Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14

bei uns veröffentlicht am06.11.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR416/14
vom
6. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 6. November 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. April 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.


2
1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte am Morgen des Tattages eine Begegnung mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, der Nebenklägerin , herbei, „zumindest um ein Gespräch mit ihr zu erzwingen.“ Er wusste, dass sie um 9.30 Uhr ihre Arbeit in einem Restaurant aufzunehmen hatte und mit dem in der unverschlossenen (Doppel-)Garage abgestellten Fahrrad zur Arbeitsstelle zu fahren pflegte. Er begab sich in die Garage, verschloss diese von innen und stellte das Fahrrad seiner Ehefrau nach hinten, damit sie weiter in die Garage hineingehen musste. Dann versteckte er sich hinter dem Pkw des Nachbarn auf der anderen Seite der Doppelgarage und rauchte Zigaretten. Er beabsichtigte, sich erst zu erkennen zu geben, wenn seine Ehefrau ihr Fahrrad erreicht und ergriffen hatte, um es herauszuschieben. Die Nebenklägerin öffnete das Garagentor mit einem zuvor aus ihrer Wohnung geholten Schlüssel. Als sie stärkeren Tabakgeruch wahrnahm, schaute sie sich nach dem Angeklagten um, entdeckte aber weder ihn noch sein entgegen seinen Gepflogenheiten etwas weiter entfernt geparktes Fahrzeug. In der Annahme, dass sich ihr Ehemann jedenfalls jetzt nicht mehr in der Garage aufhalten würde, ging sie zu ihrem Fahrrad und ergriff den Lenker. In diesem Moment sprang der Angeklagte hinter dem Pkw hervor; er schloss zügig das Garagentor. Sodann ging er schnell auf seine Ehefrau zu und fragte sie unter anderem: „Mit wem hast du Hündin gestern telefoniert? Mit einem R. ?“; seine Ehefrau entgegnete, dass ihn das nichts angehe. Daraufhin legte er von hinten den linken Arm um ihren Oberkörper und zog sie rückwärts so nahe an sich heran, dass sie seinen Körper spürte. Während er sie auf diese Weise festhielt, holte er mit der rechten Hand einen bislang unter seiner Kleidung verborgenen, ca. 30 cm langen Fleischspieß hervor und hielt ihn seiner Ehefrau vorne etwa mittig an ihren Hals; diese spürte „etwas Spitzes“. Das Schwurgericht hat nicht mit der erfor- derlichen Sicherheit feststellen können, ob der Angeklagte diesen Spieß bereits mitgebracht oder in der Garage gefunden und in seine Kleidung gesteckt hatte. Auf seine Bemerkung „Ich bringe dich jetzt um“ erwiderte die Zeugin: „Dann bring mich doch um“. In diesem Augenblick stieß der Angeklagte den Spieß kräftig mit der Spitze in ihren Hals, „wobei er ihre Tötung zumindest billigend in Kauf nahm und die von ihm zuvor geschaffene Überraschungssituation bewusst zur Tatausführung ausnutzte.“ Der Geschädigten gelang es nicht, die Hand des Angeklagten mit dem Spieß wegzuziehen. Nach ihrem Empfinden stach er sodann den Fleischspieß noch tiefer in ihren Hals. Kurze Zeit später sackte sie zusammen und der Angeklagte zog den Spieß aus der Wunde. Dabei nahm er an, dass seine Frau lebensgefährlich verletzt sei und sterben werde. Er ging noch längere Zeit in der Garage umher, ohne sich um die Nebenklägerin zu kümmern; diese stellte sich tot. Schließlich verließ er die Garage, zog das Tor von außen zu und verschloss es. Auch zu diesem Zeitpunkt ging er weiterhin davon aus, dass er seine Ehefrau so schwer verletzt hatte, dass sie sterben würde. Die Geschädigte konnte jedoch auf sich aufmerksam machen und wurde zunächst notärztlich und sodann stationär in einem Klinikum medizinisch versorgt und gerettet.
3
2. Das Landgericht ist von einem versuchten Heimtückemord ausgegangen. Die Geschädigte sei im Zeitpunkt des Betretens ihrer Garage arg- und wehrlos gewesen. Sie habe sich vergewissert, dass ihr Mann sich nicht in ihrer Nähe aufhalte und deshalb nicht mit einem erheblichen Angriff gegen ihre körperliche Unversehrtheit gerechnet. Das habe der Angeklagte gewusst, der sich auch darüber im Klaren gewesen sei, dass die Geschädigte infolge ihrer Arglosigkeit wehrlos gewesen sei, also insbesondere keine effektive Gegenwehr habe leisten können. Die Wehrlosigkeit sowie das Ausnutzungsbewusstsein zeig- ten sich „maßgeblich“ in der Auswahl des Tatorts und dem planmäßigen Vorge- hen des Angeklagten. Er habe das Fahrrad bewusst in den hinteren Bereich der Garage geschoben, um zu erreichen, dass sie weiter in diese habe hineingehen müssen. Er habe sie auf diese Weise überrascht, als er aus dem Versteck hervorgetreten sei und das Garagentor geschlossen habe. Anschließend habe er ihren Oberkörper von hinten umfasst und sie festgehalten, um ihr auch insoweit keine körperliche Gegenwehr zu ermöglichen.

II.


4
Die Verurteilung wegen eines versuchten Heimtückemordes gemäß § 211 Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
1. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte zur heimtückischen Tötung seiner Ehefrau unmittelbar angesetzt hat.
6
Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 mwN). Für das bewusste Ausnutzen von arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 – 4 StR 147/14). Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGH, Urteile vom 17. Januar 1968 – 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f., und vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 385 f.; Beschluss vom 4. Juni 2013 – 4 StR 180/13). Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (BGH, Urteil vom 17. Januar 1968, aaO; Beschluss vom 7. April 1989 – 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364; Urteile vom 14. Juni 1960 – 1 StR 73/60, und vom 9. Dezember 1980 – 1 StR 620/80). Nach diesen Maßstäben ist hier nicht belegt, dass der Angeklagte heimtückisches Vorgehen in seine Vorstellung aufgenommen hatte, als er zur Tötung seiner Ehefrau unmittelbar ansetzte:
7
Das Landgericht ist zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er seine Tatvorbereitungen „zumindest“ traf, „um ein Gespräch mit (seiner Ehefrau) zu erzwingen“. Tötungsvorsatz lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erst für den Zeitpunkt entnehmen, indem er die Geschädigte von hinten umklammerte, ihr die Spitze des Fleischspießes an den Hals hielt und ihr sagte: „Ich bringe Dich jetzt um“. Mit dieser Äußerung und dem unmit- telbar darauf folgenden Tatgeschehen hat das Schwurgericht seine Annahme begründet, der Angeklagte habe „zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt. Dann aber war die Geschädigte in dem Moment, in dem der Angeklagte zustach, also bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs , nicht mehr arglos. Denn der Angeklagte hatte von hinten den linken Arm um ihren Oberkörper gelegt und ihr die Spitze des Spießes spürbar an den Hals gehalten; in dieser Situation hatte er ihr angekündigt, sie zu töten. Die Annahme eines versuchten Heimtückemordes kann hier auch nicht auf die aufgezeigte Ausnahme von dem Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, gestützt werden. Denn auch in den Fällen, in denen der Täter das Opfer in eine Falle lockt, hat die Rechtsprechung stets daran festgehalten, dass der Täter bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384, vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02 [Rn. 32], und vom 10. Februar 2010 – 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450). Daran fehlt es hier: Sämtliche Verhaltenswei- sen des Angeklagten, die das Landgericht auf UA 22 f. zum Beleg der Ausnutzung der arg- und Wehrlosigkeit des Opfers anführt, liegen vor dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen erstmals seinen Tötungsvorsatz gefasst hat.
8
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN), sodass es nicht darauf ankommt, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen ist.

III.


9
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich empfehlen dürfte, die Herkunft der Tatwaffe zu klären. Jedenfalls ist der Zeitpunkt zu bestimmen , zu dem der Angeklagte (spätestens) den Fleischspieß in seiner Kleidung verborgen hat. Auch erscheint es ohne nähere Erläuterung widersprüchlich , wenn der Tatrichter davon ausgeht, der Angeklagte habe zumindest ein Gespräch mit seiner Ehefrau erzwingen wollen (UA 9), in der Beweiswürdigung jedoch zur Widerlegung der einen Tötungsvorsatz bestreitenden Einlassung des Angeklagten maßgeblich darauf abhebt, der Angeklagte habe in Kenntnis des Arbeitsbeginns seiner Ehefrau gewusst, dass für ein klärendes Gespräch gar keine Zeit gewesen sei (UA 19).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv
Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14 zitiert 6 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juni 2013 - 4 StR 180/13

bei uns veröffentlicht am 04.06.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 180/13 vom 4. Juni 2013 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Juni 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO be

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06

bei uns veröffentlicht am 27.06.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 113/06 vom 27. Juni 2006 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juni 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter a

Bundesgerichtshof Urteil, 11. März 2003 - 1 StR 507/02

bei uns veröffentlicht am 11.03.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 507/02 vom 11. März 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u. a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Ric

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14

bei uns veröffentlicht am 31.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 S t R 1 4 7 / 1 4 vom 31. Juli 2014 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2014, an der teilgenommen haben: Vorsitzende
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2014 - 4 StR 416/14.

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 2 StR 459/16

bei uns veröffentlicht am 24.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 459/16 vom 24. Januar 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2017:240117B2STR459.16.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anh

Referenzen

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 113/06
vom
27. Juni 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
27. Juni 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -
Staatsanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. November 2005 mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen , aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke. Die Revision wird vom Generalbundesanwalt vertreten und erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte vorübergehend im Haushalt seiner Cousine M. B. , des späteren Tatopfers, zu der er eine intime Beziehung unter- hielt. Am Abend des 28. Februar 2005 kamen in ihm unbegründete Eifersuchtsgedanken auf. Er steigerte sich derart hinein, dass er nicht einschlafen konnte. Der Angeklagte, der alkoholabhängig ist, aber seit sieben Jahren abstinent lebte , wurde alkoholrückfällig. Er trank heimlich 0,5 Liter 40 %-igen Calvados.
4
Am nächsten Morgen, dem 1. März 2005, bemerkte M. B. die Alkoholisierung des Angeklagten. Sie erklärte ihm, dass sie mit einem Alkoholiker nichts zu tun haben wolle und äußerte Unverständnis über seine Eifersucht. Im Rahmen dieses Streitgesprächs trat der Angeklagte von hinten an M. B. heran und nahm sie mit seinem rechten Unterarm mindestens 20 bis 30 Sekunden in einen Halswürgegriff. Dadurch erlitt sie leichte Verletzungen im Bereich der inneren Halsorgane. Mit der linken Hand ergriff er nun mit erst jetzt sicher nachweisbarem Tötungsvorsatz ein Küchenmesser und versetzte ihr damit zwei Messerstiche in den Bauchbereich, die die Leber kreuzförmig durchstachen. Dann löste er den Unterarmgriff und fügte ihr einen oberflächlichen Bauchstich und einen oberflächlichen Stich in die linke seitliche Brustwand zu. Danach versetzte er ihr fünf weitere Stiche in den Rücken-, Lenden- und seitlichen Rumpfbereich, wobei sie möglicherweise bereits am Boden lag, sich in einer Drehbewegung befand oder er um sie herumgegangen war. Von diesen Stichen führten drei binnen weniger Minuten zum Tode durch Verbluten und Zusammenbruch der Atmung.
5
Die Tat erfolgte zwischen 7.00 und 8.00 Uhr, nachdem die beiden Söhne des Tatopfers zur Schule gegangen waren. Der Angeklagte trank nach der Tat noch 0,1 Liter Calvados. Nach vorangegangenen anderen Telefonaten benachrichtigte er um 11.04 Uhr die Polizei. Die ihm um 12.01 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,09 o/oo.
6
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Auch das Vorliegen des Mordmerkmals Heimtücke hat es ausgeschlossen. Zwar sei das Opfer objektiv arg- und wehrlos gewesen, als der Angeklagte es von hinten in den Unterarmwürgegriff genommen habe, für diesen Zeitpunkt sei aber ein Tötungsvorsatz nicht sicher feststellbar gewesen. Als der Angeklagte dann zum Messer gegriffen habe, sei das Opfer nicht mehr arglos gewesen. Im Übrigen gebe es keinen Nachweis für ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten. Zwar habe ein gewisses Vertrauens- und Überraschungsmoment vorgelegen. Ein Ausnutzungsbewusstsein wäre aber nur dann nachweisbar, wenn der Angeklagte die Angriffsmöglichkeit von hinten, etwa durch ein Veranlassen der Getöteten sich umzudrehen, gezielt herbeigeführt hätte. Auch spreche die hochgradige Alkoholisierung des Angeklagten gegen eine Bewusstseinsbildung bezüglich der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.
7
Im Anschluss an die Anhörung von zwei Sachverständigen ist das Landgericht von einer nicht ausschließbar erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholintoxikation im Sinne von § 21 StGB zur Tatzeit ausgegangen.

II.

8
Die rechtliche Bewertung des Landgerichts zur objektiven und subjektiven Tatseite eines heimtückisch begangenen Mordes ist nicht frei von Rechtsfehlern. Insoweit ist der festgestellte Sachverhalt auch nicht erschöpfend gewürdigt.
9
1. Die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke können selbst dann erfüllt sein, wenn der Unterarmwürgegriff von hinten nicht mit Tötungsvorsatz erfolgte und der Angeklagte einen solchen Vorsatz erst fasste, als er nach dem Messer griff. Dies schließt die Arglosigkeit des Opfers nicht von vornherein aus.
10
Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt , die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Dabei macht es aber keinen Unterschied, ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke

3).

11
Jedenfalls letztere Konstellation ist hier gegeben. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte das Opfer 20 bis 30 Sekunden im Unterarmwürgegriff, den er von hinten ausgeführt hatte, bevor er sich entschloss , es zu töten. Das Opfer hatte in dieser Lage nach Erkennen der Gefahr keine Möglichkeit mehr, sich gegen den Tötungsangriff zur Wehr zu setzen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen. Dann war das Opfer - an den aufgezeigten Maßstäben gemessen - aber auch zu diesem Zeitpunkt infolge Arglosigkeit wehrlos.
12
2. Die Verneinung eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten entbehrt einer tragfähigen Grundlage.
13
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535).
14
Es ist nicht erforderlich, wie das Landgericht meint, dass der Täter die Angriffsmöglichkeit von hinten durch eigenes Veranlassen gezielt herbeiführt. Wenn der Angeklagte hier seinem Opfer von hinten den Unterarm um den Hals legte und es würgte, so liegt die Annahme nahe, dass er sich des überraschenden Angriffs bewusst war. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht ein Ausnutzungsbewusstsein verneint, sind in der rechtlichen Bewertung in zweifacher Hinsicht fehlerhaft. Einerseits bedarf es des bewussten Herbeiführens eines Hinterhaltes nicht, andererseits liegt - wie oben ausgeführt - eine rechtsfehlerhafte Bewertung der Arglosigkeit zugrunde.
15
b) Soweit das Landgericht ausführt, auch die hochgradige Alkoholisierung des Angeklagten spreche gegen eine Bewusstseinsbildung bezüglich der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, fehlt dafür jedwede Begründung. Im Hinblick auf die Ausführungen zur nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit infolge Alkoholisierung versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte den Überraschungseffekt nicht in sein Bewusstsein aufgenommen habe.
16
Die Alkoholisierung beeinträchtigte danach die Fähigkeit des Angeklagten zur Unrechtseinsicht nicht. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit wurde nicht positiv festgestellt, sondern konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach Auffassung des Sachverständigen K. , der aufgrund der Blutprobe eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,29 o/oo für die Tatzeit von 7.00 Uhr und eine solche von 3,09 o/oo für die Tatzeit von 8.00 Uhr errechnete, zeigte der Angeklagte angesichts dieser Alkoholisierung erstaunlich wenige Ausfallerscheinungen, was darauf schließen lasse, dass er doch nicht ganz trocken gewesen sei. Bei der Berechnung der Tatzeit-BAK hat der Sachverständige den festgestellten Nachtrunk außer Acht gelassen. Unter Berücksichtigung des Nachtrunks bewege sich die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit - so der Sachverständige - dann "am unteren Ende der Nichtausschließbarkeit". Das Landgericht hätte bei einer erschöpfenden Würdigung des Sachverhalts diese Ausführungen in seine Erwägungen einbeziehen und sich damit auseinandersetzen müssen.
17
3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben. Insoweit ist das Urteil nicht angegriffen.
18
4. Die Überprüfung des Urteils zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
19
5. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Begriff der "Erheblichkeit" in § 21 StGB ein Rechtsbegriff ist. Über das Vorliegen seiner Voraussetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung vom Gericht in eigener Verantwortung zu entscheiden und nicht vom Sachverständigen. Dabei fließen normative Überlegungen ein (BGHSt 8, 113, 124; 43, 66, 77). Der Tatrichter hat Gelegenheit , auch darüber neu zu befinden. Nack Wahl Boetticher Schluckebier Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 S t R 1 4 7 / 1 4
vom
31. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin T. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers L. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 21. November 2013 werden verworfen. 2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Revisionen zu tragen. Ferner werden dem Angeklagten die durch sein Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der Nebenkläger auferlegt. Die Staatskasse hat auch die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt sowie Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Sie haben keinen Erfolg.

I.


2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte am 17. Januar 2013 mit dem von ihm gesteuerten Pkw mit mindestens 90 km/h gegen einen Baum, um sich selbst zu töten. Hierbei nahm er billigend in Kauf, dass seine Ehefrau, die neben ihm in dem Fahrzeug saß, an den Folgen der Kollision versterben könnte. Während der Angeklagte schwer verletzt überlebte, verstarb seine Ehefrau kurze Zeit später an den bei dem Aufprall erlittenen Verletzungen.
3
Das Landgericht hat den Sachverhalt als Totschlag in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bewertet. Es ist der Auffassung , dass das Mordmerkmal der Heimtücke nicht vorliege, da Zweifel daran bestünden, dass der Angeklagte die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt habe. Denn er habe nicht ausschließbar den Tatentschluss in einer psychischen Ausnahmesituation spontan gefasst. Niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil der Angeklagte - jedenfalls nicht ausschließbar - aus Verzweiflung über seine Lebenssituation (u.a. vieljährige Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme) und aus Angst vor einer endgültigen Trennung von seiner von ihm geliebten Ehefrau, der drohenden Trennung von seinen Kindern und dem Verlust des ihm seit vielen Jahren vertrauten Familienlebens gehandelt habe.

II.


4
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg.
5
Insbesondere weist die Beweiswürdigung zum Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau keinen Rechtsfehler auf. Auch ein Verstoß gegen den in-dubio-Grundsatz liegt aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 16. Mai 2014 dargelegten Gründen nicht vor.

III.


6
Der vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen Revision der Staatsanwaltschaft , die eine Verurteilung des Angeklagten wegen - heimtückischen - Mordes erstrebt, bleibt der Erfolg ebenfalls versagt. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Zuschrift vom 16. Mai 2014 bemerkt der Senat:
7
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 12. Februar 2009 - 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 273/11 [juris Rn. 24]; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Dieses Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH, Urteile vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511 f.; vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, NStZ-RR 2010, 175, 176; Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09, StV 2010, 287, 289 jeweils mwN).
8
Anders kann es jedoch bei "Augenblickstaten", insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen sein (BGH, Urteil vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Argund Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschlüsse vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634; vom 24. April 2012 - 5 StR 95/12, NStZ 2012, 693, 694 jeweils mwN).
9
Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634, 635 jeweils mwN).
10
b) Daran gemessen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
11
Das Schwurgericht hat nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung allein auf Grund der von ihm zugunsten des Angeklagten angenommenen erheblichen Einschränkung des Steuerungsvermögens nicht ohne Weiteres auf das Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geschlossen werden darf (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 mwN). Wenn es aber gleichwohl angesichts der besonderen äußeren und inneren Umstände der Tat unter Berücksichtigung des Vor- sowie des Nachtatgeschehens eine sichere Überzeugung vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Heimtücke nicht zu gewinnen vermochte, so hält sich dies im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
12
Auch zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keine durchgreifenden Lücken, Widersprüche oder sonstige Rechtsfehler in der tatrichterlichen Beweiswürdigung auf. Richtig ist zwar, dass der Zweifelssatz nicht bedeutet, dass das Gericht von der dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen. Vorliegend bestand aber für das Landgericht selbst nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten die Möglichkeit, dass entweder ein das Ausnutzungsbewusstsein nicht in Frage stellender "Bilanzselbstmord" oder aber eine spontane, ungeplante Umsetzung latent vorhandener Suizidabsichten gegeben war, die zu einer psychischen Ausnahmesituation mit einer "ausgeprägten Einengung des Bewusstseinsinhalts" (UA S. 48) und damit zum Fehlen des Ausnutzungsbewusstseins geführt hat. Überzogene Anforderungen an die Überzeugungsbildung hat das Landgericht dabei nicht gestellt. Vielmehr ist es rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass es der Zweifelssatz in einem solchen Fall gebietet, von der für den Angeklagten günstigeren Konstellation auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 123/01, StV 2001, 666,

667).


13
Ebenso wenig ist es aus Rechtsgründen zu beanstanden, dass das Schwurgericht einerseits davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte wusste, dass sich seine Ehefrau neben ihm in dem Fahrzeug befand und er deren Tod billigend in Kauf nahm sowie ihre Gefährdung sogar beabsichtigte, es aber andererseits angenommen hat, der Angeklagte habe deren Arg- und Wehrlosigkeit bei der Tatbegehung nicht bewusst ausgenutzt. Hierin liegt insbesondere kein zu einem Rechtsfehler führender Widerspruch, sondern die vom Tatrichter zu verantwortende Schlussfolgerung, dass der Angeklagte zu Wahrnehmungen zwar fähig war und er aufgrund dieser eine Entscheidung (billigendes Inkaufnehmen des Todes) traf, ihm eine darüber hinausgehende "Bedeutungskenntnis" aber gefehlt hat und er sich infolgedessen nicht bewusst gewesen ist, die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auszunutzen (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 1997 - 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 180/13
vom
4. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Juni 2013 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (Mordmerkmal: Heimtücke) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte neben der Beweiswürdigung des Landgerichts vor allem die Annahme einer heimtückischen Tötung. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen verschaffte sich der Angeklagte bereits seit geraumer Zeit nicht geringe Einnahmen dadurch, dass er Frauen aus Osteuropa nach Deutschland einschleuste und hier der Prostitution zuführte. Dabei hatten die Frauen Teile ihrer Einnahmen an den Angeklagten abzuführen. Das spätere Tatopfer P. lernte der Angeklagte im Herbst 2007 in der Ukraine kennen. Sie kam im Dezember 2007 nach Deutschland, um hier für eine gewisse Zeit durch die Ausübung der Prostitution Geld zu verdienen und anzusparen. Nach ihrer Rückkehr wollte sie von den hier erworbenen Mitteln eine Eigentumswohnung kaufen. Kurze Zeit nachdem P. nach Deutschland gekommen war, begann zwischen ihr und dem Angeklagten eine sexuelle Beziehung , in deren Verlauf sie sich in den Angeklagten verliebte. Dabei war ihr bekannt, dass der Angeklagte verheiratet war und Kinder hatte. Gleichwohl wünschte sie sich eine feste Partnerschaft mit ihm.
3
In der Zeit vom 7. Februar 2008 bis zum 14. Dezember 2009 verbüßte der Angeklagte in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, Außenstelle Herzebrock, eine Freiheitsstrafe aus einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern, Menschenhandel und anderem. Er war Freigänger und arbeitete bei einer Dachdeckerfirma, zu der er mit seinem Pkw fuhr. Im Februar 2009 war er nur wenige Tage an seiner Arbeitsstelle. Daneben suchte er Bordelle auf, in denen Frauen für ihn tätig waren, und führte seine Beziehung mit P. weiter.
4
Am Morgen des 19. Februar 2009 verließ der Angeklagte um 6.30 Uhr die Justizvollzugsanstalt. Nachdem er an einer Tankstelle gefrühstückt und sich Wodka gekauft hatte, suchte er die Räumlichkeiten eines Nachtclubs in S. auf, in dem sich zu dieser Zeit – wie der Angeklagte wusste – keine weiteren Personen aufhielten. Kurz nach 9.30 Uhr kam auch P. in den Club. Der Angeklagte hatte inzwischen 600 ml Wodka getrunken und eine Zigarette mit Cannabis geraucht. Beide hielten sich zunächst in der Küche des Clubs auf, tranken Kaffee und unterhielten sich. Schließlich gingen sie auf ein Zimmer, wobei P. annahm, dass es dort zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kommen würde.
5
Spätestens jetzt entschloss sich der Angeklagte, P. zu töten. Das Motiv vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Es hält es für möglich, dass P. , die als Prostituierte gute Einnahmen erzielte, dem Angeklagten einen größeren Geldbetrag zur Aufbewahrung gegeben hatte und nun dessen Herausgabe forderte, um das Geld bei ihrer für März 2009 geplanten Heimreise mitzunehmen; der Angeklagte aber zur Rückgabe des Geldes entweder nicht imstande oder nicht willens war. Auch ist es für das Landgericht „denkbar“, dass der Angeklagte, der nur eine sexuelle Beziehung zu P. wollte, sich von ihr unter Druck gesetzt fühlte, weil sie möglicherweise von ihm erwartete, dass er sich von seiner Frau trennt. Vielleicht drohte P. dem Angeklagten auch,seine Frau von dem Verhältnis in Kenntnis zu setzen, was er um jeden Preis verhindern wollte. Gegebenenfalls spielten auch andere Gründe eine Rolle.
6
Der Angeklagte nutzte die Gelegenheit, seinen Tatentschluss umzusetzen. P. rechnete an diesem Morgen weder mit einem lebensbedrohlichen , noch mit einem gegen ihre körperliche Integrität gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff seitens des Angeklagten. Dieser fügte ihr am linksseitigen Scheitel-/Hinterhauptbereich eine Verletzung zu, die auf einer stumpfen Gewalteinwirkung beruhte. Wie der Angeklagte seinem Opfer diese Verletzung beibrachte, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Als Ursache kommen beispielhaft ein Schlag mit einem harten Gegenstand oder der Faust, aber auch ein Stoß mit dem Kopf gegen eine Wand oder Ähnliches in Betracht. P. war hierdurch in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit zumindest eingeschränkt. Im Anschluss daran legte ihr der Angeklagte zwei 75 cm lange und 1 cm breite Kabelbinder über den Pulloverkragen um den Hals, sodass sich die Zugenden hinten befanden, und zog diese kräftig zu, bis der Tod durch Erdrosseln eintrat. Zu irgendwelchen Abwehrreaktionen war P. infolge der Einwirkung auf den Hinterkopf und der Atemnot nicht in der Lage.
7
Nach der Tat wickelte der Angeklagte die Leiche von P. in einen Plastiksack und packte sie in einen Rollkoffer. Anschließend beseitigte er alle Spuren. Den Rollkoffer verstaute er am Folgetag in einer Gefriertruhe, die in der Garage des Clubs aufgestellt war und sich in Betrieb befand. Im Juli oder August 2009 verbrachte er die Gefriertruhe mit der Leichevon P. in eine von ihm angemietete Garage. Die Gefriertruhe nahm er wieder in Betrieb. Die tiefgefrorene Leiche wurde am 27. Februar 2012 bei einer Durchsuchung im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens aufgefunden.

II.


8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Überzeugung vom Vorliegen einer heimtückischen Tötung begründet hat, auch unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, Rn. 5 mwN) rechtlicher Nachprüfung nicht standhalten (§ 261 StPO).
9
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 6. September 2012 – 3 StR 171/12, NStZ-RR 2012, 371, Urteil vom 30. August 2012 – 4 StR 84/12, Rn. 12; Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691, 692; jeweils mwN). Hiervon ist auch das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen. Seine Ausführungen zur Arglosigkeit des Tatopfers sind jedoch lückenhaft, weil bedeutsame Gesichtspunkte, die gegen diese Annahme sprechen könnten, nicht in Erwägung gezogen worden sind.
10
a) Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, P. habe amTattag nicht damit gerechnet, von dem Angeklagten angegriffen zu werden. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben. Anhaltspunkte für einen vorangegangenen Streit mit dem Angeklagten lägen nicht vor, ebenso wenig dafür, dass der Angeklagte ihr gegenüber jemals gewalttätig geworden ist (UA 31). Die Aussagen der vernommenen Zeugen hätten keinen Hinweis auf Streitigkeiten oder körperliche Auseinandersetzungen im Verhältnis zwischen dem Angeklagten und P. in der Zeit vor der Tat ergeben. Auch der Angeklagte selbst habe in dieser Hinsicht nichts angedeutet. Vielmehr habe er angegeben, dass P. akzeptiert hätte, dass er seineFamilie für sie nicht verlassen würde. Konkrete Anhaltspunkte für weiteres Konfliktpotential seien nicht vorhanden (UA 26). Das Fehlen jeglicher Abwehrverletzungen mache deutlich, dass P. keine entsprechenden Maßnahmen gegen ein gewaltsames Vorgehen des Angeklagten traf (UA 31). Da sie keine Gewalteinwirkung von vorne und keine Abwehrverletzung aufgewiesen habe, sei die Annahme lebensfremd, dass ihr der Angeklagte am Tattag offen in bedrohlicher und übergriffiger Weise gegenüber getreten sei (UA 26 f.).
11
b) Zwar liegt es nach den Umständen nahe, dass P. noch nicht mit einem Angriff rechnete, als sie mit dem Angeklagten auf das Zimmer ging, um einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zu haben, doch hätte sich das Landgericht an dieser Stelle mit den Sachverhaltsvarianten auseinandersetzen müssen, die es selbst bei der Erörterung möglicher Tatmotive und der Ursache für die Hinterhauptverletzung in Betracht gezogenen hat.
12
Sowohl die für möglich gehaltene Rückforderung von Geld, das der Angeklagte nicht mehr hatte oder nicht zurückgeben wollte, als auch die Drohung mit einer Offenlegung der außerehelichen sexuellen Beziehung, die der Ange- klagte „um jeden Preis“ vermeiden wollte,können zu einem Streit geführt haben , der bei dem Tatopfer einen Verlust der Arglosigkeit zur Folge hatte. Soweit das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung aus der Einlassung des Angeklagten , P. hätte seine Entscheidung akzeptiert, für sie nicht die Familie zu verlassen, abgeleitet hat, dass insoweit kein Konfliktpotential gegeben war (UA 26), steht dies in einem inneren Widerspruch zu der in die Feststellungen aufgenommenen Annahme, der Angeklagte könnte sich zur Tötung entschieden haben, weil er sich von der eine Trennung von seiner Frau erwartenden P. unter Druck gesetzt fühlte oder sogar von ihr mit einer Offenbarung des außerehelichen Verhältnisses bedroht worden sei (UA 9). Auch hätte bei der Bewertung dieser Angaben des Angeklagten in Betracht gezogen werden müssen, dass er sich mit der Behauptung verteidigt hat, P. sei bei einem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, bei dem sie sich selbst Kabelbinder als Drosselungswerkzeuge um den Hals gelegt habe, unerwartet zu Tode gekommen. Eine Offenlegung von – möglicherweise gravierenden – Streitigkeiten wäre mit dieser Verteidigungslinie nicht vereinbar.
13
Sollte sich P. die vor der Drosselung erlittene Hinterhauptverletzung tatsächlich durch einen Sturz gegen eine Wand nach einem Stoß des Angeklagten zugezogen haben, wie es das Landgericht neben anderen Geschehensvarianten ausdrücklich für möglich hält (UA 9), könnte dies für eine vorangegangene körperliche Auseinandersetzung sprechen. In diesem Fall käme auch dem Umstand, dass diese Verletzung nicht (unmittelbar) auf einer Gewalteinwirkung von vorne beruht, keine durchgreifende Bedeutung mehr zu. Das vom Landgericht herangezogene Fehlen von Abwehrverletzungen belegt nur, dass P. jedenfalls im Zeitpunkt der Drosselung zu einer Gegenwehr nicht mehr in der Lage war, doch lässt dies noch nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass diese Wehrlosigkeit auf einer vorgängigen Arglosigkeit beruhte.
14
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Obgleich sich das Landgericht rechtsfehlerfrei davon überzeugt hat, dass der Angeklagte P. zunächst die Hinterhauptverletzung beibrachte und sie dann mit den beiden um ihren Hals gelegten Kabelbindern erdrosselte, hat der Senat davon abgesehen, die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechtzuerhalten (§ 353 Abs. 2 StPO), weil ein enger tatsächlicher Zusammenhang mit den rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Arglosigkeit des Tatopfers besteht und zumindest teilweise dieselben Beweisanzeichen (Fehlen auf Selbstrettungsversuche hindeutender Spuren im Halsbereich, vollständig erhaltene künstliche Fingernägel etc.) gewürdigt worden sind (BGH, Urteil vom 27. November 1959 – 4 StR 394/59, BGHSt 14, 30, 35).
15
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, zu Gunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen es keine realen Anknüpfungspunkte gibt (BGH, Urteil vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630, 631). Für die Annahme einer heimtückischen Tötung ist es wesentlich, dass der Täter sein keinen Angriff erwartendes Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Das Opfer kann daher auch dann arglos im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, also etwa von vorne angreift, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, um dem Angriff noch irgendwie zu begegnen (BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 – 3 StR 346/11, NStZ-RR 2012, 245; Urteil vom 20. Juli 2004 – 1 StR 145/04; Urteil vom 5. Februar 1997 – 2 StR 509/96, NStZ-RR 1997, 168).
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 507/02
vom
11. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts München I vom 16. April 2002, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Diebstahls verurteilt wurde;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1. Die Jugendkammer hat festgestellt:

a) In der Nacht vom 18. auf 19. März 2001 hielten sich nur noch der 19jährige Angeklagte und der Kellner P. in einem Münchener Lokal auf und tranken Whisky. Der Angeklagte glaubte, er sei eingeladen. Als er zahlen sollte, gab es Streit, P. drohte mit Anzeige wegen Zechprellerei. Dies erregte den Angeklagten so, daß er aus seiner Jacke, die er abgelegt hatte, ein großes Küchenmesser - er ging „nachts nie unbewaffnet“ aus - nahm und P. in Tötungsabsicht in den Rumpf stieß. P. flüchtete; der Angeklagte verfolgte ihn durch die Küche bis in den Innenhof einer Wohnanlage, wo er erneut so heftig auf ihn einstach, daß das Messer nicht unerheblich beschädigt wurde. Der Angeklagte schrie so laut, daß Anwohner der Wohnanlage erwachten. Sie verstanden einzelne Worte, wie z. B. er lasse sich nicht „verarschen“ und „Zechprellerei“. Der Angeklagte ließ schließlich von P. ab und ging in das Lokal zurück. Er wollte seine Jacke holen, entschloß sich dann aber, dort zu stehlen und nahm die gefüllte Bedienungsgeldtasche P. s an sich. Dann verließ er das Lokal, wobei er das Messer, mit dem er P. niedergestochen hatte, auf den Küchenboden warf. P. starb am nächsten Tag an den Stichverletzungen.

b) Am 5. April 2001 bemerkten der Angeklagte und der rechtskräftig abgeurteilte frühere Mitangeklagte A. in einem (anderen) Lokal die gut gefüllte Geldtasche des Wirts. Insbesondere auf Drängen von A. beschlossen sie,
den Wirt zu überfallen und versteckten sich in der Nähe des Lokals. Als der Wirt und ein Begleiter das Lokal verließen, fielen der Angeklagte und A. über sie her, der Angeklagte schlug mit einem Vierkantholz auf sie ein. Der Begleiter ging bewußtlos zu Boden, der Wirt konnte fliehen. Er ließ dabei eine Tüte mit 4.000 DM zurück, die sich der Angeklagte und A. teilten.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Jugendkammer den Angeklagten unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht (Erwachsenenstrafrecht ) wie folgt verurteilt: Im ersten Komplex wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe sowie wegen Diebstahls zu 6 Monaten Freiheitsstrafe; im zweiten Komplex wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Aus diesen Strafen hat sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren gebildet.
3. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.
Die uneingeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten führt näher aus, es sei zu Unrecht allgemeines Strafrecht angewendet worden. Sie hat zum Strafausspruch Erfolg. Die Staatsanwaltschaft wendet sich allein dagegen, daß der Angeklagte im ersten Komplex nicht wegen aus Habgier begangenen Mordes verurteilt wurde. Insoweit hat sie keinen Erfolg; das Rechtsmittel führt aber zur Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls und damit auch der Gesamtstrafe.

II.


Die Revision des Angeklagten:
1. Der Schuldspruch enthält keinen Fehler zum Nachteil des Angeklagten. Näherer Ausführung bedarf nur folgendes:

a) Gegen die Begründung, mit der die Jugendkammer Diebstahl an der Bedienungsgeldtasche bejaht, bestehen allerdings rechtliche Bedenken. Gleichwohl tragen die Feststellungen die Annahme eines Diebstahls.
Die Jugendkammer nimmt an, der niedergestochene P. habe zwar wegen seines Zustandes keinen Gewahrsam an seiner Geldtasche mehr gehabt , der Angeklagte habe jedoch den Mitgewahrsam des abwesenden Lokalinhabers gebrochen.
Ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über deren Inhalt abzurechnen hat, hat in der Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt (BGH NStZ-RR 2001, 268; BGH, Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00 m.w. N.). Ob für die Geldtasche des allein im Lokal anwesendern Kellners anderes gelten könnte, erscheint fraglich. P. hatte jedoch bis zu seinem Tod Gewahrsam an seiner Habe (BGH NJW 1985, 1911 m.w.N.).

b) Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen Totschlag und Diebstahl (vgl. BGHSt 47, 243 m.w.N.) liegt nicht vor. Die Feststellung zum Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Vorsatz zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche faßte, beruht nicht auf dem Zweifelssatz, sondern auf der Überzeugung der Jugendkammer.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet. Weder sei der Angeklagte noch einem Jugendlichen gleichzusetzen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) noch lägen Jugendverfehlungen vor (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Die Revision macht zutreffend geltend, daß die Ablehnung der Anwendung von Jugendstrafrecht nicht rechtsfehlerfrei begründet ist.

a) Gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Das JGG geht bei der Beurteilung des Reifegrades nicht von festen Altersgrenzen aus, sondern es stellt auf eine dynamische Entwicklung des noch jungen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren ab. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende , bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Angeklagte dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist allgemeines Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts dar. Nur wenn dem Tatrichter, dem bei der Entscheidung dieser Frage ein weites Ermessen eingeräumt ist, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel verbleiben, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01 = BGH NJW 2002, 72 ff. m.w.N.).


b) Zur bisherigen Entwicklung des Angeklagten und zu seinem Umfeld hat die Jugendkammer festgestellt:
Die Familie des Angeklagten lebt in einer Unterkunft für „nicht vermittelbare Mieter“. Handgreiflichkeiten sind „an der Tagesordnung“. Im Umfeld herrschen „schwierige soziale Verhältnisse, Kriminalität, Alkoholismus und Drogenkonsum“. Der Angeklagte, „ein wildes, trotziges Kind“, wurde nach drei Monaten Schulzeit „in die Sonderschule für Erziehungsschwierige umgeschult“. Nach mehreren Schulwechseln wurde er mit 16 Jahren von der Schule verwiesen. Darauf steigerte er seinen früh begonnen Konsum von Alkohol und Drogen. Er lebte „nur noch in den Tag hinein“, sämtliche Versuche, ihn zu einer Ausbildung oder einer Arbeit oder auch zum Erwerb des Führerscheins zu veranlassen , scheiterten an seinem Desinteresse. Soweit er nicht von seinem Vater „ausgehalten“ wurde, beging er Straftaten.

c) Aus alledem ergibt sich ohne weiteres, daß allgemeines Strafrecht nicht wegen einer „normalen Reifeentwicklung“ ohne „Auffälligkeiten in der geistigen und sittlichen Entwicklung“ (BGH NStZ 1984, 467 m.w.N.) angewendet worden ist. Die Jugendkammer ist vielmehr nach Beratung durch zwei Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, wegen des beim Angeklagten schon im Vorschulalter einsetzenden Fehlverhaltens und seiner normen- und wertemißachtenden Delinquenz bestünden kaum Chancen einer Nachreifung. „Die Zusammenschau der maßgeblichen Umstände und seiner Delinquenz führt zu dem Schluß, daß die vom Angeklagten ausgehenden Aggressionen auf Störungen beruhen, die bereits bei dem 19 ½ jährigen Angeklagten unbehebbar waren“. Mit dieser Formulierung geht die Jugendkammer ersichtlich davon
aus, daß beim Angeklagten Entwicklungsrückstände vorliegen. Sie nimmt jedoch an, diese Rückstände seien nicht behebbar, so daß die Entwicklung des Angeklagten bei den Taten bereits abgeschlossen war. Nur deshalb stehe er einem Jugendlichen nicht mehr gleich.
d ) Wie der Senat bereits ausgeführt hat (BGH NJW 2002, 72 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 6. März 2003 - 4 StR 493/02), ist Jugendstrafrecht auch dann unanwendbar, wenn der Heranwachsende zwar noch einem Jugendlichen gleich steht, er seine Entwicklung aber bereits abgeschlossen hat. Kann nicht mehr erwartet werden, daß er über die erreichte Entwicklungsstufe hinaus gelangt und daß die im Jugendstrafrecht vorgesehenen Rechtsfolgen bei ihm noch wirksam werden können, so ist auf ihn allgemeines Strafrecht anzuwenden. Allerdings ist erfahrungsgemäß eine die Chancen jeder Nachreifung gering achtende, pessimistische Einschätzung völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Phase zwischen 18 und 21 Jahren nur ausnahmsweise mit der erforderlichen hohen prognostischen Sicherheit möglich; sie erfordert eine Zusammenschau aller für die gesamte Entwicklung maßgeblichen Umstände und deren eingehende Würdigung. Dem werden die Ausführungen der Jugendkammer nicht in jeder Hinsicht gerecht:
(1) So hat der Sachverständige Dr. L. , dem sich die Jugendkammer (ebenso wie dem Sachverständigen Dr. F. ) in vollem Umfang anschließt , ausgeführt, daß der Angeklagte „eine Reihe guter Möglichkeiten aufweise , die sich im Umgang mit seiner materiellen Umwelt und in deren Handhabung niederschlügen“. Dies ist nicht näher ausgeführt. Die Feststellungen zur Lebensführung des Angeklagten lassen nicht erkennen, daß sich hierin „gute Möglichkeiten“ niederschlagen. Andererseits sprechen „gute Möglichkei-
ten“ eines jungen Menschen hinsichtlich seines Umgangs mit der Umwelt dafür, daß zumindest eine gewisse Aussicht besteht, daß sich diese Möglichkeiten noch realisieren werden. Mit der weittragenden Diagnose unbehebbarer Entwicklungsrückstände erscheint dies jedenfalls ohne nähere Darlegung unvereinbar.
(2) Sind, wie hier, schwerwiegende Gewaltdelikte abzuurteilen, so ist die erforderliche Gesamtwürdigung insbesondere auch auf Erkenntnisse zum Umgang mit Aggression und Gewalt zu erstrecken (Senat aaO, 76).
Hier sind jedoch schon die Feststellungen zu der - auch nur eher pauschal gewürdigten - Delinquenz des Angeklagten nicht klar:
Der Angeklagte wurde zwischen 1997 und 2001 insgesamt sechs Mal vorgeahndet, mehrfach wegen Diebstahls, außerdem wegen Hausfriedensbruchs , Urkundenfälschung, Nötigung und Erwerbs von Betäubungsmitteln. Näheres zu den Taten ist nicht mitgeteilt, es wurden aber nur deutlich unter der Schwelle von Jugendstrafe liegende Maßnahmen nach dem JGG verhängt. Anhaltspunkte für besondere Gewalttätigkeiten ergeben sich aus alledem nicht. Allerdings führt die Jugendkammer aus, der Angeklagte sei viel häufiger und schwerwiegender straffällig geworden, als sich aus den Feststellungen zu den Vorahndungen ergebe; er sei aber „meist nicht erwischt“ worden. Grundsätzlich sind in die in Rede stehende Gesamtwürdigung auch Erkenntnisse über nicht abgeurteilte Straftaten einzubeziehen. Dies kann jedoch nur auf der Grundlage konkreter und tatsächlich klarer Feststellungen geschehen. Daran fehlt es.
(a) Der Angeklagte schloß sich mit etwa 14 Jahren „einer Clique aus mehr als 50 Jugendlichen (an), die ihre Zeit mit Alkohol trinken, Haschisch rauchen und Aggressionen gegenüber anderen Leuten verbrachten“. Der bloße Hinweis auf nicht näher beschriebene Aggressionen aus einer großen Gruppe heraus (vgl. allgemein zu „Gruppendynamik und Jugendstrafrecht“ Hoffmann, StV 2001, 196 ff.) kann jedoch schwerwiegende Gewaltdelinquenz des Angeklagten nicht belegen.
(b) Nach der Schulentlassung verschaffte sich der Angeklagte Geld „durch Kleindealen mit Haschisch, Wohnungs- und Kellereinbrüche und ‚Ablinken ‘ von Geld, Schmuck und Kleidung“. Näheres hierzu ist nicht mitgeteilt. Es bleibt daher unklar, ob sich der Angeklagte Geld, Schmuck und Kleidung eher betrügerisch oder eher gewaltsam beschafft hat. Es macht jedoch offensichtlich (auch) im Hinblick auf die Frage einer möglichen Nachreifung einen erheblichen Unterschied, ob die hier abgeurteilten Taten Teile einer Kette schwerwiegender Raub- oder sonstiger Gewaltdelikte sind, oder ob der Angeklagte bisher vor allem Straftaten begangen hat, die - wie etwa Einbrüche und Rauschgifthandel - zwar nicht leicht wiegen, aber auch nicht von Gewalttätigkeit gekennzeichnet sind.

e) Auch gegen die Ausführungen, mit denen die Jugendkammer das Vorliegen von Jugendverfehlungen (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG) ablehnt, bestehen rechtliche Bedenken. Zwar hat der Tatrichter auch insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum (BGH NStZ – RR 1999, 26, 27 m.w.N.) und die bisherigen Feststellungen zu Taten und Täter drängen die Annahme von Jugendverfehlungen jedenfalls nicht auf. Die Jugendkammer beschränkt sich jedoch auf den Hinweis, die Verneinung von Jugendverfehlungen bedürfe keiner näheren Er-
örterung. Dies ermöglicht dem Senat nicht die Überprüfung, ob die Jugendkammer dabei von einem rechtlich zutreffenden Maßstab ausgegangen ist (vgl. zu alledem zusammenfassend BGH StV 2001, 181 f. m.w.N.).
3. Um der neu zur Entscheidung berufenen Jugendkammer einheitliche Feststellungen als Grundlage der neuen Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die der Strafzumessung zugehörigen Feststellungen insgesamt auf. Er bemerkt jedoch, daß die Ausführungen der Jugendkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten für sich genommen Rechtsfehler nicht erkennen lassen.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Staatsanwaltschaft hält die Annahme, der Angeklagte habe sich erst zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche entschlossen, nachdem er P. niedergestochen hatte, für rechtsfehlerhaft. Zur Begründung verweist sie nicht zuletzt auf den Akteninhalt sowie auf Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung. Das Revisionsgericht gleicht jedoch weder die Urteilsgründe mit dem Akteninhalt ab, noch rekonstruiert es Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Wahl, NJW – Sonderheft für G. Schäfer 2002, 73 m.N.). Eine zulässige Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Im übrigen erschöpft sich das Vorbringen in dem Versuch, die Beweiswürdigung der Jugendkammer durch eine eigene zu ersetzen, ohne jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen, wie auch der Generalbundesanwalt in der Haupt-
verhandlung vor dem Senat ebenso wie schon in seinem schriftlichen Antrag vom 12. Dezember 2002 zutreffend ausgeführt hat.
2. Die Prüfung weiterer Mordmerkmale war nicht erforderlich.

a) Der Angeklagte glaubte, er sei von P. eingeladen worden, dessen Vorwurf der Zechprellerei versetzte ihn in Wut (I 1 a). Die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, trotz einer Zechprellerei sei Verdeckungsmord nicht geprüft worden, geht ins Leere.

b) Wie der Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend ausgeführt hat, war auch eine Erörterung von Heimtücke nicht geboten.
Die Jugendkammer hat festgestellt, daß der Angeklagte vor dem ersten, bereits in Tötungsabsicht gesetzten Stich „das ... Messer ... holte und auf ... P. losging“. Dies legt die Annahme, P. sei bei Beginn dieses Angriffs arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke gewesen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13 und 17 m. zahlr. N.) nicht nahe. Es ist auch nicht erkennbar, worauf sich nach dem Tode P. s noch Feststellungen darüber stützen ließen, wann er die ihm drohende Gefahr erkannte (vgl. BGHSt 33, 363, 365).
3. Es wäre jedoch Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB) zu prüfen gewesen. Der Angeklagte hat das Messer, mit dem er P. erstochen hatte, erst beim Verlassen des Lokals weggeworfen, hatte es also bei dem Diebstahl bei sich. Ein (großes) Küchenmesser fällt an sich unter § 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. BGHSt 43, 265, 269; BayObLG NJW 1999, 2535 f.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 244 Rdn. 3 jew. m.w.N.). Ob es trotz seiner Beschädigungen (vgl. I 1 a) noch funktionsfähig war (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 12 m.w.N.), bedarf tatrichterlicher Prüfung, ebenso die subjektiven Voraussetzungen von § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. hierzu BGH NStZ- RR 2003, 12 f. m.N.).
4. Auch unabhängig davon enthält die Strafzumessung wegen des Diebstahls einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler, da § 243 StGB nicht geprüft ist, obwohl die Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB vorliegen. Der schwerverletzte P. war hilflos und konnte deshalb die Wegnahme seiner Bedienungsgeldtasche nicht verhindern. Der Grund der Hilflosigkeit des Opfers ist ohne Bedeutung (Tröndle /Fischer aaO § 243 Rdn. 21). Daher fällt es auch unter das Regelbeispiel, wenn der Täter eine von ihm selbst aus anderen Gründen herbeigeführte Hilflosigkeit des Opfers für einen auf Grund neuen Entschlusses begangenen Diebstahl ausnutzt ( BGH, Beschluß vom 19. Februar 2002 – 1 StR 28/02).
5. Läge bewaffneter Diebstahl vor (vgl. III 3), würde § 243 StGB dahinter zurücktreten (BGHSt 33, 50, 53 m.w.N.). Dies stünde der strafschärfenden Berücksichtigung des Umstandes, daß zugleich ein Hilfloser bestohlen wurde, nicht entgegen (vgl. BGHSt 21, 183, 185; BGH, Beschlüsse vom 19. November 1981 – 4 StR 498/81 und vom 9. März 1977 – 3 StR 512/76); das gesteigerte Unrecht eines bewaffnet begangenen Diebstahls steht in keinem inneren Zusammenhang mit dem ebenfalls gesteigerten Unrecht eines Diebstahls zum Nachteil eines Hilflosen (vgl. auch BGH b. Pfister NStZ - RR 2001, 365 m.N.).
6. Mit der Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls entfällt die Gesamtstrafe. Ein Einfluß der aufgezeigten Mängel auf die Einzelstrafe wegen des Totschlags ist ausgeschlossen. Da sie auch sonst ohne den Angeklagten begünstigenden Fehler festgesetzt wurde, ist die Revision der Staatsanwaltschaft
(auch) insoweit zu verwerfen. Darauf, daß dieses Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), kommt es nicht an, da der Strafausspruch schon auf die Revision des Angeklagten aufzuheben war (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02; BGH VRS 50, 369, 370; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 301 Rdn. 9 jew. m.w.N.).
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Kolz

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.