Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2014 - 4 StR 565/13

bei uns veröffentlicht am27.01.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 565/13
vom
27. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 27. Januar 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 23. August 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer rechtskräftig verhängten Geldstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen kam es am Morgen des 5. Januar 2013 zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Ne- benklägerin, der Zeugin R. , vor deren Wohnung. Als die Nebenklägerin sich umdrehte, um ins Haus zu gehen, schlug der Angeklagte ihr mit der scharfen Klingenseite eines Beiles wuchtig auf den Hinterkopf, wobei er ihren Tod billigend in Kauf nahm. Ein weiterer Schlag traf sie an der linken Schulter. Sie ging zu Boden, wobei der Angeklagte weiter auf sie einwirkte. Schließlich gelang es ihr, „das Beil mit Händen und Füßen wegzudrücken, so dass der Angeklagte es fallen ließ. … Das Beil blieb rechts neben ihr auf dem Boden liegen.“ Anschlie- ßend entfernte sich der Angeklagte vom Tatort. Die Nebenklägerin wurde notärztlich versorgt.
3
2. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet habe. Ein fehlgeschlagener Versuch könne nicht angenommen werden, weil das Beil in Griffweite auf dem Boden gelegen habe. Das Schwurgericht konnte nicht ausschließen, dass der Angeklagte dies erkannt und die Herbeiführung des Tötungserfolgs noch für möglich gehalten habe. Jedoch könne nicht festgestellt werden, welche Gedanken sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Aufgabe der Tatausführung gemacht habe. Deshalb könne allenfalls festgestellt werden, dass er sich überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht habe, ob die Nebenklägerin sterben könnte oder nicht, weswegen ein beendeter Versuch anzunehmen sei.

II.


4
1. Das angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel auf. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines beendeten Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefrei- enden Rücktritt verneint hat, halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, Satz 2 StGB zurückgetreten werden kann, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht. Als innere Tatsache muss diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen aber positiv festgestellt werden (Senatsbeschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, vom 14. August 2013 – 4 StR 308/13 und vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 469/13).
6
b) Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Denn das Landgericht hat trotz der festgestellten Tatumstände gerade keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zur Schwere der Verletzungen zu ziehen vermocht, sondern hat lediglich aus dem Umstand, dass keine eindeutigen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten zum Erfolgseintritt getroffen werden konnten, auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen geschlossen. Die positive Feststellung, dass sich der Angeklagte keine Gedanken über den Erfolgseintritt gemacht hat, hat es damit nicht getroffen; denn die positive Feststellung der gedanklichen Indifferenz darf mit dem Fall, dass zu den Gedanken des Angeklagten keine Feststellungen getroffen werden können, nicht gleichgesetzt werden, da es in dem letztgenannten Fall noch Raum für die Anwendung des Zweifelssatzes gibt (Senatsbeschlüsse jew. aaO; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, 2. Aufl., § 24 Rn. 37).
7
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Von der Aufhebung erfasst wird auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung.
8
Bei der erneuten Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wird der Tatrichter auch in den Blick zu nehmen haben, dass der Sachverständige dem Angeklagten im Zusammen- hang mit der Aufgabe seines Alkoholkonsums eine „gewisse Ich-Stärke“ be- scheinigt hat, und es nach den bisherigen Feststellungen trotz häufigen Zusammentreffens mit dem Zeugen K. , einem weiteren Intimpartner der Nebenklägerin , nie zu einem Streit kam.
Sost-Scheible Cierniak Franke
RiBGH Dr. Quentin ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Bender Sost-Scheible

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2014 - 4 StR 565/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2014 - 4 StR 565/13

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be
Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2014 - 4 StR 565/13 zitiert 3 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2014 - 4 StR 565/13 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 4 StR 170/13

bei uns veröffentlicht am 22.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 170/13 vom 22. Mai 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Mai 2013 gemäß § 34

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Aug. 2013 - 4 StR 308/13

bei uns veröffentlicht am 14.08.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 308/13 vom 14. August 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 14. August 2013

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2013 - 4 StR 469/13

bei uns veröffentlicht am 18.12.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 469/13 vom 18. Dezember 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Dezember 2
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Jan. 2014 - 4 StR 565/13.

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Feb. 2018 - 5 StR 347/17

bei uns veröffentlicht am 21.02.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 347/17 vom 21. Februar 2018 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR347.17.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.

Referenzen

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 170/13
vom
22. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Mai 2013 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 18. Dezember 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes (Mordmerkmal Heimtücke) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 5 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet der Angeklagte unter anderem die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen wohnte der Angeklagte zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder P. – dem späteren Tatopfer – und den gemeinsamen Eltern in einem Haus. Der Angeklagte bedrohte seinen Bruder wiederholt mit dem Tod und wurde häufig gewalttätig. P. wehrte sich hiergegen zunächst nicht. Erst ab seinem 18. Lebensjahr, das er im Jahr 2008 erreicht hatte, war er nicht länger bereit, die Beleidigungen, Drohungen und physischen Angriffe des Angeklagten hinzunehmen. Er trieb vermehrt Sport, unter anderem Kampfsport, um dem Angeklagten körperlich nicht mehr unterlegen zu sein, und wehrte sich in der Folgezeit bei Übergriffen. Außerdem besorgte er sich eine Stange, die er neben sein Bett legte, um sich im Notfall gegen den Angeklagten verteidigen zu können. Auch schlief er in der Regel erst ein, wenn er hörte, dass der Angeklagte sich zur Ruhe begeben hatte. In den Monaten vor der Tat spitzte sich die familiäre Situation durch das Verhalten des Angeklagten derart zu, dass sich P. an den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt H. mit der Bitte um Unterstützung wandte.
3
In der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 2012 ging P. gegen 2:00 Uhr in seinem Zimmer im ersten Obergeschoss zu Bett. Als der Angeklagte ihn gegen 3:00 Uhr aufforderte, mit ihm Computer zu spielen, lehnte er dies ab und schlief kurz darauf ein. Der Angeklagte war über diese Zurückweisung verärgert. Er weckte die zur Familie gehörenden Hunde auf, um seinen Bruder in den unteren Flur zu locken. Dort wollte er ihm auflauern und ihn körperlich angreifen. Tatsächlich wurde P. durch das laute Bellen der Hunde aufgeweckt. Er stand auf und ging – bekleidet mit Boxershorts und T-Shirt – ins Erdgeschoss. Da er annahm, dass die Hunde Auslauf haben wollten, ließ er sie auf die Terrasse. Nachdem er sich im Esszimmer noch eine Zigarette gestopft hatte, schaltete er das Licht aus und ging in den unbeleuchteten Flur, in den nur aus seinem Zimmer und durch ein kleines Fenster etwas Licht fiel. Als er vor der zu seinem Zimmer im Obergeschoss führenden Treppe stand, hörte er ein mehrmaliges Klopfen gegen eine Tür. Er ging daraufhin in Richtung der Haustür , weil er dachte, dass ein Bekannter gekommen sei und sich nun durch das Klopfen bemerkbar machen wollte. Der Angeklagte, der P. bewusst in den dunklen Bereich des Flures gelockt hatte, um ihm die Verteidigung gegen den geplanten Angriff zu erschweren, trat nun wortlos von rechts auf seinen Bruder zu. Ob er dabei etwas in der Hand hatte, war für P. – derdarauf auch nicht achtete – in diesem Moment nicht erkennbar. Als der Angeklagte unmittelbar vor seinem Bruder stand, drückte er ihn gegen die Wand. Spätestens jetzt nahm er ein Anglermesser mit einer etwa 13,5 cm langen , nach vorn spitz zulaufenden Klinge aus einem am Gürtel getragenen Holster und stach mit großer Wucht mindestens einmal auf den Oberkörper von P. ein. Dabei nahm er tödliche Verletzungen zumindest billigend in Kauf. Der Stich traf P. , der seine Arme schützend vor Oberkörper und Gesicht gehoben hatte, zunächst am linken Unterarm und drang dann in den Brustkorb ein. Ihm gelang es, den Angeklagten zurückzustoßen. Sodann kam es zu einer Rangelei, bei der P. bemüht war, Abstand zwischen sich und den Angeklagten zu bekommen. Als ihm dies gelungen war, trat er zurück in den helleren Bereich des Flures. Dort sah er durch das einfallende Licht, dass er eine mehrere Zentimeter große klaffende Wunde an seinem linken Arm hatte, von der die bis auf den Knochen geöffnete Haut wie ein Lappen herunterhing. Auch bemerkte er, dass der Angeklagte das Messer in der rechten Hand hielt. P. verließ den Flur und lief durch das Esszimmer in Richtung der Terrasse. Seiner Mutter rief er im Vorbeilaufen zu, dass sie Hilfe holen möge. Sodann öffnete er die Tür zur Terrasse und schloss diese wieder, nachdem er das Haus verlassen hatte. Von dort aus lief er in den Garten. Der Angeklagte, der seinem Bruder ins Esszimmer gefolgt war, verweilte dort kurz. Als er bemerkte, dass seine Mutter telefonisch einen Notruf absetzen wollte, riss er ihr das Telefon aus der Hand und warf es gegen die Wand, sodass es beschädigt auf den Boden fiel. P. lief währenddessen im Garten durch den Hühnerstall – wo er zwei Türen entriegeln und wieder verschließen musste – zu einem etwa 300 Meter entfernt liegenden Gartenhaus und weckte seinen dort schlafenden Vater. Dieser ließ seinen Sohn herein und setzte einen Notruf ab. Anschließend begann er dessen Verletzung zu verbinden. In dieser Situation erschien der Angeklagte ohne Messer im Gartenhaus. Dabei sagte er zu seinem Bruder: „Ach, Du lebst ja noch“ und zu seinem Vater gewandt: „Ich habe oft um Hilfe gebeten, aber ihr habt nichts getan“. Kurze Zeit danach ver- ließ er das Gartenhaus wieder.
4
P. erlitt eine Schnittwunde im rechten oberen Thorax, die sich nur zwei bis drei Zentimeter entfernt von einem größeren Blutgefäß sowie in unmittelbarer Nähe von Herz und Lunge befand. Des Weiteren hatte er eine tiefe Schnittwunde am linken Unterarm mit Durchtrennung einer Sehne und Spaltung der Elle.
5
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz auf seinen Bruder eingestochen und dabei heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat. Einen strafbefreienden Rücktritt hat es mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet habe. Ein beendeter Versuch sei hier anzunehmen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass sich der Angeklagte über die Folgen seiner Tat überhaupt irgendwelche Vorstellungen gemacht hat. Ein realer Gesichtspunkt , an den die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe ge- glaubt, der mit Tötungsvorsatz geführte Stich sei nicht tödlich, bestehe nicht. Der Umstand, dass der Geschädigte noch weglaufen konnte, sei ohne Bedeutung , weil der tödliche Erfolg nicht in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der verursachenden Handlung stehen müsse und auch erst einige Zeit später durch Verbluten eintreten könne. Auch die Einlassung des Angeklagten habe in Bezug auf sein Vorstellungsbild nichts erbracht. Wenn sich aber Erwägungen des Angeklagten, dass die zugefügten Verletzungen nicht tödlich sein würden, nicht feststellen lassen, könne allenfalls festgestellt werden, dass sich der Angeklagte überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht habe, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht. In diesem Fall sei ein beendeter Versuch anzunehmen. Der Zweifelsgrundsatz, der auch auf das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen Anwendung finde, erlaube es nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für die es – wie hier – keine konkreten Anhaltspunkte gäbe (UA 28).

II.


6
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines beendeten Versuches gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt verneint hat, an einem Erörterungsmangel leiden (§ 261 StPO) und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
7
1. Im Ansatzpunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Satz 2 StGB zurückgetreten werden kann, auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bis- herigen Verhaltens macht (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Rn. 9; Beschluss vom 3. Februar 1999 – 2 StR 540/98, NStZ 1999, 299; Urteil vom 10. Februar 1999 – 3 StR 618/98, NStZ 1999, 300, 301; Beschluss vom 12. April 1995 – 2 StR 105/95, MDR 1995, 878, 879 bei Holtz; Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 24 Rn. 15; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, § 24 Rn. 37). Diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere Tatsache, die positiv festgestellt werden muss. Hierzu bedarf es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände. Können keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden, ist der Zweifelsgrundsatz anzuwenden (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Rn. 14; Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, Rn. 13 mwN).
8
Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Soweit das Landgericht dem von dem Angeklagten wahrgenommenen „Weglaufen“ des Geschädigten nach dem Messerstich jegliche Indizwirkung für ein Ausbleiben tödlicher Folgen abgesprochen hat, erschöpft sich die Begründung in dem allgemeinen Hinweis, dass bei Messerstichen ein Tod durch Verbluten auch noch mit zeitlicher Verzögerung eintreten könne. Dies ist zwar zutreffend, doch hätte sich das Landgericht an dieser Stelle näher mit den von ihm festgestellten weiteren Umständen des Geschehens bei und unmittelbar nach der Tat auseinandersetzen und diese zusammenfassend würdigen müssen. Der Messerstich wurde im Dunkeln geführt. Erst nachdem sich der Geschädigte von dem Angeklagten gelöst hatte und ins Licht gelangt war, sah er die klaffende Wunde an seinem linken Arm. Bei dieser Sachlage wäre zu erörtern gewesen, ob für den unter gleichen Sichtverhältnissen agierenden Angeklagten nur diese nicht naheliegend als lebensgefährlich anzusehende Ver- letzung als Auswirkung des Messerstichs erkennbar war und deshalb aus seiner Sicht – auch mit Blick auf das nachfolgende Verhalten seines Bruders (Zurückstoßen des Angeklagten, erfolgreich bestandene Rangelei, Verlassen des Hauses durch die anschließend wieder verschlossene Terrassentür, Weg durch den Garten usw.) – Grund für die Annahme bestand, der mit bedingtem Tötungsvorsatz geführte Stich werde tatsächlich keine lebensbedrohlichen Folgen haben.
9
Auch ist es rechtlich bedenklich, dass das Landgericht aus der Tatsache, dass es keine Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt treffen konnte, auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen geschlossen hat (SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, § 24 Rn. 37). Zwar trifft es zu, dass der Zweifelssatz nicht dazu nötigt, (innere) Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gibt (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Rn. 14; Urteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, Rn. 13 mwN), doch rechtfertigt dies für sich genommen noch nicht den vom Landgericht gezogenen Schluss. Allerdings kann in Fällen, in denen sich aus den objektiven Umständen kein Hinweis auf das konkrete Vorstellungsbild des Täters im Zeitpunkt des Abbruchs der Tathandlung ergibt, die Annahme gerechtfertigt sein, dass bei ihm die der Tatbegehung zugrunde liegende Folgeneinschätzung fortbestanden hat; maßgeblich ist indes auch dann sein „Rücktrittshorizont“ nach der letzten Ausführungshandlung (vgl. dazuauch BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 337/11).
10
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter – sofern er wieder entsprechende Feststellungen zu treffen vermag – auch zu erwägen haben, ob der Äußerung des Angeklagten beim Anblick seines verletzten Bruders im Gartenhaus („Ach, Du lebst ja noch“) ein Hinweis auf ein indifferentes Vorstellungsbild oder eine Gleichgültigkeit gegenüber einem möglichen Todeseintritt entnommen werden kann.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 308/13
vom
14. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 14. August 2013 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 8. Februar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Der Angeklagte war seit Ende Februar 2012 als Leiharbeiter bei einem in der Fleischverarbeitung tätigen Unternehmen in R. im Schichtdienst beschäftigt. Zusammen mit mehreren, vorwiegend osteuropä- ischen Arbeitnehmern, zu denen auch der Geschädigte S. sowie der Zeuge T. gehörten, lebte er in einer von seinem Arbeitgeber gestellten Unterkunft, in der jeder der Arbeitnehmer ein Zimmer bewohnte und sich mit den anderen die Benutzung der Gemeinschaftsräume wie Küche und Badezimmer teilte. Nachdem der Angeklagte am 16. Juni 2012 bis 9.00 Uhr morgens gearbeitet, danach geschlafen und im Anschluss Einkäufe erledigt hatte, trank er nach seiner Rückkehr gegen 17.00 Uhr zunächst mit einem anderen Mitbewohner Wodka und Bier und spielte daraufhin mit dem Geschädigten S. und anderen Männern bis etwa 4.00 Uhr nachts in der Gemeinschaftsküche Karten. In Gegenwart des Zeugen T. , der in die Küche gekommen war, entwickelte sich zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten S. eine zunächst nur verbale Auseinandersetzung, dann aber eine Prügelei, bei der beide auf dem Boden der Küche zu liegen kamen und mit Fäusten auf Gesicht und Oberkörper des jeweils anderen einschlugen. Wer mit der Auseinandersetzung begonnen hatte, konnte das Landgericht nicht sicher feststellen. Auf Initiative des Zeugen T. , der den Geschädigten vom Körper des Angeklagten heruntergezogen hatte, erklärten beide den Streit für beendet. Während der Geschädigte im Begriff war, sich wieder auf seinen Stuhl am Küchentisch zu setzen, öffnete der Angeklagte die Schublade des Küchentischs , entnahm ihr mit der rechten Hand ein Messer mit einer 15 cm langen Klinge, drehte sich um und stach dem Geschädigten, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehend, zweimal schnell hintereinander in die linke Seite des mit einem T-Shirt bekleideten Oberkörpers, wobei er billigend in Kauf nahm, diesen zu töten. Anschließend warf er das Messer in die noch offen stehende Schublade. Der Geschädigte blieb noch einen Augenblick stehen, bevor er auf dem Boden zusammensackte. Während der Zeuge T. versuchte , mit einem Küchentuch die Blutungen zu stoppen, setzte sich der Angeklagte auf einen Stuhl im hinteren Teil der Küche und begann sich eine Zigarette zu drehen. Vom Zeugen T. zur Hilfe aufgefordert, antwortete er, er müsse sich erst eine Zigarette drehen, denn er käme jetzt ins Gefängnis. Bis zum späteren Eintreffen der Polizei blieb der Angeklagte auf seinem Stuhl sitzen. Der lebensgefährlich verletzte Geschädigte konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
3
2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Geschädigten eingestochen habe, ohne durch Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt gewesen zu sein. Einen strafbefreienden Rücktritt hat es mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet habe. Ein beendeter Versuch sei anzunehmen , weil nicht festzustellen sei, dass sich der Angeklagte über die Folgen seiner Tat überhaupt irgendwelche Vorstellungen gemacht habe. Ein realer Gesichtspunkt , an den die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe geglaubt , der mit Tötungsvorsatz geführte Stich sei nicht tödlich, bestehe nicht. Dass der Geschädigte nach den Stichverletzungen nicht unmittelbar zusammengebrochen , vielmehr zunächst noch einen kleinen Augenblick stehen geblieben sei, sei ohne Bedeutung, da der tödliche Erfolg nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der todesverursachenden Handlung stehen müsse , sondern auch, etwa durch Verbluten, erst einige Zeit später eintreten könne. Schließlich habe sich der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt zu seinen entsprechenden Vorstellungen geäußert. Wenn sich aber Erwägungen des Angeklagten , die zugefügten Verletzungen seien nicht tödlich gewesen, nicht feststellen ließen, könne allenfalls festgestellt werden, dass sich der Angeklagte überhaupt keine Vorstellung darüber gemacht habe, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht. Der Zweifelsgrundsatz, der auch auf das Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen Anwendung finde, erlaube es nicht, zugunsten des Angeklag- ten Tatvarianten zu unterstellen, für die es – wie hier – keine konkreten Anhaltspunkte gäbe.

II.


4
1. Da das Rechtsmittel des Angeklagten bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg hat, bedarf es einer eingehenden Erörterung der erhobenen Verfahrensrüge nicht. Der Senat merkt gleichwohl an, dass die Zurückweisung des Beweisantrags auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens als völlig ungeeignet im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 Fall 4 StPO rechtlichen Bedenken begegnet. Zu der Beweisfrage – Verletzungen und Spurenbilder beim Angeklagten sollten belegen, dass er im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Geschädigten von diesem mit dem linken Arm gewürgt worden sei – hätte sich ein Sachverständiger nach Lage des Falles voraussichtlich gutachterlich äußern können. Damit ist das benannte Beweismittel aber nicht völlig ungeeignet. Denn die völlige Ungeeignetheit eines Beweismittels liegt nur dann vor, wenn der Tatrichter ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit dem angebotenen Beweismittel das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht wird erzielen lassen; ein geminderter, geringer oder nur zweifelhafter Beweiswert reicht nicht aus (BGH, Beschluss vom 24. August 2007 – 2 StR 322/07, NStZ 2008, 116; Beschluss vom 6. März 2008 – 5 StR 617/07, NStZ 2008, 351, 352).
5
2. Das angefochtene Urteil weist einen durchgreifenden sachlichrechtlichen Mangel auf, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines beendeten Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt verneint hat, an einem Erörterungsmangel leiden und deshalb revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.
6
a) Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, Satz 2 StGB zurückgetreten werden kann, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264 Tz. 9; Beschluss vom 3. Februar 1999 – 2 StR 540/98, NStZ 1999, 299; Urteil vom 10. Februar 1999 – 3 StR 618/98, NStZ 1999, 300, 301; Beschluss vom 12. April 1995 – 2 StR 105/95, MDR bei Holtz 1995, 878, 879; Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306; SSW-StGB/Kudlich/ Schuhr, § 24 Rn. 37). Als innere Tatsache muss diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen aber positiv festgestellt werden; hierzu bedarf es einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände (Senatsurteil vom 13. März 2008 – 4 StR 610/07, Tz. 13 mwN).
7
b) Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Zwar trifft es zu, dass der Zweifelssatz nicht dazu nötigt, (innere) Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keine Anhaltspunkte gibt (Senatsbeschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13; BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264, Tz. 14). Auch kann in Fällen , in denen sich aus den objektiven Umständen kein Hinweis auf das konkrete Vorstellungsbild des Täters im Zeitpunkt des Abbruchs der Tötungshandlung ergibt, die Annahme gerechtfertigt sein, dass bei ihm die der Tatbegehung zu Grunde liegende Folgeneinschätzung fortbestanden hat oder ihm die Folgen gleichgültig sind (Senatsbeschluss vom 22. Mai 2013 aaO).
8
aa) Im vorliegenden Fall gab es jedoch (weitere) konkrete Umstände unmittelbar nach der Tat, die Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zuließen, vom Landgericht im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung aber keine Berücksichtigung gefunden haben:
9
Nach den Feststellungen lagen die beiden Messerstichverletzungen in der Bauchregion, wobei der zweite Stich nur oberflächlich war und im subkutanen Gewebe endete (UA S. 8). Dem Angeklagten war auch bewusst, dass eine rettungsbereite Person in Gestalt des Zeugen T. anwesend war, der unmittelbar nach der Tat Maßnahmen ergriff, um die Blutung zu stoppen, und den Notarzt sowie die Polizei alarmieren ließ. Bei dieser Sachlage wäre zu erörtern gewesen, ob aus Sicht des Angeklagten Grund für die Annahme bestand, die mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Stiche würden tatsächlich keine lebensbedrohlichen Folgen haben.
10
bb) Schon mit Blick auf diesen Erörterungsmangel erweist sich die Erwägung des Landgerichts, aus dem Umstand, dass keine Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten zum Erfolgseintritt getroffen werden konnten, sei auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen zu schließen, als nicht tragfähig. Die Erwägung ist im Übrigen auch für sich genommen in dieser allgemeinen Form rechtlich bedenklich. Denn die (positive) Feststellung, dass sich der Täter keine Gedanken über den Erfolgseintritt gemacht hat, darf mit dem Fall, dass zu diesen Gedanken keine Feststellungen getroffen werden können, nicht gleichgesetzt werden, da es in dem letztgenannten Fall noch Raum für die Anwendung des Zweifelssatzes gibt (Senatsbeschluss aaO; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, § 24 Rn. 37).

III.


11
1. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter – sofern er wieder entsprechende Feststellungen zu treffen vermag – auch zu erwägen haben, ob der Äußerung des Angeklagten auf die Aufforderung des Zeugen T. , ihm zu helfen, er müsse sich jetzt erst eine Zigarette drehen, da er jetzt nämlich ins Gefängnis müsse, ein Hinweis auf ein indifferentes Vorstellungsbild oder eine Gleichgültigkeit gegenüber einem möglichen Todeseintritt entnommen werden kann.
12
2. Ergänzend bemerkt der Senat:
13
a) Auch die Ausführungen des Landgerichts zur uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt sind rechtlich bedenklich.
14
Zwar hat sich die Strafkammer insoweit sachverständig beraten lassen, die beim Angeklagten etwa zwei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 2,09 ‰ findet indes in diesem Zusammenhang in den Urteilsgründen keine Berücksichtigung; die aus diesem Umstand zu ziehenden Folgerungen bleiben unerörtert. Ob sich der Sachverständige zu diesem Wert geäußert und eine Rückrechnung vorgenommen hat, wird im Urteil ebenfalls nicht mitgeteilt. Angesichts der aus der Blutprobe folgenden Tatzeit-BAK von etwa 2,69 ‰ war dies hier aber unerlässlich.
15
Die Erwägung des Landgerichts, für die uneingeschränkt erhalten gebliebene Schuldfähigkeit spreche auch das exakte Erinnerungsvermögen des Angeklagten an den Tathergang, erweist sich vor dem Hintergrund der Tatsache , dass die Strafkammer dessen Einlassung in wesentlichen Teilen nicht gefolgt ist, als kaum tragfähig.
16
b) Bei der Prüfung eines sonstigen minder schweren Falles des Totschlags im Sinne von § 213 Fall 2 StGB ist das Vorliegen eines vertypten Strafmilderungsgrundes – hier § 23 Abs. 2 StGB – regelmäßig von Bedeutung; er bedarf daher der ausdrücklichen Erörterung (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 14).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 469/13
vom
18. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. Dezember 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 16. Mai 2013 im Schuldspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit unerlaubtem Besitz und Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und mit unerlaubtem Besitz von Munition sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchten Totschlags Erfolg; im Hinblick auf die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Fälle II. 1.) ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Der Angeklagte zog in seiner Wohnung Marihuana-Pflanzen auf. Das selbst angebaute und weiteres, hinzugekauftes Marihuana veräußerte er an einen festen Kundenstamm zum Preis von 8 € pro Gramm. In zwei Fällen erwarb der Angeklagte von N. jeweils 500 g Marihuana zum Preis von 5 € pro Gramm. Das Marihuana hatte einen Wirkstoffgehalt von 5 % Tetrahydrocannabinol. Aus der letzten Lieferung des N. waren 200 g Marihuana von sehr schlechter Qualität mit nur 1 % Wirkstoffgehalt (Fälle II. 1.).
3
Etwa im Juli/August 2012 kaufte sich der Angeklagte eine halbautomatische Pistole, Kaliber 6,35, mit sechs Schuss scharfer Munition. Um sich für die schlechte Qualität der letzten Lieferung Ersatz zu verschaffen, bestellte der Angeklagte weitere 500 g Marihuana bei N. in der Absicht, diese Lieferung nicht zu bezahlen.
4
Am 23. Oktober 2012 begab sich der Angeklagte mit der geladenen Pistole in der Jackentasche in die Wohnung des N. . N. hatte ihm zuvor telefonisch mitgeteilt, über 500 g Marihuana zu verfügen, die er ihm, dem Angeklagten , verkaufen wolle. Beide gingen in das Schlafzimmer. N. legte zwei Päckchen mit etwa 500 g Marihuana auf das Bett. Als er sich bückte, um eine Waage hervorzuholen, zog der Angeklagte die Pistole aus der Jackentasche und richtete sie auf ihn. N. erschrak, wich aber nicht zurück, sondernging auf den Angeklagten zu. Aus Angst, N. wolle ihm die Waffe abnehmen, gab der Angeklagte einen Schuss auf dessen Füße ab, traf aber nicht. Er forderte N. wiederholt auf, zurückzugehen, was dieser nicht tat. Daraufhin gab der Angeklagte mehrere Schüsse gezielt in Richtung des Bauches von N. ab, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Weil N. nicht sofort zusammenbrach , überlegte der Angeklagte, ob die ihm verkaufte Munition vielleicht nur Platzpatronen oder ein zu kleines Kaliber gewesen seien. Einer der Schüsse traf N. an der rechten Bauchseite. Er fiel hin, stand wieder auf,taumelte dann aus dem Schlafzimmer in den Flur der Wohnung und glitt dort mit dem Rücken an der Wand zu Boden. Der Angeklagte sah dies. Ohne die Tüten mit Marihuana und seine eigene Tasche an sich zu nehmen, verließ er in Panik die Wohnung, da er fürchtete, N. würde ihn noch festhalten können. Blutoder eine Verletzung des N. sah er nicht. Das Projektil hatte jedoch die Wände des Dickdarms und des Dünndarms jeweils an einer Stelle durchbrochen. Aufgrund dessen bestand die Gefahr einer Infektion der Bauchhöhle (Fall II. 2.).
5
2. Das Landgericht hat im Fall II. 2. einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags mit der Begründung verneint, dass ein beendeter Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 StGB gegeben sei und der Angeklagte keine Rettungsbemühungen entfaltet habe. Ein fehlgeschlagener Versuch könne nicht angenommen werden, weil der Angeklagte möglicherweise geglaubt habe, dass sich noch Patronen in der Waffe befänden und er die Herbeiführung des Tötungserfolgs noch für erreichbar gehalten habe. Jedoch könne nicht festgestellt werden, welche Gedanken sich der Angeklagte im Zeitpunkt der Aufgabe der Tatausführung gemacht habe. Deshalb könne allenfalls festgestellt werden, dass er sich überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht habe, ob der Geschädigte sterben könnte oder nicht, weswegen ein beendeter Versuch anzunehmen sei.

II.


6
1. Das angefochtene Urteil weist im Schuldspruch im Fall II. 2. einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel auf. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines beendeten Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt verneint hat, halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
a) Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein beendeter Versuch, von dem nur unter den erschwerten Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, Satz 2 StGB zurückgetreten werden kann, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann vorliegt, wenn sich der Täter im Augenblick des Verzichts auf eine mögliche Weiterführung der Tat keine Vorstellung von den Folgen seines bisherigen Verhaltens macht. Als innere Tatsache muss diese gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen aber positiv festgestellt werden (Senatsbeschluss vom 14. August 2013 – 4 StR 308/13, Rn. 6 mwN).
8
b) Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht. Denn das Landgericht hat trotz der festgestellten Tatumstände gerade keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten zur Schwere der Verletzung zu ziehen vermocht, sondern hat lediglich aus dem Umstand, dass keine eindeutigen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten zum Erfolgseintritt getroffen werden konnten, auf ein Fehlen derartiger Vorstellungen geschlossen. Die positive Feststellung, dass sich der Angeklagte keine Gedanken über den Erfolgseintritt gemacht hat, hat es damit nicht getroffen; denn die positive Feststellung der gedanklichen Indifferenz darf mit dem Fall, dass zu den Gedanken des Angeklagten keine Feststellungen getroffen werden können, nicht gleichgesetzt werden, da es in dem letztgenannten Fall noch Raum für die Anwendung des Zweifelssatzes gibt (Senatsbeschlüsse vom 14. August 2013 – 4 StR 308/13 und vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, § 24 Rn. 37).
9
2. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Von der Aufhebung erfasst wird auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Verstößen gegen das Waffengesetz.
10
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass nach den bisher getroffenen Feststellungen – entgegen der Auffassung des Landgerichts – das bewaffnete unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vollendet war, als der Angeklagte ohne das Marihuana die Wohnung verließ, so dass ein Rücktritt vom Versuch nicht mehr möglich war. Bereits mit der Bestellung von 500 Gramm Marihuana bei N. , die der Angeklagte ohne Bezahlung an sich bringen wollte, war der Tatbestand des Handeltreibens vollendet (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, und vom 21. April 2009 – 3 StR 107/09 Rn. 8, StraFo 2009, 344, 345). Setzt sich die Tat – wie hier – aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2013 – 5 StR 576/13 Rn. 4). Der Qualifikationstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn die Waffe erst zwischen Vollendung und Beendigung der Tat mitgeführt wird (BGH, Beschluss vom 14. November 1996 – 1 StR 609/96, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 2; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 30a Rn. 145, 159).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender