Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2016 - 4 StR 210/16

bei uns veröffentlicht am06.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 210/16
vom
6. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060716B4STR210.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 8. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeschwerde und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsausführungen das Vorliegen eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht hinreichend belegen.
3
a) Nach den Feststellungen wurde bei dem zur Tatzeit 17 Jahre und 11 Monate alten Angeklagten im Sommer 2014 eine akute möglicherweise drogenindizierte psychotische Entwicklung diagnostiziert, die sich in akustischen Halluzinationen in Gestalt kommentierender Stimmen zeigte und in der Folgezeit zu "stark beschleunigten psychopathologischen Symptomen" führte. Sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der Öffentlichkeit reagierte der Angeklagte zunehmend aggressiv. Bei Begehung der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 0,87 Promille aufwies , infolge der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit der alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle erheblich beeinträchtigt.
4
Die Strafkammer hat - dem psychiatrischen Sachverständigen folgend - als Eingangsmerkmal des § 20 StGB neben einer krankhaften seelischen Störung auch eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung bejaht. Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit hat sie damit begründet, dass aufgrund der drogenassoziierten primär psychotischen Störung die psychische Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit durch eine hohe affektive Aufladung , Expansivität und fehlendes Krankheitsgefühl geprägt gewesen sei. Des Weiteren hätte ein psychotisches Erleben in Form von akustischen Halluzinationen sowie Beeinflussungserleben und Gedankenentzug bestanden.
5
b) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 - 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschlüsse vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, insoweit in NStZ 2013, 424 nicht abgedruckt). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
6
c) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines die Unterbringung rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht gerecht. Nach den Feststellungen beruhte die erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit auf der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit einer alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle, mithin nicht auf einem dauerhaften Zustand des Angeklagten. Vor dem Hintergrund der von der Strafkammer neben einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal des § 20 StGB angenommenen affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sind auch die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu der auf die psychotische Störung zurückzuführenden affektiven Anspannung des Angeklagten zur Tatzeit nicht geeignet, tragfähig darzutun, dass die verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB allein durch die psychotische Störung des Angeklagten bewirkt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht für die Bejahung eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzu- stands zwar aus, dass der Täter an einer länger dauernden, unter § 20 StGB zu subsumierenden psychischen Störung leidet, bei der bereits alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374 f.; Beschlüsse vom 23. Januar 2008 - 2 StR 426/07, NStZ-RR 2008, 141; vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42; vom 23. September 2015 - 4 StR 371/15 Rn. 9; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 63 Rn. 6a; Kaspar in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 29). Zu diesen Voraussetzungen verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht. Soweit das Landgericht schließlich ergänzend auf das psychotische Erleben des Angeklagten verweist, lassen die Urteilsausführungen schon nicht erkennen, ob und in welcher Weise sich diese psychotische Symptomatik auf die konkrete Tatbegehung ausgewirkt hat.
7
2. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den nicht tragfähigen Erwägungen zur Unterbringungsanordnung und der von der Strafkammer vorgenommenen Beurteilung der Schuldfähigkeit hebt der Senat auch den Schuldspruch auf. Ein Fall, in welchem eine vollständige Aufhebung der Schuldfähig- keit durch das Revisionsgericht sicher ausgeschlossen werden kann, ist nicht gegeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben; neue ergänzende Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen. Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer Bender Paul

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2016 - 4 StR 210/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2016 - 4 StR 210/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2016 - 4 StR 210/16 zitiert 5 §§.

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 5 8 / 1 4
vom
17. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juni 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
als beisitzende Richter,
Richterin am Amtsgericht ,
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin ,
als Verteidigerin,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 28. April 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in zwei Fällen, Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung in zwei Fällen und wegen versuchter schwerer Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet; im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision ist auf den Maßregelausspruch beschränkt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Maßregelausspruch, der grundsätzlich isoliert auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl. auch Senat, Beschluss vom 26. November 1997 - 2 StR 551/97; Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 53; Gericke in KK, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 12; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1322, jeweils mwN), ist hier wirksam, da keine untrennbare Wechselwirkung zum Schuld- bzw. Strafausspruch besteht.
3
2. Gegen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Maßregel setzt u.a. die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustands voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Beschluss vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 f.; Senat, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, insoweit in NStZ-RR 2014, 207 nicht abgedruckt). Das Vorliegen eines solchen länger andauernden Zustands ist hier nicht belegt.
4
a) Die - sachverständig beratene - Jugendkammer hat festgestellt, dass beim Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten (März bis September 2013) das Merkmal der tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne der §§ 20, 21 StGB in Form einer erheblichen Störung der Affektverarbeitung in Kombination mit einer extremen - aufgrund sozialer Vereinsamung und Isolation in Deutschland entstandenen - Grundanspannung vorlag. In bestimmten objektiv oder lediglich subjektiv empfundenen Belastungssituationen, die "sozusagen das Fass zum Überlaufen bringen", gerate der Angeklagte wegen seiner mangelnden Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit. Mit den Sachverständigen ist das Landgericht der Auffassung, dass die beim Angeklagten bestehende extreme Grundanspannungslage fortbestehe , denn "die Situation des Angeklagten in Deutschland hat bisher keine positive Veränderung erfahren und wird dies auch in Zukunft nicht. Diese extreme Anspannungslage kann durch das Hinzutreten eines beliebigen weiteren Ereignisses […] zu einem förmlichen'Ausrasten' des Angeklagten führen", zumal "Alkoholkonsum zu einer zusätzlichen Enthemmung" führt.
5
b) Diese Feststellungen des Landgerichts ergeben den für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlichen länger andauernden Zustand (zumindest) verminderter Schuldfähigkeit nicht.
6
Bereits nicht belegt ist die Annahme des Landgerichts, die Situation des - bei nahezu allen Taten alkoholisierten - Angeklagten in Deutschland werde auch in Zukunft keine positive Veränderung erfahren, zumal im Wesentlichen die aus Sicht des Angeklagten unzureichende Wohnsituation im Asylbewerberheim jeweils tatkonstellierend gewesen ist.
7
Zudem reicht die auf die Persönlichkeitsstörung in Kombination mit der Grundanspannung zurückzuführende Disposition des Angeklagten, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, zur Bejahung eines dauernden Zustands im Sinne des § 63 StGB nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Dezember 2004 - 4 StR 452/04; vom 26. Januar 2007 - 2 StR 582/06, BGHR StGB § 63 Zustand 39; vom 10. Januar 2008 - 4 StR 626/07, NStZ-RR 2008, 140, 141). Denn die Störung der Affektverarbeitung führt erst in Kombination mit der - aufgrund sozialer Vereinsamung und Isolation entstandener - Grundanspannungslage und einer zusätzlichen Belastungssituation zur tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, wobei der Alkoholkonsum "zu einer zusätzlichen Enthemmung" führt. Ein dauerhaft bestehender, den Täter beeinträchtigender psychischer Zustand ist damit nicht ausreichend belegt.
8
3. Da der Angeklagte im Zeitpunkt der Taten bereits erwachsen war, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück. Fischer Krehl Eschelbach Zeng Bartel

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 348/12
vom
26. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Septemer 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 31. Mai 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner wurden Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Die auf den Maßregelausspruch nach § 63 StGB beschränkte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.

I.


2
Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer im Jahr 2007 manifest gewordenen paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Zudem besteht bei ihm ein schädlicher Gebrauch von Alkohol.
3
Am Nachmittag des 6. November 2011 gegen 16.50 Uhr riss der Angeklagte auf dem Parkplatz eines Supermarktes die Fahrertür eines dort abgestellten Pkw BMW 330 CICP auf und sagte zu dem in seinem Fahrzeug sitzenden Zeugen F. und dessen Freundin, der Zeugin M. , in bestimmtem Ton: „Aussteigen“. Da der Angeklagte beide Hände in den Taschen seiner Jacke stecken hatte, befürchteten die Zeugen, dass er eine Waffe bei sich führe und verließen das Fahrzeug. Der erheblich alkoholisierte Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz und fuhr davon. Den Pkw des Zeugen F. wollte er für sich behalten, weil es sein „Traumauto“ war. Aufgrund der sofort eingeleiteten Fahndung wurde das entwendete Fahrzeug mit dem Angeklagten am Steuer schon nach kurzer Zeit von zwei Polizeistreifen auf einer öffentlichen Straße entdeckt. Während der anschließenden Verfolgungsfahrt missachtete der Angeklagte wiederholt Anhalteaufforderungen der ihm mit Blaulicht und Martinshorn nachfahrenden Polizeibeamten und vereitelte mehrere Überholversuche, indem er mit dem von ihm gesteuerten Pkw nach links oder rechts zog. Nachdem es dem Polizeibeamten S. doch gelungen war, sich mit seinem Fahrzeug vor den Angeklagten zu setzen, unternahm dieser nun seinerseits mehrere erfolglose Überholmanöver. Schließlich musste er auf einem Gehweg anhalten. Der Aufforderung zum Aussteigen kam der Angeklagte erst nach einem Warnschuss nach. Eine ihm um 18.35 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,51 Promille auf.
4
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Diebstahl (§ 242 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen angeschlossen. Danach „scheine“ bei dem Angeklagten neben dem Alko- holkonsum ein psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken („mein Vater ist Luzifer und mein Vater hat gesagt, ich solle das Auto entwenden“ ) im Rahmen seiner schizophrenen Erkrankung im Vordergrund gestanden zu haben. Die Intensität der Beeinträchtigung sei zu den Tatzeitpunkten so ausgeprägt gewesen, dass eine erheblich eingeschränkte Handlungs- und Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsse. Eine vollständig aufgehobene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit könne nicht ausgeschlossen werden, wenn man davon ausgehe, dass die dokumentierten Fremdbeeinflussungserlebnisse wirksam gewesen seien (UA 8). Die Prognose des Angeklagten müsse als ungünstig bezeichnet werden, weil seine Krankheitseinsicht und seine Therapiewilligkeit erheblichen Schwankungen unterworfen seien. Bei einer sofortigen Entlassung sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte seine Medikamente erneut absetzt und dadurch in psychotische Zustände gerät, in denen er – möglicherweise in suizidaler Absicht – Straftaten der vorliegenden Art begehen könnte. Das Landgericht geht davon aus, dass die Anlassdelikte „von erheblichem Gewicht“ waren. Insbesondere sei der Dieb- stahl in seiner Begehungsform einem Raub angenähert gewesen (UA 9).

II.


5
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232).
7
Die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Psychose führt nicht zwangsläufig zu der Feststellung einer generellen oder über längere Zeiträume andauernden gesicherten Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit. Es ist daher stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39; Beschluss vom 3. Juli 1991 – 3 StR 69/91, NStZ 1991, 527, 528).
8
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass bei dem Angeklagten ein auf seiner Schizophrenie beruhendes psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken im Vordergrund gestanden habe, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht wiedergegeben, sodass eine Überprüfung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Das in diesem Zusammenhang mitgeteilte Wahnerleben („mein Vater ist Luzifer und mein Vater hat gesagt, ich solle das Auto entwenden“) ist mit dem festgestellten Motiv für den Diebstahl des Pkw („Traumauto“) unvereinbar. Da dieser Beweggrund offenkundig nicht in einem Zusammenhang mit der Grunderkrankung des Angeklagten steht, sind die Feststellungen des Landgerichts an dieser Stelle mehrdeutig. Konkrete Ausführungen zu der Frage, wie sich die psychische Erkrankung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten während der anschließenden Trunkenheitsfahrt und der Polizeiflucht ausgewirkt hat, fehlen ganz. Schließlich war es auch rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht mit dem Sachverständigen eine gleichzeitige Aufhebung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit für möglich gehalten hat (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8; Beschluss vom 9. September 1986 – 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1).
9
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZRR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
11
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat keine die Biographie des Angeklagten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung vorgenommen. In diesem Zusammenhang hätte erörtert werden müssen, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2007 manifest erkrankt ist, ohne strafrechtlich in Erscheinung getreten zu sein. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Die Wertung des Landgerichts, wonach sämtliche Anlassdelikte von einem erheblichen Gewicht waren, wird durch die festgestellten Tatumstände nicht belegt. Eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB kann nicht ohne weiteres der mittleren Kriminalität zugeordnet werden (vgl. MK-StGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 63 Rn. 55). Sie ist erst bei einer zu erwartenden besonderen Häufung oder bei außergewöhnlichen – hier nicht festgestellten – Tatumständen erheblich. Der festgestellte Widerstand hat zu keiner Zeit zu einer Gefährdung der eingesetzten Polizeibeamten geführt und war daher ebenfalls nicht als eine schwere Störung des Rechtsfriedens anzusehen.

III.


12
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
1. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben , hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drs. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 11; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, Rn. 9).
14
2. Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelanordnung ist unwirksam, weil die Unterbringung nach § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlichrechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der Maßregelanordnung nicht mehr mit der Erwägung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1953 – 3 StR 620/53, BGHSt 5, 267, 268). Der Senat braucht an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO eine isolierte Anfechtung der Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auch dann hindert, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten feststeht und nur die der Maßregelanordnung zugrunde liegende Gefährlichkeitsprognose zu überprüfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1963 – 5 StR 13/63, NJW 1963, 1414, 1415).
Mutzbauer Cierniak Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 1 7 1 / 1 4
vom
29. April 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. April 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 9. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts misshandelte der Beschuldigte im März 2013 gemeinsam mit drei anderen Personen einen jungen Mann, weil dieser wenige Tage zuvor angeblich eine Frau aus dem Bekanntenkreis vergewaltigt hatte.
3
Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychologischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten, der seit 2003 an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F20), einem schizophrenen Residuum (ICD-10 F20.5) sowie an einer psychischen Störung durch multiplen Substanzgebrauch (ICD-10 F19.1) leidet, bei der Tatbegehung aufgehoben war. Von der erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer "hinreichenden" Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte zukünftig gleichartige Taten erneut begehen wird.
4
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13, juris mwN). All dies gilt uneingeschränkt auch dann, wenn die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt wird; insbesondere sind auch in diesem Fall an die vorausgesetzte Gefährlichkeit des Täters keine geringeren Anforderungen zu stellen. Der Tatrichter muss die die Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13 juris).
6
b) Durch die Urteilsgründe werden weder die vom Landgericht angenommene erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Tatbegehung noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tat hinreichend belegt.
7
Die Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt für sich allein genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Einsichtsoder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Für seine Annahme, der Zeitraum um die Tat sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit mit psychotischen Zuständen zusammengefallen", benennt das Landgericht lediglich das Gefühl des Beschuldigten, er sei während der Tat "Gabriel der Friedensengel" gewesen und habe "Angst vor den beiden Mittätern" gehabt. Mit dieser im Allgemeinen verbleibenden Darlegung ist - auch unter Berücksichtigung des in Einzelheiten ungeklärt gebliebenen, vorangegangenen Konsums von Alkohol und Drogen - nicht genügend belegt, dass sich der Beschuldigte im Zeitpunkt der Tat in einem Zustand gesichert erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit befand. Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen die Tat bereits bei einem vorangegangenen gemeinsamen Treffen verabredet worden war, bei dem Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte akut psychotisch gewesen wäre, nicht festgestellt sind.
9
c) Auch eine zukünftige Gefährlichkeit des Beschuldigten ist nicht ausreichend dargetan. Das Landgericht hat - auch insoweit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen - in den Vordergrund seiner Darlegung die Tatsache gestellt, der Beschuldigte sei unter dem Eindruck des letzten, zeitlich nach der Tat gelegenen Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik krankheitseinsichtig, stehe unter dauerhafter Behandlung mit einem Depot-Neuroleptikum, besuche eine Tagesstätte und halte sich häufig in einer Selbsthilfegruppe für schizophrene Erkrankte auf; es könne deshalb derzeit von einer "eher niedrigen Wahrscheinlichkeit" neuer gleichartiger Taten ausgegangen werden; die Prognose verschlechtere sich indes, sobald der Beschuldigte die medikamentöse Behandlung abbreche und sich der fachpsychiatrischen Betreuung entziehe. Die Begründung des Landgerichts für eine vorhandene, die Unterbringung im Grundsatz rechtfertigende Gefährlichkeit des Beschuldigten beschränkt sich auf den Hinweis, dass es bei fehlender Medikation "hinreichend wahrscheinlich" zu Straftaten komme, die der Anlasstat sowie früheren Taten vergleichbar seien.
10
Somit fehlt die notwendige umfassende Erörterung der Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Beschuldigten. Seit dem Ausbruch der Erkrankung im Jahr 2003 wurde dieser zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, die er nach Widerruf der zunächst angeordneten Bewährung ebenso verbüßte wie eine danach verhängte zehnmonatige Freiheitsstrafe.
Was den Verurteilungen im Einzelnen zugrunde lag, ist dem Urteil ebenso wenig zu entnehmen, wie Anlass und Auswirkungen einer Aggressionstat innerhalb der Familie im Jahr 2008 und der Grund für eine zwangsweise Unterbringung des Beschuldigten in der Psychiatrie wegen "Fremdgefährdung" im Jahr 2009. Eine genaue Darlegung dieser zum Teil lange zurück liegenden Umstände wäre indes erforderlich gewesen, um die Prognose nachvollziehbar zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338), zumal der Beschuldigte seit seiner Entlassung aus dem Strafvollzug Anfang 2008 nur noch zweimal zu geringen Geldstrafen verurteilt wurde, denen keine Aggressionstaten zugrunde lagen.
11
Daneben lässt das Urteil eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen, die darin bestehen, dass der Beschuldigte zwar an der Verabredung zu der Tat teilgenommen hatte und das Opfer zu Beginn mit zwei Faustschlägen und einem Fußtritt und gegen Ende mit einem weiteren Schlag misshandelte , sich indes an den nachhaltigen Gewalttätigkeiten und Erniedrigungen , die der Tatdas Gepräge einer schweren Gewalttat geben, nicht beteiligte und sogar teilweise vom Tatort abwesend war.
12
3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgenden Hinweisen:
13
a) Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
14
b) Nachdem es sich bei der Erkrankung des Beschuldigten um eine Psychose handelt, wird sich für die erneut notwendige sachverständige Beratung die Hinzuziehung eines Psychiaters empfehlen (vgl. KG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 2 Ws 762/07, R&P 2008, 166, 167 mwN).
15
c) Die detailgetreue Wiedergabe des BZR-Auszugs in den Urteilsgründen ist untunlich (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13, NStZ-RR 2013, 287). Sie liefert eine unübersichtliche Ansammlung von überwiegend nutzlosen Daten. Auf die Zeitpunkte der jeweils letzten Tat, des Urteils und der Rechtskraft kommt es nur an, wenn die formellen Voraussetzungen von Gesamtstrafenbildung , Anordnung der Sicherungsverwahrung, Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe o.ä. zu belegen sind. Die notwendige Darlegung dessen , was einzelne Verurteilungen über die Lebensentwicklung des Täters aussagen , kann dadurch ohnehin - wie vorliegend ersichtlich - nicht ersetzt werden.
Becker Pfister RiBGH Dr. Schäfer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben Becker Gericke Spaniol

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.