Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2019 - IV ZB 8/18

bei uns veröffentlicht am13.02.2019
vorgehend
Amtsgericht Dresden, 110 C 404/17, 07.12.2017
Landgericht Dresden, 8 S 612/17, 04.05.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 8/18
vom
13. Februar 2019
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2019:130219BIVZB8.18.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Felsch, Prof. Dr. Karczewski, Lehmann und Dr. Götz am 13. Februar 2019
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 4. Mai 2018 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 1.000 €

Gründe:


1
I. Die Klägerin begehrt von dem beklagten Haftpflichtversicherer Deckung für Schäden, die ihr Hund an ihrer Mietwohnung verursacht hatte. Zunächst hat sie die Feststellung der Deckungspflicht beantragt und den Streitwert auf der Grundlage der erwarteten Reparaturkosten mit 2.500 € angegeben. Nach diesem Gegenstandswert hat die Klägerin auch die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ermittelt. Nach einer Einigung mit dem Vermieter hat sie die Klage dahin geändert , dass anstelle der Feststellung der Deckungspflicht die Zahlung von 600 € begehrt wurde.

2
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht übersteige. Dagegen wendet die Klägerin sich mit der Rechtsbeschwerde.
3
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
4
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Juni 2018 - IV ZB 10/17, VersR 2018, 1342 [juris Rn. 6]).
5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Berufung der Klägerin kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verworfen werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes die Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
6
a) Der Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Streitwert und die Beschwer nicht, solange er neben dem Hauptanspruch geltend gemacht wird, für dessen Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sind, § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung gelöst hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (Senatsbeschluss vom 4. April 2012 - IV ZB 19/11, VersR 2012, 881 [juris Rn. 5]; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2014 - VI ZB 49/12, VersR 2014, 1149 [juris Rn. 5], jeweils m.w.N.).
7
b) Noch in der ersten Instanz ist die Klägerin von einer Feststellungsklage mit einem vom Amtsgericht auf 2.500 € festgesetzten Wert zu einer Zahlungsklage in Höhe von 600 € übergegangen. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob darin eine teilweise Klagerücknahme oder - wie die Rechtsbeschwerde meint - eine teilweise Erledigungserklärung lag. Jedenfalls hat sich damit der ursprünglich insgesamt als Nebenforderung geltend gemachte, auf den Gegenstandswert des Feststellungsantrags bezogene Antrag auf Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten von 334,75 € als Hauptforderung verselbständigt, soweit die Anwaltskosten einen 600 € übersteigenden Gegenstandswert betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - VIII ZB 62/10, WuM 2011, 177 [juris Rn. 6]). Dem Wert des Zahlungsantrags (600 €) ist daher ein zur Haupt- forderung gewordener Teil der mit der Berufung in ungeminderter Höhe weiterverfolgten Rechtsanwaltskosten hinzuzurechnen, so dass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes auf mehr als 600 € erhöht.
Mayen Felsch Prof. Dr. Karczewski
Lehmann Dr. Götz
Vorinstanzen:
AG Dresden, Entscheidung vom 07.12.2017- 110 C 404/17 -
LG Dresden, Entscheidung vom 04.05.2018- 8 S 612/17 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2019 - IV ZB 8/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2019 - IV ZB 8/18

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2019 - IV ZB 8/18 zitiert 6 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 511 Statthaftigkeit der Berufung


(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. (2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn1.der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder2.das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zu

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Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2012 - IV ZB 19/11

bei uns veröffentlicht am 04.04.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 19/11 vom 4. April 2012 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO §§ 4, 511 Abs. 2 Nr. 1, 574 Abs. 2 Zinsen und vorprozessuale Anwaltskosten sind als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu be

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juni 2018 - IV ZB 10/17

bei uns veröffentlicht am 06.06.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 10/17 vom 6. Juni 2018 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 517 Eine Berufung kann rechtzeitig eingelegt sein, wenn die Berufungsschrift vor Fristablauf an einem Telefaxgerät der Refer

Referenzen

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 10/17
vom
6. Juni 2018
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Eine Berufung kann rechtzeitig eingelegt sein, wenn die Berufungsschrift vor
Fristablauf an einem Telefaxgerät der Referendarabteilung des Berufungsgerichts
eingeht.
BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018 - IV ZB 10/17 - KG Berlin
LG Berlin
ECLI:DE:BGH:2018:060618BIVZB10.17.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann, die Richterinnen Dr. Brockmöller und Dr. Bußmann am 6. Juni 2018
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 3. März 2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 33.319,46 €

Gründe:


1
I. Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig.
2
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist dem Kläger am 14. September 2016 zugestellt worden. Hiergegen hat er mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2016 Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz war an das Kammergericht unter dessen Anschrift Elßholzstraße 30-33, Berlin, adressiert und enthielt unterhalb der Adresse den Zusatz "vorab per Fax: (030) 9013-2040". Dabei handelt es sich um die Faxnummer der Referendarabteilung bei dem Kammergericht, die im Gebäude der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz in der Salzburger Straße 21-25, Berlin, ansässig ist. Dort ist der Schriftsatz per Fax am Freitag, den 14. Oktober 2016, zwischen 16.13 Uhr und 16.58 Uhr eingegangen und am Morgen des 17. Oktober 2016 an die Gemeinsame Briefannahmestelle des Kammergerichts unter der Faxnummer (030) 9015-2200 weitergeleitet worden. Das Original des Schriftsatzes ging am 18. Oktober 2016, die Berufungsbegründung am 9. November 2016 beim Kammergericht ein.
3
Nach einem am 1. Februar 2017 zugestellten Hinweis des Berufungsgerichts hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am 10. Februar 2017 eingegangenem Schriftsatz seine Ansicht, dass die Berufungsschrift durch die Übermittlung unter der Faxnummer der Referendarabteilung rechtzeitig eingegangen sei, begründet sowie hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
4
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
5
II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
1. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zu- lässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom 8. März 2017 - IV ZB 18/16, ZEV 2017, 278 Rn. 5).
7
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
8
a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berufungsschriftsatz erst nach Fristablauf bei dem zuständigen Berufungsgericht eingegangen. Das hier an die Faxnummer der Referendarabteilung mit eigenem Sitz im Gebäude der Senatsverwaltung übersandte Fax sei weder räumlich noch funktionell dem Kammergericht als zuständigem Berufungsgericht zugegangen. Mit der Organisation der Referendarausbildung übe das Kammergericht keine Rechtsprechungstätigkeit, sondern eine rein verwaltende Tätigkeit als Ausbildungsbehörde aus, so dass ein dort eingegangener Schriftsatz nicht als in die Verfügungsgewalt des Gerichtes in seiner Funktion als Rechtsmittelgericht in Zivilsachen gelangt behandelt werden könne. Eine gerichtliche organisatorische Regelung, dass auch das Faxgerät der Referendarabteilung zu der Gemeinsamen Briefannahmestelle des Kammergerichts gehöre und die dortigen Eingänge als Eingang bei der Geschäftsstelle des Gerichtes zu behandeln wären, gebe es nicht.
9
b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
10
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für den rechtzeitigen Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes darauf an, wann das zuständige Gericht die tatsächliche Verfügungsgewalt über das eingegangene Schriftstück erhalten hat (Senatsbeschluss vom 23. Mai 2012 - IV ZB 2/12, NJW-RR 2012, 1461 Rn. 9 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 382/15, FamRZ 2016, 1355 Rn. 11). Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks ist allein entscheidend, dass es innerhalb der Frist tatsächlich in den Verfügungsbereich des zuständigen Gerichts gebracht worden und damit dem Zugriff des Absenders nicht mehr zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 23. April 2013 - VI ZB 27/12, VersR 2013, 879 Rn. 12). Das Schriftstück ist bereits dann in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt, wenn der Gewahrsam des Gerichts begründet wird (vgl. BGH, Urteile vom 21. Juni 1989 - VIII ZR 252/88, NJW-RR 1989, 1214 unter II 2 a [juris Rn. 19]; vom 25. Januar 1984 - IVb ZR 43/82, NJW 1984, 1237 unter 1 [juris Rn. 11]; BVerfGE 57, 117 unter II 1 [juris Rn. 12 f.]); dabei kommt es nicht auf die fristgerechte Entgegennahme durch den zuständigen Bediensteten der Geschäftsstelle an (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1989 aaO; BVerfGE 69, 381 unter II 1 [juris Rn. 12]). Der Inhalt einer Sendung muss derart in den Machtbereich dieses Gerichts gelangt sein, dass es sich bei normaler Gestaltung seiner Verhältnisse Kenntnis von dem Inhalt der Sendung verschaffen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 1994 - VII ZB 30/93, NJW 1994, 1354 unter 1 a [juris Rn. 8]).
11
bb) An diesen Grundsätzen gemessen ist dieBerufungsschrift hier mit dem Eingang auf dem der Referendarabteilung zugeordneten Faxgerät dem Berufungsgericht zugegangen. Die Mitarbeiter der Referen- darabteilung haben damit Gewahrsam an dem Schriftsatz begründet. Diese Abteilung ist - insoweit nicht anders als eine Geschäftsstelle - Teil des Berufungsgerichts, da das Gericht mit dieser Einheit eine ihm übertragene Aufgabe erfüllt. Mit dem Eingang in einer Abteilung des Berufungsgerichts gelangte der Schriftsatz damit auch in die Verfügungsgewalt des für dieses Rechtsmittelverfahren zuständigen Gerichts. Dies ist nicht vergleichbar mit Fällen, in denen Schriftsätze per Fax bei einer anderen Behörde, die nur beim Berufungsgericht angesiedelt ist, eingehen und damit noch nicht in die Verfügungsgewalt des Berufungsgerichts gelangen (vgl. für die Oberjustizkasse: BGH, Beschluss vom 1. Juni 2016 - XII ZB 382/15, FamRZ 2016, 1355 Rn. 13; für das juristische Prüfungsamt : OLG Köln, MDR 2016, 1114 [juris Rn. 13]).
12
Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, ob der Schriftsatz einer zur Postannahme zuständigen Person oder der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts übergeben worden ist, ist dies nach der zitierten Rechtsprechung nicht erforderlich, um die Verfügungsgewalt des Gerichts über einen Schriftsatz zu begründen. Daher hängt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der Zugang bei Gericht weder davon ab, ob die Referendarabteilung Rechtsprechungsaufgaben erfüllt, noch ob sie im Gebäude des Berufungsgerichts untergebracht ist. Was auf einem der vom Berufungsgericht unterhaltenen Faxgeräte eingeht, ist in die Verantwortung der Verwaltung des Berufungsgerichts gelangt; auf die weitere Verteilung an die den zuständigen Spruchkörpern zugeordneten Geschäftsstellen kommt es für die Wahrung einer Frist nicht an (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2010 - I-20 U 206/09, juris Rn. 13). Die Auslagerung der Referendarabteilung in das Gebäude der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist eine Maßnahme der internen Gerichtsorganisation. Solche Maßnahmen, auf die der Bür- ger keinen Einfluss hat, sind für den fristgerechten Eingang von Schriftstücken nicht entscheidend (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3346, 3347 [juris Rn. 10]).
13
Es kann hier offenbleiben, ob etwas anderes gilt, wenn ein Gericht den Zugang fristwahrender Schriftsätze unter der verwendeten Faxnummer ausdrücklich ausgeschlossen oder einen anderen Faxanschluss als für solche Eingänge allein bestimmt bezeichnet hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren auf der Website des Berufungsgerichts als Kontaktdaten zunächst der Präsident des Kammergerichts mit Anschrift, Telefon- und Faxnummer und sodann die Abteilung "Kammergericht - Rechtsreferendariat" mit ihren Daten aufgeführt. Ein ausdrücklicher Ausschluss der Einreichung fristwahrender Schriftsätze bei dieser Stelle oder ein Hinweis, dass solche allein unter den zuerst genannten Kontaktdaten eingereicht werden können, ergibt sich daraus nicht.
14
Dem fristgerechten Eingang des Schriftsatzes beim Berufungsgericht steht auch nicht entgegen, dass bei diesem Gericht eine gemeinsame Briefannahmestelle besteht und das Faxgerät der Referendarabteilung nicht zu dieser gehört. Auf die organisatorischen Regelungen dazu, welche Faxgeräte einer gemeinsamen Briefannahmestelle des Berufungsgerichts zugeordnet sind, kommt es an, wenn ein Schriftsatz am Faxgerät eines anderen als des zuständigen Gerichts eingeht (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2016 - VII ZB 45/14, NJW-RR 2017, 306 Rn. 15). Bei Eingang eines korrekt adressierten Schriftsatzes in einer Abteilung des zuständigen Gerichts stellt sich die Frage nach dem Inhalt dieser Regelungen dagegen nicht.
15
2. Ist danach die Berufungsschrift rechtzeitig eingegangen, durfte die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden. Der Beschluss ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ist nicht mehr zu entscheiden.
Mayen Harsdorf-Gebhardt Lehmann
Dr. Brockmöller Dr. Bußmann

Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 01.09.2016 - 7 O 303/15 -
KG Berlin, Entscheidung vom 03.03.2017 - 6 U 130/16 -

(1) Die Berufung findet gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt.

(2) Die Berufung ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt oder
2.
das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

(3) Der Berufungskläger hat den Wert nach Absatz 2 Nr. 1 glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides statt darf er nicht zugelassen werden.

(4) Das Gericht des ersten Rechtszuges lässt die Berufung zu, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und
2.
die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600 Euro beschwert ist.
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 19/11
vom
4. April 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zinsen und vorprozessuale Anwaltskosten sind als Streitwert erhöhender
Hauptanspruch zu berücksichtigen, wenn der Hauptanspruch selbst übereinstimmend
ganz oder teilweise für erledigt erklärt worden ist.
BGH, Beschluss vom 4. April 2012 - IV ZB 19/11 - LG Köln
AG Köln
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter
Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann
und die Richterin Dr. Brockmöller
am 4. April 2012

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 30. August 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 900 €

Gründe:


1
I. Der Kläger begehrt aus einer bei der Beklagten gehaltenen privaten Krankenversicherung Erstattung von Arztkosten in Höhe von ursprünglich insgesamt 809,79 € und vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 186,24 €, jeweils nebst Zinsen. In erster Instanz haben die Parteien nach einer Zahlung der Beklagten in Höhe von 169,78 € den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung weiterer 69,69 € verurteilt und die Kla- ge im Übrigen abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seine Klageforderung , soweit sie nicht erfüllt oder ihr nicht stattgegeben worden war, weiterverfolgt. Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen , weil die Beschwer des Klägers lediglich 570,32 € betrage und damit nicht die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreiche. Die auf den erledigten Teil der Hauptforderung anfallenden Nebenforderungen seien durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen nicht zur Hauptforderung geworden.
2
II. Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
3
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts , die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt den Kläger in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.).
4
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung des Klägers kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verworfen werden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung übersteigt die Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
5
a) Das Berufungsgericht hat verkannt, dass mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderungen i.S. von § 4 Abs. 1 ZPO bei der Rechtsmittelbeschwer zu berücksichtigen sind, soweit sie Hauptforderung geworden sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erhöhen die anteiligen Prozesskosten nach übereinstimmender Teilerledigungserklärung den (Streitwert und) Wert der Beschwer zwar nicht, solange auch nur der geringste Teil der Hauptsache noch im Streit ist (BGH, Beschluss vom 20. September 1962 - VII ZB 2/62, NJW 1962, 2252, 2253; zuletzt Beschluss vom 31. März 2011 - V ZB 236/10, NJW-RR 2011, 1026 Rn. 7 m.w.N.). Etwas anderes gilt aber für den Anspruch auf Zinsen und Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten. Diese erhöhen als Nebenforderungen den Streitwert und die Beschwer nicht, solange sie neben dem Hauptanspruch geltend gemacht werden, für dessen Verfolgung die Zinsen und Rechtsanwaltskosten angefallen sind. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil eine auf die Hauptforderung oder - wie hier - auf einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung beiderseitig erklärt worden ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung gelöst hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (BGH, Beschlüsse vom 4. Dezember 2007 - VI ZB 73/06, NJW 2008, 999 Rn. 8; vom 11. Januar 2011 - VIII ZB 62/10, WuM 2011, 177 Rn. 5; vom 31. März 2011 aaO).
6
b) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes hier 600 € übersteigt und die Berufung zulässig ist. Von der ursprünglich geltend gemachten Hauptforderung ist Ge- genstand des Berufungsverfahrens noch der nicht zugesprochene Teilbetrag von 570,21 €. Selbst wenn nur prozentual anteilig in Höhe des für erledigt erklärten Teils die vorprozessualen Rechtsanwaltskosten hinzugerechnet werden, übersteigt der Beschwerdewert die Wertgrenze von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ohne dass es noch auf die darüber hinaus gesondert geltend gemachten Zinsen ankommt.
Wendt Felsch Harsdorf-Gebhardt
Lehmann Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 20.04.2011- 118 C 579/09 -
LG Köln, Entscheidung vom 30.08.2011- 23 S 35/11 -