Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2017 - 3 StR 329/17

bei uns veröffentlicht am05.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 329/17
vom
5. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:050917B3STR329.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 22. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
2. Die auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der festgestellten rechtswidrigen Taten keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben.
4
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält hingegen revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
5
Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt, dass "bereits die Beurteilung der Schuldfähigkeit von Rechts wegen zu beanstanden ist. Die Unterbringung nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Umstand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st Rspr; Senat NStZ-RR 2008, 39; BGH, Beschluss vom 4. August 2016 - 4 StR 230/16; Beschluss vom 29. März 2017 - 4 StR 619/16). Eine nähere Darlegung des Einflusses des beim Angeklagten diagnostizierten Störungsbildes auf dessen Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen betreffend die rechtswidrigen Anlasstaten II.4-6 ist gänzlich unterblieben (UA S. 8 f.). Hierauf kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn - wie hier - bei dem Täter eine Schizophrenie diagnostiziert worden ist. Die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich allein genommen nicht zur Feststellung einer - generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden - Schuldunfähigkeit (Senat aaO).
Dass sich der Angeklagte bei allen drei Taten, die zwar zeitlich nahe beieinander liegen, jeweils in einem akuten Schub der Krankheit befunden hätte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16. Mai 2007 - 2 StR 96/07), lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Allein die Umstände, dass sich beim Angeklagten seit dem Jahr 2011 psychotische Symptome manifestieren und die Krankheit zu wiederholten unkontrollierten Impulsdurchbrüchen bei deutlich abgesenkter Frustrationstoleranz führte (UA S. 8), sind hierfür nicht ausreichend. Auch lässt sich weder aus den Taten selbst noch aus dem Vor- oder Nachtatgeschehen, das im Urteil nicht näher mitgeteilt wird, schließen, dass der Angeklagte sich bei den Anlasstaten in einem akut psychotischen Zustand befand. Zudem wurde er am 11. Dezember 2014 wegen gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen sowie am 27. März 2015 wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt (UA S. 5). Die jeweiligen Tatzeitpunkte werden im Urteil zwar nicht mitgeteilt, gleichwohl sprechen diese Verurteilungen gegen einen dauerhaften Zustand der Schuldunfähigkeit beim Angeklagten. Auch die Gefährlichkeitsprognose hält für sich genommen wegen Darlegungsmängeln revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Vergleichbar knapp und damit angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, ebenfalls nicht ausreichend hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Angeklagten begründet (UA S. 11-14). Zwar hat die Strafkammer gesehen, dass bei - wie hier - vorliegenden geringfügigen Anlasstaten nach § 63 Satz 2 StGB besondere Umstände die Annahme der Begehung künftiger schwerwiegender Straftaten nach § 63 Satz 1 StGB rechtfertigen müssen (UA S. 11). Jedoch bedarf die Gefährlichkeitsprognose für diesen Fall besonders sorgfältiger Darlegung (BT-Drucks. 18/7244, S. 22 mwN). Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Letztlich kommt es auf eine Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tat an, die eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unerlässlich machen muss (BT-Drucks. aaO, S. 23 mwN). Vorliegend lässt das Urteil eine ausführliche Auseinandersetzung damit vermissen, warum vom Angeklagten , obwohl er in den vergangenen sechs Jahren auch über längere Phasen straffrei lebte, zukünftig gewichtigere, nämlich erhebliche Taten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB zu erwarten sind. Allein die Feststellung , dass von ihm aufgrund des Vorhandenseins hartnäckiger über weite Strecken persistierender Zwangsgedanken, die mit der Vorstellung einhergehen, andere zu verletzen oder gar umzubringen, die Gefahr
künftiger gefährlicher Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ausgeht (UA S. 13 f.), ist als Begründung nicht ausreichend. Soweit das Landgericht insofern auch darauf abstellt, dass er während seiner Zeit im Haus Dülken, einem offenen Wohnheim für psychisch Kranke (UA S. 4), immer wieder impulsives aggressives Verhalten zeigte (UA S. 13), wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass Verhaltensweisen innerhalb einer Betreuungseinrichtung gegenüber dem Betreuungspersonal nicht ohne weiteres den Handlungen gleichzusetzen sind, die außerhalb der Einrichtung begangen werden (Senat NStZ-RR 2009, 169; BGH, Beschluss vom 25. April 2012 - 4 StR 81/12 mwN). Nähere Feststellungen zu einzelnen aggressiven Verhaltensweisen in der Einrichtung fehlen im angefochtenen Urteil jedoch gänzlich. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO sind trotz des Umstandes, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, auch die Freisprüche aufzuheben (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13; Senat, Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14). Da die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten auf einer mangelfreien Beweiswürdigung beruhen und von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen sind, können diese bestehen bleiben, § 353 Abs. 2 StPO."
6
Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend, dass mit Blick auf den schwerwiegenden Eingriff, der mit der - grundsätzlich unbefristeten - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbunden ist, auf eine sorgfältige Prüfung und Darlegung aller Unterbringungsvoraussetzungen auch dann nicht verzichtet werden kann, wenn der Betroffene - wie hier der Angeklagte - unter besonders abstrusen Zwangsdanken leidet, die die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten nicht fernliegend erscheinen lassen.
7
4. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO an ein zu demselben Land gehörendes anderes Landgericht zurückzuverweisen.
Becker Gericke Ri'inBGH Dr. Spaniol befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Berg Hoch

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2017 - 3 StR 329/17

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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 230/16
vom
4. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:040816B4STR230.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. August 2016 gemäß § 206a Abs. 1, § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 18. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe wird das Verfahren eingestellt; im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten. 3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Diebstahls mit Waffen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte spätestens seit 2010 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Er interpretiert tatsächlich in seinem Bauchraum vorhandene Lipome als mit einem Seil verbundene, von äußeren Einflüssen und seinen Gedanken abhängige Krebsgeschwüre. Infolge seiner Erkrankung und des damit verbundenen Beeinflussungserlebens hat der Angeklagte Beeinträchtigungsideen und fühlt sich verfolgt. Des Weiteren besteht beim Angeklagten eine Polytoxikomanie mit schwerer Opiatabhängigkeit.
3
Im Sommer 2013 hatte der Angeklagte ein Fahrrad entwendet, ohne zu wissen, dass dieses der Mutter eines Bekannten gehörte. Als der Bekannte von dem Diebstahl Kenntnis erlangte, stellte er den Angeklagten zur Rede und forderte ihn zur Rückgabe auf. Nachdem das Angebot des Angeklagten, für das nicht mehr vorhandene gestohlene ein anderes Fahrrad zu übergeben, von der Mutter des Bekannten abgelehnt worden war, riefen die Mutter und der Bekannte selbst zuletzt am Vorabend des Tattags bei dem Angeklagten an und verlangten die Rückgabe des gestohlenen Fahrrads. Der Angeklagte fühlte sich durch die Anrufe unter Druck gesetzt und befand sich in der Vorstellung, er werde von seinem Bekannten und dessen Mutter regelrecht verfolgt.
4
Am 27. Juli 2013 gegen 20.20 Uhr verließ der Bekannte mit einem Begleiter seine Wohnung und begab sich auf die Straße. Als der Angeklagte, der sich zufällig an einem Kiosk in Sichtweite aufhielt, den Bekannten erblickte, erkannte er ihn und fühlte sich von diesem verfolgt. Noch unter dem Eindruck des vorabendlichen Anrufs meinte der Angeklagte, der Bekannte wolle ihn stellen und angreifen. Deshalb ergriff er einen auf dem Boden liegenden etwa 60 bis 80 cm langen dicken Ast und verbarg diesen unter der Jacke. Obwohl die beiden Männer sich ihm nicht näherten, wollte er die Sache nicht auf sich beruhen lassen und ging schnellen Schrittes aggressiv auf beide zu. Er schrie den Bekannten auf Russisch an, zog, als dieser ihm auf Russisch antwortete, unvermittelt den unter seiner Jacke verborgenen Ast hervor und schlug damit heftig mindestens zweimal auf den Kopf und in das Gesicht des Bekannten. Dabei zerbrach der Ast, der womöglich etwas morsch war, unter der Kraft der wuchtig geführten Schläge. Der Geschädigte, der infolge der Schläge kurz zu Boden ging, erlitt eine Platzwunde an der Lippe sowie eine Verletzung im Zahnbereich, die zum Verlust von drei Schneidezähnen führte. Der Angeklagte ließ sodann von dem Geschädigten ab und entfernte sich. Bei der Tat war der Angeklagte aufgrund der paranoid-halluzinatorischen Psychose nicht mehr in der Lage, sein Verhalten entsprechend der noch vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern (Tat II.1 der Urteilsgründe).
5
Am 31. August 2013 suchte der Angeklagte die Verkaufsräumlichkeiten der Firma K. in W. auf, entnahm der Auslage fünf Flaschen Wodka im Gesamtwert von 62,45 Euro, steckte sie in seine mitgeführte Tasche und passierte den Kassenbereich, ohne die Waren zu bezahlen. Dabei trug er in seinem Rucksack ein Einhandmesser mit 8,5 cm langer Klinge und in seiner Hosentasche ein Taschenmesser bei sich. Er hatte unter Suchtdruck nach Heroin vor, die Waren ohne Bezahlung für sich zu behalten und sie später gegen 1 g Heroin einzutauschen. Der Angeklagte war aufgrund des wegen seiner Polytoxikomanie und Opiatabhängigkeit bestehenden schweren Suchtdrucks im Zusammenwirken mit der fortbestehenden paranoid-halluzinatorischen Psychose – bei sicher erheblich beeinträchtigtem Hemmungsvermögen – nicht ausschließbar nicht in der Lage, sein Verhalten entgegen der Einsicht in das Unrecht zu steuern (Tat II.2 der Urteilsgründe).

II.

6
Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe ist das Verfahren einzustellen, da es insoweit an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses fehlt.
7
1. Wegen der Körperverletzungstat erhob die Staatsanwaltschaft mit Anklageschrift vom 24. Juni 2014 Anklage zum Amtsgericht - Strafrichter - Witten. Nachdem der Strafrichter das Verfahren am 10. September 2014 zur Übernahme vorgelegt hatte, übernahm das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten das Verfahren mit Beschluss vom 12. September 2014 und verband es mit dem dort anhängigen Verfahren, welches aufgrund der Anklageschrift vom 29. August 2014 die Tat II.2 der Urteilsgründe zum Gegenstand hatte. Am 12. September und 30. September 2014 ergingen acht weitere Beschlüsse, mit denen das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten jeweils die Übernahme von Verfahren hinsichtlich beim Amtsgericht - Strafrichter - Witten erhobener Anklagen und deren Verbindung zu dem beim Amtsgericht - Schöffengericht - Witten anhängigen Verfahren beschloss. Mit Beschluss vom 27. November 2014 ließ das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 29. August 2014 zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Die weiteren Anklagen, einschließlich der Anklage vom 24. Juni 2014 bezüglich der Tat II.1 der Urteilsgründe, finden in dem Eröffnungsbeschluss vom 27. November 2014 keine Erwähnung. Insoweit sind auch später keine Eröffnungsentscheidungen ergangen.
8
2. Damit fehlt es für die Tat II.1 der Urteilsgründe an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Eröffnungsentscheidung vom 27. November 2014 bezog sich ausdrücklich nur auf die Anklage vom 29. August 2014 und nicht auf die Anklage vom 24. Juni 2014. Ihr kann, bezogen auf die Anklage vom 24. Juni 2014, auch nicht die Bedeutung einer konkludenten Eröffnung des Hauptverfahrens beigemessen werden. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt zwar eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts , die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 1999 - 2 StR 376/99, NStZ 2000, 442, 443 mwN; vom 3. Mai 2001 - 4 StR 59/01, bei Becker, NStZ-RR 2002, 68; vom 5. Februar 1998 - 4 StR 606/97, BGHR StPO § 203 Beschluss 4). Dem Beschluss vom 27. November 2014, der sich nach seinem Wortlaut ausschließlich auf die Anklage vom 29. August 2014 bezieht, ist aber mit der erforderlichen Sicherheit nicht zu entnehmen , dass das Amtsgericht - Schöffengericht - Witten hinsichtlich der Anklage vom 24. Juni 2014 die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen hat. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in der im Zusammenhang mit dem Beschluss vom 27. November 2014 ergangenen Terminsverfügung die Ladung von zwei Zeugen zu dem mit Anklage vom 24. Juni 2014 erhobenen Tatvorwurf angeordnet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 1987 - 3 StR 493/87, BGHR StPO § 203 Beschluss 1).
9
Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2011 - 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225, 226; vom 9. Januar 1987 - 3 StR 601/86, NStZ 1987, 239; vom 15. Mai 1984 - 5 StR 283/84, NStZ 1984, 520; vom 9. Juni 1981 - 4 StR 263/81, DRiZ 1981, 343; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 207 Rn. 12 mwN; Seidl in KMR, § 203 Rn. 11 ff. [Stand Mai 2012]; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 84 ff.).

III.

10
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, weil der von der Strafkammer angenommene symptomatische Zusammenhang zwischen der als Anlasstat verbleibenden Diebstahlstat am 31. August 2013 und der psychotischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig begründet ist.
11
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 - 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).

12
2. Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der psychotischen Erkrankung des Angeklagten und der Diebstahlstat am 31. August 2013 (Tat II.2 der Urteilsgründe) nicht gerecht.
13
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZRR 2014, 305, 306; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Feststellungen dazu, ob und in welcher Weise die paranoid-halluzinatorische Psychose des Angeklagten Auswirkungen auf die Begehung der Diebstahlstat am 31. August 2013 hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Der Umstand, dass der Angeklagte bei der Tat in Rucksack und Hosentasche zwei Messer mit sich führte, lässt Rückschlüsse auf eine Beeinflussung der Tat durch die psychische Erkrankung des Angeklagten nicht zu. Soweit die Urteilsgründe in diesem Kontext auf psychosebedingte Verfolgungsideen des Angeklagten verweisen, entbehrt dies zudem einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Während der psychiatrische Sachverständige für seinen entsprechenden Befund die Bekundungen des sachverständigen Zeugen Dr. G. als Anknüpfungstatsachen herangezogen hat, geben die im Urteil wiedergegebenen Angaben dieses Zeugen in der Hauptverhandlung für ein nachhaltiges Verfolgungserleben des Angeklagten keinen Anhalt.
14
Schließlich vermag auch der zeitliche Zusammenhang mit der Tat am 27. Juli 2013 einen Einfluss der Psychose auf die Diebstahlstat nicht zu belegen. Denn das Landgericht hat auch hinsichtlich der Körperverletzungstat nicht hinreichend dargetan, dass die Tat auf die psychische Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen ist. Die Annahme einer psychotischen Tatmotivation hat die Strafkammer insbesondere darauf gestützt, dass das gewaltsame Vorgehen des Angeklagten, das nicht unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um das Fahrrad gestanden habe, spontan ohne konkreten Anlass oder Auslöser erfolgt sei. Diese Ausführungen lassen sich indes ohne weitere, von der Strafkammer nicht angestellten Erwägungen mit den Feststellungen und dem weiteren Beweisergebnis nicht in Einklang bringen. Danach gab es im Vorfeld der Tat zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten eine Auseinandersetzung um die Rückgabe des entwendeten Fahrrads, die sich über längere Zeit hinzog und noch am Vorabend des Tattags zu einem Telefonanruf des Geschädigten beim Angeklagten führte. Unmittelbar vor dem Angriff mit dem Ast kam es zu einem lautstarken Wortwechsel, bei welchem es nach der Zeugenaussage des Begleiters des Geschädigten in der Hauptverhandlung um ein Fahrrad ging. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht die Möglichkeit, dass der tätliche Angriff des Angeklagten auf den Geschädigten durch den Streit um die Rückgabe des Fahrrads motiviert und damit auf einen normalpsychologisch erklärbaren Beweggrund zurückzuführen war, nicht nachvollziehbar ausgeschlossen.
15
3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13 Rn. 18, insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt

).

Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 619/16
vom
29. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Bedrohung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:290317B4STR619.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. März 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 19. August 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, entgegen einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz im Zeitraum von August 2014 bis Mai 2015 regelmäßig mit der Zeugin V. über Facebook Kontakt aufgenommen (§ 4 GewSchG) und am 15. Januar 2016 anlässlich einer Gerichtsverhandlung einen Begleiter von Frau V. mit dem Tode bedroht zu haben (§ 241 StGB), wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge des Angeklagten gestützte Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
2
1. Das Rechtsmittel ist nicht auf die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Soweit die Re- vision lediglich deren Aufhebung beantragt, ist eine Rechtsmittelbeschränkung unwirksam (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16).
3
2. a) Nach den Feststellungen war dem Angeklagten mit der ihm zugestellten Anordnung des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen-Schwenningen vom 14. August 2014 u.a. gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GewSchG untersagt worden, mit der Zeugin V. in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, auch „über soziale Medien wie z. B. Facebook“. Das Familiengericht ordnete die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an, befristete sie bis zum 14. Mai 2015 und wies den Angeklagten auf die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen die Schutzanordnungen nach § 4 GewSchG hin. In Kenntnis dieser Anordnung nahm der Angeklagte zwischen dem 17. September 2014 und dem 14. Mai 2015 über das Internetportal Facebook Kontakt zu Frau V. auf, indem erihr nahezu täglich Nachrichten – insgesamt mehrere 100 Seiten – zukommen ließ.
4
Am 15. Januar 2016 sagte der Angeklagte im Gebäude des Landgerichts Konstanz während einer Verhandlungspause zu dem Zeugen S. u.a.: „Wennich dich noch einmal mit ihr sehe, mache ich dich weg: Bam Bam …“; dabei machte er mit den Händen Schießbewegungen. S. nahm diese Drohung ernst.
5
b) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es ist – sachverständig beraten – zu dem Er- gebnis gelangt, dass „bei beiden Taten … die Einsichtsfähigkeit des Angeklag- ten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer anhaltenden wahnhaften Störung erheblich eingeschränkt“ gewesen sei. „Es kann nicht aus- geschlossen werden, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Wahnerkrankung bei beiden Taten sogar ganz aufgehoben war.“
6
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, weil sich bereits die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2016, 747).
8
Die vom Landgericht allein sicher festgestellte erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Die Voraussetzungen des § 21 StGB sind in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann zu bejahen, wenn die Einsicht gefehlt hat und dies dem Täter vorzuwerfen ist. Fehlt dem Täter aus einem in § 20 StGB genannten Grund die Einsicht, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, ist auch bei verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725, vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 377/14, vom 30. September 2014 – 3 StR 261/14, vom 17. April 2014 – 2 StR 405/12, NJW 2014, 2738, vom 26. November 2013 – 3 StR 387/13 – und vom 2. August 2012 – 3 StR 259/12, NStZ-RR 2013, 71 [Ls] mwN).
9
b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 27. Februar 2017 kann der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die vom Landgericht ausdrücklich allein festgestellte erhebliche Einschränkung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten das Fehlen der Einsicht in das Unrecht seines Tuns bei den ihm zur Last gelegten Anlasstaten zur Folge gehabt hätte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 437/09); hierzu verhält sich das Urteil an keiner Stelle.
10
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16, vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75, und vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
11
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
12
Sollte die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf der Grundlage des § 63 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vor- schriften vom 8. Juli 2016 erneut in Betracht gezogen werden, wird hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen sein, dass Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne weiteres dem Bereich der erheblichen Straftaten zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, 32). Mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartende Nachstellungen gemäß § 238 Abs. 1 StGB können indes je nach Lage des Einzelfalls hierfür ausreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 572 f. mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 3 StR 113/14). Für die Frage , ob zu erwartende Drohungen gegen Personen aus dem Umfeld der Zeugin V. dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen sind, verweist der Senat auf sein Urteil vom 22. Dezember 2016 – 4 StR 359/16.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 96/07
vom
16. Mai 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2007 beschlossen:
Der Antrag der Nebenklägerin E. G. vom 27. Dezember 2006, die Nebenklage auch für das Revisionsverfahren zuzulassen und ihr Rechtsanwalt P. aus K. beizuordnen , ist gegenstandslos.

Gründe:

1
Einer Entscheidung über den Antrag der Nebenklägerin, die Nebenklage auch für das Revisionsverfahren zuzulassen und ihr Rechtsanwalt P. als Nebenklägervertreter beizuordnen, bedarf es nicht. Die durch Beschluss des Landgerichts vom 28. Juni 2006 erfolgte Zulassung der Nebenklage wirkt ebenso wie die durch Beschluss des Landgerichts vom 23. August 2006 erfolgte Beiordnung von Rechtsanwalt P. nach § 397 a Abs. 1 StPO über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fort und erstreckt sich somit auch auf die Revisionsinstanz. Bode Otten Boetticher Rothfuß Roggenbuck

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 81/12
vom
25. April 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschuldigten am 25. April 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 30. November 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen die Beschuldigte im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ihre hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen die wegen Dieb2 stahls, Betrugs und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vorbestrafte, an einer paranoid-halluzinatorischen schizophrenen Psychose leidende Beschuldigte sind vorsätzliche Körperverletzungen zum Nachteil von Krankenpflegerinnen im Januar und im April 2011 während einer auf der Grundlage von Betreuungsrecht angeordneten Unterbringung auf einer geschlossenen Station der LWL-Klinik in P. .
3
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit der Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach angesichts des chronisch-kontinuierlichen Verlaufs der Erkrankung und des eingetretenen Residuums die Gefahr bestehe, dass die Beschuldigte in Zukunft weitere gleichartige strafrechtlich relevante Handlungen begehen werde.
4
2. Die bisherigen Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
5
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 – 1 StR 153/08 und vom 10. August 2010 – 3 StR 268/10). Dies trifft auf die Anlasstaten zu, die für sich betrachtet gewichtige Straftaten sind. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Pflegepersonal nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 – 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405; Beschlüsse vom 6. November 2003 – 4 StR 456/03, StV 2005, 21; vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169, Rn. 9 und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, Rn. 13; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – 2 BvR 2181/11, NJW 2012, 513, Rn. 27). Soweit die Strafkammer in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass es sich bei den geschädigten Zeuginnen gerade nicht um im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenes besonders geschultes Personal , sondern um einfache Krankenpflegerinnen gehandelt habe, rechtfertigt dies keine Gleichsetzung der Taten mit solchen außerhalb der Einrichtung. Es kann von einer psychisch schwer erkrankten Person nicht erwartet werden, das Krankenpflegepersonal nach entsprechend geschulten und ungeschulten Personen zu unterscheiden.
6
b) Auf dieser Grundlage vermag allein die Gefahr, dass die Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Die Beschuldigte ist vor den Anlasstaten nicht mit Gewalt- oder Aggressionsdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten, obwohl die Erkrankung spätestens seit 2002 besteht. Unbegleitete Ausgänge hat sie zum Konsum von Drogen und hochprozentigen Alkoholika, aber offenbar nicht zu Gewalttaten genutzt. Aggressive Verhaltensweisen sind erst nach der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung im Jahr 2009 aufgetreten , was einen Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und der Unterbringung möglich erscheinen lässt. Bei dieser Sachlage durfte sich die Strafkammer nicht darauf beschränken, die Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher Taten allein aus der aktuellen Beurteilung des Krankheitszustandes durch den Sachverständigen herzuleiten. Vielmehr hätte das Verhalten der Beschuldigten vor und nach der Tat, insbesondere die im Urteil erwähnten weiteren aggressiven Auffälligkeiten (UA 4 und 7), eingehender dargestellt und erörtert werden müssen. Auch hätte die in der Hauptverhandlung erklärte Absicht der Beschuldigten , im Falle verfügbarer Waffen auf diese zurückgreifen zu wollen, näher hinterfragt werden müssen. Sind aufgrund der krankheitsbedingten wahnhaften Realitätsverkennung auch Angriffe auf unbeteiligte Personen oder ist eine Stei- gerung der Intensität und Gefährlichkeit der Angriffe auf das Pflegepersonal mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten, könnte dies die Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 275/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 30. Juli 2013 gemäß § 206a StPO
und § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 15. März 2013 wird 1. das Verfahren im Fall II. 5 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last; 2. das vorbezeichnete Urteil im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen, ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen richtet sich ihre auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision. Das Verfahren ist hinsichtlich einer Tat einzustellen , weil es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt. Das Rechtsmittel hat auch im Übrigen Erfolg. Die Unterbringungsentscheidung ist nicht tragfähig begründet.

I.


2
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet die Angeklagte an einer schizoaffektiven Psychose gemäß ICD 10, F 25.0. Im Jahr 2006 wurde sie erstmalig im Pfalzklinikum für Psychiatrie in Klingenmünster stationär aufgenommen. Danach kam es zu weiteren Aufenthalten u.a. wegen Ängsten vor ihrem Vater und Verfolgungsideen.
3
Am 24. Januar 2011 bezeichnete die Angeklagte die Zeugin H. anlässlich eines Gerichtstermins im Sorgerechtsverfahren über ihre Kinder als „Schlampe“ und versetzteihr eine Ohrfeige (Fall II. 10 der Urteilsgründe). Am 12. März 2011 entwendete sie in einem Drogeriemarkt einen Duftanhänger. Als sie deshalb von der Zeugin W. ins Büro gebeten wurde, bezeichnete sie diese als „blöde Fotze“ und entfernte sich. Kurze Zeitdarauf kehrte sie zurück und beleidigte die Zeugin W. erneut. Als sie die Filialleiterin daraufhin aus dem Geschäft verwies, schlug ihr die Angeklagte zweimal in das Gesicht und zerrte ihr an den Haaren. Dem eingreifenden Zeugen A. zerriss sie das Polo-Shirt, kratzte ihn und beschimpfte ihn als „Kanaken“ (Fall II. 11 der Urteilsgründe). Am 29. Juli 2011 trat die Angeklagte ihrer Schwester im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung auf den Fuß. Als sie von ihrer Schwester „in den Schwitzkasten“ genommen wurde, biss sie ihr in den linken Oberarm und in die linke Brust. Von dem Biss in die Brust konnte die Geschädigte nur mit Hilfe von Familienmitgliedern gelöst werden. Im weiteren Verlauf warf die Angeklagte ihrer Schwester einen Schlüssel in den Rücken und riss von hinten mit aller Kraft an ihrem Pullover. Infolgedessen konnte die Geschä- digte zwar noch atmen, aber nicht mehr richtig sprechen (Fall II. 1 der Urteilsgründe ). Im Verlauf des 13. November 2011 und am 18. November 2011 schickte die Angeklagte der Zeugin T. vier beleidigende Kurznachrichten (Fälle II. 2 bis 5 der Urteilsgründe) und zerkratzte am 25. November 2011 die Motorhaube des Pkw des Zeugen F. , wodurch ein Schaden in Höhe von ca. 500 Euro entstand (Fall II. 6 der Urteilsgründe). Am Nachmittag des 26. November 2011 bezeichnete die Angeklagte die jugendlichen Zeitungsausträger D. und A. K. , die auf der Straße mit ihren Fahrrädern un- terwegs waren, als „Juden“ und „Schwarzarbeiter“ und warf ihnen vor, zu „stinken“ und Menschen zu „killen“. Anschließend fuhr sie mit ihrem Pkw hinter den mit ihren Fahrrädern wegfahrenden Zeugen her. Als D. K. deshalb aus Angst in eine Seitenstraße abbog, folgte ihm die Angeklagte nach. Nachdem D. K. hinter einem Stromkasten Schutz gesucht hatte, fuhr die Angeklagte in einem Abstand von nur etwa 30 cm an ihm vorbei. D. K. kehrte daraufhin sogleich zu seinem Bruder A. zurück und warnte ihn vor der Angeklagten. Als beide mit ihren Fahrrädern nebeneinander auf der Straße und dem angrenzenden Gehweg fuhren, fuhr die Angeklagte mit ihrem Pkw zielgerichtet auf den Zeugen A. K. auf, der dadurch von seinem Fahrrad stürzte. A. K. spürte sofort Schmerzen am Rücken und hatte Schwierigkeiten beim Atmen. An seinem Fahrrad entstand ein Schaden in Höhe von ca. 100 Euro. Die Angeklagte beschleunigte ihr Fahrzeug und entfernte sich ohne anzuhalten (Fälle II. 7 bis 9 der Urteilsgründe).
4
Das Landgericht hat die Taten der Angeklagten ohne nähere Zuordnung als Beleidigung in neun Fällen, Sachbeschädigung in zwei Fällen, Diebstahl, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und Körperverletzung in sechs Fällen gewertet , wobei es sich in einem Fall um eine gefährliche Körperverletzung ge- mäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und in einem Fall um eine versuchte gefährliche Körperverletzung gehandelt haben soll (UA S. 15). Bei den Taten am 12. März 2011 (Fall II. 11 der Urteilsgründe), 29. Juli 2011 (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und 26. November 2011 (Fälle II. 7 bis 9 der Urteilsgründe) sei die Schuldfähigkeit der Angeklagten infolge der bestehenden schizoaffektiven Psychose sicher aufgehoben gewesen. Bezüglich der weiteren Taten könne dies nicht ausgeschlossen werden (UA S. 16 f.). Die Angeklagte sei deshalb von allen Vorwürfen freizusprechen. Ihre Unterbringung nach § 63 StGB habe angeordnet werden müssen, weil von ihr in Folge ihres Krankheitsbildes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Dabei könne es insbesondere auch zu erneuten Tätlichkeiten wie zum Nachteil der ZeugenK. kommen. Die Angeklagte sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (UA S. 17).

II.


5
Im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen , weil es insoweit an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen schriftlichen (§ 158 Abs. 2 StPO) Strafantrag der von der beleidigenden Äußerung betroffenen Zeugin T. fehlt. Bei den Akten befindet sich lediglich ein Strafantrag dieser Zeugin vom 14. November 2011 (Fallakte III. Bl. 6), der sich nur auf die Vorfälle unter II. 2 bis 4 der Urteilsgründe bezieht.

III.


6
Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Die zu den Anlasstaten und dem psychischen Zustand der Angeklagten getroffenen Feststellungen und Wertungen sind lückenhaft und unklar.
8
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der den Anlass für die Unterbringung bildenden rechtswidrigen Taten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen.
9
aa) Soweit das Landgericht im Anschluss an die Sachverständige davon ausgeht, dass die Angeklagte an einer schizoaffektiven Psychose gemäß ICD 10, F 25.0 erkrankt ist, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs - und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 Rn. 8, NStZ 2013, 424 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10 Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen zu dem bei der Angeklagten seit dem Jahr 2006 bestehenden Krankheitserleben (UA S. 16). Zu den konkreten Auswirkungen der Erkrankung verhält sich das Urteil nicht, sodass weder die Diagnose noch der symptomatische Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Angeklagten und ihren Taten nachvollzogen werden kann.
10
bb) Eine Schuldunfähigkeit der Angeklagten wird nur hinsichtlich der Taten vom 29. Juli 2011 (Fall II. 1 der Urteilsgründe), 12. März 2011 (Fall II. 11 der Urteilsgründe) und 26. November 2011 (Fälle II. 7 und 8 der Urteilsgründe) zweifelsfrei festgestellt (UA S. 16). Hinsichtlich der übrigen Taten vermochte das Landgericht lediglich nicht auszuschließen, dass die Angeklagte im Zeitpunkt der Tatbegehung schuldunfähig war (UA S. 17). Da es für diese Taten daneben an einer eindeutigen Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB fehlt, konnten sie nicht als Anlasstaten herangezogen werden.
11
b) Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagte habe alsAnlasstaten unter anderem eine vollendete und eine versuchte gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen (UA S. 15), findet im Urteil keine Grundlage. Da das Landgericht auf eine Darlegung der rechtlichen Subsumtion verzichtet hat, bleibt unklar, welche der geschilderten Vorfälle diese Bewertung tragen sollen.
12
Das Auffahren mit dem Pkw auf das Fahrrad des ZeugenA. K. und dessen anschließender – zu Rückenschmerzen und Atemnot führender – Sturz (Fall II. 8 der Urteilsgründe) können die Annahme einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht rechtfertigen. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12 Rn. 10, StV 2013, 438 f.; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11 Tz. 5). Wird – wie hier – eine Person durch ein gezieltes Anfah- ren mit einem Kraftfahrzeug zu Fall gebracht, setzt die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraus, dass bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen, die nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen sind, können für sich allein die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12 Rn. 10 aaO; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11 Tz. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405).
13
Die Feststellungen zu dem Wurf mit dem Schlüssel (Fall II. 1 der Urteilsgründe ) lassen eine Bewertung als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht zu, weil schon nicht zu ersehen ist, ob hierdurch überhaupt eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen wurde.
14
Auch das Vorliegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) wird nicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Soweit die Angeklagte an dem hinter einem Stromkasten Schutz suchenden Zeugen D. K. mit ihrem Pkw in einem Abstand von 30 cm vorbeigefahren ist (Fall II. 8 der Urteilsgründe), bleibt offen, welches Ziel sie dabei verfolgte. Der für die Annahme einer Versuchsstrafbarkeit erforderliche Tatentschluss ist damit nicht dargetan.
15
2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
17
b) Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie der Angeklagten und ihre Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Vor dem Hintergrund der eher dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnenden verfahrensgegenständlichen Taten, wäre es insbesondere erforderlich gewesen , die früheren Straftaten der Angeklagten, die im Jahr 2007 wegen gefährlicher Körperverletzung, im Jahr 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung und versuchtem Diebstahl und im Jahr 2010 wegen Diebstahl, Betrug, Körperverletzung und Beleidigung jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt werden musste, näher zu erörtern und darzulegen, welche Schlüsse aus diesen Taten für das bei der Angeklagten bestehende individuelle Delinquenzrisiko zu ziehen sind (vgl. Boetticher/Kröber/ Müller-Isberner/Böhm/Müller-Metz/Wolf, NStZ 2006, 537, 543). Dies gilt umso mehr, als die 2010 abgeurteilten Taten „jeweils im Zustand verminderter Schuldfähigkeit“ (UA S. 5) begangen wurden und sich deshalb ein Bezug zur Krankheitsgeschichte der Angeklagten aufdrängt. Schließlich hätte auch erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass die Angeklagte im Oktober 2012 freiwillig das Pfalzklinikum zur Behandlung aufsuchte, nachdem sie im Sommer 2012 wieder verstärkt unter Verfolgungsideen litt (UA S. 3).
18
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, NStZ-RR 2011, 320; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09 Rn. 9).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 7 1 / 1 4
vom
5. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. August 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 12. Februar 2014, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen besonders schweren Raubes wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der Angeklagte im Einvernehmen mit zwei Mittätern am 22. Oktober 2013 den Nebenkläger, hielt ihm ein Messer an die Kehle und ermöglichte so den Mittätern, das Opfer zu durchsuchen und Mobiltelefone und Geldbeutel wegzunehmen.
3
Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung "wegen aufgehobener Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit" schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war. Von der erheblichen Verminderung der "Steuerungsfähigkeit und auch Einsichtsfähigkeit" war die Strafkammer überzeugt.
4
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war.
6
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, kann die Überzeugung von der verminderten Schuldfähigkeit als Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus regelmäßig nicht auf die erheblich verminderte "Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" gestützt werden.
7
Bei erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit muss der Tatrichter sich zunächst Klarheit darüber verschaffen, ob die verminderte Einsichtsfähigkeit tatsächlich dazu geführt hat, dass dem Täter die Einsicht in das Unrecht seines Tuns gefehlt hat oder nicht. Hat ihm die Einsicht gefehlt, so ist weiter zu prüfen, ob ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist ihm das Fehlen nicht vorwerfbar , so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar. Nur wenn dem Täter die Einsicht gefehlt hat, dies ihm aber zum Vorwurf gemacht werden kann, lägen die Voraussetzungen des § 21 StGB in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit vor. Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB im Hinblick auf die verminderte Einsichtsfähigkeit nicht anwendbar.
8
Auf die diesbezügliche Klärung kann hier nicht verzichtet werden, da es für die Annahme eines Krankheitsbildes, bei dem sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit betroffen sein können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168), an Feststellungen fehlt.
9
3. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann. Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 8 mwN).
10
4. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
VRiBGH Becker ist wegen Pfister Schäfer Urlaubs gehindert, seine Unterschrift beizufügen. Pfister Mayer Spaniol

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.