). Eine Ähnlichkeit mit dem Beischlaf liegt regelmäßig schon dann vor, wenn die sexuelle Handlung entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des primären Geschlechtsteils geschieht. Sie ist aber vor allem an dem Gewicht der Rechtsgutverletzung zu messen (Senat aaO).
14
b) Nach diesem Maßstab ist das Einführen des Daumes oder eines Fingers in den Mund des Kindes jedoch kein Fall einer beischlafähnlichen Handlung (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 176a Rn. 22; s.a. SSW-StGB/ Wolters, 4. Aufl., § 176a Rn. 13; differenzierend Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176a Rn. 8b). Eine solche Handlung besitzt kein dem Beischlaf vergleichbares Belastungsgewicht für das geschützte Rechtsgut. Insbesondere ist kein primäres Geschlechtsorgan bei Täter oder Opfer beteiligt (vgl. Senat, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 235; Urteil vom 9. Juli 2014 – 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263, 267).
15
2. Der Senat kann den Schuldspruch nicht selbst in sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB ändern; er vermag nicht auszuschließen , dass der neue Tatrichter noch Feststellungen treffen kann, aus denen sich die Erfüllung des Qualifikationstatbestands ergibt.
16
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist insoweit nämlich lückenhaft. Es hat angenommen, nach Lage der Dinge komme nur das Einführen des Penis – so der Eindruck der Nebenklägerin – oder des Daumens – so die Erklärung des Angeklagten – in Frage, aber jedenfalls nicht das Einführen eines Löf- fels entsprechend den Vorgaben für das „Probier-Spiel“. Die Nebenklägerin hat- te nach ihrer Darstellung einerseits nach Abnehmen der Augenbinde keine Marmelade am Daumen des Angeklagten gesehen, andererseits hat sie ausgesagt , sein Penis sei zu sehen gewesen. Zudem habe das in den Mund einge- führte Körperteil „etwas unangenehm gerochen“. Um dennoch „verbleibenden Unwägbarkeiten“ Rechnung zu tragen, ist die Kammer zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er „entweder einen Finger oder den Daumen in den Mund der Geschädigten eingeführt hat.“ Die erwähnten Unwägbarkeiten hat die Strafkammer in den Urteilsgründen jedoch nicht erläutert, obwohl sie nicht auf der Hand liegen. Unklar bleibt andererseits die Erstreckung der exklu- siv für möglich gehaltenen Sachverhaltsvarianten auf einen „Finger“.
17
3. Der Wegfall des Schuldspruchs im Fall 5 führt zur Aufhebung der Einsatzstrafe und der Gesamtfreiheitsstrafe.
Franke Appl Eschelbach Zeng Meyberg

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2018 - 2 StR 419/18

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Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafgesetzbuch - StGB | § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer d

Strafgesetzbuch - StGB | § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2018 - 2 StR 419/18 zitiert 6 §§.

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Strafgesetzbuch - StGB | § 184h Begriffsbestimmungen


Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind,2. sexuelle Handlungen vor einer anderen Person nur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

Im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
sexuelle Handlungennur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind,
2.
sexuelle Handlungen vor einer anderen Personnur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 / 1 4
vom
9. Juli 2014
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Ein zum Zweck sexueller Erregung vorgenommenes Urinieren des Täters in
den Mund eines Kindes oder die Veranlassung des Kindes zum Urinieren in
den Mund des Täters ist eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in
den Körper verbunden und als beischlafähnlich zu werten ist (Fortführung von
BGHSt 53, 118).
BGH, Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14 - LG Aachen
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Juli 2013 im Fall 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahrenverurteilt und im Übrigen freigesprochen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte eng befreundet mit der Familie der 1996 geborenen G. , der späteren Geschädigten. Erstmals im Alter von fünf Jahren übernachtete sie bei dem Angeklagten , der sich fortan regelmäßig um sie kümmerte und sich zunehmend zu einer engen Bezugsperson der Geschädigten entwickelte. Immer häufiger übernachtete sie das ganze Wochenende und in den Schulferien auch mehrere Wochen bei dem Angeklagten. Beide schliefen dann gemeinsam auf einer Schlafcouch, wobei der Angeklagte die Geschädigte veranlasste - wie er selbst - nackt zu schlafen. Der Angeklagte schaffte eine zunehmend sexualisierte Atmosphäre und vermittelte der Geschädigten insbesondere den Eindruck , dass Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern normal sei. Im Einzelnen kam es zu nachfolgenden Tathandlungen:
3
Zwischen dem 28. Januar 2004 und 27. Januar 2005 zeigte der Angeklagte der damals 8-jährigen Geschädigten einen Pornofilm, in dem junge Mädchen im Alter von ungefähr vier Jahren den Oralverkehr an erwachsenen Männern ausführten. Der Angeklagte kommentierte die Szenen unter anderem dahin , welche der Mädchen ihm gefielen und dabei schön aussähen (Fall 1). Bei einer weiteren Gelegenheit zeigte er der Geschädigten einen Film, in dem ein erwachsener Mann einem jungen Mädchen an der Scheide leckte (Fall 2).
4
An einem Tag zwischen Sommer 2004 und dem 27. Januar 2007 veranlasste der Angeklagte die maximal 10-jährige Geschädigte, sich ausgezogen auf die Couch zu legen und leckte ihre Vagina im Bereich der Klitoris (Fall 3). Im gleichen Zeitraum und jedenfalls nach den Fällen 1 und 2 saß der Angeklagte mit der Geschädigten nackt in der Badewanne. Die Geschädigte, die insbesondere aufgrund des Vorspielens der Filme (Fall 1 und 2) der Fehlvorstellung unterlag, Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern sei normal, nahm während des Badens unvermittelt das Glied des Angeklagten in den Mund. Der Angeklagte fasste spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluss, sich von der Geschädigten den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen. Er unternahm daher nichts, den Oralverkehr zu beenden, sondern ließ die Geschädigte gewähren, um sich sexuell zu erregen (Fall 4).
5
In der Folgezeit bestärkte der Angeklagte die Geschädigte in der Annahme , dass Sexualkontakt zwischen ihnen beiden normal sei. Er äußerte wiederholt , dass sie für ihr Alter schon besonders reif sei, worauf die Geschädigte, die dem Angeklagten gefallen wollte, sehr stolz war. Der Angeklagte schwärmte auch von zwei 13- und 17-jährigen Mädchen, die mit ihm Urinspiele ausüben würden. Beeindruckt von den Erzählungen des Angeklagten und um ebenso erwachsen zu sein, erklärte sich die zwischenzeitlich 12-jährige Geschädigte an einem Tag zwischen dem 28. Januar 2008 und 27. Januar 2009 dazu bereit, sich von dem Angeklagten in den Mund urinieren zu lassen. Sie legte sich nackt auf den Boden, während sich der teilweise entkleidete Angeklagte über sie beugte und ihr in den geöffneten Mund urinierte, um sich sexuell zu erregen. Die Geschädigte schluckte den Urin herunter, empfand jedoch den Geschmack als ekelhaft und musste sich übergeben (Fall 5). Zu weiteren Urinspielen war sie aufgrund dieser Erfahrung zunächst nicht bereit. Dem Angeklagten gelang es aber, die Geschädigte ihrerseits zu veranlassen, ihm in den Mund zu urinieren. Er schluckte den Urin herunter, um sich sexuell zu erregen (Fall 6).
6
Da der Angeklagte weiterhin von Frauen schwärmte, mit denen er mit Urinieren verbundene Sexualpraktiken nachgehe, und die Geschädigte ihm unbedingt gefallen wollte, erklärte sie sich bald dazu bereit, es noch einmal auf umgekehrte Weise zu versuchen. Sie ließ es daher im Alter von 12 Jahren in mindestens einem Fall zu, dass ihr der Angeklagte in den offenen Mund urinier- te, wobei sie den Urin auch herunter schluckte (Fall 7). Fortan kam es zu regelmäßigen entsprechenden Praktiken, wobei der Angeklagte bei mindestens acht Gelegenheiten die zwischenzeitlich 13-jährige Geschädigte veranlasste, sich zu entkleiden und von ihm in den Mund urinieren zu lassen. Die Geschädigte schluckte den Urin bei allen Gelegenheiten herunter (Fälle 8 bis 15). Bei mindestens drei Gelegenheiten (Fälle 13 bis 15) führte die Geschädigte im Anschluss hieran den Oralverkehr am Angeklagten bis zum Samenerguss durch.
7
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen in den Fällen 1 bis 3 als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 13. November 1998 (Fall 1), § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (Fall 2) bzw. § 176 Abs. 1 StGB (Fall 3) und in den Fällen 4 bis 15 als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet.

II.

8
Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet, die Sachrüge dagegen teilweise begründet.
9
1. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall 4 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte es lediglich geschehen ließ, dass die Geschädigte den Oralverkehr an ihm ausübte, belegen kein vorsätzliches aktives Handeln des Angeklagten.
10
Die 2. Alternative des § 176 Abs. 1 StGB ist zwar bereits dann erfüllt, wenn der Täter sexuelle Handlungen „an sich von dem Kind vornehmen lässt”. Es handelt sich insoweit aber nicht um ein echtes Unterlassungsdelikt, weshalb das rein passive Dulden zur Tatbestandsverwirklichung nicht ausreicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der beim eigentlichen Sexualkontakt sich passiv verhaltende Täter zuvor aktiv auf das Kind eingewirkt hat, etwa durch Befehlen oder Überreden. Der Tatbestand kann darüber hinaus zwar auch erfüllt sein, wenn die Initiative zum Sexualkontakt - im Gegensatz etwa zum "Bestimmen" nach § 176 Abs. 2 StGB - vom Kind selbst ausgeht. Ein Gewähren-Lassen des Täters ist aber auch in diesem Fall nur dann tatbestandlich erfasst, wenn es über die rein passive Duldung hinausgeht und zum Beispiel eine Bestärkung der vom Kind ausgehenden Initiative enthält (vgl. Fischer, StGB 61. Aufl. § 176 Rn. 6; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176 Rn. 11).
11
Die Strafkammer hat vorliegend weder Feststellungen dahin getroffen, dass der Angeklagte unmittelbar vor dem Tatgeschehen auf die Geschädigte eingewirkt noch dass er das auf Initiative der Geschädigten in Gang gesetzte Geschehen in irgendeiner Weise positiv kommentiert oder sonst die Geschädigte in ihrem Tun bestärkt oder ermuntert hätte. Nach den Feststellungen ging die Initiative der Geschädigten vielmehr allein auf deren sexuelle Enthemmung zurück , die der Angeklagte zuvor über einen längeren Zeitraum gefördert hatte. Zwar kann auch ein solches im weiten Vorfeld der Tat liegendes aktives Einwirken des Täters auf das Opfer ein tatbestandliches Handeln im Sinne der 2. Alternative des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB begründen. Dass der Angeklagte aber schon im Vorfeld der Tat mit dem dafür erforderlichen Vorsatz handelte, hat die Strafkammer nicht festgestellt; sie ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Vorsatz, den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen, erst fasste, als die Geschädigte seinen Penis bereits in den Mund genommen hatte (UA S. 10, 38). Ein vorsätzliches tatbestandliches Handeln des Angeklagten ist daher nicht belegt.
12
Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 4 der Urteilsgründe und entzieht der dazugehörigen Einzelstrafe sowie dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
13
2. Die Nachprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
14
Das Landgericht hat die den Fällen 5 bis 15 zugrunde liegenden Tathandlungen zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt.
15
Der Schuldspruch in den Fällen 13 bis 15 begegnet schon deshalb keinen rechtlichen Bedenken, weil die Geschädigte in diesen Fällen zumindest auch den Oralverkehr an dem Angeklagten ausführte. Dabei handelt es sich ohne Weiteres um eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verbunden war. Aber auch die Bewertung des in den Fällen 5 bis 12 festgestellten gegenseitigen Urinierens in den Mund als jeweils schwerer sexueller Missbrauch von Kindern begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
16
Nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB als schwerer sexueller Missbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren an einem Kind den Beischlaf vollzieht (1. Alternative) oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (2. Alternative ). Die Voraussetzungen der 2. Alternative liegen hier vor. Sowohl das Urinieren des Angeklagten in den Mund der Geschädigten (Fälle 5, 7 bis 12) als auch das Urinieren der Geschädigten in den Mund des Angeklagten (Fall 6), verbunden jeweils mit der oralen Aufnahme, stellt eine sexuelle Handlung ge- mäß § 176 Abs. 1 StGB (a) dar, die mit dem Eindringen in einen Körper verbunden (b) und die als „beischlafsähnlich“ (c) zu werten ist:
17
a) Tathandlung des § 176 Abs. 1 StGB ist die Vornahme einer sexuellen Handlung durch den Täter an dem Kind oder aber das Vornehmen-Lassen von Handlungen des Kindes am Täter.
18
aa) Das gegenseitige Urinieren in den Mund stellt eine Handlung des Täters „an” dem Kind bzw. des Kindes „am” Täter im Sinne dieser Vorschrift dar. § 176 Abs. 1 StGB erfasst zwar - im Gegensatz zu seinem Absatz 2 - nur solche Handlungen, bei denen es zum Körperkontakt zwischen dem Täter und dem Kind kommt (BGH, Urteil vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 70; Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, 41, 242, 243; Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 StR 527/95, 285, 287; Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433; Beschluss vom 26. August 1998 - 2 StR 357/98). Dies setzt eine körperliche Berührung voraus, d.h. der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Allerdings ist mit „körperlicher Berührung” bzw. „Körperkontakt” nicht nur der unmittelbare Hautkontakt, d.h. die Berührung nackter Körperstellen gemeint (Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN). Vielmehr kann auch der Griff über der Kleidung oder die Berührung des Körpers mit einem Gegenstand eine sexuelle Handlung „an” einem anderen jedenfalls dann darstellen, wenn der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1995 - 3 StR 150/95, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 8 mwN; Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; vgl. Wolters in SK-StGB, Oktober 2012, § 184g Rn. 6; demgegenüber fordert Wolters an anderer Stelle - aaO, August 2012 § 176a Rn. 16 - einen unmittelbaren beidseitigen Körperkontakt). Entsprechend wird nicht nur das Berühren des Körpers mit einem Gegenstand, sondern auch das Ejakulieren auf den (nackten) Körper des Tatopfers als ausreichend erachtet (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; vgl. zu § 178 Abs. 1 StGB a.F. BGH, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN).
19
bb) Das gegenseitige Urinieren in den Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins stellte schon seinem äußeren Erscheinungsbild nach auch eine sexualbezogene Handlung im Sinne des § 176 Abs.1 StGB dar (allgemein zu den Voraussetzungen, vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZRR 2008, 339), denn es erfolgte jeweils unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.), wobei jedenfalls die Geschädigte regelmäßig auch vollständig unbekleidet war; zudem handelt es sich bei dem Urinieren auf den Körper oder in den Mund eines anderen um eine nicht ganz selten vorkommende sexuelle Praktik.
20
Das Handeln des Angeklagten war schließlich auch - wie festgestellt - in allen Fällen sexuell motiviert.
21
cc) Die Handlungen waren auch erheblich im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB, denn sie lassen sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch die §§ 174 ff. StGB geschützten Rechtsguts besorgen (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl. Senat, Beschluss vom 12. September 2012 - 2 StR 219/12, NStZ 2013, 280; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336). Das ist schon deshalb anzunehmen, weil das Tatopfer bei den Hand- lungen regelmäßig vollständig entkleidet war und das Geschehen in seinem Zusammenhang nach allgemeinem Empfinden weit entfernt ist von bloßen Taktlosigkeiten oder bagatellhaften Übergriffen.
22
b) Das Urinieren in den Mund des Opfers stellt ebenso wie das Urinieren des Opfers in den Mund des Täters ein „Eindringen in den Körper” im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar.
23
aa) Schon der Gesetzeswortlaut setzt nicht voraus, dass eine beteiligte Person mit einem eigenen Körperteil in den Körper einer anderen Person eindringt , sondern nur dass „etwas“ in den Körper des Anderen gelangt (vgl. Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 28). Ausreichend ist, dass eine sexuelle Handlung die Körpergrenze durchdringt (vgl. Frommel in Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. § 176a Rn. 4), weshalb sowohl das männliche Glied, andere Körperteile und feste Gegenstände als auch weiche Substanzen und Flüssigkeiten wie Sperma oder Urin vom Wortlaut erfasst sind (vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.; vgl. auch Schönke/Schröder/Eisele, StGB 29. Aufl. § 176a Rn. 8a; Ziegler in BeckOK StGB, Stand 22. Juli 2013, § 176a Rn. 11; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
24
bb) Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und von seinem Sinn und Zweck her erfasst § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Urinieren in den Mund als ein „Eindringen in den Körper”.
25
Der Begriff „Eindringen in den Körper” in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB um- schreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132). „Eindringen” erfordert zwar eine Penetration des Körpers, also nicht nur die bloße Berührung (BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27, 28). Er ist aber nicht ausdrücklich auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt (BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672).
26
Dafür spricht schon seine Entstehungsgeschichte. Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte dieses qualifizierende Merkmal im Wesentlichen dem durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung nachgebildet werden (BT-Drucks. 13/8587, S. 31 f.). Hiernach sollte „vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst” werden (BT-Drucks. 13/2463, S. 7 und BT-Drucks. 13/7324, S. 6; BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27). Mag danach der Gesetzgeber in erster Linie an den Anal- und Oralverkehr gedacht haben, so hat er die Anwendung des Tatbestandes neben dem Beischlaf nicht auf diese Arten sexueller Betätigung beschränkt. Dies folgt schon daraus, dass ausdrücklich auch „das Eindringen mit Gegenständen” er- fasst werden sollte, das „eine in gleicher Weise belastende und erniedrigende Verhaltensweise darstellen (kann)” (BT-Drucks. 13/2463, S. 7, BT-Drucks. 13/7324, S. 6, jew. zu § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrRG; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672). Demzufolge ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur das Eindringen des männlichen Glieds erfasst, sondern auch das Eindringen jedes anderen Körperteils oder von Gegenständen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Urteil vom 30. September 2004 - 4 StR 134/04, NStZ 2005, 152, 153 - jeweils zum Finger; Urteil vom 15. Juni 2005 - 1 StR 499/04, NStZ-RR 2007, 195, 196; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, NJW 2011, 3111 - Zunge; Beschluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13 - Vibrator).
27
Ein Eindringen in den Körper ist daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch dann gegeben, wenn Körpersekrete oder Ausscheidungsprodukte in Körperöffnungen gelangen und gerade (auch) hierin jedenfalls aus Sicht des Täters die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt. Anders als das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht auf die besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches - soweit beischlafähnlich - als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 120).
28
cc) Das gilt auch für solche Fälle, in denen das Urinieren in den Mund des Täters vorgenommen wird, denn tatbestandlich erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 133 ff. m. Anm. Hörnle, NStZ 2000, 310; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 119; vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 176a Rn. 8a; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
29
c) Bei den in den Fällen 5 bis 12 festgestellten sexuellen Handlungen handelt es sich auch um solche, die einem Beischlaf ähnlich sind.
30
Die gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erforderliche Beischlafähnlichkeit der mit einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen Handlung setzt nicht unbedingt äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vollzug des Beischlafs voraus (vgl. Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 26, 28; Fischer, aaO Rn. 8; a.A. Wolters in SK, StGB, August 2012, § 176a Rn. 16). Eine Ähnlichkeit mit dem Beischlaf liegt vielmehr regelmäßig schon dann vor, wenn die sexuelle Handlung ihrem äußeren Erscheinungsbild nach entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des (primären) Geschlechtsteils geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; Fischer, aaO Rn. 8 a; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a). Sie ist aber vor allem auch an dem Gewicht der Rechtsgutverletzung zu messen (Senat, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; a.A. Wolters in SK, StGB August 2012, § 176a Rn. 16), also an ihrer Erheblichkeit im Hinblick auf das in § 176a StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung und ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes. Entscheidend ist mithin, dass das Ausmaß der insoweit zu besorgenden Rechtsgutverletzung mit einem Beischlaf vergleichbar ist und diese Rechtsgutverletzung ebenfalls von einem Eindringen in den Körper herrührt. Richtigerweise ist darin ein (weiteres) Erheblichkeitsmerkmal zu sehen, wodurch die zweite Tatalternative angesichts des weiten Begriffs des Eindringens die notwendige Beschränkung erfährt (vgl. Ziegler in BeckOK StGB § 176a Rn. 12; Fischer, aaO Rn. 8; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a).
31
Gemessen daran, handelt es sich bei dem unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils erfolgten Urinieren in den geöffneten Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins sowohl von seinem äußeren Erscheinungsbild her als auch im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und vor allem aber die ungestörte sexuelle Entwicklung des zur Tat- zeit 12- bis 13-jährigen Kindes ohne Weiteres um eine dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung. Fischer Schmitt Krehl Ott Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 383/08
vom
19. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 176 a Abs. 2 Nr. 1
Die Qualifikation des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist bei Ejakulation in den Mund
des Tatopfers erfüllt.
BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08 - Landgericht Gera
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2008
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 16. April 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die insbesondere rügt, dass die Voraussetzungen des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt seien. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen rief der Angeklagte an einem Tag im Februar 2005 seine siebenjährige Tochter M. zu sich in sein Büro. Er führte die Hand des Kindes an sein unbekleidetes Geschlechtsteil und veranlasste es, an seinem Penis zu manipulieren. Er forderte es dann auf, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen, was das Kind ablehnte. Daraufhin gebot ihm der Angeklagte, die Augen zu schließen, und ejakulierte in seinen Mund. Auf seine Anweisung schluckte seine Tochter das Ejakulat.
3
2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat die Tat zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes nach § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt. Nach § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
4
Der Senat folgt nicht dem Vorbringen der Revision, dass der Qualifikationstatbestand nicht erfüllt sei, weil nicht der Penis des Angeklagten, sondern nur das Ejakulat in den Mund des Kindes gelangt sei.
5
Die Strafvorschrift des § 176 StGB schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern. Der Begriff „Eindringen in den Körper“ in § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (BGHSt 45, 131, 132). Er ist nicht auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt (BGH NJW 2000, 672 m. Anm. Renzikowski NStZ 2000, 367). Erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters (BGHSt 45, 131, 133 m. Anm. Hörnle NStZ 2000, 310). „Eindringen“ erfordert eine Penetration des Körpers. Es liegt nicht vor, wenn das Kind mit dem Mund den Penis des Täters nur berührt (BGH NStZ 2000, 27). „Eindringen“ in einen Körper können jedoch auch Flüssigkeiten (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache [2002]). Eine Penetration des Körpers ist daher gegeben, wenn Sperma des Täters in den Mund des Opfers gelangt. Weder die Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine Einschränkung des Wortlautes auf eine Penetration mit Körperteilen oder festen Gegenständen.
6
a) Der Qualifikationstatbestand des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176 a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollten die Qualifikationsmerkmale im Wesentlichen den Regelbeispielen der besonders schweren Fälle des § 177 StGB in der Fassung des 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) nachgebildet werden. Der Entwurf des 6. StrRG verweist ausdrücklich auf die Gesetzgebungsmaterialien zum 33. StrÄndG (BT-Drucks. 13/7164 S. 32). Die heutige Fassung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB beruht auf einer Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und der FDP vom 27. September 1995 (BT-Drucks. 13/2463) und floss später unverändert in einen letztlich verabschiedeten interfraktionellen Entwurf zahlreicher Bundestagsabgeordneter vom 21. März 1997 (BT-Drucks. 13/7324) ein. In beiden Begründungen heißt es gleich lautend, dem erzwungenen Beischlaf sollten ähnliche sexuelle Handlungen gleichgestellt werden, die das Opfer besonders erniedrigten. „Hiermit wird vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst. Aber auch das Eindringen mit Gegenständen kann eine in gleicher Weise belastende oder erniedrigende Verhaltensweise darstellen, die unter das zweite Regelbeispiel fällt“ (BT-Drucks. 13/2463 S. 7; 13/7324 S. 6).
7
Die Gesetzgebungsmaterialien belegen danach, dass der Gesetzgeber eine umfassende Regelung treffen wollte, um besonders schwerwiegende sexuelle Handlungen zu erfassen. Anders als in § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB stellt § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB aber nicht auf eine besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist. Weiterer maßgebender Grund für die Gesetzesverschärfung war neben der besonders nachhaltigen Beeinträchtigung des Opfers die Möglichkeit, es mit Aids zu infizieren und die entsprechende Angst des Opfers (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 32 i. V. m. BT-Drucks. 13/2463 S. 6 und BT-Drucks. 13/7324 S. 5). Diese Gefahren bestehen gleichermaßen beim Ejakulieren in den Mund des Opfers.
8
b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Ejakulieren auf den (nackten) Körper eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt (so zu § 178 Abs. 1 StGB a. F. BGH NStZ 1992, 433 m. w. N.). Die sexuelle Handlung am Tatopfer setzt körperliche Berührung voraus, der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Erforderlich ist, dass der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies hat der Senat für den Fall verneint, dass das Opfer eine Lederjacke trug, auf die ejakuliert wurde. Demgegenüber reicht die Berührung des (nackten) Körpers durch Sperma des Täters als körperliche Einwirkung. Dringt dann aber das Sperma in eine Körperöffnung des Opfers ein, handelt es sich nicht nur um eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt, sondern auch um eine solche, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist.
9
c) Die notwendige Begrenzung des Tatbestandes leisten bei § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Erfordernis einer im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblichen sexuellen Handlung nach § 184 g Nr. 1 StGB und das Tatbestandsmerkmal der Beischlafähnlichkeit der Tathandlung (vgl. zu letzterem Fischer StGB 56. Aufl. § 176 a Rdn. 8, § 177 Rdn. 71). Diese Kriterien sind auch in den Fällen des Eindringens mit Flüssigkeiten oder breiigen Gegenständen in den Mund zu prüfen. An der Sexualbezogenheit und der „Beischlafähnlichkeit“ von Handlungen, bei denen die Tathandlung entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des Geschlechtsteils geschieht, besteht allerdings nach der gesetzgeberischen Bewertung kein Zweifel (BGH NJW 2000, 672). Damit erfasst der Tatbestand aber ohne Weiteres auch Fälle, in denen der Täter aus seinem Geschlechtsteil Sperma in den Mund des Opfers spritzen lässt. VRi'inBGH Dr. Rissing-van Saan Rothfuß Roggenbuck ist an der Unterschrift verhindert. Rothfuß Appl Schmitt

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 65/11
vom
14. April 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
Ein "Zungenkuss" ist in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im
BGH, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11 - LG Kassel
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 9. Dezember 2010 dahin geändert, dass 1. der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem Fall schuldig ist, 2. der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird. II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. III. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Ange- klagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in den Jahren von 2007 bis 2009 zu vier Taten zum Nachteil der am 22. Juli 2000 geborenen Geschädigten. Die erste Tat bestand darin, dass der Angeklagte der Geschädigten einen "Zungenkuss" gab, den das Kind als "eklig" empfand. Bei der zweiten und dritten Tat führte der Angeklagte jeweils einen Finger in Scheide und After des Kindes ein. Bei der vierten Tat kam es zum Eindringen mit dem Finger in die Scheide.
3
Das Landgericht hat alle Taten als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB angesehen und den Fall des "Zungenkusses" als minderschweren Fall im Sinne von § 176a Abs. 4 Halbs. 2 StGB bewertet, weil die Schwelle der Erheblichkeit der sexuellen Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nur leicht überschritten worden sei. Für diese Tat hat das Landgericht eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt, für die zweite und dritte Tat jeweils Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren und für die vierte Tat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten gebildet.

II.

4
Die Revision ist nur zu einem geringen Teil begründet. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt worden und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Sachrüge führt im Fall II.1. der Urteilsgründe zu einer Änderung des Schuldspruchs und des Ausspruchs über die Einzelstrafe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
5
1. Der Schuldspruch ist dahin zu ändern, dass im Fall II.1. der Urteilsgründe nur das Grunddelikt nach § 176 Abs. 1 StGB, nicht aber die Qualifikation gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Im Übrigen ist der Schuldspruch rechtlich nicht zu beanstanden.
6
Rechtsfehlerfrei ist die Bewertung der Handlungen in den Fällen II.2. bis II.4. der Urteilsgründe jeweils als schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Erforderlich ist dafür, dass der über achtzehn Jahre alte Täter mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Zwar ist nicht jedes Eindringen in den Körper ausreichend, sondern nur eine dem Beischlaf "ähnliche Handlung". Davon werden andererseits nicht ausschließlich Fälle des Oraloder Analverkehrs erfasst, also nur ein Eindringen mit dem männlichen Glied. Auch das Eindringen mit anderen Körperteilen oder mit Gegenständen in den Körper kann im Einzelfall genügen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672 f. mit Anm. Renzikowski NStZ 2000, 367 f.). Erforderlich ist aber, dass die sexuelle Handlung mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119), ähnlich schwer wiegt wie eine Vollziehung des Beischlafs. Dies ist bei einem Ein- dringen mit dem Finger in Scheide oder After des Kindes anzunehmen (vgl. LK/Hörnle, StGB, § 176a Rn. 27; SK/Wolters, StGB, 124. Lfg. 2010 § 176a Rn. 16; aA Folkers JR 2007, 11, 14).
7
Anders liegt es im Fall II.1. der Urteilsgründe, bei dem die Tat sich in einem "Zungenkuss" erschöpft hat. Dieser kann zwar als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von §§ 176 Abs. 1, 184g Nr. 1 StGB (differenzierend OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 45 f.), die auch mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, jedoch nicht als eine zugleich "dem Beischlaf ähnliche" Handlung angesehen werden. Dagegen spricht schon das äußere Erscheinungsbild der Handlung, an der - anders als bei dem beischlafähnlichen Anal- oder Oralverkehr (vgl. dazu BGH Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, BGHR StGB, § 176a Abs. 1 Nr. 1 Sexuelle Handlung 1) - kein primäres Geschlechtsorgan beteiligt ist. Soweit § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB auch deskripitive Elemente enthält, liegt die Gleichsetzung des Zungenkusses mit dem Beischlaf schon begrifflich fern. Die Ähnlichkeit der sexuellen Handlung mit dem Beischlaf ist aber vor allem auch an der Gewichtung der Rechtsgutsverletzung zu messen. Geschütztes Rechtsgut ist in den Fällen des § 176a StGB die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119). Der Zungenkuss wirkt hierauf regelmäßig nicht so intensiv ein wie ein Vaginal-, Oral- oder Analverkehr. Schließlich ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber den Fall des Zungenkusses der Norm unterwerfen wollte (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 31 f.; zuvor BT-Drucks. 13/2463 S. 7 und 13/7324 S. 6, jeweils zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB). Der Senat nimmt daher im Einklang mit der in der Literatur vorherrschenden Ansicht (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl. § 176a Rn. 8; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 27; Perron/Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8; Renzikowski NStZ 2000, 367 f.; SK/Wolters aaO § 176a Rn. 16; Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, BeckOK-StGB 2011 § 176a Rn. 12; weitergehend Folkers JR 2007, 11 ff.; aA NK/Frommel, StGB, 2009 § 176a Rn. 11; Laubenthal, Sexualstraftaten; Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung , 2000, Rn. 382) an, dass der "Zungenkuss" in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist. Ob unter besonderen Umständen in extremen Ausnahmefällen etwas anderes gelten kann, kann hier offen bleiben.
8
Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs steht nicht entgegen. Der 5. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 21. Mai 2008 - 5 StR 197/08 die Beweiswürdigung des Tatgerichts beanstandet und das angefochtene Urteil deshalb aufgehoben. Die Einordnung des "Zungenkusses" als eine dem Beischlaf ähnliche Handlung war dort keine tragende Erwägung. Der 4. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99 (NJW 2000, 672 f.) andere Formen des Eindringens in den Körper als beim Oral- oder Analverkehr "mit Ausnahme des Zungenkusses" als dem Beischlaf ähnliche Handlungen bezeichnet.
9
Es bleibt daher im Fall II.1. der Urteilsgründe bei der Erfüllung des Grundtatbestands nach § 176 Abs. 1 StGB. Der Senat ändert insoweit den Schuldspruch ab. Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedarf es beim Wegfall einer Qualifikation nicht (vgl. BGH Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 505/01, BGHR StPO, § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 16).
10
2. Der Senat setzt die Einzelstrafe für den Fall II.1. nach der Schuldspruchänderung auf die Mindeststrafe gemäß § 176 Abs. 1 StGB in der ab 1. April 2004 und damit auch für die Tatzeit geltenden Fassung des Gesetzes auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten fest, weil die sexuelle Handlung die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nur geringfügig überschritten hatte. Es ist ausgeschlossen, dass die Gesamtstrafe dadurch beeinflusst wird.

Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 389/16
vom
8. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:081216U4STR389.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Dezember 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Paul als beisitzende Richter, Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Vertreterin des Nebenklägers, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28. April 2016 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels, die dem Neben- und Adhäsionskläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen und die im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil – mit Ausnahme der Entscheidung über die Adhäsionsanträge – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sechs Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Während die Revision des Angeklagten unbegründet ist, hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hielten sich die Brüder J. und P. G. vom 22. bis zum 30. August 2015 mit dem Angeklagten auf dem Campingplatz am T. auf. Der Angeklagte, der eine besondere Erregung daran empfindet, wenn größere – schon trockene – Kinder von ihm eine Windel angezogen bekommen, ging an den Abenden vom 22. bis zum 27. August 2015 jeweils mit dem achtjährigen P. , der keinerlei Krankheitsanzeichen aufwies, in seinen Wohnwagen. P. musste sich mit dem Rücken aufs Bett legen. Der Angeklagte cremte dessen Genitalbereich, den Penis und den Po, insbesondere um den Anus, ein und nahm eine rektale Fiebermessung vor. Anschließend behauptete er wahrheitswidrig, dass P. Fieber habe und deshalb Fieberzäpfchen erforderlich seien. Er führte P. jeweils ein Zäpfchen mit einem abführenden Medikament – entweder Glycilax oder Dulcolax – und ein Zäpfchen gegen Übelkeit – Vomex A – ein. Die Zäpfchen steckte der Angeklagte jeweils mit seinem Daumen in den Anus, wobei er die Zäpfchen falsch herum einführte und seinen Daumen ebenfalls soweit in den Anus hineinsteckte, bis das Zäpfchen nicht weiter hineingeschoben werden konnte. Die Schmerzensbekundungen von P. ignorierte er. Anschließend zog der Angeklagte P. eine Windel an und darüber einen Kinderbody. Kurze Zeit später verspürte P. einen starken Drang, auf die Toilette zu gehen. Der Angeklagte forderte ihn auf, in die Windel zu machen. Danach schlief P. aufgrund der Nebenwirkung des Präparates Vomex A im Bett des Angeklagten ein.
3
Das Landgericht hat das Vorliegen sexueller Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, bejaht. Die Qualifikation des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB sei aber nicht erfüllt, weil das Eindringen mit Zäpfchen und Daumen in den Anus von P. nicht als beischlafähnliche Handlung angesehen werden könne. Diese Vorgehensweise sei bei Kindern nicht unüblich, auch P. habe schon früher Zäpfchen erhalten. Tateinheitlich habe sich der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB sei hingegen nicht gegeben, weil die vom Angeklagten verabreichte Dosis der Medikamente – abgesehen von der abführenden Wirkung und der Nebenwirkung der Müdigkeit – keine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung habe auslösen können. Auch eine Misshandlung Schutzbefohlener liege nicht vor, weil ein länger andauerndes Leiden oder Schmerzempfinden nicht habe festgestellt werden können.

II.


4
Die Revision des Angeklagten zeigt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

III.


5
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
6
1. Das Landgericht hat zutreffend eine sexuelle Handlung im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB bejaht.
7
a) Eine sexuelle Handlung liegt grundsätzlich vor, wenn die Handlung objektiv , also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeutigen Sexualbezug aufweist (vgl. BGH, Urteile vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, BGHR StGB § 184f Sexuelle Handlung 2; vom 14. März 2012 – 2 StR 561/11, NStZ-RR 2013, 10, 12 jeweils mwN). Dies ist bei den festgestellten Handlungen – Eincremen des Genitalbereichs, Einführen eines Thermometers und von Zäpfchen mittels des Daumens in den Anus eines achtjährigen Jungen – nicht der Fall. Bei äußerlich ambivalenten Handlungen, die – wie hier – für sich betrachtet nicht ohne weiteres einen sexuellen Bezug aufweisen, ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalls , also auch die Zielrichtung des Täters, kennt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431, 432; Beschluss vom 23. August 1991 – 3 StR 292/91, BGHR StGB § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 5). Selbst wenn man insoweit eine sexuelle Absicht des Täters verlangen würde (BGH, Urteile vom 20. Dezember 2007 und vom 14. März 2012 aaO), läge diese nach den Feststellungen hier vor, wobei dahinstehen kann, ob bereits das Eincremen des Genitalbereichs und das Eindringen mit Thermometer, Zäpfchen und Daumen in den Körper des Kindes als solches oder erst das spätere Anlegen der Windel zu einer sexuellen Stimulation geführt hat. Das Landgericht hat in einer fehlerfreien Beweiswürdigung eine medizinische Indikation für diese Handlungen ausgeschlossen und als Motiv hierfür allein den Wunsch des Angeklagten , Kinder mit Windeln zu erleben, um sich sexuell zu erregen, festgestellt.
8
b) Die Handlungen waren auch erheblich im Sinne von § 184h Nr. 1 StGB, denn sie lassen sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch die §§ 174 ff. StGB geschützten Rechtsguts besorgen (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Urteil vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; Beschluss vom 12. September 2012 – 2 StR 219/12, NStZ 2013, 280 mwN). Das Geschehen war nach allgemeinem Empfinden weit entfernt von einem bagatellhaften Übergriff.
9
2. Das Landgericht hat aber rechtsfehlerhaft den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB) verneint.
10
a) Nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Die Strafvorschrift des § 176 StGB schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern. Der Begriff „Eindringen in den Körper“ in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (BGH, Urteil vom 16. Juni 1999 – 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132; Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119). Erforderlich ist, dass die sexuelle Handlung mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2008 aaO), ähnlich schwer wiegt wie eine Vollziehung des Beischlafs. Auf eine besondere Erniedrigung des Opfers stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB daher nicht ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist (BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 4 StR 389/99, NJW 2000, 672 f. mit Anm. Renzikowski, NStZ 2000, 367 f.; und Beschluss vom 19. Dezember 2008 – 2 StR 383/08 aaO). Eine solche ist bei einem Eindringen mit dem Finger oder mit Gegenständen in Scheide oder After eines Kindes grundsätzlich anzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 224; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176a Rn. 27; SK/Wolters, StGB, 135. Lfg. 2012 § 176a Rn. 16; aA Folkers, JR 2007, 11, 14 f.).
11
b) Das sexuell motivierte Einführen eines Thermometers, von Zäpfchen und des Daumens in den Anus – wie hier – stellt danach jeweils ein „Eindringen in den Körper“ im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar. Als sexuelle Hand- lungen wiegen diese Tätigkeiten im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und in die ungestörte sexuelle Entwicklung eines Kindes entgegen der Auffassung des Landgerichts so schwer, dass sie einem Beischlaf ähnlich sind. Auf eine möglicherweise fehlende konkrete Beeinträchtigung der sexuellen Entwicklung des Tatopfers durch die sexuelle Handlung (UA 16) kommt es hingegen für die Beurteilung des Schweregrades und damit der Beischlafähnlichkeit der Handlung nicht an.
12
3. Der Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung der – mit Blick auf die beim Einführen der Zäpfchen festgestellten Schmerzen des Kindes – rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Hingegen ist die Verneinung der Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Der Vortrag der Revision zu der Wirkung der verabreichten Zäpfchen ist weitgehend urteilsfremd. Um die behauptete Schädlichkeit der Medikamente in das Revisionsverfahren einzuführen, hätte es einer entsprechenden Aufklärungsrüge bedurft. Auch ein Quälen des Kindes nach § 225 Abs. 1 StGB liegt nach den bisherigen Feststellungen nicht nahe.
13
4. Die Aufhebung der Entscheidungen über die Anträge im Adhäsionsverfahren durch den Senat ist nicht geboten. Darüber hat das neue Tatgericht zu entscheiden (BGH, Beschlüsse vom 12. April 2016 – 2 StR 523/15 Rn. 23, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2016, 526; vom 2. Februar 2006 – 4 StR 570/05, NJW 2006, 1890, 1891).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Paul

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 383/08
vom
19. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 176 a Abs. 2 Nr. 1
Die Qualifikation des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist bei Ejakulation in den Mund
des Tatopfers erfüllt.
BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08 - Landgericht Gera
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2008
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gera vom 16. April 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die insbesondere rügt, dass die Voraussetzungen des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt seien. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen rief der Angeklagte an einem Tag im Februar 2005 seine siebenjährige Tochter M. zu sich in sein Büro. Er führte die Hand des Kindes an sein unbekleidetes Geschlechtsteil und veranlasste es, an seinem Penis zu manipulieren. Er forderte es dann auf, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen, was das Kind ablehnte. Daraufhin gebot ihm der Angeklagte, die Augen zu schließen, und ejakulierte in seinen Mund. Auf seine Anweisung schluckte seine Tochter das Ejakulat.
3
2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat die Tat zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes nach § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt. Nach § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
4
Der Senat folgt nicht dem Vorbringen der Revision, dass der Qualifikationstatbestand nicht erfüllt sei, weil nicht der Penis des Angeklagten, sondern nur das Ejakulat in den Mund des Kindes gelangt sei.
5
Die Strafvorschrift des § 176 StGB schützt die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern. Der Begriff „Eindringen in den Körper“ in § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (BGHSt 45, 131, 132). Er ist nicht auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt (BGH NJW 2000, 672 m. Anm. Renzikowski NStZ 2000, 367). Erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters (BGHSt 45, 131, 133 m. Anm. Hörnle NStZ 2000, 310). „Eindringen“ erfordert eine Penetration des Körpers. Es liegt nicht vor, wenn das Kind mit dem Mund den Penis des Täters nur berührt (BGH NStZ 2000, 27). „Eindringen“ in einen Körper können jedoch auch Flüssigkeiten (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache [2002]). Eine Penetration des Körpers ist daher gegeben, wenn Sperma des Täters in den Mund des Opfers gelangt. Weder die Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine Einschränkung des Wortlautes auf eine Penetration mit Körperteilen oder festen Gegenständen.
6
a) Der Qualifikationstatbestand des § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176 a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollten die Qualifikationsmerkmale im Wesentlichen den Regelbeispielen der besonders schweren Fälle des § 177 StGB in der Fassung des 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) nachgebildet werden. Der Entwurf des 6. StrRG verweist ausdrücklich auf die Gesetzgebungsmaterialien zum 33. StrÄndG (BT-Drucks. 13/7164 S. 32). Die heutige Fassung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB beruht auf einer Gesetzesinitiative der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und der FDP vom 27. September 1995 (BT-Drucks. 13/2463) und floss später unverändert in einen letztlich verabschiedeten interfraktionellen Entwurf zahlreicher Bundestagsabgeordneter vom 21. März 1997 (BT-Drucks. 13/7324) ein. In beiden Begründungen heißt es gleich lautend, dem erzwungenen Beischlaf sollten ähnliche sexuelle Handlungen gleichgestellt werden, die das Opfer besonders erniedrigten. „Hiermit wird vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst. Aber auch das Eindringen mit Gegenständen kann eine in gleicher Weise belastende oder erniedrigende Verhaltensweise darstellen, die unter das zweite Regelbeispiel fällt“ (BT-Drucks. 13/2463 S. 7; 13/7324 S. 6).
7
Die Gesetzgebungsmaterialien belegen danach, dass der Gesetzgeber eine umfassende Regelung treffen wollte, um besonders schwerwiegende sexuelle Handlungen zu erfassen. Anders als in § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB stellt § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB aber nicht auf eine besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist. Weiterer maßgebender Grund für die Gesetzesverschärfung war neben der besonders nachhaltigen Beeinträchtigung des Opfers die Möglichkeit, es mit Aids zu infizieren und die entsprechende Angst des Opfers (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 32 i. V. m. BT-Drucks. 13/2463 S. 6 und BT-Drucks. 13/7324 S. 5). Diese Gefahren bestehen gleichermaßen beim Ejakulieren in den Mund des Opfers.
8
b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist das Ejakulieren auf den (nackten) Körper eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt (so zu § 178 Abs. 1 StGB a. F. BGH NStZ 1992, 433 m. w. N.). Die sexuelle Handlung am Tatopfer setzt körperliche Berührung voraus, der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Erforderlich ist, dass der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies hat der Senat für den Fall verneint, dass das Opfer eine Lederjacke trug, auf die ejakuliert wurde. Demgegenüber reicht die Berührung des (nackten) Körpers durch Sperma des Täters als körperliche Einwirkung. Dringt dann aber das Sperma in eine Körperöffnung des Opfers ein, handelt es sich nicht nur um eine sexuelle Handlung mit Körperkontakt, sondern auch um eine solche, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist.
9
c) Die notwendige Begrenzung des Tatbestandes leisten bei § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Erfordernis einer im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblichen sexuellen Handlung nach § 184 g Nr. 1 StGB und das Tatbestandsmerkmal der Beischlafähnlichkeit der Tathandlung (vgl. zu letzterem Fischer StGB 56. Aufl. § 176 a Rdn. 8, § 177 Rdn. 71). Diese Kriterien sind auch in den Fällen des Eindringens mit Flüssigkeiten oder breiigen Gegenständen in den Mund zu prüfen. An der Sexualbezogenheit und der „Beischlafähnlichkeit“ von Handlungen, bei denen die Tathandlung entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des Geschlechtsteils geschieht, besteht allerdings nach der gesetzgeberischen Bewertung kein Zweifel (BGH NJW 2000, 672). Damit erfasst der Tatbestand aber ohne Weiteres auch Fälle, in denen der Täter aus seinem Geschlechtsteil Sperma in den Mund des Opfers spritzen lässt. VRi'inBGH Dr. Rissing-van Saan Rothfuß Roggenbuck ist an der Unterschrift verhindert. Rothfuß Appl Schmitt

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 / 1 4
vom
9. Juli 2014
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Ein zum Zweck sexueller Erregung vorgenommenes Urinieren des Täters in
den Mund eines Kindes oder die Veranlassung des Kindes zum Urinieren in
den Mund des Täters ist eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in
den Körper verbunden und als beischlafähnlich zu werten ist (Fortführung von
BGHSt 53, 118).
BGH, Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14 - LG Aachen
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Juli 2013 im Fall 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahrenverurteilt und im Übrigen freigesprochen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte eng befreundet mit der Familie der 1996 geborenen G. , der späteren Geschädigten. Erstmals im Alter von fünf Jahren übernachtete sie bei dem Angeklagten , der sich fortan regelmäßig um sie kümmerte und sich zunehmend zu einer engen Bezugsperson der Geschädigten entwickelte. Immer häufiger übernachtete sie das ganze Wochenende und in den Schulferien auch mehrere Wochen bei dem Angeklagten. Beide schliefen dann gemeinsam auf einer Schlafcouch, wobei der Angeklagte die Geschädigte veranlasste - wie er selbst - nackt zu schlafen. Der Angeklagte schaffte eine zunehmend sexualisierte Atmosphäre und vermittelte der Geschädigten insbesondere den Eindruck , dass Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern normal sei. Im Einzelnen kam es zu nachfolgenden Tathandlungen:
3
Zwischen dem 28. Januar 2004 und 27. Januar 2005 zeigte der Angeklagte der damals 8-jährigen Geschädigten einen Pornofilm, in dem junge Mädchen im Alter von ungefähr vier Jahren den Oralverkehr an erwachsenen Männern ausführten. Der Angeklagte kommentierte die Szenen unter anderem dahin , welche der Mädchen ihm gefielen und dabei schön aussähen (Fall 1). Bei einer weiteren Gelegenheit zeigte er der Geschädigten einen Film, in dem ein erwachsener Mann einem jungen Mädchen an der Scheide leckte (Fall 2).
4
An einem Tag zwischen Sommer 2004 und dem 27. Januar 2007 veranlasste der Angeklagte die maximal 10-jährige Geschädigte, sich ausgezogen auf die Couch zu legen und leckte ihre Vagina im Bereich der Klitoris (Fall 3). Im gleichen Zeitraum und jedenfalls nach den Fällen 1 und 2 saß der Angeklagte mit der Geschädigten nackt in der Badewanne. Die Geschädigte, die insbesondere aufgrund des Vorspielens der Filme (Fall 1 und 2) der Fehlvorstellung unterlag, Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern sei normal, nahm während des Badens unvermittelt das Glied des Angeklagten in den Mund. Der Angeklagte fasste spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluss, sich von der Geschädigten den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen. Er unternahm daher nichts, den Oralverkehr zu beenden, sondern ließ die Geschädigte gewähren, um sich sexuell zu erregen (Fall 4).
5
In der Folgezeit bestärkte der Angeklagte die Geschädigte in der Annahme , dass Sexualkontakt zwischen ihnen beiden normal sei. Er äußerte wiederholt , dass sie für ihr Alter schon besonders reif sei, worauf die Geschädigte, die dem Angeklagten gefallen wollte, sehr stolz war. Der Angeklagte schwärmte auch von zwei 13- und 17-jährigen Mädchen, die mit ihm Urinspiele ausüben würden. Beeindruckt von den Erzählungen des Angeklagten und um ebenso erwachsen zu sein, erklärte sich die zwischenzeitlich 12-jährige Geschädigte an einem Tag zwischen dem 28. Januar 2008 und 27. Januar 2009 dazu bereit, sich von dem Angeklagten in den Mund urinieren zu lassen. Sie legte sich nackt auf den Boden, während sich der teilweise entkleidete Angeklagte über sie beugte und ihr in den geöffneten Mund urinierte, um sich sexuell zu erregen. Die Geschädigte schluckte den Urin herunter, empfand jedoch den Geschmack als ekelhaft und musste sich übergeben (Fall 5). Zu weiteren Urinspielen war sie aufgrund dieser Erfahrung zunächst nicht bereit. Dem Angeklagten gelang es aber, die Geschädigte ihrerseits zu veranlassen, ihm in den Mund zu urinieren. Er schluckte den Urin herunter, um sich sexuell zu erregen (Fall 6).
6
Da der Angeklagte weiterhin von Frauen schwärmte, mit denen er mit Urinieren verbundene Sexualpraktiken nachgehe, und die Geschädigte ihm unbedingt gefallen wollte, erklärte sie sich bald dazu bereit, es noch einmal auf umgekehrte Weise zu versuchen. Sie ließ es daher im Alter von 12 Jahren in mindestens einem Fall zu, dass ihr der Angeklagte in den offenen Mund urinier- te, wobei sie den Urin auch herunter schluckte (Fall 7). Fortan kam es zu regelmäßigen entsprechenden Praktiken, wobei der Angeklagte bei mindestens acht Gelegenheiten die zwischenzeitlich 13-jährige Geschädigte veranlasste, sich zu entkleiden und von ihm in den Mund urinieren zu lassen. Die Geschädigte schluckte den Urin bei allen Gelegenheiten herunter (Fälle 8 bis 15). Bei mindestens drei Gelegenheiten (Fälle 13 bis 15) führte die Geschädigte im Anschluss hieran den Oralverkehr am Angeklagten bis zum Samenerguss durch.
7
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen in den Fällen 1 bis 3 als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 13. November 1998 (Fall 1), § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (Fall 2) bzw. § 176 Abs. 1 StGB (Fall 3) und in den Fällen 4 bis 15 als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet.

II.

8
Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet, die Sachrüge dagegen teilweise begründet.
9
1. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall 4 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte es lediglich geschehen ließ, dass die Geschädigte den Oralverkehr an ihm ausübte, belegen kein vorsätzliches aktives Handeln des Angeklagten.
10
Die 2. Alternative des § 176 Abs. 1 StGB ist zwar bereits dann erfüllt, wenn der Täter sexuelle Handlungen „an sich von dem Kind vornehmen lässt”. Es handelt sich insoweit aber nicht um ein echtes Unterlassungsdelikt, weshalb das rein passive Dulden zur Tatbestandsverwirklichung nicht ausreicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der beim eigentlichen Sexualkontakt sich passiv verhaltende Täter zuvor aktiv auf das Kind eingewirkt hat, etwa durch Befehlen oder Überreden. Der Tatbestand kann darüber hinaus zwar auch erfüllt sein, wenn die Initiative zum Sexualkontakt - im Gegensatz etwa zum "Bestimmen" nach § 176 Abs. 2 StGB - vom Kind selbst ausgeht. Ein Gewähren-Lassen des Täters ist aber auch in diesem Fall nur dann tatbestandlich erfasst, wenn es über die rein passive Duldung hinausgeht und zum Beispiel eine Bestärkung der vom Kind ausgehenden Initiative enthält (vgl. Fischer, StGB 61. Aufl. § 176 Rn. 6; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176 Rn. 11).
11
Die Strafkammer hat vorliegend weder Feststellungen dahin getroffen, dass der Angeklagte unmittelbar vor dem Tatgeschehen auf die Geschädigte eingewirkt noch dass er das auf Initiative der Geschädigten in Gang gesetzte Geschehen in irgendeiner Weise positiv kommentiert oder sonst die Geschädigte in ihrem Tun bestärkt oder ermuntert hätte. Nach den Feststellungen ging die Initiative der Geschädigten vielmehr allein auf deren sexuelle Enthemmung zurück , die der Angeklagte zuvor über einen längeren Zeitraum gefördert hatte. Zwar kann auch ein solches im weiten Vorfeld der Tat liegendes aktives Einwirken des Täters auf das Opfer ein tatbestandliches Handeln im Sinne der 2. Alternative des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB begründen. Dass der Angeklagte aber schon im Vorfeld der Tat mit dem dafür erforderlichen Vorsatz handelte, hat die Strafkammer nicht festgestellt; sie ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Vorsatz, den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen, erst fasste, als die Geschädigte seinen Penis bereits in den Mund genommen hatte (UA S. 10, 38). Ein vorsätzliches tatbestandliches Handeln des Angeklagten ist daher nicht belegt.
12
Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 4 der Urteilsgründe und entzieht der dazugehörigen Einzelstrafe sowie dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
13
2. Die Nachprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
14
Das Landgericht hat die den Fällen 5 bis 15 zugrunde liegenden Tathandlungen zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt.
15
Der Schuldspruch in den Fällen 13 bis 15 begegnet schon deshalb keinen rechtlichen Bedenken, weil die Geschädigte in diesen Fällen zumindest auch den Oralverkehr an dem Angeklagten ausführte. Dabei handelt es sich ohne Weiteres um eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verbunden war. Aber auch die Bewertung des in den Fällen 5 bis 12 festgestellten gegenseitigen Urinierens in den Mund als jeweils schwerer sexueller Missbrauch von Kindern begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
16
Nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB als schwerer sexueller Missbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren an einem Kind den Beischlaf vollzieht (1. Alternative) oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (2. Alternative ). Die Voraussetzungen der 2. Alternative liegen hier vor. Sowohl das Urinieren des Angeklagten in den Mund der Geschädigten (Fälle 5, 7 bis 12) als auch das Urinieren der Geschädigten in den Mund des Angeklagten (Fall 6), verbunden jeweils mit der oralen Aufnahme, stellt eine sexuelle Handlung ge- mäß § 176 Abs. 1 StGB (a) dar, die mit dem Eindringen in einen Körper verbunden (b) und die als „beischlafsähnlich“ (c) zu werten ist:
17
a) Tathandlung des § 176 Abs. 1 StGB ist die Vornahme einer sexuellen Handlung durch den Täter an dem Kind oder aber das Vornehmen-Lassen von Handlungen des Kindes am Täter.
18
aa) Das gegenseitige Urinieren in den Mund stellt eine Handlung des Täters „an” dem Kind bzw. des Kindes „am” Täter im Sinne dieser Vorschrift dar. § 176 Abs. 1 StGB erfasst zwar - im Gegensatz zu seinem Absatz 2 - nur solche Handlungen, bei denen es zum Körperkontakt zwischen dem Täter und dem Kind kommt (BGH, Urteil vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 70; Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, 41, 242, 243; Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 StR 527/95, 285, 287; Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433; Beschluss vom 26. August 1998 - 2 StR 357/98). Dies setzt eine körperliche Berührung voraus, d.h. der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Allerdings ist mit „körperlicher Berührung” bzw. „Körperkontakt” nicht nur der unmittelbare Hautkontakt, d.h. die Berührung nackter Körperstellen gemeint (Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN). Vielmehr kann auch der Griff über der Kleidung oder die Berührung des Körpers mit einem Gegenstand eine sexuelle Handlung „an” einem anderen jedenfalls dann darstellen, wenn der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1995 - 3 StR 150/95, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 8 mwN; Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; vgl. Wolters in SK-StGB, Oktober 2012, § 184g Rn. 6; demgegenüber fordert Wolters an anderer Stelle - aaO, August 2012 § 176a Rn. 16 - einen unmittelbaren beidseitigen Körperkontakt). Entsprechend wird nicht nur das Berühren des Körpers mit einem Gegenstand, sondern auch das Ejakulieren auf den (nackten) Körper des Tatopfers als ausreichend erachtet (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; vgl. zu § 178 Abs. 1 StGB a.F. BGH, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN).
19
bb) Das gegenseitige Urinieren in den Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins stellte schon seinem äußeren Erscheinungsbild nach auch eine sexualbezogene Handlung im Sinne des § 176 Abs.1 StGB dar (allgemein zu den Voraussetzungen, vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZRR 2008, 339), denn es erfolgte jeweils unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.), wobei jedenfalls die Geschädigte regelmäßig auch vollständig unbekleidet war; zudem handelt es sich bei dem Urinieren auf den Körper oder in den Mund eines anderen um eine nicht ganz selten vorkommende sexuelle Praktik.
20
Das Handeln des Angeklagten war schließlich auch - wie festgestellt - in allen Fällen sexuell motiviert.
21
cc) Die Handlungen waren auch erheblich im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB, denn sie lassen sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch die §§ 174 ff. StGB geschützten Rechtsguts besorgen (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl. Senat, Beschluss vom 12. September 2012 - 2 StR 219/12, NStZ 2013, 280; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336). Das ist schon deshalb anzunehmen, weil das Tatopfer bei den Hand- lungen regelmäßig vollständig entkleidet war und das Geschehen in seinem Zusammenhang nach allgemeinem Empfinden weit entfernt ist von bloßen Taktlosigkeiten oder bagatellhaften Übergriffen.
22
b) Das Urinieren in den Mund des Opfers stellt ebenso wie das Urinieren des Opfers in den Mund des Täters ein „Eindringen in den Körper” im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar.
23
aa) Schon der Gesetzeswortlaut setzt nicht voraus, dass eine beteiligte Person mit einem eigenen Körperteil in den Körper einer anderen Person eindringt , sondern nur dass „etwas“ in den Körper des Anderen gelangt (vgl. Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 28). Ausreichend ist, dass eine sexuelle Handlung die Körpergrenze durchdringt (vgl. Frommel in Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. § 176a Rn. 4), weshalb sowohl das männliche Glied, andere Körperteile und feste Gegenstände als auch weiche Substanzen und Flüssigkeiten wie Sperma oder Urin vom Wortlaut erfasst sind (vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.; vgl. auch Schönke/Schröder/Eisele, StGB 29. Aufl. § 176a Rn. 8a; Ziegler in BeckOK StGB, Stand 22. Juli 2013, § 176a Rn. 11; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
24
bb) Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und von seinem Sinn und Zweck her erfasst § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Urinieren in den Mund als ein „Eindringen in den Körper”.
25
Der Begriff „Eindringen in den Körper” in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB um- schreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132). „Eindringen” erfordert zwar eine Penetration des Körpers, also nicht nur die bloße Berührung (BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27, 28). Er ist aber nicht ausdrücklich auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt (BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672).
26
Dafür spricht schon seine Entstehungsgeschichte. Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte dieses qualifizierende Merkmal im Wesentlichen dem durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung nachgebildet werden (BT-Drucks. 13/8587, S. 31 f.). Hiernach sollte „vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst” werden (BT-Drucks. 13/2463, S. 7 und BT-Drucks. 13/7324, S. 6; BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27). Mag danach der Gesetzgeber in erster Linie an den Anal- und Oralverkehr gedacht haben, so hat er die Anwendung des Tatbestandes neben dem Beischlaf nicht auf diese Arten sexueller Betätigung beschränkt. Dies folgt schon daraus, dass ausdrücklich auch „das Eindringen mit Gegenständen” er- fasst werden sollte, das „eine in gleicher Weise belastende und erniedrigende Verhaltensweise darstellen (kann)” (BT-Drucks. 13/2463, S. 7, BT-Drucks. 13/7324, S. 6, jew. zu § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrRG; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672). Demzufolge ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur das Eindringen des männlichen Glieds erfasst, sondern auch das Eindringen jedes anderen Körperteils oder von Gegenständen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Urteil vom 30. September 2004 - 4 StR 134/04, NStZ 2005, 152, 153 - jeweils zum Finger; Urteil vom 15. Juni 2005 - 1 StR 499/04, NStZ-RR 2007, 195, 196; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, NJW 2011, 3111 - Zunge; Beschluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13 - Vibrator).
27
Ein Eindringen in den Körper ist daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch dann gegeben, wenn Körpersekrete oder Ausscheidungsprodukte in Körperöffnungen gelangen und gerade (auch) hierin jedenfalls aus Sicht des Täters die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt. Anders als das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht auf die besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches - soweit beischlafähnlich - als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 120).
28
cc) Das gilt auch für solche Fälle, in denen das Urinieren in den Mund des Täters vorgenommen wird, denn tatbestandlich erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 133 ff. m. Anm. Hörnle, NStZ 2000, 310; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 119; vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 176a Rn. 8a; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
29
c) Bei den in den Fällen 5 bis 12 festgestellten sexuellen Handlungen handelt es sich auch um solche, die einem Beischlaf ähnlich sind.
30
Die gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erforderliche Beischlafähnlichkeit der mit einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen Handlung setzt nicht unbedingt äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vollzug des Beischlafs voraus (vgl. Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 26, 28; Fischer, aaO Rn. 8; a.A. Wolters in SK, StGB, August 2012, § 176a Rn. 16). Eine Ähnlichkeit mit dem Beischlaf liegt vielmehr regelmäßig schon dann vor, wenn die sexuelle Handlung ihrem äußeren Erscheinungsbild nach entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des (primären) Geschlechtsteils geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; Fischer, aaO Rn. 8 a; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a). Sie ist aber vor allem auch an dem Gewicht der Rechtsgutverletzung zu messen (Senat, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; a.A. Wolters in SK, StGB August 2012, § 176a Rn. 16), also an ihrer Erheblichkeit im Hinblick auf das in § 176a StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung und ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes. Entscheidend ist mithin, dass das Ausmaß der insoweit zu besorgenden Rechtsgutverletzung mit einem Beischlaf vergleichbar ist und diese Rechtsgutverletzung ebenfalls von einem Eindringen in den Körper herrührt. Richtigerweise ist darin ein (weiteres) Erheblichkeitsmerkmal zu sehen, wodurch die zweite Tatalternative angesichts des weiten Begriffs des Eindringens die notwendige Beschränkung erfährt (vgl. Ziegler in BeckOK StGB § 176a Rn. 12; Fischer, aaO Rn. 8; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a).
31
Gemessen daran, handelt es sich bei dem unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils erfolgten Urinieren in den geöffneten Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins sowohl von seinem äußeren Erscheinungsbild her als auch im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und vor allem aber die ungestörte sexuelle Entwicklung des zur Tat- zeit 12- bis 13-jährigen Kindes ohne Weiteres um eine dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung. Fischer Schmitt Krehl Ott Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 65/11
vom
14. April 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
Ein "Zungenkuss" ist in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im
BGH, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11 - LG Kassel
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 9. Dezember 2010 dahin geändert, dass 1. der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem Fall schuldig ist, 2. der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird. II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. III. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Ange- klagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in den Jahren von 2007 bis 2009 zu vier Taten zum Nachteil der am 22. Juli 2000 geborenen Geschädigten. Die erste Tat bestand darin, dass der Angeklagte der Geschädigten einen "Zungenkuss" gab, den das Kind als "eklig" empfand. Bei der zweiten und dritten Tat führte der Angeklagte jeweils einen Finger in Scheide und After des Kindes ein. Bei der vierten Tat kam es zum Eindringen mit dem Finger in die Scheide.
3
Das Landgericht hat alle Taten als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB angesehen und den Fall des "Zungenkusses" als minderschweren Fall im Sinne von § 176a Abs. 4 Halbs. 2 StGB bewertet, weil die Schwelle der Erheblichkeit der sexuellen Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nur leicht überschritten worden sei. Für diese Tat hat das Landgericht eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt, für die zweite und dritte Tat jeweils Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren und für die vierte Tat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten gebildet.

II.

4
Die Revision ist nur zu einem geringen Teil begründet. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt worden und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Sachrüge führt im Fall II.1. der Urteilsgründe zu einer Änderung des Schuldspruchs und des Ausspruchs über die Einzelstrafe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
5
1. Der Schuldspruch ist dahin zu ändern, dass im Fall II.1. der Urteilsgründe nur das Grunddelikt nach § 176 Abs. 1 StGB, nicht aber die Qualifikation gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Im Übrigen ist der Schuldspruch rechtlich nicht zu beanstanden.
6
Rechtsfehlerfrei ist die Bewertung der Handlungen in den Fällen II.2. bis II.4. der Urteilsgründe jeweils als schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Erforderlich ist dafür, dass der über achtzehn Jahre alte Täter mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Zwar ist nicht jedes Eindringen in den Körper ausreichend, sondern nur eine dem Beischlaf "ähnliche Handlung". Davon werden andererseits nicht ausschließlich Fälle des Oraloder Analverkehrs erfasst, also nur ein Eindringen mit dem männlichen Glied. Auch das Eindringen mit anderen Körperteilen oder mit Gegenständen in den Körper kann im Einzelfall genügen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672 f. mit Anm. Renzikowski NStZ 2000, 367 f.). Erforderlich ist aber, dass die sexuelle Handlung mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119), ähnlich schwer wiegt wie eine Vollziehung des Beischlafs. Dies ist bei einem Ein- dringen mit dem Finger in Scheide oder After des Kindes anzunehmen (vgl. LK/Hörnle, StGB, § 176a Rn. 27; SK/Wolters, StGB, 124. Lfg. 2010 § 176a Rn. 16; aA Folkers JR 2007, 11, 14).
7
Anders liegt es im Fall II.1. der Urteilsgründe, bei dem die Tat sich in einem "Zungenkuss" erschöpft hat. Dieser kann zwar als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von §§ 176 Abs. 1, 184g Nr. 1 StGB (differenzierend OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 45 f.), die auch mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, jedoch nicht als eine zugleich "dem Beischlaf ähnliche" Handlung angesehen werden. Dagegen spricht schon das äußere Erscheinungsbild der Handlung, an der - anders als bei dem beischlafähnlichen Anal- oder Oralverkehr (vgl. dazu BGH Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, BGHR StGB, § 176a Abs. 1 Nr. 1 Sexuelle Handlung 1) - kein primäres Geschlechtsorgan beteiligt ist. Soweit § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB auch deskripitive Elemente enthält, liegt die Gleichsetzung des Zungenkusses mit dem Beischlaf schon begrifflich fern. Die Ähnlichkeit der sexuellen Handlung mit dem Beischlaf ist aber vor allem auch an der Gewichtung der Rechtsgutsverletzung zu messen. Geschütztes Rechtsgut ist in den Fällen des § 176a StGB die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119). Der Zungenkuss wirkt hierauf regelmäßig nicht so intensiv ein wie ein Vaginal-, Oral- oder Analverkehr. Schließlich ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber den Fall des Zungenkusses der Norm unterwerfen wollte (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 31 f.; zuvor BT-Drucks. 13/2463 S. 7 und 13/7324 S. 6, jeweils zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB). Der Senat nimmt daher im Einklang mit der in der Literatur vorherrschenden Ansicht (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl. § 176a Rn. 8; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 27; Perron/Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8; Renzikowski NStZ 2000, 367 f.; SK/Wolters aaO § 176a Rn. 16; Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, BeckOK-StGB 2011 § 176a Rn. 12; weitergehend Folkers JR 2007, 11 ff.; aA NK/Frommel, StGB, 2009 § 176a Rn. 11; Laubenthal, Sexualstraftaten; Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung , 2000, Rn. 382) an, dass der "Zungenkuss" in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist. Ob unter besonderen Umständen in extremen Ausnahmefällen etwas anderes gelten kann, kann hier offen bleiben.
8
Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs steht nicht entgegen. Der 5. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 21. Mai 2008 - 5 StR 197/08 die Beweiswürdigung des Tatgerichts beanstandet und das angefochtene Urteil deshalb aufgehoben. Die Einordnung des "Zungenkusses" als eine dem Beischlaf ähnliche Handlung war dort keine tragende Erwägung. Der 4. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99 (NJW 2000, 672 f.) andere Formen des Eindringens in den Körper als beim Oral- oder Analverkehr "mit Ausnahme des Zungenkusses" als dem Beischlaf ähnliche Handlungen bezeichnet.
9
Es bleibt daher im Fall II.1. der Urteilsgründe bei der Erfüllung des Grundtatbestands nach § 176 Abs. 1 StGB. Der Senat ändert insoweit den Schuldspruch ab. Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedarf es beim Wegfall einer Qualifikation nicht (vgl. BGH Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 505/01, BGHR StPO, § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 16).
10
2. Der Senat setzt die Einzelstrafe für den Fall II.1. nach der Schuldspruchänderung auf die Mindeststrafe gemäß § 176 Abs. 1 StGB in der ab 1. April 2004 und damit auch für die Tatzeit geltenden Fassung des Gesetzes auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten fest, weil die sexuelle Handlung die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nur geringfügig überschritten hatte. Es ist ausgeschlossen, dass die Gesamtstrafe dadurch beeinflusst wird.

Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 / 1 4
vom
9. Juli 2014
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Ein zum Zweck sexueller Erregung vorgenommenes Urinieren des Täters in
den Mund eines Kindes oder die Veranlassung des Kindes zum Urinieren in
den Mund des Täters ist eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in
den Körper verbunden und als beischlafähnlich zu werten ist (Fortführung von
BGHSt 53, 118).
BGH, Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14 - LG Aachen
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Juli 2013 im Fall 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahrenverurteilt und im Übrigen freigesprochen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte eng befreundet mit der Familie der 1996 geborenen G. , der späteren Geschädigten. Erstmals im Alter von fünf Jahren übernachtete sie bei dem Angeklagten , der sich fortan regelmäßig um sie kümmerte und sich zunehmend zu einer engen Bezugsperson der Geschädigten entwickelte. Immer häufiger übernachtete sie das ganze Wochenende und in den Schulferien auch mehrere Wochen bei dem Angeklagten. Beide schliefen dann gemeinsam auf einer Schlafcouch, wobei der Angeklagte die Geschädigte veranlasste - wie er selbst - nackt zu schlafen. Der Angeklagte schaffte eine zunehmend sexualisierte Atmosphäre und vermittelte der Geschädigten insbesondere den Eindruck , dass Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern normal sei. Im Einzelnen kam es zu nachfolgenden Tathandlungen:
3
Zwischen dem 28. Januar 2004 und 27. Januar 2005 zeigte der Angeklagte der damals 8-jährigen Geschädigten einen Pornofilm, in dem junge Mädchen im Alter von ungefähr vier Jahren den Oralverkehr an erwachsenen Männern ausführten. Der Angeklagte kommentierte die Szenen unter anderem dahin , welche der Mädchen ihm gefielen und dabei schön aussähen (Fall 1). Bei einer weiteren Gelegenheit zeigte er der Geschädigten einen Film, in dem ein erwachsener Mann einem jungen Mädchen an der Scheide leckte (Fall 2).
4
An einem Tag zwischen Sommer 2004 und dem 27. Januar 2007 veranlasste der Angeklagte die maximal 10-jährige Geschädigte, sich ausgezogen auf die Couch zu legen und leckte ihre Vagina im Bereich der Klitoris (Fall 3). Im gleichen Zeitraum und jedenfalls nach den Fällen 1 und 2 saß der Angeklagte mit der Geschädigten nackt in der Badewanne. Die Geschädigte, die insbesondere aufgrund des Vorspielens der Filme (Fall 1 und 2) der Fehlvorstellung unterlag, Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern sei normal, nahm während des Badens unvermittelt das Glied des Angeklagten in den Mund. Der Angeklagte fasste spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluss, sich von der Geschädigten den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen. Er unternahm daher nichts, den Oralverkehr zu beenden, sondern ließ die Geschädigte gewähren, um sich sexuell zu erregen (Fall 4).
5
In der Folgezeit bestärkte der Angeklagte die Geschädigte in der Annahme , dass Sexualkontakt zwischen ihnen beiden normal sei. Er äußerte wiederholt , dass sie für ihr Alter schon besonders reif sei, worauf die Geschädigte, die dem Angeklagten gefallen wollte, sehr stolz war. Der Angeklagte schwärmte auch von zwei 13- und 17-jährigen Mädchen, die mit ihm Urinspiele ausüben würden. Beeindruckt von den Erzählungen des Angeklagten und um ebenso erwachsen zu sein, erklärte sich die zwischenzeitlich 12-jährige Geschädigte an einem Tag zwischen dem 28. Januar 2008 und 27. Januar 2009 dazu bereit, sich von dem Angeklagten in den Mund urinieren zu lassen. Sie legte sich nackt auf den Boden, während sich der teilweise entkleidete Angeklagte über sie beugte und ihr in den geöffneten Mund urinierte, um sich sexuell zu erregen. Die Geschädigte schluckte den Urin herunter, empfand jedoch den Geschmack als ekelhaft und musste sich übergeben (Fall 5). Zu weiteren Urinspielen war sie aufgrund dieser Erfahrung zunächst nicht bereit. Dem Angeklagten gelang es aber, die Geschädigte ihrerseits zu veranlassen, ihm in den Mund zu urinieren. Er schluckte den Urin herunter, um sich sexuell zu erregen (Fall 6).
6
Da der Angeklagte weiterhin von Frauen schwärmte, mit denen er mit Urinieren verbundene Sexualpraktiken nachgehe, und die Geschädigte ihm unbedingt gefallen wollte, erklärte sie sich bald dazu bereit, es noch einmal auf umgekehrte Weise zu versuchen. Sie ließ es daher im Alter von 12 Jahren in mindestens einem Fall zu, dass ihr der Angeklagte in den offenen Mund urinier- te, wobei sie den Urin auch herunter schluckte (Fall 7). Fortan kam es zu regelmäßigen entsprechenden Praktiken, wobei der Angeklagte bei mindestens acht Gelegenheiten die zwischenzeitlich 13-jährige Geschädigte veranlasste, sich zu entkleiden und von ihm in den Mund urinieren zu lassen. Die Geschädigte schluckte den Urin bei allen Gelegenheiten herunter (Fälle 8 bis 15). Bei mindestens drei Gelegenheiten (Fälle 13 bis 15) führte die Geschädigte im Anschluss hieran den Oralverkehr am Angeklagten bis zum Samenerguss durch.
7
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen in den Fällen 1 bis 3 als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 13. November 1998 (Fall 1), § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (Fall 2) bzw. § 176 Abs. 1 StGB (Fall 3) und in den Fällen 4 bis 15 als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet.

II.

8
Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet, die Sachrüge dagegen teilweise begründet.
9
1. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall 4 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte es lediglich geschehen ließ, dass die Geschädigte den Oralverkehr an ihm ausübte, belegen kein vorsätzliches aktives Handeln des Angeklagten.
10
Die 2. Alternative des § 176 Abs. 1 StGB ist zwar bereits dann erfüllt, wenn der Täter sexuelle Handlungen „an sich von dem Kind vornehmen lässt”. Es handelt sich insoweit aber nicht um ein echtes Unterlassungsdelikt, weshalb das rein passive Dulden zur Tatbestandsverwirklichung nicht ausreicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der beim eigentlichen Sexualkontakt sich passiv verhaltende Täter zuvor aktiv auf das Kind eingewirkt hat, etwa durch Befehlen oder Überreden. Der Tatbestand kann darüber hinaus zwar auch erfüllt sein, wenn die Initiative zum Sexualkontakt - im Gegensatz etwa zum "Bestimmen" nach § 176 Abs. 2 StGB - vom Kind selbst ausgeht. Ein Gewähren-Lassen des Täters ist aber auch in diesem Fall nur dann tatbestandlich erfasst, wenn es über die rein passive Duldung hinausgeht und zum Beispiel eine Bestärkung der vom Kind ausgehenden Initiative enthält (vgl. Fischer, StGB 61. Aufl. § 176 Rn. 6; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176 Rn. 11).
11
Die Strafkammer hat vorliegend weder Feststellungen dahin getroffen, dass der Angeklagte unmittelbar vor dem Tatgeschehen auf die Geschädigte eingewirkt noch dass er das auf Initiative der Geschädigten in Gang gesetzte Geschehen in irgendeiner Weise positiv kommentiert oder sonst die Geschädigte in ihrem Tun bestärkt oder ermuntert hätte. Nach den Feststellungen ging die Initiative der Geschädigten vielmehr allein auf deren sexuelle Enthemmung zurück , die der Angeklagte zuvor über einen längeren Zeitraum gefördert hatte. Zwar kann auch ein solches im weiten Vorfeld der Tat liegendes aktives Einwirken des Täters auf das Opfer ein tatbestandliches Handeln im Sinne der 2. Alternative des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB begründen. Dass der Angeklagte aber schon im Vorfeld der Tat mit dem dafür erforderlichen Vorsatz handelte, hat die Strafkammer nicht festgestellt; sie ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Vorsatz, den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen, erst fasste, als die Geschädigte seinen Penis bereits in den Mund genommen hatte (UA S. 10, 38). Ein vorsätzliches tatbestandliches Handeln des Angeklagten ist daher nicht belegt.
12
Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 4 der Urteilsgründe und entzieht der dazugehörigen Einzelstrafe sowie dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
13
2. Die Nachprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
14
Das Landgericht hat die den Fällen 5 bis 15 zugrunde liegenden Tathandlungen zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt.
15
Der Schuldspruch in den Fällen 13 bis 15 begegnet schon deshalb keinen rechtlichen Bedenken, weil die Geschädigte in diesen Fällen zumindest auch den Oralverkehr an dem Angeklagten ausführte. Dabei handelt es sich ohne Weiteres um eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verbunden war. Aber auch die Bewertung des in den Fällen 5 bis 12 festgestellten gegenseitigen Urinierens in den Mund als jeweils schwerer sexueller Missbrauch von Kindern begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
16
Nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB als schwerer sexueller Missbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren an einem Kind den Beischlaf vollzieht (1. Alternative) oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (2. Alternative ). Die Voraussetzungen der 2. Alternative liegen hier vor. Sowohl das Urinieren des Angeklagten in den Mund der Geschädigten (Fälle 5, 7 bis 12) als auch das Urinieren der Geschädigten in den Mund des Angeklagten (Fall 6), verbunden jeweils mit der oralen Aufnahme, stellt eine sexuelle Handlung ge- mäß § 176 Abs. 1 StGB (a) dar, die mit dem Eindringen in einen Körper verbunden (b) und die als „beischlafsähnlich“ (c) zu werten ist:
17
a) Tathandlung des § 176 Abs. 1 StGB ist die Vornahme einer sexuellen Handlung durch den Täter an dem Kind oder aber das Vornehmen-Lassen von Handlungen des Kindes am Täter.
18
aa) Das gegenseitige Urinieren in den Mund stellt eine Handlung des Täters „an” dem Kind bzw. des Kindes „am” Täter im Sinne dieser Vorschrift dar. § 176 Abs. 1 StGB erfasst zwar - im Gegensatz zu seinem Absatz 2 - nur solche Handlungen, bei denen es zum Körperkontakt zwischen dem Täter und dem Kind kommt (BGH, Urteil vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 70; Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, 41, 242, 243; Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 StR 527/95, 285, 287; Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433; Beschluss vom 26. August 1998 - 2 StR 357/98). Dies setzt eine körperliche Berührung voraus, d.h. der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Allerdings ist mit „körperlicher Berührung” bzw. „Körperkontakt” nicht nur der unmittelbare Hautkontakt, d.h. die Berührung nackter Körperstellen gemeint (Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN). Vielmehr kann auch der Griff über der Kleidung oder die Berührung des Körpers mit einem Gegenstand eine sexuelle Handlung „an” einem anderen jedenfalls dann darstellen, wenn der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1995 - 3 StR 150/95, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 8 mwN; Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; vgl. Wolters in SK-StGB, Oktober 2012, § 184g Rn. 6; demgegenüber fordert Wolters an anderer Stelle - aaO, August 2012 § 176a Rn. 16 - einen unmittelbaren beidseitigen Körperkontakt). Entsprechend wird nicht nur das Berühren des Körpers mit einem Gegenstand, sondern auch das Ejakulieren auf den (nackten) Körper des Tatopfers als ausreichend erachtet (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; vgl. zu § 178 Abs. 1 StGB a.F. BGH, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN).
19
bb) Das gegenseitige Urinieren in den Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins stellte schon seinem äußeren Erscheinungsbild nach auch eine sexualbezogene Handlung im Sinne des § 176 Abs.1 StGB dar (allgemein zu den Voraussetzungen, vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZRR 2008, 339), denn es erfolgte jeweils unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.), wobei jedenfalls die Geschädigte regelmäßig auch vollständig unbekleidet war; zudem handelt es sich bei dem Urinieren auf den Körper oder in den Mund eines anderen um eine nicht ganz selten vorkommende sexuelle Praktik.
20
Das Handeln des Angeklagten war schließlich auch - wie festgestellt - in allen Fällen sexuell motiviert.
21
cc) Die Handlungen waren auch erheblich im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB, denn sie lassen sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch die §§ 174 ff. StGB geschützten Rechtsguts besorgen (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl. Senat, Beschluss vom 12. September 2012 - 2 StR 219/12, NStZ 2013, 280; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336). Das ist schon deshalb anzunehmen, weil das Tatopfer bei den Hand- lungen regelmäßig vollständig entkleidet war und das Geschehen in seinem Zusammenhang nach allgemeinem Empfinden weit entfernt ist von bloßen Taktlosigkeiten oder bagatellhaften Übergriffen.
22
b) Das Urinieren in den Mund des Opfers stellt ebenso wie das Urinieren des Opfers in den Mund des Täters ein „Eindringen in den Körper” im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar.
23
aa) Schon der Gesetzeswortlaut setzt nicht voraus, dass eine beteiligte Person mit einem eigenen Körperteil in den Körper einer anderen Person eindringt , sondern nur dass „etwas“ in den Körper des Anderen gelangt (vgl. Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 28). Ausreichend ist, dass eine sexuelle Handlung die Körpergrenze durchdringt (vgl. Frommel in Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. § 176a Rn. 4), weshalb sowohl das männliche Glied, andere Körperteile und feste Gegenstände als auch weiche Substanzen und Flüssigkeiten wie Sperma oder Urin vom Wortlaut erfasst sind (vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.; vgl. auch Schönke/Schröder/Eisele, StGB 29. Aufl. § 176a Rn. 8a; Ziegler in BeckOK StGB, Stand 22. Juli 2013, § 176a Rn. 11; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
24
bb) Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und von seinem Sinn und Zweck her erfasst § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Urinieren in den Mund als ein „Eindringen in den Körper”.
25
Der Begriff „Eindringen in den Körper” in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB um- schreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132). „Eindringen” erfordert zwar eine Penetration des Körpers, also nicht nur die bloße Berührung (BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27, 28). Er ist aber nicht ausdrücklich auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt (BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672).
26
Dafür spricht schon seine Entstehungsgeschichte. Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte dieses qualifizierende Merkmal im Wesentlichen dem durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung nachgebildet werden (BT-Drucks. 13/8587, S. 31 f.). Hiernach sollte „vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst” werden (BT-Drucks. 13/2463, S. 7 und BT-Drucks. 13/7324, S. 6; BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27). Mag danach der Gesetzgeber in erster Linie an den Anal- und Oralverkehr gedacht haben, so hat er die Anwendung des Tatbestandes neben dem Beischlaf nicht auf diese Arten sexueller Betätigung beschränkt. Dies folgt schon daraus, dass ausdrücklich auch „das Eindringen mit Gegenständen” er- fasst werden sollte, das „eine in gleicher Weise belastende und erniedrigende Verhaltensweise darstellen (kann)” (BT-Drucks. 13/2463, S. 7, BT-Drucks. 13/7324, S. 6, jew. zu § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrRG; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672). Demzufolge ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur das Eindringen des männlichen Glieds erfasst, sondern auch das Eindringen jedes anderen Körperteils oder von Gegenständen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Urteil vom 30. September 2004 - 4 StR 134/04, NStZ 2005, 152, 153 - jeweils zum Finger; Urteil vom 15. Juni 2005 - 1 StR 499/04, NStZ-RR 2007, 195, 196; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, NJW 2011, 3111 - Zunge; Beschluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13 - Vibrator).
27
Ein Eindringen in den Körper ist daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch dann gegeben, wenn Körpersekrete oder Ausscheidungsprodukte in Körperöffnungen gelangen und gerade (auch) hierin jedenfalls aus Sicht des Täters die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt. Anders als das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht auf die besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches - soweit beischlafähnlich - als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 120).
28
cc) Das gilt auch für solche Fälle, in denen das Urinieren in den Mund des Täters vorgenommen wird, denn tatbestandlich erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 133 ff. m. Anm. Hörnle, NStZ 2000, 310; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 119; vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 176a Rn. 8a; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
29
c) Bei den in den Fällen 5 bis 12 festgestellten sexuellen Handlungen handelt es sich auch um solche, die einem Beischlaf ähnlich sind.
30
Die gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erforderliche Beischlafähnlichkeit der mit einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen Handlung setzt nicht unbedingt äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vollzug des Beischlafs voraus (vgl. Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 26, 28; Fischer, aaO Rn. 8; a.A. Wolters in SK, StGB, August 2012, § 176a Rn. 16). Eine Ähnlichkeit mit dem Beischlaf liegt vielmehr regelmäßig schon dann vor, wenn die sexuelle Handlung ihrem äußeren Erscheinungsbild nach entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des (primären) Geschlechtsteils geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; Fischer, aaO Rn. 8 a; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a). Sie ist aber vor allem auch an dem Gewicht der Rechtsgutverletzung zu messen (Senat, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; a.A. Wolters in SK, StGB August 2012, § 176a Rn. 16), also an ihrer Erheblichkeit im Hinblick auf das in § 176a StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung und ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes. Entscheidend ist mithin, dass das Ausmaß der insoweit zu besorgenden Rechtsgutverletzung mit einem Beischlaf vergleichbar ist und diese Rechtsgutverletzung ebenfalls von einem Eindringen in den Körper herrührt. Richtigerweise ist darin ein (weiteres) Erheblichkeitsmerkmal zu sehen, wodurch die zweite Tatalternative angesichts des weiten Begriffs des Eindringens die notwendige Beschränkung erfährt (vgl. Ziegler in BeckOK StGB § 176a Rn. 12; Fischer, aaO Rn. 8; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a).
31
Gemessen daran, handelt es sich bei dem unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils erfolgten Urinieren in den geöffneten Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins sowohl von seinem äußeren Erscheinungsbild her als auch im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und vor allem aber die ungestörte sexuelle Entwicklung des zur Tat- zeit 12- bis 13-jährigen Kindes ohne Weiteres um eine dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung. Fischer Schmitt Krehl Ott Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 65/11
vom
14. April 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
Ein "Zungenkuss" ist in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im
BGH, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11 - LG Kassel
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 9. Dezember 2010 dahin geändert, dass 1. der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem Fall schuldig ist, 2. der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wird. II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. III. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Ange- klagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in den Jahren von 2007 bis 2009 zu vier Taten zum Nachteil der am 22. Juli 2000 geborenen Geschädigten. Die erste Tat bestand darin, dass der Angeklagte der Geschädigten einen "Zungenkuss" gab, den das Kind als "eklig" empfand. Bei der zweiten und dritten Tat führte der Angeklagte jeweils einen Finger in Scheide und After des Kindes ein. Bei der vierten Tat kam es zum Eindringen mit dem Finger in die Scheide.
3
Das Landgericht hat alle Taten als schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB angesehen und den Fall des "Zungenkusses" als minderschweren Fall im Sinne von § 176a Abs. 4 Halbs. 2 StGB bewertet, weil die Schwelle der Erheblichkeit der sexuellen Handlung im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nur leicht überschritten worden sei. Für diese Tat hat das Landgericht eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt, für die zweite und dritte Tat jeweils Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren und für die vierte Tat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Daraus hat es die Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten gebildet.

II.

4
Die Revision ist nur zu einem geringen Teil begründet. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt worden und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Sachrüge führt im Fall II.1. der Urteilsgründe zu einer Änderung des Schuldspruchs und des Ausspruchs über die Einzelstrafe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
5
1. Der Schuldspruch ist dahin zu ändern, dass im Fall II.1. der Urteilsgründe nur das Grunddelikt nach § 176 Abs. 1 StGB, nicht aber die Qualifikation gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Im Übrigen ist der Schuldspruch rechtlich nicht zu beanstanden.
6
Rechtsfehlerfrei ist die Bewertung der Handlungen in den Fällen II.2. bis II.4. der Urteilsgründe jeweils als schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Erforderlich ist dafür, dass der über achtzehn Jahre alte Täter mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Zwar ist nicht jedes Eindringen in den Körper ausreichend, sondern nur eine dem Beischlaf "ähnliche Handlung". Davon werden andererseits nicht ausschließlich Fälle des Oraloder Analverkehrs erfasst, also nur ein Eindringen mit dem männlichen Glied. Auch das Eindringen mit anderen Körperteilen oder mit Gegenständen in den Körper kann im Einzelfall genügen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672 f. mit Anm. Renzikowski NStZ 2000, 367 f.). Erforderlich ist aber, dass die sexuelle Handlung mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119), ähnlich schwer wiegt wie eine Vollziehung des Beischlafs. Dies ist bei einem Ein- dringen mit dem Finger in Scheide oder After des Kindes anzunehmen (vgl. LK/Hörnle, StGB, § 176a Rn. 27; SK/Wolters, StGB, 124. Lfg. 2010 § 176a Rn. 16; aA Folkers JR 2007, 11, 14).
7
Anders liegt es im Fall II.1. der Urteilsgründe, bei dem die Tat sich in einem "Zungenkuss" erschöpft hat. Dieser kann zwar als sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von §§ 176 Abs. 1, 184g Nr. 1 StGB (differenzierend OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 45 f.), die auch mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist, jedoch nicht als eine zugleich "dem Beischlaf ähnliche" Handlung angesehen werden. Dagegen spricht schon das äußere Erscheinungsbild der Handlung, an der - anders als bei dem beischlafähnlichen Anal- oder Oralverkehr (vgl. dazu BGH Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, BGHR StGB, § 176a Abs. 1 Nr. 1 Sexuelle Handlung 1) - kein primäres Geschlechtsorgan beteiligt ist. Soweit § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB auch deskripitive Elemente enthält, liegt die Gleichsetzung des Zungenkusses mit dem Beischlaf schon begrifflich fern. Die Ähnlichkeit der sexuellen Handlung mit dem Beischlaf ist aber vor allem auch an der Gewichtung der Rechtsgutsverletzung zu messen. Geschütztes Rechtsgut ist in den Fällen des § 176a StGB die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 119). Der Zungenkuss wirkt hierauf regelmäßig nicht so intensiv ein wie ein Vaginal-, Oral- oder Analverkehr. Schließlich ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber den Fall des Zungenkusses der Norm unterwerfen wollte (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 31 f.; zuvor BT-Drucks. 13/2463 S. 7 und 13/7324 S. 6, jeweils zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB). Der Senat nimmt daher im Einklang mit der in der Literatur vorherrschenden Ansicht (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl. § 176a Rn. 8; LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 27; Perron/Eisele in Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8; Renzikowski NStZ 2000, 367 f.; SK/Wolters aaO § 176a Rn. 16; Ziegler in v. Heintschel-Heinegg, BeckOK-StGB 2011 § 176a Rn. 12; weitergehend Folkers JR 2007, 11 ff.; aA NK/Frommel, StGB, 2009 § 176a Rn. 11; Laubenthal, Sexualstraftaten; Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung , 2000, Rn. 382) an, dass der "Zungenkuss" in der Regel keine dem Beischlaf ähnliche Handlung im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist. Ob unter besonderen Umständen in extremen Ausnahmefällen etwas anderes gelten kann, kann hier offen bleiben.
8
Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs steht nicht entgegen. Der 5. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 21. Mai 2008 - 5 StR 197/08 die Beweiswürdigung des Tatgerichts beanstandet und das angefochtene Urteil deshalb aufgehoben. Die Einordnung des "Zungenkusses" als eine dem Beischlaf ähnliche Handlung war dort keine tragende Erwägung. Der 4. Strafsenat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99 (NJW 2000, 672 f.) andere Formen des Eindringens in den Körper als beim Oral- oder Analverkehr "mit Ausnahme des Zungenkusses" als dem Beischlaf ähnliche Handlungen bezeichnet.
9
Es bleibt daher im Fall II.1. der Urteilsgründe bei der Erfüllung des Grundtatbestands nach § 176 Abs. 1 StGB. Der Senat ändert insoweit den Schuldspruch ab. Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedarf es beim Wegfall einer Qualifikation nicht (vgl. BGH Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 505/01, BGHR StPO, § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 16).
10
2. Der Senat setzt die Einzelstrafe für den Fall II.1. nach der Schuldspruchänderung auf die Mindeststrafe gemäß § 176 Abs. 1 StGB in der ab 1. April 2004 und damit auch für die Tatzeit geltenden Fassung des Gesetzes auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten fest, weil die sexuelle Handlung die Schwelle zur Erheblichkeit im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB nur geringfügig überschritten hatte. Es ist ausgeschlossen, dass die Gesamtstrafe dadurch beeinflusst wird.

Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 / 1 4
vom
9. Juli 2014
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Ein zum Zweck sexueller Erregung vorgenommenes Urinieren des Täters in
den Mund eines Kindes oder die Veranlassung des Kindes zum Urinieren in
den Mund des Täters ist eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in
den Körper verbunden und als beischlafähnlich zu werten ist (Fortführung von
BGHSt 53, 118).
BGH, Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14 - LG Aachen
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 15. Juli 2013 im Fall 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwölf Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahrenverurteilt und im Übrigen freigesprochen. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte eng befreundet mit der Familie der 1996 geborenen G. , der späteren Geschädigten. Erstmals im Alter von fünf Jahren übernachtete sie bei dem Angeklagten , der sich fortan regelmäßig um sie kümmerte und sich zunehmend zu einer engen Bezugsperson der Geschädigten entwickelte. Immer häufiger übernachtete sie das ganze Wochenende und in den Schulferien auch mehrere Wochen bei dem Angeklagten. Beide schliefen dann gemeinsam auf einer Schlafcouch, wobei der Angeklagte die Geschädigte veranlasste - wie er selbst - nackt zu schlafen. Der Angeklagte schaffte eine zunehmend sexualisierte Atmosphäre und vermittelte der Geschädigten insbesondere den Eindruck , dass Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern normal sei. Im Einzelnen kam es zu nachfolgenden Tathandlungen:
3
Zwischen dem 28. Januar 2004 und 27. Januar 2005 zeigte der Angeklagte der damals 8-jährigen Geschädigten einen Pornofilm, in dem junge Mädchen im Alter von ungefähr vier Jahren den Oralverkehr an erwachsenen Männern ausführten. Der Angeklagte kommentierte die Szenen unter anderem dahin , welche der Mädchen ihm gefielen und dabei schön aussähen (Fall 1). Bei einer weiteren Gelegenheit zeigte er der Geschädigten einen Film, in dem ein erwachsener Mann einem jungen Mädchen an der Scheide leckte (Fall 2).
4
An einem Tag zwischen Sommer 2004 und dem 27. Januar 2007 veranlasste der Angeklagte die maximal 10-jährige Geschädigte, sich ausgezogen auf die Couch zu legen und leckte ihre Vagina im Bereich der Klitoris (Fall 3). Im gleichen Zeitraum und jedenfalls nach den Fällen 1 und 2 saß der Angeklagte mit der Geschädigten nackt in der Badewanne. Die Geschädigte, die insbesondere aufgrund des Vorspielens der Filme (Fall 1 und 2) der Fehlvorstellung unterlag, Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern sei normal, nahm während des Badens unvermittelt das Glied des Angeklagten in den Mund. Der Angeklagte fasste spätestens zu diesem Zeitpunkt den Entschluss, sich von der Geschädigten den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen. Er unternahm daher nichts, den Oralverkehr zu beenden, sondern ließ die Geschädigte gewähren, um sich sexuell zu erregen (Fall 4).
5
In der Folgezeit bestärkte der Angeklagte die Geschädigte in der Annahme , dass Sexualkontakt zwischen ihnen beiden normal sei. Er äußerte wiederholt , dass sie für ihr Alter schon besonders reif sei, worauf die Geschädigte, die dem Angeklagten gefallen wollte, sehr stolz war. Der Angeklagte schwärmte auch von zwei 13- und 17-jährigen Mädchen, die mit ihm Urinspiele ausüben würden. Beeindruckt von den Erzählungen des Angeklagten und um ebenso erwachsen zu sein, erklärte sich die zwischenzeitlich 12-jährige Geschädigte an einem Tag zwischen dem 28. Januar 2008 und 27. Januar 2009 dazu bereit, sich von dem Angeklagten in den Mund urinieren zu lassen. Sie legte sich nackt auf den Boden, während sich der teilweise entkleidete Angeklagte über sie beugte und ihr in den geöffneten Mund urinierte, um sich sexuell zu erregen. Die Geschädigte schluckte den Urin herunter, empfand jedoch den Geschmack als ekelhaft und musste sich übergeben (Fall 5). Zu weiteren Urinspielen war sie aufgrund dieser Erfahrung zunächst nicht bereit. Dem Angeklagten gelang es aber, die Geschädigte ihrerseits zu veranlassen, ihm in den Mund zu urinieren. Er schluckte den Urin herunter, um sich sexuell zu erregen (Fall 6).
6
Da der Angeklagte weiterhin von Frauen schwärmte, mit denen er mit Urinieren verbundene Sexualpraktiken nachgehe, und die Geschädigte ihm unbedingt gefallen wollte, erklärte sie sich bald dazu bereit, es noch einmal auf umgekehrte Weise zu versuchen. Sie ließ es daher im Alter von 12 Jahren in mindestens einem Fall zu, dass ihr der Angeklagte in den offenen Mund urinier- te, wobei sie den Urin auch herunter schluckte (Fall 7). Fortan kam es zu regelmäßigen entsprechenden Praktiken, wobei der Angeklagte bei mindestens acht Gelegenheiten die zwischenzeitlich 13-jährige Geschädigte veranlasste, sich zu entkleiden und von ihm in den Mund urinieren zu lassen. Die Geschädigte schluckte den Urin bei allen Gelegenheiten herunter (Fälle 8 bis 15). Bei mindestens drei Gelegenheiten (Fälle 13 bis 15) führte die Geschädigte im Anschluss hieran den Oralverkehr am Angeklagten bis zum Samenerguss durch.
7
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen in den Fällen 1 bis 3 als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 13. November 1998 (Fall 1), § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (Fall 2) bzw. § 176 Abs. 1 StGB (Fall 3) und in den Fällen 4 bis 15 als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet.

II.

8
Die Verfahrensrüge ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet, die Sachrüge dagegen teilweise begründet.
9
1. Die auf § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall 4 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte es lediglich geschehen ließ, dass die Geschädigte den Oralverkehr an ihm ausübte, belegen kein vorsätzliches aktives Handeln des Angeklagten.
10
Die 2. Alternative des § 176 Abs. 1 StGB ist zwar bereits dann erfüllt, wenn der Täter sexuelle Handlungen „an sich von dem Kind vornehmen lässt”. Es handelt sich insoweit aber nicht um ein echtes Unterlassungsdelikt, weshalb das rein passive Dulden zur Tatbestandsverwirklichung nicht ausreicht. Erforderlich ist vielmehr, dass der beim eigentlichen Sexualkontakt sich passiv verhaltende Täter zuvor aktiv auf das Kind eingewirkt hat, etwa durch Befehlen oder Überreden. Der Tatbestand kann darüber hinaus zwar auch erfüllt sein, wenn die Initiative zum Sexualkontakt - im Gegensatz etwa zum "Bestimmen" nach § 176 Abs. 2 StGB - vom Kind selbst ausgeht. Ein Gewähren-Lassen des Täters ist aber auch in diesem Fall nur dann tatbestandlich erfasst, wenn es über die rein passive Duldung hinausgeht und zum Beispiel eine Bestärkung der vom Kind ausgehenden Initiative enthält (vgl. Fischer, StGB 61. Aufl. § 176 Rn. 6; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176 Rn. 11).
11
Die Strafkammer hat vorliegend weder Feststellungen dahin getroffen, dass der Angeklagte unmittelbar vor dem Tatgeschehen auf die Geschädigte eingewirkt noch dass er das auf Initiative der Geschädigten in Gang gesetzte Geschehen in irgendeiner Weise positiv kommentiert oder sonst die Geschädigte in ihrem Tun bestärkt oder ermuntert hätte. Nach den Feststellungen ging die Initiative der Geschädigten vielmehr allein auf deren sexuelle Enthemmung zurück , die der Angeklagte zuvor über einen längeren Zeitraum gefördert hatte. Zwar kann auch ein solches im weiten Vorfeld der Tat liegendes aktives Einwirken des Täters auf das Opfer ein tatbestandliches Handeln im Sinne der 2. Alternative des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB begründen. Dass der Angeklagte aber schon im Vorfeld der Tat mit dem dafür erforderlichen Vorsatz handelte, hat die Strafkammer nicht festgestellt; sie ist vielmehr davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Vorsatz, den Oralverkehr an sich ausüben zu lassen, erst fasste, als die Geschädigte seinen Penis bereits in den Mund genommen hatte (UA S. 10, 38). Ein vorsätzliches tatbestandliches Handeln des Angeklagten ist daher nicht belegt.
12
Dies führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 4 der Urteilsgründe und entzieht der dazugehörigen Einzelstrafe sowie dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
13
2. Die Nachprüfung des Urteils im Übrigen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
14
Das Landgericht hat die den Fällen 5 bis 15 zugrunde liegenden Tathandlungen zu Recht als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB gewürdigt.
15
Der Schuldspruch in den Fällen 13 bis 15 begegnet schon deshalb keinen rechtlichen Bedenken, weil die Geschädigte in diesen Fällen zumindest auch den Oralverkehr an dem Angeklagten ausführte. Dabei handelt es sich ohne Weiteres um eine sexuelle Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verbunden war. Aber auch die Bewertung des in den Fällen 5 bis 12 festgestellten gegenseitigen Urinierens in den Mund als jeweils schwerer sexueller Missbrauch von Kindern begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
16
Nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern in den Fällen des § 176 Abs. 1 und 2 StGB als schwerer sexueller Missbrauch mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren an einem Kind den Beischlaf vollzieht (1. Alternative) oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (2. Alternative ). Die Voraussetzungen der 2. Alternative liegen hier vor. Sowohl das Urinieren des Angeklagten in den Mund der Geschädigten (Fälle 5, 7 bis 12) als auch das Urinieren der Geschädigten in den Mund des Angeklagten (Fall 6), verbunden jeweils mit der oralen Aufnahme, stellt eine sexuelle Handlung ge- mäß § 176 Abs. 1 StGB (a) dar, die mit dem Eindringen in einen Körper verbunden (b) und die als „beischlafsähnlich“ (c) zu werten ist:
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a) Tathandlung des § 176 Abs. 1 StGB ist die Vornahme einer sexuellen Handlung durch den Täter an dem Kind oder aber das Vornehmen-Lassen von Handlungen des Kindes am Täter.
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aa) Das gegenseitige Urinieren in den Mund stellt eine Handlung des Täters „an” dem Kind bzw. des Kindes „am” Täter im Sinne dieser Vorschrift dar. § 176 Abs. 1 StGB erfasst zwar - im Gegensatz zu seinem Absatz 2 - nur solche Handlungen, bei denen es zum Körperkontakt zwischen dem Täter und dem Kind kommt (BGH, Urteil vom 24. September 1991 - 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 70; Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, 41, 242, 243; Urteil vom 31. Oktober 1995 - 1 StR 527/95, 285, 287; Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433; Beschluss vom 26. August 1998 - 2 StR 357/98). Dies setzt eine körperliche Berührung voraus, d.h. der Täter muss mit seiner sexuellen Handlung auf den Körper des Tatopfers einwirken, ihn in Mitleidenschaft ziehen. Allerdings ist mit „körperlicher Berührung” bzw. „Körperkontakt” nicht nur der unmittelbare Hautkontakt, d.h. die Berührung nackter Körperstellen gemeint (Senat, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN). Vielmehr kann auch der Griff über der Kleidung oder die Berührung des Körpers mit einem Gegenstand eine sexuelle Handlung „an” einem anderen jedenfalls dann darstellen, wenn der Körper des anderen selbst - nicht nur seine Kleidung und gegebenenfalls seine psychische Verfassung - in Mitleidenschaft gezogen wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 1995 - 3 StR 150/95, BGHR StGB § 178 Abs. 1 sexuelle Handlung 8 mwN; Senat, Urteil vom 6. Mai 1992 - 2 StR 490/91, NStZ 1992, 432; vgl. Wolters in SK-StGB, Oktober 2012, § 184g Rn. 6; demgegenüber fordert Wolters an anderer Stelle - aaO, August 2012 § 176a Rn. 16 - einen unmittelbaren beidseitigen Körperkontakt). Entsprechend wird nicht nur das Berühren des Körpers mit einem Gegenstand, sondern auch das Ejakulieren auf den (nackten) Körper des Tatopfers als ausreichend erachtet (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; vgl. zu § 178 Abs. 1 StGB a.F. BGH, Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, NStZ 1992, 433 mwN).
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bb) Das gegenseitige Urinieren in den Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins stellte schon seinem äußeren Erscheinungsbild nach auch eine sexualbezogene Handlung im Sinne des § 176 Abs.1 StGB dar (allgemein zu den Voraussetzungen, vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336; Urteil vom 20. Dezember 2007 - 4 StR 459/07, NStZRR 2008, 339), denn es erfolgte jeweils unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.), wobei jedenfalls die Geschädigte regelmäßig auch vollständig unbekleidet war; zudem handelt es sich bei dem Urinieren auf den Körper oder in den Mund eines anderen um eine nicht ganz selten vorkommende sexuelle Praktik.
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Das Handeln des Angeklagten war schließlich auch - wie festgestellt - in allen Fällen sexuell motiviert.
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cc) Die Handlungen waren auch erheblich im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB, denn sie lassen sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch die §§ 174 ff. StGB geschützten Rechtsguts besorgen (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl. Senat, Beschluss vom 12. September 2012 - 2 StR 219/12, NStZ 2013, 280; BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 417/11, NStZ 2012, 269, 270; Urteil vom 24. September 1980 - 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336). Das ist schon deshalb anzunehmen, weil das Tatopfer bei den Hand- lungen regelmäßig vollständig entkleidet war und das Geschehen in seinem Zusammenhang nach allgemeinem Empfinden weit entfernt ist von bloßen Taktlosigkeiten oder bagatellhaften Übergriffen.
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b) Das Urinieren in den Mund des Opfers stellt ebenso wie das Urinieren des Opfers in den Mund des Täters ein „Eindringen in den Körper” im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB dar.
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aa) Schon der Gesetzeswortlaut setzt nicht voraus, dass eine beteiligte Person mit einem eigenen Körperteil in den Körper einer anderen Person eindringt , sondern nur dass „etwas“ in den Körper des Anderen gelangt (vgl. Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22; Hörnle in LK, StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 28). Ausreichend ist, dass eine sexuelle Handlung die Körpergrenze durchdringt (vgl. Frommel in Kindhäuser/ Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. § 176a Rn. 4), weshalb sowohl das männliche Glied, andere Körperteile und feste Gegenstände als auch weiche Substanzen und Flüssigkeiten wie Sperma oder Urin vom Wortlaut erfasst sind (vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 120 f.; vgl. auch Schönke/Schröder/Eisele, StGB 29. Aufl. § 176a Rn. 8a; Ziegler in BeckOK StGB, Stand 22. Juli 2013, § 176a Rn. 11; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
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bb) Auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte und von seinem Sinn und Zweck her erfasst § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB das Urinieren in den Mund als ein „Eindringen in den Körper”.
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Der Begriff „Eindringen in den Körper” in § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB um- schreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung (Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 132). „Eindringen” erfordert zwar eine Penetration des Körpers, also nicht nur die bloße Berührung (BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27, 28). Er ist aber nicht ausdrücklich auf den Beischlaf, den Anal- und Oralverkehr beschränkt (BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672).
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Dafür spricht schon seine Entstehungsgeschichte. Der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB wurde als § 176a Abs. 1 Nr. 1 durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) in das Strafgesetzbuch eingeführt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs sollte dieses qualifizierende Merkmal im Wesentlichen dem durch das 33. StrÄndG vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1607) in § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB (heute § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) eingeführten Regelbeispiel eines besonders schweren Falls der Vergewaltigung nachgebildet werden (BT-Drucks. 13/8587, S. 31 f.). Hiernach sollte „vor allem das Eindringen des Geschlechtsgliedes in den Körper als orale oder anale Penetration erfasst” werden (BT-Drucks. 13/2463, S. 7 und BT-Drucks. 13/7324, S. 6; BGH, Beschluss vom 14. September 1999 - 4 StR 381/99, NStZ 2000, 27). Mag danach der Gesetzgeber in erster Linie an den Anal- und Oralverkehr gedacht haben, so hat er die Anwendung des Tatbestandes neben dem Beischlaf nicht auf diese Arten sexueller Betätigung beschränkt. Dies folgt schon daraus, dass ausdrücklich auch „das Eindringen mit Gegenständen” er- fasst werden sollte, das „eine in gleicher Weise belastende und erniedrigende Verhaltensweise darstellen (kann)” (BT-Drucks. 13/2463, S. 7, BT-Drucks. 13/7324, S. 6, jew. zu § 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB i.d.F. des 33. StrRG; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672). Demzufolge ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur das Eindringen des männlichen Glieds erfasst, sondern auch das Eindringen jedes anderen Körperteils oder von Gegenständen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Urteil vom 30. September 2004 - 4 StR 134/04, NStZ 2005, 152, 153 - jeweils zum Finger; Urteil vom 15. Juni 2005 - 1 StR 499/04, NStZ-RR 2007, 195, 196; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, NJW 2011, 3111 - Zunge; Beschluss vom 12. März 2014 - 4 StR 562/13 - Vibrator).
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Ein Eindringen in den Körper ist daher nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch dann gegeben, wenn Körpersekrete oder Ausscheidungsprodukte in Körperöffnungen gelangen und gerade (auch) hierin jedenfalls aus Sicht des Täters die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt. Anders als das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB stellt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht auf die besondere Erniedrigung des Opfers ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches - soweit beischlafähnlich - als schwerwiegende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist (Senat, Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 120).
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cc) Das gilt auch für solche Fälle, in denen das Urinieren in den Mund des Täters vorgenommen wird, denn tatbestandlich erfasst wird sowohl das Eindringen in den Körper des Opfers als auch in den des Täters (vgl. Senat, Urteil vom 16. Juni 1999 - 2 StR 28/99, BGHSt 45, 131, 133 ff. m. Anm. Hörnle, NStZ 2000, 310; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 282/08, BGHSt 53, 118, 119; vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 176a Rn. 8a; Renzikowski in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. § 176a Rn. 22).
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c) Bei den in den Fällen 5 bis 12 festgestellten sexuellen Handlungen handelt es sich auch um solche, die einem Beischlaf ähnlich sind.
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Die gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB erforderliche Beischlafähnlichkeit der mit einem Eindringen in den Körper verbundenen sexuellen Handlung setzt nicht unbedingt äußerliche Ähnlichkeit mit dem Bewegungsablauf beim Vollzug des Beischlafs voraus (vgl. Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl. § 176a Rn. 26, 28; Fischer, aaO Rn. 8; a.A. Wolters in SK, StGB, August 2012, § 176a Rn. 16). Eine Ähnlichkeit mit dem Beischlaf liegt vielmehr regelmäßig schon dann vor, wenn die sexuelle Handlung ihrem äußeren Erscheinungsbild nach entweder auf Seiten des Opfers oder des Täters unter Einbeziehung des (primären) Geschlechtsteils geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 4 StR 389/99, NJW 2000, 672; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118, 121; Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; Fischer, aaO Rn. 8 a; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a). Sie ist aber vor allem auch an dem Gewicht der Rechtsgutverletzung zu messen (Senat, Beschluss vom 14. April 2011 - 2 StR 65/11, BGHSt 56, 223, 225; a.A. Wolters in SK, StGB August 2012, § 176a Rn. 16), also an ihrer Erheblichkeit im Hinblick auf das in § 176a StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung und ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes. Entscheidend ist mithin, dass das Ausmaß der insoweit zu besorgenden Rechtsgutverletzung mit einem Beischlaf vergleichbar ist und diese Rechtsgutverletzung ebenfalls von einem Eindringen in den Körper herrührt. Richtigerweise ist darin ein (weiteres) Erheblichkeitsmerkmal zu sehen, wodurch die zweite Tatalternative angesichts des weiten Begriffs des Eindringens die notwendige Beschränkung erfährt (vgl. Ziegler in BeckOK StGB § 176a Rn. 12; Fischer, aaO Rn. 8; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 176a Rn. 8a).
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Gemessen daran, handelt es sich bei dem unter Einbeziehung eines Geschlechtsteils erfolgten Urinieren in den geöffneten Mund verbunden mit der oralen Aufnahme des Urins sowohl von seinem äußeren Erscheinungsbild her als auch im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und vor allem aber die ungestörte sexuelle Entwicklung des zur Tat- zeit 12- bis 13-jährigen Kindes ohne Weiteres um eine dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung. Fischer Schmitt Krehl Ott Eschelbach

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.