Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2017 - 4 StR 536/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:190717B4STR536.16.0
bei uns veröffentlicht am19.07.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 536/16
vom
19. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:190717B4STR536.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 19. Juli 2017 einstimmig
beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 3. Mai 2016 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat zu der von beiden Angeklagten übereinstimmend erhobenen Verfahrensrüge unter II. 2. b der Revisionsbegründungen, soweit damit Verstöße gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO und § 257c StPO ("unzulässige informelle Verständigung") beanstandet werden: Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rügen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ergeben sich schon aus der unvollständigen Wiedergabe des Vermerks des Vorsitzenden vom 29. Juli 2015. Vor allem aber haben die Beschwerdeführer - im Hinblick auf die gerügten Verstöße - nicht die von ihnen zurückgenommenen Beweisanträge vorgetragen; daher kann der Senat die von den Revisionen - in Anlehnung an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 2016 (2 BvR 1422/15, NStZ 2016, 422) - behauptete synallagmatische Ver- knüpfung mit der Einstellung einer Vielzahl angeklagter Taten nach § 154 Abs. 2 StPO nicht abschließend prüfen.
Im Übrigen wären die Rügen auch unbegründet: Soweit sich das Verständigungsgeschehen in der Hauptverhandlung ereignet hat, bedurfte es keiner gesonderten Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2017 - 5 StR 607/16, NStZ 2017, 299).
Auch liegt die Sachverhaltskonstellation, zu der die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 2016 ergangen ist, hier - soweit dies nach dem Revisionsvorbringen beurteilt werden kann - nicht vor. Dort ergab sich die wechselseitige Verknüpfung "insbesondere aus dem Hinweis des Vorsitzenden auf die - seines Erachtens bestehende - Möglichkeit der Staatsanwaltschaft , ihre Zustimmung zu einer Verfahrensbeschränkung zurückzunehmen , wenn es nicht zu der erhofften Beschleunigung komme, und auf die Möglichkeit der Verteidigung, zurückgenommene Beweisanträge erneut zu stellen, wenn es umgekehrt nicht zu der erhofften Verfahrensbeschränkung komme" (aaO Rn. 22). Eine solche beabsichtigte gegenseitige Zweckbindung liegt hier nicht vor: Äußerungen des Vorsitzenden in Richtung auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 154 Abs. 4 und 5 StPO sind nicht gefallen. Die Verteidiger der Angeklagten stimmten der von der Staatsanwaltschaft beantragten - und mit ebenfalls nicht vorgelegter Zuschrift vom 12. Januar 2016 bereits angekündigten - Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ausdrücklich zu. Nachdem angesprochen worden war, dass die Beweisanträge sich wohl damit erledigt haben dürften (so das Hauptverhandlungsprotokoll), kündigten beide Verteidiger an, dass diese Anträge zu gegebener Zeit zurückgenommen werden; sie erklärten unmittelbar nach der Beschlussfassung durch das Gericht die Zurücknahme. Es ist nicht ersichtlich, worin hierbei ein Entgegenkommen der Verteidi- gung im Sinne eines "do ut des" liegen könnte. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt davon aus, dass sich die gestellten und später wieder zurückgenommenen Beweisanträge gerade auf den ausgeschiedenen Verfahrensstoff bezogen haben (so auch die örtliche Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung). Die zunächst gestellten Beweisanträge waren wegen des zwischenzeitlichen Verfahrensgeschehens quasi überholt und der rechtlichen Bedeutungslosigkeit anheimgefallen. Ein Zusammenhang mit weiterem Verfahrensgeschehen oder gar mit der abschließenden Sachentscheidung im Urteil stand nicht im Raum. Anders als in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10. September 2014 (5 StR 351/14, StV 2015, 153), auf den sich die Revision ebenfalls bezieht, äußerte der Vorsitzende sich in diesem Zusammenhang auch nicht zu einer Straferwartung.
Franke Roggenbuck Cierniak Bender Paul

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2017 - 4 StR 536/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2017 - 4 StR 536/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (
Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juli 2017 - 4 StR 536/16 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

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(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

Strafprozeßordnung - StPO | § 243 Gang der Hauptverhandlung


(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2017 - 5 StR 607/16

bei uns veröffentlicht am 24.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 607/16 vom 24. Januar 2017 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2017:240117B5STR607.16.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2014 - 5 StR 351/14

bei uns veröffentlicht am 10.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 351/14 vom 10. September 2014 in der Strafsache gegen wegen Verabredung der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Septembe

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 607/16
vom
24. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2017:240117B5STR607.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 24. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 28. September 2016 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dringt schon deshalb nicht durch, weil es sich bei den Gesprächen vor dem Schöffengericht vor der Verweisung nach § 270 Abs. 1 StPO nicht um solche im Sinne von §§ 202a, 212 StPO gehandelt hat, sondern diese in einer öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers geführt wurden. Für solche Konstellationen sieht der Senat auch keinen Anlass für eine analoge Anwendung von § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.
Sander Schneider Dölp König Mosbacher

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 351/14
vom
10. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Verabredung der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von
Zahlungskarten mit Garantiefunktion
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. September 2014 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 16. Dezember 2013, soweit es ihn betrifft,
nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Verabredens zu einem Verbrechen“ unter Einbeziehung einer Vielzahl von Einzelfreiheitsstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 8. März 2012 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen entschlossen sich der Angeklagte, der Mitangeklagte M. , der frühere Mitangeklagte F. und der gesondert Verfolgte N. sowie weitere unbekannte Mittäter zwischen Februar und dem 25. März 2011 dazu, – gewerbsmäßig und als Mitglieder einer Band handelnd – an Geldauszahlungsautomaten der Commerzbank Skimmingequipment zum technischen Ausspähen von Daten von Zahlungskarten mit Garantiefunktion anzubringen (§ 152b Abs. 2 StGB). Mit den auszulesenden Daten und der dazugehörigen PIN-Nummer sollten Kartendubletten hergestellt werden, um mit diesen im Ausland an Geldautomaten Geldbeträge abheben zu können.
3
a) Am Morgen des 25. März 2011 versuchte der Mitangeklagte M. in den Geschäftsräumen der Commerzbank in Chemnitz durch Anbohren den Karteneinzugsschacht des Geldauszahlungsautomaten zu manipulieren, der sich jedoch selbsttätig abschaltete. Die Tatbeteiligten – N. stand vor der Bankfiliale und hielt Wache, während der Angeklagte und F. jeweils in einem Fahrzeug die Umgebung beobachteten – brachen daraufhin den Manipulationsversuch ab und beabsichtigten, „ihr Glück an einem anderen Geldau- tomaten später zu versuchen“.
4
b) Betreffend weitere vier vergleichbar ablaufende Taten, die der Angeklagte , M. und teilweise auch F. im Zeitraum vom 11. Februar bis 6. März 2011 begangen haben sollen, hat das Landgericht das Verfahren gegen den Angeklagten und M. gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt (Anklagevorwürfe 1, 3 bis 5). Gegenstand des Urteils des Landgerichts Bayreuth vom 8. März 2012 waren elf – zum Teil lediglich versuchte – Aufbrüche von Geldeinzahlungsautomaten, die M. mit einem Schraubenzieher oder einem Geißfuß ausführte. Bei den ersten sieben der ab dem 13. März 2011 begangenen Taten, von denen drei in unmittelbarer zeitlicher Abfolge nach der gegenständlichen Tat am 26. und 27. März 2011 erfolgten, befand sich der Angeklagte in seinem Fahrzeug und sicherte die Tatausführung ab.
5
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
a) Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, dass er davon ausgegangen sei, es solle ein Aufbruch des Geldeinzahlungsautomaten stattfinden, um an das Münzgeld zu gelangen. Entgegen der Einlassung M. ‘ sei nicht er, sondern M. der „Kopf“ der Tätergruppe gewesen. Die Einlassung des Angeklagten wird teilweise durch die vom Landgericht für unglaubhaft erachtete Aussage des früheren Mitangeklagten F. gestützt, wonach M. , der zusammen mit N. „das Sagen“ hatte, den Geldautomaten aufbrechen sollte; der Angeklagte sei zwar „ab und an bei den Taten beteiligt“ gewesen, nicht jedoch am 25. März 2011.
7
b) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er habe geglaubt , sich an einem Automatenaufbruch zu beteiligen, durch die ohne nähere Darlegung als glaubhaft bewertete Einlassung M. ’, die den Urteilsfeststel- lungen zugrunde gelegt wurde, als widerlegt angesehen.
8
aa) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Sie ermöglicht dem Revisionsgericht nicht die erforderliche Prüfung, inwieweit die Angaben M. ‘ überhaupt geeignet waren, die Einlassung desAngeklagten zu widerlegen. Den Sachverhaltsfeststellungen sind keine tatsächlichen Umstände zu entnehmen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Angeklagte von einer beabsichtigten Geldautomatenmanipulation ausgegangen ist. Dass der Angeklagte von seinem Onkel D. das Skimmingequipment zur Verfügung gestellt bekommen hat und von diesem in die Anwendung der Technik eingewiesen worden ist, wird nicht belegt. Allein die rechtskräftige Verurteilung D. s wegen erfolgreich durchgeführter Skimmingtaten mit einer anderen Tätergruppe besagt hierzu nichts.
9
bb) Die Strafkammer belegt zudem nicht die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten M. . Anlass zur kritischen Prüfung hätte bereits aufgrund des Umstands bestanden, dass M. , der als einziger Beteiligter die Geschäftsräume der Bank betreten hat, um die Skimmingtechnik anzubringen , ein maßgebliches Interesse hatte, seine Tatbeteiligung als geringer straf- würdig erscheinen zu lassen, so durch die Angabe, dass der Angeklagte der „Kopf“ der Tätergruppe gewesen sei und dass er von dessen Onkel D. we- gen eines nicht zurückgezahlten Darlehens mit massiver körperlicher Gewalt zur Tatbegehung veranlasst worden sei.
10
cc) Ein Erörterungsmangel ist darüber hinaus auch darin zu sehen, dass das Landgericht Umstände, die gegen eine Kenntnis des Angeklagten von der beabsichtigten Geldautomatenmanipulation sprechen, nicht in seine Überlegungen einbezogen hat. Es stellt zwar zutreffend als Indiz heraus, dass der Abbruch der Tat durch M. erfolgte, ohne dass eine Störung des Tatablaufs durch Dritte verursacht worden sei, und dass dieser Umstand den Schluss zulasse, dass alle Tatbeteiligten von einem Manipulationsversuch ausgingen, der wegen technischer Probleme gescheitert sei. Die Strafkammer hätte sich aber gegenläufig damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte und M. vom Landgericht Bayreuth lediglich wegen Aufbrüchen von Geldeinzahlungsautomaten vor und unmittelbar im Anschluss an das Tatgeschehen verurteilt worden war. Den Feststellungen, dass M. und der Angeklagte nach der verfahrensgegenständlichen Tat sich „nunmehr“ entschlossen, Geldeinzahlungsautomaten aufzubrechen, und gleichwohl auch beabsichtigten, „ihr Glück an einem anderen Geldautomaten später zu versuchen“, ermangelt es daher an einer belastbaren Tatsachengrundlage.
11
3. Die Sache bedarf mithin neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird bei neuerlicher Verurteilung zu prüfen haben, ob der Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 16. Mai 2011 Zäsurwirkung entfaltet und daher – unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots – zwei (Gesamt-)Strafen zu verhängen sind (§ 55 StGB). Insoweit kommt es auf den Vollstreckungsstand hinsichtlich der Geldstrafe zum Zeitpunkt des Urteils des Landgerichts Bayreuth vom 8. März 2012 an, weil dort bewusst von einer Einbeziehung der Geldstrafe lediglich deshalb abgesehen worden ist, weil der Angeklagte nach Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2001 – 5 StR 291/01, NStZ 2001, 645).
12
4. Der Senat weist mit Blick auf die von der Revision erhobene Verfah- rensrüge der „Verletzung des § 257c StPO“ darauf hin, dass die Vorgehens- weise des Landgerichts durchgreifend bedenklich erscheint. Danach hat es am 16. Dezember 2013 Rechtsgespräche der Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gegeben, die zunächst zur Einstellung der von ihm insgesamt bestrittenen Anklagevorwürfe 3 bis 5 und später auch des Tatvorwurfs 1 gemäß § 154 Abs. 2 StPO und darauf zur Rücknahme der von ihm gestellten Beweisanträge führten, wobei die vom Landgericht ursprünglich geäußerte Straferwartung sich sukzessive auf vier Jahre Gesamtfreiheitsstrafe verringerte und die Staatsanwaltschaft hierzu Zustimmung signalisierte. In ihrer Gegenerklärung zur Revisionsbegründung bestätigte die Staatsanwaltschaft den Sachvortrag der Revision; es sei dem Sitzungsvertreter lediglich „nicht mehr erinnerlich“, ob die „Absprache“ außerhalb der Hauptver- handlung in einer Pause oder während der Hauptverhandlung erfolgte. Es habe seitens des Vorsitzenden Äußerungen zur Höhe einer möglichen Bestrafung des Angeklagten aufgrund seines Geständnisses und der bisher durchgeführten Beweisaufnahme gegeben.
13
Das Landgericht hat bei seinem Vorgehen die gesetzlichen Vorgaben einer Verständigung, wie sie in § 257c StPO statuiert sind, missachtet (zur Unzulässigkeit informeller Absprachen: BVerfGE 133, 168). Die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft, dass die Äußerungen des Vorsitzenden „nicht im Sinne des § 257c StPO“ erfolgt und daher eine Protokollierung nicht erforderlich gewesen sei, ist unvertretbar.
Basdorf Sander Schneider
Berger Bellay