Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12

bei uns veröffentlicht am29.05.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 95/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
alias:
2.
alias:
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 29. Mai 2012 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 16. November 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen zahlreicher Diebstahls- und Geldwäschedelikte sowie den Angeklagten S. wegen zahlreicher Diebstahls-, Hehlerei- und Urkundsdelikte, bei beiden Angeklagten jeweils in Tateinheit mit "Bildung krimineller Vereinigungen" (zutreffend: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung), schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten K. eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten sowie gegen den Angeklagten S. eine solche von fünf Jahren und neun Monaten verhängt. Außerdem hat es Verfalls- und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die gegen die Verurteilung gerichteten, jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten sind begründet.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts entstand in der ehemaligen Sowjetunion eine kriminelle Subkultur, die nach ihrer eigenen Ideologie, den sogenannten "Diebesregeln", lebt. Dieses System dehnte sich nach Westen aus und etablierte sich teilweise auch in Deutschland. Die Verbandsstruktur ist regional organisiert und überregional koordiniert. An oberster Stufe steht jeweils ein "Dieb im Gesetz", der diese Stellung mittels "Krönung" durch alle "Diebe im Gesetz" in Moskau erhält. Diesem werden ein bestimmtes Gebiet und/oder ein Betätigungs- bzw. Deliktsfeld und/oder eine nach ethnischen oder nationalen Merkmalen bestimmte Tätergruppe zugewiesen. Organisatorische Aufgaben übernehmen als seine unmittelbaren Vertrauenspersonen "Nahestehende", unter denen "Statthalter" oder "Kassenhalter" stehen, welche die untergeordneten Mitglieder zu leiten und Beiträge zur Gemeinschaftskasse einzusammeln und abzuführen haben. Die Willensbildung unterliegt verbindlichen, in der Organisation anerkannten Regeln. Die Verhaltensregeln gebieten den Mitgliedern eine Abschottung nach außen sowie Solidarität nach innen und untersagen jegliche Kooperation mit staatlichen Behörden. Verstöße werden abgestuft sanktioniert. Im Konfliktfall werden höhere Autoritätsstufen angerufen; deren "Schiedssprüche" erkennen die Mitglieder als bindend an und machen sie zur Maxime ihres Handelns. Verbindlich festgelegte Zielsetzung der Organisation ist, bestimmte Straftaten zu begehen und einen Teil der hieraus gewonnenen Erlöse in die Gemeinschaftskasse ("Abschtschjak") zu zahlen. Diese dient der Bereicherung der höherrangigen Mitglieder sowie allgemein der Unterstützung der Mitglieder in besonderen Situationen, etwa im Falle einer Inhaftierung.
3
Spätestens im Juni 2005 begründeten die "Diebe im Gesetz" Ka. und L. Sh. eine nach den dargelegten Regeln agierende Gruppierung aus georgischstämmigen Mitgliedern, die Diebstähle organisierte und die Beute an Hehler weiterverkaufte. Die Organisation existierte in Deutsch- land, Italien, Frankreich, Spanien, Österreich und der Schweiz, wobei der Schwerpunkt der Organisationsstrukturen sowie des Tätigkeitsfeldes in den fünf erstgenannten Ländern lag. Auf der untersten Ebene standen die tatausführenden Diebe, die ihren Unterhalt aus organisierten, von mehreren Mitgliedern durchgeführten gemeinsamen Ladendiebstählen bestritten. Diebesbeute waren hochwertige Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie etwa Zigaretten, Drogerieartikel , Designerkleidung und elektronische Geräte. Die erbeuteten Gegenstände wurden organisiert und gemeinschaftlich an Hehler abgegeben. Die Mitglieder hatten in der Regel monatlich 50 Euro in den "Abschtschjak" zu zahlen. Die Vereinigung, die "Diebesregeln" und der "Abschtschjak" waren oberste Maximen des Handelns des Einzelnen. In verschiedenen deutschen Städten waren regionale Kassenhalter eingesetzt. Darüber gab es zunächst drei regionale Hauptkassen, später wurden sämtlich deutschen Kassen von dem "Deutschlandchef" M. vereinigt. Die an die Gemeinschaftskasse abgeführten Gelder und die darüber geführten Einzahlungslisten wurden letztlich zu Ka. Sh. nach Spanien gebracht. Die Vereinigung in Deutschland war grundsätzlich autonom, bei Konflikten oder bei groben Regelverstößen griffen allerdings die Brüder Sh. ein.
4
Der Angeklagte K. war seit Juni 2008 Statt- und Kassenhalter der Organisation in Berlin. Der Angeklagte S. war ab August 2008 Mitglied der Vereinigung; ab Januar 2010 unterstützte er den Angeklagten K. als dessen enger Vertrauter.

I.

5
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht die Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) verurteilt hat. Die Feststellungen belegen zwar, dass sich die Angeklagten als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligten, nicht aber - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften zutreffend hingewiesen hat -, dass es sich bei der Vereinigung um eine solche im Inland nach § 129 Abs. 1 StGB handelte.
6
Bezüglich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Ausführungen in seinen Beschlüssen vom 13. September 2011 (3 StR 231/11 - NJW 2012, 325, 326 ff.; 3 StR 262/11) Bezug, welche ebenfalls die Organisation "Diebe im Gesetz" betreffen und denen zu dieser Gruppierung Feststellung desselben Tatgerichts zugrunde liegen, die den im vorliegenden Verfahren getroffenen weitgehend entsprechen.

II.


7
1. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils; diese hat sich auf die in Tateinheit mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung der Angeklagten an einer kriminellen Vereinigung stehenden weiteren Delikte zu erstrecken (st. Rspr.; vgl. BGH aaO, NJW 2012, 325, 328 mwN).
8
2. Die Änderung des Schuldspruchs durch den Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Angeklagten der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Ausland bzw.
wahlweise der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Inland oder im Ausland (vgl. BGH aaO, NJW 2012, 325, 328 f.), dies jeweils in Tateinheit mit den weiteren abgeurteilten Delikten schuldig sind, scheidet aus. Zwar hat das Bundesministerium der Justiz mittlerweile die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB möglicherweise zur Verfolgung des Vereinigungsdelikts erforderliche Ermächtigung erteilt. Der jeweiligen Umstellung des Schuldspruchs steht jedoch § 265 StPO entgegen (vgl. hierzu schon BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, NJW 2011, 542, 546). Der Anklagevorwurf betraf die Mitgliedschaft in einer inländischen Vereinigung. Die Urteilsgründe lassen den Schluss zu, dass das Landgericht - trotz Feststellungen, die einen Auslandsbezug der Organisation nahelegen - eine mögliche Verurteilung nach § 129b StGB ebenfalls nicht in den Blick genommen hat. Vor diesem Hintergrund hatten die Angeklagten ohne einen diesbezüglichen Hinweis keine ausreichende Möglichkeit, sich gegen den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Ausland angemessen zu verteidigen. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung.
Becker Pfister Hubert Schäfer Menges

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung


(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausg
Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12 zitiert 6 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafgesetzbuch - StGB | § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung


(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausg

Strafgesetzbuch - StGB | § 129 Bildung krimineller Vereinigungen


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstm

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2011 - 3 StR 262/11

bei uns veröffentlicht am 13.09.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 262/11 vom 13. September 2011 in der Strafsache gegen wegen schweren Bandendiebstahls u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers 13. Septembe

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2011 - 3 StR 231/11

bei uns veröffentlicht am 13.09.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 231/11 vom 13. September 2011 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ StGB §§ 129, 129b Zur Einordnung einer kriminellen Vereinigung als in- oder ausländi

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Okt. 2010 - 3 StR 179/10

bei uns veröffentlicht am 28.10.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 179/10 vom 28. Oktober 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StGB § 129, § 129a, § 129b 1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur da
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Mai 2012 - 3 StR 95/12.

BGH 3 StR 17/15

bei uns veröffentlicht am 28.06.2016

Tenor Die Anhörungsrüge des Verurteilten gegen den Senatsbeschluss vom 26. November 2015 wird verworfen. Der Verurt

Referenzen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.

(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,

1.
wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2.
wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.

(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.

(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.

(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter

1.
sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;
erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 231/11
vom
13. September 2011
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zur Einordnung einer kriminellen Vereinigung als in- oder ausländische bzw. als
solche innerhalb oder außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11 - LG München I
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. September 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 5. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in zwei Fällen und Geldwäsche in neun Fällen, jeweils in Tateinheit mit "Bildung krimineller Vereinigungen" (zutreffend: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts entstand in der ehemaligen Sowjetunion eine kriminelle Subkultur, die nach ihrer eigenen Ideologie, den sogenannten "Diebesregeln", lebt. Dieses System dehnte sich nach Westen aus und etablierte sich teilweise auch in Deutschland. Die Verbandsstruktur ist regional organisiert und überregional koordiniert. An oberster Stufe steht jeweils ein "Dieb im Gesetz", der diese Stellung mittels "Krönung" durch alle "Diebe im Gesetz" in Moskau erhält. Diesem wird ein bestimmtes Gebiet zugewiesen, in dem sich kein anderer "Dieb im Gesetz" ansiedeln darf. Organisatorische Aufgaben übernehmen als seine unmittelbaren Vertrauenspersonen "Nahestehende" , unter denen "Statthalter" oder "Kassenhalter" stehen, welche die untergeordneten Mitglieder zu leiten und Beiträge zur Gemeinschaftskasse einzusammeln und abzuführen haben. Die Willensbildung unterliegt verbindlichen, in der Organisation anerkannten Regeln. Die Verhaltensregeln gebieten den Mitgliedern eine Abschottung nach außen sowie Solidarität nach innen und untersagen jegliche Kooperation mit staatlichen Behörden. Verstöße werden abgestuft sanktioniert. Im Konfliktfall werden höhere Autoritätsstufen angerufen; deren "Schiedssprüche" erkennen die Mitglieder als bindend an und machen sie zur Maxime ihres Handelns. Verbindlich festgelegte Zielsetzung der Organisation ist, bestimmte Straftaten zu begehen und einen Teil der hieraus gewonnenen Erlöse in die Gemeinschaftskasse ("Abschtschjak") zu zahlen. Diese dient der Bereicherung der höherrangigen Mitglieder sowie allgemein der Unterstützung der Mitglieder in besonderen Situationen, etwa im Falle einer Inhaftierung.
3
Spätestens im Juni 2005 begründeten die "Diebe im Gesetz" K. und L. S. eine nach den dargelegten Regeln agierende, europaweit tätige Gruppierung aus georgischstämmigen Mitgliedern, die Diebstähle organisierte und die Beute an Hehler weiterverkaufte. Auf der untersten Ebene standen die tatausführenden Diebe, die ihren Unterhalt aus organisierten, von mehreren Mitgliedern durchgeführten gemeinsamen Ladendiebstählen bestritten. Diebesbeute waren hochwertige Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie etwa Zigaretten, Drogerieartikel, Designerkleidung und elektronische Geräte. Die Mitglieder hatten in der Regel monatlich 50 € in den "Abschtschjak" zu zahlen. Die Vereinigung, die "Diebesregeln" und der "Abschtschjak" waren oberste Maximen des Handelns des Einzelnen. In verschiedenen deutschen Städten waren regionale Kassenhalter eingesetzt. Die an die Gemeinschaftskasse abgeführten Gelder und die darüber geführten Einzahlungslisten wurden letztlich zu K. S. nach Spanien gebracht. Die Vereinigung in Deutschland war grundsätzlich autonom, bei Konflikten oder bei groben Regelverstößen griffen allerdings die Brüder S. ein.
4
Der Angeklagte war zumindest seit Mitte 2009 bis zu seiner Festnahme am 15. März 2010 innerhalb der Organisation Statthalter für D. . Er hatte Kontakt zur Führungsebene und konnte K. S. bei Bedarf telefonisch erreichen. Spätestens ab September 2009 schloss er sich mit weiteren Mitgliedern zusammen, um Diebesgut von Mitgliedern aus M. bei Hehlern in D. gewinnbringend abzusetzen. So organisierte er im September /Oktober 2009 sowie im Dezember 2009 jeweils den Transport von Diebesgut von M. nach D. und den Verkauf an einen dortigen Hehler. Überdies transferierte er zwischen dem 18. August 2009 und dem 20. Februar 2010 in neun Fällen Einnahmen in Höhe von insgesamt 1.700 €, die andere Mitglieder der Organisation durch Diebstähle oder den Verkauf von Diebesgut erzielt hatten, in Kenntnis ihrer Herkunft nach Georgien.

I.

5
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) und wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in zwei Fällen (§ 260a Abs. 1 StGB) verurteilt hat. Die Feststellungen belegen zwar, dass sich der Angeklagte als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligte, nicht aber - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat -, dass es sich bei der Vereinigung um eine solche im Inland nach § 129 Abs. 1 StGB handelte. Auch fehlen tragfähige Feststellungen für ein gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten im Sinne des § 260a Abs. 1 StGB. Im Einzelnen:
6
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB als erfüllt angesehen; denn nach den Feststellungen ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen gegeben, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteile vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, NJW 2011, 542, 544 mwN; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221). Näherer Erörterung bedürfen allein die folgenden Gesichtspunkte:
7
a) Die erforderliche Unterordnung der Mitglieder unter den Gesamtwillen der Vereinigung liegt nach den Feststellungen vor:
8
aa) Insoweit ist für eine Vereinigung wesentlich die subjektive Einbindung der Beteiligten in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen; denn nur ein derartiger Gruppenwille schafft die spezifischen Gefahren einer für die Vereinigung typischen, vom Willen des Einzelnen losgelösten Eigendynamik zur Begehung von Straftaten. Innerhalb der Vereinigung müssen deshalb bestimmte, von ihren Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen bestehen ; dieser organisierten Willensbildung müssen sich die Mitglieder als für alle verbindlich unterwerfen. Die Art und Weise der Willensbildung ist allerdings gleichgültig; die für alle Mitglieder verbindlichen Regeln können etwa dem De- mokratieprinzip entsprechen oder auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 ff. mwN).
9
bb) Diese Voraussetzungen sind in den Urteilsgründen dargetan. Die Mitglieder der Gruppierung verband nicht allein der Wille, gemeinsam Straftaten zu begehen; sie unterwarfen sich auch nicht lediglich je für sich der autoritären Führung der Brüder S. . Vielmehr bestanden verbindliche Regeln , nach denen die Mitglieder der Organisation ihr Handeln ausrichteten, und solche, die der Konfliktbewältigung innerhalb der Organisation dienten. Diese Regeln wurden von den Mitgliedern übereinstimmend anerkannt; diese stellten insoweit ihre Einzelmeinungen zurück und ordneten sich dem entsprechenden Gruppenwillen unter.
10
cc) Es ist deshalb nicht entscheidungserheblich, ob im vorliegenden Fall eine tatsächliche Konstellation gegeben ist, bei der nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 228 ff.) geringere Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen bezüglich des voluntativen Elements der Vereinigung zu stellen sind. Mit Blick auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts merkt der Senat dazu allerdings an:
11
Die Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen zum Willenselement sind dann geringer, wenn die Mitglieder der Organisation eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Begehung von Straftaten hinausreichende Zielsetzung verfolgen und die für Vereinigungen typische Eigendynamik vor allem dadurch in Gang gesetzt wird, dass die Beteiligten sich in der Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Ziels verbunden fühlen, wie dies typischerweise bei politisch, ideologisch, religiös oder weltanschaulich motivier- ter Kriminalität der Fall ist (BGH aaO). Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt. Die Organisation war hier im Kern allein auf die Begehung von Eigentums- und Vermögensdelikten sowie die dadurch ermöglichte Finanzierung einer Gemeinschaftskasse gerichtet, die wiederum der Bereicherung der Führungsebene und der materiellen Unterstützung der Mitglieder in bestimmten Situationen diente; die Vereinigung war somit durch wirtschaftliche , nicht aber durch politisch-ideologische Zielsetzungen der Beteiligten geprägt. Der Umstand, dass sich die Vereinigungsmitglieder nach außen abgrenzten und die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ablehnten, ist für kriminelle Organisationen jeglicher Art nicht ungewöhnlich. Ihm kommt deshalb im hier relevanten Zusammenhang keine erhebliche Bedeutung zu. Dieser Gesichtspunkt reicht insbesondere nicht aus, um darin bereits eine eigene, über den auf Straftaten ausgerichteten Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausgehende Ideologie in dem dargelegten Sinne zu sehen.
12
b) Die Organisation war darauf ausgerichtet, Straftaten, vor allem Eigentums - und Vermögensdelikte, zu begehen, mit denen - obwohl die einzelnen festgestellten Taten isoliert betrachtet überwiegend eher dem unteren Bereich der Kriminalität zuzurechnen sind - eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbunden war (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51; Beschluss vom 4. August 1995 - StB 31/95, NJW 1995, 2117, 2118). Für diese Beurteilung ist nicht lediglich auf die einzelne Straftat oder die jeweilige Strafandrohung abzustellen; vielmehr ist eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände vorzunehmen, die für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können. Hierzu gehören insbesondere auch die Auswirkungen der Straftaten (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51). Ins Gewicht fällt deshalb neben der Höhe der Erlö- se, die etwa allein der Angeklagte mit seinen Straftaten im September/Oktober und im Dezember 2009 erzielte, insbesondere die organisierte, planmäßige und überregionale Vorgehensweise der Vereinigungsmitglieder. Diese Umstände belegen ohne Weiteres eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
13
c) Da nach den Feststellungen die Brüder S. als "Diebe im Gesetz" in der Organisation an oberster Stufe standen und der Wille der Organisation demzufolge unabhängig von den übrigen "Dieben im Gesetz" gebildet wurde, stellte die ihnen untergeordnete Gruppierung eine eigenständige Vereinigung dar. Es bedarf daher keiner näheren Betrachtung, wie die Versammlung der verschiedenen "Diebe im Gesetz" zu bewerten ist und ob diese etwa als eine übergeordnete Dach-Vereinigung anzusehen sein könnte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01 u.a., BGHSt 46, 349, 354; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 23).
14
2. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich jedoch nicht, dass es sich bei der von den Brüdern S. geführten Organisation um eine Vereinigung im Inland nach § 129 Abs. 1 StGB handelte.
15
a) Die Kriterien, an denen die Einordnung einer Organisation als in- oder ausländische Vereinigung - im letzten Fall zudem als Vereinigung innerhalb oder außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - auszurichten ist, sind gesetzlich nicht bestimmt und in der Gesetzesbegründung bei Einführung des § 129b StGB nicht näher erörtert worden (vgl. etwa BT-Drucks. 14/7025 S. 1, 6). In der Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 6) und dem Schrifttum (vgl. etwa Stein, GA 2005, 433, 443; Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 523; Nehring, Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, 2007, S. 177 ff.; LK/Krauß, aaO § 129 Rn. 36 ff.) sind sie verschiedentlich angedeutet bzw. erörtert worden, indessen noch nicht abschließend geklärt. Hierzu gilt:
16
Vereinigungen, die den §§ 129 ff. StGB unterfallen, können in einer kaum überschaubaren Vielzahl von tatsächlichen Organisationsformen auftreten. So werden etwa Gruppierungen mit wirtschaftlichen Zielsetzungen ebenso erfasst wie solche, die politische, ideologische oder religiöse Zwecke verfolgen. Bezüglich der Größe der Vereinigung ist lediglich die Mindestzahl von drei Mitgliedern bestimmt, es kommen deshalb sowohl Vereinigungen mit relativ wenigen als auch solche mit außerordentlich zahlreichen Mitgliedern in Betracht. Weder die Organisationsform noch die Art der Willensbildung ist im Einzelnen festgelegt. Nicht zuletzt sind die Gruppierungen etwa im Bereich der Organisierten Kriminalität, aber auch des Terrorismus zunehmend länderübergreifend organisiert; ihre Aktionsfelder betreffen häufig die Gebiete mehrerer Staaten. Vor diesem Hintergrund erscheint eine abstrakte Umschreibung der maßgeblichen Gesichtspunkte, die für die Einordnung derartiger Vereinigungen als inoder ausländisch - und im letztgenannten Fall als solche innerhalb oder außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - den Anspruch der Verbindlichkeit für alle denkbaren Einzelfälle erheben könnte, weder möglich noch sachgerecht. Mit Blick auf die Unterschiedlichkeit und Komplexität der in Betracht zu ziehenden Fallgestaltungen liegt es näher, die geographische Zuordnung einer Vereinigung von einer an den konkreten Einzelfallumständen orientierten Gesamtbetrachtung abhängig zu machen. Dabei sind regelmäßig namentlich die folgenden Kriterien von Bedeutung:
17
aa) Als wesentliches Zuordnungskriterium ist der Schwerpunkt der Organisationsstruktur anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 6; s. auch Art. 4 Unterabsatz 1 der Gemeinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Eu- ropäischen Union, ABl. L 351 vom 29. Dezember 1998, S. 1: "Ort…, an dem die Vereinigung ihre Operationsbasis hat"; vgl. hierzu Stein, GA 2005, 433, 443). Dieser Schwerpunkt der organisatorischen Strukturen ist seinerseits anhand verschiedener Merkmale zu ermitteln (vgl. Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 523). Er kann sich insbesondere aus dem Ort ergeben, an dem gleichsam "die Verwaltung geführt wird" (s. Nehring, Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, 2007, S. 178). Anhaltspunkt dafür kann die Konzentration personeller und/oder sachlicher Ressourcen sein, beispielsweise für Organisationszwecke genutzte Gebäude, Ausbildungsstätten oder Material, wie Tatwerkzeuge, Unterlagen oder auch Datenverarbeitungsanlagen.
18
bb) Ferner ist in den Blick zu nehmen, wo nach den Strukturen der Vereinigung deren Gruppenwille gebildet wird, d.h. wo der durch die entscheidungsbefugten Organe der Vereinigung gebildete Verbandswille zustande kommt und erstmals durch konkrete Umsetzungsakte nach außen in Erscheinung tritt (Zöller aaO S. 523; Nehring aaO S. 178). Auch kann zu berücksichtigen sein, an welchem Ort sich die Vereinigung gegründet hat. Demgegenüber sind die Staatsangehörigkeit der Mitglieder und deren bloßer Wohnsitz regelmäßig nicht von entscheidendem Belang (BGH, Beschluss vom 5. Januar 1982 - StB 53/81, BGHSt 30, 328, 331 f.).
19
cc) Daneben kann das eigentliche Aktionsfeld Bedeutung erlangen, mithin der Ort, an dem die Straftaten, auf deren Begehung die Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, begangen werden sollen bzw. begangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 6; vgl. auch Art. 4 Unterabsatz 1 der Gemeinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 351 vom 29. Dezember 1998, S. 1: "Ort…, an dem die Vereinigung ihre strafba- ren Tätigkeiten ausübt"; vgl. hierzu Stein, GA 2005, 433, 443). Dabei sind gegebenenfalls sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort in die Bewertung einzustellen. Allerdings genügt es für die Einordnung einer Gruppierung als inländische oder EU-Vereinigung nicht, dass sie auf dem jeweiligen Gebiet lediglich Straftaten begeht oder begehen will. Erforderlich ist vielmehr zumindest, dass in Deutschland bzw. dem Bereich der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch Organisationsstrukturen bestehen und die Vereinigungsmitglieder nicht nur zur Vorbereitung und Begehung der Straftaten, auf die die Vereinigung gerichtet ist, in die betreffende Region einreisen und sich dort aufhalten.
20
b) Nach diesen Maßstäben wies die Organisation der GebrüderS. auf der Grundlage der bisherigen Urteilsfeststellungen keine ausreichende räumlich-organisatorische Inlandsverankerung auf. Weder befand sich der Schwerpunkt der Organisationsstrukturen im Inland, noch war das Aktionsfeld der Vereinigung auf Deutschland beschränkt. Der "Dieb im Gesetz" K. S. , der im Konfliktfall die maßgebliche Autorität und mithin für die Bildung des Gruppenwillens von entscheidender Bedeutung war, lebte nicht in Deutschland. Die Weiterleitung der für die Organisation gesammelten Gelder und der darüber geführten Listen an ihn nach Spanien ist ein Indiz dafür, dass dort wesentliche Aufgaben betreffend die Organisation bzw. "Verwaltung" der Vereinigung vorgenommen wurden. Da die Vereinigung - etwa durch Statt- und Kassenhalter - regional organisiert war, liegt es nahe, dass neben der "Verwaltung" in Spanien auch in weiteren Staaten außerhalb Deutschlands Organisationsstrukturen bestanden. Die Vereinigungsmitglieder wurden europaweit tätig. Der Umstand, dass die Strukturen und Aktivitäten der Vereinigung teilweise in die Bundesrepublik Deutschland hineinreichten, genügt nicht, um die Gruppierung als inländische anzusehen. Schließlich wurde die Vereinigung nicht in Deutschland, sondern in Moskau gegründet.
21
c) Die in Deutschland agierende Gruppierung ist auch nicht als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne einer Teilorganisation zu werten. Eine solche eigenständige Vereinigung setzt nach der neueren Rechtsprechung des Senats, an der festzuhalten ist, voraus, dass die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen , zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Dazu muss sie ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen und insbesondere einen eigenen, von der ausländischen (Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, NJW 2011, 542, 544 f.). Daran fehlt es hier. Im Konfliktfall oder bei groben Verstößen gegen die Regeln der Vereinigung schalteten sich die Gebrüder S. in ihrer Eigenschaft als "Anführer" der Vereinigung ein. Angesichts der gerade bei Fragen von besonderer Bedeutung von diesen "Dieben im Gesetz" abhängigen Willensbildung vollzog sich der Willensbildungsprozess somit nicht vollständig im Inland. Die in die Gemeinschaftskasse eingezahlten Gelder wurden nach Spanien weitergeleitet, über ihre Verwendung wurde somit ebenfalls nicht vollständig im Inland entschieden. Die Gruppierung war deshalb in Deutschland nur in begrenztem, für die Annahme einer eigenständigen Vereinigung nicht ausreichendem Umfang autonom.
22
3. Die getroffenen Feststellungen belegen auch nicht die Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei nach § 260a Abs. 1 StGB in den Fällen B. II. 2. a. der Urteilsgründe.
23
a) Die erhöhte Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Handelns setzt voraus , dass der Täter sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende , nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen will (vgl. Fischer , StGB, 58. Aufl., Vor § 52 Rn. 62). Die Gewerbsmäßigkeit, die ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB darstellt (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 547/04, wistra 2005, 177), erfordert stets Eigennützigkeit; es genügt nicht, wenn eine fortdauernde Einnahmequelle allein für Dritte geschaffen werden soll (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282 f. zu § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB). Ein bloß mittelbarer Vorteil des Täters reicht zur Begründung der Gewerbsmäßigkeit nur aus, wenn er ohne Weiteres darauf zugreifen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2009 - 4 StR 10/09, wistra 2009, 351;vom 5. Juni 2008 - 1 StR 126/08, NStZ-RR 2008, 282; vom 16. April 2008 - 5 StR 615/07, wistra 2008, 342, 343) oder sich selbst geldwerte Vorteile aus den Taten über Dritte verspricht (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282 f.; Urteil vom 1. Juli 1998 - 1 StR 246/98, BGHR StGB § 261 Strafzumessung 2).
24
b) Den Urteilsfeststellungen ist nicht hinreichend zu entnehmen, dass das deliktische Handeln des Angeklagten auf die Erlangung eines derartigen eigenen Vorteils gerichtet war. Danach beging er die Straftaten vielmehr in der Absicht, anderen Mitgliedern der Vereinigung und der Vereinigung als solcher eine fortdauernde Einnahmequelle zu schaffen. Dass er selbst direkt auf die Einnahmen der Vereinigung zugreifen konnte oder tatsächlich aufgrund der Hehlereitaten einen bestimmten geldwerten Vorteil aus der Gemeinschaftskasse erwartete, ergibt sich nicht. Die in die Gemeinschaftskasse eingezahlten Gelder wurden zu K. S. nach Spanien gebracht. Allein die Möglichkeit, in Zukunft möglicherweise unter gewissen, noch unbestimmten Umständen selbst vom Inhalt der Gemeinschaftskasse zu profitieren, reicht für die Annahme gewerbsmäßigen Handelns nicht aus.

II.


25
1. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des gesamten Urteils. Zwar hat das Landgericht für sich betrachtet rechtsfehlerfrei die neun Taten der Geldwäsche nach § 261 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 StGB festgestellt; diese Delikte stehen jedoch jeweils in Tateinheit mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an einer kriminellen Vereinigung , so dass sich die Urteilsaufhebung auf sie zu erstrecken hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 135/01, juris Rn. 18; Urteile vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, juris Rn. 30; KK-Kuckein, 6. Aufl., § 353 Rn. 12; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 7a; zur Tateinheit mit dem Vereinigungsdelikt s. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 290).
26
Die Änderung des Schuldspruchs durch den Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass der Angeklagte in diesen Fällen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Ausland bzw. wahlweise wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Inland oder im Ausland, dies jeweils in Tateinheit mit Geldwäsche nach § 129 Abs. 1, § 129b Abs. 1, § 261 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar ist, scheidet aus; denn es fehlt an der möglicherweise gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung des Vereinigungsdelikts erforderlichen Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz.
27
a) Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung sind insoweit allein die schriftlichen Urteilsgründe. Die örtliche Einordnung der Vereinigung als inländische , solche in dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder solche außerhalb dieses Bereichs ist sowohl für den Schuldspruch als auch für die Frage von Bedeutung, ob eine Verfolgungsermächtigung als Verfahrensvoraussetzung erforderlich ist. Die Bildung einer richterlichen Überzeugung zu dieser doppelrelevanten Tatsache im Wege des Freibeweises durch den Senat - etwa auf der Grundlage des sonstigen Akteninhalts - scheidet deshalb aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 337 Rn. 6).
28
b) In den Fällen, in denen ausreichend sichere Feststellungen zur örtlichen Einordnung der Vereinigung vor dem Hintergrund der aufgezeigten Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen nicht getroffen werden können, kommt auch eine wahlweise Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer inländischen oder ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung in Betracht. Vor allem mit Blick darauf, dass nach § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB die §§ 129, 129a StGB auch bei einer Vereinigung im Ausland grundsätzlich uneingeschränkt gelten, mithin insbesondere der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen nicht davon abhängt, ob die Tat sich auf eine in- oder ausländische Vereinigung bezieht, sieht der Senat keinen Anlass, die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit der §§ 129, 129a StGB einerseits und des § 129b StGB andererseits in Zweifel zu ziehen. Eine Verurteilung auf alternativer Tatsachengrundlage setzt nach den in der Rechtsprechung anerkannten allgemeinen Grundsätzen aber voraus, dass innerhalb des durch § 264 StPO gezogenen Rahmens die angeklagte Tat nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht so eindeutig aufzuklären ist, dass ein bestimmter Tatbestand festgestellt werden kann, aber sicher festzustellen ist, dass der Angeklagte einen von mehreren Tatbeständen verwirklicht hat, und andere, straflose Hand- lungen ausgeschlossen sind (Fischer, StGB, 58. Aufl., § 1 Rn. 19 mwN). Hieraus folgt insbesondere, dass das Tatgericht die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung sowie eine strafbare Tathandlung des Angeklagten sicher feststellen muss; nicht aufklärbar darf allein die geographische Einordnung der Vereinigung sein.
29
Die bisherigen Urteilsfeststellungen, welche die geographische Einordnung der Vereinigung nicht näher in den Blick nehmen, lassen es jedoch zumindest als möglich erscheinen, dass die Vereinigung ihren Schwerpunkt außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hatte. So ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen etwa nicht, wo sich der mit seinem Bruder an der Spitze der Organisation stehende "Dieb im Gesetz" L. S. befand und die Vereinigung betreffende Handlungen vornahm. Ferner wurde die Vereinigung europaweit tätig, ohne dass das Landgericht diese Feststellung näher konkretisiert und etwa auf das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt hat. Damit bleibt offen, in welchen anderen europäischen Staaten die Vereinigung Straftaten organisierte, ob diese möglicherweise teilweise außerhalb der Europäischen Union lagen und welchen Umfang die Organisation außerhalb Deutschlands und der Europäischen Union hatte. Da sämtliche vom Angeklagten transferierten Gelder nach Georgien flossen, ist überdies nicht völlig auszuschließen, dass möglicherweise auch dort nicht unerhebliche Organisationsstrukturen bestanden. Schließlich ist unklar, was Hintergrund für Geldgeschenke an "Diebe im Gesetz" in Moskau war und ob sich daraus weitere Erkenntnisse über die Organisationsstruktur ergeben könnten.
30
Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Verfolgbarkeit des Vereinigungsdelikts nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB hier von einer entsprechenden Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz abhängt. Diese liegt bisher nicht vor; damit fehlt es für diesen Fall an einer Verfahrensvoraussetzung, so dass eine Wahlfeststellung ausscheidet.
31
2. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass die bisherigen Feststellungen zu der Vereinigung als solcher und ihrer Gründung in Moskau teilweise nicht ohne Weiteres nachvollziehbar erscheinen. Danach agiert die Vereinigung der Gebrüder S. einerseits europaweit; andererseits erhält ein "Dieb im Gesetz" nach seiner "Krönung" ein eigenes Gebiet zugewiesen, in dem ihm gestattet ist, durch kriminelle Handlungen jedweder Art Geld zu verdienen, und in dem sich kein anderer "Dieb im Gesetz" ansiedeln darf. Danach wäre naheliegend die Gruppierung um die Brüder S. die einzige Vereinigung der "Diebe im Gesetz" in Europa. Dem könnten allerdings die sonstigen Urteilsgründe widersprechen, denen zu entnehmen ist, dass es mehrere "Diebe im Gesetz" gibt, ohne dass festgestellt ist, dass sich deren Organisationen über Europa hinaus ausgebreitet haben. Somit bleibt offen, wo sich die diesen zugewiesenen Gebiete befinden sollen.
Becker Pfister Schäfer
Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 262/11
vom
13. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers 13. September 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 4. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen, Diebstahls, versuchten Diebstahls und gewerbsmäßiger Bandenhehlerei, "jeweils in Tateinheit mit Bildung krimineller Vereinigungen" (zutreffend: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete , auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts entstand in der ehemaligen Sowjetunion eine kriminelle Subkultur, die nach ihrer eigenen Ideologie, den sogenannten "Diebesregeln", lebt. Dieses System dehnte sich nach Westen aus und etablierte sich teilweise auch in Deutschland. Die Verbandsstruktur ist regional organisiert und überregional koordiniert. An oberster Stufe steht jeweils ein "Dieb im Gesetz", der diese Stellung mittels "Krönung" durch alle "Diebe im Gesetz" in Moskau erhält. Diesem wird ein bestimmtes Gebiet zugewiesen, in dem sich kein anderer "Dieb im Gesetz" ansiedeln darf. Organisatorische Aufgaben übernehmen als seine unmittelbaren Vertrauenspersonen "Nahestehende" , unter denen "Statthalter" oder "Kassenhalter" stehen, welche die untergeordneten Mitglieder zu leiten und Beiträge zur Gemeinschaftskasse einzusammeln und abzuführen haben. Die Willensbildung unterliegt verbindlichen, in der Organisation anerkannten Regeln. Die Verhaltensregeln gebieten den Mitgliedern eine Abschottung nach außen sowie Solidarität nach innen und untersagen jegliche Kooperation mit staatlichen Behörden. Verstöße werden abgestuft sanktioniert. Im Konfliktfall werden höhere Autoritätsstufen angerufen; deren "Schiedssprüche" erkennen die Mitglieder als bindend an und machen sie zur Maxime ihres Handelns. Verbindlich festgelegte Zielsetzung der Organisation ist, bestimmte Straftaten zu begehen und einen Teil der hieraus gewonnenen Erlöse in die Gemeinschaftskasse ("Abschtschjak") zu zahlen. Diese dient der Bereicherung der höherrangigen Mitglieder sowie allgemein der Unterstützung der Mitglieder in besonderen Situationen, etwa im Falle einer Inhaftierung.
3
Spätestens im Juni 2005 begründeten die "Diebe im Gesetz" K. und L. S. eine nach den dargelegten Regeln agierende, europaweit tätige Gruppierung aus georgischstämmigen Mitgliedern, die Diebstähle organisierte und die Beute an Hehler weiterverkaufte. Auf der untersten Ebene standen die tatausführenden Diebe, die ihren Unterhalt aus organisierten, von mehreren Mitgliedern durchgeführten gemeinsamen Ladendiebstählen bestritten. Diebesbeute waren hochwertige Gegenstände des täglichen Gebrauchs wie etwa Zigaretten, Drogerieartikel, Designerkleidung und elektronische Geräte. Die Mitglieder hatten in der Regel monatlich 50 € in den "Abschtschjak" zu zahlen. Die Vereinigung, die "Diebesregeln" und der "Abschtschjak" waren oberste Maximen des Handelns des Einzelnen. In verschiedenen deutschen Städten waren regionale Kassenhalter eingesetzt. Die über die an die Gemeinschaftskasse abgeführten Gelder geführten Listen wurden zu K. S. nach Spanien gebracht. Die Teile der Vereinigung in Deutschland waren grundsätzlich autonom, bei Konflikten oder bei groben Regelverstößen griff allerdings die Führungsebene um die Brüder S. ein.
4
Der Angeklagte übernahm spätestens am 21. Dezember 2009 die Gemeinschaftskasse der Organisation in Nürnberg. Er veranlasste verschiedene Ladendiebe zur pünktlichen Zahlung des monatlichen Beitrags, beging selbst verschiedene Diebstähle und war am Absatz von fremder Diebesbeute beteiligt. Am 30. Januar "2009" (richtig wohl: 2010) übergab er einen Koffer mit Ware, die andere Mitglieder der Vereinigung gestohlen hatten, an eine Frau zum Transport nach Georgien, um dadurch "andere Mitglieder der Organisation um die Gebrüder S. und auch sich zu bereichern". Zwischen dem 21. Dezember 2009 und etwa dem 2. März 2010 entwendete er aus verschiedenen Geschäften in insgesamt fünf Fällen Gegenstände (Parfumflakons, Stiefel , Markenhemden) oder versuchte dies zumindest, um daraus seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, teilweise indem er Gegenstände des persönlichen Bedarfs entwendete und sich so Aufwendungen ersparte. Dabei wirkte in drei Fällen ein weiteres Mitglied der Organisation der Brüder S. mit.

I.

5
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) und wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei (§ 260a Abs. 1 StGB) verurteilt hat. Die Feststellungen belegen zwar, dass sich der Angeklagte als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung beteiligte , nicht aber - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat -, dass es sich bei der Vereinigung um eine solche im Inland nach § 129 Abs. 1 StGB handelte. Auch fehlen tragfähige Feststellungen für ein gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten im Sinne des § 260a Abs. 1 StGB. Im Einzelnen:
6
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend die Voraussetzungen für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB als erfüllt angesehen; denn nach den Feststellungen ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen gegeben, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteile vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, BGHSt 56, 28, 29 f. mwN; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221). Näherer Erörterung bedürfen allein die folgenden Gesichtspunkte:
7
a) Die erforderliche Unterordnung der Mitglieder unter den Gesamtwillen der Vereinigung liegt nach den Feststellungen vor:
8
aa) Insoweit ist für eine Vereinigung wesentlich die subjektive Einbindung der Beteiligten in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen; denn nur ein derartiger Gruppenwille schafft die spezifischen Gefahren einer für die Vereinigung typischen, vom Willen des Einzelnen losgelösten Eigendynamik zur Begehung von Straftaten. Innerhalb der Vereinigung müssen deshalb bestimmte, von ihren Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen bestehen ; dieser organisierten Willensbildung müssen sich die Mitglieder als für alle verbindlich unterwerfen. Die Art und Weise der Willensbildung ist allerdings gleichgültig; die für alle Mitglieder verbindlichen Regeln können etwa dem Demokratieprinzip entsprechen oder auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 ff. mwN).
9
bb) Diese Voraussetzungen sind in den Urteilsgründen dargetan. Die Mitglieder der Gruppierung verband nicht allein der Wille, gemeinsam Straftaten zu begehen; sie unterwarfen sich auch nicht lediglich je für sich der autoritären Führung der Brüder S. . Vielmehr bestanden verbindliche Regeln , nach denen die Mitglieder der Organisation ihr Handeln ausrichteten, und solche, die der Konfliktbewältigung innerhalb der Organisation dienten. Diese Regeln wurden von den Mitgliedern übereinstimmend anerkannt; diese stellten insoweit ihre Einzelmeinungen zurück und ordneten sich dem entsprechenden Gruppenwillen unter.
10
cc) Es ist deshalb nicht entscheidungserheblich, ob im vorliegenden Fall eine tatsächliche Konstellation gegeben ist, bei der nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 228 ff.) geringere Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen bezüglich des voluntativen Elements der Vereinigung zu stellen sind. Der Senat sieht allerdings Anlass, hierzu Folgendes anzumerken:
11
Die Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen zum Willenselement sind dann geringer, wenn die Mitglieder der Organisation eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Begehung von Straftaten hinausreichende Zielsetzung verfolgen und die für Vereinigungen typische Eigendynamik vor allem dadurch in Gang gesetzt wird, dass die Beteiligten sich in der Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Ziels verbunden fühlen, wie dies typischerweise bei politisch, ideologisch, religiös oder weltanschaulich motivierter Kriminalität der Fall ist (BGH aaO). Diese Voraussetzungen werden durch die Feststellungen nicht belegt. Die Organisation war hier im Kern allein auf die Begehung von Eigentums- und Vermögensdelikten sowie die dadurch ermöglichte Finanzierung einer Gemeinschaftskasse gerichtet, die wiederum der Bereicherung der Führungsebene und der materiellen Unterstützung der Mitglieder in bestimmten Situationen diente; die Vereinigung war somit durch wirtschaftliche , nicht aber durch politisch-ideologische Zielsetzungen der Beteiligten geprägt. Der Umstand, dass sich die Vereinigungsmitglieder nach außen abgrenzten und die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen ablehnten, ist für kriminelle Organisationen jeglicher Art nicht ungewöhnlich. Ihm kommt deshalb im hier relevanten Zusammenhang keine erhebliche Bedeutung zu. Dieser Gesichtspunkt reicht insbesondere nicht aus, um darin bereits eine eigene, über den auf Straftaten ausgerichteten Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausgehende Ideologie in dem dargelegten Sinne zu sehen.
12
b) Die Organisation war darauf ausgerichtet, Straftaten, vor allem Eigentums - und Vermögensdelikte, zu begehen, mit denen - obwohl die einzelnen festgestellten Taten isoliert betrachtet überwiegend eher dem unteren Bereich der Kriminalität zuzurechnen sind - eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbunden war (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51; Beschluss vom 4. August 1995 - StB 31/95, NJW 1995, 3395, 3396). Für diese Beurteilung ist nicht lediglich auf die einzelne Straftat oder die jeweilige Strafandrohung abzustellen; vielmehr ist eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände vorzunehmen, die für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können. Hierzu gehören insbesondere auch die Auswirkungen der Straftaten (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51). Ins Gewicht fällt deshalb neben der Höhe der Erlöse insbesondere die organisierte, planmäßige und überregionale Vorgehensweise der Vereinigungsmitglieder. Diese Umstände belegen ohne Weiteres eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit.
13
c) Da nach den Feststellungen die Brüder S. als "Diebe im Gesetz" in der Organisation an oberster Stufe standen und der Wille der Organisation demzufolge unabhängig von den übrigen "Dieben im Gesetz" gebildet wurde, stellte die ihnen untergeordnete Gruppierung eine eigenständige Vereinigung dar. Es bedarf daher keiner näheren Betrachtung, wie die Versammlung der verschiedenen "Diebe im Gesetz" zu bewerten ist und ob diese etwa als eine übergeordnete Dach-Vereinigung anzusehen sein könnte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01 u.a., BGHSt 46, 349, 354; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 23).
14
2. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich jedoch nicht, dass es sich bei der von den Brüdern S. geführten Organisation um eine Vereinigung im Inland nach § 129 Abs. 1 StGB handelte.
15
a) Die Kriterien, an denen die Einordnung einer Organisation als in- oder ausländische Vereinigung - im letzten Fall zudem als Vereinigung innerhalb oder außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - auszurichten ist, sind gesetzlich nicht bestimmt und in der Gesetzesbegründung bei Einführung des § 129b StGB nicht näher erörtert worden (vgl. etwa BT-Drucks. 14/7025 S. 1, 6). In der Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 6) und dem Schrifttum (vgl. etwa Stein, GA 2005, 433, 443; Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 523; Nehring, Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, 2007, S. 177 ff.; LK/Krauß, aaO § 129b Rn. 26 ff.) sind sie verschiedentlich angedeutet bzw. erörtert worden , indessen noch nicht abschließend geklärt. Hierzu gilt:
16
Vereinigungen, die den §§ 129 ff. StGB unterfallen, können in einer kaum überschaubaren Vielzahl von tatsächlichen Organisationsformen auftreten. So werden etwa Gruppierungen mit wirtschaftlichen Zielsetzungen ebenso erfasst wie solche, die politische, ideologische oder religiöse Zwecke verfolgen. Bezüglich der Größe der Vereinigung ist lediglich die Mindestzahl von drei Mitgliedern bestimmt, es kommen deshalb sowohl Vereinigungen mit relativ wenigen als auch solche mit außerordentlich zahlreichen Mitgliedern in Betracht. Weder die Organisationsform noch die Art der Willensbildung ist im Einzelnen festgelegt. Nicht zuletzt sind die Gruppierungen etwa im Bereich der Organisierten Kriminalität, aber auch des Terrorismus zunehmend länderübergreifend organisiert; ihre Aktionsfelder betreffen häufig die Gebiete mehrerer Staaten. Vor diesem Hintergrund erscheint eine abstrakte Umschreibung der maßgeblichen Gesichtspunkte, die für die Einordnung derartiger Vereinigungen als inoder ausländisch - und im letztgenannten Fall als solche innerhalb oder außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - den Anspruch der Verbindlichkeit für alle denkbaren Einzelfälle erheben könnte, weder möglich noch sachgerecht. Mit Blick auf die Unterschiedlichkeit und Komplexität der in Betracht zu ziehenden Fallgestaltungen liegt es näher, die geographische Zuordnung einer Vereinigung von einer an den konkreten Einzelfallumständen orientierten Gesamtbetrachtung abhängig zu machen. Dabei sind regelmäßig namentlich die folgenden Kriterien von Bedeutung:
17
aa) Als wesentliches Zuordnungskriterium ist der Schwerpunkt der Organisationsstruktur anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 6; s. auch Art. 4 Unterabsatz 1 der Ge- meinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europä- ischen Union, ABl. L 351 vom 29. Dezember 1998, S. 1: "Ort…, an dem die Vereinigung ihre Operationsbasis hat"; vgl. hierzu Stein, GA 2005, 433, 443). Dieser Schwerpunkt der organisatorischen Strukturen ist seinerseits anhand verschiedener Merkmale zu ermitteln (vgl. Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 523). Er kann sich insbesondere aus dem Ort ergeben, an dem gleichsam "die Verwaltung geführt wird" (s. Nehring, Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, 2007, S. 178). Anhaltspunkt dafür kann die Konzentration personeller und/oder sachlicher Ressourcen sein, beispielsweise für Organisationszwecke genutzte Gebäude, Ausbildungsstätten oder Material, wie Tatwerkzeuge , Unterlagen oder auch Datenverarbeitungsanlagen.
18
bb) Ferner ist in den Blick zu nehmen, wo nach den Strukturen der Vereinigung deren Gruppenwille gebildet wird, d.h. wo der durch die entscheidungsbefugten Organe der Vereinigung gebildete Verbandswille zustande kommt und erstmals durch konkrete Umsetzungsakte nach außen in Erscheinung tritt (Zöller aaO S. 523; Nehring aaO S. 178). Auch kann zu berücksichtigen sein, an welchem Ort sich die Vereinigung gegründet hat. Demgegenüber sind die Staatsangehörigkeit der Mitglieder und deren bloßer Wohnsitz regelmäßig nicht von entscheidendem Belang (BGH, Beschluss vom 5. Januar 1982 - StB 53/81, BGHSt 30, 328, 331 f.).
19
cc) Daneben kann das eigentliche Aktionsfeld Bedeutung erlangen, mithin der Ort, an dem die Straftaten, auf deren Begehung die Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, begangen werden sollen bzw. begangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, BGHR StGB § 129 Gruppenwille 6; vgl. auch Art. 4 Unterabsatz 1 der Gemeinsamen Maßnahme vom 21. Dezember 1998 betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 351 vom 29. Dezember 1998, S. 1: "Ort…, an dem die Vereinigung ihre strafba- ren Tätigkeiten ausübt"; vgl. hierzu Stein, GA 2005, 433, 443). Dabei sind gegebenenfalls sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort in die Bewertung einzustellen. Allerdings genügt es für die Einordnung einer Gruppierung als inländische oder EU-Vereinigung nicht, dass sie auf dem jeweiligen Gebiet lediglich Straftaten begeht oder begehen will. Erforderlich ist vielmehr zumindest, dass in Deutschland bzw. dem Bereich der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch Organisationsstrukturen bestehen und die Vereinigungsmitglieder nicht nur zur Vorbereitung und Begehung der Straftaten, auf die die Vereinigung gerichtet ist, in die betreffende Region einreisen und sich dort aufhalten.
20
b) Nach diesen Maßstäben wies die Organisation der Gebrüder S. auf der Grundlage der bisherigen Urteilsfeststellungen keine ausreichende räumlich-organisatorische Inlandsverankerung auf. Weder befand sich der Schwerpunkt der Organisationsstrukturen im Inland, noch war das Aktionsfeld der Vereinigung auf Deutschland beschränkt. Die "Diebe im Gesetz", die Gebrüder S. , die im Konfliktfall die maßgebliche Autorität und mithin für die Bildung des Gruppenwillens von entscheidender Bedeutung waren, hielten sich nicht in Deutschland auf. Die Weiterleitung der Listen, die über die für die Organisation gesammelten Gelder geführt wurden, an K. S. nach Spanien ist ein Indiz dafür, dass dort wesentliche Aufgaben betreffend die Organisation bzw. "Verwaltung" der Vereinigung vorgenommen wurden. Da die Vereinigung - etwa durch Statt- und Kassenhalter - regional organisiert war, liegt es nahe, dass neben der "Verwaltung" in Spanien auch in weiteren Staaten außerhalb Deutschlands Organisationsstrukturen bestanden. Die Vereinigungsmitglieder wurden in mehreren europäischen Staaten tätig. Schließlich wurde die Gruppierung nicht in Deutschland, sondern in Moskau gegründet. Nach alldem genügt der Umstand, dass die Strukturen und Aktivitäten der Vereinigung teilweise in die Bundesrepublik Deutschland hineinreichten , nicht, um die Vereinigung als inländische anzusehen.
21
c) Die in Deutschland agierende Gruppierung ist auch nicht als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne einer Teilorganisation zu werten. Eine solche eigenständige Vereinigung setzt nach der neueren Rechtsprechung des Senats, an der festzuhalten ist, voraus, dass die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen , zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Dazu muss sie ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen und insbesondere einen eigenen, von der ausländischen (Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, BGHSt 56, 28, 32 ff.). Daran fehlt es hier. Die Listen über die in die Gemeinschaftskasse eingezahlten Gelder wurden nach Spanien zu K. S. weitergeleitet. Im Konfliktfall oder bei groben Verstößen gegen die Regeln der Vereinigung schalteten sich die Gebrüder S. in ihrer Eigenschaft als "Anführer" der Vereinigung ein. Angesichts der gerade bei Fragen von besonderer Bedeutung von diesen "Dieben im Gesetz" abhängigen Willensbildung vollzog sich der Willensbildungsprozess somit nicht vollständig im Inland. Die Gruppierung war deshalb inDeutschland nur in begrenztem, für die Annahme einer eigenständigen Vereinigung nicht ausreichendem Umfang autonom.
22
3. Die getroffenen Feststellungen belegen auch nicht die Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei nach § 260a Abs. 1 StGB im Fall B. II. 2. der Urteilsgründe.
23
a) Die erhöhte Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Handelns setzt voraus , dass der Täter sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende , nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen will (vgl. Fischer , StGB, 59. Aufl., Vor § 52 Rn. 62). Die Gewerbsmäßigkeit, die ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB darstellt (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2005 - 1 StR 547/04, wistra 2005, 177), erfordert stets Eigennützigkeit; es genügt nicht, wenn eine fortdauernde Einnahmequelle allein für Dritte geschaffen werden soll (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282 f. zu § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB). Ein bloß mittelbarer Vorteil des Täters reicht zur Begründung der Gewerbsmäßigkeit nur aus, wenn er ohne Weiteres darauf zugreifen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Mai 2009 - 4 StR 10/09, wistra 2009, 351;vom 5. Juni 2008 - 1 StR 126/08, NStZ-RR 2008, 282; vom 16. April 2008 - 5 StR 615/07, wistra 2008, 342, 343) oder sich selbst geldwerte Vorteile aus den Taten über Dritte verspricht (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 543/07, NStZ 2008, 282 f.; Urteil vom 1. Juli 1998 - 1 StR 246/98, BGHR StGB § 261 Strafzumessung 2).
24
b) Den Urteilsfeststellungen ist nicht hinreichend zu entnehmen, dass die Mitwirkung des Angeklagten bei dem Transport des Koffers mit Diebesgut nach Georgien auf die Erlangung eines derartigen eigenen Vorteils gerichtet war. Dass er selbst direkt auf die Einnahmen der Vereinigung zugreifen konnte oder tatsächlich aufgrund seines deliktischen Handelns einen bestimmten geldwerten Vorteil aus der Gemeinschaftskasse erwartete, ergibt sich nicht. Allein die Möglichkeit, in Zukunft möglicherweise unter gewissen, noch unbestimmten Umständen selbst vom Inhalt der Gemeinschaftskasse zu profitieren, reicht für die Annahme gewerbsmäßigen Handelns nicht aus. Soweit die pauschale Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe durch die Weitergabe des Koffers auch sich selbst bereichern wollen, dahin zu verstehen sein sollte, dessen Intention sei darauf gerichtet gewesen, den Gewinn aus der Straftat als solchen zumindest teilweise unmittelbar für sich selbst zu erzielen, wird dies weder näher belegt noch durch die Beweiswürdigung getragen. Es ist nicht ersichtlich , woraus die Strafkammer entnommen hat, der - die Taten bestreitende - Angeklagte habe eine Absicht verfolgt, die über die Einzahlung des Taterlöses in die Gemeinschaftskasse und die unbestimmte Möglichkeit, von dieser zukünftig zu profitieren, hinausging.

II.


25
Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des gesamten Urteils.
26
1. Zwar hat das Landgericht für sich betrachtet rechtsfehlerfrei drei Fälle des schweren Bandendiebstahls nach § 244a Abs. 1 StGB, einen Diebstahl nach § 242 Abs. 1 StGB und einen versuchten Diebstahl nach § 242 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB festgestellt; diese Delikte stehen jedoch jeweils in Tateinheit mit der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an einer kriminellen Vereinigung, so dass sich die Urteilsaufhebung auf sie zu erstrecken hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 135/01, juris Rn. 18; Urteile vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, juris Rn. 30; KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 353 Rn. 12; MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 7a; zur Tateinheit mit dem Vereinigungsdelikt s. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 290).
27
2. Die Änderung des Schuldspruchs durch den Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass der Angeklagte in diesen Fällen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Ausland bzw. wahlweise wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Inland oder im Ausland, dies jeweils in Tateinheit mit den genannten Delikten nach § 129 Abs. 1, § 129b Abs. 1, § 244a Abs. 1, §§ 242, 22, 23 StGB strafbar ist, scheidet aus; denn es fehlt an der möglicherweise gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung des Vereinigungsdelikts erforderlichen Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz.
28
a) Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung sind insoweit allein die schriftlichen Urteilsgründe. Die örtliche Einordnung der Vereinigung als inländische , solche in dem Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder solche außerhalb dieses Bereichs ist sowohl für den Schuldspruch als auch für die Frage von Bedeutung, ob eine Verfolgungsermächtigung als Verfahrensvoraussetzung erforderlich ist. Die Bildung einer richterlichen Überzeugung zu dieser doppelrelevanten Tatsache im Wege des Freibeweises durch den Senat - etwa auf der Grundlage des sonstigen Akteninhalts - scheidet deshalb aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 337 Rn. 6).
29
b) In den Fällen, in denen ausreichend sichere Feststellungen zur örtlichen Einordnung der Vereinigung vor dem Hintergrund der aufgezeigten Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen nicht getroffen werden können, kommt auch eine wahlweise Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer inländischen oder ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung in Betracht. Vor allem mit Blick darauf, dass nach § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB die §§ 129, 129a StGB auch bei einer Vereinigung im Ausland grundsätzlich uneingeschränkt gelten, mithin insbesondere der gesetzlich vorgesehene Strafrahmen nicht davon abhängt, ob die Tat sich auf eine in- oder ausländische Vereinigung bezieht, sieht der Senat keinen Anlass, die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit der §§ 129, 129a StGB einerseits und des § 129b StGB andererseits in Zweifel zu ziehen. Eine Verurteilung auf alternativer Tatsachengrundlage setzt nach den in der Rechtsprechung anerkannten allgemeinen Grundsätzen aber voraus, dass innerhalb des durch § 264 StPO gezogenen Rahmens die angeklagte Tat nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht so eindeutig aufzuklären ist, dass ein bestimmter Tatbestand festgestellt werden kann, aber sicher festzustellen ist, dass der Angeklagte einen von mehreren Tatbeständen verwirklicht hat, und andere, straflose Handlungen ausgeschlossen sind (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 1 Rn. 19 mwN). Hieraus folgt insbesondere, dass das Tatgericht die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung sowie eine strafbare Tathandlung des Angeklagten sicher feststellen muss; nicht aufklärbar darf allein die geographische Einordnung der Vereinigung sein.
30
c) Die bisherigen Urteilsfeststellungen, welche die räumliche Zuordnung der Vereinigung nicht näher in den Blick nehmen, lassen es jedochzumindest als möglich erscheinen, dass die Vereinigung ihren Schwerpunkt außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hatte. Die Vereinigung wurde in mehreren europäischen Staaten tätig, ohne dass das Landgericht diese Feststellung näher konkretisiert und etwa auf das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt hat. Damit bleibt offen, in welchen anderen europäischen Staaten die Vereinigung Straftaten organisierte, ob diese möglicherweise teilweise außerhalb der Europäischen Union lagen und welchen Umfang die Organisation außerhalb Deutschlands und der Europäischen Union hatte. Da etwa das Diebesgut im Fall B. II. 2. der Urteilsgründe nach Georgien verbracht wurde, ist überdies nicht auszuschließen, dass möglicherweise auch dort nicht unerhebliche Organisationsstrukturen bestanden. Hierfür spricht auch die vom Landgericht als glaubhaft bewertete Aussage des Zeugen G. , wonach Waren und in München eingesammelte "Abschtschjak-Gelder" nach Georgien zu einem "Le. " verbracht worden seien.
31
Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Verfolgbarkeit des Vereinigungsdelikts nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB hier von einer entsprechenden Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz abhängt. Diese liegt bisher nicht vor; damit fehlt es für diesen Fall an einer Verfahrensvoraussetzung, so dass eine Wahlfeststellung ausscheidet.

III.


32
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung über die Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus auf Folgendes hin:
33
1. Die bisherigen Feststellungen zu der Vereinigung als solcher und ihrer Gründung in Moskau erscheinen teilweise nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. Danach agiert die Vereinigung der Gebrüder S. einerseits europaweit ; andererseits erhält ein "Dieb im Gesetz" nach seiner "Krönung" ein eigenes Gebiet zugewiesen, in dem ihm gestattet ist, durch kriminelle Handlungen jedweder Art Geld zu verdienen, und in dem sich kein anderer "Dieb im Gesetz" ansiedeln darf. Danach wäre naheliegend die Gruppierung um die Brüder S. die einzige Vereinigung der "Diebe im Gesetz" in Europa. Dem könnten allerdings die sonstigen Urteilsgründe widersprechen, denen zu entnehmen ist, dass es mehrere "Diebe im Gesetz" gibt, ohne dass festgestellt ist, dass sich deren Organisationen über Europa hinaus ausgebreitet haben. Somit bleibt offen, wo sich die diesen zugewiesenen Gebiete befinden sollen.
34
2. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Annahme von Tateinheit zwischen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellenVereinigung und einer anderen Straftat voraus, dass die Begehung dieser Tat zugleich zur Verfolgung der Zwecke der Vereinigung oder zu ihrer organisatorischen Aufrechterhaltung oder Stärkung dient (s. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 290). Die bisherigen Feststellungen belegen diesen sachlichen Zusammenhang in den Fällen B. II. 3. d. und e. der Urteilsgründe , in denen der Angeklagte die Diebstahlsobjekte für sich behalten wollte, nicht.
35
3. Die bisherigen Ausführungen des Landgerichts zur Strafzumessung lassen nicht erkennen, von welchem konkreten Strafrahmen die Kammer im Fall des versuchten Diebstahls ausgegangen ist. Im Übrigen erschließen sich die Höhen der unterschiedlichen Einzelstrafen in den drei Taten des schweren Bandendiebstahls nicht ohne Weiteres. So ist unklar, wieso die Strafe in einem Fall, in dem der Angeklagte die entwendeten Parfümflaschen schließlich zurücklegte und dem Geschäft insoweit kein Schaden verblieb, trotz ähnlichen Beutewerts drei Monate höher bemessen wurde als in einem Fall, in dem der Geschädigte die entwendeten Stiefel nicht zurück erhielt.
Becker Pfister Schäfer
Mayer Menges

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 179/10
vom
28. Oktober 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist
nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a
StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung
notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen
Voraussetzungen erfüllt.
2. Hieraus folgt, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer
Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen
(Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen
muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die
Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich
dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass
sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess
in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht.
BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10 - OLG Frankfurt am Main
in der Strafsache
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner hiergegen gerichteten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
2
1. Der Verurteilung liegt zu Grunde, dass der Angeklagte von Juli 2004 bis Juni 2007 in Deutschland nacheinander insgesamt drei Gebiete der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) leitete.
3
Im Einzelnen hat das Oberlandesgericht hierzu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Ziel der im Jahre 1978 gegründeten PKK war es zunächst, in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran einen sozialistischen kurdischen Nationalstaat unter ihrer alleinigen Führung zu errichten. Sie verstand sich als straff organisierte, zentralistisch geführte, den Zielen des Marxismus/Leninismus verpflichtete Kaderorganisation und erachtete die Anwendung "revolutionärer Gewalt" als legitim. Im Jahre 1984 begann sie einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Die Auseinandersetzungen wurden von beiden Seiten mit großer Härte geführt und forderten insbesondere unter der Zivilbevölkerung zahlreiche Opfer.
5
Nachdem die Kämpfe die PKK ihrem Ziel nicht entscheidend näher gebracht hatten, erklärte ihr Führer Abdullah Öcalan 1996/1997, es sei auch ein "bundesstaatliches Modell nach Schweizer Vorbild" vorstellbar. Öcalan wurde im Februar 1999 festgenommen. Aus diesem Anlass wurden die Parteiziele weiter modifiziert; es sollte nunmehr nur noch die Wahrung der kurdischen Identität durch Erhaltung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der kurdischen Bevölkerung innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei in friedlichem Ausgleich mit dem türkischen Staat und auf demokratischem Wege erreicht werden. Im Juni 1999 wurde Öcalan in der Türkei wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Im August 1999 erklärte die PKK den Guerillakampf einseitig für beendet und ordnete den Rückzug ihrer Verbände aus der Türkei an. Die bewaffneten Einheiten zogen sich daraufhin vor allem in den Nordirak zurück und gliederten sich als "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel - HPG) neu. Diese "Friedenslinie" diente vorrangig dazu, das Leben Öcalans zu retten.
6
Im April 2002 wurde der "Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans" (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane - KADEK) gegründet, der sich unter Aufrechterhaltung von Strukturen und Zielen der PKK als deren Nachfolger verstand. Die gegen Öcalan verhängte Todesstrafe wurde im Oktober 2002 in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Der KADEK beschloss im Oktober 2003 seine Auflösung; gebildet wurde nunmehr der "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA-GEL), dessen politischen Willen die HPG unterstellt wurden. Diese kündigten den "Waffenstillstand" mit der Türkei zum 1. Juni 2004 auf. In der Folgezeit eskalierten die gewalttätigen Auseinandersetzungen und forderten auf beiden Seiten vermehrt Todesopfer.
7
Im April 2005 bildete sich nach den Vorgaben Öcalans eine "neue PKK", die sich als ideologische und philosophische Bewegung verstand und die ebenfalls von Öcalan entwickelte Idee eines "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" mit Hilfe des KONGRA-GEL umsetzen wollte. Hierzu wurde im Mai 2005 die "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (Koma Komalen Kurdistan - KKK) gegründet; die KKK-Vereinbarung vom 17. Mai 2005 enthält grundlegende Regelungen in Form einer Verfassung. U. a. werden in Art. 19 die "Gebiete Europa und GUS" als Landesteile behandelt. Im Jahre 2007 verstärkten sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den HPG und der türkischen Armee erneut. Der KKK benannte sich in "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan - KCK) um; die KKK-Verein-barung wurde durch das KCK-Abkommen vom 25. Mai 2007 fortgeschrieben.
8
Die PKK verlegte schon wenige Jahre nach ihrer Gründung zahlreiche Aktivitäten ins Ausland, um dem massiven Verfolgungsdruck in der Türkei auszuweichen. Sie warb in Deutschland und anderen Regionen Westeuropas um Mitglieder und Sympathisanten, die zur finanziellen Unterstützung der Partei und ihrer Kader verpflichtet wurden, und betrieb intensiv die Rekrutierung von Nachwuchs sowohl für Kader als auch für die in der Türkei operierende Guerilla. Zur Organisierung ihrer in Europa lebenden Anhänger und zur Propagierung ihrer Ziele gründete die PKK im Jahre 1985 die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK). Der Europaführung der PKK gelang es, eine straffe Organisationsstruktur zu errichten und viele der in Europa lebenden Kurden für die Ziele der Partei zu gewinnen. Ihren uneingeschränkten Führungs- und Alleinvertretungsanspruch setzte die PKK vor allem zwischen 1984 und 1988 auch durch die Begehung von Tötungsdelikten an sog. Verrätern bzw. Abweichlern um.
9
Der hierdurch hervorgerufene Verfolgungsdruck sowie der Wunsch nach einer Stärkung der Effizienz der Parteiarbeit veranlasste die PKK zu Beginn der 1990er Jahre, die Organisation in Europa noch fester und straffer zu gliedern. Träger war ein aus professionellen Kadern bestehender Funktionärskörper mit der "Europäischen Frontzentrale" (Avrupa Cephe Merkezi - ACM) an der Spitze. Im Jahre 2000 wurde die ERNK aufgelöst und durch die "Kurdische Demokratische Volksunion" (Yekitiya Demokratika Gele Kurd - YDK) ersetzt; an deren Stelle trat 2004 die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft" (Koordinasyon Civata Demokratik a Kurdistan - CDK).
10
Dementsprechend folgten auf den ACM zunächst der YDK-Rat und sodann der CDK-Rat bzw. die CDK-Koordinierung. Diesem Gremium stand die sog. Zentrale oder auch Exekutive vor, die aus dem Europaverantwortlichen sowie einigen weiteren engen Vertrauten Öcalans bestand und für die Leitung der laufenden Geschäfte zuständig war. Ihr oblag es, die Ziele, Vorgaben und Personalentscheidungen der Parteiführung gegenüber den nachgeordneten Einheiten durch individuelle und generelle Anweisungen durchzusetzen. Unterhalb dieser Führungsebene war Europa überwiegend in Regionen (Eyalet), Gebiete (Bölge), Räume (Alan) und Stadtteile (Semt) eingeteilt. Für jede Organisationseinheit wurde von der Führung ein Verantwortlicher eingesetzt, für Regionen und Gebiete waren dies in der Regel durch die Partei alimentierte professionelle Kader. Diese wechselten regelmäßig ihre Funktionen und verhielten sich in hohem Maße konspirativ.
11
In Deutschland gab es seit 2002 mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 2007 drei Sektoren (Süd, Mitte und Nord), denen etwa 25 Gebiete nachgeordnet waren; zeitweise übte ein Sektorleiter auch die Funktion eines sog. Deutschlandkoordinators aus. Die Tätigkeit der PKK in Deutschland war von Beginn an auf die Unterstützung der militärischen und politischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtet. Hierfür stellten die Organisationseinheiten der PKK in Europa die Finanzmittel, rekrutierten Nachwuchs für den Guerillakampf und betrieben Propaganda, um die öffentliche Meinung zu Gunsten der PKK zu beeinflussen. Es wurden verschiedene Aufgabenbereiche (Finanzen, Außenbeziehungen, Öffentlichkeitsarbeit u.a.) gebildet, die ihre Aufgaben nach den Vorgaben der Europazentrale zu erfüllen hatten.
12
Besondere Bedeutung kam dabei dem Bereich Finanzen zu. Die erforderlichen Geldmittel erzielte die Organisation vor allem durch eine jährlich durchgeführte "Spendenkampagne". Die zu leistenden Zahlungen wurden auf der Grundlage verbindlicher Zielvorgaben der Europaführung für die einzelnen Strukturebenen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen festgelegt ; in der Regel wurde ein Monatsgehalt verlangt. Die führenden Funktionäre und Kader führten die Aktionen durch, überwachten sie und hatten dafür zu sorgen, dass die Vorgaben der Europaführung erfüllt wurden. Raumverantwortliche und "Frontarbeiter" suchten die ortsansässigen Kurden in Deutschland auf und forderten die Gelder ein. Aufgrund der hohen Planvorgaben standen vor allem die Gebietsleiter sowie die sonstigen Kader und Aktivisten an der Front unter erheblichem Erfolgsdruck. Die eingesammelten Gelder sowie weitere Beiträge und Einnahmen aus Publikationen waren an das unmittelbar an die Europaführung angebundene "Wirtschafts- und Finanzbüro" (Ekonomi Razi Buroya Iliskin - EMB) zu übermitteln.
13
Im November 1993 gingen Mitglieder und Sympathisanten der PKK weisungsgemäß dazu über, in Deutschland Brandanschläge auf türkische Geschäfte , Banken, Vereinslokale und ähnliche Versammlungsstätten zu verüben. Diese Aktivitäten führten dazu, dass der PKK und der ERNK die Betätigung in Deutschland durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 2002 vereinsrechtlich verboten wurde; das Verbot wurde später auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. In der Folge kam es zu von der Europaführung zentral gesteuerten Protestwellen mit gewalttätigen Ausschreitungen, Autobahnblockaden , Brandanschlägen und Verwüstungsaktionen. Öcalan bezeichnete noch in der ersten Hälfte des Jahres 1996 Deutschland als den "Feind Nr. 2" nach der türkischen Republik.
14
Nachdem die Führung der PKK erkannt hatte, dass diese Aktivitäten in Deutschland den Zielen der Partei abträglich waren, stellte Öcalan das gewaltsame Vorgehen in Deutschland als einen auf einem Missverständnis seiner Anordnungen beruhenden Fehler dar und wies seine Organisation im August 1996 an, alle Gewaltaktionen in Westeuropa einzustellen. Diese Anweisung wurde in der Folgezeit - mit Ausnahme von Besetzungsaktionen im Februar 1999 im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans - befolgt.
15
Die Organisationsstruktur der Partei und deren Ziele bestanden allerdings fort. Die von Öcalan in der Öffentlichkeit verkündete "Garantie", die Mitglieder der PKK würden sich künftig in Deutschland gesetzestreu verhalten, wurde nicht eingelöst:
16
Es wurde ein Arbeitsbereich "heimatgerichtete Aktivitäten" gebildet, dem vor allem die Unterstützung der Guerillakämpfer und der Parteigliederungen in den Heimatgebieten, die Rekrutierung von Nachwuchs, die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen sowie die Organisierung eines Kurierdienstes und von Reisen oblag. Die Grundentscheidungen über diese Aktivitäten traf die Europaführung , die entsprechende Anweisungen an das "Heimatbüro" sowie an die Leiter der Sektoren, Regionen und der Basisorganisationen erließ. Die Europaführung ihrerseits war Adressat von Anordnungen der Parteiführung in der Heimat, die etwa Reisen von Kadern und sonstigen Parteimitgliedern nach Europa zum Gegenstand hatten. Die systematische Durchführung grenzüberschreitender Reisebewegungen wurde mit Hilfe von Straftaten der Urkundenfälschung insbesondere in Form der Verfälschung von Ausweisen und Pässen und solchen des Einschleusens von Ausländern begangen.
17
Daneben nahm die PKK für sich eine Strafgewalt in Anspruch und setzte diese über die Strukturen der Organisation um. Es entwickelte sich bereits in den 1980er Jahren eine Disziplinierungs- und Bestrafungspraxis. Opfer waren zum einen sog. Verräter oder Abweichler, d. h. Angehörige der Organisation oder außenstehende Personen, die durch ein als parteischädigend bewertetes Verhalten aufgefallen waren. Zum anderen maßte sich die PKK eine Strafgewalt im Zusammenhang mit dem Eintreiben von "Spenden" und sonstigen Geldern an und ging mit Drohungen und Gewalt gegen Zahlungsunwillige und Säumige vor. Bei den begangenen Straftaten handelte es sich vor allem um Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen und Bedrohungen. Ab den Jahren 1993/1994 wurde das Strafsystem ausgeweitet; bis 1999 kam es in Deutschland zu zahlreichen Bestrafungsaktionen bis hin zu (versuchten) Tötungsdelikten. Auch nach der Festnahme Öcalans wurde die angemaßte Strafgewalt bis in das Jahr 2007 weiterhin ausgeübt. Formale Grundlage war ein von der PKK auf verschiedenen Parteikongressen beschlossenes und modifiziertes Strafsystem, das mehrere Kategorien von Straftaten vorsah und diese in verschiedene Schweregrade unterteilte.
18
Der Angeklagte war unter dem Decknamen "D. " von Juli 2004 bis Juni 2007 ununterbrochen als hauptamtlicher Kader mit der Funktion eines Gebietsverantwortlichen für die PKK tätig. In der Zeit von Juli 2004 bis Ende Mai 2005 leitete er das Gebiet N. . Anschließend war er in der Zeit von Juni 2005 bis Juni 2006 für das Gebiet M. zuständig. Von Juli 2006 bis Juni 2007 fungierte er als Leiter des Gebiets Da. . Er nahm die für einen Gebietsverantwortlichen typischen Leitungsaufgaben wahr und regelte die organisatorischen , finanziellen, personellen sowie propagandistischen Angelegenheiten seines jeweiligen Zuständigkeitsbereichs. Z. B. war er in erheblichem Umfang damit befasst, Veranstaltungen der PKK und Zusammenkünfte ihrer Mitglieder und Sympathisanten zu organisieren und zu koordinieren; außerdem stellte er sicher, dass die in seinem Gebiet ansässigen Kurden sich auch an überregionalen Veranstaltungen beteiligten. Er koordinierte die Arbeit der ihm nachgeordneten Kader und Aktivisten; außerdem berichtete er den ihm übergeordneten Kadern - etwa dem damaligen Finanzverantwortlichen der PKK für Europa "S. " - und befolgte deren Anweisungen. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehörte das Eintreiben und Weiterleiten von "Spendengeldern" und sonstigen finanziellen Mitteln. Er war in die Bestrafungs- und Disziplinierungsmaßnahmen der Organisation eingebunden und gab Anweisungen zum Vorgehen gegen säumige oder unwillige "Spendenzahler".
19
b) Das Oberlandesgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten rechtlich als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB gewürdigt. Im Tatzeitraum habe ein in Deutschland auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von Funktionären der PKK bestanden, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsam kriminelle Zwecke verfolgten und kriminelle Tätigkeiten entfalteten. Zwecke und Tätigkeiten dieser Vereinigung seien darauf gerichtet gewesen, das Erscheinungsbild nach außen prägende und nicht nur un- tergeordnete Straftaten zu begehen, namentlich im Bereich "heimatgerichtete Aktivitäten" Urkundendelikte und Vergehen nach dem Asylverfahrens- und Aufenthaltsgesetz sowie im Bereich Bestrafungs- und Disziplinierungswesen Körperverletzungen , Freiheitsberaubungen, Nötigungen und Bedrohungen. Personelle Träger der kriminellen Vereinigung seien die Mitglieder der Europazentrale , die Sektor- und Gebietsleiter sowie weitere mit Sonderzuständigkeiten ausgestattete Kader gewesen; der Angeklagte habe als Gebietsverantwortlicher zu diesem Kreis gezählt.
20
2. Diese Wertung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass die in Deutschland tätigen Führungskader der PKK im Tatzeitraum eine - im Verhältnis zur Gesamtorganisation eigenständige - kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB bildeten.
21
a) Die rechtliche Einordnung des inländischen Funktionärskörpers der PKK durch das Oberlandesgericht entspricht allerdings der bisherigen ständigen Rechtsprechung. Danach galt:
22
aa) Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; s. aus neuerer Zeit BGH, Beschluss vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668; Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 107 ff.). Das notwendige voluntative Element ist regelmäßig hinreichend belegt, wenn festgestellt ist, dass die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel verfolgen, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammenwirken (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216).
23
Der Senat hat in der jüngeren Vergangenheit in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass auch mit Blick auf Rechtsakte der Europäischen Union an dieser Umschreibung einer kriminellen Vereinigung festzuhalten ist und es gegebenenfalls dem Gesetzgeber obliegt, als erforderlich angesehene Modifikationen vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 110 f.; Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 f.). Dies gilt fort.
24
bb) Vor Inkrafttreten des durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) in das Strafgesetzbuch eingefügten § 129b StGB am 30. August 2002 war ein organisationsbezogenes Verhalten mit Blick auf den räumlichen Geltungsbereich des Verbots nach Art. 9 Abs. 2 GG, an das die §§ 129, 129a StGB anknüpfen, nur dann nach diesen Vorschriften strafbar, wenn es sich auf eine Vereinigung bezog, die innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestand (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschlüsse vom 5. Januar 1982 - StB 53/81, BGHSt 30, 328; vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01). Hierfür reichte es indes aus, dass eine ausländische Gruppierung eine Teilorganisation in Deutschland unterhielt, die ihrerseits die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllte. Nicht erforderlich war es jedoch, dass sich auch die gruppeninterne Willensbildung autonom innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzog; vielmehr genügte es, wenn deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen Organisation integriert waren und sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwarfen, sie mithin von der ausländischen (Haupt-)Vereinigung "gelenkt" wurden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschluss vom 12. Oktober 2001 - AK 14/01).
25
cc) In Anwendung dieser Maßstäbe wurden die in Deutschland agierenden Führungskader der PKK als eigenständige Vereinigung angesehen (s. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 - AK 10, 11/99, BGHR StGB § 129 Straftaten 1; vom 20. Dezember 2001 - AK 21/01, BGHR StGB § 129 Straftaten 2; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01; vom 18. Januar 2002 - AK 1/02). Für die Zeit von November 1993 bis August 1996 galt die Gruppierung als terroristische Vereinigung nach § 129a StGB aF, da ihre Zwecke und Tätigkeit insbesondere auch auf die Begehung von Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, etwa Brandstiftungsdelikte, gerichtet waren (s. etwa BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07). Für die Zeit danach wurde der führende inländische Funktionärskörper der PKK als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB eingestuft, wobei die Zwecke und Tätigkeit sich bis etwa Ende 1999 auf drei Bereiche von Straftaten richteten, namentlich demonstrative Gewalttaten und Delikte im Zusammenhang mit den Aktivitäten des "Heimatbüros" sowie mit der angemaßten Strafgewalt. Ab Anfang 2000 bezogen sich die Zwecke und Tätigkeit der in Deutschland agierenden Führungsebene jedenfalls noch auf Straftaten in den Bereichen "Heimatbüro" und Strafsystem (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268).
26
dd) Die Strafverfolgungspraxis hat diese Maßstäbe auch nach Inkrafttreten des § 129b StGB angewendet und den im Inland tätigen führenden Funktio- närskörper der PKK bzw. deren Nachfolge- und Unterorganisationen weiterhin als inländische Vereinigung bewertet. Der Senat hat diese Würdigung bisher in mehreren Entscheidungen (s. etwa BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 274; Beschlüsse vom 11. November 2004 - AK 13/04, insoweit in BGHR StGB § 129 Strafzumessung 1 nicht abgedruckt; vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07; vom 12. Februar 2009 - AK 1/09; vom 9. April 2009 - AK 7/09) - darunter auch einem Haftfortdauerbeschluss in dem vorliegenden Verfahren (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - AK 16/08) - auf der jeweiligen Grundlage der tatgerichtlichen Feststellungen bzw. der Ermittlungsergebnisse gebilligt.
27
b) Hieran hält der Senat nicht länger fest. Er sieht sich vielmehr vor allem mit Blick auf die durch die Einfügung des § 129b StGB in das Strafgesetzbuch veränderte Rechtslage zu folgender neuen rechtlichen Bewertung veranlasst (s. schon BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042):
28
Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Hieraus folgt insbesondere auch, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen (Haupt )Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht. Aus die- sem Grund wird das für die Annahme einer Vereinigung notwendige voluntative Element in Bezug auf die Teilorganisation auch nicht allein dadurch hinreichend belegt, dass die Mitglieder dieser Gruppe mittel- oder langfristig ein gemeinsames , politisch/ideologisches Ziel verfolgen, wenn dieses Ziel von der Gesamtorganisation vorgegeben wird.
29
Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
30
aa) § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt, dass die §§ 129, 129a StGB auch für Vereinigungen im Ausland gelten. Die Vorschrift erfasst - soweit hier von Bedeutung - jede Beteiligung an einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit, ohne dass es darauf ankommt, ob in Deutschland Organisationsstrukturen der ausländischen Vereinigung vorhanden sind. Das Handeln des Täters im Inland wird typischerweise durch seine Einbindung in die ausländische Organisation und seine Unterwerfung unter die auf deren Ebene getroffenen Entscheidungen bestimmt. Dabei macht es für die Strafbarkeit wegen der Tätigkeit für eine ausländische Vereinigung keinen Unterschied, ob es bei dem isolierten Handeln eines Einzelnen verbleibt oder ob die Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken bedingen; denn allein aus einer solchen gemeinschaftlichen Beteiligungshandlung im Inland lässt sich das Bestehen einer gesonderten inländischen Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB, die neben die ausländische Organisation tritt, nicht ableiten.
31
bb) Bilden die in Deutschland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129b StGB erfassten hinausgeht. Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung und Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte abstrakte Gefährlichkeit für wichtige Güter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51). Diese größere Personenzusammenschlüsse kennzeichnende Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1978 - 3 StR 105/78, BGHSt 28, 147, 148 f.). Für das Entstehen dieser typischerweise von den einzelnen Mitgliedern der Vereinigung nicht mehr voll steuerbaren Eigendynamik sind vor allem die eine bestimmte Festigkeit aufweisende innere Organisationsstruktur sowie die auf Dauer angelegte organisierte Willensbildung von Belang. Besteht eine ausländische, diese Merkmale aufweisende kriminelle oder terroristische Vereinigung, so wird deshalb der vereinigungsspezifische Unrechtsgehalt der Tat bereits durch deren Ahndung unter diesem Gesichtspunkt erfasst. Für eine zusätzliche - gegebenenfalls tateinheitlich neben den Schuldspruch nach § 129b StGB tretende - Verurteilung nach § 129 oder § 129a StGB ist daher kein Raum. Sie ist mit Blick auf die Betätigung für eine inländische Gruppierung nur dann gerechtfertigt, wenn diese eigenständig alle Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt und aus diesem Grunde die abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit erhöht.
32
cc) § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erfordert für die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und damit die Erfüllung einer besonderen Prozessvoraussetzung. Dies gilt auch dann, wenn die Tat durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Zweck des Ermächtigungsvorbehalts ist es insbesondere, der Exekutive die Möglichkeit einzuräumen, auf die Durchführung eines Strafverfahrens zu verzichten, wenn dieses unverhältnismäßige außenpo- litische Nachteile mit sich bringen würde (BT-Drucks. 14/8893 S. 17; Altvater NStZ 2003, 179, 181). Es entspricht somit der Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Verfolgung einer Tat im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB von der Prüfung abhängig zu machen, ob außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt sein können. Dieses Erfordernis würde umgangen, wollte man bei einer inländischen Teilorganisation einer ausländischen Gruppierung auf die für eine eigenständige Vereinigung konstitutiven Voraussetzungen auch nur teilweise verzichten.
33
c) Gemessen an diesem Maßstab wird das Bestehen einer eigenständigen inländischen, aus den in Deutschland agierenden Führungskadern der PKK zusammengesetzten kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB durch die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht belegt; denn diese Gruppierung vollzog nicht einen eigenen, auf die Zwecke der Vereinigung gerichteten Willensbildungsprozess. Damit ist das Willenselement einer Vereinigung nicht gegeben. Der festgestellte Sachverhalt trägt auch nicht die Bewertung , bei der Europaführung der PKK handele es sich um eine eigenständige Vereinigung. Er lässt es vielmehr nahe liegend erscheinen, dass die PKK insgesamt die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland erfüllt, bei welcher der maßgebende Vereinigungswille außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gebildet wird und der Schwerpunkt der Strukturen sowie das eigentliche Aktionsfeld in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran liegen (zu den maßgeblichen Abgrenzungskriterien für die Entscheidung der Frage, ob eine Vereinigung, die sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in anderen Staaten Tätigkeiten entfaltet, als in- oder ausländische Vereinigung zu bewerten ist, vgl. Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 523). Im Einzelnen:
34
aa) Die PKK war insgesamt zentralistisch und hierarchisch organisiert. In diesen Aufbau war die Organisation in Deutschland nahtlos eingegliedert. Die in Deutschland agierenden Kader verfolgten aufgrund der gemeinsamen politisch /ideologischen Überzeugung und dem auf dieser Basis unterhaltenen, nach Art, Inhalt und Intensität engem Beziehungsgeflecht zu den im Ausland tätigen Kadern jeweils diejenigen über den bloßen Zweckzusammenhang hinausreichenden politisch/ideologischen Zielsetzungen, die von der Gesamtorganisation vorgegeben wurden. Von deren jeweiligen Vorstellungen abweichende Ziele der inländischen Gruppierung sind nicht festgestellt. Die Endziele der PKK wurden vielmehr von deren Führern entwickelt bzw. auf deren Versammlungen beschlossen. Sie waren für die in Deutschland tätigen Kader verbindlich. Deren hauptsächliche Aufgabe bestand vor allem darin, die von den übergeordneten Führungsebenen erteilten Direktiven umzusetzen und auf diese Weise die PKK insgesamt zu unterstützen. Die wesentlichen Grundsätze der Art und Weise der Umsetzung wurden dabei ebenfalls von der Spitze der PKK vorgegeben. Die enge Verbindung zwischen der im Ausland tätigen Gruppierung und den hiesigen Kadern tritt auch im Hinblick auf die umfangreichen Berichtspflichten zu Tage, mit denen u.a. der wesentliche Einfluss der übergeordneten Funktionäre und Gremien abgesichert wurde. Eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der PKK bezogene Willensbildung der Kader in Deutschland fand demgegenüber weder bezüglich der - sich im Laufe der Zeit nach den Vorgaben der Gesamtorganisation ändernden - Zielsetzung noch der Wahl der verwendeten Mittel bzw. der durchgeführten Aktionsformen statt. Dies wird deutlich etwa im Bereich der Finanzen, bei dem sich die in Deutschland handelnden Führungsfunktionäre streng nach den ihnen erteilten Direktiven zu richten hatten. Aber z. B. auch in dem Bereich der "heimatgerichteten Aktivitäten" war die inländische Organisation nicht eigenständig tätig. Sie befolgte vielmehr auch hier die Anweisungen der Leitung der Gesamtorganisation, die teilweise sogar Schleusungen im Einzelfall betrafen.
35
Danach verblieb für die inländische Teilorganisation ein Bereich eigenverantwortlicher Entscheidungen nur im Rahmen der Ausführung der vorgegebenen Direktiven; allein dieser limitierte Entscheidungsspielraum konnte durch eine eigenständige Willensbildung der inländischen Unterorganisation ausgefüllt werden. Dies genügt für die Bejahung des Willenselements der Vereinigung nicht.
36
bb) Entsprechendes gilt, soweit man - den Ausführungen des Generalbundesanwalts folgend - über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus den führenden Funktionärskörper der PKK in Westeuropa in den Blick nimmt. Auch diese Gruppierung erfüllt nach den bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen einer eigenständigen (Teil-)Vereinigung nicht. Die auf Europaebene tätigen Funktionäre - bei denen es sich jedenfalls zeitweise überwiegend um enge Weggefährten Öcalans handelte - waren zwar den nationalen Teilen der Organisation in Westeuropa übergeordnet und insoweit weisungsbefugt. Sie erhielten ihre Direktiven indes von der Spitze der Gesamtorganisation und waren in deren zentralistisches und hierarchisches System integriert. Für eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der Vereinigung bezogene Willensbildung der europäischen Führungsgruppe ergeben die bisherigen Feststellungen ebenfalls nichts.
37
cc) Die - auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen erfolgte - Neubewertung der PKK trägt schließlich zu einer insgesamt harmonischeren, in sich stimmigeren Rechtsanwendung in dem Bereich der Vereinigungskriminalität bei; denn im Gegensatz zu der bisher zur PKK vertretenen Auffassung würdigt die Strafverfolgungspraxis Organisationen, die in ihrer Struktur der PKK ähnlich sind, nach Inkrafttreten des § 129b StGB rechtlich insgesamt als terroristische Vereinigung im Ausland. So ist etwa - wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist - die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front), eine marxistisch-leninistisch orientierte, wie die PKK hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung, die das Ziel verfolgt, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, auch außerhalb der Türkei, insbesondere in Westeuropa, aktiv. Aufgabe der vor allem auch in Deutschland bestehenden Organisationseinheiten ist es - ähnlich der PKK -, finanzielle Mittel zu beschaffen, Nachwuchs zu rekrutieren sowie einen Rückzugsraum für Mitglieder der Organisation zu bilden. Das Bundesministerium der Justiz hat am 29. Juli 2003 die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 und 4 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung erteilt. Eine auf den Vorwurf gegründete Strafverfolgung, die in Deutschland aktiven Führungsfunktionäre bildeten eine selbstständige inländische Vereinigung nach den §§ 129, 129a StGB, findet, soweit für den Senat ersichtlich, jedenfalls in den Fällen nicht statt, in denen die Tatzeit nach Inkrafttreten des § 129b StGB liegt. Zwar sollen die Unterschiede zwischen der PKK und der DHKP-C nicht verkannt werden. So sind etwa die jeweiligen Strukturen nicht völlig deckungsgleich und die Funktionäre und Aktivisten der DHKP-C nach der Gewaltverzichtserklärung vom Februar 1999 in Deutschland zunächst nicht mehr nach den §§ 129, 129a StGB, sondern nur wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz strafrechtlich verfolgt worden. Auch genießt die PKK in der Öffentlichkeit eine größere Aufmerksamkeit und die Anzahl ihrer Mitglieder und Sympathisanten ist deutlich größer als bei der DHKP-C. Jedoch rechtfertigen allein diese Umstände eine ungleiche Bewertung der Organisationen als ausländische Vereinigung jedenfalls nach Inkrafttreten des § 129b StGB nicht. Insbesondere wäre eine unter- schiedliche rechtliche Einordnung, die sich im Wesentlichen lediglich auf die verschiedene Größe und Bedeutung der Gruppierung gründen würde, mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren; diese gelten für alle Organisationen in gleicher Weise.
38
3. Eine eigene Sachentscheidung des Senats scheidet aus.
39
Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Feststellungen vor dem Hintergrund der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. zur Frage der Gerichtskundigkeit KK-Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 137 ff.; LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 208 ff., jeweils mwN). Die Umstellung des Schuldspruchs auf eine Beteiligung des Angeklagten als Mitglied an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129, § 129a jeweils i.V.m. § 129b StGB kommt nicht in Betracht, weil die Feststellungen, die das Oberlandesgericht mit Blick auf eine inländische kriminelle Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB getroffen hat, keine hinreichende Grundlage für die Bewertung der Organisation als kriminelle oder terroristische Vereinigung im Ausland bilden. Dies gilt sowohl für die PKK insgesamt als auch für deren Organisation in Europa. Soweit sich die Tat möglicherweise auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezieht, fehlt es darüber hinaus an der für eine Verfolgung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderlichen Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz; eine solche ist bisher bezüglich der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen nicht erteilt worden. Im Übrigen ist eine Verurteilung nach § 129 Abs. 1 StGB durch ein neues Tatgericht nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen; denn das Oberlandesgericht hat sich erkennbar an den Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung ausgerichtet und bei der Ermittlung des Sachverhalts die nunmehr maßgeblichen Gesichtspunkte nicht im Blick gehabt. Denkbar erscheint es ebenso , dass nach neu zu treffenden Feststellungen die mitgliedschaftliche Be- teiligung an einer kriminellen inländischen Vereinigung in Tateinheit zu einer Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland steht; denn eine Gruppierung kann sich etwa auch in der Art organisieren und strukturieren, dass neben einzelnen regionalen Vereinigungen eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, und beide Gruppierungen die Kriterien einer Vereinigung erfüllen. Einzelne Mitglieder können sich dann sowohl an der regionalen als auch an der Dach-Vereinigung und damit gegebenenfalls an zwei Vereinigungen beteiligen (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4, 5/01, BGHSt 46, 349, 354). Schließlich steht einer Umstellung des Schuldspruchs auch § 265 StPO entgegen; denn der Angeklagte hatte vor dem Hintergrund des Anklagevorwurfs, welcher der bisherigen Rechtsprechung entsprach, ohne einen diesbezüglichen Hinweis keine ausreichende Möglichkeit, sich gegen den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland angemessen zu verteidigen. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
40
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
41
a) Die Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3, 4 StGB ist als Prozessvoraussetzung einzuordnen (Altvater NStZ 2003, 179, 182); sie kann deshalb auch noch während des laufenden Strafverfahrens wirksam erteilt werden.
42
b) Der möglichen Beteiligung des Angeklagten an einer ausländischen Vereinigung als Mitglied stünde gegebenenfalls nicht grundsätzlich entgegen, dass er sich im Inland und damit außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets der Kernorganisation aufhielt. In einem solchen Fall bedürfen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft zwar besonderer Prüfung (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 112 f.); dies bedeutet indes nicht, dass sie von vornherein ausgeschlossen sind. Maßstab sind auch in diesen Fallkonstellationen die allgemeinen Kriterien für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung (BGH aaO).
43
5. Obwohl es sich nach den bisherigen Feststellungen bei dem Angeklagten um einen Gebietsverantwortlichen und damit um einen Führungskader der Organisation handelte, sieht der Senat vorsorglich Anlass zu folgender Bemerkung :
44
Anhaltspunkte dafür, dass bezüglich der Mitgliedschaft in der Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre bzw. Kadern einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren ist, sind den bisherigen Feststellungen in Ansehung der Struktur der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen nicht zu entnehmen. Der Senat hat die entsprechende Unterscheidung zwar bisher gebilligt und entschieden, dass dann, wenn nur ein Kern der Gruppierung strafrechtlich relevante Ziele verfolgt, lediglich dieser eine kriminelle Vereinigung bildet; die außenstehenden weiteren Mitglieder der Gruppierung können dann aber Unterstützer der Vereinigung sein (BGH, Beschluss vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 36 = NJW 1999, 1876, 1878). Es ist jedoch kein ausreichender sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der Organisation dieser anschließt und in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied der Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre angehört (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10). Dies entspräche auch nicht den Vorstellungen und dem Willen des Gesetzgebers, der etwa anlässlich der Einfügung des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO als Beispiel für untergeordnete , den Tatbestand gleichwohl erfüllende Beteiligungshandlungen die Entrichtung von Mitgliedsbeiträgen oder die Vornahme einfacher Hilfsdienste, mit- hin Tätigkeiten mit weit geringerem Gewicht als die Ausübung einer Führungsfunktion , genannt hat (BT-Drucks. 14/8893, S. 10; LK-Krauß, 12. Aufl., § 129b Rn. 38). Die Einstufung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL als terroristische Vereinigung durch die Europäische Union (vgl. aus der neueren Zeit Gemeinsamer Standpunkt 2009/ 468/GASP des Rates vom 15. Juni 2009 zur Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2009/67/GASP, Anhang Ziffer 2. 25., ABl. L 151/49; Beschluss 2010/386/GASP des Rates vom 12. Juli 2010 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Anwendung finden, Anhang Ziffer 2. 16., ABl. L 178/28) enthält ebenfalls keine Einschränkung auf einen bestimmten Personenkreis innerhalb der Organisation. Der Senat verkennt mit Blick auf die große Zahl der in Deutschland für die PKK und ihre Nachfolgesowie Teilorganisationen aktiven Personen zwar nicht, dass nach dieser Maßgabe der Kreis potentieller Beschuldigter unter Umständen deutlich größer werden und der Unrechtsgehalt der Tat sowie das Maß des Verschuldens stark unterschiedlich zu bewerten sein kann. Diesen Umständen wird - gegebenenfalls etwa durch Anwendung der § 129 Abs. 5, § 129a Abs. 6 StGB, §§ 153b, 153c StPO - im Einzelfall angemessen Rechnung zu tragen sein.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.