Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Okt. 2012 - 3 StR 207/12

bei uns veröffentlicht am04.10.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 207/12
vom
4. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
4. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 21. November 2011
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung, wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt ist;
b) im Ausspruch über die Maßregel sowie über die Einziehung der Gegenstände zu Ziffern 5. bis 10. sowie 12. des Urteilstenors aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten "der besonders schweren Vergewaltigung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie in einem der beiden Fälle der tateinheitlich begangenen Freiheitsberaubung und des Besitzes kinderpornographischer Schriften" schuldig gesprochen, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt, die Sicherungsverwahrung angeordnet und eine Reihe von Gegenständen eingezogen. Die auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat nur den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Senat stellt den Schuldspruch lediglich zum besseren Verständnis dafür klar, dass der Angeklagte wegen dreier zueinander in Tatmehrheit stehender Taten verurteilt ist.
3
2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen und materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF festgestellt und die erhöhten Anforderungen beachtet, die sich hierfür aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) ergeben. Indes lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass die Strafkammer das ihr nach dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Ordnet der Tatrichter eine in sein Ermessen gestellte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, muss aus den Urteilsgründen aber deutlich werden, dass er sich seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensausübung leitend waren (BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, StV 2004, 200; Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 5 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 43, 44; Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272; Beschluss vom 21. März 2012 - 4 StR 32/12). Hieran fehlt es.
4
Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen. Sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten (BGH, Urteil vom 18. Mai 1972 - 4 StR 11/72, BGHSt 24, 345, 348; Beschluss vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Gericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafverbüßung hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass § 66 Abs. 2 und 3 StGB - im Gegensatz zu Absatz 1 der Vorschrift - eine frühere Verurteilung und Strafverbüßung des Angeklagten nicht voraussetzen (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07, StV 2008, 139).
5
3. Keinen Bestand hat das Urteil auch im Hinblick auf die Einziehung mehrerer Gegenstände als Tatwerkzeuge. Die Verwendung von grünem Panzerklebeband (Ziffer 5. der Einziehungsentscheidung) bei den Taten ist nicht festgestellt. Welche der drei Festplatten (Ziffern 9., 10. und 12.) zur Speicherung der kinderpornographischen Dateien dienten, ist dem Urteil ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Patronen (Ziffern 6. bis 8.) sind nach den Feststellungen Beziehungsgegenstände des angeklagten Waffendelikts. Ihrer (nicht nach § 74 Abs. 1 StGB sondern nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 WaffG in Betracht kommenden) Einziehung im subjektiven Verfahren steht jedoch entgegen, dass das Verfah- ren insoweit von der Strafkammer nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2003 - 3 StR 421/02, NStZ 2003, 422).
6
4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Da es sich hinsichtlich der Maßregel nur um eine bislang unterbliebene Ermessensentscheidung und bezüglich der Einziehung nur um fehlende Feststellungen handelt, bedarf es der Aufhebung von bisher getroffenen Feststellungen nicht. Sie können sämtlich aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann weitere Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehen dürfen.
Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Okt. 2012 - 3 StR 207/12

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

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(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per

Strafgesetzbuch - StGB | § 74 Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern


(1) Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), können eingezogen werden. (2) Gegenstände, auf die sich eine Straftat bez

Waffengesetz - WaffG 2002 | § 54 Einziehung


(1) Ist eine Straftat nach den §§ 51, 52 Abs. 1, 2 oder 3 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 5 begangen worden, so werden Gegenstände, 1. auf die sich diese Straftat bezieht oder2. die durch sie hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebrauch
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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5 StR 351/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 15. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Oktober 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 11. Mai 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern (Einzelfreiheitsstrafe: zwei Jahre neun Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
2
Die konkludent auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
Der im Zeitpunkt der Tat 26 Jahre alte Angeklagte erlebte in seiner Kindheit „ungünstige Sozialisationsbedingungen“ (UA S. 36), die durch Alkoholkonsum der Eltern, wechselnde Partnerschaften der Mutter, „Gewalttätigkeiten in der Familie, Ausgrenzung und Vernachlässigung der Kinder in ihrer Fürsorge, Förderung und auch in der Ernährung“ sowie Heimaufenthalte des Angeklagten geprägt waren. Im Kindesalter mit knapp sechs Jahren war der Angeklagte häufig beim Geschlechtsakt seiner Eltern im gemeinsamen Schlafzimmer anwesend. Später kam es auch zu einem sexuellen Übergriff eines Partners der Mutter auf den Angeklagten. Mit seiner kleinen Halbschwester ahmte er spielerisch den Geschlechtsverkehr zwischen Mutter und Vater nach. Mit 16 Jahren hatte er eine Freundin und mit ihr seinen ersten Sexualverkehr. Im Kinderheim trat er als Jugendlicher in sexuellen Kontakt zu jüngeren Jungen (Berührungen am Geschlechtsteil, gemeinsames Onanieren

).


5
Im Jahr 1989 sah die Staatsanwaltschaft Dresden in einem Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs in zwei Fällen von der Verfolgung nach § 45 Abs. 2 JGG ab; zur Zeit der letzten Tat, deren Einzelheiten im Urteil nicht wiedergegeben werden, war der Angeklagte 15 Jahre alt. Am 13. Juli 2004 verurteilte das Amtsgericht Pirna den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung, bei der Auflagen erteilt worden waren, zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Im Zeitraum vom Februar 2003 bis März 2004 hatte der Angeklagte einen neunjährigen Jungen an dessen Geschlechtsteil gefasst sowie an zwei zwölf- bis vierzehnjährigen Jungen Handverkehr , Oralverkehr und in einem Fall ungeschützten Analverkehr ausgeführt. Die verhängte Jugendstrafe hat der Angeklagte vollständig verbüßt. Nach seiner Haftentlassung am 19. Juni 2007 stand er unter Führungsauf- sicht. In dem Führungsaufsichtsbeschluss wurden u. a. ein Kontakt- und Verkehrsverbot gegenüber Minderjährigen (§ 68b Abs. 1 Nr. 3 StGB) und eine Meldeweisung (Aufsuchen des Bewährungshelfers) nach § 68b Abs. 1 Nr. 7 StGB ausgesprochen.
6
In der Folgezeit hielt der Angeklagte die Weisungen der Führungsaufsicht allenfalls marginal ein. Der – genauer ausgestalteten – Meldeweisung kam er nur sehr unzureichend nach; das Landgericht hat insoweit fünf Weisungsverstöße festgestellt und den Angeklagten deshalb gemäß § 145a StGB verurteilt. Eine auf der Grundlage des § 68b Abs. 2 StGB erteilte Therapieweisung erfüllte er nicht. Aufgrund von Fehlzeiten kam es zur Kündigung seines Ausbildungsverhältnisses als Verkäufer mit nachfolgender Arbeitslosigkeit.
7
Im Dezember 2007 lernte der Angeklagte auf dem Sportplatz beim Fußballspiel die damals 13-jährige P. P. und die neunjährige M. K. kennen. In der Folgezeit besuchte P. den Angeklagten mindestens viermal in dessen Wohnung, davon zweimal in Begleitung von M. . Er ließ die Mädchen an seinem Computer spielen, unterhielt sich mit ihnen und ließ sie seinen Hund ausführen. Nachdem M. ihm gesagt hatte, dass P. „was von ihm wolle“, traf sich der Angeklagte, dem das Alter von P. bekannt war, des Öfteren auch allein mit ihr. Beide traten als Paar auf. Sie kamen schließlich überein, dass P. die Nacht vom 12. zum 13. September 2008 in der Wohnung des Angeklagten verbringen sollte, um gemeinsam „zu kuscheln“ (UA S. 18). Im Verlaufe des Abends kam es zum Austausch von Zärtlichkeiten. Nachdem der Angeklagte, ohne dass P. dies sehen konnte, ein Kondom übergestreift hatte, legte er sich auf sie und drang mit seinem Penis in ihren Scheidenvorhof ein. P. verspürte Schmerzen und machte eine Abwehrbewegung. Daraufhin ließ er sofort von ihr ab und erklärte ihr, dass er ihr keinesfalls wehtun wollte.
8
Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit zu einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verurteilt sowie wegen vierer weiterer Fälle des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht.
9
2. Während die Strafzumessung rechtsfehlerfrei ist, hält die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 StGB revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Schon die Ausführungen zum Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten und zu seiner darauf beruhenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind nicht bedenkenfrei. Das Landgericht stützt sich auf ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, das beim Angeklagten eine Pädophilie (ICD-10 Nr. F65.4) feststellt, die keine „temporäre Erscheinung“ sei (UA S. 33), jedoch nicht zu einer Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beim Angeklagten geführt habe. Bereits seit frühen Jahren hätten sich beim Angeklagten Phantasien im Hinblick auf sexuelle Handlungen an Kindern ausgebildet. Zwar könne er mit erwachsenen Frauen sexuelle Kontakte vollziehen, „wobei die sexuellen Impulse bezüglich der Phantasien und Gedanken an sexuelle Handlungen mit Kindern … in den Hintergrund treten“ (UA S. 32); jedoch neige er im Zusammenhang mit Schwierigkeiten im sozialen Bereich und seiner Selbstwertproblematik zur Beziehungsaufnahme zu Kindern. Er begründe zur Befriedigung seines Bedürfnisses nach Zuwendung, Aufmerksamkeit und körperlicher Liebe Kontakte zu Kindern. In diesen Beziehungen fühle er sich in ausreichender Weise sicher und anerkannt.
11
In diesem Zusammenhang hätte das Landgericht aber auch die deutlichen Unterschiede behandeln müssen, welche die abgeurteilte Tat gegenüber den durch das Amtsgericht Pirna abgeurteilten Vortaten aufweist, die den sexuellen Missbrauch von Jungen in – zumindest überwiegend – vorpu- bertärem Alter zum Gegenstand hatten (vgl. hierzu Kröber/Dölling/Leygraf /Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie Bd. 4 2009, S. 438).
12
b) Das Landgericht begründet im Anschluss an den Sachverständigen seine Überzeugung von einer „fest eingewurzelten Neigung“ des Angeklagten , immer wieder gleichartige Sexualstraftaten an Kindern zu begehen, u. a. damit, dass er innerhalb der Bedingungen der Führungsaufsicht, „die sich ganz intensiv um ihn bemühte“, handelte. Der Senat vermag dem Urteil indes intensive Bemühungen der Führungsaufsicht gerade nicht zu entnehmen. Vielmehr lebte der Angeklagte, der mit der Kündigung seiner Arbeitsstelle ein strukturierendes Element seines Alltags verloren hatte, de facto weitestgehend unkontrolliert und ohne Betreuung. Zwar war er von seinem Bewährungshelfer wiederholt schriftlich zu Vorstellungsterminen geladen worden. Jedoch führte die beharrliche und über einen Zeitraum von jedenfalls neun Monaten bestehende Säumigkeit des im Juni 2007 aus der Strafhaft entlassenen Angeklagten bei der Erfüllung nicht nur seiner Melde-, sondern auch seiner Therapieweisung lediglich zu einem Hausbesuch seitens seines Bewährungshelfers im November 2007 und zu einem anschließenden mündlichen Anhörungstermin der Strafvollstreckungskammer, bei dem der Angeklagte zwar Besserung gelobte, jedoch in der Folgezeit nicht an den Tag legte. Nachdem der Bewährungshelfer der Führungsaufsichtsstelle im April 2008 von der Säumigkeit des Angeklagten Mitteilung gemacht hatte, stellte diese im Juli 2008 Strafantrag.
13
3. Darüber hinaus entbehrt die Ermessensentscheidung aus § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB – was auch vom Generalbundesanwalt beanstandet wird – einer tragfähigen Begründung. Ordnet das Tatgericht die Unterbringung nach § 66 Abs. 3 StGB an, so müssen die Urteilsgründe nicht nur erkennen lassen, dass es sich seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war, sie müssen auch darlegen, aus welchen Gründen es von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 4 und 5; BGH NStZ-RR 2004, 12; StraFo 2003, 282, 283). Nur so ist dem Revisionsgericht die – eingeschränkte (vgl. BGH NStZ 1999, 473) – Nachprüfung der tatrichterlichen Ermessenentscheidung möglich.
14
Die Urteilsgründe lassen schon nicht erkennen, dass sich das Landgericht seines Ermessens hinsichtlich der Anordnung der Maßregel überhaupt bewusst war. Es beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung der formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB. Insbesondere lassen die Urteilsgründe eine hinreichende Auseinandersetzung mit solchen Umständen vermissen, die geeignet sind, die vom Angeklagten ausgehende Gefährlichkeit in milderem Licht erscheinen zu lassen. So wäre zum einen zu erörtern gewesen, dass die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 sowohl hinsichtlich der Strafe im Rahmen der Anlassverurteilung (zwei Jahre neun Monate Freiheitsstrafe), als auch hinsichtlich derjenigen im Rahmen der Vorverurteilung (drei Jahre vier Monate Jugendstrafe) nur knapp erfüllt sind. Darüber hinaus war die Geschädigte im Zeitpunkt der Tat altersmäßig nur wenige Wochen vom Erreichen der Schutzaltersgrenze der §§ 176, 176a StGB entfernt. Sie hatte an der Herstellung der äußeren Bedingung für die Tatsituation aktiv mitgewirkt. Auf ihre Schmerzäußerung hin ließ der Angeklagte sofort von ihr ab, brachte sein Bedauern und seine Zuneigung zu ihr zum Ausdruck und entschuldigte sich in den nächsten Tagen nochmals brieflich bei ihr.
15
Namentlich vor dem Hintergrund der Aburteilung einer solchen nicht überaus schweren Straftat ist im Rahmen der Ermessensentscheidung auch zu bedenken, ob einer vom Verurteilten ausgehenden Gefährlichkeit anstelle durch Anordnung der Sicherungsverwahrung als einer der schärfsten Sanktionen des Strafrechts durch eine risikoangepasst straffe Kontrolle und Betreuung während der Führungsaufsicht angemessen begegnet werden kann. Angesichts des oben (unter 2. b) Ausgeführten steht dem nicht von vornherein entgegen, dass sich der Angeklagte in der Vergangenheit der Führungsaufsicht entzogen und sie zu weiteren Straftaten missbraucht hat.
Basdorf Brause Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 87/11
vom
25. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Mai 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 12. Oktober 2010 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, Vergewaltigung und versuchter Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge, mit welcher die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Nebenklägerin sowie eines aussagepsychologischen Gutachtens zur Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin beanstandet wird, ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zur Begründung seines Beweisbegehrens hat sich der Verteidiger des Angeklagten in dem in der Hauptverhandlung am 25. August 2010 gestellten Beweisantrag auf die von der Zeugin F. übergebenen Krankenunterlagen und in dem Wiederholungsantrag vom 12. Oktober 2010 u.a. auf den Inhalt der polizeilichen Vernehmungen der Nebenklägerin am 27. Januar und 9. Februar 2010 bezogen. Die Revision versäumt es, den Inhalt der Krankenunterlagen sowie der Protokolle der beiden polizeilichen Vernehmungen vollständig mitzuteilen.
3
2. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben. Die auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält einer rechtlichen Prüfung schon deshalb nicht stand, weil die Urteilsgründe eine Ausübung des tatrichterlichen Ermessens nicht erkennen lassen.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters, dessen Entscheidung einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglich ist. Um eine Nachprüfung der Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler durch das Revisionsgericht zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe sowohl erkennen lassen, dass sich der Tatrichter seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war, als auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2009 - 5 StR 351/09, NStZ-RR 2010, 43; vom 21. August 2003 - 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12; Urteil vom 9. Juni 1999 - 3 StR 89/99, NStZ 1999, 473; vgl. auch Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10 Rn 13 zu § 66 Abs. 2 StGB aF). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Die Urteilsausführungen beschränken sich allein darauf, die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF festzustellen. Ihnen ist weder zu entnehmen, dass die Strafkammer ihr Ermessen überhaupt betä- tigt hat, noch legen sie die für eine möglicherweise getroffene Ermessensentscheidung maßgeblich gewesenen Erwägungen näher dar.
5
3. Für die neuerliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung weist der Senat auf Folgendes hin:
6
a) Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nF) verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 - 4 StR 474/09, NStZ-RR 2011, 143, 145). Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster", bei dem es sich um einen Rechtsbegriff handelt, der als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09, NStZ 2010, 586), bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgeblichen Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, StV 2010, 484; Urteile vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10 Rn. 5; vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09).
7
b) Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 aF (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nF) als auch in § 67d Abs. 3 StGB aF. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prog- nose. Während der Hang einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand bezeichnet, schätzt die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblichen Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 aaO; Urteil vom 15. Februar 2011 - 1 StR 645/10 Rn. 7).
8
c) Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aF wird die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Anforderungen zu beachten haben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 - für die befristete weitere Anwendung dieser Norm aufgestellt hat (vgl. Rn. 172 der Entscheidung). Ernemann RiBGH Dr. Franke ist Mutzbauer erkrankt und daher gehindert zu unterschreiben. Ernemann Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 32/12
vom
21. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 17. Oktober 2011 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, versuchter Nötigung, tätlicher Beleidigung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StGB.
2
Das Landgericht hat die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf § 66 Abs. 3 StGB gestützt. Seinen Ausführungen zu den formellen Voraussetzungen kann entnommen werden, dass es dabei von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB ausge- gangen ist. Die getroffene Maßregelanordnung kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass das Landgericht das ihm nach dieser Vorschrift eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Ordnet der Tatrichter eine in sein Ermessen gestellte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, muss aus den Urteilsgründen deutlich werden, dass er sich seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war und welche Gründe für seine Ermessensausübung leitend waren (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 5StR 351/09, NStZ-RR 2010, 43, 44; Beschluss vom 11. September 2003 – 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438 Rn. 4). Hieran fehlt es. Die Ausführungen des Landgerichts beschränken sich auf die Darlegung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB sowie des Vorliegens eines Hanges und einer hangbedingten Gefährlichkeit.
Ernemann Cierniak Franke
Schmitt Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 251/03
vom
21. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 21.
August 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 5. März 2003 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet; außerdem hat es gegen ihn eine unbefristete Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Mit seiner Revision rügt
der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechts- mittel hat hinsichtlich des Maßregelausspruchs zum Teil Erfolg. Die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach Nummer 1 dieser Vorschrift ist in den Urteilsgründen nicht ausreichend belegt; den Feststellungen läßt sich nicht entnehmen, daß der Angeklagte vor der verfahrensgegenständlichen Tat schon zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Einzelfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Die mit Urteil des Landgerichts Würzburg vom 15. März 1990 ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren gilt trotz der darin enthaltenen vier Einzelfreiheitsstrafen von zwei bis vier Jahren nur als eine einzige Verurteilung (§ 66 Abs. 4 Satz 1 StGB). Die erforderliche zweite Vorverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kann auch dem Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 5. November 1982 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten nicht entnommen werden. Denn die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe erfüllt nur dann die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn sie eine Einzelfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe enthält (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 321). Die diesem Urteil zugrundeliegenden Einzelstrafen werden jedoch im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt. Angesichts der geringen Höhe der Gesamtstrafe für sechs verschiedene Straftaten kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß zumindest eine der sechs Einzelstrafen das geforderte Strafmaß erreicht hat. Die Maßregel kann auch nicht, wie der Generalbundesanwalt erwogen hat, gestützt auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aufrechterhalten werden. Zwar hat
das Landgericht die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen ohne Rechtsfehler als erfüllt angesehen; die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach dieser Vorschrift steht aber im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (BGHR StGB § 66 Abs. 3 Begründung 1). Daher müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 4 und 5). Daran fehlt es hier: Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ausdrücklich auf die vorrangige Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB gestützt, wonach die Anordnung der Maßregel bei Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen zwingend ist. Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten.
Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf die Revisionsrechtfertigung hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. RiBGH Pfister ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Winkler Miebach Winkler RiBGH Becker ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. von Lienen Winkler

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 442/07
vom
20. November 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. November
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. ,
der Nebenkläger S. persönlich,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers M. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers Ma. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 20. März 2007 wird verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Dem heute 54 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten liegt zur Last, in dem Zeitraum von 1995 bis 2006 zahlreiche Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Nachteil von vier Jungen begangen zu haben. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte er unter Ausnutzung von Vertrauensverhältnissen an den in den meisten Fällen unter 14 Jahre alten Jungen sexuelle Handlungen durch und ließ solche von den Jungen an sich vornehmen. In den überwiegenden Fällen handelte es sich um Oral- und/oder Analverkehr. Zum Teil stellte er Fotografien von den sexuellen Handlungen her und speicherte diese auf seinem Laptop. Das Landgericht hat ihn wegen - sexuellen Missbrauchs von Kindern in 156 tatmehrheitlichen Fällen - schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 84 tatmehrheitlichen Fällen - Verbreitung pornografischer Schriften - sexuellen Missbrauchs von Kindern in 100 tatmehrheitlichen Fällen - Verbreitung pornografischer Schriften in drei tatmehrheitlichen Fällen - sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen - schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tatmehrheitlichen Fällen - Besitzes kinderpornografischer Schriften - sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Vom Tatvorwurf der Vergewaltigung in 15 tatmehrheitlichen Fällen hat es ihn freigesprochen.
2
Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision ausweislich der Revisionsbegründung auf den Teilfreispruch und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
3
1. Die Angriffe der Beschwerdeführerin gegen den Teilfreispruch sind unbegründet.
4
Das Landgericht hat es nicht als erwiesen erachtet, dass der Angeklagte sein zwischen 14 und 15 Jahre altes Opfer B. in 15 Fällen unter Androhung von Schlägen zu sexuellen Handlungen veranlasst habe, obwohl der Angeklagte in dem über seinen Verteidiger abgegebenen - im Übrigen glaubhaften - Geständnis auch einräumte, entsprechende Äußerungen gemacht zu haben. Der Geschädigte B. berichtete jedoch weder von sich aus noch auf Nachfrage von Androhungen von Schlägen. Als Erklärung, warum er bei diesen sexuellen Handlungen mitgemacht habe, gab er nachvollziehbar an, das Modellfliegen und das Helfen bei Hausmeistertätigkeiten seien bei dem An- geklagten interessant gewesen; er sei hierdurch "käuflich" gewesen. Der Angeklagte hatte zudem in allen sonstigen Fällen nicht mit Gewalt gedroht und gelegentlich sogar den Geschädigten B. nach Hause gefahren, wenn dieser bei den sexuellen Handlungen nicht mitmachen wollte (UA S. 9). Unter diesen Umständen konnte das Landgericht - zumal angesichts des eher pauschal gehaltenen Geständnisses des Angeklagten - rechtsfehlerfrei von verbleibenden Zweifeln am Vorliegen von Drohungen mit Gewalt ausgehen.
5
Dass das Landgericht hinsichtlich des insoweit verbleibenden Sachverhalts eine Strafbarkeit auch wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB verneint hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die unter dem Gesichtspunkt "Ausnutzung einer Zwangslage" allein in Betracht kommenden Äußerungen des Angeklagten, er werde den Geschädigten B. oder seine Mutter "schlecht machen", reicht mangels jeglicher näherer Konkretisierung dieser Äußerung, um die die Kammer sich vergeblich bemüht hat, nicht aus.
6
2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
7
Als Grundlage für deren Anordnung kamen § 66 Abs. 2 StGB und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in Betracht. Nach beiden Bestimmungen liegt die Unterbringung im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters.
8
Bei der Ausübung des Ermessens ist der Tatrichter "strikt an die Wertund Zweckvorstellungen des Gesetzes" gebunden (BGH NStZ 1985, 261). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll er die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der beiden Vorschriften Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 - im Gegensatz zu Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzen (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 173, 50 f. unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb im Rahmen der § 66 Abs. 2, § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (BGH NStZ 2004, 438 m.w.N.). Es besteht freilich keine Vermutung dafür, dass langjährige Strafverbüßung zu einer Verhaltensänderung führen wird. Die Entscheidung des Tatrichters ist (wie jede Prognose) vom Revisionsgericht nur im begrenzten Umfang nachprüfbar (BGH NStZ 2005, 211, 212).
9
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles rechtsfehlerfrei. Es liegt zwar eine lange Tatserie mit einer Vielzahl einzelner Taten zugrunde. Das Landgericht hat jedoch im Einzelnen dargelegt, dass der Angeklagte keine Erfahrung mit Vorverurteilungen hat, erst Recht nicht mit dem Vollzug einer Freiheitsstrafe, und dass die erstmalige Inhaftierung des sozial voll integrierten Angeklagten im Alter von 53 Jahren eine erhöhte Strafempfindlichkeit nahe legt. Er wird angesichts der langjährigen Gesamtfreiheitsstrafe auch bei einer vorzeitigen Entlassung knapp 60 Jahre alt sein. Ferner steht die von dem Sachverständigen bei dem Angeklagten diagnostizierte partielle Triebstörung einer günstigen Prognose hinsichtlich der Wiederholungsgefahr einschlägiger Taten nicht entgegen, auch wenn eine Therapie erforderlich ist (UA S. 19). Der Angeklagte ist in der Lage, langjährige sexuelle Beziehungen zu Frauen zu unterhalten, und hat auch während des Zeitraums der abgeurteilten Taten nicht immer seine sexuellen Interessen durchgesetzt. So hat er bei Gelegenheiten wie einem gemeinsamen Urlaub mit einem der Geschädigten von sexuellen Handlungen abgesehen. Aus alldem konnte die Kammer die Erwartung ableiten, dass der Angeklagte nach seiner Entlassung keine vergleichbaren Taten mehr begehen wird. Sie hat sich dabei auf Gesichtspunkte gestützt, die über die bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf positive Veränderungen hinausgehen und eine Haltungsänderung durchaus erwarten lassen.
10
Zu Unrecht stellt die Beschwerdeführerin eine positive Prognose im Hinblick auf das Aussageverhalten des Angeklagten in Frage, aus dem sie einen fehlenden Gesinnungswandel ableitet. Wenn der Angeklagte etwa erst nach umfangreichen Angaben von Belastungszeugen ein Geständnis abgelegt hat, so handelt es sich um ein zulässiges Verteidigungsverhalten, das nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Beschl. vom 25. Juni 2002 - 5 StR 202/02 - m.w.N.).

11
3. Mit der Möglichkeit der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB setzt sich das angefochtene Urteil zu Recht nicht auseinander. § 66a StGB setzt voraus, dass eine erhebliche, nahe liegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Täter für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gefährlich ist und dies auch zum Zeitpunkt einer möglichen Entlassung aus dem Strafvollzug sein wird (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 66a Rdn. 8). Diese zweite Voraussetzung ist hier nicht festgestellt. Nack Wahl Boetticher Kolz Graf

(1) Gegenstände, die durch eine vorsätzliche Tat hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), können eingezogen werden.

(2) Gegenstände, auf die sich eine Straftat bezieht (Tatobjekte), unterliegen der Einziehung nach der Maßgabe besonderer Vorschriften.

(3) Die Einziehung ist nur zulässig, wenn die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung dem Täter oder Teilnehmer gehören oder zustehen. Das gilt auch für die Einziehung, die durch eine besondere Vorschrift über Absatz 1 hinaus vorgeschrieben oder zugelassen ist.

(1) Ist eine Straftat nach den §§ 51, 52 Abs. 1, 2 oder 3 Nr. 1, 2 oder 3 oder Abs. 5 begangen worden, so werden Gegenstände,

1.
auf die sich diese Straftat bezieht oder
2.
die durch sie hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder bestimmt gewesen sind,
eingezogen.

(2) Ist eine sonstige Straftat nach § 52 oder eine Ordnungswidrigkeit nach § 53 begangen worden, so können in Absatz 1 bezeichnete Gegenstände eingezogen werden.

(3) § 74a des Strafgesetzbuches und § 23 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind anzuwenden.

(4) Als Maßnahme im Sinne des § 74f Absatz 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches kommt auch die Anweisung in Betracht, binnen einer angemessenen Frist eine Entscheidung der zuständigen Behörde über die Erteilung einer Erlaubnis nach § 10 vorzulegen oder die Gegenstände einem Berechtigten zu überlassen.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.