Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2007 - 5 StR 139/07


Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Eine gegen Art. 6 Abs. 1 MRK verstoßende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung , die das Landgericht in den Urteilsgründen hätte erörtern und auf die es einen genau bestimmten kompensatorischen Strafabschlag hätte vornehmen müssen, liegt nicht vor.
a) Ob eine mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht im Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens , die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen (st. Rspr.; vgl. nur BVerfG – Kammer – NStZ-RR 2005, 346 sowie Beschluss vom 2. Mai 2007 – 2 BvR 539/07, jeweils m.w.N.).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen decken die Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Einwände des Angeklagten keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auf.
Dies gilt hier ungeachtet der überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer. Dass bereits im Jahr 2000 gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, steht dem nicht entgegen. Denn erst im April 2002 ergaben sich aus einer Vielzahl gleichzeitig vorgenommener Durchsuchungen konkretere Erkenntnisse zu den abgeurteilten Steuerstraftaten und Beihilfehandlungen des Angeklagten. Sie waren Teilergebnis eines groß angelegten Ermittlungsverfahrens gegen mehr als 100 Beschuldigte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten war damit Teil einer komplexen Wirtschaftsstrafsache mit einer großen Anzahl von Beteiligten. Der Beurteilung steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte ausweislich der Urteilsgründe schon im Ermittlungsverfahren ein Geständnis hinsichtlich seiner eigenen Steuerhinterziehungen abgelegt hat.
Die Steuerstrafsache war damit nicht etwa bereits im Frühjahr 2004 abschlussreif. Vielmehr wurden erst durch die Vernehmung des Angeklagten vom 28. Mai 2004 und seine daran anschließende richterliche Vernehmung vom 1. Juni 2004 nähere Umstände zu seinen Beihilfetaten bekannt, die den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe zugrunde liegen. Daneben ergaben sich noch weitere Tatvorwürfe, die erst mit der Abschlussverfügung bzw. in der Hauptverhandlung gemäß § 154 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden wurden, ohne dass diese Verfahrensweise als sachwidrig zu beanstanden wäre. Hinsichtlich der Beihilfetaten bestand noch ein erheblicher Aufklärungsbedarf. Es mussten insbesondere die steuerlichen Situationen der Haupttäter aufgeklärt werden, die vom Angeklagten ausgestellte Scheinrechnungen erhalten hatten. Auch Bezüge des Angeklagten zu weiteren Beschuldigten innerhalb des gegen mehr als 170 Personen geführten Ermittlungsverfahrens mit insgesamt mehr als 1.000 Scheinrechnungen waren möglich.
c) Dem Abstand zwischen den Taten und der Aburteilung hat das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung rechtsfehlerfrei Rechnung getragen. Zudem hat das Tatgericht ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits im Ermittlungsverfahren ein Geständnis abgelegt und „erhebliche Zeit unter dem Druck des Verfahrens gestanden“ habe (UA S. 34).
Basdorf Gerhardt Raum Schaal Jäger


Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.