Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:081117B4STR242.17.0
bei uns veröffentlicht am08.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 242/17
vom
8. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2017:081117B4STR242.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. November 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. Februar 2017
a) hinsichtlich der Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung und
b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand.
3
a) Das Landgericht stützt die Annahme einer erheblich beeinträchtigten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der abgeurteilten Körperverletzungstat auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach das Tatverhalten „ausreichend kausal auf die psychosebedingte Impulskontrollstörung des Angeklagten bei zugleich enthemmendem Alkoholeinfluss zurückzuführen sei, so dass aus medizinischer Sicht eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit vorliege“. Zwar sei nicht auszuschließen, dass andere Einflussfaktoren, wie die dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung oder ein enthemmender Alkoholeinfluss, beim Entschluss zur Tatbegehung eine Rolle gespielt hätten, die Tat beruhe aber ausreichend kausal zumindest auch auf der Impulskontrollstörung, die wiederum aus der chronifizierten Psychose des Angeklagten resultiere. Auf der Grundlage der Darlegungen des psychiatrischen Sachverständigen ist die Strafkammer, die dem Angeklagten bei der Strafzumessung eine nicht unerhebliche Enthemmung aufgrund der Alkoholintoxikation zur Tatzeit zugutegehalten hat, im Rahmen ihrer Erwägungen zur Unterbringungsanordnung davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten gegebene chronifizierte Psychose „zumindest teilkausal“ für die begangene Körperverletzungstat war.
4
b) Diese Ausführungen belegen nicht die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB.
5
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16, NStZ-RR 2017, 203, 204 mwN). Grundsätzlich verbietet sich daher die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen länger andauernden Defekt, sondern erst durch einen aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere von Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defekts alkoholsüchtig ist, der – ohnepathologisch zu sein – in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN; Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73). Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt ferner dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.; Beschlüsse vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, StV 2017, 588; vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls]), wenn tragender Grund seines Zustands mithin die länger andauernde geistig-seelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16, aaO).
6
Das Landgericht hat weder tragfähig ausgeschlossen, dass die erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung nicht erst durch ein Zusammenwirken des psychischen Defektzustands des Angeklagten mit der im Tatzeitpunkt hinzutretenden alkoholischen Beeinflussung herbeigeführt worden ist, noch verhalten sich die Urteilsgründe zu den dargelegten weiteren Voraussetzungen , die in einer solchen Fallgestaltung für eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB erfüllt sein müssen.
7
c) Der Maßregelausspruch bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat weist darauf hin, dass es auch bei der Verwertung früherer psychiatrischer Diagnosen im Rahmen der Schuldfähigkeitsbeurteilung grundsätzlich erforderlich ist, die den jeweiligen Diagnosen zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen mitzuteilen. Der neue mit der Sache befasste Tatrichter wird gehalten sein, eingehendere Feststellungen als bisher zu dem Verlauf und den Ausprägungen der psychischen Erkrankung des Angeklagten zu treffen.
8
2. Wegen des inneren Zusammenhangs zwischen der bei Prüfung der Maßregelvoraussetzungen des § 63 StGB vorzunehmenden Gefahrenprognose einerseits und der Beurteilung der Kriminalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB andererseits erstreckt der Senat die Aufhebung des angefochtenen Urteils auch auf die an sich nicht zu beanstandende Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung.
Franke RiBGH Cierniak ist erkrankt und Bender daher gehindert zu unterschreiben. Franke
Quentin Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2017 - 4 StR 595/16

bei uns veröffentlicht am 19.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 595/16 vom 19. Januar 2017 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2017:190117B4STR595.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - 4 StR 242/17.

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2018 - 1 StR 36/18

bei uns veröffentlicht am 30.05.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 36/18 vom 30. Mai 2018 in dem Sicherungsverfahren gegen ECLI:DE:BGH:2018:300518B1STR36.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – und

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Feb. 2019 - 4 StR 566/18

bei uns veröffentlicht am 14.02.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 566/18 vom 14. Februar 2019 in der Strafsache gegen wegen Raubes u.a. ECLI:DE:BGH:2019:140219B4STR566.18.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des.

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2018 - 1 StR 116/18

bei uns veröffentlicht am 04.04.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 116/18 vom 4. April 2018 in dem Sicherungsverfahren und der Strafsache gegen ECLI:DE:BGH:2018:040418B1STR116.18.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 595/16
vom
19. Januar 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:190117B4STR595.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 5. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Geschehen bei den Taten vom 3. September 2015 (Ziffer II. 1 der Urteilsgründe) und den Vorfällen vom 14. Juli 2015 und 19. September 2015 (Ziffer II. 2 der Urteilsgründe ) aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte befand sich in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 6. Januar 2016 insgesamt 29-mal zur stationären Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dabei wurde bei ihm eine hebephrene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert.
4
Am 3. September 2015 gegen 16.35 Uhr überstieg der Beschuldigte in S. an einem Mehrparteienwohnhaus die Brüstung eines Außenbalkons, der sich auf Höhe des Erdgeschosses befand, und entwendete eine dort abgelegte Kunststofftasche, die mit leeren Pfandflaschen aus Glas und Kunststoff gefüllt war. Anschließend lief er torkelnd auf einem Fußweg entlang und warf die Kunststofftasche über seine Schulter. Dabei verlor er mehrere Flaschen. Als ihm der Geschädigte J. entgegenkam, der mit einem elektrischbetriebenen Rollstuhl auf dem Radweg fuhr, schlug er diesem die Kunststofftasche gegen den Kopf. Was ihn hierzu bewog, konnte nicht festgestellt werden. Der Geschädigte erlitt durch den Schlag eine blutende Platzwunde am Kopf. Die daraufhin alarmierten Polizeibeamten trafen den Beschuldigten gegen 16.50 Uhr in einer Einfahrt auf dem Boden sitzend an. Als der Beschuldigte von dem Polizeibeamten PHK B. nach seinem Namen gefragt und aufgefordert wurde, sich auszu- weisen, entgegnete er: „Den kriegt ihr nicht“. Anschließendbeleidigte er PHK B. und weitere Polizeibeamte, die in der Nähe standen. Als PHK B. dem Beschuldigten daraufhin ankündigte, dass er ihn nun nach Ausweisdokumenten durchsuchen werde, spuckte der Beschuldigte in seine Richtung, traf ihn jedoch nicht. In der Folge drückte PHK B. den Kopf und den Oberkörper des Beschuldigten nach unten, um ein weiteres Spucken zu verhindern und eine Durchsuchung zu ermöglichen. Der Beschuldigte versuchte, sich aufzubäumen und sich durch gleichzeitiges Schlagen und Treten aus der Fixierung zu befreien. Daraufhin wurden ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt. Während der anschließenden Durchsuchung nach Ausweispapieren trat und schlug der Beschuldigte aus sitzender Position um sich. Dass dabei einer der eingesetzten Polizeibeamten getroffen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Bei der Verbringung in das Polizeifahrzeug versuchte der Beschuldigte nochmals, PHK B. zu treten, ohne ihn zu treffen. Eine dem Beschuldigten um 18.17 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Alkoholkonzentration von 1,73 Promille auf.
5
2. Das Landgericht hat den Schlag des Beschuldigten mit der gefüllten Kunststofftasche als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und das Verhalten gegenüber den Polizeibeamten als versuchte Körperverletzung (§ 223 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 22 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB gewertet. Von der Verfolgung der Beleidigungen hat es nach § 154a Abs. 2 StPO abgesehen. Die Strafkammer ist im Anschluss an die Ausführungen des angehörten Sachverständigen davon ausgegangen, dass bei dem Beschuldigten eine hebephrene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege, die seine gesamte Persönlichkeit überformt habe. Er sei deshalb nicht „zu rationalem Kognitionsvermögen in der Lage“, weise anhaltende Störungen der Ich-Grenzensowie der Ich-Funktionen auf und habe auch Defizite in Bezug auf moralisch-ethische Normvorstellungen. Darüber hinaus liege eine intellektuelle Grenzbegabung vor. Erschwerend komme eine anankastische und schizotype Persönlichkeitsstörung zum Tragen. Die Psychose habe sich bereits im jungen Erwachsenenalter entwickelt und sei mit einem „episodisch auftretenden Suchtmittelmissbrauch“ gepaart (UA 18). Zur Tatzeit seien die psychopathologischen Phänomene durch einen mittelschweren Alkoholrausch verstärkt worden. Die Kombination all dieser Elemente berechtige in der Summe zu der Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (UA 19). Es sei davon auszugehen, dass bei dem Beschuldigten deshalb die Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen seien (UA 20). Von ihm seien infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Die gefährliche Körperverletzung und die versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte seien zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen.

II.


6
Die Anordnung der Unterbringung muss aufgehoben werden, weil die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten und die daran anknüpfende Kriminalprognose revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht standhalten.
7
1. Die Wertung des Landgerichts, der Beschuldigte habe an einer hebephrenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie an einer anankastischen und einer schizotypen Persönlichkeitsstörung gelitten, ist nicht ausreichend belegt.
8
a) Beschränkt sich das Tatgericht – wie hier – darauf, der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit zu folgen, muss es die hierfür wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben , wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Urteil vom 23. November 2016 – 2 StR 108/16, Rn. 8; Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN).
9
b) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer gibt darin lediglich die Diagnosen des Sachverständigen wieder. Welche Anknüpfungsund Befundtatsachen der Sachverständige seinen Diagnosen zugrunde gelegt hat, wird nicht mitgeteilt. Der Umstand, dass sich der Beschuldigte vielfach in psychiatrischen Krankenhäusern zur Behandlung befand und ihm dort die Diagnose einer hebephrenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gestellt wurde, deutet zwar auf eine gravierende Erkrankung in diesem Bereich hin, vermag aber eine konkrete Darlegung des Krankheitsbildes nicht zu erset- zen. Soweit in Bezug auf die „normative Einsichtsfähigkeit“ des Beschuldigten davon die Rede ist, dass er „vielfach unter Beweis gestellt habe, dass er diesbezüglich sehr schlecht ausgestattet sei“, bei Maßnahmen der Wiedereingliederungshilfe „krankheitsbedingt immer wieder dekompensiert“ sei und „mitunter ein aggressives Verhalten gezeigt“ (UA 4 und 18) habe, fehlt es an einer nachvollziehbaren Darstellung der in Bezug genommenen Vorfälle und deren Beleg.
10
2. Die Urteilsgründe lassen auch nicht deutlich werden, dass der die Annahme von Schuldunfähigkeit begründende Zustand auf einem länger andauernden Defekt beruht.
11
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Grundsätzlich verbietet sich daher die Un- terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defektes alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73; Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN). Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt aber – entsprechend obiger Rechtsprechung – auch dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, Rn. 11; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f., Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls.], jew. mwN), wenn tragender Grund seines Zustandes mithin die länger andauernde krankhafte geistig-seelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374).
12
b) Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Die Strafkammer geht – wiederum dem Sachverständigen folgend – davon aus, dass bei dem Beschuldigten bei der Begehung der Anlasstaten eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen habe. Hierzu habe auch der festgestellte mittelschwere Rausch beigetragen. Eine durch einen Rausch mit- verursachte tiefgreifende Bewusstseinsstörung ist aber in der Regel kein Zustand von längerer Dauer. Zur Einordnung der zeitstabilen Defekte (hebephrene Schizophrenie, anankastische und schizotype Persönlichkeitsstörung) unter ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 278/10, Rn. 5 [hebephrene Schizophrenie als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB]), zu deren Auswirkung auf die Schuldfähigkeit unabhängig von der akuten Alkoholisierung (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1991 – 3 StR 69/91, NStZ 1991, 527, 528; Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352), zu eventuellen Interdependenzen und zu einer möglichen Alkoholsucht des Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
13
3. Auch die Gefährlichkeitsprognose genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.
14
a) Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, NStZ-RR 2016, 77 [Ls]; Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73 mwN).
15
b) Eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher Straftaten wird durch die Urteilsgründe nicht belegt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen die Strafkammer auch insoweit gefolgt ist, werde der Beschuldigte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut straffällig werden, unter Umständen auch erheblich. Bei Impulsdurchbrüchen sei mit erheblichen Straftaten zu rechnen, etwa mit Taten vergleichbar der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten J. . Diesen Darlegungen lässt sich nicht entnehmen, unter welchen Bedingungen mit derartigen Impulsdurchbrüchen zu rechnen und wie groß die Gefahr einer Wiederholung in der Zukunft ist. Soweit die Strafkammer abschließend ausführt, dass für eine hohe Wiederholungswahrscheinlichkeit spreche, dass dem Übergriff auf den Geschädigten J. kein Streit vorausgegangen und auch ein sonstiger Anlass für diese Tat nicht erkennbar sei, fehlt dafür jeglicher Beleg. Schließlich hätte die Strafkammer auch in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Beschuldigte , als er am 14. Juli 2015 bei einem Ladendiebstahl gestellt wurde, zwar einen Fluchtversuch unternahm, dabei und danach aber keine Gewalt mehr anwandte.
16
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den rechtswidrigen Anlasstaten vom 3. September 2015 (äußeres Tatgeschehen) und den Vorfällen vom 14. Juli 2015 und 19. September 2015 (objektives Geschehen) können bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die die Einweisung des Angeklagten in eine psychiatrische Anstalt gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
17
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf das Folgende hin:
18
a) Nach der gesetzlichen Konzeption kann die Anwendung des § 20 StGB nicht auf beide Alternativen gestützt werden. Erst wenn sich ergeben hat, dass der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war, kann sich die Frage nach seiner Steuerungsfähigkeit stellen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168; Kaspar in SSW-StGB, 3. Aufl., § 20 Rn. 27 mwN).
19
b) Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen , dass von dem Beschuldigten in Zukunft (auch) Taten vergleichbar der Anlasstat zum Nachteil der eingesetzten Polizeibeamten zu erwarten sind, wird er bei deren Gewichtung in den Blick zu nehmen haben, dass Angriffe gegen Personen, die professionell mit derartigen Konfliktsituationen umgehen, dafür entsprechend geschult sind und in der konkreten Situation über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen, möglicherweise weniger gefährlich sind. Bei der Beurteilung der versuchten Körperverletzung wird zu bedenken sein, dass wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 20).
Sost-Scheible Franke Bender
Quentin Feilcke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 595/16
vom
19. Januar 2017
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2017:190117B4STR595.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 5. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Geschehen bei den Taten vom 3. September 2015 (Ziffer II. 1 der Urteilsgründe) und den Vorfällen vom 14. Juli 2015 und 19. September 2015 (Ziffer II. 2 der Urteilsgründe ) aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte befand sich in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 6. Januar 2016 insgesamt 29-mal zur stationären Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dabei wurde bei ihm eine hebephrene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert.
4
Am 3. September 2015 gegen 16.35 Uhr überstieg der Beschuldigte in S. an einem Mehrparteienwohnhaus die Brüstung eines Außenbalkons, der sich auf Höhe des Erdgeschosses befand, und entwendete eine dort abgelegte Kunststofftasche, die mit leeren Pfandflaschen aus Glas und Kunststoff gefüllt war. Anschließend lief er torkelnd auf einem Fußweg entlang und warf die Kunststofftasche über seine Schulter. Dabei verlor er mehrere Flaschen. Als ihm der Geschädigte J. entgegenkam, der mit einem elektrischbetriebenen Rollstuhl auf dem Radweg fuhr, schlug er diesem die Kunststofftasche gegen den Kopf. Was ihn hierzu bewog, konnte nicht festgestellt werden. Der Geschädigte erlitt durch den Schlag eine blutende Platzwunde am Kopf. Die daraufhin alarmierten Polizeibeamten trafen den Beschuldigten gegen 16.50 Uhr in einer Einfahrt auf dem Boden sitzend an. Als der Beschuldigte von dem Polizeibeamten PHK B. nach seinem Namen gefragt und aufgefordert wurde, sich auszu- weisen, entgegnete er: „Den kriegt ihr nicht“. Anschließendbeleidigte er PHK B. und weitere Polizeibeamte, die in der Nähe standen. Als PHK B. dem Beschuldigten daraufhin ankündigte, dass er ihn nun nach Ausweisdokumenten durchsuchen werde, spuckte der Beschuldigte in seine Richtung, traf ihn jedoch nicht. In der Folge drückte PHK B. den Kopf und den Oberkörper des Beschuldigten nach unten, um ein weiteres Spucken zu verhindern und eine Durchsuchung zu ermöglichen. Der Beschuldigte versuchte, sich aufzubäumen und sich durch gleichzeitiges Schlagen und Treten aus der Fixierung zu befreien. Daraufhin wurden ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt. Während der anschließenden Durchsuchung nach Ausweispapieren trat und schlug der Beschuldigte aus sitzender Position um sich. Dass dabei einer der eingesetzten Polizeibeamten getroffen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Bei der Verbringung in das Polizeifahrzeug versuchte der Beschuldigte nochmals, PHK B. zu treten, ohne ihn zu treffen. Eine dem Beschuldigten um 18.17 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Alkoholkonzentration von 1,73 Promille auf.
5
2. Das Landgericht hat den Schlag des Beschuldigten mit der gefüllten Kunststofftasche als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und das Verhalten gegenüber den Polizeibeamten als versuchte Körperverletzung (§ 223 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 22 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB gewertet. Von der Verfolgung der Beleidigungen hat es nach § 154a Abs. 2 StPO abgesehen. Die Strafkammer ist im Anschluss an die Ausführungen des angehörten Sachverständigen davon ausgegangen, dass bei dem Beschuldigten eine hebephrene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege, die seine gesamte Persönlichkeit überformt habe. Er sei deshalb nicht „zu rationalem Kognitionsvermögen in der Lage“, weise anhaltende Störungen der Ich-Grenzensowie der Ich-Funktionen auf und habe auch Defizite in Bezug auf moralisch-ethische Normvorstellungen. Darüber hinaus liege eine intellektuelle Grenzbegabung vor. Erschwerend komme eine anankastische und schizotype Persönlichkeitsstörung zum Tragen. Die Psychose habe sich bereits im jungen Erwachsenenalter entwickelt und sei mit einem „episodisch auftretenden Suchtmittelmissbrauch“ gepaart (UA 18). Zur Tatzeit seien die psychopathologischen Phänomene durch einen mittelschweren Alkoholrausch verstärkt worden. Die Kombination all dieser Elemente berechtige in der Summe zu der Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (UA 19). Es sei davon auszugehen, dass bei dem Beschuldigten deshalb die Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen seien (UA 20). Von ihm seien infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Die gefährliche Körperverletzung und die versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte seien zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen.

II.


6
Die Anordnung der Unterbringung muss aufgehoben werden, weil die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten und die daran anknüpfende Kriminalprognose revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht standhalten.
7
1. Die Wertung des Landgerichts, der Beschuldigte habe an einer hebephrenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie an einer anankastischen und einer schizotypen Persönlichkeitsstörung gelitten, ist nicht ausreichend belegt.
8
a) Beschränkt sich das Tatgericht – wie hier – darauf, der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit zu folgen, muss es die hierfür wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben , wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Urteil vom 23. November 2016 – 2 StR 108/16, Rn. 8; Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN).
9
b) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer gibt darin lediglich die Diagnosen des Sachverständigen wieder. Welche Anknüpfungsund Befundtatsachen der Sachverständige seinen Diagnosen zugrunde gelegt hat, wird nicht mitgeteilt. Der Umstand, dass sich der Beschuldigte vielfach in psychiatrischen Krankenhäusern zur Behandlung befand und ihm dort die Diagnose einer hebephrenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gestellt wurde, deutet zwar auf eine gravierende Erkrankung in diesem Bereich hin, vermag aber eine konkrete Darlegung des Krankheitsbildes nicht zu erset- zen. Soweit in Bezug auf die „normative Einsichtsfähigkeit“ des Beschuldigten davon die Rede ist, dass er „vielfach unter Beweis gestellt habe, dass er diesbezüglich sehr schlecht ausgestattet sei“, bei Maßnahmen der Wiedereingliederungshilfe „krankheitsbedingt immer wieder dekompensiert“ sei und „mitunter ein aggressives Verhalten gezeigt“ (UA 4 und 18) habe, fehlt es an einer nachvollziehbaren Darstellung der in Bezug genommenen Vorfälle und deren Beleg.
10
2. Die Urteilsgründe lassen auch nicht deutlich werden, dass der die Annahme von Schuldunfähigkeit begründende Zustand auf einem länger andauernden Defekt beruht.
11
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Grundsätzlich verbietet sich daher die Un- terbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defektes alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73; Urteil vom 8. Januar 1999 – 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN). Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt aber – entsprechend obiger Rechtsprechung – auch dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 4 StR 161/16, Rn. 11; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f., Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls.], jew. mwN), wenn tragender Grund seines Zustandes mithin die länger andauernde krankhafte geistig-seelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374).
12
b) Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Die Strafkammer geht – wiederum dem Sachverständigen folgend – davon aus, dass bei dem Beschuldigten bei der Begehung der Anlasstaten eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen habe. Hierzu habe auch der festgestellte mittelschwere Rausch beigetragen. Eine durch einen Rausch mit- verursachte tiefgreifende Bewusstseinsstörung ist aber in der Regel kein Zustand von längerer Dauer. Zur Einordnung der zeitstabilen Defekte (hebephrene Schizophrenie, anankastische und schizotype Persönlichkeitsstörung) unter ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 278/10, Rn. 5 [hebephrene Schizophrenie als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB]), zu deren Auswirkung auf die Schuldfähigkeit unabhängig von der akuten Alkoholisierung (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1991 – 3 StR 69/91, NStZ 1991, 527, 528; Beschluss vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352), zu eventuellen Interdependenzen und zu einer möglichen Alkoholsucht des Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
13
3. Auch die Gefährlichkeitsprognose genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.
14
a) Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, NStZ-RR 2016, 77 [Ls]; Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73 mwN).
15
b) Eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher Straftaten wird durch die Urteilsgründe nicht belegt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen die Strafkammer auch insoweit gefolgt ist, werde der Beschuldigte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut straffällig werden, unter Umständen auch erheblich. Bei Impulsdurchbrüchen sei mit erheblichen Straftaten zu rechnen, etwa mit Taten vergleichbar der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten J. . Diesen Darlegungen lässt sich nicht entnehmen, unter welchen Bedingungen mit derartigen Impulsdurchbrüchen zu rechnen und wie groß die Gefahr einer Wiederholung in der Zukunft ist. Soweit die Strafkammer abschließend ausführt, dass für eine hohe Wiederholungswahrscheinlichkeit spreche, dass dem Übergriff auf den Geschädigten J. kein Streit vorausgegangen und auch ein sonstiger Anlass für diese Tat nicht erkennbar sei, fehlt dafür jeglicher Beleg. Schließlich hätte die Strafkammer auch in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Beschuldigte , als er am 14. Juli 2015 bei einem Ladendiebstahl gestellt wurde, zwar einen Fluchtversuch unternahm, dabei und danach aber keine Gewalt mehr anwandte.
16
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den rechtswidrigen Anlasstaten vom 3. September 2015 (äußeres Tatgeschehen) und den Vorfällen vom 14. Juli 2015 und 19. September 2015 (objektives Geschehen) können bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die die Einweisung des Angeklagten in eine psychiatrische Anstalt gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
17
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf das Folgende hin:
18
a) Nach der gesetzlichen Konzeption kann die Anwendung des § 20 StGB nicht auf beide Alternativen gestützt werden. Erst wenn sich ergeben hat, dass der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war, kann sich die Frage nach seiner Steuerungsfähigkeit stellen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168; Kaspar in SSW-StGB, 3. Aufl., § 20 Rn. 27 mwN).
19
b) Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen , dass von dem Beschuldigten in Zukunft (auch) Taten vergleichbar der Anlasstat zum Nachteil der eingesetzten Polizeibeamten zu erwarten sind, wird er bei deren Gewichtung in den Blick zu nehmen haben, dass Angriffe gegen Personen, die professionell mit derartigen Konfliktsituationen umgehen, dafür entsprechend geschult sind und in der konkreten Situation über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen, möglicherweise weniger gefährlich sind. Bei der Beurteilung der versuchten Körperverletzung wird zu bedenken sein, dass wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 20).
Sost-Scheible Franke Bender
Quentin Feilcke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.