Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2018 - 4 StR 579/17

bei uns veröffentlicht am15.03.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 579/17
vom
15. März 2018
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 15. März 2018 einstimmig beschlossen
:
Die Revision der Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts
Hamburg vom 9. Mai 2017 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil der Beschuldigten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
ECLI:DE:BGH:2018:150318B4STR579.17.0

Ergänzend zu den Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Es kann dahinstehen, ob auch die zu erwartenden Nachstellungen gemäß § 238 Abs. 1 StGB durch die Beschuldigte dem Bereich der erheblichen rechtswidrigen Taten im Sinne des § 63 StGB zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. August 2017 – 2 BvR 2039/16, juris, Rn. 44, und vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, 32; BGH, Beschlüsse vom 29. März 2017 – 4 StR 619/16, NStZ-RR 2017, 139, und vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NStZ-RR 2013, 375, 377). Denn die vom Landgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose wird jedenfalls durch die mit den weiteren festgestellten Anlasstaten vergleichbaren, künftig zu erwartenden Taten – unbeschadet der Nichterörterung eines Rücktritts vom Versuch auch durch die Tat vom 18. April 2016 zum Nachteil des Zeugen H. – hinreichend belegt. Zurecht hat das Landgericht insoweit unter anderem auf die Vielzahl der Anlasstaten, ihre enge zeitliche Abfolge – innerhalb eines Zeitraums von 22 Tagen sieben Körperverletzungstaten sowie ein versuchter gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr –, die in den Taten zum Ausdruck kommende Bereitschaft der Beschuldigten , ihre (vermeintlichen) Rechte auch unter Einsatz von Gewalt und gegen Zufallsopfer durchzusetzen, und die im Vergleich mit den früheren gegen die Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren deutlich progrediente Entwicklung abgestellt.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2018 - 4 StR 579/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2018 - 4 StR 579/17

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 238 Nachstellung


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt 1. die räuml
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2018 - 4 StR 579/17 zitiert 3 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 238 Nachstellung


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt 1. die räuml

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Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13

bei uns veröffentlicht am 18.07.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 168/13 vom 18. Juli 2013 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Juli 2013 gemäß § 3

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 22. Aug. 2017 - 2 BvR 2039/16

bei uns veröffentlicht am 22.08.2017

Tenor Die Beschlüsse des Landgerichts Bremen vom 15. August 2016 - 5 KLs 602 Js 36754/14 - und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 6. September 2016 - 1 Ws 130/16, 1 Ws 131/16 - verletz

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. März 2017 - 4 StR 619/16

bei uns veröffentlicht am 29.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 619/16 vom 29. März 2017 in der Strafsache gegen wegen Bedrohung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:290317B4STR619.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdef

Referenzen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er wiederholt

1.
die räumliche Nähe dieser Person aufsucht,
2.
unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht,
3.
unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten dieser Person
a)
Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für sie aufgibt oder
b)
Dritte veranlasst, Kontakt mit ihr aufzunehmen,
4.
diese Person mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit ihrer selbst, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person bedroht,
5.
zulasten dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person eine Tat nach § 202a, § 202b oder § 202c begeht,
6.
eine Abbildung dieser Person, eines ihrer Angehörigen oder einer anderen ihr nahestehenden Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,
7.
einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der geeignet ist, diese Person verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, unter Vortäuschung der Urheberschaft der Person verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder
8.
eine mit den Nummern 1 bis 7 vergleichbare Handlung vornimmt.

(2) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 7 wird die Nachstellung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch die Tat eine Gesundheitsschädigung des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person verursacht,
2.
das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt,
3.
dem Opfer durch eine Vielzahl von Tathandlungen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten nachstellt,
4.
bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 ein Computerprogramm einsetzt, dessen Zweck das digitale Ausspähen anderer Personen ist,
5.
eine durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangte Abbildung bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 6 verwendet,
6.
einen durch eine Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 5 erlangten Inhalt (§ 11 Absatz 3) bei einer Tathandlung nach Absatz 1 Nummer 7 verwendet oder
7.
über einundzwanzig Jahre ist und das Opfer unter sechzehn Jahre ist.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Tenor

Die Beschlüsse des Landgerichts Bremen vom 15. August 2016 - 5 KLs 602 Js 36754/14 - und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 6. September 2016 - 1 Ws 130/16, 1 Ws 131/16 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 GG.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Bremen hat der Beschwerdeführerin vier Fünftel ihrer notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten. Der weitergehende Antrag auf Auslagenerstattung wird abgelehnt.

In diesem Umfang erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 Euro (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung und Fortdauer einer einstweiligen Unterbringung der Beschwerdeführerin.

A.

I.

2

Die am 11. Dezember 1968 geborene Beschwerdeführerin wurde auf Grundlage des Unterbringungsbeschlusses des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016, verkündet am 15. April 2016, gemäß § 126a StPO einstweilig untergebracht.

3

Der Beschwerdeführerin wurde für den Zeitraum Dezember 2013 bis Juli 2015 eine Vielzahl von Straftaten gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten vorgeworfen. Dabei ging es um Nötigungen, Sachbeschädigungen, Bedrohungen, Beleidigungen und Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz. Unter anderem wurde ihr zur Last gelegt, das Fahrzeug ihres früheren Lebensgefährten mit Müll, Sand und Kot verunreinigt und es mit mehr als 40 Hammerschlägen beschädigt zu haben, derart gegen die Eingangstüre zur Arbeitsstelle ihres ehemaligen Lebensgefährten getreten zu haben, dass drei Glasstreifen der Türe beschädigt wurden, die Wohnanlage ihres ehemaligen Lebensgefährten aufgesucht und dort mit einem Hammer sechs Glaselemente der Hauseingangstüre eingeschlagen zu haben, ihm durch SMS-Nachrichten nachgestellt sowie sein Haus mit Eiern und Marmelade verschmutzt zu haben. Ferner wurde ihr vorgeworfen, ihrem ehemaligen Lebensgefährten gedroht zu haben, sein Haus niederzubrennen und die Kinder seiner Schwester zu "holen" und sie "aufzuschlitzen".

4

Während der auf den Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 1. September 2014 anberaumten mündlichen Verhandlung ergaben sich Zweifel an ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Das Amtsgericht beauftragte deshalb am 21. April 2015 ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie K. zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB und einer etwaigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.

5

Die Sachverständige gelangte in ihrem Gutachten vom 16. Dezember 2015 zu dem Ergebnis, die Beschwerdeführerin sei als sogenannter "Rejected Stalker" einzuschätzen. Sie sei selbstunsicher und stalke ihren sie abweisenden Ex-Partner aus Rache; hauptsächliches Motiv ihres Verhaltens sei die Hoffnung auf Aussöhnung. In Bezug auf ihren ehemaligen Lebensgefährten sei die massive narzisstische Wut, die mit einer unzweifelhaft psychotisch anmutenden Erregung verbunden sei, noch nicht abgeklungen. Bei der Beschwerdeführerin habe bereits zu den Tatzeitpunkten eine Manie mit psychotischen Symptomen (ICD-10: F30.2) bestanden, die zu einer erheblich verminderten, wenn nicht zum Teil sogar aufgehobenen Steuerungsfähigkeit bei den ihr vorgeworfenen Straftaten geführt habe. Es drohten weitere Sachbeschädigungen und Bedrohungen; aufgrund der Schwere des psychopathologischen Befundes seien Gewaltdelikte, zu denen auch Brandstiftungen gehörten, "nicht auszuschließen". Bei Therapiebereitschaft könne eine Unterbringung nach § 63 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden.

6

In einem Schreiben an das Amtsgericht Bremen-Blumenthal vom 16. Februar 2016 erläuterte die Sachverständige, die Beschwerdeführerin habe am 19. Juni 2015 ihrer Betreuerin mit Tötungsabsichten gedroht. Bezüglich der medizinischen Eingangsvoraussetzungen des § 63 StGB ergäben sich im Vergleich zum Gutachten vom 16. Dezember 2015 keine neuen Gesichtspunkte. Es drohten weiterhin Straftaten wie Sachbeschädigungen, Telefon- und SMS-Terror sowie Bedrohungen, wobei auch Körperverletzungsdelikte und Brandstiftungen nicht auszuschließen seien.

7

Mit Beschluss vom 9. März 2016 ordnete das Amtsgericht Bremen-Blumenthal auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bremen die einstweilige Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Es machte sich die Einschätzung der Sachverständigen in ihrem Gutachten und Ergänzungsgutachten zu Eigen. Die öffentliche Sicherheit erfordere die einstweilige Unterbringung, weil nach der gutachterlichen Einschätzung eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Beschwerdeführerin weiterhin Delikte wie die bisherigen begehen werde. Darüber hinaus bestehe nach Einschätzung der Sachverständigen die Gefahr, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung auch gravierendere Straftaten, wie etwa Körperverletzungs- und Brandstiftungsdelikte, begehen könnte. Sofern die Gutachterin von der "wahnhaften Verkennung der Beziehung" zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem ehemaligen Lebensgefährten spreche, folge hieraus eine erhebliche Eskalationsgefahr. Ferner ging das Amtsgericht davon aus, dass die Beschwerdeführerin ausweislich ihres Bundeszentralregisterauszugs bereits erheblich mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten sei.

8

In einer durch das Landgericht Bremen angeforderten ergänzenden Stellungnahme vom 12. April 2016 zur Gefährlichkeitsprognose erklärte die Sachverständige, es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin auch in Zukunft Delikte zu Lasten ihres ehemaligen Lebensgefährten begehen werde. Unter Rückgriff auf die früheren Straftaten und die fehlende kritische Distanz der Beschwerdeführerin zu ihren Taten sei die Gefahr der Umsetzung der angedrohten Straftaten, wie zum Beispiel Brandstiftungs- und Körperverletzungsdelikte, bei entsprechender Erregung aufgrund des psychotischen Zustandes mit überflutenden Wut- und Hassgefühlen "durchaus nicht von der Hand zu weisen".

9

Unter dem 8. April 2016 diagnostizierte der Psychiater L. bei der Beschwerdeführerin eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung sowie eine hyperthyme Persönlichkeit mit maniformer Symptomatik, die eine Krankenhausbehandlung erforderlich mache.

10

Nachdem die Beschwerdeführerin am 14. April 2016 in Bremen verhaftet und im Klinikum Bremen-Ost untergebracht worden war, wurde sie am 15. April 2016 dem Landgericht vorgeführt. Dieses beschloss, den Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016 aufrecht zu erhalten.

11

Mit Schriftsatz vom 20. April 2016 - den sie unter dem 8. Mai 2016 ergänzte - legte die Beschwerdeführerin Beschwerde ein und beantragte, den Unterbringungsbefehl aufzuheben. Sie trug vor, sie lebe bereits seit dem Sommer 2015 nicht mehr in der Nachbarschaft ihres ehemaligen Lebensgefährten, sondern habe - um zufällige Begegnungen zu vermeiden - ihren Aufenthalt von Bremen-Vegesack nach Bremen-Mitte verlegt; dort sei sie auch festgenommen worden. Sie sei bei dem Facharzt für Psychiatrie L. in Bremen in Behandlung. Diese Behandlung, zu der sie auch weiterhin bereit sei, habe zu einer Befriedung der Situation geführt. Auf Vermittlung des Psychiaters habe die C.-Klinik in N. ihre Aufnahmebereitschaft erklärt.

12

Nach der Stellungnahme des Klinikums Bremen-Ost vom 26. April 2016 bestand der Verdacht auf eine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0). Aufgrund der gezeigten krankheitsbezogenen Haltung sei nicht zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin sich freiwillig in einer allgemeinpsychiatrischen Klinik behandeln lassen werde. Im Rahmen der aktuellen Behandlung sei sie allerdings nicht bedrohlich aufgetreten, und schwerwiegende Erregungszustände hätten nicht beobachtet werden können.

13

Unter dem 18. Mai 2016 hörte das Landgericht Bremen die Beschwerdeführerin sowie die sie behandelnden Ärzte und Psychologen des Klinikums Bremen-Ost an. Der Diplom-Psychologe T. erklärte, er habe in zwei, teils länger andauernden Gesprächen die Erkenntnis gewonnen, die Beschwerdeführerin sei nicht fremdgefährdend. Die Leitende Oberärztin F. erklärte hingegen, eine Behandlung der Beschwerdeführerin sei dringend geboten. Diese beschuldige ihren ehemaligen Lebensgefährten mehrerer Taten, äußere dabei allerdings keine Rachegefühle. Auch wenn sie nicht den Eindruck vermittelt habe, paranoide Einfälle im Hinblick auf eine Schädigung ihres ehemaligen Lebensgefährten zu haben, sei durch die starken affektiven Phasen eine Fremdgefährdung in bestimmten Situationen außerhalb des geschützten reizarmen Rahmens der Klinik nicht auszuschließen. So verliere die Beschwerdeführerin bei starker Ablenkung sehr schnell die Kontrolle und werde vor allem in Phasen der Aufregung aggressiv. Soweit die Sachverständige K. in ihrem Gutachten festgestellt habe, die Beschwerdeführerin leide unter einer manischen Episode mit psychotischen Symptomen, sei dieses Explorationsergebnis im Wesentlichen mit der durch die Klinik festgestellten Diagnose der paranoiden Schizophrenie vergleichbar.

14

Mit Schreiben vom 27. Mai 2016 teilte die Beschwerdeführerin erneut mit, es gebe für sie einen vom Psychiater L. vermittelten Klinikplatz in der C.- Klinik in N.

15

Mit Beschluss vom 13. Juni 2016 hob das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 15. April 2016 auf und verwies die Sache an das Landgericht Bremen zurück, weil die Entscheidung nicht hinreichend begründet sei.

16

Mit Beschluss vom 16. Juni 2016 ordnete das Landgericht Bremen die Fortdauer der Unterbringung an und verwies auf die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung. Die Notwendigkeit einer einstweiligen Unterbringung werde durch die Stellungnahme des Diplom-Psychologen T. nicht entkräftet. Die Leitende Oberärztin F. sei höher und zudem psychiatrisch qualifiziert; ihre Einschätzung zur Fremdgefährdung entspreche überdies dem Gutachten. Auch der Wegzug der Beschwerdeführerin aus dem unmittelbaren Umfeld des Geschädigten sei nicht geeignet, die von ihr ausgehende Gefährlichkeit zu beseitigen, nachdem sie immer noch in Bremen lebe und es zu zufälligen Begegnungen mit dem Geschädigten kommen könne.

17

Auf die hiergegen am 28. Juni 2016 eingelegte Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin insbesondere eine weiterhin unzureichende Begründungstiefe rügte, beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Bremen am 5. Juli 2016 die Aufhebung des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016 und die sofortige Freilassung der Beschwerdeführerin. Zwar seien dringende Gründe für die Annahme gegeben, dass sie die ihr in dem Unterbringungsbefehl zur Last gelegten Taten im Zustand zumindest verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Es lägen allerdings keine dringenden Gründe für die Annahme vor, dass ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werde.

18

Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen wies die Beschwerde mit Beschluss vom 20. Juli 2016 zurück. Die vorläufige Gesamtwürdigung ergebe, dass von der Beschwerdeführerin infolge ihres Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Sachverständige habe dargelegt, dass nicht nur Delikte wie die angeklagten, sondern auch die angedrohten Brandstiftungs- und Körperverletzungsdelikte zu befürchten seien. Die Gefahr, dass sie ihre Drohungen bei entsprechender Erregung in die Tat umsetze, dränge sich aufgrund ihres psychotischen Zustandes mit überflutenden Wut- und Hassgefühlen auf. Soweit die Sachverständige von einer manischen Episode mit psychotischen Symptomen ausgehe, während die behandelnde Oberärztin F. von einer paranoiden Psychose ausgehe, habe letztere bekundet, dass beide Störungsbilder sich ähnelten und auch ähnlich zu behandeln seien. Soweit der Diplom-Psychologe T. eine akute Fremdgefährdung verneine, sei der gegenteiligen Ansicht der Leitenden Oberärztin F. aufgrund deren psychiatrischer Qualifikation ein größeres Gewicht beizumessen. Zwar sei die Beschwerdeführerin - anders als noch vom Amtsgericht angenommen - bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ihr würden zudem lediglich Taten der Beleidigung, Bedrohung, Nötigung und Sachbeschädigung sowie Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz vorgeworfen. Die Taten erstreckten sich allerdings auf 28 Tatvorwürfe in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren und seien mit aggressiven Übergriffen einhergegangen. Weitere derartige Delikte seien nach dem Ergänzungsgutachten der Sachverständigen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Es bestehe überdies die konkrete Gefahr, dass die Beschwerdeführerin auch gravierende Straftaten mit Körperverletzungs- und Brandstiftungsdelikten begehen werde. Sie zeige keinerlei kritische Distanz zu ihrem Verhalten und reagiere hochgradig erregt, weshalb zu befürchten sei, dass sie ihre Drohungen bei entsprechender Erregung in die Tat umsetze. Der Umzug innerhalb Bremens beseitige diese Gefahr ebenso wenig wie der Umstand, dass sie von sich aus einen Psychiater aufgesucht habe. Dieser habe noch im April 2016 einen Klinikaufenthalt für erforderlich gehalten. Die Fortdauer der Unterbringung sei nicht unverhältnismäßig, nachdem es bislang zu keinen nennenswerten Verfahrensverzögerungen gekommen sei.

19

Mit Beschluss vom 15. August 2016 eröffnete das Landgericht Bremen das Hauptverfahren und ordnete die Aufrechterhaltung und den weiteren Vollzug des einstweiligen Unterbringungsbefehls an, weil die Voraussetzungen des § 126a StPO unverändert vorlägen. Bei den zu befürchtenden Körperverletzungs- und Brandstiftungsdelikten handele es sich um erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB. Die der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Taten seien nicht unerheblich, auch wenn es sich lediglich um Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz handele. Dies folge aus ihrer konstanten Intensität, der erheblichen Dauer, dem Zusammenhang mit aggressiven Übergriffen und den Folgen für die Opfer. Weil die Beschwerdeführerin ihre zerstörerische Wut auf den Exfreund noch nicht überwunden habe und sich gegen jede Medikation sperre, sei die "Begehung der genannten erheblichen rechtswidrigen Taten" zu befürchten, weshalb "subsidiär" zudem die Voraussetzungen von § 63 Satz 2 StGB erfüllt seien.

20

Auf die gegen die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung gerichtete Beschwerde vom 18. August 2016 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Bremen am 23. August 2016 erneut die Aufhebung des Unterbringungsbefehls und die Anordnung der sofortigen Freilassung der Beschwerdeführerin. Die Sachlage habe sich seit dem letzten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 5. Juli 2016 nicht verändert.

21

Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen wies die Beschwerde mit dem angegriffenen Beschluss vom 6. September 2016 unter Verweis auf seine Entscheidung vom 20. Juli 2016 zurück. Auch nach der Neuregelung des § 63 StGB komme die Anordnung einer Unterbringung bei der Begehung von Bagatelldelikten in Betracht, wenn die gesetzlich gebotene Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der Anlasstat die Prognose trage, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Auch unter Berücksichtigung der Neuregelung des § 63 StGB lägen dringende Gründe für die Annahme vor, dass die Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werde. Es handele sich bei den zu erwartenden erheblichen rechtswidrigen Taten auch um solche, durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich erheblich geschädigt" oder "erheblich gefährdet" würden. Eine solche erhebliche Schädigung scheide zwar auch nach der Neuregelung des § 63 StGB bei zu erwartenden Beleidigungs- und einfachen Nötigungs- sowie Nachstellungsdelikten in der Regel aus. Bei damit einhergehenden aggressiven Übergriffen sei allerdings von einer solchen Erheblichkeit auszugehen. Bei drohenden Körperverletzungsdelikten sei dies der Fall, wenn der Rechtsfrieden empfindlich beziehungsweise schwer gestört worden sei und die Taten geeignet seien, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Brandstiftungsdelikte, die mit der Gefährdung von Menschen einhergingen, könnten in der Regel auch nach der Neuregelung eine Unterbringung rechtfertigen. Die Beschwerdeführerin habe ihrem ehemaligen Lebensgefährten angedroht, die Kinder seiner Schwester aufzuschlitzen und sein Wohnhaus in Brand zu setzen. Die bisherigen Nachstellungen seien nach den vorliegenden Erkenntnissen teils mit aggressiven Übergriffen gegen den Geschädigten einhergegangen (Beschmieren des Fahrzeugs mit Exkrementen, Einschlagen der Haustür des Geschädigten mit einem Hammer). Aufgrund der Häufigkeit der Vorfälle in der Vergangenheit und der drohenden Rückfallgefahr sei unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Expertisen der Fachleute derzeit eine erhebliche Schädigung und erhebliche Gefährdung der Opfer im Sinne von § 63 Satz 1 StGB zu befürchten. Der Umzug der Beschwerdeführerin innerhalb Bremens beseitige die von ihr ausgehende Gefährlichkeit nicht, weil ihr Wohnort weiterhin in Bremen liege. Die Vorstellung bei dem Psychiater L. im April 2016 führe nicht zu einer anderen Beurteilung, weil auch dieser einen Klinikaufenthalt für erforderlich gehalten habe. Es sei davon auszugehen, dass die von § 63 Satz 2 StGB aufgestellten "besonderen Umstände" vorlägen, die die Erwartung rechtfertigten, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtwidrige Taten begehen werde. Die Fortdauer der Anordnung erweise sich nicht als unverhältnismäßig, denn mit der Hauptverhandlung sei am 18. August 2016 - dem Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde - bereits begonnen worden.

22

Das Landgericht Bremen setzte auf Antrag der Beschwerdeführerin vom 6. September 2016 die Hauptverhandlung mit Beschluss vom 15. September 2016 aus, nachdem eine der verbundenen Anklagen erst in der Hauptverhandlung zugestellt worden und sie nach einer Sitzungsunterbrechung in Folge des Fernbleibens beider Verteidiger unverteidigt war. Zugleich ordnete die Strafkammer die Aufrechterhaltung und den weiteren Vollzug des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016 nach Maßgabe der Kammerbeschlüsse vom 16. Juni und 15. August 2016 an und machte sich in diesem Beschluss die Gründe der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 16. September 2016 ausdrücklich zu Eigen. Der erneute Beginn der Hauptverhandlung wurde auf den 10. Oktober 2016 festgesetzt. Eine Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin gegen diesen Beschluss blieb erfolglos.

23

Mit Beschluss vom 26. September 2016 wies das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen die gegen seinen Beschluss vom 6. September 2016 erhobene Gegenvorstellung vom 8. September 2016 unter Wiederholung der dortigen Begründung zurück.

24

Mit Beschluss vom 12. Januar 2017 hob das Landgericht Bremen schließlich den Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016 auf und ordnete die sofortige Entlassung der Beschwerdeführerin an. Die Voraussetzungen der Anordnung nach § 126a StPO seien nicht mehr gegeben. Zwar bestehe nach wie vor der dringende Tatverdacht bezüglich aller ihr zur Last gelegten Taten. Allerdings seien von ihr gegenwärtig erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB nicht mehr zu erwarten. Das Landgericht schloss sich damit einem vorläufigen mündlichen Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen K. vom selben Tage an.

25

Am 6. Februar 2017 erließ das Amtsgericht Bremen-Blumenthal auf Antrag des ehemaligen Lebensgefährten eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz gegen die Beschwerdeführerin. Dieser Anordnung lag die eidesstattliche Versicherung des ehemaligen Lebensgefährten zugrunde, sie habe an seiner Arbeitsstätte auf ihn gewartet und ihm gedroht, indem sie ihre Hand zu einer Pistole geformt habe und deren Abschuss gestikuliert habe.

26

Nachdem dem Landgericht Bremen im Zuge der Hauptverhandlung am 7. Februar 2017 der vorgenannte Beschluss des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal bekannt geworden war, ordnete es am 8. Februar 2017 erneut die vorläufige Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 126a StPO an. Die Kammer schließe sich den Ausführungen der Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 6. Februar 2017 an. Der Zweck der einstweiligen Unterbringung könne derzeit nicht mit milderen Mitteln nach § 126a Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 116 Abs. 3 StPO erreicht werden.

27

Am 29. März 2017 erhob die Beschwerdeführerin gegen den Unterbringungsbefehl vom 8. Februar 2017 und die daraufhin ergangene Beschwerdeentscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 22. März 2017 Verfassungsbeschwerde, die Gegenstand des Verfahrens 2 BvR 736/17 ist.

28

Bereits am 23. März 2017 war die Beschwerdeführerin vom Landgericht Bremen freigesprochen worden, weil sie im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hatte; die Unterbringung der Beschwerdeführerin wurde unter Bejahung der Voraussetzungen des § 63 Satz 2 StGB angeordnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Am selben Tage fasste das Landgericht Bremen einen Beschluss zur Fortdauer des Unterbringungsbefehls.

II.

29

Mit ihrer am 30. September 2016 gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016, des Landgerichts Bremen vom 15. August 2016 und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 6. September 2016 erhobenen Verfassungsbeschwerde, die sie mit dem Antrag verbunden hat, das Bundesverfassungsgericht möge im Wege der einstweiligen Anordnung ihre Freilassung anordnen, hat die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG gerügt.

30

Sie ist der Auffassung, die Voraussetzungen für eine einstweilige Unterbringung hätten nicht vorgelegen. Es habe an konkreten Anhaltspunkten dafür gefehlt, dass sie erhebliche Straftaten begehen werde. Die Gutachterin K. habe keine konkreten Erkenntnisse benannt, welche eine solche Gefahr hätten begründen können. Letztlich hätten ihre Ausführungen, die Begehung von Körperverletzungs- und Brandstiftungsdelikten könne "nicht ausgeschlossen werden" beziehungsweise sei "durchaus nicht von der Hand zu weisen", spekulativen Charakter gehabt und den gesetzlich geforderten Gefährdungsgrad nicht begründen können.

31

Nach ihrer Freilassung am 12. Januar 2017 hat sie mit Schriftsatz vom 20. Januar 2017 ihren Antrag auf Anordnung ihrer sofortigen Freilassung für erledigt erklärt und beantragt nunmehr festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal vom 9. März 2016 sie in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt habe. Zudem beantragt sie, den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 15. August 2016 - zunächst versehentlich als Beschluss vom 15. September 2016 bezeichnet - und den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 6. September 2016 aufzuheben, jedenfalls aber festzustellen, dass diese sie in ihren Grundrechten verletzten.

III.

32

1. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof kann die Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 9. März 2016 keinen Erfolg haben, da diese Entscheidung prozessual überholt sei. Im Übrigen würden die Ausführungen in den angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vollständig gerecht. Die Entscheidungen wiesen nicht die erforderliche Begründungstiefe auf. Sie ließen eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses nicht in dem von Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG geforderten Maße zu. Zudem lasse sich "bereits nicht stets feststellen", ob den Entscheidungen der zutreffende Maßstab zugrunde gelegt worden sei.

33

2. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen hat eine Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf einstweilige Anordnung nicht abgegeben.

34

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Verfahrens (5 KLs 602 Js 36754/14; Stand: 21. März 2017) in Abschrift vorgelegen.

B.

35

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt, soweit die Beschwerdeführerin die Feststellung beantragt, dass die Beschlüsse des Landgerichts Bremen vom 15. August 2016 und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 6. September 2016 sie in ihren Grundrechten verletzt haben. In diesem Umfang ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

36

Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zur Entscheidung angenommen wird, zulässig.

37

Angesichts des mit der Freiheitsentziehung erlittenen Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht besteht ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach Aufhebung der sie anordnenden Entscheidung und Erledigung der Maßnahme fort. Die Beschwerdeführerin hat nach Aufhebung des Unterbringungsbefehls durch Beschluss des Landgerichts Bremen vom 12. Januar 2017 und nach ihrer Entlassung aus der Unterbringung ein berechtigtes Interesse an der Klärung, ob sie durch die angegriffenen Maßnahmen in ihren Grundrechten verletzt wurde (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2005 - 2 BvR 2233/04 -, juris, Rn. 22; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 13. September 2010 - 2 BvR 449/10 -, juris, Rn. 25; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. März 2014 - 2 BvR 918/13 -, juris, Rn. 14). Daran vermag auch eine etwaige prozessuale Überholung der angegriffenen Beschlüsse durch spätere (erneute) Unterbringungsentscheidungen nichts zu ändern (BVerfGK 5, 230 <234 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2380/06 -, juris, Rn. 23; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. Mai 2015 - 2 BvR 2319/14 -, juris, Rn. 25; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. November 2016 - 2 BvR 2921/14 -, juris, Rn. 38).

II.

38

Die Verfassungsbeschwerde ist auch offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

39

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. November 2016 - 2 BvR 1739/14 -, juris, Rn. 23; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 39).

40

a) Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. November 2016 - 2 BvR 1739/14 -, juris, Rn. 24; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Oktober 2016 - 2 BvR 1275/16 -, juris, Rn. 40).

41

b) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>). Auf Grund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG i.V.m. Art. 104 GG) gelten zudem erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Entscheidungen über die Fortdauer einer Unterbringung. Die mit Unterbringungssachen betrauten Richter haben sich bei der zu treffenden Entscheidung mit den Voraussetzungen einer Fortdauer der Unterbringung eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Beschuldigten und dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten. Diese Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die vom Beschuldigten ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2015 - 2 BvR 2462/13 -, juris, Rn. 37; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, juris, Rn. 17).

42

c) Nach § 126a StPO, gegen den die Beschwerdeführerin keine verfassungsrechtlichen Einwände erhebt, kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert und dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird.

43

Die strafrechtliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfordert sowohl nach § 63 StGB a.F. als auch nach § 63 StGB in der ab dem 1. August 2016 geltenden Fassung (des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 8. Juli 2016, BGBl I S. 1610), dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Eine Unterbringung nach § 63 StGB darf zudem nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2011 - 2 BvR 2181/11 -, juris, Rn. 27 m.w.N.).

44

Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind daher nicht ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen. Hierzu gehören beispielsweise die Beleidigung, die üble Nachrede und die nichtöffentliche Verleumdung (§§ 185 bis 187 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB) und Bedrohung (§ 241 StGB), Sachbeschädigungen (§ 303 StGB), Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und auch Nachstellungen (§ 238 StGB), soweit sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12 -, juris, Rn. 21 und 28; BTDrucks 18/7244, S. 18). Zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte sind nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10 -, NStZ-RR 2011, S. 202), soweit es sich nicht um bloße Bagatellen handelt, regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2011 - 2 BvR 2181/11 -, juris, Rn. 27). Dies folgt auch aus § 63 Satz 1 StGB, der erhebliche rechtwidrige Taten voraussetzt, durch welche die Opfer "seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden". Generell ist auf die konkreten Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls und die konkrete Art der zu erwartenden Tatbestandsverwirklichung abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2001 - 4 StR 538/00 -, StV 2002, S. 477; BTDrucks 18/7244, S. 17). Dabei sind an den Begriff der Erheblichkeit nach herrschender Meinung allerdings nicht so hohe Anforderungen zu stellen wie bei der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB (vgl. BTDrucks 18/7244, S. 17).

45

2. Den daraus folgenden verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen deshalb nicht gerecht, weil sie die gebotene Begründungstiefe nicht erreichen.

46

a) Bereits die Annahme, es lägen dringende Gründe für eine Anordnung der Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus vor, wird durch die angegriffenen Entscheidungen unabhängig davon nicht hinreichend begründet, dass der fehlerhafte Ausgangspunkt des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal, die Beschwerdeführerin sei ausweislich ihres Bundeszentralregisterauszuges bereits strafrechtlich mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten, jedenfalls durch das Oberlandesgericht Bremen in seinem Beschluss vom 20. Juli 2016 erkannt und korrigiert worden ist. Die Entscheidungen von Landgericht und Oberlandesgericht lassen hinsichtlich der Frage einer hinreichend konkreten Gefahr der Begehung erheblicher rechtwidriger Taten jedenfalls wesentliche Umstände, zu denen sich die Gerichte im Rahmen der Gefahrenprognose hätten verhalten müssen, gänzlich außer Betracht oder erörtern diese nicht genügend.

47

aa) Aus den Beschlüssen des Landgerichts Bremen und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen ergibt sich bereits nicht hinreichend, dass von der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidungen überhaupt eine Fremdgefährdung ausging. Das gilt insbesondere für den Umstand, dass sie die letzte der verfahrensgegenständlichen Taten im Juli 2015 verübt hatte. Bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Bremen-Blumenthal am 9. März 2016 hatte sie also seit etwa acht Monaten keine Straftaten mehr begangen, obwohl sie nach den Ausführungen der Gutachterin in diesem Zeitraum unter einer manischen Episode mit psychotischen Symptomen und nach Auffassung der behandelnden Ärzte und Psychologen des Klinikums Bremen-Ost unter einer paranoiden Schizophrenie litt. Die Notwendigkeit einer solchen Erörterung hätte sich auch deshalb aufdrängen müssen, weil in dem zeitnah nach der Unterbringung der Beschwerdeführerin im Klinikum Bremen-Ost von den behandelnden Ärzten und Psychologen verfassten Bericht vom 26. April 2016 festgehalten ist, sie sei weder bedrohlich aufgetreten noch hätten schwerwiegende Erregungszustände beobachtet werden können. Auch nach den Ausführungen der Leitenden Oberärztin F. im Rahmen der Anhörung vor dem Landgericht Bremen am 18. Mai 2016 hatte die Beschwerdeführerin gerade keine Rachegefühle im Hinblick auf ihren ehemaligen Lebensgefährten geäußert. Sie habe auch nicht den Eindruck vermittelt, "paranoide Einfälle" im Hinblick auf dessen Schädigung zu haben. Vor diesem Hintergrund ist der Widerspruch zwischen der Einschätzung des Diplom-Psychologen T., der im Rahmen seiner Anhörung eine Fremdgefährlichkeit der Beschwerdeführerin verneint hat, und der entgegenstehenden Auffassung der Leitenden Oberärztin F. mit dem bloßen Hinweis auf deren höhere fachliche Qualifikation nicht hinreichend aufgelöst. Es hätte der konkreten Erörterung bedurft, weshalb davon auszugehen war, dass die Beschwerdeführerin, obwohl sie trotz ihrer Erkrankung über acht Monate straffrei geblieben war, zukünftig wieder fremdgefährdend auftreten werde. In diesem Zusammenhang hätte zudem erörtert werden müssen, ob und inwieweit das Ende der Nachstellungen mit dem Wegzug der Beschwerdeführerin nach Bremen-Mitte in Verbindung zu bringen war. Dies gilt auch deshalb, weil es den Gerichten mögliche mildere Mittel gegenüber einer Unterbringung - etwa durch Auflagen bezüglich des Wohnortes (vgl. hierzu Schultheis, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, StPO, 7. Aufl. 2013, § 126a Rn. 6) - hätte aufzeigen können. Insgesamt lassen die angegriffenen Entscheidungen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, ob und wie die gegen eine Unterbringung sprechenden Aspekte in die Prognoseentscheidung eingegangen sind und weshalb sie letztlich zurücktreten mussten. Hinzu kommt, dass die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Bremen die aufgrund der zum Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen (§ 2 Abs. 6 StGB) neuen Gesetzeslage erforderliche Betrachtung der Folgen der Taten für das Opfer ebenso vermissen lässt wie sonstige Ausführungen zur Erheblichkeit der befürchteten Taten. Dieser Mangel wird durch die Beschwerdeentscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen nicht behoben.

48

bb) Soweit die angegriffenen Entscheidungen die Annahme der Gefahr der Begehung erheblicher rechtwidriger Taten auf zu befürchtende Körperverletzungs- und Brandstiftungsdelikte als Straftaten jedenfalls mittlerer Kriminalität stützen, fehlt es erst recht an der Begründung einer hinreichend konkreten Gefahr solcher Taten. Die Annahme drohender Körperverletzungen oder Brandstiftungen geht auf Äußerungen der Beschwerdeführerin im Jahre 2014 gegenüber ihrem früheren Lebensgefährten zurück, sie werde die Kinder seiner Schwester "holen" und "aufschlitzen" und sein Haus niederbrennen. Diese Drohungen standen am Anfang der von der Beschwerdeführerin ausgehenden Belästigungen und lagen zum Anordnungszeitpunkt der einstweiligen Unterbringung schon etwa zwei Jahre zurück. Eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin in Freiheit keinerlei erkennbare Anstalten machte, ihre Drohungen in die Tat umzusetzen, enthalten die angegriffenen Entscheidungen nicht, jedenfalls nicht mit der gebotenen Begründungstiefe, obwohl die Beschwerdeführerin nach den Feststellungen der Sachverständigen in dem betreffenden Zeitraum psychiatrisch erkrankt war. Entsprechende Taten hätten zudem eine qualitative Steigerung des bisherigen deliktischen Verlaufs bedeutet. Warum mit einer Umsetzung der Drohungen konkret und mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu rechnen war, bleibt offen, weil die Gefahr einer Steigerung des Krankheitsverlaufs und der auf ihn zurückzuführenden Straftaten in den angegriffenen Entscheidungen nicht nachvollziehbar dargelegt wird. Dies wäre aber insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil die durch die Beschwerdeführerin begangenen Taten in ihrer Intensität konstant geblieben sind. Die bloße Bezugnahme auf das Gutachten der Sachverständigen, die solche Taten "nicht ausschließen" wollte beziehungsweise als "durchaus nicht von der Hand zu weisen" einschätzte, genügt vor diesem Hintergrund - unabhängig davon, ob diesen Formulierungen überhaupt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades entnommen werden kann - nicht.

49

cc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beschwerdeführerin ihrem ehemaligen Lebensgefährten bereits kurze Zeit nach ihrer Freilassung aufgelauert und ihn mit einem Pistolenhandzeichen bedroht haben soll. Wenngleich dies für die Beurteilung der Frage, ob von der Beschwerdeführerin künftig erhebliche Straftaten drohen, von maßgeblicher Bedeutung und zudem geeignet sein kann, die Prognoseentscheidung der Fachgerichte nachträglich zu bestätigen, kann hierdurch der Mangel einer fehlenden Begründung zeitlich davor ergangener Entscheidungen nicht behoben werden.

50

b) Die angegriffenen Entscheidungen lassen zudem die verfassungsrechtlich gebotenen Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO i.V.m. § 62 StGB) vermissen. Während sie in der landgerichtlichen Entscheidung gänzlich fehlen, beschränkt das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen seine Ausführungen auf die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes. Nachdem sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen seit mehreren Monaten zur Behandlung in einer psychiatrischen Klinik befunden hatte, hätte es näherer Ausführungen bedurft, ob der angenommenen Gefährlichkeit auch durch - die Außervollzugsetzung des Unterbringungsbeschlusses ermöglichende - Auflagen hinreichend hätte entgegengewirkt werden können, wie etwa einer Behandlung auf freiwilliger Basis oder der Einhaltung einer räumlichen Distanz zwischen ihrem Wohnsitz und dem ihres ehemaligen Lebensgefährten. Dies drängte sich deshalb besonders auf, weil sich die Beschwerdeführerin ausweislich der Bestätigung des Psychiaters L. vom 19. April 2016 bereits zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung in fachärztliche Behandlung begeben und sich selbst um eine stationäre Therapie in räumlicher Entfernung zu ihrem früheren Lebensgefährten bemüht hatte. Insoweit hätte es nahe gelegen, aus dieser Behandlung verfügbare Erkenntnisse in die Abwägung einzubeziehen. Soweit die von der Beschwerdeführerin behauptete Behandlungsbereitschaft im Widerspruch zu den Feststellungen der sie behandelnden Ärzte und Psychologen des Klinikums Bremen-Ost stand, die in ihrem Bericht vom 26. April 2016 nicht von einer derartigen Bereitschaft ausgingen, ist dieser Widerspruch in den angegriffenen Entscheidungen ebenfalls nicht hinreichend aufgelöst.

III.

51

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

C.

52

1. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. November 2016 - 2 BvR 1739/14 -, juris, Rn. 41). Der Beschwerdeführerin sind danach vier Fünftel ihrer notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten. Hingegen hat der Antrag auf Auslagenerstattung in Bezug auf die begehrte einstweilige Anordnung keinen Erfolg. Die Entscheidung darüber ist selbständig zu treffen und folgt nicht zwangsläufig der Auslagenentscheidung im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde (BVerfGE 89, 91 <94>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. September 1995 - 1 BvR 1401/94 -, juris, Rn. 5). Sie ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen (vgl. BVerfGE 89, 91 <97>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. September 1995 - 1 BvR 1401/94 -, juris, Rn. 6). Eine Auslagenerstattung kommt nur dann in Betracht, wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach den hierfür geltenden Maßstäben Erfolg gehabt hätte (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, juris, Rn. 6). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich.

53

Damit erledigt sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe, soweit er nicht bereits abzulehnen war, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

54

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit ist auf §§ 37 Abs. 2 Satz 2, 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsrechtlichen Verfahren gestützt (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, juris, Rn. 8). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist aufgrund seiner Zielrichtung, eine lediglich vorläufige Regelung herbeizuführen, demgegenüber ein erheblich niedrigerer Wert zuzumessen als demjenigen für die Verfassungsbeschwerde (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, juris, Rn. 8; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 14. März 2017 - 2 BvR 1490/16 -, juris, Rn. 1).

55

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 619/16
vom
29. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Bedrohung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:290317B4STR619.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 29. März 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 19. August 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, entgegen einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz im Zeitraum von August 2014 bis Mai 2015 regelmäßig mit der Zeugin V. über Facebook Kontakt aufgenommen (§ 4 GewSchG) und am 15. Januar 2016 anlässlich einer Gerichtsverhandlung einen Begleiter von Frau V. mit dem Tode bedroht zu haben (§ 241 StGB), wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge des Angeklagten gestützte Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
2
1. Das Rechtsmittel ist nicht auf die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Soweit die Re- vision lediglich deren Aufhebung beantragt, ist eine Rechtsmittelbeschränkung unwirksam (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16).
3
2. a) Nach den Feststellungen war dem Angeklagten mit der ihm zugestellten Anordnung des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen-Schwenningen vom 14. August 2014 u.a. gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 GewSchG untersagt worden, mit der Zeugin V. in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, auch „über soziale Medien wie z. B. Facebook“. Das Familiengericht ordnete die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung an, befristete sie bis zum 14. Mai 2015 und wies den Angeklagten auf die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen die Schutzanordnungen nach § 4 GewSchG hin. In Kenntnis dieser Anordnung nahm der Angeklagte zwischen dem 17. September 2014 und dem 14. Mai 2015 über das Internetportal Facebook Kontakt zu Frau V. auf, indem erihr nahezu täglich Nachrichten – insgesamt mehrere 100 Seiten – zukommen ließ.
4
Am 15. Januar 2016 sagte der Angeklagte im Gebäude des Landgerichts Konstanz während einer Verhandlungspause zu dem Zeugen S. u.a.: „Wennich dich noch einmal mit ihr sehe, mache ich dich weg: Bam Bam …“; dabei machte er mit den Händen Schießbewegungen. S. nahm diese Drohung ernst.
5
b) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Es ist – sachverständig beraten – zu dem Er- gebnis gelangt, dass „bei beiden Taten … die Einsichtsfähigkeit des Angeklag- ten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer anhaltenden wahnhaften Störung erheblich eingeschränkt“ gewesen sei. „Es kann nicht aus- geschlossen werden, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Wahnerkrankung bei beiden Taten sogar ganz aufgehoben war.“
6
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, weil sich bereits die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Dazu ist eine konkrete Darlegung erforderlich, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. August 2016 – 4 StR 230/16, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2016, 747).
8
Die vom Landgericht allein sicher festgestellte erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Die Voraussetzungen des § 21 StGB sind in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann zu bejahen, wenn die Einsicht gefehlt hat und dies dem Täter vorzuwerfen ist. Fehlt dem Täter aus einem in § 20 StGB genannten Grund die Einsicht, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, ist auch bei verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725, vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 377/14, vom 30. September 2014 – 3 StR 261/14, vom 17. April 2014 – 2 StR 405/12, NJW 2014, 2738, vom 26. November 2013 – 3 StR 387/13 – und vom 2. August 2012 – 3 StR 259/12, NStZ-RR 2013, 71 [Ls] mwN).
9
b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 27. Februar 2017 kann der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die vom Landgericht ausdrücklich allein festgestellte erhebliche Einschränkung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten das Fehlen der Einsicht in das Unrecht seines Tuns bei den ihm zur Last gelegten Anlasstaten zur Folge gehabt hätte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 437/09); hierzu verhält sich das Urteil an keiner Stelle.
10
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2017 – 4 StR 565/16, vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75, und vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
11
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
12
Sollte die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf der Grundlage des § 63 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vor- schriften vom 8. Juli 2016 erneut in Betracht gezogen werden, wird hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen sein, dass Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne weiteres dem Bereich der erheblichen Straftaten zuzurechnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, 32). Mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwartende Nachstellungen gemäß § 238 Abs. 1 StGB können indes je nach Lage des Einzelfalls hierfür ausreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 572 f. mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 – 3 StR 113/14). Für die Frage , ob zu erwartende Drohungen gegen Personen aus dem Umfeld der Zeugin V. dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen sind, verweist der Senat auf sein Urteil vom 22. Dezember 2016 – 4 StR 359/16.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 168/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 4,
§ 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 23. Dezember 2011 (Az. 703 Gs – 110 Js 720/11 – 1552/11) in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2012 wird aufgehoben. Der Angeklagte ist unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Nachstellung zum Nachteil der Zeugin V. S. in Tateinheit mit versuchter Nötigung zum Nachteil der Zeugin V. S. in 11 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil des Zeugen A. S. in 5 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil der Zeugin P. S. in 6 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil des Zeugen T. in 4 Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin V. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen A. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin P. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. und mit Sachbeschädigung" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Im August 2010 lernte der in Berlin lebende, damals 24-jährige Angeklagte im Urlaub die 22-jährige V. S. kennen. In der Folgezeit hielten sie zwar Kontakt zueinander, zu einer Liebesbeziehung oder regelmäßigen Treffen kam es jedoch nicht. Ende des Jahres 2010 fühlte sich V. S. vom Angeklagten vereinnahmt und zunehmend eingeengt, weshalb sie eine geplante gemeinsame Silvesterfeier zum Jahreswechsel absagte. Zum 1. Februar 2011 trat V. S. eine Stelle als Flugbegleiterin in Frankfurt an, wohin sie auch ihren Wohnsitz verlegte. In diesem Zusammenhang teilte sie dem Angeklagten mit, dass sie keine Beziehung wünsche, zumal ihr die Entfernung zwischen Berlin und Frankfurt zu weit sei. In der Folgezeit löschte sie den Angeklagten von ihrer sog. Freundesliste bei Facebook.
4
In der Zeit zwischen dem 24. Februar 2011 und der Festnahme des Angeklagten am 15. März 2012 kam es zu zahlreichen Kontaktversuchen des Angeklagten über die Internetplattform Facebook, die zum Teil an V. S. gerichtet waren, zu einem anderen Teil an deren Freundinnen, da V. S. zwischenzeitlich ihr Profil bei Facebook gelöscht hatte und deshalb für den Angeklagten nicht mehr erreichbar war. Ferner schrieb der Angeklagte ihr und ihren Eltern Briefe; in einem Fall wandte sich der Angeklagte mittels einer Facebook-Nachricht an den damaligen Lebensgefährten von V. S. , den Zeugen T. .
5
V. S. hatte den Angeklagten – ebenso wie ihre Eltern und der Zeuge T. – zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt aufgefordert, sie in Ruhe zu lassen und ihm mitgeteilt, sie wolle keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Hierüber setzte der Angeklagte sich jedoch hinweg. In einer Vielzahl von Nachrichten und Briefen forderte er V. S. unter anderem dazu auf, ihn erneut ihrer Freundesliste in ihrem Facebook-Profil hinzuzufügen, sich bei ihm zu entschuldigen, ihm ein Armband, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, zurückzugeben und sich von dem Zeugen T. zu trennen. Diese Forderungen unterstrich er mit Drohungen für den Fall, dass sie seine Forderungen nicht erfüllen sollte.
6
Bei V. S. trat durch das Verhalten des Angeklagten eine „kur- ze reaktive depressive Erkrankung aufgrund äußerer Belastung“ ein.Diese äu- ßerte sich darin, dass sie sich hilflos und kraftlos fühlte und unter Schlafstörungen sowie Leistungseinbußen litt. Sie ging nicht mehr so häufig aus wie zuvor und achtete auf der Straße darauf, ob ihr jemand folgt. Zeitweise fühlte sie sich psychisch nicht mehr im Stande, ihrer Arbeit als Flugbegleiterin nachzugehen, da der Angeklagte ihr u.a. angekündigt hatte, sie auf einem Flug „fertig zu ma- chen“. Nachdem sie im August von ihrer Mutter telefonisch davon in Kenntnis gesetzt worden war, dass es an ihrem Elternhaus zu einer Sachbeschädigung durch den Angeklagten gekommen war, meldete sie sich aus Angst, der Angeklagte könne ihr, ihrem Freund oder ihren Eltern etwas antun, krank. Insgesamt kam es von April bis September 2011 zu 30 Fehltagen, die „größtenteils“ auf „psychische Probleme“ zurückzuführen waren, die sie „in Folge des Verhaltens des Angeklagten hatte“. Ferner litt sie „ab April/Mai 2011 unter Migräneanfällen“ , während sie zuvor nur „normale“ Kopfschmerzen hatte. Sie hatte „während des Tatzeitraumes“ häufig Weinkrämpfe mit Herzrasen und begab sich in „psy- chologische Behandlung“, wo Symptome einer „Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik“ diagnostiziert wurden und eine Gesprächstherapie geplant wurde. Eine Übernahme in ein festes Anstellungsverhältnis erfolgte nicht; V. S. wechselte den Beruf und zog in eine andere Stadt. Treffen mit Freunden sagte sie ab, weil der Angeklagte hiervon Kenntnis erlangt haben konnte; aus sozialen Netzwerken wie Facebook zog sie sich zurück oder trat dort nur noch unter Fantasienamen auf.
7
Bei T. trat „kurzfristig aufgrund der psychischen Belastung durch Somatisierung eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit“ ein. Er litt „während des Tatzeitraums zeitweise unter Schlafstörungen und temporär unter Schwindelzuständen“. Ferner hatte er Albträume und zeigte Nervosität sowie eine erhöhte Reizbarkeit. In „bestimmten Situationen“, die durch ein je- weiliges Verhalten des Angeklagten hervorgerufen wurden, hyperventilierte er.
8
A. S. , der Vater von V. S. , litt unter „konkreten Ängsten als zeitlich begrenzte Reaktion, die sodann wieder abklangen“. Er konnte aufgrund der Belastungssituation zunächst nicht mehr seiner Arbeit im Schichtdienst nachgehen und wurde am 21. Oktober 2011 für eine Woche krankgeschrieben. Zudem litt er unter Schlafstörungen. Bei P. S. kam es zu einer „deutlich längerfristigen Anpassungsstörung“, die allerdings nicht allein durch die Aktivitäten des Angeklagten hervorgerufen wurde. Die Zeugin befand sich schon vor den Vorfällen in psychiatrischer Behandlung. Jedoch „verstärkten sich die Probleme und wurden immer schlimmer“. Sie hatte Angst, das Haus zu verlassen und litt zudem unter Schlafstörungen und Albträumen.
9
Die durch sein Verhalten verursachten Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden bzw. die körperliche Unversehrtheit der Zeugen hat der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen.
10
Die sachverständig beratene Strafkammer nimmt bei dem Angeklagten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit emotionaler und konsekutiver Verhaltensinstabilität bzw. auf der Ebene emotionaler/persönlicher Labilität vom Typ Borderline an. Seine Steuerungsfähigkeit sei daher im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert, nicht aber aufgehoben gewesen. Es bestehe „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades", dass „der Angeklagte in Zukunft seine Tat fortführt oder/und die Tat sich in ähnlicher Weise wiederholen könnte“ (UA S. 132).

II.


11
1. Die Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der P. S. , des A. S. , des T. und der V. S. wegen versuchter Nötigung im Fall der Tat vom September 2011 sowie die Verurteilung wegen Bedrohung der P. S. in drei Fällen, des A. S. in zwei Fällen und des T. in drei Fällen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
a) Die Verurteilung wegen der Körperverletzungen wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen.
13
aa) Als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen. Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt ist (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 6; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 223 Rn. 5 mwN). Rein psychische Empfindungen genügen bei keiner Handlungsalternative, um einen Körperverletzungserfolg gemäß § 223 Abs. 1 StGB zu begründen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118; Mey- er, ZStW 115 (2003), 249, 261). Wirkt der Täter auf sein Opfer lediglich psychisch ein, liegt eine Körperverletzung daher erst dann vor, wenn ein pathologischer , somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden ist, der vom Normalzustand nachteilig abweicht (BGH aaO S. 36 f.; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2). Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, wie etwa starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände, aber auch latente Angstzustände, stellen keinen pathologischen Zustand und damit keine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123).
14
bb) Daran gemessen genügt für die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil der P. S. nicht, dass es bei ihr „aufgrund der ständigen Bedrohung durch den Angeklagten … zu einer deutlich länger- fristigen Anpassungsstörung“ kam, die „nicht allein durch die Aktivitäten des Angeklagten hervorgerufen, jedoch wesentlich gesteigert“ wurde (UA S. 119). Insofern hätte es vielmehr näherer Darlegungen dazu bedurft, worin die Anpassungsstörung konkret bestanden und wie sie sich geäußert haben soll; hinsicht- lich der „Steigerung“ der Störung waren vor dem Hintergrund, dass sich die Zeugin bereits in psychiatrischer Behandlung befand (UA S. 97), Ausführungen dazu geboten, ob hierhin ein eigenständiger Erfolg im Sinne des § 223 StGB liegt. Auch die von der Strafkammer an anderer Stelle herangezogenen „Schlafstörungen und Albträume“ der Zeugin (UA S. 97) lassen nicht erkennen, ob es sich hierbei um Beeinträchtigungen erheblichen Ausmaßes handelte, etwa weil sich das Schlafverhalten dauerhaft geändert hat (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, NStZ 1996, 131, 132).
15
Zudem hätte es – wie auch bei den anderen Opfern – einer tragfähigen, sich nicht auf die Wiedergabe der Umschreibung des bedingten Vorsatzes beschränkenden Begründung des Wissens und Wollens des Körperverletzungserfolges bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 382/06, bei Miebach, NStZ-RR 2007, 65).
16
cc) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil des A. S. hat danach keinen Bestand.
17
Insofern führt das Landgericht zur Begründung seiner rechtlichen Würdigung lediglich aus, die Gesundheit des A. S. sei „kurzfristig … erheb- lich beeinträchtigt“ worden; er habe „infolge der akuten Belastungssituation durch das Verhalten des Angeklagten unter konkreten Ängsten als zeitlich be- grenzte Reaktion“ gelitten (UA S. 119). Angst als solche stellt jedoch – insbe- sondere wenn die Reaktion „zeitlich begrenzt“ bzw. „kurzfristig“ auftritt – lediglich eine Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens und eine normale Reaktion auf Bedrohungen, nicht aber einen pathologischen Zustand dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, 4. Aufl., § 223 Rn. 11a).
18
Auch der Umstand, dass A. S. „aufgrund der Belastungssituation … für eine Woche krankgeschrieben“ wurde (UA S. 96), ermöglicht keine revisionsgerichtliche Nachprüfung der Annahme einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Gleiches gilt aus den vorgenannten Gründen für nicht näher konkretisierte „Schlafstörungen“.
19
dd) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
20
Die insoweit im Rahmen der rechtlichen Würdigung allein herangezogene „psychische Belastung durch Somatisierung“ (UA S. 118 f.) stellt keine tragfähige Begründung für den Eintritt eines Körperverletzungserfolges dar (vgl. zur Erforderlichkeit eines pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustandes: Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118). Die an anderer Stelle in dem Urteil erwähnten Schlafstörungen, temporären Schwindelzustände, Albträume, Nervosität und erhöhte Reizbarkeit reichen – wie oben ausgeführt – mangels näherer Konkretisierung ebenfalls nicht aus, um eine tatbestandsmäßige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu begründen (vgl. auch OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192).
21
ee) Schließlich hält auch die Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der V. S. einer Überprüfung nicht stand.
22
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar eine „massive“ depressive Verstimmung bei Hinzutreten weiterer Umstände den Körperverletzungstatbestand erfüllen (BGH, Beschluss vom 15. September 1999 – 1 StR 452/99, NStZ 2000, 25). Die vom Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung allein herangezogene „kurze reaktive depressive Erkrankung aufgrund äußerer Belastung“ (UA S. 118) erfüllt diese Voraussetzun- gen jedoch nicht.
23
Soweit die Strafkammer an anderer Stelle dargelegt hat, dass die Zeugin sich hilflos und kraftlos sowie psychisch nicht dazu in der Lage fühlte zu arbeiten (UA S. 93 f.), fehlt es an einem objektivierbaren Körperverletzungserfolg (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118 mit Anm. Pollähne, StV 2003, 563, 564; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192). Gleiches gilt für die nicht näher konkretisierten „Migräneanfälle“, zu denen sich die bereits vor dem Verhalten des Angeklagten vorhandenen „normalen Kopfschmerzen“ gesteigert haben sollen (UA S. 94; vgl. Pollähne, aaO). Weinkrämpfe und Herzrasen können ebenfalls eine normale körperliche Reaktion auf die mit einer Bedrohungssituation verbundenen Aufregungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB darstellen (zur fehlenden Tatbestandsmäßigkeit von „Herzklopfen“ bzw. „Herzrasen“ vgl. OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, § 223 Rn. 11a; Smischek, Stalking, 2006, S. 215). Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Zeugin sich in psychologische Behandlung begeben hat und „in der nahen Zukunft“ eine Gesprächstherapie geplant sei (UA S. 95),nicht in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise, dass im maßgeblichen Zeitpunkt ein Körperverletzungserfolg vorgelegen hat; ebenso wenig aus der nicht aussage- kräftigen Feststellung, dass „zu diesem Zeitpunkt“ eine „Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik“ vorgelegen habe (UA S. 95).
24
b) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung hält nicht in allen Fällen rechtlicher Überprüfung stand.
25
aa) Der Tatbestand der Bedrohung setzt voraus, dass die Ankündigung des Verbrechens den Bedrohungsadressaten erreicht. Dies kann auch über Dritte erfolgen, wenn die Weitergabe der Drohung an den Adressaten vom Vorsatz des Täters umfasst ist (SSW-StGB/Schluckebier, § 241 Rn. 5, 7).
26
bb) Gemessen daran tragen die Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung wegen Bedrohung der P. und des A. S. in den Fällen der Facebook-Nachrichtan L. Sch. vom 23. August 2011 (UA S. 49), des Briefes, der ihnen am 6. Dezember 2011 zugegangen ist (UA S. 73), und der Facebook-Nachricht an Schl. von Anfang Dezember 2011 (UA S. 72) nicht. Im Fall der Nachricht vom 23. August 2011 fehlt es an der Feststellung , dass die an L. Sch. gerichtete Facebook-Nachricht die Bedrohungsadressaten mit dem Willen des Angeklagten erreicht hat. Ein solcher Vorsatz versteht sich bei einer über Facebook an eine Freundin der Tochter gerichtete Nachricht auch nicht von selbst, zumal der Angeklagte in derselben Nachricht ankündigt, an die Eltern der V. S. ein gesondertes Schreiben richten zu wollen (UA S. 51). Der am 6. Dezember 2011 eingegangene Brief ist an die Zeugin V. S. gerichtet („V. : …“). Auch insoweit ist ein Vorsatz des Angeklagten dahingehend, dass die Bedrohung die Eltern der Angesprochenen erreichen sollte, nicht festgestellt. Die Facebook-Nachricht von Anfang Dezember 2011 an Schl. ist wiederum an eine dritte Person gerichtet , ohne dass festgestellt ist, dass diese Nachricht P. S. erreicht hat und erreichen sollte.
27
cc) Hinsichtlich der Taten zum Nachteil von T. tragen die Feststellungen des Landgerichts aus den vorgenannten Gründen die Verurteilung jeweils wegen Bedrohung in den Fällen der Facebook-Nachrichten an L. Sch. vom 22. Juli 2011, an Schl. vom 23. Juli 2011 sowie im Fall des Briefes an die Eheleute S. , der am 22. Oktober 2011 bei ihnen eingegangen ist, nicht. In keinem der genannten Fälle ist festgestellt, dass die Nachrichten den Geschädigten erreicht haben und dass dies vom Vorsatz des Angeklagten umfasst war.
28
c) Soweit das Landgericht das Versenden des Schreibens, welches die Eltern der V. S. im September 2011 erreichte, als versuchte Nötigung bewertet, hat dies schon deshalb keinen Bestand, weil die Strafkammer es versäumt hat, einen den Einsatz eines Nötigungsmittels im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) umfassenden Tatentschluss festzustellen.
29
2. Die aufgezeigten Mängel zwingen zur Aufhebung der weiteren tateinheitlichen Verurteilungen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2013 – 1 StR 105/13). Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
30
a) Im Hinblick auf die Verurteilung wegen versuchter Nötigung durch Versenden einer Facebook-Nachricht an T. am 3. März 2012 bestehen Zweifel daran, ob diese Tat von der Anklage und von dem Eröffnungsbeschluss umfasst ist. Das in der Anklageschrift umschriebene Geschehen endet in zeitlicher Hinsicht mit dem Versenden einer Facebook-Nachricht an N. Sch. am 25. Januar 2012.
31
b) Soweit das Landgericht eine Bedrohung der P. und des A. S. im Versenden des Briefes vom 5. Januar 2012 sieht, begegnet dies Bedenken , weil sich der Ankündigung, der Zeugin V. S. und ihrer Fami- lie werde „ansonsten Schlimmeres passieren“ (UA S. 77), Verbrechensmerk- male nicht ohne Weiteres entnehmen lassen (vgl. OLG Köln, StV 1994, 245, 246). Sollte eine Verurteilung wegen Bedrohung darauf gestützt werden, dass in dem Schreiben V. S. als den Eltern nahestehende Person mit dem Tod bedroht wird, so bedarf es insoweit der Feststellung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Bedrohung der Eltern durch dieses Verhalten.
32
c) Bedenken bestehen auch, soweit das Landgericht elf selbständige Fälle der versuchten Nötigung angenommen hat.
33
In Fällen, in denen der Täter mehrfach zur Vollendung einer Nötigung ansetzt, um einen bestimmten Erfolg zu erreichen, liegt nur eine Tat im Rechtssinne vor, solange der Versuch nicht fehlgeschlagen ist, der Täter also von dem Misslingen des vorgestellten Ablaufs noch nichts erfahren hat oder nicht zu der Annahme gelangt ist, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten und anderen bereitliegenden Mitteln vollenden (BGH, Urteil vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, NJW 1996, 936, 937). Danach wird das Landgericht zu prüfen haben, ob in den Fällen zeitlich eng zusam- menhängender Handlungen des Angeklagten – etwa der Handlungen vom 23. August 2011 (Facebook-Nachricht an L. Sch. und Brief an die Eheleute S. , den diese an diesem Tag erhielten) oder im Fall der FacebookNachricht an Schl. aus dem Dezember 2011 sowie des Briefes, den die Eheleute S. am 6. Dezember 2011 erhielten – eine odermehrere Taten der versuchten Nötigung vorliegen.
34
d) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB begegnet auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen Bedenken. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Tatbestandsva- riante der „anderen vergleichbaren Handlung“ (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB) eben- falls verwirklicht ist und ob die insoweit in Rechtsprechung und Schrifttum geäußerten Bedenken (zum Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG) durchgreifen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, NJW 2010, 1680, 1681, Tz. 16; hinreichende Bestimmtheit verneinend Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 17c; Gazeas, JR 2007, 497, 501, jeweils mwN; kritisch auch Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 238 Rn. 23; aA Mosbacher, NStZ 2007, 665, 668; offen gelassen bei SSW-StGB/Schluckebier, § 238 Rn. 12).
35
Soweit das Landgericht lediglich eine Tat der Nachstellung gemäß § 238 StGB angenommen hat, weist der Senat darauf hin, dass mehrere tatbestandliche Verhaltensweisen dann nur eine Tat im Sinne des § 238 StGB bilden, wenn sie denselben tatbestandlichen Erfolg betreffen. Führt der Täter dagegen nach Eintritt eines Erfolges, etwa eines Umzuges (vgl. UA S. 95), weitere Tathandlungen aus, so kann Tatmehrheit vorliegen (Eisele in Schönke/Schröder aaO, § 238 Rn. 39).
36
3. Zum Straf- und Maßregelausspruch weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:
37
a) Soweit das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten die „gesundheitlichen Folgen der Tat für die Geschädigten“ berücksichtigt (UA S. 121), lässt dies besorgen, dass mit dem Erfolg der Körperverletzung ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes zu seinem Nachteil in Ansatz gebracht worden ist (§ 46 Abs. 3 StGB). Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn quantitative oder qualitative Besonderheiten der Körperverletzung zum Anlass von entsprechenden Strafzumessungserwägungen genommen werden (Theune in LK, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 146).
38
b) Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird ferner zu prüfen haben, ob eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB im Hinblick auf die Sanktionen aus den Strafbefehlen des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. Februar 2012 (Az. 263b Cs – 3033 Js 364/12 – 22/12) – insoweit gegebenenfalls unter Berücksichtigung der zeitlichen Tatkonkretisierung in der Anklage (vgl. oben II. 2. a)) – und vom 4. April 2012 (Az. 263b Cs – 232 Js 5682/11 – 17/12) in Betracht kommt.
39
c) Hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) weist der Senat auf Folgendes hin:
40
aa) Die Diagnose einer „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ stellt – was die Strafkammer nicht übersehen hat – nicht ohne Weiteres eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters dar (Senatsbeschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 ff.; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142; Beschluss vom 1. August 1989 – 1 StR 290/89, BGHR StGB § 21 seeli- sche Abartigkeit 13) und rechtfertigt nur bei Vorliegen weiterer – vom Landgericht nicht fehlerfrei bejahter – Umstände die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH aaO; Senatsbeschluss vom 25. Februar 2003 – 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165, 166; Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 349/05, NStZ-RR 2006, 38, 39 mwN).
41
bb) Ist die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf das Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Betäubungsmittelkonsum zurückzuführen , so ist regelmäßig erforderlich, dass der Täter an einer krankhaften Betäubungsmittelabhängigkeit leidet, in krankhafter Weise betäubungsmittelüberempfindlich ist oder eine länger andauernde geistig-seelische Störung hat, bei der bereits geringer Betäubungsmittelkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209; Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42).
42
cc) Besonderes Augenmerk wird die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer zudem auf die Gefährlichkeitsprognose zu richten haben.
43
Die prognostizierte Gefährlichkeit muss sich auf Taten beziehen, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Für Straftaten nach § 238 StGB ist dies nicht ohne Weiteres zu bejahen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12, 13). Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten , die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind daher nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen. Hierzu gehören beispielsweise das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), die Beleidigung, die üble Nachrede und die nichtöffentliche Verleumdung (§§ 185 bis 187 StGB), das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB) sowie die Verbreitung pornographischer Schriften einschließlich gewalt- oder tierpornographischer Schriften (§§ 184 und 184a StGB). Gleiches gilt für die Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB. Da auch insoweit das Höchstmaß der Freiheitsstrafe drei Jahre beträgt, kann auch die Nachstellung, wenn sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergeht, nicht generell als Straftat von erheblicher Bedeutung angesehen werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12 [juris Rn. 21, 28]). Entsprechendes gilt für eine Bedrohung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN) allenfalls dann zur Rechtfertigung einer Unterbringungsanordnung herangezogen werden kann, wenn sie in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt. Der bloße Besitz des in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Schlagrings begründet eine solche Gefahr für sich genommen noch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erforderlich ist insoweit eine umfassende Auseinandersetzung des Tatgerichts auch mit Umständen , die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft sprechen könnten (BGH aaO), insbesondere dass der Angeklagte bisher mit Gewaltdelikten nicht auffällig geworden ist.
44
Die Gefährlichkeitsprognose selbst ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147). An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 mwN).
45
dd) Im Falle der erneuten Anordnung der Maßregel wird ferner zu berücksichtigen sein, dass mit deren Aussetzung zur Bewährung die Weisung erteilt werden kann, sich einer Therapie zu unterziehen (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Mai 2013 – 4 StR 70/13, Tz. 2; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 67b Rn. 4). Dem kann schon deshalb besondere Bedeutung zukommen, weil der Angeklagte sich selbst um eine ambulante Therapie bemüht hat, zu der es lediglich aufgrund der Untersuchungshaft nicht gekommen sei (UA S. 123).
46
d) Zur Fassung eines Urteilstenors verweist der Senat auf die Kommentierung bei Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 21 ff.; insbesondere ist die (namentliche) Benennung der Opfer einer Straftat im Schuldspruch nicht geboten, bei gleichartiger Tateinheit ist lediglich anzugeben, wie oft der Straftatbestand verwirklicht wurde.

III.


47
Der Haftbefehl in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses war gemäß § 126 Abs. 3 StPO aufzuheben, weil der Senat das angefochtene Urteil aufhebt und sich bei dieser Entscheidung ohne Weiteres ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
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