Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 142/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:270917B4STR142.17.0
bei uns veröffentlicht am27.09.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 142/17
vom
27. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:270917B4STR142.17.1

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. September 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 20. Dezember 2016, soweit es ihn betrifft , mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen gewerbsmäßiger Hehlerei in zwei Fällen, Betruges in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Anstiftung zum Missbrauch von Wegstreckenzählern, wegen Anstiftung zum Missbrauch von Wegstreckenzählern sowie wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchtem Betrug“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO Erfolg. Die weiteren Verfahrensrügen sowie die Sachrüge bedürfen daher keiner näheren Erörterung.
3
Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht in seiner Be- weiswürdigung davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe sich „zur Sache nicht eingelassen“, obwohl er sich, was durch dasHauptverhandlungsprotokoll bewiesen ist, am 10. Hauptverhandlungstag zur Sache eingelassen hat.
4
1. Die Rüge ist zulässig erhoben.
5
Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts gehört der Inhalt der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht zu den den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und musste deshalb in der Revisionsrechtfertigung auch nicht vorgetragen werden. Den Inhalt der Sacheinlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung festzustellen – in welcher Form auch immer diese erfolgt ist – ist Sache des Tatrichters, der dafür bestimmte Ort sind die Urteilsgründe (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Einlassung 1; vom 10. Dezember 2014 – 3 StR 489/14, NStZ 2015, 473).
6
2. Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg.
7
a) Angesichts der durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesenen Tatsache (§ 274 StPO), dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 15. Dezember 2016 „weiter zur Sache“ aussagte, sind die Urteilsgründe lückenhaft. Sie ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung, ob der Tatrichter bei der Urteilsfindung alles verwertet hat, was Gegenstand der Hauptverhandlung war. Vielmehr ist zu besorgen, dass das Landgericht bei der Beweiswürdigung die Einlassung des Angeklagten nicht mit berücksichtigt hat und seiner Überzeugungsbildung deshalb eine tragfähige Grundlage fehlt (vgl. BGH, Be- schlüsse vom 10. August 2007 – 2 StR 204/07, StV 2008, 235; vom 22. Juni 2017 – 1 StR 242/17).
8
b) Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 261 StPO beruht. Der Inhalt der Einlassung des Angeklagten ist wegen des Verbots, den Inhalt der Hauptverhandlung zu rekonstruieren, der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht zugänglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. August 2003 – 3 StR 17/03, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Äußerung 8; vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08, BGHSt 52, 175, 180; vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Einlassung 1; im Ergebnis ebenso BGH, Beschluss vom 22. Juni 2017 – 1 StR 242/17).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 142/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 142/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Sept. 2017 - 4 StR 142/17 zitiert 6 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (

Strafprozeßordnung - StPO | § 274 Beweiskraft des Protokolls


Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Referenzen - Urteile

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 516/08
vom
9. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Dezember 2008
einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 9. Juli 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu der Begründung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Die Rüge, die Strafkammer habe unter Verstoß gegen § 261 StPO ihrem Urteil ein Geständnis des Angeklagten auch in Bezug auf die Tat 1 zugrunde gelegt, das dieser nicht abgegeben hat, ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässig erhoben. Der Beschwerdeführer musste den Inhalt der Erklärung, die der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegeben hat und deren Abschrift sodann als Anlage zum Protokoll genommen worden ist, nicht vortragen. Es handelt sich nicht um eine den behaupteten Mangel begründende Tatsache. Wenn sich der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann - unnötigerweise - vom Gericht entgegengenommen und als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen hat (BGH, Beschl. vom 10. November 2008 - 3 StR 390/08). Der Text der Protokollanlage ist deshalb nicht geeignet darzulegen (oder gar zu beweisen), wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingelassen hat. Aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergibt sich deshalb nicht die Pflicht, ihn mit der Revision vorzutragen. Die Rüge ist indes, wie der Generalbundesanwalt in seinen hilfsweise gemachten Erwägungen zutreffend ausgeführt hat, unbegründet. Die Behauptung, der Angeklagte habe sich anders eingelassen , als dies in den Urteilsgründen dokumentiert ist, könnte nur durch eine Rekonstruktion des Inhalts der Hauptverhandlung bewiesen werden. Eine solche ist dem Revisionsverfahren insoweit fremd. Ein Freibeweis darüber, dass die Einlassung des Angeklagten einen anderen Inhalt hatte, als er im Urteil festgestellt wurde, ist nicht zulässig (vgl. - zum Inhalt einer Zeugenaussage - BGHSt 21, 149, 151). Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Schäfer

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 242/17
vom
22. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:220617B1STR242.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat zum Einlassungsverhalten des Angeklagten ausgeführt, dass er sich lediglich bei der Eröffnung des Haftbefehls nach seiner Festnahme „nicht geständig“ eingelassen habe, ohne den Inhalt seiner Erklärung darzulegen. Ausdrücklich wird festgestellt, dass er sich in der Hauptverhandlung zur Sache nicht eingelassen habe (UA S. 24).
3
Demgegenüber macht die Revision – bestätigt durch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 19. Januar 2017 – geltend, dass der Verteidiger am vierten Hauptverhandlungstag eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgegeben habe, wobei sich der Angeklagte diese Erklärung ausdrücklich zu Eigen gemacht habe.
4
Mit dieser Sachdarstellung hat die Verfahrensrüge Erfolg. Dem Senat ist es verwehrt, Überlegungen darüber anzustellen, ob der Inhalt der als Anlage zum Protokoll genommenen und von der Revision mitgeteilten Erklärung des Angeklagten sich auf die Feststellungen des Urteils ausgewirkt hätte, wenn diese von der Strafkammer in ihre Erwägungen einbezogen worden wäre, weil die Beweiswürdigung allein dem Tatgericht obliegt.
Raum Jäger Bellay Cirener Fischer

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 6/08
vom
27. März 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
__________________
Zur Verlesung von schriftlichen Erklärungen des Angeklagten durch das Gericht
und zur Behandlung hierauf gerichteter Beweisanträge.
BGH, Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - LG Hildesheim
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 27.
März 2008 gemäß §§ 44, 46 Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zur Wiederholung einer Verfahrensrüge wird
zurückgewiesen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 1. Juni 2007 im Strafausspruch
aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. Mai 2004 (15 KLs 5423 Js 81242/00) erkannten Strafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Mona- ten verurteilt. Außerdem hat es bestimmt, dass die "von dem Angeklagten in dem einbezogenen Urteil bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen angerechnet wird".
2
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten haben seine beiden Verteidiger mit mehreren Verfahrensrügen und der Sachrüge fristgerecht begründet. Die von Rechtsanwalt Dr. W. erhobene Rüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO), hat den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt, weil der Gerichtsbeschluss vom 23. Januar 2006, mit dem der Besetzungseinwand zurückgewiesen worden war, nicht mitgeteilt worden ist. Von diesem Formfehler hat der Angeklagte durch die seinen Verteidigern zugestellte Stellungnahme des Generalbundesanwalts erfahren. Daraufhin hat er durch Rechtsanwalt Dr. W. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung der Verfahrensrüge beantragt und in der Anlage die um den Gerichtsbeschluss ergänzte Rüge übergeben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe die Frist zu deren Erhebung unverschuldet versäumt, weil er sich auf die ordnungsgemäße Sachbearbeitung durch den Verteidiger habe verlassen können.
3
I. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.
4
Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinen Verteidigern mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensrügen fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7). Auch die Rüge fehlerhafter Gerichtsbeset- zung ist nicht verspätet, sondern lediglich nicht in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form erhoben worden.
5
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46). Die Gegenmeinung, die in einem solchen Fall aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit generell Wiedereinsetzung gewähren will (vgl. Wendisch in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 44 Rdn. 16; Berndt StraFo 2003, 112, 114) berücksichtigt nicht ausreichend, dass Formvorschriften zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Strafprozesses erforderlich sind.
6
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschl. vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 44 Rdn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
7
Auch bei Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bliebe die ergänzte Rüge ohne Erfolg; denn sie wäre unbegründet, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat.
8
II. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler auf. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bedarf der näheren Erörterung lediglich die Beanstandung, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2, 3 StPO die schriftliche Erklärung des Angeklagten vom 3. November 2006 nicht im Wege des Urkundsbeweises verlesen.
9
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
10
In der Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen , die D. GmbH zur Auszahlung eines Darlehens von 2,4 Mio. DM durch die Täuschung über den Verwendungszweck des Geldes - den Kauf von Geräteteilen zur Herstellung von 20 Kaltlichtbestrahlungsgeräten - veranlasst zu haben. Nach Verlesung der Anklageschrift hat sich der Angeklagte zur Sache nicht eingelassen. In der Hauptverhandlung vom 10. November 2006 (41. Hauptverhandlungstag) hat er beantragt, im Wege des Urkundsbeweises sein an das Landgericht adressiertes, zur Strafakte gelangtes Schreiben vom 3. November 2006 zu verlesen zu dem Beweisthema: "Die Verlesung wird folgenden Wortlaut der Erklärung ergeben: ….". Angefügt war dem Antrag das vierseitige Schreiben im Wortlaut. In ihm hat sich der Angeklagte zur finanziellen Lage der D GmbH geäußert, die bisherige Beweisaufnahme bewertet und insbesondere die Behauptung aufgestellt, es sei zwischen ihm und der durch den Zeugen De. vertretenen D. GmbH tatsächlich ein Kaufvertrag über 20 Kaltlichtbestrahlungsgeräte abgeschlossen worden, der nur zur Beschönigung der Bilanz der GmbH als Darlehensvertrag bezeichnet worden sei; das ausbezahlte Darlehen habe in Wirklichkeit eine Anzahlung auf den Kaufpreis sein sollen. Außerdem hat er in dem Schreiben mehrere Beweisbehauptungen aufgestellt und dafür Beweismittel benannt.
11
Mit Beschluss vom 20. November 2006 hat die Strafkammer den Verlesungsantrag mit folgender Begründung abgelehnt: "Soweit der Angeklagte beantragt , seine eigene Erklärung zu verlesen, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, weil es an einer Beweistatsache fehlt. Da der Angeklagte wiederholt … erklärt hat, er wolle sich nicht einlassen, sieht sich die Kammer daran gehindert, die Erklärung von Amts wegen zu verlesen. Die schriftliche Äußerung des Angeklagten spiegelt seine Auffassung und Meinung zu bestimmten Geschehnissen wieder. Würde sie verlesen, käme dies einer Einlassung insoweit gleich (sog. Einlassungssurrogat). Damit wäre die Möglichkeit zur Bewertung seines Schweigens zu diesen Punkten im Übrigen eröffnet, was der Angeklagte gerade ausdrücklich nicht wünscht."
12
2. Die Rüge hat keinen Erfolg. Die Ablehnung des Antrags hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
13
a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Begehren des Angeklagten nicht um einen Beweisantrag handelte, der nur unter einer der Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO hätte zurückgewiesen werden können.
14
aa) Das Schreiben des Angeklagten vom 3. November 2006 enthielt - wenn man von den Beweisanträgen absieht, über die das Landgericht gesondert entschieden hat und die nicht Gegenstand der Rüge sind - sowohl seiner Zweckbestimmung als auch seinem Inhalt nach im Kern eine den Vorwurf des Betrugs bestreitende Einlassung zur Sache, auch wenn der Angeklagte wieder- holt ausdrücklich erklärt hatte, von seinem Schweigerecht Gebrauch machen zu wollen. Ist ein Angeklagter aber bereit, Angaben zur Sache zu machen, so ist er gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 2 StPO zu vernehmen. Die Vernehmung erfolgt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem Zweck der Vorschrift durch eine mündliche Befragung mit mündlichen Antworten (BGH NStZ 2000, 439; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 243 Rdn. 44; Meyer-Goßner aaO § 243 Rdn. 30). Der Angeklagte hat daher keinen Anspruch darauf, dass das Gericht seine schriftliche Einlassung in der Hauptverhandlung verliest (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906 - insoweit in BGHSt 40, 211 nicht abgedruckt; BGH NStZ 2000, 439; 2004, 163, 164; StV 2007, 622; Tolksdorf aaO § 243 Rdn. 44 m. w. N.; Frister in SK-StPO 54. Lfg. § 243 Rdn. 71). Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte zu dem in § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO vorgesehenen Zeitpunkt der Hauptverhandlung zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, in deren späteren Verlauf jedoch zum Anklagevorwurf Stellung nehmen will (vgl. BGH NStZ 1986, 370).
15
bb) Diese gesetzlich vorgesehene Form der Einlassung des Angeklagten kann nicht dadurch umgangen werden, dass dieser seine Stellungnahme zur Anklage in einem Schreiben an das Gericht niederlegt und nach dessen Eingang einen Antrag auf Verlesung des Wortlauts im Urkundsbeweis stellt. Die Beweisbehauptung, der Angeklagte habe sich in einem Schriftstück in einer bestimmten Weise zum Tatvorwurf geäußert, betrifft für sich grundsätzlich keine für die Entscheidung über den Schuldspruch oder Rechtsfolgenausspruch relevante Beweistatsache, die im formellen Strengbeweis aufzuklären ist (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906; NStZ 2000, 439; StV 2007, 622; Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 18 m. w. N.; aA Schlothauer StV 2007, 623, 625). Anders liegt es nur, wenn gerade der Inhalt des Schriftstückes an sich als Beweisgrundlage für den Urteilsspruch heranzuziehen ist. Im Einzelnen:
16
Die Sacheinlassung eines Angeklagten ist zwar Teil der Beweisaufnahme im materiellen Sinn, weil sie den Umfang der durchzuführenden formellen Beweisaufnahme bestimmt und über eine Tatsache, die dieser glaubhaft eingestanden hat, kein Beweis erhoben werden muss (vgl. Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 3; Schlüchter in SK-StPO aaO § 244 Rdn. 26, 28; vgl. auch Frister in SK-StPO aaO § 243 Rdn. 52). Sie gehört jedoch nicht zu der in den §§ 244 - 257 StPO geregelten formellen Beweisaufnahme und ist damit kein Beweismittel im technischen Sinn (vgl. Schlüchter aaO). Dies ergibt sich schon daraus, dass gemäß § 243 Abs. 3 und 4, § 244 Abs. 1 StPO die Vernehmung eines aussagebereiten Angeklagten zur Sache nach Verlesung der Anklageschrift vor Beginn der eigentlichen Beweisaufnahme erfolgt und das Gesetz somit eine Trennung der Einlassung von der formellen Beweisaufnahme vorsieht (Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 2).
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An dieser gesetzlichen Konzeption ändert sich im Grundsatz nichts dadurch , dass der Angeklagte auf sein Recht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, sich vor der formellen Beweisaufnahme mündlich zum Tatvorwurf zu äußern, verzichtet und statt dessen rechtliches Gehör in der Weise in Anspruch nimmt, dass er dem Gericht eine schriftliche Stellungnahme zu der Beschuldigung überreicht oder zusendet. Nicht anders als bei einer mündlichen Einlassung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO erwächst dem Gericht hieraus zunächst lediglich die Verpflichtung, das Vorbringen des Angeklagten zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, inwieweit dieses nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO Anlass gibt, die Sachaufklärung durch formelle Beweisaufnahme auf bestimmte zusätzliche Gesichtspunkte zu erstrecken. Es gilt hier nichts anderes als in den Fällen, in denen sich der Angeklagte schon vor der Hauptverhandlung schriftlich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf geäußert hat, etwa nach § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO, durch Einwendungen im Sinne des § 201 Abs. 1 StPO oder im Zusammenhang mit Anträgen nach § 219 Abs. 1 StPO. Insoweit ist bis- her - soweit ersichtlich - nicht ernsthaft vertreten worden, dass derartige schriftliche Äußerungen in der Hauptverhandlung verlesen werden müssen, um gegebenenfalls die gerichtliche Aufklärungspflicht zu aktivieren.
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Unterschiede ergeben sich erst dann, wenn gerade der Inhalt der Einlassung des Angeklagten als Grundlage des Urteilsspruchs herangezogen werden soll. Legt der Angeklagte bei seiner Vernehmung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO etwa ein Geständnis ab, so wird dieses durch seine mündliche Äußerung im Rahmen der materiellen Beweisaufnahme zum Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) und darf daher vom Gericht bei der Urteilsfindung verwertet werden (siehe oben). Anders liegt es bei einem Geständnis, das der Angeklagte dem Gericht in schriftlicher Form zukommen lässt. Hier muss der Wortlaut des Schriftstücks durch Verlesung im formellen Urkundsbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn das Geständnis als Grundlage des Urteils herangezogen werden soll (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 33; Meyer-Goßner aaO § 249 Rdn. 13). Es gilt hier nichts anderes als für schriftliche Geständnisse des Angeklagten, die nicht für das Gericht bestimmt waren und etwa durch Sicherstellung oder Beschlagnahme Bestandteil der Verfahrensakten geworden sind. Ebenso liegt es bei einer erheblichen Divergenz zwischen der mündlichen Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und seiner schriftlichen Stellungnahme zum Tatgeschehen, wenn aus letzterer Schlussfolgerungen dazu gezogen werden sollen, ob die mündliche Einlassung glaubhaft ist (vgl. Frister aaO § 243 Rdn. 72). Wird in diesen Fällen ein Antrag gestellt, die schriftliche Erklärung des Angeklagten zu verlesen , ist dies ein Beweisantrag, der nur unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO zurückgewiesen werden kann. Allerdings wird schon die Aufklärungspflicht im Regelfall zur Verlesung des Schriftstückes drängen.
19
Nach diesen Maßstäben handelte es sich bei dem Beweisbegehren vom 10. November 2006 nicht um einen Beweisantrag. Es war nicht darauf gerichtet, den Wortlaut des Schreibens als solchen dem Urteil zugrunde zu legen; vielmehr wollte der Angeklagte lediglich seine den Tatvorwurf bestreitende Einlassung sowie vor deren Hintergrund seine Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme strengbeweislich in die Hauptverhandlung eingeführt wissen , obwohl das Gesetz diese Form der Beweiserhebung hierfür gerade nicht vorsieht. Das Gericht hatte den Inhalt des Schreibens auch ohne dessen urkundsbeweisliche Verlesung zur Kenntnis zu nehmen und - soweit durch § 244 Abs. 2 StPO geboten - für die Gestaltung und gegebenenfalls den Umfang der Beweiserhebung zu berücksichtigen, aber auch bei der Beurteilung von deren Ergebnissen in Betracht zu ziehen.
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cc) Abschließend bemerkt der Senat zu diesem Punkt:
21
Das vom Angeklagten mit seinem Vorgehen ersichtlich verfolgte Interesse , nach einer Verlesung seiner schriftlichen Einlassung durch das Gericht im formellen Strengbeweis (§ 249 Abs. 1 StPO) im Revisionsverfahren mit der Rüge einer Verletzung des § 261 StPO beanstanden zu können, das Urteil habe sich mit wesentlichem Entlastungsvorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt , rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. Frister aaO; Frisch in SK-StPO 37. Aufbau-Lfg. § 337 Rdn. 81 m. w. N.). Zwar handelt es sich bei einer schriftlichen Einlassung um eine grundsätzlich verlesbare Urkunde, weil das Gesetz die Verlesung nicht ausschließt (vgl. BGHSt 39, 305, 306). Jedoch kann ein schweigender Angeklagter das Gericht nicht zur Verlesung einer schriftlichen Einlassung zwingen und damit im Ergebnis wählen, ob er sich mündlich oder schriftlich zur Sache einlassen will. Ein solches Wahlrecht zwischen einer durch das Gericht verlesenen, ihre Sachbehandlung im Urteil inhaltlich revisionsrechtlich voll überprüfbaren schriftlichen Einlassung einerseits und einer in der Hauptverhandlung selbst vorgetragenen, revisionsrechtlich nur mittelbar über deren Wiedergabe im Urteil überprüfbaren Aussage andererseits ist mit der auf die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit angelegten Konzeption des Strafverfahrens und dem hieran anknüpfenden inhaltlich eingeschränkten System der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht vereinbar (vgl. Geppert in FS für Rudolphi S. 643, 654).
22
b) Aus dem Gesagten folgt, dass auch die gerichtliche Pflicht zur Amtsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) es nicht gebot, das Schreiben des Angeklagten vom 3. November 2006 im Wege des Urkundsbeweises zu verlesen. Daher ist es revisionsrechtlich unerheblich, dass sich das Landgericht nach dem Wortlaut seines Ablehnungsbeschlusses nicht bewusst war, dieses verlesen zu können (vgl. BGHSt 39, 305, 306).
23
Gemäß § 244 Abs. 2 StPO hat das Gericht die Pflicht, zur Ermittlung des wahren Sachverhalts von Amts wegen die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und zulässigen Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung über den Tatvorwurf von Bedeutung sind und zur Sachaufklärung beitragen können. Deshalb muss es im Rahmen der angeklagten Tat die beweisbedürftigen Tatsachen mit allen zulässigen Beweismitteln feststellen, die für die Schuldfrage oder die in Betracht kommenden Rechtsfolgen erheblich sind (vgl. Gollwitzer aaO § 244 Rdn. 40; Schlüchter aaO § 244 Rdn. 31, 35). Der konkrete Inhalt des Schreibens vom 3. November 2006 enthielt jedoch - wie oben dargestellt - als rein bestreitende Einlassung zum Tatvorwurf kein für den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wesentliches Vorbringen, aus dem für sich zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten Schlüsse hätten gezogen werden können. Zu seiner Verlesung im Urkundsbeweis drängte daher nichts. Soweit das Schreiben Beweisanträge enthielt, hat das Landgericht darüber entschieden. Eine Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben.
24
Dem Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wurde dadurch Rechnung getragen, dass sein Schreiben Aktenbestandteil geworden ist, das Gericht dessen Inhalt zur Kenntnis genommen hat und unter Aufklärungsgesichtspunkten verpflichtet war, die Beweisaufnahme auf alle nach dem Inhalt des Schreibens sich aufdrängenden Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken. Somit kann eine zur Akte gelangte schriftliche Einlassung den Umfang und den Inhalt der Beweisaufnahme bestimmen. Wenn das Gericht einer nach dem Inhalt einer schriftlichen Einlassung sich aufdrängenden Beweistatsache nicht nachgeht oder ein sich danach aufdrängendes Beweismittel nicht verwendet, beispielsweise einen Tatzeugen oder Alibizeugen nicht vernimmt, verletzt es insoweit seine Aufklärungspflicht. Mit der Aufklärungsrüge kann dann aber nicht die unterlassene Verlesung der Einlassung als solche gerügt werden, sondern nur die unterlassene Erhebung von Beweisen, die sich aufgrund der zum Akteninhalt gewordenen schriftlichen Erklärung aufdrängte.
25
Darüber hinaus gilt hier: Soweit das im Verlesungsantrag des Angeklagten wiedergegebene Schreiben vom 3. November 2006 Anlass hätte geben können, bestimmten Beweisanregungen nachzugehen, insbesondere den Zeugen De. nochmals zu vernehmen, ist die Aufklärungsrüge unzulässig. Es fehlt an der Mitteilung sowohl des zu erwartenden Beweisergebnisses als auch der Umstände, aufgrund derer sich die Beweiserhebung aufgedrängt hat. Zudem wäre die Aufklärungsrüge auch unbegründet. Die in der schriftlich formulierten Einlassung enthaltenen Behauptungen wurden - soweit bedeutsam - vom Landgericht bei der Beweisaufnahme berücksichtigt und in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert.
26
III. Der Strafausspruch hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht Stand, weil das Landgericht die festgestellte Verletzung des Gebots zügiger Verfah- renserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) in einer der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht werdenden Weise kompensiert hat.
27
1. Das Landgericht hat für den Betrug mit rechtsfehlerfreien Erwägungen eine Einzelstrafe von fünf Jahren als eigentlich verwirkt angesehen. Sodann hat es unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. hierzu BGH NJW 2007, 3294 ff.) die ohne Rechtsfehler festgestellte Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und neun Monaten dadurch kompensiert, dass es eine Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt hat. Aus dieser Strafe und den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. Mai 2004 (15 KLs 5423 Js 81242/00) - eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, neunzehn Freiheitsstrafen von sechs Monaten, vier Geldstrafen von 120 Tagessätzen und acht Geldstrafen von 180 Tagessätzen - hat es unter Auflösung der verhängten Gesamtstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet und darauf die bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen angerechnet.
28
2. Dies entspricht nicht dem Verfahren, in dem nach der nach Verkündung des angefochtenen Urteils geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu kompensieren ist (vgl. BGH-GS- NJW 2008, 860 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Danach ist die Kompensation nicht mehr durch einen bezifferten Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen. Vielmehr muss zunächst eine schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafe festgesetzt werden, wobei der lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen und als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen sind (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Aus dieser Strafe und den einbeziehenden Strafen ist sodann eine Gesamtstrafe zu bilden, die in der Urteilsformel verhängt wird. Schließlich muss die Kompensation dadurch vorgenommen werden, dass in der Urteilsformel ausgesprochen wird, welcher bezifferte Teil der verhängten Gesamtstrafe als Kompensation der Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht.
29
Der neue Tatrichter ist durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert, für den Betrug eine höhere Einzelstrafe als die bisher erkannte von drei Jahren und sechs Monaten zu verhängen, die jedoch die im angefochtenen Urteil als an sich verwirkt und ohne Kompensation als schuldangemessen angesehene Einzelstrafe von fünf Jahren nicht übersteigen darf. Die zu verbüßende Strafe (die aus der schuldangemessenen Strafe und den einzubeziehenden Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe abzüglich des zur Kompensation der Verfahrensverzögerung für vollstreckt zu erklärenden Teils) darf jedoch fünf Jahre und sechs Monate nicht übersteigen. Die bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen ist gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB kraft Gesetzes auf die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen.
30
Der Angeklagte wird, auch wenn der neue Tatrichter auf eine fünf Jahre und sechs Monate übersteigende Gesamtfreiheitsstrafe erkennt, hier durch die Kompensation in Form einer Anrechnung besser gestellt, weil sich der Zeitpunkt , zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, vorverlagert wird. Er kann deshalb - bei Vorliegen der übrigen, hier durchaus in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB - früher zur Bewährung aus dem Strafvollzug entlassen werden. Durch die Anwendung des früheren Strafabschlagsmodells ist er daher beschwert.
31
3. Die Feststellungen des Landgerichts sind durch die rechtsfehlerhafte Verfahrensweise bei der Kompensation nicht berührt. Sie können daher aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 516/08
vom
9. Dezember 2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Dezember 2008
einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 9. Juli 2008 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zu der Begründung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Die Rüge, die Strafkammer habe unter Verstoß gegen § 261 StPO ihrem Urteil ein Geständnis des Angeklagten auch in Bezug auf die Tat 1 zugrunde gelegt, das dieser nicht abgegeben hat, ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts zulässig erhoben. Der Beschwerdeführer musste den Inhalt der Erklärung, die der Verteidiger für den Angeklagten in der Hauptverhandlung abgegeben hat und deren Abschrift sodann als Anlage zum Protokoll genommen worden ist, nicht vortragen. Es handelt sich nicht um eine den behaupteten Mangel begründende Tatsache. Wenn sich der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann - unnötigerweise - vom Gericht entgegengenommen und als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, so ändert dies nichts daran, dass sich der Angeklagte damit mündlich geäußert und das Gericht den Inhalt dieser Äußerung in den Urteilsgründen festzustellen hat (BGH, Beschl. vom 10. November 2008 - 3 StR 390/08). Der Text der Protokollanlage ist deshalb nicht geeignet darzulegen (oder gar zu beweisen), wie sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingelassen hat. Aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergibt sich deshalb nicht die Pflicht, ihn mit der Revision vorzutragen. Die Rüge ist indes, wie der Generalbundesanwalt in seinen hilfsweise gemachten Erwägungen zutreffend ausgeführt hat, unbegründet. Die Behauptung, der Angeklagte habe sich anders eingelassen , als dies in den Urteilsgründen dokumentiert ist, könnte nur durch eine Rekonstruktion des Inhalts der Hauptverhandlung bewiesen werden. Eine solche ist dem Revisionsverfahren insoweit fremd. Ein Freibeweis darüber, dass die Einlassung des Angeklagten einen anderen Inhalt hatte, als er im Urteil festgestellt wurde, ist nicht zulässig (vgl. - zum Inhalt einer Zeugenaussage - BGHSt 21, 149, 151). Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Schäfer

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 242/17
vom
22. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:220617B1STR242.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat zum Einlassungsverhalten des Angeklagten ausgeführt, dass er sich lediglich bei der Eröffnung des Haftbefehls nach seiner Festnahme „nicht geständig“ eingelassen habe, ohne den Inhalt seiner Erklärung darzulegen. Ausdrücklich wird festgestellt, dass er sich in der Hauptverhandlung zur Sache nicht eingelassen habe (UA S. 24).
3
Demgegenüber macht die Revision – bestätigt durch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 19. Januar 2017 – geltend, dass der Verteidiger am vierten Hauptverhandlungstag eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgegeben habe, wobei sich der Angeklagte diese Erklärung ausdrücklich zu Eigen gemacht habe.
4
Mit dieser Sachdarstellung hat die Verfahrensrüge Erfolg. Dem Senat ist es verwehrt, Überlegungen darüber anzustellen, ob der Inhalt der als Anlage zum Protokoll genommenen und von der Revision mitgeteilten Erklärung des Angeklagten sich auf die Feststellungen des Urteils ausgewirkt hätte, wenn diese von der Strafkammer in ihre Erwägungen einbezogen worden wäre, weil die Beweiswürdigung allein dem Tatgericht obliegt.
Raum Jäger Bellay Cirener Fischer