Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2014 - 2 StR 650/13

bei uns veröffentlicht am21.01.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 650/13
vom
21. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. Januar 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 26. September 2013, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
a) Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu der abgeurteilten Tat getroffenen Feststellungen hat das Landgericht, sachverständig beraten, den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang des Angeklagten , Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
4
b) Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
5
Zwar steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Tatsache , dass ein Täter bereits eine Therapie absolviert hat und rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie regelmäßig nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 13. April 2011 - 4 StR 7/11 mwN). Es kann auch dahin stehen, ob bei einem mehrfachen Therapieabbruch oder einem Rückfall nach jeweils erfolgreicher Absolvierung mehrerer Therapien in der Regel eine andere rechtliche Bewertung veranlasst ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Oktober 1996 - 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131, 132).
6
Jedenfalls im vorliegenden Fall durfte sich das Landgericht nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses der Bewertung des Sachverständigen beschränken , es bestehe "aufgrund der in der Hauptverhandlung glaubhaft vermittelten Einsicht in die Drogenabhängigkeit" und "entsprechende(r) Therapiewilligkeit seitens des Angeklagten" trotz der bisher erfolglosen Behandlungen eine "hinreichend konkrete Erfolgsaussicht" (UA S. 16). Der Angeklagte hat über einen Zeitraum von nahezu 14 Jahren hinweg Drogenentwöhnungstherapien - von nicht näher festgestellter Dauer - ohne durchgreifenden Erfolg absolviert. Die gleichwohl für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der - vom Landgericht freilich nicht erörterte - Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten gehört (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2011 - 4 StR 7/11 mwN), hätten daher einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.
7
Hinzu kommt, dass der Entscheidung der Strafkammer keine präzise Prognose hinsichtlich der voraussichtlich notwendigen Dauer des Maßregelvollzugs zu Grunde liegt, die zudem bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Freiheitsstrafe (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB) zu berücksichtigen ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. März 2013 - 4 StR 60/13).
8
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb der erneuten Prüfung und Entscheidung.
9
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils hinsichtlich des Schuldund Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Fischer Appl Herr RiBGH Prof. Dr. Schmitt ist aus tatsächlichen Gründen an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Eschelbach Zeng

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2014 - 2 StR 650/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2014 - 2 StR 650/13

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 67 Reihenfolge der Vollstreckung


(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen. (2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vol
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2014 - 2 StR 650/13 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. März 2013 - 4 StR 60/13

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3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2014 - 2 StR 650/13.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 7/11
vom
13. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. April 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Strafkammer des Landgerichts Bochum bei dem Amtsgericht Recklinghausen vom 21. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken ist.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Den Verfahrensrügen, mit denen der Beschwerdeführer die Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO beanstandet, bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Februar 2011 der Erfolg versagt.

II.


4
Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Nachteil der Nebenklägerin A. M. verurteilt hat (UA 6/7), hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.
5
Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen wegen der Taten zum Nachteil seiner Tochter C. S. begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
7
a) Spätestens ab dem 24. September 1997 (Vollendung des siebten Lebensjahres ) kam es bis Ende 2000 zu einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Tochter C. . Er suchte sie, in der Regel in alkoholisiertem Zustand, mindestens zweimal wöchentlich abends in dem Kinderzimmer auf, in dem sie und ihre Schwester J. schliefen, während seine Ehefrau entweder überhaupt nicht anwesend war oder, was häufig vorkam, im Wohnzimmer nächtigte. Er legte sich zu dem Kind ins Bett, zog es aus und berührte es am ganzen Körper, auch im Brust- und Genitalbereich. Ferner veranlasste er die Nebenklägerin, ihn ihrerseits im Genitalbereich anzufassen. Mindestens dreimal führte er in diesem Tatzeitraum auch den Finger in ihre Scheide ein. Im Jahr 2000 kam es dazu, dass der Angeklagte mehrfach wöchentlich entweder mit einem Finger in der Scheide seiner Tochter manipulierte oder diese veranlasste, seinen Penis in ihren Mund zu nehmen und an seinen Hoden zu lecken.
8
b) Der Angeklagte, zu dessen Gunsten das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausschließen konnte, hat die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe bestritten. Die Strafkammer hat ihren Feststellungen die Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zu Grunde gelegt, die, so die Urteilsgründe, "weitestgehend" den Aussagen der Geschädigten bei der Polizei und bei ihrer richterlichen Vernehmung entsprachen. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist, hat das Landgericht einen Tatzeitraum vom 24. September 1997 bis 2000 zu Grunde gelegt und die Strafverfolgung durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf 200 Fälle in diesem Zeitraum beschränkt. Im Hinblick auf die drei Taten , in denen der Angeklagte, wie bereits dargelegt, auch seinen Finger in die Scheide der Nebenklägerin einführte, ist das Landgericht ebenfalls gemäß § 154 Abs. 2 StPO verfahren.
9
2. Die vom Landgericht zum Tatzeitraum getroffenen Feststellungen genügen nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO an die Urteilsgründe zu stellen sind.
10
In Fällen, in denen dem Angeklagten eine Vielzahl sexueller Übergriffe zur Last gelegt wird, die erst nach Jahren aufgedeckt werden, dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vermeidung gewichtiger Strafbarkeitslücken an die Individualisierung der einzelnen Missbrauchshandlungen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. März 1994 - 3 StR 18/94, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 5; Senatsbeschluss vom 6. September 1994 - 4 StR 485/94, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 9). So ist es grundsätzlich methodisch zulässig, wenn der Tatrichter, ausgehend vom Gesamtbild des Geschehensablaufs, für einen festliegenden Zeitraum die sichere Überzeugung von einer Mindestzahl nicht notwendig durch individuelle Merkmale voneinander unterscheidbarer Einzeltaten gewinnt (Senatsbeschluss aaO mwN).
11
Danach ist es im vorliegenden Fall im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht auf der Grundlage der in tatrichterlicher Verantwortung geprüften und für sich genommen rechtsfehlerfrei bejahten Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten vor dem Hintergrund eines regelmäßig wiederkehrenden Geschehens im Kinderzimmer von einer bestimmten Anzahl an Einzeltaten überzeugt hat. Die Ausführungen zum Tatzeitraum begegnen indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Vor allem fehlt es an einem hinreichend bestimmten Endzeitraum. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass es spätestens ab dem 24. September 1997, dem Tag der Vollendung des siebten Lebensjahres der Geschädigten, bis "Ende 2000" zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe kam. Sind damit ersichtlich zusammenfassend sämtliche sexuellen Übergriffe zum Nachteil der Geschädigten C. S. gemeint, beziehen sich die nachfolgenden Urteilsfeststellungen zunächst auf die 200 Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Sodann stellt das Landgericht für den Zeitpunkt "im Jahr 2000" ohne genauere Bestimmung eines Anfangs- und eines Endzeitpunktes fest, dass sich weitere 100 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs anschlossen. Diese Ausführungen genügen schon für sich genommen nicht den Anforderungen an die hinreichend präzise Feststellung eines Tatzeitraums; der Angeklagte ist dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber den einzelnen Tatvorwürfen unangemessen beschränkt. Es kommt im vorliegenden Fall aber noch hinzu, dass der Tatzeitraum in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, die der Senat von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat, auf die "Zeit vom 24.09.1997 bis zum 08.03.2001" festgelegt worden ist. Die Gründe für die Verkürzung des Tatzeitraums sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Ob sie von der vom Landgericht in den Urteilsgründen erwähnten Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 Abs. 2 StPO gedeckt ist, kann der Senat in Ermangelung einer genaueren Begründung für die Einstellung nicht nachprüfen.
12
Wegen des Wegfalls der insoweit verhängten Einzelstrafen ist auch über die Höhe der Gesamtstrafe neu zu befinden.
13
3. Der Senat hebt zugleich den Ausspruch über die Maßregel auf.
14
a) Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu den abgeurteilten Taten getroffenen Feststellungen hat das Landgericht, sachverständig beraten, den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht dargetan.
15
b) Zwar steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Tatsache , dass ein Täter bereits eine Therapie absolviert hat und rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie regelmäßig nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 23. Oktober 1996 - 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131). Es kann dahin stehen, ob bei einem mehrfachen Therapieabbruch oder einem Rückfall nach jeweils erfolgreicher Absolvierung mehrerer Therapien in der Regel eine andere rechtliche Bewertung veranlasst ist (vgl. dazu Senat aaO). Jedenfalls im vorliegenden Fall durfte sich das Landgericht nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses der Bewertung des Sachverständigen beschränken, es bestehe trotz der bisher erfolglosen Behandlungen die "hinreichende Aussicht , die Abhängigkeit des Angeklagten zu heilen". Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren hinweg neben stationären Aufenthalten zur Behandlung psychischer Erkrankungen eine außergewöhnlich hohe Zahl stationärer Entwöhnungstherapien von unterschiedlicher Dauer ohne durchgreifenden Erfolg absolviert. Die gleichwohl für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der - vom Landgericht nicht erörterte - Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten gehört (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141), hätten daher einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.

III.


16
Für die neue Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat:
17
1. Wenn die eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs tragenden Feststellungen, wie regelmäßig und auch im vorliegenden Fall, im Wesentlichen auf den Angaben des Tatopfers aus Anlass verschiedener Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sowie auf der Einvernahme als Zeugin in der Hauptverhandlung beruhen, kann eine Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Aussagen etwa bei der polizeilichen Vernehmung und vor dem Ermittlungsrichter zweckmäßig sein, um dem Revisionsgericht eine nähere Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2000 - 1 StR 156/00, NStZ 2000, 496). Die Urteilsgründe müssen in solchen Fällen auch erkennen lassen, ob und in welchem Umfang von der rechnerisch ermittelten Gesamtzahl der Taten nach den besonderen Umständen des jeweiligen Falles Abzüge vorgenommen werden müssen (Senatsbeschluss vom 6. September 1994 aaO).
18
2. Sollte die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kommen, wird bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB zu beachten sein, dass eine Kürzung der Dauer des Vorwegvollzugs um die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft nicht zulässig ist (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2010 - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171).
Ernemann RinBGH Solin-Stojanović befindet Roggenbuck sich im Ruhestand und ist daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Franke Bender

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 60/13
vom
27. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. März 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten P. wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 5. November 2012, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Be- schlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
a) Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB ist, sofern bei einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren nicht ausnahmsweise von einer Vikariierung abgesehen wird, der vorweg zu vollstreckende Teil der Freiheitsstrafe so zu bemessen, dass nach seiner Verbüßung und einer anschließenden Unterbringung eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, also eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt, möglich ist. Ein Beurteilungsspielraum steht dem Tatrichter insoweit nicht zu. Zur Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Freiheitsstrafe ist eine Prognose darüber notwendig, wie lange genau die Unterbringung in der Maßregel zur Durchführung der Therapie voraussichtlich erforderlich sein wird. Die Therapiedauer muss individuell festgelegt werden. Es genügt nicht, dass der Tatrichter nur eine Mindest- und eine Höchstdauer – also einen Zeitraum – prognostiziert (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. September 2008 – 1 StR 478/08, Rn. 6 f.; vom 13. Januar 2010 – 3 StR 532/09, Rn. 4; vom 31. August 2010 – 3 StR 309/10, Rn. 3; Urteil vom 8. April 2010 – 4 StR 53/10, Rn. 5).
4
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat einen Vorwegvollzug der Strafe nicht angeordnet. Die Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, ob die Strafkammer im Hinblick auf die Dauer der bereits vollzogenen Untersuchungshaft – gestützt auf die Anhörung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – ihrer Entscheidung eine präzise Prognose hinsichtlich der voraussichtlich notwendigen Dauer des Maßregelvollzuges zu Grunde gelegt hat. Es kann deshalb auch vom Senat nicht bestimmt werden, wie viel Strafe (einschließlich der anzurechnenden Untersuchungshaft) eventuell vorab zu vollziehen ist, bis exakt der Zeitpunkt erreicht sein wird, zu dem eine Halbstrafenentlassung möglich ist.
5
b) Über den Maßregelausspruch muss insgesamt erneut entschieden werden. Denn der neue Tatrichter wird gegebenenfalls zu beachten haben, dass eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Sinne von § 64 Satz 2 StGB dann nicht besteht, wenn die voraussichtlich notwendige Dauer der Behandlung die Höchstfrist von zwei Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB) überschreitet (BGH, Beschlüsse vom 17. April 2012 – 3 StR 65/12, NJW 2012, 2292, und vom 8. August 2012 – 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7).
6
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 15. Februar 2013.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter