Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:240117B2STR459.16.0
bei uns veröffentlicht am24.01.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 459/16
vom
24. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:240117B2STR459.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 28. Juni 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit er wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin B. verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und die Maßregel. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Außerdem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Angeklagte am 7. Oktober 2015 gegen 21.45 Uhr bei einem Einkaufsmarkt Leergut abgeben und Bier kaufen. Er führte eine Plastiktüte mit Leergut sowie ein Küchenmesser mit. Nachdem er auf seinem Fußweg zum Einkaufsmarkt die Zeugin Z. , die ihren Hund ausführte, sexuell bedrängt, von dieser aber bald wieder abgelassen hatte, begegnete er den Zeuginnen Be. und B. , die sich vor einem Hotel stehend unterhielten. Der Angeklagte wollte auf dem Bürgersteig zwischen den Zeuginnen hindurch gehen. Als er die Zeugin Be. erreichte , drehte er sich zu dieser um und stach unvermittelt mit dem Küchenmesser in Richtung ihres Bauches. Er glaubte, die Zeuginnen hätten sich abfällig über ihn als vorbestraften Sexualstraftäter unterhalten, worüber er verärgert war. Er wollte die Zeugin Be. verletzen und nahm deren Tod billigend in Kauf. Sein Messerstich traf die Handtasche der Geschädigten, die diese vor dem Bauch trug. Bei weiteren Stichbewegungen verletzte der Angeklagte die sich wehrende Zeugin Be. an der Hand.
3
Die Zeugin B. erkannte den Angriff auf die Zeugin Be. , sie sah allerdings das Messer nicht und ging von einem Schlag des Angeklagten aus. Sie wollte weglaufen, um Hilfe zu holen, weil sie weitere Schläge des Angeklagten gegen die Zeugin Be. befürchtete und sich „auch selbst in Ge- fahr“ sah. „Dabei prallte sie gegen den unmittelbar neben ihr auf dem Gehweg befindlichen Stromkasten. Dies bemerkte der Angeklagte und entschloss sich nunmehr die Zeugin B. mit dem Messer anzugreifen. Er ließ freiwillig von der Zeugin Be. ab, drehte sich blitzschnell zur Zeugin B. um, hielt sie an ihrer Jacke fest und drückte sie in die aus der Hotelmauer und dem Stromkasten gebildete Ecke, wobei der Angeklagte in Tötungsabsicht sofort kräftig auf die Geschädigte mit dem Messer einstach, zunächst zweimal in das rechte Bein und sodann in den Bauch.
4
Die Zeugin B. wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht und konnte aufgrund dessen zunächst nicht abwehrend reagieren, was der Angeklagte bewusst zur Tatbegehung ausnutzte. Erst nach dem Bauchstich erkannte sie, dass der körperlich überlegene Angeklagte ein Messer in der Hand hielt, fiel daraufhin zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Obwohl sie sich nunmehr nach Kräften wehrte und versuchte mit dem Oberarm ihr Gesicht und ihren Hals zu schützen, konnte sie nicht verhindern, dass sich der Angeklagte in Beckenhöhe auf sie setzte und weiter kraftvoll mit dem Messer vor allem auf ihren Oberkörper einstach.“
5
Als der Angeklagte schließlich versuchte, der Zeugin B. mit dem Messer in den Hals zu schneiden, kam ihr der Zeuge A. zu Hilfe. Dieser zog den Angeklagten von der Zeugin B. herunter und warf ihn zu Boden. Der Zeuge A. konnte dem Angeklagten das Messer entwinden. Nach einem Gerangel wurde der Angeklagte festgehalten, konnte noch kurzzeitig entfliehen , wurde aber verfolgt und gestellt. Die schwer verletzte Zeugin B.
wurde durch den Einsatz eines Notarztes und eine anschließende Notoperation im Krankenhaus gerettet.
6
2. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte sei vom Versuch der Tötung der Zeugin Be. strafbefreiend zurückgetreten. Jedoch falle ihm eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil dieser Zeugin zur Last. Der Angriff auf die Zeugin B. sei eine rechtlich selbständige Handlung. Diese Tat sei als Versuch des Mordes zu bewerten, weil der Angeklagte heimtückisch gehandelt habe. Die Zeugin B. sei arg- und wehrlos gewesen. Maßgeblich sei dafür zwar die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Allerdings sei das Opfer auch dann noch arglos, wenn ihm der Täter offen feindselig entgegentrete, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz bemessen sei, dass dem Opfer keine Möglichkeit mehr bleibe, dem Angriff zu begegnen. Unter dem Angriff sei dabei nicht nur die eigentliche Tötungshandlung, sondern auch die unmittelbar davor liegende Phase zu verstehen.
7
Ein Tötungsversuch aus niedrigen Beweggründen scheide aus, weil der Angeklagte irrtümlich davon ausgegangen sei, die Zeuginnen hätten sich abfällig über ihn geäußert.

II.

8
1. Das Urteil ist rechtlich nicht zu beanstanden, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin Be. verurteilt wurde. Seine Revision ist jedoch begründet, soweit sie die Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin B. beanstandet.
9
a) Die Annahme eines heimtückisch begangenen Tötungsversuchs begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass für die Bewertung als heimtückisch begangene Tat der Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs maßgeblich ist. Zu dieser Zeit ging die Zeugin B. allerdings schon davon aus, dass der Angeklagte nach der Verletzung der Zeugin Be. auch sie angreifen werde. Sie war daher nicht mehr arglos und nur wegen Arglosigkeit wehrlos.
11
Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke die Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2015 – 3 StR 242/15, NStZ 2016, 340, 341; Beschluss vom 28. Juni 2016 – 3 StR 120/16, NJW 2016, 2899; weitere Nach- weise zur „Zeitregel“ und ihren Ausnahmen bei Küper, GA 2014, 611ff.). Ein solcher Ausnahmefall liegt zum Beispiel vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364). Die Verurteilung wegen versuchten Heimtückemordes kann im vorliegenden Fall aber auch nicht auf eine Ausnahme von dem Grundsatz , dass Heimtücke die Arglosigkeit des Angegriffenen bei Beginn des Angriffs auf Leib oder Leben voraussetzt, gestützt werden. Auch in den Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung stets daran festgehalten, dass der Täter bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz gehandelt haben muss (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2014 – 4 StR 416/14, NStZ 2015, 31 f. mit Anm. Engländer). Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen zum Angriff auf die Zeugin B. erst entschlossen, nachdem diese sich angesichts des Angriffs auf die Zeugin Be. zur Flucht gewandt hatte, weil sie auch einen Angriff auf ihre eigene körperliche Unversehrtheit befürchtete.
12
Die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke liegen deshalb nicht vor; andere Mordmerkmale hat das Landgericht verneint. Das Urteil kann daher keinen Bestand haben, soweit es die Tat zum Nachteil der Zeugin B. betrifft. Der Aufhebung unterliegt zugleich die für sich genommen rechtsfehlerfrei erfolgte Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung.
13
Der Senat hebt – nur insoweit abweichend vom Antrag des Generalbundesanwalts – die zugehörigen Feststellungen mit auf. Wegen des Wertungsfehlers ist nämlich auch die unzutreffende Feststellung getroffen worden, die Zeugin B. sei von dem Angriff überrascht worden, habe aufgrund dessen nicht abwehrend reagieren können und der Angeklagte habe diese arg- und Wehrlosigkeit bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt.
14
b) Mit der Aufhebung des Schuldspruchs wegen der Tat zum Nachteil der Zeugin B. entfallen die lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe sowie die Gesamtstrafe. Ferner hebt der Senat den Maßregelausspruch auf, weil die Verurteilung wegen versuchten Mordes ein wesentlicher Grund der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach dem Ermessen des Gerichts gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB war.
15
2. Der zugunsten der Zeugin B. ergangene Ausspruch im Adhäsionsverfahren bleibt unberührt. Über ihre Anträge hat wiederum der neue Tatrichter zu entscheiden (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98).
16
3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:
17
a) Bedenken bestehen gegen die Annahme des Landgerichts, dass die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht vorliegen.
18
Das Landgericht hat – dem psychiatrischen Sachverständigenfolgend – eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt, aber angemerkt, dass diese „trotz ihrer starken Ausprägung keinen Krankheitswert“ habe. Die durch die Persönlichkeitsstörung hervorgerufenen psychosozialen Leistungseinbußen seien nicht mit den Defiziten vergleichbar, die als Folge krankhafter seelischer Störungen auftreten. Der Angeklagte habe in der Haft eine Umschulung absolviert , bereits während der Inhaftierung eine partnerschaftliche Beziehung unter- halten, aus der eine Tochter hervorgegangen sei, und er habe „unter den struk- turierten Haftbedingungen weitgehend gut funktioniert, nach der Entlassung mit seiner Partnerin eine gemeinsame Wohnung bezogen, von Sozialleistungen gelebt und die fünfjährige Führungsaufsichtszeit durchgestanden.“ Zuletzt habe er sich um eine neue Wohnung und einen Arbeitsplatz bemüht und dadurch seine Fähigkeit zur sozialen Kommunikation unter Beweis gestellt.
19
Diese Wertung lässt die Feststellung außer Betracht, dass der Angeklag- te zwar schon in der Haftzeit Partnerschaften hatte, „die jedoch äußerst kon- flikthaft verlaufen seien und in letzter Konsequenz zu delinquentem Verhalten geführt hätten.“ Die letzte Beziehung zu einer Partnerin „verlief seit 2012 kon- flikthaft und führte im März 2014 zu einer Körperverletzung zum Nachteil seiner Partnerin, aufgrund derer sie sich im Sommer 2014 von ihm trennte und ins Frauenhaus zog, bevor sie anschließend eine eigene Wohnung in H. fand. Nachdem man sich zwischenzeitlich versöhnt hatte, plante der Angeklagte zuletzt ebenfalls nach H. in eine eigene Wohnung zu ziehen. Er bemühte sich dort bereits um eine Wohnung und einen Arbeitsplatz.“ Daraus ist nicht in nach- vollziehbarer Weise abzuleiten, dass der Angeklagte „sein dissoziales Verhalten beherrschen und vermeiden könne, wenn er dies nur wolle.“ Geringe Frustrati- onstoleranz, die Unfähigkeit zu einem Schuldbewusstsein und das anhaltende Verleugnen oder Bagatellisieren früherer Straftaten hat das Landgericht festgestellt , aber nicht erkennbar in die Bewertung der Schwere der anderen seelischen Abartigkeit einbezogen. Frühere Anpassungen des Angeklagten an die strukturierten Bedingungen in der Haft und das Leben von Sozialleistungen nach der bedingten Entlassung sind von geringer Aussagekraft für seine psychosoziale Leistungsfähigkeit. Die vom Landgericht übernommene abweichende Aussage des psychiatrischen Sachverständigen lässt besorgen, dass ein fehlerhafter Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt wurde.
20
Ist eine „ausgeprägte“ dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, kommt eine Bewertung des Zustandsbildes als schwere andere seelische Abartigkeit in Betracht. Die Annahme, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung sei niemals eine seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB, wäre ebenso fehlerhaft, wie die Behauptung, derartige Persönlichkeitsstörungen erfüllten stets die Voraussetzungen eines Eingangsmerkmals (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1991 – 5 StR 122/91, BGHSt 37, 397, 400 f.). Die Fragen, ob eine fest- gestellte seelische Abartigkeit in Form einer „ausgeprägten“ dissozialen Persön- lichkeitsstörung schwer gewesen ist und ob sie bei der Begehung der Tat die Fähigkeit des Angeklagten, sich entsprechend einer vorhandenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu steuern, erheblich vermindert hat, sind durch Gesamtwürdigung der Persönlichkeit, ihrer Entwicklung, der Vorgeschichte und des unmittelbaren Anlasses sowie der Ausführung der Tat und des Nachtatverhaltens zu prüfen. Der Vergleich mit den Auswirkungen krankhafter seelischer Störungen hat sich auch entgegen der Akzentsetzung des Sachverständigen, die das Landgericht akzeptiert hat, nicht notwendig an solchen Krankheitsbildern zu orientieren, die zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen. Der Vergleich mit schwächeren Formen kann genügen (BGH aaO, BGHSt 37, 397, 401 f.). Die festgestellte Ausgeprägtheit der festgestellten dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten spricht für deren rechtliche Einordnung als schwere andere seelische Abartigkeit.
21
Maßgeblich wäre danach gegebenenfalls die weitere Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Täters bei der Begehung der Tat infolge dieser Störung erheblich eingeschränkt war. Im Allgemeinen führen Persönlichkeitsstörungen nämlich zwar nicht zur Aufhebung der Unrechtseinsicht oder der Steuerungsfähigkeit ; sie können aber eine erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens zur Folge haben (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54). Dafür hat der Tatrichter auch die Entwicklung des Tatgeschehens in den Blick zu nehmen, die sich – unbeschadet des begrenzten Verfahrensgegenstands im engeren Sinn – hier von dem sexuellen Übergriff des Angeklagten auf die Zeugin Z. über die kurz darauf erfolgte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin Be. bis zu dem Versuch der Tötung der Zeugin B. im Beisein der Zeugin Be. erstreckte. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die motivationalen Zusammenhänge dieses komplexen Geschehens vom Landgericht nicht erschöpfend im Hinblick auf die Fragen gewürdigt wurden, ob die darin auch zum Ausdruck kommende seelische Abartigkeit des Angeklagten schwer und die hierdurch bedingte Verminderung seines Hemmungsvermögens erheblich gewesen ist.
22
b) Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch das Vorliegen der Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB dahin zu prüfen haben, dass für eine Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe – gegebenenfalls – kein Bedarf besteht.
23
Zwar hat der Bundesgerichtshof für die Fälle der zwingenden Maßregelanordnung nach § 66 Abs. 1 StGB angenommen, dass diese neben der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt. Damit soll dem Sicherungsrisiko für den Fall des Wegfalls der lebenslangen Freiheitsstrafe aufgrund einer Revision oder eines Wiederaufnahmeantrags des Angeklagten entgegengewirkt werden, gegen den eine zunächst nicht verhängte Maßregel gemäß § 66 StGB wegen des Verschlechterungsverbots gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 oder § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO neben einer verbleibenden zeitigen Freiheitsstrafe nicht mehr angeordnet werden könnte (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 4 StR 124/13, BGHSt 59, 56, 61 ff. mit Anm. Kemme, HRRS 2014, 174 ff.; s.a. Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 321 f.). Dies enthebt aber die Gerichte im Erkenntnisverfahren jedenfalls im Fall einer Ermessensentscheidung gemäß § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB nicht von der Berücksichtigung der Tatsache, dass es voraussichtlich nie zur Vollziehung der Maßregel kommen kann, wenn der Angeklagte auch zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird.
24
Der Bundesgerichtshof hat deshalb für Maßregelanordnungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB ausgeführt, dass eine solche regelmäßig nicht erforderlich ist, wenn auch eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 2 StR 325/12; Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; Urteil vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12; Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524; Beschluss vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207; s.a. Dessecker in Festschrift für Ostendorf, 2015, 197, 201 ff.; Kett-Straub, aaO S. 334; Kreuzer, NK 2016, 307, 317 f.). Es ist nämlich nahezu ausgeschlossen, dass es dann jemals zur Vollstreckung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kommt, weil der Angeklagte nach Vollstreckung der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe nur bedingt entlas- sen werden kann, sofern er nicht mehr als gefährlich angesehen werden kann; fällt dagegen die Legalprognose negativ aus, bleibt es bei der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Fischer Appl Eschelbach Zeng Grube

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

Strafprozeßordnung - StPO | § 373 Urteil nach erneuter Hauptverhandlung; Verbot der Schlechterstellung


(1) In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder das frühere Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweit in der Sache zu erkennen. (2) Das frühere Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Ve

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13

bei uns veröffentlicht am 12.06.2013

5 StR 129/13 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 12. Juni 2013 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juni 2013, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter Basdor

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Dez. 2012 - 2 StR 325/12

bei uns veröffentlicht am 12.12.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 325/12 vom 12. Dezember 2012 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Dezember 2012 gemäß § 349

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12

bei uns veröffentlicht am 25.07.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 111/12 vom 25. Juli 2012 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2012, an der teilgenommen haben: Vorsitzend

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Jan. 2004 - 1 StR 346/03

bei uns veröffentlicht am 21.01.2004

Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung ja StGB § 20, § 21 Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier „dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der Einschränkung der St

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Okt. 2013 - 4 StR 124/13

bei uns veröffentlicht am 24.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 124/13 vom 24. Oktober 2013 Nachschlagewerk: ja BGHR: zu § 66 Abs. 1 StGB, nur zu II. 2. BGHSt: nur zu II. 2. Veröffentlichung: ja ____________________________ StGB § 66 Abs. 1 EGStGB § 316

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Jan. 2013 - 3 StR 330/12

bei uns veröffentlicht am 10.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 330/12 vom 10. Januar 2013 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung am 10. Januar 2013, an der teilgenommen haben: Präsident des Bundes

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2016 - 3 StR 120/16

bei uns veröffentlicht am 28.06.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 120/16 vom 28. Juni 2016 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2016:280616B3STR120.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Gene

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Sept. 2015 - 3 StR 242/15

bei uns veröffentlicht am 03.09.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 S t R 2 4 2 / 1 5 vom 3. September 2015 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Totschlags Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. September 2015, an der teilgenommen haben: R

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14

bei uns veröffentlicht am 06.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR416/14 vom 6. November 2014 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. November 2014 gem

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Apr. 2014 - 3 StR 355/13

bei uns veröffentlicht am 17.04.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 3 5 5 / 1 3 vom 17. April 2014 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. April 2014
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2018 - 4 StR 168/18

bei uns veröffentlicht am 20.11.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 168/18 vom 20. November 2018 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja –––––––––––––––––––––––––– StGB § 66a Abs. 2 Neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe kann Sicheru

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 2 4 2 / 1 5
vom
3. September 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. September
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten A. O. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. O. ,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwältin
als Vertreter des Nebenklägers I. B. ,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Nebenklägers I. B. wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 12. Dezember 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. Jeder dieser Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger I. B. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten sowie die Revision des Nebenklägers I. B. , mit denen sachlich-rechtliche Beanstandungen erhoben werden. Der Nebenkläger hat mit seinem Rechtsmittel Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten erweisen sich demgegenüber als unbegründet.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der später getötete H. B. war mit der Schwester der Angeklagten verheiratet. Im Verlauf dieser Ehe kam es zu erheblichen Streitigkeiten mit teilweise gewaltsamen Übergriffen des H. B. auf seine Ehefrau. Zweimal wurde er deshalb verurteilt. Schließlich erfolgte im Jahr 2004 die Scheidung. 2008 lauerte H. B. , der die Trennung von seiner Familie nicht akzeptieren konnte, dem älteren Bruder der Angeklagten auf und versuchte, ihn mit Messerstichen gegen den Oberkörper und mit einem Pflasterstein gegen den Kopf geführten Schlägen zu töten. Das Vorhaben scheiterte, weil der Bruder sich wehrte. Er trug allerdings erhebliche Verletzungen davon. H. B. verbüßte wegen dieser Tat eine mehrjährige Freiheitsstrafe, während deren Vollstreckung er in der Haft einen Verwandten der Angeklagten angriff, weshalb er ebenfalls verurteilt wurde. In der Folge wurde der später Getötete - insbesondere nach seiner Haftentlassung - von der gesamten Familie der Angeklagten als Bedrohung empfunden. Auch die Angeklagten lebten in beträchtlicher Angst vor ihm.
4
Am Tattag bemerkten die Angeklagten den später Getöteten, der auf dem Weg zu einem Supermarkt war. Jetzt beschlossen sie, H. B. , in dem sie eine dauernde Bedrohung der Familie sahen, zu beseitigen. Sie folgten ihm zum Geschäft, wo der Angeklagte A. O. ihn zunächst durch die Scheiben der Glasfront beobachtete. Dann postierten sich die Angeklagten an der äußeren Schiebetür des Marktes, so dass H. B. nicht passieren konnte. Als dieser dem Ausgang zustrebte, kam es im Bereich dieser Außentür zu einem kurzen und heftigen Wortwechsel zwischen ihm und den Angeklagten, die spätestens jetzt entschlossen waren, H. B. zu töten. Sie griffen diesen an und drängten ihn in Richtung des Kassenbereichs zurück. Bereits im Bereich der inneren Schiebetür, die unmittelbar in die Räumlichkeiten des Supermarkts führt und 3,5 m von der äußeren Tür entfernt ist, versetzten sie H. B. einen oder mehrere Messerstiche. Dieser versuchte, die Angeklagten von weiteren Angriffen abzuhalten, was ihm kurzzeitig auch mit Hilfe eines Einkaufswagens gelang, den ihm ein anderer Kunde zugeschoben hatte und den er zwischen sich und die Angeklagten zu bringen versuchte. Da die Angeklagten weiter auf ihn eindrangen, floh er zurück in den Kassenbereich. Dort stolperte er über eine Absperrung und kam zu Fall. Jetzt erreichten ihn die Angeklagten und stachen auf den Oberkörper des am Boden Liegenden ein, bis dieser sich nicht mehr regte. H. B. , der insgesamt 44 Stiche erhalten hatte, verstarb alsbald an Verbluten und einem Pneumothorax.
5
2. Die Revision des Nebenklägers
6
Die Revision des Nebenklägers I. B. , die eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes erstrebt, hat Erfolg.
7
a) Allerdings hat das Landgericht auf der Grundlage seiner Feststellungen rechtsfehlerfrei das Vorliegen niedriger Beweggründe ausgeschlossen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.
8
b) Dagegen hält die Begründung, mit der das Landgericht eine heimtückische Begehungsweise verneint hat, der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
9
Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke deshalb nicht als gegeben angesehen, weil die Angeklagten die Überraschung des später Getöteten jedenfalls nicht ausgenutzt hätten. Sie hätten ihr Opfer zunächst durch die Scheibe des Supermarktes beobachtet und keine Anstalten unternommen, sich zu verbergen. Schließlich seien sie ihm offen in feindlicher Absicht entgegengetreten. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.
10
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 383 f.; vom 20. Oktober 1993 - 5 StR 473/93, BGHSt 39, 353, 368; Beschluss vom 30. Oktober 1996 - 2 StR 405/96, StV 1998, 544). Heimtückisches Handeln erfordert jedoch kein "heimliches" Vorgehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGH, Beschlüsse vom 13. Juli 2005 - 2 StR 236/05, NStZ-RR 2005, 309; vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 16. Februar 2012 - 3 StR 346/11, NStZ 2012, 245 nur ). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Abwehrversuche, die das durch einen überraschenden Angriff in seinen Verteidigungsmöglichkeiten behinderte Opfer im letzten Moment unternommen hat, stehen der Heimtücke daher nicht entgegen (BGH, Urteile vom 3. September 2002 - 5 StR 139/02, NStZ 2003, 146, 147; vom 22. August 1995 - 1 StR 393/95, NJW 1996, 471; vom 21. Januar 1970 - 3 StR 182/69, juris Rn. 6).
11
Nach diesen Maßstäben durfte das Landgericht zur Verneinung der Heimtücke nicht allein darauf abstellen, dass die Angeklagten dem später Getöteten offen und feindselig gegenübergetreten sind. Vielmehr hätte es prüfen müssen, ob der später Getötete, als er auf die Angeklagten zuging und danach mit ihnen zusammentraf, die Gefahr so rechtzeitig erkannte, dass er noch Zeit gehabt hätte, sie abzuwehren oder sich ihrer zu entziehen. Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht. Soweit die Strafkammer darüber hinaus das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins verneint hat, weil die Angeklagten jedenfalls nicht davon ausgegangen seien, mit ihrem von Tötungsvorsatz getragenen Angriff einen arglosen Menschen zu überraschen, ist dies durch die Urteilsgründe nicht belegt. Das Landgericht hat zwar angeführt, dass die Angeklagten dem später Getöteten offen gegenübertraten. Um ein Ausnutzungsbewusstsein zu verneinen, hätte es jedoch der weiteren Feststellung bedurft, dass sie eine mögliche hilflose Lage ihres Opfers nicht erkannten.
12
3. Die Revisionen der Angeklagten
13
Die Überprüfung des Urteils hat weder zum Schuldspruch noch zum Rechtsfolgenausspruch Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Näherer Ausführungen bedarf nur Folgendes:
14
a) Der Senat vermag widersprüchliche Feststellungen zum Zeitpunkt des Tötungsentschlusses, wie sie die Revision des Angeklagten A. O. geltend macht, nicht zu erkennen. Das Landgericht hat zunächst festgestellt, dass die Angeklagten bereits beschlossen, H. B. zu beseitigen, als sie diesen auf dem Weg zum Supermarkt erblickten. Spätestens als sie ihn nach dem kurzen Wortgefecht angriffen, seien sie entschlossen gewesen, H. B. zu töten. Damit hat das Landgericht lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sich der Entschluss, den später Getöteten zu beseitigen, verfestigt hatte und sie bereits zu diesem Zeitpunkt nicht nur Körperverletzungs-, sondern Tötungsvorsatz hatten. Auch die Ausführungen zur Beweiswürdigung weisen keinen Rechtsfehler auf. Dies gilt insbesondere auch zu den Fragen, wann der Tatentschluss gefasst wurde und ob die Angeklagten zunächst nur vorhatten, mit dem später Getöteten zu reden.
15
b) Die von der Revision des M. O. vorgebrachten Einwendungen gegen das angefochtene Urteil greifen ebenfalls nicht durch. DasLandgericht hat der Bemessung der Strafe alle relevanten Strafzumessungskriterien zugrunde gelegt. Dass es straferschwerend berücksichtigt hat, der Angeklagte habe sich zum Vollstrecker eines von ihm selbst gefällten Unwerturteils über H. B. gemacht, verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Die Strafkammer hat insoweit das Motiv des Angeklagten zu der Gewalttat als unrechtserhöhend bewertet. Hiergegen gibt es nichts zu erinnern. Mit ihren Einwendungen gegen die Nichtannahme eines minder schweren Falles des Totschlags nimmt die Revision eine eigene Wertung der festgestellten Umstände der Tat vor.
16
Eine Erstattung der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin B. B. im Revisionsverfahren findet wegen der gleichfalls erfolglosen Revision der Nebenklägerin nicht statt.
Schäfer Pfister Hubert Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 120/16
vom
28. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280616B3STR120.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 2. Dezember 2015
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchtem Totschlag schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben, jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die näher bezeichnete Tatwaffe eingezogen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinen in allgemeiner Form erhobenen Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
I. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
II. Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen hat sie keine weiteren Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben. Im Einzelnen:
4
1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen kann keinen Bestand haben.
5
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts eröffnete der Angeklagte, der erkannt hatte, dass Polizisten seine Wohnung durchsuchen wollten und der sich mit seiner halbautomatischen Selbstladepistole im beidhändigen Anschlag so im Flur seiner Wohnung positioniert hatte, dass er beim Öffnen der Tür den Hausflur einsehen konnte, unmittelbar nachdem der hinzugezogene Schlüsseldienst die Wohnungstür einen Spalt weit geöffnet hatte, aus dem im Dunklen liegenden Flur das Feuer. Er hatte zuvor den Plan gefasst, auf alle Personen zu schießen, die sich ihm nach der Türöffnung im Treppenhaus zeigen würden, um seine "Ehre" zu verteidigen. Innerhalb weniger Sekunden gab der Angeklagte fünf gezielte Schüsse auf den Schlüsseldienstinhaber und den vor der Tür positionierten Polizisten KHK A. ab. Nachdem ein anderer Polizist - KHK W. - seinerseits in Richtung der Wohnung des Angeklagten geschossen und dieser das erkannt hatte, gab der Angeklagte - wiederum nur Sekunden später - einen sechsten Schuss in Richtung der bereits fliehenden Polizisten KHK W. und KHK T. ab, die sich indes - wie auch die beiden anderen Polizisten und der Schlüsseldienstinhaber - aus dem Sicht- und Schussfeld des Angeklagten entfernen konnten.
6
b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen begegnet der Schuldspruch wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffen Fällen (zum Nachteil des Schlüsseldienstinhabers und von KHK A. ) keinen Bedenken. Indes hält die Annahme, der Angeklagte habe auch bei der Schussabgabe auf KHK W. bzw. KHK T. heimtückisch gehandelt, sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
7
Heimtückisch handelt, wer eine zur Tatzeit beim Opfer bestehende Argund Wehrlosigkeit bewusst zur Tat ausnutzt. Arglos ist, wer sich eines Angriffs nicht versieht; wehrlos ist derjenige, dessen Verteidigungsfähigkeit aufgehoben oder erheblich eingeschränkt ist. Die Wehrlosigkeit muss sich als Folge der Arglosigkeit darstellen (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Urteil vom 3. September 2015 - 3 StR 242/15, juris Rn. 10 mwN).
8
Das Landgericht hat zu dem Merkmal der Arglosigkeit ausgeführt, dass sich die Polizisten und der Schlüsseldienstinhaber - trotz der routinemäßigen Vorsichtsmaßnahmen, die sie wie bei jeder Türöffnung ergriffen - in der konkreten Situation keines Angriffs auf ihre körperliche Unversehrtheit versehen hätten , vielmehr aufgrund des ihnen bekannten Vorlebens des polizeilich zu keiner Zeit in Erscheinung getretenen Angeklagten davon ausgegangen seien, dass er die ehemals legal besessenen Waffen ordnungsgemäß in einem Waffenschrank gelagert habe und lediglich versuche, deren Beschlagnahme hinauszuzögern. Trotz des Umstandes, dass KHK A. und KHK W. routinemäßig ihre Dienstwaffen gezogen hätten, seien sie wehrlos gewesen, weil sie in der Kürze der ihnen verbleibenden Reaktionszeit wirksame Gegenmaß- nahmen nicht hätten ergreifen können und weitere Schutzmaßnahmen wie etwa den Einsatz schusssicherer Schutzschilde aufgrund der von ihnen vorgenommenen Gefährdungseinschätzung nicht getroffen hätten.
9
aa) Diese Begründung erweist sich nur mit Blick auf die ersten fünf - nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen und Wertungen der Strafkammer mit Tötungsvorsatz und dem erforderlichen Ausnutzungsbewusstsein auf KHK A. und den Schlüsseldienstinhaber - abgegebenen Schüsse als rechtsfehlerfrei. Insoweit ist anerkannt, dass heimtückisches Handeln kein "heimliches" Vorgehen erfordert. Vielmehr kann das Opfer auch dann arg- und infolgedessen wehrlos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff etwas Wirkungsvolles entgegen zu setzen. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (BGH aaO mwN; MüKo-StGB/Schneider, 2. Aufl., § 211 Rn. 174 f. mwN).
10
Hier bestand für KHK A. und den Schlüsseldienstinhaber aufgrund des unerwarteten Angriffs keine Möglichkeit, den ersten Schuss abzuwenden oder sich anderweit dagegen zu verteidigen. Aufgrund der Kürze der Zeit zwischen dem ersten und den vier folgenden Schüssen war KHK A. - der unbewaffnete Schlüsseldienstinhaber hatte ohnehin keine Verteidigungsmöglichkeit - auch nicht in der Lage, diese abzuwehren. Dass beide im Folgenden fliehen konnten, weil der Angeklagte sie jedenfalls nicht so traf, dass sie in ihrer Fluchtmöglichkeit eingeschränkt wurden, steht der Annahme eines jeweils zu ihrem Nachteil versuchten Heimtückemords nicht entgegen, weil sie sich jedenfalls den ersten Schüssen nicht hatten entziehen können und es nur einen glücklichen Zufall darstellte, dass sie jedenfalls nicht schwerwiegend verletzt wurden. Als zutreffend erweist sich auch die rechtliche Bewertung des Landgerichts , das davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte jedenfalls nicht freiwillig von dem Versuch des Mordes zum Nachteil dieser Personen zurückgetreten ist.
11
bb) Anders stellt sich die Situation betreffend den sechsten auf KHK W. bzw. KHK T. abgegebenen Schuss dar. KHK W. hatte, nachdem er den Angriff des Angeklagten auf KHK A. und den Schlüsseldienstinhaber erkannt hatte, seinerseits zunächst "in Richtung der Wohnung des Angeklagten" geschossen und war unmittelbar im Anschluss daran mit KHK T. in dem Treppenhaus aufwärts in Richtung des zweiten Obergeschosses geflohen. Damit waren diese Beamten, bevor der Angeklagte auf sie schoss, erkennbar nicht mehr arglos.
12
Entgegen der Auffassung der Strafkammer waren sie auch nicht in dem Sinne wehrlos, dass sie dem Angriff nicht sinnvoll begegnen konnten: Der von KHK W. abgegebene Schuss - mag er auch "reflexartig" abgefeuert worden sein - schlug in der Wohnung des Angeklagten in der Zarge seiner Schlafzimmertür ein. Der Angeklagte nahm ihn wahr und richtete erst deshalb seine Aufmerksamkeit auf die fliehenden Beamten W. und T. , in deren Richtung er nun schoss. Dies verschaffte zugleich KHK A. und dem Schlüsseldienstinhaber weitere Zeit, sich aus der Schusslinie zu entfernen. Es kann mithin keine Rede davon sein, dass KHK W. seine Waffe nicht sinnvoll zur Verteidigung - auch der Rechtsgüter der anderen unter Beschuss geratenen Beteiligten - nutzen konnte. Die Strafkammer hat zudem nicht in den Blick genommen , dass die Wehrlosigkeit auch dadurch entfallen kann, dass sich das Opfer dem Angriff durch Flucht entzieht (MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 176 mwN). Bei Abgabe des sechsten Schusses waren KHK W. und KHKT. bereits auf dem Weg zu dem nächsten Treppenpodest, das sie unverletzt erreichten und sich damit außerhalb des Sicht- und Schussfelds des Angeklagten befanden. Mag es auch weitere Schutzmaßnahmen gegeben haben, die die Beamten nicht ergriffen, so stellt sich ihre Flucht jedenfalls als eine - letztlich erfolgreiche - Möglichkeit dar, sich dem Angriff wirkungsvoll zu entziehen.
13
c) Der Senat schließt aus, dass eine erneute Hauptverhandlung zu Feststellungen führen würde, die eine Verurteilung wegen versuchten Mordes insoweit rechtfertigen könnten, und ändert den Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte sich wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchtem Totschlag schuldig gemacht hat. Das Fehlen eines Mordmerkmals lässt es unberührt, dass der Angeklagte auch bei dem sechsten Schuss mit Tötungsvorsatz gegen die fliehenden Polizisten vorging. Insoweit ist nach den rechtsbedenkenfreien Feststellungen und Würdigungen des Landgerichts von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen, von dem der Angeklagte nicht zurücktreten konnte.
14
2. Die Änderung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch die Grundlage, zumal die Strafkammer strafschärfend das Vorliegen mehrerer tateinheitlicher Mordversuche angenommen hat. Auch wenn zwei tateinheitlich zusammentreffende Mordversuche in Tateinheit mit versuchtem Totschlag verbleiben , kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Würdigung auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.
Becker Schäfer Mayer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR416/14
vom
6. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 6. November 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. April 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.


2
1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte am Morgen des Tattages eine Begegnung mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, der Nebenklägerin , herbei, „zumindest um ein Gespräch mit ihr zu erzwingen.“ Er wusste, dass sie um 9.30 Uhr ihre Arbeit in einem Restaurant aufzunehmen hatte und mit dem in der unverschlossenen (Doppel-)Garage abgestellten Fahrrad zur Arbeitsstelle zu fahren pflegte. Er begab sich in die Garage, verschloss diese von innen und stellte das Fahrrad seiner Ehefrau nach hinten, damit sie weiter in die Garage hineingehen musste. Dann versteckte er sich hinter dem Pkw des Nachbarn auf der anderen Seite der Doppelgarage und rauchte Zigaretten. Er beabsichtigte, sich erst zu erkennen zu geben, wenn seine Ehefrau ihr Fahrrad erreicht und ergriffen hatte, um es herauszuschieben. Die Nebenklägerin öffnete das Garagentor mit einem zuvor aus ihrer Wohnung geholten Schlüssel. Als sie stärkeren Tabakgeruch wahrnahm, schaute sie sich nach dem Angeklagten um, entdeckte aber weder ihn noch sein entgegen seinen Gepflogenheiten etwas weiter entfernt geparktes Fahrzeug. In der Annahme, dass sich ihr Ehemann jedenfalls jetzt nicht mehr in der Garage aufhalten würde, ging sie zu ihrem Fahrrad und ergriff den Lenker. In diesem Moment sprang der Angeklagte hinter dem Pkw hervor; er schloss zügig das Garagentor. Sodann ging er schnell auf seine Ehefrau zu und fragte sie unter anderem: „Mit wem hast du Hündin gestern telefoniert? Mit einem R. ?“; seine Ehefrau entgegnete, dass ihn das nichts angehe. Daraufhin legte er von hinten den linken Arm um ihren Oberkörper und zog sie rückwärts so nahe an sich heran, dass sie seinen Körper spürte. Während er sie auf diese Weise festhielt, holte er mit der rechten Hand einen bislang unter seiner Kleidung verborgenen, ca. 30 cm langen Fleischspieß hervor und hielt ihn seiner Ehefrau vorne etwa mittig an ihren Hals; diese spürte „etwas Spitzes“. Das Schwurgericht hat nicht mit der erfor- derlichen Sicherheit feststellen können, ob der Angeklagte diesen Spieß bereits mitgebracht oder in der Garage gefunden und in seine Kleidung gesteckt hatte. Auf seine Bemerkung „Ich bringe dich jetzt um“ erwiderte die Zeugin: „Dann bring mich doch um“. In diesem Augenblick stieß der Angeklagte den Spieß kräftig mit der Spitze in ihren Hals, „wobei er ihre Tötung zumindest billigend in Kauf nahm und die von ihm zuvor geschaffene Überraschungssituation bewusst zur Tatausführung ausnutzte.“ Der Geschädigten gelang es nicht, die Hand des Angeklagten mit dem Spieß wegzuziehen. Nach ihrem Empfinden stach er sodann den Fleischspieß noch tiefer in ihren Hals. Kurze Zeit später sackte sie zusammen und der Angeklagte zog den Spieß aus der Wunde. Dabei nahm er an, dass seine Frau lebensgefährlich verletzt sei und sterben werde. Er ging noch längere Zeit in der Garage umher, ohne sich um die Nebenklägerin zu kümmern; diese stellte sich tot. Schließlich verließ er die Garage, zog das Tor von außen zu und verschloss es. Auch zu diesem Zeitpunkt ging er weiterhin davon aus, dass er seine Ehefrau so schwer verletzt hatte, dass sie sterben würde. Die Geschädigte konnte jedoch auf sich aufmerksam machen und wurde zunächst notärztlich und sodann stationär in einem Klinikum medizinisch versorgt und gerettet.
3
2. Das Landgericht ist von einem versuchten Heimtückemord ausgegangen. Die Geschädigte sei im Zeitpunkt des Betretens ihrer Garage arg- und wehrlos gewesen. Sie habe sich vergewissert, dass ihr Mann sich nicht in ihrer Nähe aufhalte und deshalb nicht mit einem erheblichen Angriff gegen ihre körperliche Unversehrtheit gerechnet. Das habe der Angeklagte gewusst, der sich auch darüber im Klaren gewesen sei, dass die Geschädigte infolge ihrer Arglosigkeit wehrlos gewesen sei, also insbesondere keine effektive Gegenwehr habe leisten können. Die Wehrlosigkeit sowie das Ausnutzungsbewusstsein zeig- ten sich „maßgeblich“ in der Auswahl des Tatorts und dem planmäßigen Vorge- hen des Angeklagten. Er habe das Fahrrad bewusst in den hinteren Bereich der Garage geschoben, um zu erreichen, dass sie weiter in diese habe hineingehen müssen. Er habe sie auf diese Weise überrascht, als er aus dem Versteck hervorgetreten sei und das Garagentor geschlossen habe. Anschließend habe er ihren Oberkörper von hinten umfasst und sie festgehalten, um ihr auch insoweit keine körperliche Gegenwehr zu ermöglichen.

II.


4
Die Verurteilung wegen eines versuchten Heimtückemordes gemäß § 211 Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
1. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte zur heimtückischen Tötung seiner Ehefrau unmittelbar angesetzt hat.
6
Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 mwN). Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14). Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGH, Urteile vom 17. Januar 1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f., und vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 385 f.; Beschluss vom 4. Juni 2013 – 4 StR 180/13). Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (BGH, Urteil vom 17. Januar 1968, aaO; Beschluss vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364; Urteile vom 14. Juni 1960 – 1 StR 73/60, und vom 9. Dezember 1980 – 1 StR 620/80). Nach diesen Maßstäben ist hier nicht belegt, dass der Angeklagte heimtückisches Vorgehen in seine Vorstellung aufgenommen hatte, als er zur Tötung seiner Ehefrau unmittelbar ansetzte:
7
Das Landgericht ist zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er seine Tatvorbereitungen „zumindest“ traf, „um ein Gespräch mit (seiner Ehefrau) zu erzwingen“. Tötungsvorsatz lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erst für den Zeitpunkt entnehmen, indem er die Geschädigte von hinten umklammerte, ihr die Spitze des Fleischspießes an den Hals hielt und ihr sagte: „Ich bringe Dich jetzt um“. Mit dieser Äußerung und dem unmit- telbar darauf folgenden Tatgeschehen hat das Schwurgericht seine Annahme begründet, der Angeklagte habe „zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt. Dann aber war die Geschädigte in dem Moment, in dem der Angeklagte zustach, also bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs , nicht mehr arglos. Denn der Angeklagte hatte von hinten den linken Arm um ihren Oberkörper gelegt und ihr die Spitze des Spießes spürbar an den Hals gehalten; in dieser Situation hatte er ihr angekündigt, sie zu töten. Die Annahme eines versuchten Heimtückemordes kann hier auch nicht auf die aufgezeigte Ausnahme von dem Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, gestützt werden. Denn auch in den Fällen, in denen der Täter das Opfer in eine Falle lockt, hat die Rechtsprechung stets daran festgehalten, dass der Täter bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384, vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02 [Rn. 32], und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450). Daran fehlt es hier: Sämtliche Verhaltenswei- sen des Angeklagten, die das Landgericht auf UA 22 f. zum Beleg der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers anführt, liegen vor dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen erstmals seinen Tötungsvorsatz gefasst hat.
8
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN), sodass es nicht darauf ankommt, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen ist.

III.


9
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich empfehlen dürfte, die Herkunft der Tatwaffe zu klären. Jedenfalls ist der Zeitpunkt zu bestimmen , zu dem der Angeklagte (spätestens) den Fleischspieß in seiner Kleidung verborgen hat. Auch erscheint es ohne nähere Erläuterung widersprüchlich , wenn der Tatrichter davon ausgeht, der Angeklagte habe zumindest ein Gespräch mit seiner Ehefrau erzwingen wollen (UA 9), in der Beweiswürdigung jedoch zur Widerlegung der einen Tötungsvorsatz bestreitenden Einlassung des Angeklagten maßgeblich darauf abhebt, der Angeklagte habe in Kenntnis des Arbeitsbeginns seiner Ehefrau gewusst, dass für ein klärendes Gespräch gar keine Zeit gewesen sei (UA 19).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung ja
Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier
„dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt
37, 397).
BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 – LG Stuttgart

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 346/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. April 2003 wird verworfen. 2. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Ausla- gen der Nebenklägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.

II.

Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Revisionsvorbringen auch im Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Näherer Erörterung bedarf allerdings die Rüge, die Angeklagte leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung
und habe sowohl bei dem verfahrensgegenständlichen räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 als auch beim erpresserischen Menschenraub im Juli 2002 unter einem so starken Motivationsdruck gestanden, daß sie für beide Taten - anders als vom Landgericht angenommen - strafrechtlich nicht voll verantwortlich gewesen sei. 1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen :
a) Die Angeklagte, deren Eltern aus Kroatien stammen, wuchs in Deutschland gemeinsam mit einer Schwester auf. Sie hatte trotz durchschnittlicher Begabung bereits früh Probleme in der Grundschule. Nachdem sie die zweite Klasse wiederholen mußte, kam sie in die Sonderschule. Diese verließ sie im Jahre 1988 nach der 9. Klasse ohne Abschluß und besuchte danach ein Jahr eine Hauswirtschaftsschule. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten als wahr unterstellt, sie sei von ihrem Vater seit ihrem siebten Lebensjahr bis kurz vor ihrer Verhaftung immer wieder sexuell mißbraucht und regelmäßig geschlagen worden. Ab dem zehnten Lebensjahr unternahm sie mehrere Suizidversuche. Im Jugendalter wurde sie dreimal in stationäre psychiatrische Behandlung nach Kroatien gebracht, wurde allerdings nach wenigen Tagen wieder entlassen, ohne daß eine klare Diagnose gestellt werden konnte. Es wurden ihr Antidepressiva und regelmäßig ein Schmerzmittel verschrieben. Sie konsumierte außerdem seit dem 14. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol , ohne daß sich jedoch eine Suchtproblematik herausgebildet hätte. Gelegentlich konsumierte die Angeklagte auch Haschisch. Im Jahre 1991 heiratete die Angeklagte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder im Alter von nunmehr elf und sechs Jahren hervor. Nach der Heirat arbeitete
sie halbtags als Textilverkäuferin; später übte sie verschiedene Tätigkeiten aus, zuletzt war sie in einem Fitneß-Studio tätig, wo sie rund 500 Euro im Monat verdiente. Etwa Mitte der neunziger Jahre spitzten sich ihre persönlichen Probleme zu. Sie praktizierte einen gehobenen Lebensstil, der nicht ihren bescheidenen finanziellen Verhältnissen entsprach, unter anderem mit häufigen Urlauben, teurer Kleidung für sich und ihre Kinder und häufigem Ausgehen mit Einladungen von Freunden. Diesen Lebensstil konnte sie nur durch zahlreiche Vermögensstraftaten finanzieren. Deshalb wurde sie am 24. Mai 1995 u. a. wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde 1999 erlassen. Am 23. Mai 2000 wurde sie wegen Betrugs in zehn Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr 1999 lernte sie während eines Urlaubs in Tunesien einen Tunesier kennen, der Mitglied einer sektenartigen Bewegung war, in der sich die Angeklagte aufgehoben fühlte. Seit 2000 leben die Eheleute getrennt.
b) Der räuberische Diebstahl Im Oktober 2001 betrat die Angeklagte gegen Mittag ein Schreibwarengeschäft mit Lottoannahmestelle und ließ sich einschließen. Sie entnahm der Lottokasse Bargeld in Höhe von mindestens 1.200 DM und packte drei Plastiktüten mit rund 320 Schachteln Zigaretten ein. Als die Ladenbesitzerin nach der Pause das Geschäftslokal betrat, gab die Angeklagte vor, versehentlich eingeschlossen worden zu sein. Die Ladenbesitzerin wollte die Angeklagte einschließen und die Polizei benachrichtigen. Dies verhinderte die Angeklagte
mit einem kräftigen Stoß, bei der die Frau zu Boden ging. Sie forderte nach einem Faustschlag von ihr das Mobilteil des Telefons, das sie in die Tasche steckte. Dann flüchtete sie. Die Angeklagte konnte aufgrund von Fingerabdrükken ermittelt und am 12. März 2002 festgenommen werden. Nach einem über ihren Verteidiger abgegebenen Geständnis wurde sie am 26. März 2002 wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Angeklagte rechnete wegen dieser Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe ohne Bewährung und befürchtete den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung aus einer früheren Verurteilung. Außerdem hatte sie Probleme mit ihrem Vater, der sich im Jahre 2001 von ihrer Mutter getrennt hatte und seitdem bei ihr der Wohnung wohnte. Die Probleme trieben einem Höhepunkt zu, als der Vater den Wunsch äußerte, mit ihrer Tochter ein Wochenende allein im Schwarzwald zu verbringen. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten angenommen, sie habe befürchtet, der Vater könne sich auch an ihrer Tochter vergehen. Um den Problemen zu entgehen, faßte die Angeklagte den Plan, Deutschland zu verlassen und in Tunesien eine neue Existenz aufzubauen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft feierte sie dort aufwendig die Verlobung mit dem Tunesier, obwohl sie noch verheiratet war. Sie versprach dem Verlobten, dem gegenüber sie sich als wohlhabend ausgab, daß sie im Juli 2002 mit ihren Kindern endgültig zu ihm nach Tunesien ziehen werde. Dabei werde sie einen großen Geldbetrag mitbringen, mit dem man dort gemeinsam ein Mietwagenunternehmen aufbauen könne.
c) Die Kindesentführung
Anfang Juli 2002 faßte die Angeklagte den Entschluß, sich die Mittel zur Durchführung ihrer Tunesien-Pläne durch eine Kindesentführung mit Lösegeldforderung zu beschaffen. Als Erpressungsopfer erschien ihr hierfür die als wohlhabend geltende Familie R. geeignet, die nach ihren Informationen in der Lage sein würde, einen größeren Geldbetrag auch kurzfristig besorgen zu können. Der Plan der Angeklagten ging dahin, die 7jährige Tochter J. auf dem Schulweg in ihre Gewalt zu bringen und für ihre Freilassung ein "Löse- ! " # %$ &' ( &' *)+ , - ' . 0/1& geld" von 250.000 dem Geld sofort nach Tunesien absetzen. Zur Vorbereitung der Tat observierte die Angeklagte ab Anfang Juli 2002 die Verhaltensgewohnheiten der Familie R. . Insbesondere erforschte sie durch zahlreiche Anrufe, bei denen sie sich nicht meldete, zu welchem Zeitpunkt sich die Mitglieder der Familie zu Hause aufhielten. Zur Durchführung der Tat, die zunächst für den 12. Juli 2002 geplant war, kaufte sie einen gebrauchten Pkw BMW der 7er-Klasse. Da sie das Fahrzeug mit nach Tunesien mitnehmen wollte, ließ sie das Fahrzeug mit Ausfuhrkennzeichen zu. Am gleichen Tag buchte sie unter ihrem eigenen Namen zwei Flugreisen für den 12. Juli 2002 von Stuttgart nach Tunesien. Als Passagiere gab sie ihren Sohn und eine Person namens E. an. Sie war auf unbekannte Weise in Besitz eines Personalausweises mit diesem Namen gelangt und wollte unter diesem Namen nach Tunesien reisen. Am 10. Juli 2002 suchte sie ihre Cousine und deren Ehemann auf und teilte diesen mit, sie habe die Absicht nach Tunesien auszuwandern. Beide erklärten sich bereit, das Fahrzeug nach Tunesien zu überführen und die Tochter der Angeklagten mitzunehmen. Am 12. Juli 2002 gab sich die Angeklagte gegenüber der Sekretärin der Schule, in der J. in die erste Klasse ging, als deren Mutter aus und forderte sie auf, das Kind nach Hause zu schicken. Da J. jedoch krankheits-
bedingt nicht in der Schule war, brach die Angeklagte den Entführungsversuch an diesem Tag ab. Sie stornierte den geplanten Flug nach Tunesien und buchte den Flug auf den nächsten Tag um, in der Hoffnung die Tat an diesem Tag durchzuführen. Der Entführungsversuch fand aus nicht feststellbaren Gründen jedoch nicht statt.
Am 15. Juli 2002 überlegte die Angeklagte, wie sie auf anderer Weise Jasmin in ihre Gewalt bringen könnte. Sie wurde dabei gesehen, wie sie gegen 8.00 Uhr morgens aus ihrem Fahrzeug das Wohnhaus der Eheleute R. beobachtete. Die Angeklagte entschloß sich schließlich, die Entführung am 18. Juli 2002 durchzuführen. Sie buchte am 16. Juli 2002 für dieselben Personen einen Flug nach Tunesien für den 19. Juli 2002. Der Flug sollte jedoch von München stattfinden, wo sie die Nacht verbringen wollte. Sie buchte für sich und ihre Tochter eine Übernachtung im Hotel K. . Nachdem die Angeklagte am 18. Juli 2002 mehrere Kontrollanrufe bei der Familie R. getätigt hatte, fuhr sie mit ihrem Fahrzeug, in dem sie eine geladene Schreckschußpistole und ein Elektroschockgerät mit sich führte, gegen 8.00 Uhr zu der Schule. Gegen 9.00 Uhr sprach sie auf dem Schulgelände zwei 8jährige Schüler an und bat sie, J. aus dem Klassenzimmer zu holen ; sie solle zu der Sekretärin ins Rektorat kommen. Die Schüler, die die Angeklagte als Mutter von J. ansahen, holten J. mit Zustimmung der Klassenlehrerin heraus und begleiteten sie in Richtung Rektorat. Die Angeklagte paßte die beiden Schüler und J. zwischen dem Klassenraum und dem Rektorat ab. Die arglosen Jungen ließen J. mit der Angeklagten al-
lein. Sie vergewisserte sich, ob es sich bei dem Kind um J. handele und schüchterte es mit dem mitgebrachten Elektroschockgerät ein, indem sie dieses am Hals des Mädchens auslöste. Als J. zu schreien begann, drohte ihr die Angeklagte, sie werde sie töten, wenn sie nicht ruhig sei. Das Kind verhielt sich ruhig, weigerte sich aber, mit der Angeklagten zu gehen. Die Angeklagte nahm es unter den Arm und trug es zu ihrem Fahrzeug. J. wehrte sich dagegen mit Strampeln und verlor dabei ihre Sandalen und ihre Brille. Die Angeklagte setzte J. zunächst auf den Beifahrersitz und drückte das Kind nach unten, um zu verhindern, daß es bei der Abfahrt gesehen wurde. Um J. weiterhin gefügig zu machen, löste die Angeklagte das Elektroschockgerät nochmals an ihrer Wange aus, wodurch es zu einer leichten Verbrennung kam. Gegen 9.50 Uhr rief die Angeklagte J. s Vater an und forderte ihn auf nach Hause zu kommen, weil J. nach Hause gegangen sei. Er begab sich sofort nach Hause. Dort rief die Angeklagte den Vater erneut an und teilte ihm mit, daß sie J. in ihrer Gewalt habe. Er solle ruhig sein und keine Polizei rufen. Für den Fall, daß er sich nicht an ihre Anweisungen halte, drohte die Angeklagte, es würde für seine Tochter auf dem Markt einen guten Preis geben. Der Vater sollte die Befürchtung haben, sie wolle J. an einen Mädchenhändler verkaufen. Der Vater fuhr danach sofort in die Schule, wo inzwischen die Schuhe und die Brille des Kindes gefunden waren. Die Angeklagte fuhr mit dem Wagen ziellos im Raum L. herum. Da das Kind verängstigt und verzweifelt jammerte, verbrachte sie es spätestens gegen 11.00 Uhr in den Kofferraum des Fahrzeugs, wo es bis zu seiner Befreiung bis gegen 16.00 Uhr verblieb. Gegen 11.50 Uhr rief die Angeklagte den Vater J. s an und forderte ihn auf, binnen einer Stunde 250.000 243 die Freilassung seiner Tochter bereitzustellen. Nachdem der Vater einwandte, er benötige für die Beschaffung des Geldes Zeit bis 16.00 Uhr, erklärte sie sich
bereit, abzuwarten. In der Folgezeit rief sie mehrfach beim Vater an, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für die Geldübergabe zu erkundigen. Um 14.25 Uhr sprach die Angeklagte am Bahnhof in L. einen Taxifahrer an und forderte ihn auf, zum Haus der Familie R. zu fahren, dort ein Päckchen abzuholen und zu ihr zu bringen. Sie einigte sich mit dem Taxifahrer auf 50 Euro für die Fahrt. Um 14.40 Uhr teilte die Angeklagte dem Vater von J. mit, daß sie einen Boten schicken werde, der das Geld abholen werde. Um 14.50 Uhr rief sie den Vater erneut an und erklärte, er werde seine Tochter nicht wiedersehen, da er die Polizei eingeschaltet habe. In Absprache mit der inzwischen eingeschalteten Polizei gab der Vater gegenüber dem Taxifahrer an, daß das Paket noch nicht da sei, er möge noch etwas warten. Der Vater erfuhr dabei, daß der Taxifahrer das Paket zum Bahnhof nach L. bringen solle. Daraufhin begann die Polizei mit der Observation des Bahnhofsgebietes in L. . Dort entdeckte die Polizei die Angeklagte gegen 15.19 Uhr in ihrem Fahrzeug; bis zu ihrer Festnahme um 15.48 Uhr wurde sie lückenlos observiert. J. wurde im Kofferraum des Fahrzeugs in einem zwar erschöpften, jedoch insgesamt zufriedenstellenden Zustand aufgefunden.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Angeklagten verneint und sie für beide Taten für strafrechtlich voll verantwortlich gehalten. Die Kammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, die Angeklagte leide an einer schweren gemischten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Anteilen, die weitgehend auf einem hochproblema-
tischen Verhältnis zum Vater beruhe. Dazu ist in den Urteilsgründen näher ausgeführt, die Störung äußere sich in einer unausgeglichenen Affektivität mit autoaggressiven Zügen, einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer Neigung , insbesondere problematische Dinge von sich abzuspalten. Die Persönlichkeitsstörung , die auch durch sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei deshalb so erheblich, daß Symptome vorlägen, die rechtlich als "schwere andere seelische Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB eingeordnet würden. Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen auch insoweit gefolgt, als keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß sich die Persönlichkeitsstörung bei der konkreten Tat auf ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe. Die Angeklagte sei in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Angesichts der hohen Komplexität der Tatabläufe , insbesondere der umfänglichen Tatplanung und der Vorbereitungshandlungen , sowie der Tatsache, daß die Angeklagte längerfristige, zukunftsgerichtete Pläne verfolgt habe, lägen keine Hinweise dafür vor, daß sie ihr Verhalten nicht habe steuern können. Dagegen hat die die Revision eingewendet, die Beurteilung der Schuldfähigkeit sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe bezüglich des ersten Tatvorwurfs, dem räuberischen Diebstahl, die Frage der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft. Hinsichtlich der Kindesentführung habe sie sich zwar mit der Problematik auseinandergesetzt , jedoch schon verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zumindest nahe lege. Ein überlegtes, geplantes, logisches und zielgerichtetes Handeln schließe eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus, da auch "bei geplantem und geordnetem Vorgehen" die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne,
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegen- einander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden. Deshalb habe die Kammer in erster Linie prüfen müssen, ob die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt gewesen sei, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden sei, und ob dadurch ihre Fähigkeit , sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert gewesen sei. Die Kammer sei zwar davon ausgegangen, daß die schwere Persönlichkeitsstörung möglicherweise auf dem hochproblematischen Verhältnis zum Vater beruhe , habe jedoch außer acht gelassen, daß die Angeklagte mit ihrer Tochter und ihrem Sohn Deutschland verlassen und nach Tunesien auswandern wollte, „weil ihr Vater - der bereits sie über Jahre sexuell mißbraucht und geschlagen hatte - den Wunsch äußerte, mit der Tochter der Angeklagten ein Wochenende allein im Schwarzwald verbringen zu wollen und die Angeklagte befürchtete, daß ihr Vater sich auch an ihrer Tochter vergehen würde“ (UA S. 5, 20). 3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer die Angeklagte trotz der angenommenen Persönlichkeitsstörung für beide Taten als strafrechtlich voll verantwortlich angesehen hat.
a) Persönlichkeitsstörung als andere seelische Abartigkeit
aa) Ersichtlich ist der Sachverständige bei der Beurteilung der persönlichen Entwicklung der Angeklagten und ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den Kriterien der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen und statistischen Klassifikationssysteme vorgegangen (ICD-10 Kapitel V (F), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dil-
ling/Mombour/Schmidt [Hrsg.], 4. Aufl.; DSM-IV, Diagnostisches und Statisti- sches Manual Psychischer Störungen 2. Aufl., Saß/Wittchen/Zaudig [Hrsg.].).
bb) Bei der in ICD-10 F 60.0 (DSM-IV 301.0) genannten Störungsgruppe „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff. Es werden völlig unterschiedliche typologisch definierte Varianten beschrieben, die je nach Ausprägung als normal oder abnorm zugeordnet werden. Sie reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, die von ihrem Gewicht her durchaus Krankheitswert erreichen kann (Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 261 f.). Der Begriff der Persönlichkeitsstörung beschreibt abnorme Persönlichkeiten, deren Eigenschaften von einer nicht näher bezeichneten gesellschaftlichen Norm abweichen. Von psychopathischen Persönlichkeiten wird dann gesprochen, wenn die Person an ihrer Abnormität leidet oder wenn die Gesellschaft unter ihrer Abnormität leidet (vgl. Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 248, 250; Rasch, StV 1991, 126, 127; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 149, 152 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
cc) Für die forensische Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten Auffälligkeiten in Charakter und Verhalten einer Persönlichkeit und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung, die Symptome aufweist, die in einer Beziehung zu psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bestehen , enthalten die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV eine Vielzahl diagnostischer Kriterien, anhand derer der psychiatrische Sachverständige einzelne Persönlichkeitsstörungen spezifizieren und deren Ausprägungsgrad bewerten kann. Diagnostische Hilfsmittel bei psychischen Störungen sind ne-
ben technischen Untersuchungen (EEG, Laboruntersuchungen etc.) sowie den Selbst- und Fremdbeurteilungen vor allem strukturierte Checklisten und diagnostische Interviews (vgl. DSM-IV aaO S. XVII). Bei der forensischen Begut- achtung hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren mehrere anerkannte und indizierte Verfahren, so steht deren Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist der Sachverständige – unbeschadet der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht - frei, von welchen inhaltlichen Überlegungen und wissenschaftlichen Methoden er bei Erhebung der maßgeblichen Informationen ausgeht und welche Gesichtspunkte er für seine Bewertung des Ausprägungsgrades für maßgeblich hält. In seinem Gutachten hat er nach den Geboten der Nachvollziehbarkeit und der Transparenz für alle Verfahrensbeteiligten nach Möglichkeit darzulegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen und auf welchem Weg er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist (vgl. BGHSt 44, 26, 33; 45, 164, 169; st. Rspr.).
dd) Der Senat hat der forensisch-psychiatrischen Literatur entnommen, daß sich nach dem bestehenden wissenschaftlichen Kenntnisstand für die forensische Schuldfähigkeitsbeurteilung von Persönlichkeitsstörungen folgende Vorgehensweise anbietet, ohne daß die Nichteinhaltung einzelner Schritte nach rechtlichen Maßstäben fehlerhaft sein muß. Dazu gehört, daß der Sachverständige die sozialen und biographischen Merkmale unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen Konstanz der pathologischen Auffälligkeiten erhebt. Darüber hinaus bedarf es der Darstellung der pathologischen Reaktionsweisen unter konflikthaften Belastungen und deren Veränderungen infolge der natürlichen Reifungs- und Entwicklungsschritte sowie der therapeutischen Maßnahmen (Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 177,
178). Weist die untersuchte Person Persönlichkeitszüge auf, die nur auf ein unangepaßtes Verhalten oder auf eine akzentuierte Persönlichkeit hindeuten und die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung nicht erreichen, wird schon aus psychiatrischer Sicht eine Zuordnung zum vierten Merkmal des § 20 StGB auszuschließen sein.

b) Schweregrad der Abartigkeit
Gelangt der Sachverständige – wie hier - zur Diagnose einer „dissozialen oder antisoziale Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.2 und DSM-IV 301.7: „Mißachtung sozialer Normen“) und einer „schizoiden Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.1. und DSM-IV 301.20: „Distanziertheit in sozialen Beziehungen, eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten“), so ist diese psychiatrische Diagnose indes nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluß auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (Rasch, Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 S. 126, 127). Hierfür sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle) durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen (vgl. Kröber NStZ 1998, 80 f.). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des
beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (DSM-IV aaO S. 715, 716; Nedopil aaO S. 152). Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ werden aus psychiatrischer Sicht genannt: Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten; konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat; abrupter, impulshafter Tatablauf; aktuelle konstellative Faktoren wie z. B. Alkohol und andere Drogen, Ermüdung, affektive Erregung. Gegen das Vorliegen des vierten Merkmals des § 20 StGB können sprechen: Tatvorbereitung; planmäßiges Vorgehen bei der Tat; Fähigkeit zu warten; lang hingezogenes Tatgeschehen; komplexer Handlungsablauf in Etappen; Vorsorge gegen Entdeckung; Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen; Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179, 180; Versuche einer empirischwissenschaftlichen Auswertung der am häufigsten in forensischen Gutachten vorkommenden Indikatoren bei Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit, 2003).

c) Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bin-
dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den „berauschten Täter“ BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH, Urt. v. 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
Da Persönlichkeitsstörungen in der Regel die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit nicht vollständig aufheben, wird der Tatrichter Gesichtspunkte bewerten, die für oder gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sprechen können, ohne daß es wegen der fließenden Übergänge zwischen Normalität sowie allen Schweregraden und Konstellationen abnormer Persönlichkeit feste skalierbare Regelungen gibt (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179).
aa) Zudem kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die Steuerungsfähigkeit generell eingeschränkt ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie bei Begehung der Tat – und zwar erheblich – eingeschränkt war. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage wird der Tatrichter auf der Grundlage des Beweisergebnisses über den Ablauf der Tathandlung – auch unter Beachtung möglicher alternativer Tatvarianten - die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat in eigener Verantwortung nachprüfen. Stellt er in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen fest, daß das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, daß eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt (vgl. zu bestimmten Fallgrup-
pen BGH StV 1998, 342; StV 2002, 17, 18; BGH, Urt. vom 27. August 2003 – 2 StR 267/03). Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte , unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485; BGH, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36; BGH NStZ 1996, 380; BGH StraFo 2001, 249; BGH StV 2002, 17, 18; vgl. in diesem Sinne auch Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung aaO S. 270 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die mitgeteilte Diagnose des Sachverständigen zum Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung zutreffend war. Dagegen könnte sprechen, daß die in den Urteilsgründen mitgeteilte Tatsachengrundlage wenig tragfähig erscheint. Der Sachverständige hat seine Diagnose im wesentlichen auf die persönlichen Angaben der Angeklagten bei der Exploration gestützt und ausgeführt, „die Persönlichkeitsstörung die durchaus auch auf sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei auch so erheblich, daß eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB anzunehmen sei“. Auch die Strafkammer ist „ entsprechend ihren Angaben zu ihren Gunsten davon ausgegangen“, die Angeklagte sei vom Vater seit ihrem siebten Lebensjahr immer wieder sexuell mißbraucht worden. Konkrete Feststellungen oder objektivierbare Indizien, die die Behauptungen der Angeklagten stützen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die als Zeugen vernommenen Mutter und Schwester haben sogar ausgesagt, sie hätten zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch der Angeklagten gehabt (UA S. 15).
Die Strafkammer hat zum räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 keine näheren Ausführungen zu einer möglichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gemacht. Eine solche lag auch eher fern, denn hinsichtlich dieser Tat behauptet die Revision selbst nicht, daß die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung schon zu diesem Zeitpunkt einem so starken Motivationsdruck ausgesetzt war, daß sie die Wegnahme des Geldes und dessen Sicherung durch Gewaltanwendung nicht habe steuern können.
Die Strafkammer hat auch hinsichtlich der im Juli 2002 begangenen Entführung der siebenjährigen J. nachvollziehbar einen erheblichen Einfluß der Persönlichkeitsstörung auf das komplexe Tatgeschehen ausgeschlossen. Die Angeklagte sei zwar aufgrund ihrer Lebensgeschichte, zu der auch die Mißbrauchsgeschichte gehören könne, in vieler Hinsicht kritikgemindert. Sie sei aber in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ihre gelegentliche Impulsivität sei keine pathologisch überhöhte Erregbarkeit, insbesondere sei auch keine hirnorganisch begründete Affektlabilität festzustellen.
Als Beleg für eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit hat die Strafkammer herangezogen, daß es der Angeklagten bei ihrer Tat in erster Linie darum ging, sich mittels des erwarteten Lösegeldes die Basis für ihr zukünftiges Leben in Tunesien zu schaffen. Die Behauptung der Angeklagten, sie habe wegen eines möglichen Übergriffs des Vaters auf ihre Tochter unter einem schwer beherrschbaren Motivationsdruck gestanden, darf die Kammer als widerlegt ansehen. Sie hat ausgeführt, die Angeklagte habe diese Pläne schon seit ihrem Besuch und ihrer Verlobung in Tunesien im April 2002 verfolgt und
sich endgültig im Juli 2002 zu dieser Straftat entschlossen. Das Lösegeld sollte das ihrem neuen Lebensgefährten zugesagte Startkapital sein.
Gegen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat sprachen hier die bis ins einzelne gehende Planung der Entführung, die vorbereitende Beobachtung der Familie über mehrere Tage sowie das mehrmalige Umbuchen der Flüge nach Tunesien. Die Kammer hat mit Recht auch als überlegtes kriminelles Handeln angesehen, daß die Angeklagte dem Vater des Entführungsopfers jeweils nur kurze Fristen zur Geldbeschaffung setzte, um ihn aus Furcht um sein Kind unter Druck zu setzen. Die Strafkammer konnte schließlich als Belege für ein kontrolliertes und zielgerichtetes Handeln der Angeklagten auch die kaltblütige Durchführung der Entführung auf dem öffentlichen Schulgelände heranziehen. Sie hat ausgeführt, das Sichbemächtigen des Kindes auf dem Schulgelände zeige, in welchem Maße die Angeklagte in der Lage war, situationsadäquat zu handeln und ihre Impulse instrumental zu steuern. Obwohl sie auf dem Schulgelände mit Zeugen rechnen mußte, habe sie das Kind in der Nähe des Rektorats abgefangen und gezielt - und für das Kind J. äußerst schmerzhaft - das Elektroschockgerät einsetzte und das sich wehrende Kind in den bereitgestellten Pkw verbracht. Damit ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, daß bei der Angeklagten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht vorlag.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

(1) In der erneuten Hauptverhandlung ist entweder das frühere Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweit in der Sache zu erkennen.

(2) Das frühere Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Verurteilten geändert werden, wenn lediglich der Verurteilte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt hat. Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 124/13
vom
24. Oktober 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHR: zu § 66 Abs. 1 StGB, nur zu II. 2.
BGHSt: nur zu II. 2.
Veröffentlichung: ja
____________________________
EGStGB § 316f Abs. 2 Satz 1
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66 Absatz 1 StGB (in der nach
Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai
2011 - 2 BvR 2365/09 - anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Neuordnung
des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom
22. Dezember 2010) neben lebenslanger Freiheitsstrafe ist zulässig.
BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13 - LG Essen
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Sitzung vom 29. August 2013,
Staatsanwalt bei der Verkündung am 24. Oktober 2013
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt in der Sitzung vom 29. August 2013
als Verteidiger,
Rechtsanwalt in der Sitzung vom 29. August 2013
als Vertreter der Nebenklägerin J. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Dezember 2012 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Zugleich hat es seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat zur Sache im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Der am 19. März 2012 aus der Strafhaft wegen einer Sexualstraftat entlassene Angeklagte lockte am Vormittag des 28. Mai 2012 die ihm unbekannte O. unter einem Vorwand in seine Wohnung, um sie dort zu vergewaltigen. O. war 58 Jahre alt, zierlich und litt an einer geistigen Behinderung. Nachdem die Geschädigte nichtsahnend das Haus und die Wohnung des Angeklagten betreten hatte, wurde sie von ihm im Wohnzimmer sofort von hinten angegriffen. Der Angeklagte hielt ihr den Mund zu und drückte sie zu Boden. Auf diese Weise wollte er die Geschädigte einschüchtern und wehrlos machen, um sie auszuziehen und den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr zu erzwingen. Da der Angeklagte seine körperliche Überlegenheit erkannte und rücksichtslos einzusetzen gedachte, rechnete er mit nur geringer Gegenwehr und einem kurzen Kampf. Für ihn völlig überraschend reagierte O. mit heftigstem Widerstand. Sie trat und schlug nach ihm und versuchte nach Hilfe zu schreien, was ihr aber wegen des zugehaltenen Mundes nicht gelang. Es entstand ein wildes Gerangel, bei dem der Angeklagte die Geschädigte trotz seiner überlegenen Körperkraft kaum unter Kontrolle behalten konnte. Er schaffte es gleichwohl, ihr Hose, Slip und Mieder auszuziehen und den BH über die Brüste zu schieben. Dabei verletzte er O. zumindest leicht an der Innenseite eines Oberschenkels und im Scheidenbereich , wobei es sich hierbei noch nicht um sexuelle Berührungen handelte. O. wehrte sich fortwährend mit aller Kraft. Schließlich erfasste der Angeklagte, dass er den gewünschten Geschlechtsverkehr wegen ihrer andauernden Abwehrbewegungen und vor allem wegen der Gefahr von Hilfeschreien nicht erreichen würde. Da das Wohnzimmerfenster offen stand, befürchtete er, dass Dritte eingreifen, wenn es der Geschädigten gelänge, sich bemerkbar zu machen. Dies schien ihm angesichts ihrer Ausdauer im Abwehrkampf nur eine Frage der Zeit zu sein. Er gab deshalb seinen Vergewaltigungsplan auf, entschloss sich aber zugleich, O. zu töten, um eine Entdeckung des (versuchten) Sexualdelikts zu verhindern. Er griff daher an ihren Hals und drückte mit Kraft zu, bis O. bewusstlos zurücksank. Unsicher, ob die Geschädigte bereits tot war, trug er sie in das Badezim- mer seiner Wohnung und legte sie in die Badewanne. Dort stach er ihr mit einem Klappmesser zweimal in die rechte Halsseite, um sie sicher zu töten und damit eine Entdeckung der Tat durch sie als Zeugin zu verhindern. Der erste Stich war nur oberflächlich, der zweite Stich drang etwa 6 cm tief in den Hals ein und verletzte eine Schlagader; dies führte in den folgenden Minuten bei O. zum Tod durch Verbluten.
4
Nach der Tat legte der Angeklagte die teilweise wieder angekleidete Leiche von O. in einem schlecht einsehbaren Bereich im Keller des von ihm mitbewohnten Hauses ab und reinigte seine Wohnung. Das Tatmesser und verschiedene Gegenstände aus dem Besitz von O. entsorgte er. Am 29. Mai 2012 begann er eine intime Beziehung mit der Zeugin K. , die er bereits vor der Tat über ein Internetportal kennen gelernt hatte, und übernachtete in den Folgetagen bei ihr. Er hielt Kontakt zu seinem Bewährungshelfer und nahm an einem Gruppengespräch in einer Therapieeinrichtung für Sexualstraftäter teil. Die Leiche von O. wurde am 10. Juni 2012 von einem Hausbewohner aufgefunden.
5
2. Das Landgericht ist von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen und hat das Verhalten des Angeklagten als versuchte Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, §§ 22, 23 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und Mord (§ 211 StGB) gewertet. Als Mordmerkmal hat es Verdeckungsabsicht angenommen. Für die versuchte Vergewaltigung und die tateinheitlich begangene vorsätzliche Körperverletzung hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren festgesetzt und mit der lebenslangen Freiheitsstrafe für den Mord auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkannt.
6
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht auf § 66 Abs. 1 StGB i.V.m. der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09) gestützt. Dabei ist es nach sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangt, dass es sich bei dem seit 1989 unter anderem wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung , sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch eines Kindes mehrfach vorbestraften Angeklagten, der zur Tatzeit unter Führungsaufsicht stand und an einer ambulanten Therapie zur Aufarbeitung seiner Sexualproblematik teilzu- nehmen hatte, um einen „Gewohnheitsvergewaltiger“ handelt, der ohne pathologischen Hintergrund die „eindeutige Tendenz“ aufweist, sich bietende Gele- genheiten zu Vergewaltigungstaten zum Nachteil willkürlich ausgewählter Opfer zu nutzen. Auch sei der Angeklagte bereit, die jeweilige Tat um den Preis eines Menschenlebens zu verbergen. Die Rückfallgefahr in Bezug auf gewalttätige Sexualdelikte und Tötungsdelikte, insbesondere Verdeckungsmorde nach Sexualdelikten , sei ausgesprochen hoch. Taten wie die oben beschriebenen seien von ihm – ohne entsprechende Schutzmaßnahmen – nahezu mit Sicherheit wieder zu erwarten.

II.


7
Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, weil das Urteil keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil aufweist. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
8
1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die versuchte Vergewaltigung und die tateinheitlich begangene vorsätzliche Körperverletzung zu dem Verdeckungsmord im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) ste- hen. Insoweit ist keine die Annahme einer Handlungseinheit und damit einer Tat im materiell-rechtlichen Sinn rechtfertigende Verbindung gegeben.
9
a) Eine Tateinheit im Sinne von § 52 StGB begründende Teilidentität der Ausführungshandlungen liegt nicht vor. Dies ist der Fall, wenn die objektiven Ausführungshandlungen des Täters in einem für sämtliche Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil identisch sind und so dazu beitragen, den Tatbestand aller in Betracht kommenden Strafgesetze zu erfüllen (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 87/09, NStZ-RR 2010, 140, 141; Beschluss vom 21. März 1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163, 165). Ein Zusammentreffen nur im subjektiven Tatbestand reicht dafür nicht aus (BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 – 1 StR 208/97, BGHSt 43, 149, 151; vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1955 – 5 StR 290/54, BGHSt 7, 149, 151). Der Bundesgerichtshof hat daher eine Tateinheit zwischen einem (versuchten) Verdeckungsmord und einer Sexualstraftat in einem Fall bejaht, in dem der Angeklagte noch während der Begehung des Sexualdeliktes mit der Tötungshandlung begann (BGH, Urteil vom 11. Dezember 1990 – 5 StR 500/90, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung , dieselbe 22; vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. Juni 2002 – 4 StR 158/02, NStZ 2003, 371, 372), und die Annahme von Tatmehrheit in einem Fall bestätigt , in dem sich aus den Urteilsfeststellungen nicht ergab, dass der Täter noch weitere sexuelle Handlungen an seinem Opfer vornehmen wollte, als er zum Angriff auf dessen Leben ansetzte (BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 681/85, MDR 1986, 622 bei Holtz).
10
Daran gemessen kommt die Annahme von sich teilweise überschneidenden Tathandlungen hier nicht in Betracht. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den objektiven Tatbestand des § 211 StGB durch ein Würgen des Tatopfers und die Beibringung von Stichver- letzungen verwirklicht. Keine dieser Handlungen ist mit den Gewalthandlungen identisch, die er zur Durchsetzung seines Vergewaltigungsvorhabens vornahm.
11
b) Auch eine natürliche Handlungseinheit liegt nicht vor. Von einer solchen ist auszugehen, wenn zwischen verschiedenen strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein so enger Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Tun darstellt. Dies setzt neben einem unmittelbaren räumlich-zeitlichen Zusammenhang voraus, dass die verschiedenen Ausführungshandlungen durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Beschluss vom 19. November 1997 – 3 StR 574/97, BGHSt 43, 312, 315; Urteil vom 27. März 1953 – 2 StR 801/52, BGHSt 4, 219, 220).
12
Das für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit erforderliche gemeinsame subjektive Element liegt hier nicht vor. Der Entschluss des Angeklagten , sein Opfer zu töten, beruhte auf einer neuen Willensentschließung (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 – 4 StR 573/08, Rn. 6). Er fiel zwar mit der Entscheidung zusammen, das (fehlgeschlagene) Vergewaltigungsvorhaben aufzugeben, war aber auf ein anderes Ziel gerichtet (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 681/85, MDR 1986, 622 bei Holtz). Allein die Absicht, die vorangegangene Tat zu verdecken, vermag eine (natürliche) Handlungseinheit nicht zu begründen (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1953 – 4 StR 258/53, S. 3).
13
2. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB neben lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe ist rechtlich bedenkenfrei.
14
a) Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung war nach § 66 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 und nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) hierzu aufgestellten Grundsätze (strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung ) zu entscheiden.
15
aa) Durch das am 1. Juni 2013 in Kraft getretene Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2425) wurden die Anordnungsvoraussetzungen für die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB für den hier zu entscheidenden Fall (Anlasstat am 28. Mai 2012) nicht verändert (vgl. BT-Drucks. 17/9874, S. 30 f., Renzikowski, NJW 2013, 1638, 1642). Aus der neu geschaffenen Überleitungsvorschrift in Art. 316f Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 EGStGB ergibt sich, dass auf Fälle, in denen die Anlasstat vor dem 31. Mai 2013 begangen worden ist, auch weiterhin die bis dahin geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung anzuwenden sind. Die dafür in Art. 316f Abs. 2 Sätze 2 bis 4 EGStGB bestimmten weiteren Maßgaben betreffen hier nicht gegebene Fallkonstellationen. Der insoweit unverändert gebliebene Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB sieht für nach dem 31. Dezember 2010 begangene Anlasstaten eine Anwendung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I, S. 2300) vor. Ein Fall des § 354a StPO ist deshalb nicht gegeben.
16
bb) Der Senat besorgt nicht, dass § 66 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 und Ablauf der Frist aus der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 verfassungs- oder konventionswidrig ist. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Urteil auch § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 in entsprechender Anwendung des § 78 Satz 2 BVerfGG für mit Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt (Ziffer II.1.b des Tenors, BGBl. I, S. 1003), doch hat es dies nicht aus der Regelung des § 66 StGB selbst, sondern aus dem Fehlen eines dem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot entsprechenden gesetzlichen Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung hergeleitet (BVerfGE 128, 326, 387; Peglau, NJW 2011, 1924, 1925). Die in § 66 StGB festgelegten formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat es nicht beanstandet. Sie verstoßen auch nicht aus anderen als den im Urteil vom 4.  Mai 2011 genannten Gründen gegen Bestimmungen des Grundgesetzes (vgl. BVerfG, NJW 2012, 3357 zu § 66a StGB). Nachdem der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine verfassungsgemäße rechtliche Ausgestaltung des Maßregel- und Strafvollzugs nachgekommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 – 1 StR 48/13, NJW 2013, 2295, 2296, zu Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB) und durch Art. 316f Abs. 3 EGStGB sichergestellt hat, dass die der Umsetzung des Abstandsgebotes dienenden Vorschriften auch in Altfällen zur Anwendung kommen, sind damit die Gründe weggefallen, die für die Beurteilung von § 66 StGB als verfassungswidrig maßgebend waren. Da das Bundesverfassungsgericht § 66 StGB nicht nach § 95 Abs. 3 Satz 1, § 78 Satz 1 BVerfGG für nichtig erklärt hat, ist die Vorschrift existent geblieben (Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Mai 2009, § 35 Rn. 44; Benda/Klein/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl., Rn. 1399).
17
b) Die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe nach § 66 Abs. 1 StGB ist rechtmäßig.
18
aa) Eine Rechtsanwendung, die die Zulässigkeit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe grundsätzlich in Frage stellt, widerspräche dem Wortlaut des Gesetzes und dem Willen des Gesetzgebers, der mit Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I, S. 3344) den bis dahin geltenden § 66 StGB geändert und aus dessen Absätzen 1, 2, 3 Satz 1 und 2 das dem Wort Freiheitsstrafe vorangestellte Adjektiv „zeitiger“ gestrichen hat. Dies geschah, um den Gerichten eine Anordnungder Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe zu ermöglichen (vgl. Gesetzesentwurf vom 19. März 2002, BT-Drucks. 14/8586, S. 5 f.; Gesetzesentwurf vom 15. Mai 2002, BT-Drucks. 14/9041, S. 1; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2013 – 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256, 257; MüKoStGB/ Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, 2. Aufl., § 66 Rn. 21; Bartsch, Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, 2010, S. 65 f.; Böhm, FS Schöch, 2010, S. 755, 762 f.; Passek, GA 2005, 96; Steinhilber, Mord und Lebenslang, 2012, S. 243 f.). Zuvor hatte es der Bundesgerichtshof mehrfach als „sachlich bedenklich“ bezeichnet, dass nach dem bis dahin geltenden Recht eine Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nur neben „zeitiger“ nicht aber lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe oder einer aus mehreren lebenslangen Einzelstrafen gebildeten lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe möglich war (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2002 – 2 StR 62/02, NJW 2002, 3559; Urteil vom 21. März 2000 – 5 StR 41/00, NStZ 2000, 417, 418; Urteil vom 23. August 1990 – 4 StR 306/90, BGHSt 37, 160, 161). In der Begründung zu den angeführten Gesetzesentwürfen wird auf die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 21. März 2000 und 23. August 1990 und die dort geäußerten Bedenken ausdrücklich Bezug genommen.
19
bb) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB neben lebenslanger Freiheitsstrafe verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
20
(1) Die Anordnung ist erforderlich, weil der angestrebte Zweck der Maßregel nicht durch ein den Angeklagten weniger belastendes Mittel erreicht werden kann.
21
(a) Der Umstand, dass die Vollstreckung der vor der Unterbringung zu vollziehenden lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur zur Bewährung ausgesetzt werden darf, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann und ein für die Allgemeinheit gefährlicher Täter deshalb im Vollzug zu verbleiben hat, steht der Maßregelanordnung nicht entgegen (aA Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, § 66 Rn. 32; Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 313 ff.; Kinzig, NJW 2002, 3204 f.; Kreuzer, StV 2011, 122, 123; zweifelnd MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 62 Rn. 6). Zwar wird es aufgrund der insoweit vergleichbaren Bewertungsmaßstäbe kaum je der Fall sein, dass nach § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine Aussetzung des Vollzugs der Strafe verantwortet werden kann, aber die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmende Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass der Zweck der Maßregel (Verhütung hangbedingter rechtswidriger Taten) eine Unterbringung weiterhin erfordert (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12, Rn. 6; Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; Beschluss vom 6. Juli 2010 – 5 StR 142/10, NStZ-RR 2011, 41; Beschluss vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 564/85, BGHSt 33, 398, 401; MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 62 Rn. 6; Bartsch, Sicherungsverwahrung – Recht, Vollzug, aktuelle Probleme, 2010, S. 66 f.; Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 317 f.; dieselbe , GA 2009, 586, 589 ff.; Kinzig, NJW 2002, 3204; Peglau, NJW 2000, 2980, 2981; Böhm, NJW 1982, 135, 139). Doch kommt es hierauf bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB nicht an.
22
Die dem Schuldausgleich dienende Strafhaft und der schuldunabhängige präventive Freiheitsentzug der Sicherungsverwahrung verfolgen unterschiedliche Zwecke und unterscheiden sich grundlegend in ihrer verfassungsrechtlichen Legitimation (vgl. BVerfGE 130, 372, 389; 128, 326, 376; Frisch, ZStW 102 [1990] 343, 358 ff.; Ziffer, FS Frisch, 2013, S. 1077, 1078; MüKoStGB/ Radtke, 2. Aufl., vor §§ 38 ff. Rn. 69; ders., GA 2011, 636, 643 ff. jeweils mwN). Für ihre Anordnung, die wegen der Zweckverschiedenheit auch nebeneinander erfolgen kann (BVerfGE 130, 372, 392; Beschluss vom 22. Juni 2012 – 2 BvR 22/12, S. 6 jeweils mwN), gelten kategorial verschiedene Voraussetzungen , die getrennt voneinander zu beurteilen sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365; Urteil vom 27. Oktober 1970 – 1 StR 423/70, BGHSt 24, 132, 133 f.). Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB ist neben der Strafe anzuordnen, wenn die dafür erforderlichen formellen Voraussetzungen vorliegen und die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters die Anordnung seiner Unterbringung im Zeitpunkt der Entscheidung nötig macht (Kumulationsprinzip, vgl. LK-StGB/Hanack, 11. Aufl., vor §§ 61 ff. Rn. 65). Dabei ist es – anders als in den Fällen der Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB – grundsätzlich ohne Bedeutung, ob von dem Maßregelausspruch unabhängige Ereignisse – zu denen auch der Strafvollzug zählt – eine Unterbringung voraussichtlich verhindern (BGH, Urteil vom 8. Januar 1965 – 2 StR 511/64, S. 3; vgl. Beschluss vom 17. Dezember 1985 – 1 StR 564/85, BGHSt 33, 398, 400) oder die Gefahr abwenden werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1977 – 1 StR 417/77, NJW 1978, 599; Beschluss vom 23. März 1977 – 3 StR 67/77, S. 5; jeweils zu § 63 StGB; ferner BT-Drucks. IV/650, S. 214).
23
(b) Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Subsidiaritätsprinzip (vgl. dazu MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 62 Rn. 7; SSWStGB /Jehle, § 72 Rn. 1) gilt bei freiheitsentziehenden Maßregeln nur für deren Vollstreckung (BT-Drucks. IV/650, S. 210; BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28; vgl. dazu auch Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07, Rn. 15; Urteil vom 3. November 1977 – 1 StR 417/77, NJW 1978, 599; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl., S. 318; aA LK-StGB/Hanack, 11. Aufl., vor §§ 61 ff. Rn. 61) und ist auf das Verhältnis zwischen Strafausspruch und Maßregelanordnung nicht anzuwenden (LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., vor § 61 Rn. 81; SSW-StGB/Schöch, vor §§ 61 ff. Rn. 27; NK-StGB/Pollähne, 4. Aufl., § 61 Rn. 60). Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um eine besonders belastende Maßregel mit ultima-ratio-Charakter handelt (so aber Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 320; dieselbe, GA 2009, 586, 593 f.). Soweit der Bundesgerichtshof bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung den zu erwartenden Auswirkungen eines langjährigen Strafvollzugs Bedeutung beigemessen hat, geschah dies nur im Zusammenhang mit der nach § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StV 2012, 196, 198; Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11, Rn. 5; Beschluss vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271 f.; Urteil vom 4. September 2001 – 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, 31; Urteil vom 17. Dezember 1998 – 5 StR 302/98, NStZ-RR 1999, 301) und – unter ganz engen Voraussetzun- gen – bei der Entwicklung der Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 610/12, NStZ 2013, 522, 523 f.; Urteil vom 19. Juli 2005 – 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337; Urteil vom 7. April 1999 – 2 StR 440/98, Rn. 24, insoweit in NStZ 1999, 423 nicht abgedruckt).
24
(c) Darüber hinaus gibt es Fallkonstellationen, in denen ein umfassender Schutz der Allgemeinheit ohne eine Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gewährleistet wäre. Würde bei einem gefährlichen Hangtäter auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung mit Rücksicht auf eine gleichzeitig ausgesprochene lebenslange Freiheitsstrafe verzichtet, könnte die gebotene Maßregelanordnung aufgrund des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht mehr nachgeholt werden, wenn es auf ein oder mehrere lediglich zugunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel zum Wegfall der lebenslangen Freiheitsstrafe kommt und nur noch auf eine zeitige Freiheitsstrafe erkannt wird (vgl. Böhm, FS Schöch, 2010, S. 755, 763; Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 321 f.; dieselbe, GA 2009, 586, 595; Steinhilber, Mord und Lebenslang , 2012, S. 252 ff.). Auch wenn grundsätzlich davon auszugehen ist, dass rechtskräftige Urteile Bestand haben und diesem Aspekt daher nur ein geringes argumentatives Gewicht zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 292/95, NJW 1995, 3263; Beschluss vom 14. Juli 2005 – 3 StR 216/05, BGHSt 50, 199, 201 zur mehrfachen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus), kann sich Gleiches ergeben, wenn das Urteil in einem zugunsten des Verurteilten geführten Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben wird und in der erneuten Hauptverhandlung an die Stelle der lebenslangen Freiheitsstrafe eine zeitige Freiheitsstrafe tritt. Auch hier stünde das Verschlechterungsverbot (§ 373 Abs. 2 Satz 1 StPO) einer Nachholung der gebotenen Maßregelanordnung entgegen (BGH, Urteil vom 8. Januar 1965 – 2 StR 511/64, S. 3 f.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1956 – 2 StR 245/56, MDR 1956, 525 bei Dallinger zur mehrfachen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus).
25
(2) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung steht bei dem Angeklagten auch mit Rücksicht auf die vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 4. Mai 2011 hierzu aufgestellten Grundsätze nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe.
26
Im zweispurigen Sanktionensystem ist die Verhältnismäßigkeit des in der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB liegenden Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen grundsätzlich gewahrt, wenn die dort genannten tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. § 66 Abs. 1 StGB als verfassungsrechtlich gerechtfertigter Eingriffstatbestand hat insoweit auch eine freiheitsgewährleistende Funktion, da er nicht nur den Eingriff in ein grundrechtlich geschütztes Interesse erlaubt, sondern zugleich auch die äußersten Grenzen zulässiger Grundrechtseinschränkungen bestimmt (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2012, 385, 386; BVerfGE 130, 372, 391; 70, 297, 307). Die nach § 62 StGB vorgeschriebenen Verhältnismäßigkeitserwägungen erlangen erst bei der Festlegung des Maßstabes für die Beurteilung der Erheblichkeit der zu erwartenden hangbedingten Straftaten und der Bewertung der Gefährlichkeitsprognose in § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine zusätzliche eingrenzende Bedeutung (BGH, Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 305/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Erheblichkeit 1; Urteil vom 12. Dezember 1979 – 3 StR 436/79, NJW 1980, 1055 f.; vgl. auch Beschluss vom 31. Juli 1997 – 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135; Beschluss vom 20. Juni 1996 – 4 StR 281/96, NStZ-RR 1997, 2 jeweils zur wiederholten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung; LK-StGB/ Hanack, 11. Aufl., § 66 Rn. 168; SSW-StGB/Jehle, § 66 Rn. 34; Dessecker, Gefährlichkeit und Verhältnismäßigkeit, 2004, S. 373; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 3. Aufl., S. 237 f.). Angesichts der bei dem Angeklagten bestehen- den „ausgesprochen hohe(n) Rückfallgefahr in Bezug auf gewalttätigeSexualund Tötungsdelikte“, sind die vom Landgericht in diesem Zusammenhangge- troffenen Wertungen auch im Hinblick auf die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 gebotene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtlich bedenkenfrei.
27
(3) Die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe ist auch mit Rücksicht auf die dadurch ausgelöste Kumulation von Grundrechtseingriffen (vgl. BVerfGE 130, 372, 392; 112, 304, 320) verhältnismäßig.
28
Werden eine Freiheitsstrafe und eine freiheitsentziehende Maßregel nebeneinander angeordnet, weil die entsprechenden Voraussetzungen jeweils vorliegen, ist es geboten, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider Maßnahmen möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass dabei in das Freiheitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG mehr als notwendig eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 130, 372 zu § 67 Abs. 4 StGB und zur Anrechnung von Maßregelvollzugszeiten auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen; NStZ-RR 2012, 385 zur Anwendung von § 67d Abs. 5 Satz 1 StGB nach der Erledigterklärung einer Maßregel wegen Unverhältnismäßigkeit nach § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB; BVerfGE 91, 1, 31 f. zur Anrechnungsbeschränkung in § 67 Abs. 4 StGB und zum Anrechnungsausschluss nach § 67 Abs. 4 Satz 2 StGB a.F.; BVerfGE 21, 378 zur Anrechenbarkeit von Disziplinararrest auf Frei- heitsstrafe). Auch müssen die Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Ganzen zumutbar bleiben (BVerfGE 130, 372, 392 f.).
29
Diesen Vorgaben werden die bestehenden gesetzlichen Regelungen zum Straf- und Maßregelvollzug gerecht.
30
Durch die Möglichkeit der Strafaussetzung gemäß § 57a Abs. 1 StGB und die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB dem Maßregelvollzug vorgeschaltete Überprüfung, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert, wird sichergestellt, dass ein Verurteilter mit positiver Legalprognose, dessen lebenslange Freiheitsstrafe nach der Mindestverbüßungsdauer aussetzungsreif ist, nicht länger Freiheitsentzug erleiden muss als dies zur Erfüllung des Strafzwecks und zum Schutz der Allgemeinheit vor hangbedingten Straftaten (Maßregelzweck ) unbedingt erforderlich ist. Ein darüber hinaus gehender Grundrechtseingriff ist danach nicht zu besorgen.
31
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung Verurteilter, dessen Entlassung nach der Mindestverbüßungsdauer allein die Nichterstellbarkeit einer positiven Legalprognose entgegensteht, nach den dargestellten Grundsätzen in den Vollzug der Unterbringung nach § 66 StGB zu überweisen ist, um eine weitere – vom Erfordernis der Schuldangemessenheit zwar gedeckte (vgl. BVerfGE 117, 71, 90; aA Steinhilber, Mord und Lebenslang, 2012, S. 116 ff.) – aber nicht vollumfänglich spezialpräventiv ausgerichtete Strafvollstreckung zu vermeiden und den zum Schutz der Allgemeinheit unerlässlichen weiteren Freiheitsentzug unter den freiheits- und therapieorientierten Bedingungen des Maßregelvollzugs (Abstandsgebot) fortdauern zu lassen.

III.


32
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht in einer Rechtsfrage von anderen Strafsenaten ab (§ 132 Abs. 2 GVG). Soweit der 2. (Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; vgl. auch Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 2 StR 325/12, StV 2013, 630), 3. (Urteil vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12, Rn. 6) und 5. Strafsenat (Urteil vom 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525) die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben lebenslanger Freiheitsstrafe für nicht unerlässlich und deshalb rechtsfehlerhaft angesehen haben, wurde eine andere Rechtsfrage entschieden. Die genannten Entscheidungen betrafen die Ausübung des tatrichterlichen Ermessens anhand des vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit formulierten eingeschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung in Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 325/12
vom
12. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Dezember 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten B. wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 9. Januar 2012, soweit es ihn betrifft , im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung und hinsichtlich der Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat u.a. den Angeklagten B. wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Re- vision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit es den Schuldspruch und den Strafausspruch betrifft. Jedoch kann der Maßregelausspruch keinen Bestand haben.
2
Das Landgericht hat für seinen Maßregelausspruch § 66 Abs. 1 und 3 StGB in der für Anlasstaten, die bis zum 31. Dezember 2010 begangen wurden , gemäß Art. 316 e Abs. 1 Satz 2 EGStGB geltenden Fassung herangezogen , die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 404 ff.) in eingeschränktem Umfang weiter anwendbar ist. Es hat aber versäumt, dazu auch die nach den genannten Bestimmungen erforderliche Ermessensentscheidung zu treffen. Dem Revisionsgericht ist es grundsätzlich verwehrt, die fehlende Ermessensentscheidung des Tatrichters zu ersetzen.
3
Der Senat kann auch nicht ausschließen, dass die Ermessensausübung zum Wegfall der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung führt. Der mit der Maßregel verfolgte Sicherungszweck kann bereits durch die lebenslange Freiheitsstrafe erfüllt werden. Der Angeklagte wird weiterhin die lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen haben und nicht in den Maßregelvollzug gelangen, wenn er nach Ende der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen der Tatschuld immer noch als gefährlich gelten sollte. Insoweit handelt es sich um einen vergleichbaren Maßstab wie bei der Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung. Deren Anordnung neben lebenslanger Freiheitsstrafe kann daher kaum praktische Bedeutung entfalten (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12).
4
Der neue Tatrichter wird ferner unter Berücksichtigung der Ausführungen des Generalbundesanwalts nochmals zu prüfen haben, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anstelle der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder - unter den weiteren Voraussetzungen des § 72 StGB - neben dieser in Betracht kommt.
Becker Fischer Schmitt Berger Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 111/12
vom
25. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2012,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Dr. Eschelbach,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Das Verfahren wird nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls verurteilt worden ist (II. 2. der Urteilsgründe).
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 22. Juli 2011 werden verworfen, die Revision des Angeklagten H. mit der Maßgabe, dass er wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung in 2 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung , Beleidigung in 3 Fällen, davon in 2 Fällen jeweils in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Nötigung in 2 Fällen, davon in einem Fall versucht, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt ist.
3. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und der Einstellung sowie die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Wohnungseinbruchsdiebstahls , vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, Beleidigung in drei Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall versucht, zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 6 a) der Urteilsgründe lediglich wegen Nötigung und nicht tateinheitlich wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt hat. Sie beanstandet zudem, dass die Strafkammer von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten H. abgesehen hat, weil sie rechtsfehlerhaft das Vorliegen der formellen Anordnungsvoraussetzungen verneint habe. Das vom Generalbundesanwalt zur Frage der Nichtanordnung der Maßregel vertretene Rechtsmittel hat keinen, dasjenige des Angeklagten H. nur den aus dem Tenor ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg.

II.

2
Das Landgericht hat u.a. Folgendes festgestellt:
3
a) Der vielfach, u.a. wegen schwerer Körperverletzung, vorbestrafte Angeklagte war Mitglied des Motorradclubs "Bandidos MC, Chapter J. " und bekleidete dort eine führende Rolle. Als sog. "sergeant at arms" war er u.a.
- sofern dies erforderlich schien - für die Bewaffnung sowie die Vollstreckung von Strafen gegenüber Clubmitgliedern zuständig, die vom Präsidenten ausgesprochen wurden. Der "Bandidos MC J. " beanspruchte unter den Motorradclubs in Thüringen die Vormachtstellung und betrachtete unter Führung seines Präsidenten Weimar, Apolda, Jena und z.T. auch Erfurt als "seine Städte". Die Gründung und Entfaltung eines "Probecharters" des mit den Bandidos verfeindeten Motorradclubs der Hells Angels in E. wollten sie unbedingt verhindern. Ihr besonderer Hass richtete sich gegen L. und den Geschädigten F. , von denen sie annahmen, dass sie im "Probecharter" der Hells Angels in führender Position tätig seien. Bereits am 3. März 2009 hatte der Präsident der Bandidos den Angeklagten dazu bestimmt, L. zu töten. Eine Gelegenheit, den Tatplan umzusetzen, bot sich jedoch in der Folgezeit nicht.
4
Am Morgen des 28. Dezember 2009 nahmen der Angeklagte sowie der Mitangeklagte R. vor einem Motorradgeschäft in E. einen "Kuttenträger" des konkurrierenden Motorradclubs Hells Angels E. wahr, bei dem es sich um den - unbewaffneten - Geschädigten F. handelte. Die Angeklagten kamen überein, an dem Geschädigten ein Exempel zu statuieren. Sie sprangen aus ihrem Fahrzeug und liefen geradewegs und gezielt auf ihn zu. Der Angeklagte war mit einer Machete, die eine Klingenlänge von etwa 50 cm aufwies, R. entweder ebenfalls mit einer Machete oder einem großen Messer bewaffnet. Derartige Waffen führten die Mitglieder der Bandidos stets mit sich, um für den Fall des Zusammentreffens mit Anhängern verfeindeter Motorradclubs gewappnet zu sein. Dem Geschädigten gelang es zunächst, in das Motorradgeschäft zu flüchten, er kam jedoch im Bereich der Kleiderständer aus ungeklärten Gründen zum Liegen. Der Angeklagte und R. hackten in der Folge gemeinschaftlich mit äußerster Brutalität etwa 20 Sekunden ununterbrochen mittels der Klingen ihrer Hieb- und Stichwaffen auf den am Boden liegenden Ge- schädigten ein, indem sie auf ihn ständig mit Ausholbewegungen von oben nach unten kraftvoll und schnell einschlugen bzw. einstachen. Die Einwirkungen mit den Werkzeugen erfolgten dabei unkontrolliert auf den Kopf-, Brust- und Bauchbereich sowie die Extremitäten des Geschädigten, der Schmerzenslaute von sich gab. Der Geschädigte konnte sich zunächst nur mit dem rechten Arm schützen, den er zum Schutze seines Kopfes vor sein Gesicht hielt, schließlich gelang es ihm, zum Eigenschutz eine "Embryohaltung" einzunehmen. Bei der Tatbegehung beabsichtigten der Angeklagte und R. aufgrund der Art, Anzahl und Wucht der geführten Hiebe, Stiche und Schläge und weil sie dem Auftrag ihres Präsidenten E. vom 3. März 2009 entsprechen wollten, den Tod des Geschädigten. Der Geschädigte erlitt durch den Angriff zahlreiche potentiell, jedoch nicht konkret lebensgefährliche Verletzungen, u.a. eine 17 cm lange Wunde an der rechten Brustkorbvorderseite mit Eröffnung der Oberbauchregion verbunden mit einem Brustbeinbruch. Der Angeklagte ging nach der letzten Ausführungshandlung aufgrund der dem Geschädigten beigebrachten Verletzungen , insbesondere der auch für ihn deutlich sichtbaren, langen, tiefen, fleischigen und stark blutenden Wunde im Brustkorb- und Bauchbereich, davon aus, dass der Geschädigte versterben werde. Er entfernte sich gleichwohl vom Tatort, ohne dem reglos am Boden liegenden Geschädigten zu helfen. Bei seiner Flucht überzeugte er sich noch davon, ob der Geschädigte tatsächlich so schwer verletzt war, dass er versterben würde, indem er einen abschließenden Blick auf ihn warf.
5
Der Angeklagte beging die Tat aus Hass auf die Mitglieder des verfeindeten Motorradclubs der Hells Angels. Durch die Tat sollten andere Mitglieder des "Probecharters" verschreckt und so seine Festigung und Ausbreitung verhindert werden. Mit der spontanen Tat setzte er die Vorgaben des Präsidenten der Bandidos um und beabsichtigte, F. als vermeintlich führendes Mitglied des Probecharters der Hells Angels zu töten. Ferner handelte er, damit er das sog.
Patch (Abzeichen) "expect no mercy" ("erwarte keine Gnade") als Auszeichnung erhielt. Dieses wird den Mitgliedern der "Bandidos" dann verliehen, wenn sie ein Mitglied der verfeindeten Hells Angels töten oder schwer verletzen. Der Angeklagte ließ sich das Patch "expect no mercy" nach der Tat in der Haft tätowieren und verwandte in Briefen an den Mitangeklagten R. die Abkürzung "e.n.m.". Beides war ihm erst nach der Verleihung der Auszeichnung erlaubt.
6
b) Am 17. August 2007 wollte der Angeklagte den Zeugen S. , der im Außenbereich eines Restaurants in W. saß und eine Kutte des Motorradclubs "MC Sunriders" trug, dafür abstrafen, dass dieser sich ohne Anmeldung in einer der von den Bandidos beanspruchten Städte aufhielt. Er trat von hinten an den Zeugen heran und schlug ihm kraftvoll auf den Rücken, so dass dem Zeugen fast die Luft weg blieb. Sodann forderte der Angeklagte, der einen Totschläger in der Hand hielt, den Zeugen auf, das Abzeichen der "MC Sunriders" von seiner Lederweste zu trennen und ihm zu übergeben. Unter dem Eindruck der Bedrohung mit dem Totschläger leistete der Zeuge S. der Forderung des Angeklagten Folge.
7
c) Am 22. Dezember 2007 schlug der Angeklagte dem Zeugen T. , der sich nach einer vorübergehenden Probemitgliedschaft geweigert hatte, den Bandidos endgültig beizutreten, in der aufgrund der nahen Weihnachtsfeiertage voll besetzten Post in W. unvermittelt so kräftig in die rechte Gesichtshälfte auf die obere Zahnreihe, dass er in die Reihen der Wartenden stürzte.
8
2. Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des F. (II. 1 a) als versuchten Mord aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet, von der Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB keinen Gebrauch gemacht und insoweit eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Im Übrigen hat das Landgericht hieraus sowie aus den weiteren Einzelstrafen - u.a. einem Jahr und sechs Monate für die Tat zum Nachteil T. (II. 1 c) - eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe gebildet. Zur Sicherungsverwahrung hat das Landgericht ausgeführt, es habe keinen Zweifel daran, dass bei dem Angeklagten ein Hang zur Begehung schwerer Gewalttaten bestehe. Jedoch fehle es für die Anordnung der Maßregel an deren formellen Voraussetzungen.

III.

9
Die Revision des Angeklagten hat nur insoweit einen geringfügigen Teilerfolg , als sie zur Einstellung des Verfahrens im Fall II. 2. der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO und unter Wegfall der Verurteilung wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer entsprechenden Korrektur des Schuldspruchs führt. Im Übrigen bleibt die auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts , auf die Bezug genommen wird, ohne Erfolg.
10
Zur vom Angeklagten erhobenen Rüge der fehlerhaften Besetzung des Senates wird auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Mai 2012 verwiesen (2 BvR 610/12, 2 BvR 625/12).

IV.

11
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
12
1. Entgegen der Auffassung der Revision unterliegt die Entscheidung des Landgerichts, den Angeklagten im Fall II. 6 a) der Urteilsgründe (oben II. 1 c: Tat vom 17. August 2007 zum Nachteil S. ) nicht tateinheitlich wegen Körperverletzung zu verurteilen, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die Bewertung der Strafkammer, welche angesichts der festgestellten Umstände die Erheblichkeitsgrenze zur strafbaren Körperverletzung als nicht überschritten angesehen hat, im Hinblick auf die geringfügige Dauer der Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens noch keinen Rechtsfehler erkennen lässt.
13
2. Auch die von der Staatsanwaltschaft angegriffene Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
14
a) Allerdings liegen entgegen der Auffassung des Landgerichts die formellen Voraussetzungen für eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB nF, der bei den vor dem 31. Dezember 2010 begangenen Anlasstaten nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 316e Abs. 1 und 2 EGStGB als das mildere Gesetz Anwendung findet, jedenfalls hinsichtlich folgender Taten vor:
15
(1) Verurteilung zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen einer am 1. Februar 2001 begangenen schweren Körperverletzung zum Nachteil des K. (Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 26. November 2003 - 6 Ns 13 Js 11681/01).
16
(2) Verurteilung im vorliegenden Verfahren zu einer Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen einer am 22. Dezember 2007 begangenen Körperverletzung zum Nachteil T. (oben II 1 c).
17
(3) Verurteilung im vorliegenden Verfahren zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Einzelstrafe wegen des am 28. Dezember 2009 begangenen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen F. (oben II 1 a).
18
Die Beschwerdeführerin weist zu Recht darauf hin, dass die unter (1) bezeichnete Straftat zu berücksichtigen ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts greift insoweit die Verjährungsregelung des § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB nicht ein. Das Landgericht hat bei der Berechnung rechtsfehlerhaft auf die am 28. Dezember 2009 zum Nachteil des F. begangene Straftat abgestellt und dabei übersehen, dass als "folgende" Katalogtat im Sinne der Vorschrift von der am 22. Dezember 2007 begangenen Straftat zum Nachteil T. auszugehen ist. Legt man letztere zugrunde, sind mit Blick auf die gemäß § 66 Abs. 4 Satz 4 StGB in die Fünfjahresfrist nicht einzurechnenden, rechtsfehlerfrei festgestellten Verwahrzeiten von 937 Tagen nicht mehr als fünf Jahre verstrichen.
19
Die Berücksichtigung der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil T. als Anlasstat für die Annahme der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB nF begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. auch Senat, Urteil vom 3. August 2011 - 2 StR 190/11). Dies gilt - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist – auch unter Berücksichtigung der Entscheidung vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326 ff.), mit der das Bundesverfassungsgericht die Regelungen über die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt hat.
20
b) Das Urteil beruht jedoch nicht auf dem Rechtsfehler. Allerdings hat die Kammer, die - sachverständig beraten - das Vorliegen eines Hangs als materielle Anordnungsvoraussetzung der Sicherungsverwahrung bejaht hat, nicht erkennbar von dem ihr nach § 66 Abs. 2 StGB nF zustehenden Ermessen Ge- brauch gemacht. Dem Revisionsgericht ist es grundsätzlich verwehrt, die fehlende Ermessensentscheidung des Tatrichters zu ersetzen (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11). Der Senat schließt hier jedoch mit Rücksicht auf die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (a.a.O.) gebotene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles aus, dass bei einer pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 StGB nF die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der lebenslangen Freiheitsstrafe verhängt werden könnte.
21
Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch neben lebenslanger Freiheitsstrafe möglich. § 66 Abs. 2 StGB ist jedoch nach den Feststellungen des BVerfG derzeit wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Die Vorschrift bleibt bis zu einer Neuregelung - längstens bis 31. Mai 2013 - durch den Gesetzgeber nur unter eingeschränkten Voraussetzungen anwendbar (BVerfG aaO). Eingriffe in das Freiheitsrecht des Angeklagten dürfen in der Übergangsphase nach Maßgabe einer auf den Einzelfall bezogenen, besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betreffenden Lebensbereiches aufrecht zu erhalten.
22
Legt man diesen Maßstab zugrunde, so ist vorliegend im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung ein Nebeneinander von lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung nicht unerlässlich.
23
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Verurteilte weiterhin lebenslange Freiheitsstrafe und nicht die Maßregel zu verbüßen hat, wenn er auch nach der Mindestverbüßungsdauer noch als gefährlich einzuschätzen ist (vgl. § 57a Abs. 1 Nr. 3 i.V. mit § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Insoweit handelt es sich materiell um einen vergleichbaren Maßstab wie bei der Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Deren Anordnung neben lebenslanger Freiheitsstrafe kann daher kaum praktische Bedeutung entfalten (vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. März 2012 - 5 StR 57/12 zur Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung nach § 66a i.V.m. § 66 Abs. 3 StGB). Denn auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen, die bei der Prüfung zu beachten sind, ob der Rest einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StPO) entsprechen denjenigen, die das Gesetz für die Prüfung der Frage vorsieht , ob gemäß § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB nach Ende der Strafverbüßung eine im Urteil angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach dem Zweck der Maßregel noch erforderlich ist (§ 463 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 StPO).
24
Hinzu kommt, dass im Rahmen der Ermessensausübung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Ausnahmecharakter des § 66 Abs. 2 StGB nF Rechnung zu tragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11, StV 2012, 196; Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11, StV 2011, 482). Dieser erlangt hier mit Rücksicht gerade darauf, dass der Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, ein besonderes, unter Beachtung des seitens des Bundesverfassungsgerichts vorgegebenen strikten Verhältnismäßigkeitsmaßstabs ausschlaggebendes Gewicht.
25
Die genannten Umstände stehen zumindest derzeit der Annahme entgegen , dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB bei dem Angeklagten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 unerlässlich ist. Becker Fischer Schmitt RiBGH Dr. Eschelbach befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Berger Becker

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 330/12
vom
10. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung am 10. Januar
2013, an der teilgenommen haben:
Präsident des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers R. ,
Rechtsanwältin und Rechtsanwältin aus
als Vertreterinnen der Nebenklägerinnen B. K. und V. K. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers W. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 27. Februar 2012
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Mordes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge, des Mordes in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern, des Mordes, der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in drei Fällen , der sexuellen Nötigung, des sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Mordes in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung , sexuellem Missbrauch von Kindern und Freiheitsberaubung mit Todesfolge und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem sexuellem Missbrauch von Kindern, wegen sexueller Nötigung in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, davon in einem Fall in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt, die besondere Schwere der Schuld festgestellt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Der Angeklagte hat mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision lediglich den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte teilweise unter Einsatz von Gewalt oder Drohung in elf Fällen Kinder sexuell oder versuchte sie zu missbrauchen. In drei Fällen tötete er seine Opfer, um Vortaten zu verdecken, in einem Fall auch heimtückisch.
3
I. Hinsichtlich der Tat zum Nachteil von S. J. (unter II. 2. b. [1]. der Urteilsgründe) ist der Angeklagte allein des Mordes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs von Kindern muss entfallen, da insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist. Beide Delikte waren zum Tatzeitpunkt im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren bedroht (§ 176 Abs. 1, § 178 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 10. März 1987). Somit war nach § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 StGB Verjäh- rung bereits eingetreten, bevor sich das Ermittlungsverfahren im April 2011 gegen den Angeklagten richtete.
4
Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuld- und des Strafausspruchs aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten ergeben.
5
II. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch neben lebenslanger Freiheitsstrafe möglich. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326) ist § 66 StGB aber mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar und bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum 31. Mai 2013, während der Übergangszeit nur anwendbar, soweit der Eingriff unerlässlich ist, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten (BVerfG aaO S. 406). Wie bereits der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs entschieden hat (BGH, Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12, juris Rn. 22 ff.), ist im Rahmen der nach § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung ein Nebeneinander von lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung indes nicht unerlässlich. Dem schließt sich der Senat an.
6
Eine lebenslange Freiheitsstrafe kann auch nach Ablauf der nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 StGB bestimmten Verbüßungsdauer nur dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (vgl. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Solange der Verurteilte noch gefährlich ist, wird die lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt. Erst wenn sich herausstellt, dass von dem Verurteilten keine Gefahr mehr ausgeht, wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. In diesem Falle dürfte indes auch eine zusätzlich zur lebenslangen Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung nicht mehr vollzogen werden (§ 67c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Auch sie müsste zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 67c Abs. 1 Satz 1, Satz 2 1. Halbsatz StGB). Angesichts dessen erscheint es kaum denkbar, dass im Anschluss an eine bedingte Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung wegen fortbestehender Gefährlichkeit des Betroffenen vollstreckt werden wird (BGH aaO Rn. 23; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 BvR 578/02 u.a., BVerfGE 117, 71, 93; BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 5 StR 142/10, NStZ-RR 2011, 41). Auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen an eine spätere Entscheidung über eine etwaige Strafaussetzung entsprechen denjenigen, die für die nach § 67c Abs. 1 Satz 1 StGB zu klärende Frage gelten, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung auch nach der Verbüßung der Strafe noch erfordert (§ 454, § 463 Abs. 1 und 3 StPO). Insbesondere ist stets unter Heranziehung eines Sachverständigen zu klären, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht (§ 463 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 454 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Anordnung der Sicherungsverwahrung erscheint damit neben der Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe im Interesse der öffentlichen Sicherheit nicht als unabdingbar (s. bereits BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1985 - 1 StR 564/85, BGHSt 33, 398, 400 f.; insgesamt kritisch Peglau, NJW 2000, 2980 f.; Kreuzer, ZRP 2011, 7, 9).
7
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 4, § 472 Abs. 1, § 472a Abs. 2 StPO. Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten, mit dem er - erfolglos - die Feststellungen zur Tat vom Juli 1995 und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beanstandet, ist es nicht unbillig, ihn trotz des Teilerfolgs der Revision mit den gesamten Rechtsmittelkosten zu belasten. Tolksdorf Pfister Hubert Gericke Spaniol
5 StR 129/13

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 12. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. Juni 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Su.
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 9. Oktober 2012 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entfällt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Achtel ermäßigt. Die gerichtlichen Auslagen und notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Revisionsverfahren hat zu einem Achtel die Staatskasse zu tragen. Die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat der Angeklagte zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit der Sachrüge nur einen geringer gewichtigen Teilerfolg.
2
1. Nach den Feststellungen lernte der wegen Vergewaltigung vorbestrafte Angeklagte nach Vollverbüßung der deswegen verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren im Jahr 2007 die später getötete L. kennen. Die Beziehung war streitbeladen bis hin zu handgreiflichen Ausein- andersetzungen. Gleichwohl wünschte sich L. vom Angeklagten ein Kind und wurde 2009 schwanger. Da der Angeklagte das Kind nicht wollte, verschlechterte sich die Beziehung nochmals gravierend. Im August 2009 schlug der Angeklagte L. und trat sie heftig gegen den Bauch. Deshalb zog sie aus der gemeinsamen Wohnung in Berlin aus und bezog eine Wohnung in Bautzen.
3
Am 18. März 2010 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Kurz vor der Geburt hatten L. und der Angeklagte wieder persönlichen Kontakt. Der Angeklagte war bei der Geburt anwesend. Es folgten gegenseitige Besuche an den Wochenenden und gemeinsame Ausflüge. Dennoch war auch diese Zeit geprägt von weiterenStreitigkeiten. L. unterhielt Beziehungen zu mehreren Männern. Dies war für den An- geklagten „schwer zu verkraften“ (UA S. 13). Im September2011 ging sie eine Beziehung ein, die ernster war als die vorherigen. Vor diesem Hintergrund bedrohte der Angeklagte sie mit einem Messer.
4
Am Wochenende vom 16. bis 18. Dezember 2011 besuchte der Angeklagte L. . Am Sonntagabend kam es zum Streit. Dem Angeklagten wurde dabei bewusst, dass eine Beziehung nicht mehr bestand und der neue Lebensgefährte auch in der Betreuung der Tochter seinen Platz einnahm. „Diese Situation war für den Angeklagten aufgrund seiner Ich-bezogenen Persönlichkeit nicht hinnehmbar“ (UA S. 20). Er schlug L. mit einem Hammer zweimal auf den Kopf. Nachdem sie zu Boden gestürzt war, würgte er sie mit großer Kraftanstrengung und trotz heftiger Gegenwehr, bis sie keine Lebenszeichen mehr von sich gab. Er „hatte die Tat an diesem Abend nicht konkret vorausgeplant, die latente Bereitschaft dazu war in ihm bereits seit einiger Zeit vorhanden und wurde in der sich konkret ergebenden Situation in die Tat umgesetzt“ (UA S. 20).
5
2. Die Schwurgerichtskammer hat die Tat als Mord bewertet, weil der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Sachverständig beraten hat sie angenommen, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit weder ausgeschlossen noch erheblich beeinträchtigt gewesen sei. Eine kombinierte Persönlichkeitsstörung verbunden mit deutlich geminderter Frustrationstoleranz, verstärkter Kränkbarkeit, Geltungsbedürfnis, begrenzter Konfliktfähigkeit, Verlustangst, Selbstmitleid erreiche nicht die nach §§ 20, 21 StGB erforderliche Schwere.
6
3. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe ist tragfähig begründet.
7
a) Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und daher besonders, d.h. in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag, verachtenswert sind. Die Beurteilung erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 1. März 2012 – 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, und vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05, NStZ-RR 2006, 140, jeweils mwN). Subjektiv muss der Täter die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie – auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, wie Wut und Eifersucht – in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und zu steuern (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 1. März 2012 aaO). Gerade bei einer Tötung, die geschieht, weil sich die Intimpartnerin vom Täter abwendet, können tatauslösend und -bestimmend auch Gefühle der Verzweiflung, der inneren Ausweglosigkeit und erlittenen Unrechts sein, die eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation fraglich erscheinen lassen (BGH, Urteile vom 14. Dezember 2000 – 4 StR 375/00, StV 2001, 228, und vom 2. Mai 1990 – 3 StR 11/90, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 18).
8
b) Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe durch das Landgericht wird diesen Maßstäben gerecht. Die Schwurgerichtskammer bezieht in ihre Würdigung ein, dass Gefühlsregungen wie Wut und Eifersucht in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen , wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehren (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2012 aaO). Sie stellt insoweit darauf ab, dass der Angeklagte „das Abwenden der L. von ihm und die neue Beziehung von ihr sowie die Beaufsichtigung des Kindes durch den neuen Partner“ verhindern wollte (UA S. 33). Er habe sie „aus eigensüchtigen Motiven, nämlich aus den narzisstischen Zügen re- sultierender Wut und Eifersucht“ getötet (UA S. 44). Namentlich vor dem Hin- tergrund des festgestellten gravierenden, bereits die Trennung begründenden Fehlverhaltens des Angeklagten gegenüber seiner Partnerin im Vorfeld der Tat hält sich dies ungeachtet von deren ambivalentem Verhalten, das ersichtlich auch maßgeblich von einer gewissen Achtung seiner Vaterrolle gegenüber dem gemeinsamen Kind bestimmt war, noch innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. BGH, Urteile vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, und vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 47).
9
c) Auch die subjektive Seite des Mordmerkmals ist rechtsfehlerfrei belegt. Insbesondere erkennt die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer , dass die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten der Annahme der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals entgegenstehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Januar 1996 – 3 StR 588/95, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 32, Urteil vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, aaO). Sie schließt dies indessen mit rechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen aus, weil der Angeklagte, der die Tötung im Vorfeld angekündigt hatte, durchaus in der Lage gewesen war, die maßgeblichen Umstände zu erkennen und seinen Impulsen zu widerstehen (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1978 – 2 StR 504/78, BGHSt 28, 210, 212 mwN). Soweit das Landgericht bei der Bewertung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten die einer jugendrechtlichen Sanktion zugrundeliegenden Umstände ungeachtet ihrer Unverwertbarkeit nach §§ 63, 51 BZRG herangezogen hat, schließt der Senat sicher aus, dass sich dies auf die vom Landgericht vorgenommene Beurteilung der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
10
4. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts schon deswegen keinen Bestand haben, weil das Landgericht insoweit die nicht verwertbare jugendrechtliche Sanktion heranzieht. Der Senat vertritt darüber hinaus die Auffassung , dass die Maßregelanordnung hier von vornhereinnicht erfolgen kann. Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung am 1. Juni 2013 (BGBl. I 2012, 2425) ist für „Altfälle“ weiterhin auf der Grundlage des bisherigen Maßstabs strikter Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 128, 326) zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12). Danach ist die Anordnung von Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe jedenfalls nicht unerlässlich (vgl. BGH, Urteile vom 10. Januar 2013 – 3 StR 330/12 – und vom 25. Juli 2012 – 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8; Beschluss vom 9. Januar 2013 – 1 StR 558/12). Dies führt zum Wegfall des Maßregelausspruchs.
11
5. Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung , dass der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel einen ausdrücklich erstrebten Teilerfolg erzielt hat.
Basdorf Sander Schneider
König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 3 5 5 / 1 3
vom
17. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. April 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. Juni 2013 im Ausspruch über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt und gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuld- und zum Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann hingegen keinen Bestand haben.
3
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung (BGBl. I 2012, S. 2425) am 1. Juni 2013 sind für Anlasstaten, die vor diesem Stichtag begangen wurden , gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung anzuwenden, hier - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist - nach Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB mithin § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Gesetzen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, S. 2300). Zur Tatzeit war diese Vorschrift indes gemäß der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326) nur nach Maßgabe einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" anwendbar, die Sicherungsverwahrung mithin nur anzuordnen, wenn der damit verbundene Eingriff gegen den Angeklagten unerlässlich war, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrecht zu erhalten (BVerfG aaO, BVerfGE 128, 326, 406).
4
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt dieser Maßstab aus Gründen des Vertrauensschutzes für Taten fort, die vor dem 31. Mai 2013 begangen wurden, und zwar nicht nur dann, wenn die Neuregelungen zwischen dem tatgerichtlichen Urteil und der Revisionsentscheidung in Kraft getreten sind (BGH, Urteile vom 23. April 2013 - 5 StR 610/12, BGHR StGB § 66 Verhältnismäßigkeit 2 und 5 StR 617/12, juris Rn. 19; Urteil vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525; siehe auch Urteil vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735), sondern auch dann, wenn bereits das erstinstanzliche Urteil nach Inkrafttreten der Neuregelungen ergangen ist (BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316).
5
Bei Durchführung der vorgenannten strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung erweist sich im Rahmen der nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht als unerlässlich, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Strafe (vgl. § 57a StGB) und der Maßregel (vgl. § 67c StGB) in der Praxis gleich zu handhaben sind und deshalb ein Fall, in dem die Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, aber gleichwohl die Maßregel wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Betroffenen noch vollstreckt werden dürfte, kaum denkbar erscheint (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - 3 StR 330/12, juris Rn. 6). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB (BGH aaO sowie Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8); für die Entscheidung nach § 66 Abs. 3 StGB gilt nichts anderes (BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525). Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat deshalb zu entfallen.
6
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Angesichts der aufgezeigten gleichen Handhabung der Voraussetzungen für die Aussetzung von Restfreiheitsstrafe und Maßregel führt der Wegfall der Sicherungsverwahrung nicht zu einer spürbaren Besserstellung des Angeklagten, so dass es nicht unbillig erscheint, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels, mit dem er sich umfänglich auch gegen den Schuld- und Strafausspruch gewandt hat, zu belasten.
Schäfer Hubert Mayer Gericke Spaniol