Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - I ZB 89/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:010617BIZB89.16.0
bei uns veröffentlicht am01.06.2017
vorgehend
Amtsgericht Fürstenwalde/Spree, 16 M 812/15, 28.04.2015
Landgericht Frankfurt (Oder), 19 T 130/15, 30.08.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 89/16
vom
1. Juni 2017
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
ECLI:DE:BGH:2017:010617BIZB89.16.0

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juni 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Büscher, die Richter Prof. Dr. Schaffert, Prof. Dr. Koch, Dr. Löffler und Feddersen
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Gläubiger gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 9. Zivilkammer - vom 30. August 2016 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Schuldner.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.237,55 € festgesetzt.

Gründe:

1
I. Der Schuldner ist durch Urteil des Landgericht Frankfurt (Oder) vom 29. Mai 2008 zur Herausgabe des Grundstücks W. in S. verurteilt worden. Er bewohnt das auf diesem Grundstück von ihm errichtete Wohnhaus. Die Gläubiger betreiben gegen den Schuldner die Räumungsvollstreckung.
2
1. Mit Schreiben vom 25. August 2008 hatte der Schuldner beim Amtsgericht Fürstenwalde Räumungsschutz beantragt. Das Amtsgericht hatte die Zwangsvollstreckung zunächst unter der Auflage vorläufig eingestellt, dass der Schuldner ein amtsärztliches Attest oder Gutachten zur Möglichkeit der Räumung bei gründlicher medizinischer Begleitung vorlegt. Nachdem der Schuldner diese Auflage nicht erfüllt hatte, wurde sein Vollstreckungsschutzantrag vom Amtsgericht zurückgewiesen.
3
Das Beschwerdegericht hatte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten zur Verfahrensfähigkeit des Schuldners eingeholt. Der Sachverständige war zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Schuldner eine krankheitsbedingte partielle Geschäftsunfähigkeit vorliegt, die sich auf die - insbesondere juristische - Auseinandersetzung um das Grundstück bezieht. Das Beschwerdegericht hatte daraufhin mit Beschluss vom 25. August 2009 die Zwangsvollstreckung mit der Maßgabe einstweilen eingestellt, dass sie auf Antrag fortzusetzen ist, wenn die gegenwärtige Prozessunfähigkeit des Schuldners nicht mehr fortbesteht oder der Schuldner wirksam vertreten wird. Die Gläubiger hatten gegen diesen Beschluss die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.
4
Der Bundesgerichtshof hatte dem Schuldner Rechtsanwältin B. als besondere Vertreterin (Verfahrenspflegerin) beigeordnet sowie den Beschluss vom 25. August 2009 aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, weil bei Prozessunfähigkeit des Schuldners auf der Grundlage von § 765a ZPO keine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung möglich ist (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 73/09, DGVZ 2011, 209).
5
Die Verfahrenspflegerin hatte den vom Schuldner selbst gestellten Vollstreckungsschutzantrag nicht genehmigt. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 hatte das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 4. November 2007 zurückgewiesen.
6
2. Die Gläubiger betrieben daraufhin die Räumungsvollstreckung weiter. Unter dem 3. Januar 2012 beantragte die Verfahrenspflegerin für den Schuldner Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO, weil die Zwangsräumung Leib und Leben des Schuldners erheblich gefährde.
7
Mit Beschlüssen vom 12. Januar 2012 bestellte das Amtsgericht Rechtsanwalt Bl. anstelle von Rechtsanwältin B. zum Verfahrenspfleger des Schuldners und wies den Vollstreckungsschutzantrag vom 3. Januar 2012 zurück.
8
Dagegen legte der Verfahrenspfleger sofortige Beschwerde ein. Er legte dazu eine amtsärztliche Stellungnahme des Facharztes Dr. H. vor. Aufgrund einer Untersuchung des Schuldners am 16. Januar 2012 führte Dr. H. darin unter anderem aus, dass im Fall der Zwangsräumung ein Suizid des Schuldners unmittelbar absehbar sei und daran auch eine Zwangsunterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nichts ändern würde, da das psychische Krankheitsbild nicht behandelbar sei.
9
Das Landgericht stellte die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den Vollstreckungsschutz einstweilen ein und holte ein neurologischpsychiatrisches Gutachten zur Frage der Gesundheits- und Lebensgefahr im Fall der Zwangsräumung ein. Der Gutachter Dr. L. konnte den Schuldner nicht zu einem Untersuchungsgespräch bewegen und erstellte sein Gutachten sodann nach Aktenlage. Er kam zu dem Ergebnis, dass für den Fall der Zwangsräumung eine suizidale Handlung des Schuldners wahrscheinlich sei.
10
Mit Beschluss vom 22. Januar 2013 stellte das Landgericht die Zwangsvollstreckung in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe unbefristet und ohne Auflagen einstweilen ein.
11
Auf die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubiger hob der Bundesgerichtshof den Beschluss des Landgerichts vom 22. Januar 2013 teilweise auf und fasste ihn insgesamt dahin neu, dass die Zwangsvollstreckung in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe bis zum 22. Januar 2015 einstweilen eingestellt wurde, weil nicht angenommen werden könne, dass eine Behandlung des Schuldners zur Abwendung der Sui- zidgefahr ohne weitere Prüfung auf Dauer aussichtslos bleiben werde (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 - I ZB 15/13, NJW 2014, 2218).
12
3. Nach dem 22. Januar 2015 haben die Gläubiger erneut den Obergerichtsvollzieher Be. mit der Zwangsvollstreckung beauftragt, der für den 6. Mai 2015 einen Termin zur Zwangsräumung anberaumt hat.
13
Mit Schreiben vom 10. April 2015 hat Rechtsanwalt Bl. für den Schuldner die Gewährung von Vollstreckungsschutz im Hinblick auf dessen verschlechterten Gesundheitszustand beantragt. Mit Schreiben vom 28. April 2015 hat er nochmals für ihn geltend gemacht, dass für den Falle der Umsetzung der Zwangsräumung Suizidgefahr bestehe.
14
Das Amtsgericht hat die Vollstreckungsschutzanträge des Schuldners mit Beschluss vom 28. April 2015 zurückgewiesen.
15
Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht die Zwangsvollstreckung für den Schuldner in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe bis zum 29. August 2018 einstweilen eingestellt.
16
Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubiger, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrags weiterverfolgen.
17
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
18
1. Nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung auf Antrag des Schuldners ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.
19
2. Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen , die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten unvereinbar ist. Die Anwendung von § 765a ZPO kommt nur in Betracht, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis für den Schuldner führen würde (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - I ZB 34/09, WuM 2010, 250 Rn. 7 mwN; Beschluss vom 20. Januar 2011 - I ZB 27/10, NJW-RR 2011, 300 Rn. 6).
20
Ist mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, kann dies die Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO rechtfertigen. Dabei ist aber stets eine Abwägung der Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers vorzunehmen. Der Schuldner kann sich auf sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) berufen. Der Gläubiger kann geltend machen, dass seine Grundrechte auf Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt werden, wenn sein Räumungstitel nicht durchsetzbar ist. Ferner ist zu berücksichtigen, dass dem Gläubiger keine Aufgaben überbürdet werden dürfen, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Mai 2005 - I ZB 10/05, BGHZ 163, 66, 73 f.; Beschluss vom 22. November 2007 - I ZB 104/06, NJW 2008, 1000 Rn. 8 f.; Beschluss vom 13. März 2008 - I ZB 59/07, NJW 2008, 1742 Rn. 9; BGH, WuM 2010, 250 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 10; BGH, NJW-RR 2011, 300 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 12. November 2014 - I ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393 Rn. 7; Beschluss vom 21. Januar 2016 - I ZB 12/15, NJW-RR 2016, 583 Rn. 17; Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 6).
21
Dabei kann vom Schuldner erwartet werden, dass er alles ihm Mögliche und Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (vgl. BGH, NJW 2008, 1000 Rn. 9; NJW 2008, 1742 Rn. 9; WuM 2010, 250 Rn. 8; NJW-RR 2011, 300 Rn. 6; NJW-RR 2016, 583 Rn. 17). Insbesondere ist es ihm, soweit er dazu in der Lage ist, zuzumuten, fachliche Hilfe - erforderlichenfalls auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern (vgl. BGHZ 163, 66, 74; BGH, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 11).
22
Andere mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, die Ingewahrsamnahme des suizidgefährdeten Schuldners nach polizeirechtlichen Vorschriften oder seine Unterbringung nach den einschlägigen Landesgesetzen sowie die betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB). Kann der Gefahr eines Suizids des Schuldners auf diese Weise entgegengewirkt werden, scheidet eine Einstellung der Zwangsvollstreckung aus. Der Verweis auf die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Gerichte ist verfassungsrechtlich allerdings nur tragfähig , wenn diese entweder Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Schuldners getroffen haben oder eine erhebliche Suizidgefahr gerade für das diese Gefahr auslösende Moment (die Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses oder - hier - die Räumung) nach sorgfältiger Prüfung abschließend verneint haben (BGH, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 11; NJW-RR 2015, 393 Rn. 8; NJW-RR 2016, 336 Rn. 7, jeweils mwN).
23
Im Hinblick auf eine mögliche Unterbringung ist nach dem auch im Zwangsvollstreckungsverfahren zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob deren Dauer außer Verhältnis steht zu dem damit verfolgten Zweck der Fortführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens. Steht fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass die Anordnung der Unterbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer führte, ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren einzustellen. Gleiches gilt, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine außer Verhältnis stehende jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nutzen begegnet werden kann. Anders verhält es sich, wenn innerhalb eines überschaubaren Zeitraums eine Chance besteht, dass die Freiheitsentziehung zu einer Stabilisierung des Suizidgefährdeten führen und durch therapeutische Maßnahmen während der Unterbringung die Grundlage für ein Leben in Freiheit ohne konkrete Suizidgefährdung gelegt werden kann (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 14; NJW-RR 2016, 336 Rn. 8, jeweils mwN).
24
Kann die beim Schuldner bestehende Gefahr eines Suizids zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts weder durch seine Unterbringung nach dem Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker noch durch andere Maßnahmen beseitigt werden, kommt grundsätzlich allein eine befristete Einstellung des Zwangsvollstreckungsverfahrens in Betracht. Das Interesse des Gläubigers an der Fortsetzung des Verfahrens verbietet regelmäßig eine dauerhafte Einstellung, weil die staatliche Aufgabe, das Leben des Schuldners zu schützen, nicht auf unbegrenzte Zeit durch ein Vollstreckungsverbot gelöst werden kann (vgl. BGH, WuM 2010, 250 Rn. 10 f.; NJW-RR 2015, 393 Rn. 9, jeweils mwN).
25
Nur in besonders gelagerten Einzelfällen kann eine unter Beachtung der Wertentscheidungen des Grundgesetzes und der dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte vorgenommene Würdigung aller Umstände dazu führen, dass die Zwangsvollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist (BVerfG, NJW-RR 2014, 1290 Rn. 11; NJW-RR 2015, 393 Rn. 9; NJW 2016, 3090 Rn. 11, jeweils mwN; BGH, NJW 2008, 1000 Rn. 9). Auch bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit wird regelmäßig die Einstellung der Vollstreckung für einen längeren Zeitraum ausreichen, weil solche Gefahren meist mit zunehmendem Zeitablauf ausgeräumt werden können. Nur wenn die fraglichen Umstände ihrer Natur nach keiner Änderung zum Besseren zugänglich sind, kann die Gewährung von Vollstreckungsschutz auf Dauer geboten sein (BVerfG, NJW 2016, 3090 Rn. 17 mwN). Das kann etwa der Fall sein, wenn eine Verringerung der Suizidgefahr auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Mitwirkung des Schuldners und staatlicher Stellen in Zukunft ausgeschlossen erscheint (BGH, NJW-RR 2016, 583 Rn. 17).
26
Eine befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung ist regelmäßig mit Auflagen zu versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen. Das gilt auch, wenn die Aussichten auf eine Besserung des Gesundheitszustands des Schuldners gering sind. Im Interesse des Gläubigers ist es dem Schuldner grundsätzlich zuzumuten, auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken und den Stand seiner Behandlung dem Vollstreckungsgericht nachzuweisen (vgl. BGH, WuM 2010, 250 Rn. 10 f. mwN). Nur in absoluten Ausnahmefällen kann die befristete Einstellung des Verfahrens ohne derartige Auflagen erfolgen (BGH, NJW-RR 2015, 393 Rn. 9). So haben Auflagen zu unterbleiben, wenn sie keine - auch keine noch so geringe - Aussicht auf Erfolg haben (BGH, NJW-RR 2015, 393 Rn. 13).
27
3. Das Beschwerdegericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung, die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner in Bezug auf seine Verurteilung zur Grundstücksherausgabe bis zum 29. August 2018 einstweilen einzustellen, lässt nach diesen Maßstäben keinen Rechtsfehler erkennen.
28
a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, mit der von den Gläubigern beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme, der Räumung des Grundstücks, sei eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden. Der Schuldner leide nach den überzeugenden Ausführungen der Fachärzte Ba. , Dr. H. , Dr. L. und Dr. K. an einer wahnhaften Störung, die bei einer Durchführung der Zwangsräumung sehr wahrscheinlich zu einem Suizid führe. Diese Beurteilung wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen und lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
29
b) Das Beschwerdegericht hat weiter angenommen, der im Falle einer Zwangsräumung wahrscheinliche Suizid des Schuldners könne nur durch die Einstellung der Zwangsvollstreckung abgewendet werden.
30
Der Schuldner könne nicht darauf verwiesen werden, selbst auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken. Da ihm - krankheitsbedingt - die Behandlungseinsicht fehle, sei er nicht in der Lage, eine Therapie zu beginnen. Zudem erscheine aus diesem Grund nach fachärztlicher Einschätzung eine erfolgsversprechende Behandlung unmöglich.
31
Auch eine betreuungsrechtliche Unterbringung nach § 1906 BGB könne dem Schuldner weder Schutz bieten noch Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, weil er sich krankheitsbedingt nicht auf eine Behandlung einlassen würde. Zudem habe das Amtsgericht Fürstenwalde mit Beschluss vom 18. November 2010 die Bestellung eines Betreuers abgelehnt.
32
Eine Unterbringung des Schuldners nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen sowie über den Vollzug gerichtlich angeordneter Unterbringung für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen im Land Bran- denburg (Brandenburgisches Psychisch-Kranken-Gesetz - BbgPsychKG) sei gleichfalls keine vertretbare Maßnahme, um einem Suizid des Schuldners entgegenzuwirken. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. sei eine wirksame kausale Therapie der Suizidalität nur durch eine erfolgreiche Behandlung der wahnhaften Störung möglich. Der Erfolg einer solchen Behandlung sei aber höchst unwahrscheinlich, weil nicht mit einer Behandlungseinsicht des Schuldners zu rechnen sei. Eine zwangsweise Unterbringung würde den Schuldner vielmehr in seinen wahnhaften Überzeugungen bestärken. Der Sachverständige habe zwar angenommen, der akuten Suizidgefährdung könne durch eine vor Durchführung der Zwangsräumung veranlasste geschlossene Unterbringung mit kontinuierlicher Überwachung begegnet werden. Eine solche Unterbringung würde aber keine erfolgreiche Behandlung des Schuldners ermöglichen, sondern wäre als bloßes „kontrolliertes Wegsperren“ aufzufassen, da sie nach den Angaben des Sachverständigen allenfalls eine symptomatische Ruhigstellung mit medikamentösen und physikalischen „Fesseln“ zuließe. Da die Erkrankung im Rahmen der Unterbringung nicht behandelt werden könnte, bestünde mit der Entlassung und der Konfrontation mit dem Verlust des Eigenheims erneut die Gefahr eines Suizids. Eine Unterbringung, die einen Suizid des Betroffenen voraussichtlich nicht abwenden könne, sei unvertretbar. Eine Dauerunterbringung des Schuldners komme nicht ernsthaft in Betracht.
33
Danach sei unter Abwägung der betroffenen Interessen des Schuldners und der Gläubiger eine Einstellung der Zwangsräumung geboten.
34
Bei der Abwägung der betroffenen Interessen seien das Grundrecht des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit einerseits mit den Grundrechten der Gläubiger auf Schutz ihres Eigentums und wirksamen Rechtsschutz andererseits abzuwägen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass den Gläubigern grundsätzlich keine Aufgaben überbürdet werden dürften, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit oblägen.
35
Auf Seiten der Gläubiger sei darüber hinaus zu beachten, dass das Räumungsverfahren bereits um mehrere Jahre verzögert worden sei, ihnen ein immer größer werdender Vermögensschaden entstehe und die von unerträglichen Beschimpfungen und - gegebenenfalls - tätlichen Angriffen durchzogene Führung des Verfahrens durch den Schuldner sie erheblich belaste. Da praktisch nicht zu erwarten sei, dass sich das Krankheitsbild des Schuldners zukünftig verändere, müsse diesem möglicherweise immer wieder und bis zu seinem Tod Vollstreckungsschutz gewährt werden. Damit werde die Vollstreckung durch die gleichfalls betagten Gläubiger möglicherweise gänzlich vereitelt.
36
Dennoch rechtfertigten die von den Gläubigern mit der Durchsetzung des Räumungstitels vorrangig verfolgten Vermögensinteressen es nicht, den wahrscheinlichen Tod des Schuldners in Kauf zu nehmen. Maßgeblich für diese Beurteilung sei, dass ein Suizid des Schuldners nicht auf seiner freien Willensentscheidung beruhen würde, sondern durch seine - nicht erfolgversprechend behandelbare - Krankheit bedingt wäre. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass sich der Schuldner den Besitz des fremden Grundstücks zunächst nicht rechtswidrig angemaßt habe, sondern der politische Umbruch infolge der Wiedervereinigung dazu geführt habe, dass er nun das von ihm zu Zeiten des Bestehens der DDR auf der Grundlage eines Nutzungsvertrages erbaute Eigenheim herausgeben müsse. Dagegen könnten die Gläubiger wieder auf Vermögen zugreifen, das für sie nach der Enteignung in der DDR gleichsam verloren gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sei es zumutbar, dass die Gläubiger ihre Vermögensinteressen zurückstellten, um dem Schuldner wahrscheinlich sein Leben zu erhalten.
37
c) Die gegen diese Beurteilung gerichteten Einwände der Rechtsbeschwerde haben keinen Erfolg.
38
aa) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Zwangsvollstreckung stets einzustellen sei, wenn der Gefahr eines Suizids des Vollstreckungsschuldners nur durch eine jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nutzen begegnet werden könne (vgl. oben Rn. 23), sei nicht festzuhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehe in einem engen Kreis von Ausnahmefällen lediglich die Möglichkeit, dem Vollstreckungsschuldner dauerhaft Vollstreckungsschutz zu gewähren. Es sei danach nicht ausgeschlossen , dass die Interessen des Vollstreckungsgläubigers die Interessen des suizidgefährdeten Vollstreckungsschuldners im Einzelfall überwiegen, soweit der Gefahr eines Suizids des Vollstreckungsschuldners durch seine dauerhafte Unterbringung begegnet werden könne.
39
Damit hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg. Die von der Rechtsbeschwerde herangezogene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts betrifft allein die Frage, ob es möglich ist, die Zwangsvollstreckung nicht nur (wie regelmäßig) befristet, sondern (in besonders gelagerten Einzelfällen) für einen längeren Zeitraum und (in absoluten Ausnahmefällen) auf unbestimmte Zeit einzustellen (vgl. oben Rn. 24 und 25). Sie betrifft dagegen nicht die vorgelagerte Frage, ob ein Antrag des suizidgefährdeten Vollstreckungsschuldners auf Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen werden darf, wenn der Gefahr eines Suizids des Vollstreckungsschuldners nur durch eine jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nutzen begegnet werden kann. Diese Frage ist zu verneinen.
40
Steht fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass die Anordnung der Unterbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer führte, ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren einzustellen (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 14; NJW-RR 2016, 336 Rn. 8, jeweils mwN). In einem solchen Fall kann sich der Schuldner zwar nicht auf sein Grundrecht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) berufen, da sein Leben durch die Unterbringung geschützt werden kann. Er kann sich aber auf sein Grundrecht auf Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) berufen, das im Falle einer dauerhaften Unterbringung ohne therapeutischen Nutzen die Grundrechte des Gläubigers auf Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) in aller Regel überwiegt.
41
bb) Die Rechtsbeschwerde macht weiter geltend, der Annahme des Berufungsgerichts , eine Unterbringung hindere einen Suizid nicht, stehe das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. K. entgegen, der unter Berücksichtigung des von Dr. L. erstatteten Gutachtens und der von Dr. H. abgegebenen Stellungnahme in einer Unterbringung eine nachhaltige und erfolgversprechende Möglichkeit zur Verhinderung eines Suizids gesehen habe. Das Beschwerdegericht habe sich hierüber nicht ohne weitere sachverständige Abklärung hinwegsetzen dürfen. Es sei auch nicht verständlich, weshalb einer Suizidgefahr in einer psychiatrischen Anstalt nicht in adäquater Weise begegnet werden könnte und Maßnahmen zur vorübergehenden Verhinderung eines Suizids nicht erforderlichenfalls längerfristig angewendet werden könnten. Auch damit dringt die Rechtsbeschwerde nicht durch.
42
Das Beschwerdegericht hat berücksichtigt, dass der Sachverständige Dr. K. in einer geschlossenen Unterbringung des Schuldners eine Möglichkeit zur Verhinderung eines Suizids gesehen hat. Es hat allerdings angenommen , eine solche Unterbringung ermögliche keine erfolgreiche Behandlung des Schuldners, sondern wäre als bloßes „kontrolliertes Wegsperren“ aufzufassen. Diese Annahme hat das Beschwerdegericht entgegen der Darstellung der Rechtsbeschwerde nicht auf eigene Sachkunde, sondern auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. gestützt. Danach ist eine wirksame kausale Therapie der Suizidalität nur durch eine erfolgreiche Behandlung der wahnhaf- ten Störung möglich. Der Erfolg einer solchen Behandlung ist aber höchst unwahrscheinlich , weil nicht mit einer Behandlungseinsicht des Schuldners zu rechnen ist. Eine zwangsweise Unterbringung würde den Schuldner vielmehr in seinen wahnhaften Überzeugungen bestärken. Sie ermöglichte daher nach den Ausführungen des Sachverständigen allenfalls eine symptomatische Ruhigstellung des Schuldners mit medikamentösen und physikalischen „Fesseln“.
43
Das Beschwerdegericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, eine solche Unterbringung, bei der die Erkrankung des Schuldners nicht behandelt werden könnte und die die Gefahr eines Suizids des Schuldners nach der Entlassung und der Konfrontation mit dem Verlust des Eigenheims voraussichtlich nicht abwende, wäre unzulässig. Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, es sei unverständlich, weshalb Maßnahmen zur vorübergehenden Verhinderung eines Suizids nicht erforderlichenfalls längerfristig angewendet werden könnten. Das Beschwerdegericht hat mit Recht angenommen, dass eine dauerhafte Unterbringung des Schuldners, die keinen therapeutischen Nutzen hat, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht in Betracht kommt.
44
cc) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, eine rechtsfehlerfreie Interessenabwägung hätte zur Versagung des Vollstreckungsschutzes führen müssen, führt sie keine vom Beschwerdegericht übergangenen Gesichtspunkte auf, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Interessen der Gläubiger die Interessen des Schuldners in einer Weise überwiegen, dass dieser eine dauerhafte Unterbringung ohne therapeutischen Nutzen hinzunehmen hat, um den Gläubigern die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen.
45
d) Das Beschwerdegericht hat die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zeitlich auf zwei Jahre befristet. Es hat angenommen, nach den fachärztlichen Feststellungen sei eine Veränderung im Krankheitsbild des Schuldners nicht gänzlich ausgeschlossen. Deshalb erscheine eine erneute Befristung von zwei Jahren erforderlich und angemessen. Der Schuldner hat diese Beurteilung hingenommen. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen (vgl. oben Rn. 24 und 25).
46
e) Das Beschwerdegericht hat die befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht mit Auflagen versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen Es hat angenommen, nach fachärztlicher Einschätzung sei eine erfolgsversprechende Behandlung des - krankheitsbedingt behandlungsuneinsichtigen - Schuldners nicht möglich. Auflagen mit dem Ziel, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen, würden daher unzweifelhaft ins Leere laufen. Unter diesen Umständen könne der Schuldner nicht auf eigene zumutbare Anstrengungen zur Wahrnehmung ärztlicher Hilfe verwiesen werden. Auch diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung stand (vgl. oben Rn. 26).
47
Die Rechtsbeschwerde macht vergeblich geltend, das Beschwerdegericht hätte die Zwangsvollstreckung nicht ohne Auflage für den Schuldner einstellen dürfen, sich in psychiatrische Behandlung zu begeben, weil eine solche Behandlung immerhin geringe Erfolgsaussichten gehabt hätte. Die Rechtsbeschwerde versucht damit lediglich, die tatrichterliche Würdigung der fachärztlichen Bewertungen, durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen, ohne einen Rechtsfehler des Beschwerdegerichts aufzuzeigen.
48
III. Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen den angefochtenen Beschluss zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 788 Abs. 1 ZPO. Es besteht kein Anlass, den Gläubigern gemäß § 788 Abs. 4 ZPO einen Teil der Kosten aufzuerlegen.
Büscher Schaffert Koch Löffler Feddersen
Vorinstanzen:
AG Fürstenwalde, Entscheidung vom 28.04.2015 - 16 M 812/15 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 30.08.2016 - 19 T 130/15 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - I ZB 89/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - I ZB 89/16

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels
Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - I ZB 89/16 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Zivilprozessordnung - ZPO | § 788 Kosten der Zwangsvollstreckung


(1) Die Kosten der Zwangsvollstreckung fallen, soweit sie notwendig waren (§ 91), dem Schuldner zur Last; sie sind zugleich mit dem zur Zwangsvollstreckung stehenden Anspruch beizutreiben. Als Kosten der Zwangsvollstreckung gelten auch die Kosten der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 765a Vollstreckungsschutz


(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers we

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - I ZB 89/16 zitiert oder wird zitiert von 10 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Juni 2017 - I ZB 89/16 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Aug. 2011 - I ZB 73/09

bei uns veröffentlicht am 17.08.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 73/09 vom 17. August 2011 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büsc

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2007 - I ZB 104/06

bei uns veröffentlicht am 22.11.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 104/06 vom 22. November 2007 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr.

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Mai 2005 - I ZB 10/05

bei uns veröffentlicht am 04.05.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 10/05 vom 4. Mai 2005 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja ZPO § 765a Abs. 1 a) Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners ein

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2010 - I ZB 34/09

bei uns veröffentlicht am 14.01.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 34/09 vom 14. Januar 2010 in der Zwangsvollstreckungssache Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher,

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2011 - I ZB 27/10

bei uns veröffentlicht am 20.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 27/10 vom 20. Januar 2011 in der Zwangsvollstreckungssache http://www.juris.de/jportal/portal/t/1nym/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofres

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. März 2008 - I ZB 59/07

bei uns veröffentlicht am 13.03.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 59/07 vom 13. März 2008 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher,

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2013 - I ZB 15/13

bei uns veröffentlicht am 09.10.2013

Berichtigt durch Beschluss vom 15. Mai 2014 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I Z B 1 5 / 1 3 vom 9. Oktober 2013 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Der I. Zivilsenat des Bundesgerichts

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Juli 2010 - V ZB 1/10

bei uns veröffentlicht am 15.07.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 1/10 vom 15. Juli 2010 in dem Zwangsversteigerungsverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 765a Erachtet das Vormundschaftsgericht Maßnahmen zum Schutz des Lebens des Schuldners nicht

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2016 - V ZB 115/15

bei uns veröffentlicht am 28.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 115/15 vom 28. Januar 2016 in der Zwangsversteigerungssache ECLI:DE:BGH:2016:280116BVZB115.15.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Januar 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die R

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2016 - I ZB 12/15

bei uns veröffentlicht am 21.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZB 12/15 vom 21. Januar 2016 in dem Zwangsvollstreckungsverfahren Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 Ba, Art. 19 Abs. 4; ZPO §§ 141, 375 Abs. 1a, §§ 451, 7

Referenzen

(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.

(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 73/09
vom
17. August 2011
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. August 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. August 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.237,55 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Schuldner wurden vom Landgericht Frankfurt (Oder) zur Herausgabe des Grundstücks W. in S. verurteilt. Sie bewohnen das auf diesem Grundstück vom Schuldner errichtete Wohnhaus. Die Gläubiger betreiben gegen die Schuldner die Räumungsvollstreckung.
2
Mit Schreiben vom 25. August 2008 hat der Schuldner beim Amtsgericht Fürstenwalde Räumungsschutz beantragt. Das Amtsgericht hat die Zwangsvollstreckung zunächst unter der Auflage vorläufig eingestellt, dass der Schuldner ein amtsärztliches Attest oder Gutachten zur Möglichkeit der Räumung bei gründlicher medizinischer Begleitung vorlegt. Nachdem der Schuldner diese Auflage nicht erfüllt hat, hat das Amtsgericht seinen Vollstreckungsschutzantrag zurückgewiesen.
3
Das Beschwerdegericht hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten zur Verfahrensfähigkeit des Schuldners eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Schuldner eine krankheitsbedingte partielle Geschäftsunfähigkeit vorliege, die sich auf die - insbesondere juristische - Auseinandersetzung um das Grundstück beziehe. Das Beschwerdegericht hat daraufhin die Zwangsvollstreckung mit der Maßgabe einstweilen eingestellt, dass sie auf Antrag fortzusetzen sei, wenn die gegenwärtige Prozessunfähigkeit des Schuldners nicht mehr fortbestehe oder der Schuldner wirksam vertreten werde.
4
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubiger.
5
Der Senat hat das zuständige Betreuungsgericht nach § 22a FamFG von der vom Beschwerdegericht festgestellten Prozessunfähigkeit des Schuldners unterrichtet. In dem hierauf eingeleiteten Betreuungsverfahren hat sich der Schuldner gegen die Bestellung eines Betreuers ausgesprochen. Das Betreuungsgericht hat daraufhin die Bestellung eines Betreuers abgelehnt, weil sich mangels Mitwirkung des Schuldners an einer persönlichen Befragung und Untersuchung durch einen Sachverständigen nicht hat feststellen lassen, ob die Ablehnung der Betreuerbestellung auf dem freien Willen des Schuldners beruht hat. Mit Verfügung des Vorsitzenden hat der Senat dem Schuldner daraufhin für das Zwangsvollstreckungsverfahren eine besondere Vertreterin (Verfahrenspflegerin ) zur Seite gestellt.
6
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
7
1. Nachdem für den Schuldner eine Verfahrenspflegerin bestellt worden ist, stellt sich die vom Senat zunächst erwogene Frage nicht mehr, ob im Rechtsbeschwerdeverfahren, das sich gegen eine prozessunfähige Partei richtet , ausnahmsweise eine Sachentscheidung ergehen kann, wenn in der Vorinstanz trotz des bestehenden Verfahrenshindernisses eine Entscheidung zugunsten der prozessunfähigen Partei ergangen ist (vgl. für den Fall, dass in der Vorinstanz entgegen §§ 240, 249 ZPO ein Sachurteil ergangen ist, BGH, Urteil vom 21. Juni 1995 - VIII ZR 224/94, NJW 1995, 2563).
8
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Im Hinblick auf die Prozessunfähigkeit des Schuldners hätte das Beschwerdegericht die Zwangsvollstreckung nicht auf der Grundlage des - für diesen Fall nicht anwendbaren - § 765a ZPO einstweilen einstellen dürfen. Die Prozessunfähigkeit des Schuldners stellt keinen ganz besonderen Umstand dar, der eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte der Zwangsvollstreckung begründen könnte. Das Fehlen der Prozessfähigkeit des Schuldners ist vielmehr ein Verfahrenshindernis. Denn die Prozessfähigkeit ist jedenfalls dann Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung, wenn der Schuldner - wie im Falle der Räumung - daran mitwirken muss und nicht lediglich sichernde Maßnahmen zu treffen sind (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., vor § 704 Rn. 16; Musielak/Lackmann, ZPO, 8. Aufl., vor § 704 Rn. 22; Stein/ Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rn. 80; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 32. Aufl., § 704 Vorbem. VII Rn. 43; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., Grundz. § 704 Rn. 40). Darüber hinaus ist die Prozessfähigkeit Prozesshandlungsvoraussetzung. Der Vollstreckungsschutzantrag, der von einer prozessunfähigen und auch nicht wirksam vertretenen Partei gestellt worden ist, ist daher unwirksam und darf nicht beschieden werden.
9
3. Nachdem dem Schuldner auf der Grundlage des im Zwangsvollstreckungsverfahren entsprechend anwendbaren § 57 ZPO (vgl. MünchKomm. ZPO/Lindacher, 3. Aufl., § 57 Rn. 5; Stein/Jonas/Bork aaO § 57 Rn. 1a) nunmehr eine Verfahrenspflegerin als gesetzliche Vertreterin zur Seite gestellt worden ist, ist das Hindernis der fehlenden Prozessfähigkeit auch für das weitere Zwangsvollstreckungsverfahren behoben. Das Beschwerdegericht wird nach der Zurückverweisung zu prüfen haben, ob die Verfahrenspflegerin den bislang nicht wirksam gestellten Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners nachträglich - mit Rückwirkung (vgl. § 184 Abs. 1 BGB) - genehmigt oder zwischenzeitlich von neuem gestellt hat. Einem neuerlichen Vollstreckungsschutzantrag stünde in diesem Fall die Befristung nach § 765a Abs. 3 ZPO nicht entgegen. Aufgrund der fehlenden Prozessfähigkeit des Schuldners ist die ihm gegenüber vorgenommene Benachrichtigung von der bevorstehenden Räumung nicht wirksam erfolgt. Dies hat zur Folge, dass er an einer rechtzeitigen Antragstellung ohne sein Verschulden gehindert war (vgl. Zöller/Stöber aaO § 765a Rn. 19b).
Bornkamm Pokrant Büscher
Kirchhoff Koch
Vorinstanzen:
AG Fürstenwalde, Entscheidung vom 04.11.2008 - 16 M 2022/08 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 25.08.2009 - 19 T 538/08 -

(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.

(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.

Berichtigt durch Beschluss
vom 15. Mai 2014
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I Z B 1 5 / 1 3
vom
9. Oktober 2013
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm und die Richter Prof.
Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff, Dr. Grabinski und Dr. Löffler

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubiger wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. Januar 2013 teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst: Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Mai 2008 - 13 O 256/07 - wird in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe (Nummer 3 des Tenors) bis zum 22. Januar 2015 einstweilen eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Schuldner.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.237,55 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Schuldner wurden vom Landgericht Frankfurt (Oder) zur Herausgabe des Grundstücks W. in S. verurteilt. Sie bewohnen das auf diesem Grundstück vom Schuldner errichtete Wohnhaus. Die Gläubiger betreiben gegen die Schuldner die Räumungsvollstreckung.
2
Mit Schreiben vom 25. August 2008 hatte der Schuldner beim Amtsgericht Fürstenwalde Räumungsschutz beantragt. Das Amtsgericht hatte die Zwangsvollstreckung zunächst unter der Auflage vorläufig eingestellt, dass der Schuldner ein amtsärztliches Attest oder Gutachten zur Möglichkeit der Räumung bei gründlicher medizinischer Begleitung vorlegt. Nachdem der Schuldner diese Auflage nicht erfüllt hatte, wurde sein Vollstreckungsschutzantrag vom Amtsgericht zurückgewiesen.
3
Das Beschwerdegericht hatte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten zur Verfahrensfähigkeit des Schuldners eingeholt. Der Sachverständige war zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Schuldner eine krankheitsbedingte partielle Geschäftsunfähigkeit vorliege, die sich auf die - insbesondere juristische - Auseinandersetzung um das Grundstück beziehe. Das Beschwerdegericht hatte daraufhin mit Beschluss vom 25. August 2009 die Zwangsvollstreckung mit der Maßgabe einstweilen eingestellt, dass sie auf Antrag fortzusetzen sei, wenn die gegenwärtige Prozessunfähigkeit des Schuldners nicht mehr fortbestehe oder der Schuldner wirksam vertreten werde. Die Gläubiger hatten gegen diesen Beschluss die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.
4
Der Bundesgerichtshof hatte dem Schuldner Rechtsanwältin K. B. als besondere Vertreterin (Verfahrenspflegerin) zur Seite gestellt sowie den Beschluss vom 25. August 2009 aufgehoben und die Sache an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, weil bei Prozessunfähigkeit des Schuldners auf der Grundlage von § 765a ZPO keine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung möglich ist (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 73/09, DGVZ 2011, 209).
5
Die Verfahrenspflegerin hat den vom Schuldner selbst gestellten Vollstreckungsschutzantrag nicht genehmigt. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 4. November 2007 zurückgewiesen.
6
Die Gläubiger haben daraufhin die Räumungsvollstreckung weiterbetrieben. Unter dem 3. Januar 2012 hat die Verfahrenspflegerin für den Schuldner Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO beantragt, weil die Zwangsräumung Leib und Leben des Schuldners erheblich gefährde (Herzstillstand, Schlaganfall oder Suizid).
7
Mit Beschluss vom 12. Januar 2012 hat das Amtsgericht Rechtsanwalt Bl. anstelle von Rechtsanwältin B. zum Verfahrenspfleger des Schuldners bestellt. Mit weiterem Beschluss vom selben Tage hat es den Vollstreckungsschutzantrag vom 3. Januar 2012 zurückgewiesen.
8
Dagegen hat der Verfahrenspfleger sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat dazu eine amtsärztliche Stellungnahme des Facharztes Dr. H. vorgelegt. Aufgrund einer Untersuchung des Schuldners am 16. Januar 2012 hat Dr. H. darin unter anderem ausgeführt, dass im Fall der Zwangsräumung ein Suizid des Schuldners unmittelbar absehbar sei und daran auch eine Zwangsunterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nichts ändern würde, da das psychische Krankheitsbild nicht behandelbar sei.
9
Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung über den Vollstreckungsschutz einstweilen eingestellt und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten zur Frage der Gesundheits- und Lebensgefahr im Fall der Zwangsräumung eingeholt. Der Gutachter Dr. L. hat den Schuldner nichtzu einem Untersuchungsgespräch bewegen können und sein Gutachten sodann nach Aktenlage erstellt. Dr. L. ist zu dem Ergebnis gekommen, dass fürden Fall der Zwangsräumung eine suizidale Handlung des Schuldners wahrscheinlich sei.
10
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Januar 2013 hat das Landgericht die Zwangsvollstreckung in Bezug auf die Verurteilung zur Grundstücksherausgabe unbefristet und ohne Auflagen einstweilen eingestellt.
11
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubiger.
12
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat allein im Hinblick auf die fehlende Befristung der einstweiligen Vollstreckungseinstellung Erfolg. Die Annahme des Berufungsgerichts, bei Durchführung der Zwangsräumung bestehe für den Schuldner eine konkrete Suizidgefahr, lässt dagegen keinen Rechtsfehler erkennen.
13
1. Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage der fachärztlichen Ausführungen Ba. , Dr. H. und Dr. L. die Überzeugung gewonnen, dass der Schuldner an einer wahnhaften Störung leide, in deren Folge ein Suizid bei Durchführung der Zwangsräumung wahrscheinlich auftrete. Das hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren stand.
14
a) Das Beschwerdegericht hat seine Beurteilung maßgeblich auf die vom Verfahrenspfleger des Schuldners eingereichte Stellungnahme des Amtsarztes Dr. H. gestützt. Dieser hatte zwar mitgeteilt, dass er einen gerichtlichen Gutachterauftrag ablehne, weil er mit der Schuldnerin bekannt sei und sich deshalb befangen fühle. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt sich daraus aber keine Unverwertbarkeit der Stellungnahme Dr. H. . Vielmehr konnte und musste diese vom Beschwerdegericht als Parteivortrag berücksichtigt und gewürdigt werden. Daran hat sich das Beschwerdegericht gehalten.
15
Das Beschwerdegericht hat in der Bekanntschaft von Dr. H. mit der Schuldnerin keinen Anlass gesehen, seine fachärztliche Einschätzung als bloßes Gefälligkeitsattest abzutun. Es hat diese Beurteilung auf die Funktion von Dr. H. als zuständigem Amtsarzt und seine dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren bekannte gründliche und sachkompetente Arbeitsweise gestützt. Diese tatrichterliche Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob auch eine abweichende Beurteilung möglich gewesen wäre.
16
b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es auch nicht zu beanstanden , dass das Beschwerdegericht den gerichtlichen Gutachter Dr. L. um eine Beurteilung nach Aktenlage gebeten und ihm aufgegeben hat, dabei insbesondere die amtsärztliche Stellungnahme Dr. H. zu beachten. Der Schuldner hatte eine persönliche Untersuchung durch Dr. L. verweigert. Der in einem Termin vor dem Beschwerdegericht gewonnene persönliche Eindruck des Facharztes Ba. lag bereits mehr als dreieinhalb Jahre zurück. Dieeinzige zeitnahe persönliche Untersuchung des Schuldners hatte Dr. H. am 16. Januar 2012 durchgeführt. Unter diesen Umständen lässt das Verfahren des Beschwerdegerichts keinen Rechtsfehler erkennen.
17
Dahinstehen kann, ob der Gutachter Dr. L. durch eine persönliche Untersuchung des Schuldners gegenüber seinem Gutachten nach Aktenlage wesentliche neue Erkenntnisse zur Suizidgefährdung hätte gewinnen können.
Denn aufgrund des Verhaltens des Schuldners bestand für Dr. L. keine Möglichkeit einer persönlichen Untersuchung. Den Umstand, dass dem Gutachten Dr. L. kein persönlicher Eindruck vom Schuldner zugrunde lag, hat das Beschwerdegericht berücksichtigt.
18
c) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde ferner gegen die Berücksichtigung des Gutachtens Ba. vom 20. Juli 2009 durch das Beschwerdegericht.
19
Dieses Gutachten basiert zwar auf einem persönlichen Eindruck vom Schuldner beim Anhörungstermin vor dem Beschwerdegericht am 29. April 2009, der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts am 22. Januar 2013 bereits fast vier Jahre zurücklag. Zudem war Gegenstand des dem Gutachter Ba. erteilten Auftrags allein die Frage der Verfahrensfähigkeit des Schuldners im Streit um die Zwangsräumung. Die Ausführungen zur Suizidgefährdung des Schuldners erfolgten daher außerhalb dieses Auftrags.
20
Diese Umstände führen aber nicht zur Unverwertbarkeit des Gutachtens Ba. . Sie sind vielmehr bei seiner Würdigung zu berücksichtigen. Es ist we-der dargetan noch sonst ersichtlich, dass das Beschwerdegericht dies unbeachtet gelassen hätte.
21
d) Das Beschwerdegericht hat die fachärztlichen Bewertungen durch seinen Eindruck vom Schuldner im Anhörungstermin am 29. April 2009 sowie durch dessen schriftliche Ausführungen im Räumungsverfahren bestätigt gesehen. Auch diese tatrichterliche Beurteilung lässt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keinen Rechtsfehler erkennen.
22
e) Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Würdigung des Schreibens des Schuldners vom 10. Juli 2012 wendet, dem sie anders als das Beschwerdegericht eine Bereitschaft zur Räumung des Grundstücks gegen Zahlung von 300.000 € entnehmen will, setzt sie nur ihre eigene Beurteilung an die Stelle derjenigen des Beschwerdegerichts. Dasselbe gilt, soweit die Beschwerde einen Widerspruch zwischen den Annahmen des Beschwerdegerichts konstruieren will, es bestehe kein hinreichender Anhaltspunkt für ein kalkuliertes Handeln des Schuldners, er schirme seine Ehefrau aber zielgerichtet vom vorliegenden Räumungsverfahren ab. Diese Aussagen sind keineswegs miteinander unvereinbar.
23
f) Die Rechtsbeschwerde beanstandet die vom Beschwerdegericht bei seiner Interessenabwägung gebrauchte Formulierung "staatlich legitimierte Sterbehilfe" als sachwidrig. Dabei handelt es sich zwar um eine ungewöhnlich plakative Formulierung des Berufungsgerichts. Es ist aber nicht erkennbar, dass diese Formulierung im Streitfall die Abwägung zwischen dem Vermögensinteresse der Gläubiger und dem Lebensinteresse des Schuldners in entscheidungserheblicher und einen Rechtsfehler begründender Weise beeinflusst haben könnte.
24
2. Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das Beschwerdegericht die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Befristung angeordnet hat.
25
Das durch die Grundrechte auf Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) geschützte Interesse der Gläubiger an der Fortsetzung des Verfahrens verbietet eine dauerhafte Einstellung der Räumungsvollstreckung, weil die staatliche Aufgabe, das Leben des Schuldners zu schützen, nicht auf unbegrenzte Zeit durch ein Vollstre- ckungsverbot gelöst werden kann. Die Einstellung ist deshalb zu befristen und mit Auflagen zu versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen. Dies gilt auch dann, wenn die Aussichten auf eine Besserstellung des Gesundheitszustands des Schuldners gering sind. Im Interesse des Gläubigers ist dem Schuldner zuzumuten, auf die Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken und den Stand seiner Behandlung dem Vollstreckungsgericht nachzuweisen (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - I ZB 34/09, DGVZ 2010, 149 Rn. 11 mwN; vgl. auch BVerfG (Kammer), Beschluss vom 21. November 2012 - 2 BvR 1858/12, NJW 2013, 290 Rn. 14).
26
Es ist nicht ersichtlich, warum abweichend von diesen Grundsätzen im vorliegenden Fall eine unbefristete Einstellung der Räumungsvollstreckung in Betracht kommen soll. Insbesondere rechtfertigt die Erwägung des Beschwerdegerichts , es lasse sich derzeit nicht prognostizieren, wann es zu einer veränderten Situation hinsichtlich der Lebensgefahr im Fall der Räumung komme, keine unbefristete einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Die Gläubiger können nicht darauf verwiesen werden, die Zwangsräumung erst fortzusetzen , nachdem sie mit Erfolg beim Vollstreckungsgericht eine Aufhebung der Einstellung wegen Änderung der Sachlage (§ 765a Abs. 4 ZPO) beantragt haben. Vielmehr obliegt es dem Räumungsschuldner, nach Ablauf einer angemessen befristeten vorläufigen Einstellung darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung weiterhin vorliegen.
27
Es kann auch nicht angenommen werden, eine Behandlung des Schuldners zur Abwendung der Suizidgefahr bleibe ohne weitere Prüfung auf Dauer aussichtslos. So hat der gerichtlich bestellte Gutachter Dr. L. ausgeführt, dass die Suizidgefahr unter stationären Bedingungen reduziert bzw. minimiert und zumindest einer aktuellen Suizidgefährdung im zeitlichen Umfeld der Zwangsräumung über eine stationäre Krisenintervention begegnet werden kön- ne. Der Gutachter hat auch nicht angenommen, die Behandlung der wahnhaften Störung des Schuldners sei aussichtslos. Vielmehr hat er den Ausgang einer Behandlung als offen bezeichnet. Allerdings hat er an anderer Stelle seines Gutachtens gemeint, eine erfolgversprechende Behandlung der wahnhaften Störung sei nicht erkennbar. Behandlungsmöglichkeiten hinsichtlich der wahnhaften Störung sind aber zu trennen von der Frage der aktuellen Suizidgefährdung bei Durchführung der Zwangsräumung. Denn die wahnhafte Störung kann auch ohne gleichzeitige Suizidgefahr bei Räumung bestehen.
28
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die fehlende Befristung der vorläufigen Einstellung der Räumungsvollstreckung auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts vom Rechtsbeschwerdegericht nachgeholt werden kann (§ 577 Abs. 5 ZPO). Unter den Umständen des Streitfalls ist es erforderlich und angemessen, die vorläufige Einstellung auf drei Jahre ab dem 12. Januar 2012, dem Entscheidungszeitpunkt des Beschwerdegerichts , zu befristen.
29
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 788 Abs. 1 ZPO. Es besteht kein Anlass, den Gläubigern gemäß § 788 Abs. 4 ZPO einen Teil der Kosten aufzuerlegen.
Bornkamm Schaffert Kirchhoff
Grabinski Löffler
Vorinstanzen:
AG Fürstenwalde, Entscheidung vom 12.01.2012 - 16 M 3398/11 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 22.01.2013 - 19 T 21/12 -
BESCHLUSS
I ZB 15/13
vom
15. Mai 2014
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Prof. Dr. Büscher, Pokrant, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

beschlossen:

Der Beschluss vom 9. Oktober 2013 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit
wie folgt berichtigt (§ 319 Abs. 1 ZPO):
In Rn. 12 vierte Zeile muss es heißen "Beschwerdegerichts" statt
"Berufungsgerichts".
In Rn. 28 in der fünften/sechsten Zeile muss es anstelle von "drei
Jahre ab dem 12. Januar 2012" heißen "zwei Jahre ab dem 22. Januar
2013".
In Rn. 10 des Beschlusses wird das Datum der angefochtenen Beschwerdeentscheidung
zutreffend mit dem 22. Januar 2013 angegeben. Dagegen stammt
der Beschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 12. Januar 2012. Unter Berücksichtigung
des Tenors ("bis zum 22. Januar 2015") ergibt sich unter diesen
Umständen, dass die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung für die
(und nicht für drei Jahre ab der Entscheidung des Amtsgerichts
) erfolgen soll.

Büscher Pokrant Schaffert

Kirchhoff Koch

Vorinstanzen:
AG Fürstenwalde, Entscheidung vom 12.01.2012 - 16 M 3398/11 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 22.01.2013 - 19 T 21/12 -

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.

(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.

7
a) Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen , die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Die Anwendung von § 765a ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis für den Schuldner führen würde (vgl. BGHZ 161, 371, 374; 163, 66, 71 f.; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 765a Rdn. 5; Musielak/Lackmann, ZPO, 7. Aufl., § 765a Rdn. 5 ff.; Scheuch in Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 765a Rdn. 8).
6
1. Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen , die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Die Anwendung von § 765a ZPO kommt nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall http://www.juris.de/jportal/portal/t/1nym/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE095904301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1nym/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE095904301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1nym/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE003100314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1nym/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE003700314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis für den Schuldner führen würde (BGH, WuM 2010, 250 Rn. 7 mwN).

(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.

(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 10/05
vom
4. Mai 2005
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des
Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO
in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen.

b) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für
Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden
ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres
einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der
- in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen
mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Es ist deshalb auch dann,
wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen
Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf
andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet
werden kann. Auch der Gefährdete selbst ist gehalten, das ihm Zumutbare
zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen
, zu verringern.
BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005 - I ZB 10/05 - LG Dortmund
AG Lünen
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2005 durch die
Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und
Dr. Bergmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden die Beschlüsse der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 7. und 13. Dezember 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis zu 10.000 € festgesetzt.

Gründe:


A. Die Gläubigerin, die Sparkasse L. , betreibt bisher vergeblich die Zwangsräumung des Hausgrundstücks des Schuldners aus dem rechtskräftigen Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts vom 11. Oktober 2002.
Der erste Termin zur Räumung wurde auf den 23. Juni 2003 bestimmt. Daraufhin hat der Schuldner unter Vorlage eines fachärztlichen Attests bean-
tragt, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Bei dem im Haus mitlebenden Vater des Schuldners bestehe eine akute Belastungsstörung. Eine Zwangsräumung bedeute für diesen eine erhebliche gesundheitliche Gefährdung. Das Amtsgericht hat diesen Antrag durch Beschluß vom 13. Juni 2003 zurückgewiesen, die Durchführung der Zwangsräumung aber von der Auflage abhängig gemacht, daß dabei ein Beamter des Gesundheitsamts - Ordnungsamts - der Stadt und ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie anwesend seien , die vor Beginn der Zwangsräumung die Versorgung des Vaters des Schuldners übernähmen. Falls diese Voraussetzungen am 23. Juni 2003 nicht gegeben sein sollten, werde die Zwangsvollstreckung einstweilen für die Dauer von drei Monaten eingestellt. Für diesen Fall wurde dem Vater des Schuldners aufgegeben , sich mit dem Gesundheitsamt des Landkreises wegen einer amtsärztlichen Untersuchung in Verbindung zu setzen.
Auf sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht durch Beschluß vom 18. Juni 2003 die Räumungsvollstreckung bis zum 13. September 2003 eingestellt. Aufgrund des vorgelegten Attests, ergänzender Äußerungen des behandelnden Arztes und des Ergebnisses durchgeführter Ermittlungen könne auch durch Auflagen das Restrisiko nicht sicher ausgeschlossen werden, daß der Vater des Schuldners im Fall der Zwangsräumung Selbstmord begehe. Durch die Einstellung der Zwangsvollstreckung solle dem Vater des Schuldners Gelegenheit gegeben werden, sich in stationäre Behandlung zu begeben, um der Suizidgefahr entgegenzuwirken.
Nach Festsetzung eines neuen Räumungstermins auf den 1. Juli 2004 beantragte der Schuldner erneut, die Zwangsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluß einstweilen einzustellen, weil sein Vater selbstmordgefährdet sei. Dazu wurden zwei Atteste des behandelnden Facharztes vorgelegt. Das Amtsgericht hat diesen Antrag durch Beschluß vom 15. Juni 2004 zurückgewiesen. Zur
Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Vater des Schuldners habe schuldhaft seine Pflicht, durch Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung an seiner Gesundung mitzuwirken, verletzt. Zudem habe er, wie aus einem der vorgelegten Atteste hervorgehe, die Möglichkeit, sich am 22. Juni 2004 in eine stationäre Behandlung zu begeben. Bei Wahrnehmung dieses Termins bestehe für ihn bei einer Zwangsräumung keine Gesundheitsgefahr.
Auf sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht die Räumungsvollstreckung durch Beschluß vom 29. Juni 2004 wiederum - nunmehr bis zum 1. September 2004 - einstweilen eingestellt. Es könne zur Zeit nicht ausgeschlossen werden, daß die Räumung für den Schuldner eine unzumutbare Härte sei. Auch unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sei es gerechtfertigt , die Räumungsvollstreckung vorläufig einzustellen, bis abschließend geklärt sei, ob tatsächlich eine Suizidgefahr bestehe und wie hoch das Risiko einzuschätzen sei. Die vorgelegten Atteste belegten lediglich, daß beim Vater des Schuldners eine akute Belastungsstörung gegeben sei und er sich unter der Extrembelastung einer drohenden Zwangsräumung in einem psychischen Ausnahmezustand befinde. Der behandelnde Arzt sehe aber für den Fall einer Zwangsräumung eine Selbstgefährdung des Vaters des Schuldners. Dem Schuldner wurde Gelegenheit gegeben, zur Klärung der Frage, ob bei einer Zwangsräumung tatsächlich eine Suizidgefahr bestehe und wie diese auszuschließen sei, eine amtsärztliche Stellungnahme nachzureichen. Da dies unterblieb , hat das Landgericht durch Beschluß vom 1. September 2004 die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen.
Nachdem der Räumungstermin auf den 13. Dezember 2004 angesetzt worden war, hat der Schuldner mit Schriftsatz vom 22. November 2004 wieder beantragt, die Räumungsvollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluß einstweilen einzustellen. Zur Begründung hat er (nach Aufforderung durch das Amtsgericht)
ein amtsärztliches Attest vom 30. November 2004 eingereicht. In diesem wird dargelegt, der Vater des Schuldners leide an einer akuten Erkrankung aus dem nervenärztlichen Stoffgebiet. Bei geringster psychischer Belastung bestehe die Gefahr einer Dekompensation mit möglichen fatalen Folgen. Es sollte eine psychiatrische ambulante und stationäre Therapie sowie eine medikamentöse Einstellung abgewartet werden, um eine eventuelle gesundheitliche Stabilisierung zu erreichen.
Das Amtsgericht hat aufgrund dieses Attests die Suizidgefahr als hinreichend belegt angesehen und durch Beschluß vom 2. Dezember 2004 die Zwangsvollstreckung bis zum 31. März 2005 eingestellt. Um der Suizidgefahr entgegenzuwirken, habe der Schuldner jedoch mit Nachdruck dafür zu sorgen, daß sich sein Vater unverzüglich in eine stationäre psychiatrische Therapie begebe , wo er medikamentös eingestellt werde. Sollte er hierzu nicht willens oder nicht in der Lage sein, müsse er mit der Fortsetzung der Zwangsvollstreckung rechnen. Sollte sich der Vater des Schuldners weiterhin einer Therapie entziehen , müsse er mit ordnungsbehördlichen Maßnahmen rechnen. Dem Schuldner werde weiterhin zur Auflage gemacht, sich unverzüglich nach einer anderen Wohnung umzusehen.
Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht diesen Beschluß am 7. Dezember 2004 abgeändert und den Antrag des Schuldners vom 22. November 2004 zurückgewiesen. Die bereits an demselben Tag eingegangene sofortige Beschwerde des Schuldners, mit der er eine Einstellung der Zwangsvollstreckung mindestens bis zum 31. Mai 2005 begehrt hat, hat das Landgericht durch Beschluß vom 13. Dezember 2004 zurückgewiesen.
Gegen den Beschluß des Landgerichts vom 7. Dezember 2004 hat der Schuldner die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Die Gläubigerin hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
I. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für eine weitere Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO lägen nicht vor. Dabei werde nicht verkannt, daß das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen sei, wenn bei Durchführung einer Räumung schwerwiegende Gefahren für die Gesundheit und das Leben drohten. Da der Schuldner nunmehr auch ein amtsärztliches Attest vorgelegt habe, dem zu entnehmen sei, daß sein Vater bei einer Zwangsräumung suizidgefährdet sei, seien die drohenden gesundheitlichen Gefahren hinreichend belegt.
Von einem Betroffenen könne aber jedes zumutbare Bemühen um eine Verringerung des Krankheitsrisikos verlangt werden. Der Vater des Schuldners habe die ihm danach obliegende Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt, weil er sich trotz mehrfacher Ankündigung nicht in stationäre Behandlung begeben habe. Bereits in den vorangegangenen Verfahren sei dem Vater des Schuldners Gelegenheit gegeben worden, seinen Gesundheitszustand durch eine stationäre psychiatrische Behandlung zu verbessern. Nach der vorgelegten amtsärztlichen Stellungnahme vom 30. November 2004, in der eine stationäre Behandlung empfohlen werde, könne eine Therapie nicht als von vornherein aussichtslos angesehen werden.
Werde durch ein solches schuldhaftes Verhalten ein Zustand der Suizidgefahr aufrechterhalten, der einer Räumung des Grundstücks über einen langen Zeitraum entgegenstehen würde, seien der Schuldner und seine Angehörigen nicht mehr schutzwürdig. Auch bei besonders sorgfältiger Abwägung der Grundrechte der Beteiligten könne in einem solchen Fall nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Räumung eine besondere Härte darstelle, die gegen die guten Sitten verstoße. Bei einem solchen Fehlverhalten sei den Gläubigerinteressen wieder Vorrang einzuräumen.
II. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner auch das Begehren seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts vom 2. Dezember 2004 weiter, die Zwangsvollstreckung mindestens bis zum 31. Mai 2005 einzustellen. Das Landgericht hat mit seinem Beschluß vom 7. Dezember 2004 der Sache nach auch über dieses Begehren des Schuldners entschieden. Aufgrund der Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen diesen Beschluß ist deshalb auch dieses Begehren Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens geworden.
III. Die uneingeschränkte Zurückweisung des Antrags des Schuldners, die Zwangsvollstreckung gemäß § 765a ZPO einstweilen einzustellen, hält der Nachprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stand.
1. Die Vorschrift des § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstrekkungsmaßnahmen , die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall die Zwangsvollstrekkungsmaßnahme nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde (vgl. BGHZ 44, 138, 143; BGH, Beschl. v. 25.6.2004 - IXa ZB 267/03, NJW 2004, 3635, 3636; Beschl. v. 21.12.2004
- IXa ZB 228/03, WM 2005, 288, 289, für BGHZ vorgesehen; Stein/Jonas/ Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 765a Rdn. 5 f.; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 765a Rdn. 5; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 765a Rdn. 5 ff.; Schuschke /Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, 3. Aufl., § 765a Rdn. 8 ff.; vgl. auch MünchKomm.ZPO/Heßler, 2. Aufl., § 765a Rdn. 7, 42).
2. Der Ansicht der Rechtsbeschwerde, daß die für den Vater des Schuldners bestehende Suizidgefahr eine Räumungsvollstreckung vollständig ausschließt , kann auch auf der Grundlage des im Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellenden Sachverhalts nicht zugestimmt werden.

a) Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstrekkungsgerichte , bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Ergibt die erforderliche Abwägung, daß die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden , unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange , deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (vgl. BVerfGE 52, 214, 219 f. = NJW 1979, 2607; BVerfG NJW 1998, 295, 296; BVerfG NJW-RR 2001, 1523; BVerfG NJW 2004, 49; BGH NJW 2004, 3635, 3637). Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen (vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 1994, 81; OLG Köln NJW 1994, 1743; OLG Hamm Rpfleger 2001, 508; OLG Saarbrücken Rpfleger 2003, 37, 38). Die demgemäß vorzunehmende Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Ein-
zelfällen auch dazu führen, daß die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist (BVerfG NJW 1998, 295, 296).

b) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann aber eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers (vgl. BVerfGE 52, 214, 220 = NJW 1979, 2607; BVerfG NZM 1998, 431; OLG Köln NJW 1993, 2248, 2249; Stein/Jonas/Münzberg aaO § 765a Rdn. 5; Schuschke/Walker aaO § 765a Rdn. 10; Keip, Umfang und Grenzen eines sozialen Schuldnerschutzes in der Zwangsvollstreckung, 2000, S. 255 ff.; Sturm, Räumungsvollstreckung und Räumungsschutz gemäß § 765a ZPO unter Berücksichtigung der zweiten Zwangsvollstreckungsnovelle , 2001, S. 209; Walker/Gruß, NJW 1996, 352, 353 ff.).
Bei dieser Interessenabwägung kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Unterbleibt die Räumungsvollstreckung wegen der Annahme einer Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen (vgl. Schuschke/Walker aaO § 765a Rdn. 1; Sturm aaO S. 207; Scherer, DGVZ 1995, 33, 35). Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfaßt die Pflicht, ordnungsgemäß titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (BVerfGE 49, 220, 231 - Sondervotum Böhmer = NJW 1979, 534, 535). Der Gläubiger hat gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf tatsächlich wirksamen Rechtsschutz seines Eigentums (vgl.
BVerfGE 49, 220, 225 = NJW 1979, 534 f.; BGH WM 2005, 288, 289; Sturm aaO S. 208 f.; Keip aaO S. 247). Dem Gläubiger dürfen nicht die Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (vgl. OLG Düsseldorf OLG-Rep 1998, 123, 125; Schuschke/Walker aaO § 765a Rdn. 11; Sturm aaO S. 208; Walker/Gruß, NJW 1996, 352, 353 f.; Linke, NZM 2002, 205, 208).
Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, aber auch die Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung (vgl. §§ 10 ff. PsychKG NW; vgl. weiter Stein/Jonas/Münzberg aaO § 765a Rdn. 6; Keip aaO S. 256 ff.; Sturm aaO S. 218 f.; Scherer, DGVZ 1995, 33, 37 f.). Nicht zuletzt ist aber auch der Gefährdete selbst gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern (vgl. BVerfG NJW 1992, 1155; BVerfG NJW-RR 1993, 463, 464; BVerfG NJW 2004, 49 f.; OLG Köln NJW 1993, 2248, 2249; Stein/Jonas/Münzberg aaO § 765a Rdn. 5; Schuschke/ Walker aaO § 765a Rdn. 10; E. Schneider, JurBüro 1994, 321, 324; Walker /Gruß, NJW 1996, 352, 355; Weyhe, NZM 2000, 1147, 1150; Linke, NZM 2002, 205, 207 f.). Dies gilt auch für einen nahen Angehörigen, wenn auf Antrag des Schuldners unter Berufung auf dessen Suizidgefährdung eine Maßnahme nach § 765a ZPO getroffen werden soll.
Einem Schuldner oder einem seiner Angehörigen, die im Fall der Zwangsvollstreckung suizidgefährdet sind, kann dementsprechend, wenn sie dazu in der Lage sind, zugemutet werden, fachliche Hilfe - gegebenenfalls auch
durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern. Ist ein Angehöriger betroffen, kann auch vom Schuldner selbst erwartet werden, daß er das ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für dessen Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (vgl. dazu auch BGH NJW 2004, 3635, 3637).

c) Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, daß die Interessenabwägung hier deshalb gegen den Schuldner ausfallen müsse, weil dessen Vater die ihm obliegende Mitwirkungspflicht schuldhaft verletzt habe, wird von der Rechtsbeschwerde allerdings mit Erfolg angegriffen.
Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe das Recht des Schuldners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist begründet. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 2. Dezember 2004 gegen den an diesem Tag erlassenen Beschluß des Amtsgerichts ist den Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners nicht zugestellt worden. Der Schuldner hatte deshalb vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts am 7. Dezember 2004 keine Möglichkeit, zu dem Antrag der sofortigen Beschwerde, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aufzuheben, Stellung zu nehmen. Ein Grund, von der Anhörung des Schuldners abzusehen, bestand bei der gegebenen Sachlage nicht. Die Rechtsbeschwerde trägt vor, der Schuldner hätte bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgebracht, sein Vater habe sich in der Zeit vom 12. Juli bis 3. August 2004 einer stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik unterzogen. Nach Ansicht der Ärzte do rt könne eine solche Behandlung jedoch nur zu einer Linderung der Symptome, nicht aber zu einer Änderung der akuten Suizidgefährdung bei einer situativen Einengung ohne erkennbaren Ausweg führen. Dies hätte der Schuldner durch Benennung des Chefarztes der Klinik als Zeugen oder durch ärztliche Bescheinigung der Klinik unter Beweis gestellt. Die Beurteilung der Klinikärzte entspreche der Beur-
teilung des Facharztes, der den Vater des Schuldners ambulant behandele. Der amtsärztlichen Bescheinigung, die auf eingehenden Untersuchungen beruhe, sei ebenfalls nicht zu entnehmen, daß eine stationäre psychiatrische Behandlung aussichtsreich sei. Der Vater des Schuldners werde zudem (ausweislich der vorgelegten Atteste vom 14. August und 26. November 2004) von einem Facharzt, der auch Psychopharmaka einsetze, ambulant behandelt.
Wird dieses - im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht überprüfbare - Tatsachenvorbringen unterstellt, kann dem Vater des Schuldners zumindest keine entscheidend ins Gewicht fallende Verletzung seiner Pflicht, soweit zumutbar zum Erfolg der Zwangsvollstreckung beizutragen, vorgehalten werden.

d) Auch wenn das Vorbringen der Rechtsbeschwerde unterstellt wird, bedeutet dies jedoch nicht, daß eine Räumungsvollstreckung vollständig ausgeschlossen ist. Andernfalls müßte dem Schuldner im Ergebnis zeitlich unbegrenzt Vollstreckungsschutz gewährt werden, und dies auch dann, wenn - wie die Gläubigerin im Verfahren vorgetragen hat - seit dem Zuschlag vom 11. Oktober 2002 nicht einmal ein Nutzungsentgelt in ortsüblicher Höhe gezahlt werden sollte und Erhaltungsaufwendungen für das genutzte Haus unterblieben sein sollten. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, daß das Vollstreckungsgericht auf Antrag die Vollstreckung gemäß § 765a ZPO auch von der Erfüllung von Auflagen abhängig machen kann (vgl. Stein/Jonas/Münzberg aaO § 765a Rdn. 15). Dies ermöglicht z.B. Anordnungen wie im Beschluß des Amtsgerichts vom 13. Juni 2003, nach denen die Durchführung der Zwangsräumung die Anwesenheit eines Beamten des Gesundheitsamts - Ordnungsamts - der Stadt und eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie zur Voraussetzung hatte (vgl. auch OLG Düsseldorf OLG-Rep 1998, 123, 125 f.; VGH Mannheim NJW 1997, 2832, 2834; Sturm aaO S. 218 f.). Wenn bereits bei Bevorstehen der Zwangsräumung für den Vater des Schuldners aufgrund krankheitsbedingten Verhaltens eine
gegenwärtige Gefahr einer erheblichen Selbstgefährdung besteht, die anders nicht abgewendet werden kann, ist zudem seine Unterbringung nach § 11 PsychKG NW, gegebenenfalls auch schon vor dem Räumungstermin, zulässig.
IV. Die gemäß § 765a ZPO zu treffende Entscheidung über Auflagen für die Durchführung der Zwangsvollstreckung hat der Tatrichter nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände zu treffen. Die Sache ist deshalb zur erneuten Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
v. Ungern-Sternberg Pokrant Büscher
Schaffert Bergmann
8
aa) Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres gem. § 765a ZPO eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Ist sein Räumungstitel nicht durchsetzbar, wird sein Grundrecht auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt. Dem Gläubiger dürfen auch keine Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGHZ 163, 66, 72 ff.).
9
a) Ist mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, so kann dies die Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO rechtfertigen. Dabei ist aber stets eine Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers vorzunehmen. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Ist sein Räumungstitel nicht durchsetzbar, wird sein Grundrecht auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt. Dem Gläubiger dürfen keine Aufgaben überbürdet werden, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGHZ 163, 66, 72 ff.). Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Dabei kann vom Schuldner erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (BGHZ 163, 66, 74; BGH, Beschl. v. 22.11.2007 - I ZB 104/06, WuM 2008, 36 Tz. 9 = FamRZ 2008, 260).
10
aa) (1) Das Beschwerdegericht legt zutreffend zugrunde, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senat, BGHZ 163, 66, 73; Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 99/05, NJW 2006, 505, 506 f.; Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, WM 2007, 1667, 1668; Beschl. v. 6. Dezember 2007, V ZB 67/07, NJW 2008, 586, 587; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005, I ZB 10/05, NJW 2005, 1859, 1860 m.w.N.) selbst dann, wenn mit der Zwangsvollstreckung - wie hier - eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, eine Zwangsversteigerung nicht ohne weiteres (einstweilen) einzustellen ist. Geht die Lebensgefahr nicht von dem mit der Zuschlagserteilung einhergehenden Eigentumsverlust aus, sondern nur von der nach dem Zuschlag drohenden Zwangsräumung, darf der Zuschlag nicht versagt werden. Ist indessen - wie hier - davon auszugehen , dass die Lebensgefahr schon deshalb besteht, weil der Schuldner oder ein naher Angehöriger den Eigentumsverlust befürchtet, ist stets eine Abwägung der in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen Interessen des Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 GG) mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers geboten. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Unterbleibt die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens wegen der Annahme einer Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen. Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (BVerfGE 49, 220, 231). Der Gläubiger hat gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220, 225). Ihm dürfen nicht die Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005, I ZB 10/05, NJW 2005, 1859, 1860 m.w.N.). Mit Blick auf die Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (vgl. auch Senat, Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721).
17
1. Ist mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, so kann dies die Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO rechtfertigen. Dabei ist aber stets eine Abwägung der Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers vorzunehmen. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Ist sein Räumungstitel nicht durchsetzbar, wird sein Grundrecht auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt. Dem Gläubiger dürfen keine Aufgaben überbürdet werden, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht , sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Dabei kann vom Schuldner erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - I ZB 34/09, WuM 2010, 250 Rn. 8). Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung auf unbestimmte Zeit in derartigen Fällen ist auf absolute Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2014 - 2 BvR 2455/12, NJW-RR 2014, 583 Rn. 11; Kammerbeschluss vom 29. Juli 2014 - 2 BvR 1400/14, NJW-RR 2014, 1290 Rn. 11; Kammerbeschluss vom 6. August 2014 - 2 BvR 1340/14, WM 2014, 1726, 1727; BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 - I ZB 15/13, NJW 2014, 2288 Rn. 24 bis 27). Ein solcher Ausnahmefall ist nicht schon dann gegeben, wenn die Voraussetzungen für eine befristete Einstellung vorliegen und die Aussichten auf eine Besserung des Gesundheitszustands gering sind. Vielmehr muss die Prognose ergeben, dass eine Verringerung der Suizidgefahr auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Mitwirkung des Schuldners und staatlicher Stellen in Zukunft ausgeschlossen erscheint.
6
2. Zutreffend ist auch, dass der Zuschlag nicht ohne weiteres zu versagen und die Zwangsversteigerung (einstweilen) einzustellen ist, wenn eine solche konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners mit der Zwangsvollstreckung verbunden ist. Das in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interesse der von der Vollstreckung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist gegen das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG; wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) abzuwägen. Es ist daher sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Im Hinblick auf die Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 12. November 2014 - V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393 Rn. 7 mwN).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Kosten der Zwangsvollstreckung fallen, soweit sie notwendig waren (§ 91), dem Schuldner zur Last; sie sind zugleich mit dem zur Zwangsvollstreckung stehenden Anspruch beizutreiben. Als Kosten der Zwangsvollstreckung gelten auch die Kosten der Ausfertigung und der Zustellung des Urteils. Soweit mehrere Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt worden sind, haften sie auch für die Kosten der Zwangsvollstreckung als Gesamtschuldner; § 100 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

(2) Auf Antrag setzt das Vollstreckungsgericht, bei dem zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Vollstreckungshandlung anhängig ist, und nach Beendigung der Zwangsvollstreckung das Gericht, in dessen Bezirk die letzte Vollstreckungshandlung erfolgt ist, die Kosten gemäß § 103 Abs. 2, den §§ 104, 107 fest. Im Falle einer Vollstreckung nach den Vorschriften der §§ 887, 888 und 890 entscheidet das Prozessgericht des ersten Rechtszuges.

(3) Die Kosten der Zwangsvollstreckung sind dem Schuldner zu erstatten, wenn das Urteil, aus dem die Zwangsvollstreckung erfolgt ist, aufgehoben wird.

(4) Die Kosten eines Verfahrens nach den §§ 765a, 811a, 811b, 829, 850k, 851a, 851b, 900 und 904 bis 907 kann das Gericht ganz oder teilweise dem Gläubiger auferlegen, wenn dies aus besonderen, in dem Verhalten des Gläubigers liegenden Gründen der Billigkeit entspricht.