Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2016 - V ZB 73/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:210416BVZB73.15.0
bei uns veröffentlicht am21.04.2016
vorgehend
Amtsgericht Kleve, 22 XIV 27/14 B, 11.06.2014
Landgericht Kleve, 4 T 491/14, 29.04.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 73/15
vom
21. April 2016
in der Rücküberstellungshaftsache
ECLI:DE:BGH:2016:210416BVZB73.15.0

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 29. April 2015 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 11. Juni 2014 angeordnete Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Kleve auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:


I.


1
Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste am 1. August 2013 ohne gültige Einreisedokumente nach Deutschland ein. Dort stellte er am 15. Oktober 2013 einen Antrag auf Asyl, den das zuständige Bundesamt mit Bescheid vom 3. Februar 2014 zurückwies, weil er schon in Italien Asyl beantragt hatte. Ein Antrag des Betroffenen nach § 80 Abs. 5 VwGO hatte keinen Erfolg. Ein Versuch, den Betroffenen an Italien rückzuüberstellen, scheiterte an dessen Gegenwehr.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 11. Juni 2014 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Rücküberstellung für die Dauer von acht Wochen angeordnet. Die - nach seiner Entlassung aus der Haft am 25. Juli 2014 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete - Beschwerde hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.

II.


3
Das Beschwerdegericht hält den Feststellungsantrag und damit auch die Beschwerde des Betroffenen für unzulässig. Er sei mangels Angaben, die eine Identifizierung des Betroffenen erlaubten, insbesondere mangels Angabe des Aufenthalts des Betroffenen, nicht hinreichend bestimmt. Ferner fehle das Feststellungsinteresse. Dieses sei zwar regelmäßig bei Grundrechtseingriffen gege- ben. Es könne aber ausnahmsweise fehlen, wenn sich der Betroffene nicht rechtstreu verhalte. So liege es hier. Der Betroffene habe sich unter Verstoß gegen die Meldevorschriften nicht ordnungsgemäß angemeldet.

III.


4
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
5
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen dessen aktuelle Anschrift nicht angegeben. Das änderte aber an der Zulässigkeit des Rechtsmittels nur etwas, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens ohne Angabe der ladungsfähigen Anschrift gefährdet wäre oder die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubte (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 - V ZB 54/14 InfAuslR 2015, 104 Rn. 5 u. vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, juris Rn. 5). Diese Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens wird durch die fehlende Angabe der Anschrift des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Dass und aus welchen Gründen sich der Betroffene mit der Stellung des Antrags rechtsmissbräuchlich verhalten würde, ist nicht erkennbar.
6
2. Das Rechtsmittel ist begründet.
7
a) Die Beschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig. Das Beschwerdeverfahren hat sich zwar mit der Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 25. Juli 2014 in der Hauptsache erledigt. Es konnte aber nach § 62 Abs. 1 FamFG mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung fortgesetzt werden. Ein solcher Antrag soll dem Betroffenen eine Möglichkeit geben, sich auch nach ihrer Beendigung gegen die unberechtigte Freiheitsentziehung und den in ihr enthaltenen Vorwurf zur Wehr zu setzen (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 12). Dieses Interesse ist auch bei einem späteren rechtswidrigen Verhalten des Betroffenen anzuerkennen (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 174/14, juris Rn. 6). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 18. Februar 2016 in einer gleich gelagerten Sache Bezug genommen (Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, juris Rn. 13 f.).
8
b) Die Beschwerde ist auch begründet.
9
aa) Zur sachlichen Bescheidung der Beschwerde ist der Senat in der Lage. Das Beschwerdegericht hat sich zwar, da es die Beschwerde als unzulässig angesehen hat, nicht inhaltlich mit der Haftanordnung befasst. Die Endentscheidung in der Sache erfordert aber keine zusätzlichen Feststellungen.
10
bb) Die Haftanordnung war schon deshalb rechtswidrig, weil abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 bis 10). Diese Richtlinie ist auf die Haft zur Sicherung von Rücküberstellungen sowohl nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 (ABl. Nr. L 50 S. 1 - sogenannte Dublin-II-Verordnung) als auch nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl. Nr. L 180 S. 31 - sogenannte Dublin-III-Verordnung) anzuwenden (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, InfAuslR 2015, 104 Rn. 8 für Dublin-IIVerordnung und vom 3. März 2015 - V ZB 108/14, juris Rn. 1 für Dublin-IIIVerordnung ). Seine richtlinienwidrige Praxis hat das Land Nordrhein-Westfalen erst mit Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 25. Juli 2015 (15-39.16.04-2-13-339(2604), veröffentlicht im Sammelblatt Nordrhein -Westfalen) aufgegeben.

IV.


11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG.
Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner
Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Kleve, Entscheidung vom 11.06.2014 - 22 XIV 27/14 B -
LG Kleve, Entscheidung vom 29.04.2015 - 4 T 491/14 -

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

5
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie genügt auch den Formerfordernissen. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen dessen aktuelle Anschrift nicht angegeben. Das führte aber nur dann zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens ohne Angabe der ladungsfähigen Anschrift gefährdet ist oder die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt (Senat, Beschluss vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, InfAuslR 2015, 104 Rn. 5). Diese Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens wird durch die fehlende Angabe der Anschrift des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Dass und aus welchen Gründen sich der Betroffene mit der Stellung des Antrags rechtsmissbräuchlich verhalten würde, ist nicht erkennbar.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

12
Dieses Verständnis der Norm ergibt sich aus ihrer Entstehungsgeschichte. Mit § 62 FamFG hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dem früheren Gesetz über das Verfahren bei Freiheitsentziehungen aufgreifen und einer gesetzlichen Regelung zuführen wollen (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 16/6308 S. 205). Jenes Gesetz enthielt keine Regelung darüber, wie verfahren werden sollte, wenn sich die gegen den Betroffenen angeordnete Haft erledigte, bevor dieser eine abschließende Überprüfung erreichen konnte. Das widersprach nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes (BVerfGE 104, 220, 232 f.; NJW 1998, 2432 f.). Dieser bliebe gerade in Freiheitsentziehungssachen praktisch weitgehend wirkungslos, gäbe es nicht die Möglichkeit, auch nach Erledigung der Haft feststellen zu lassen, ob sie rechtswidrig war oder nicht. Der Grund dafür liegt darin, dass die Anordnung einer Freiheitsentziehung nicht nur in Freiheitsrechte eingreift, sondern auch den Vorwurf enthält, der Betroffene habe sich gesetzwidrig verhalten. Gegen diesen Vorwurf muss sich der Betroffene zur Wehr setzen können. Es ist sogar erforderlich , eine solche Möglichkeit nach dem Tod des Betroffenen seinen Erben einzuräumen (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44 Rn. 13 f.). Diese von dem Bundesverfassungsgericht entwickelte Möglichkeit einer Feststellung der Rechtswidrigkeit wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 62 FamFG kodifizieren. Das kommt in dem Erfordernis des besonderen Feststellungsinteresses und in den aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts übernommenen Regelbeispielen zum Ausdruck.
6
bb) Das Feststellungsinteresse entfällt nicht deswegen, weil der Betroffene sich mithilfe seiner Komplizen gewaltsam aus der Haft befreit hat. Dass die richterliche Feststellung der Rechtsverletzung des Betroffenen auch nach der Erledigung der Hauptsache, die hier jedenfalls mit dem Ablauf der angeordneten Haftdauer eingetreten ist, zu dessen Rehabilitierung geboten ist, mag angesichts der hier vorliegenden Umstände zweifelhaft sein. Die Feststellung der Rechtsverletzung dürfte nicht geeignet sein, einer Beeinträchtigung des Ansehens des Betroffenen in der Öffentlichkeit durch die Haftanordnung entgegenzuwirken (zu diesem Aspekt: BVerfGE 104, 220, 235). Das ändert aber nichts daran, dass eine unrechtmäßige Inhaftierung einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt und deshalb ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der richterlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft anzuerkennen ist, das weder von dem konkreten Ablauf des Verfahrens noch von dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme abhängt (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 Rn. 12; Beschluss vom 11. Oktober 2012 - V ZB 328/11, FGPrax 2013, 39 Rn. 5 st. Rspr.).
5
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig. Sie genügt auch den Formerfordernissen. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen dessen aktuelle Anschrift nicht angegeben. Das führte aber nur dann zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens ohne Angabe der ladungsfähigen Anschrift gefährdet ist oder die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt (Senat, Beschluss vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, InfAuslR 2015, 104 Rn. 5). Diese Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens wird durch die fehlende Angabe der Anschrift des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Dass und aus welchen Gründen sich der Betroffene mit der Stellung des Antrags rechtsmissbräuchlich verhalten würde, ist nicht erkennbar.

(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.

(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.

(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.

(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.

Tenor

Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 8. Mai 2014 gegen den Betroffenen angeordneten und durch Beschluss der 39. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 27. Juni 2014 aufrecht erhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist türkischer Staatsbürger und reiste am 27. April 2014 ohne Ausweis- oder Aufenthaltspapiere mit Hilfe eines Schleppers nach Deutschland ein. Am 7. Mai 2014 wurde er in Köln bei dem Versuch festgenommen, sich unter Vorlage einer gefälschten bulgarischen Identitätskarte anzumelden. Mit Verfügung vom gleichen Tag drohte ihm die beteiligte Behörde die Abschiebung an. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht am 8. Mai 2014 gegen den Betroffenen Haft bis zum 6. August 2014 angeordnet. Die Haft wird in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen. Am 6. Juni 2014 hat der Betroffene aus der Haft heraus einen Asylantrag gestellt. Auf die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2014 die Rechtswidrigkeit der Haft für den Zeitraum vom 8. Mai 2014 bis zum 27. Juni 2014 festgestellt und die weitergehende Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt.

2

Einen ersten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der angeordneten Haft hat der Senat mit Beschluss vom 3. Juli 2014 zurückgewiesen. Mit dem vorliegenden zweiten Aussetzungsantrag macht der Betroffene geltend, der Vollzug der Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren widerspreche dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17. Juli 2014 (Rs. 473/13 und 514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014:2095).

II.

3

Der Aussetzungsantrag hat Erfolg.

4

1. Er ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97 Rn. 3). Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Senat den ersten Aussetzungsantrag des Betroffenen abgelehnt hat. Der Zurückweisungsbeschluss erwächst nicht in Rechtskraft. Deshalb kann eine Aussetzung bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen auch angeordnet werden, wenn ein vorausgegangener Aussetzungsantrag zurückgewiesen worden ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. März 2009 - AnwZ (B) 78/08, juris Rn. 3). Ein Rechtsschutzbedürfnis für den erneuten Antrag besteht jedenfalls deshalb, weil der Betroffene unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union nunmehr erstmals die rechtswidrige Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Büren rügt.

5

2. Der Antrag ist auch begründet, weil die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nach der gebotenen summarischen Prüfung erfolgreich sein wird. Im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) muss der Haftrichter die Anordnung von Sicherungshaft ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird (Senat, Vorlagebeschluss vom 11. Juli 2013 - V ZB 40/11, NVwZ 2014, 166, Rn. 20). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

6

a) Die Unterbringung des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt Büren widerspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.

7

aa) Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG erfolgt die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung der Ab- oder Zurückschiebung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Zwar dürfen Betroffene nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie in „gewöhnlichen Haftanstalten“ untergebracht werden, wenn in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden sind. Diese Ausnahme trifft aber nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union für Deutschland nicht zu, weil in mehreren deutschen Bundesländern spezielle Einrichtungen vorhanden sind (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - C 473/13 und C 514/13 - Bero und Bouzalmate, ECLI:EU:C:2014: 2095 Rn. 30 f.).

8

§ 62a Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist in diesem Sinne richtlinienkonform einschränkend auszulegen. Dem steht nicht entgegen, dass die Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf die Verhältnisse in dem betroffenen Bundesland und nicht auf die Verhältnisse in Deutschland insgesamt abstellt. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift ausweislich der Entwurfsbegründung Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie ohne Abstriche umsetzen wollen (BT-Drucks. 17/5470 S. 25). Er hat dabei ein - wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergibt - fehlerhaftes Verständnis der Richtlinie zugrunde gelegt, was aber an dem Willen zur richtlinienkonformen Anpassung des nationalen deutschen Rechts nichts ändert. Einem solchen Versehen ist mit einer richtlinienkonformen - hier einschränkenden - Auslegung Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 26; Senat, Beschluss vom 8. Januar 2014 - V ZB 137/12, InfAuslR 2014, 148 Rn. 9-11).

9

bb) Nach dem erwähnten Urteil des Gerichtshofs kann die Unterbringung eines Betroffenen in einem gesonderten Gebäude auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt, anders als die beteiligte Behörde meint, auch nicht als Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung angesehen werden, wie sie von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie verlangt wird. Wenn Betroffene in einem Mitgliedstaat überhaupt in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden dürfen, dürfte dies nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG nur „gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen“ geschehen. In einem weiteren Urteil vom 17. Juli 2014 hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus dem Wortlaut dieser Norm die unbedingte Verpflichtung ergibt, die illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen von den gewöhnlichen Strafgefangenen zu trennen, wenn ein Mitgliedstaat sie nicht in speziellen Hafteinrichtungen unterbringen kann (Rs. C-474/13 - Pham, ECLI:EU:C:2014:2096 Rn. 17, 21). Daraus folgt, dass eine solche gesonderte Unterbringung von Betroffenen auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt keine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung sein kann. Sie ist - unabhängig von ihrer Ausgestaltung im Einzelnen - eine Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt, die in Deutschland, wie ausgeführt, generell nicht zulässig ist.

10

cc) Die Justizvollzugsanstalt Büren dient nach Teil 4 des geltenden Vollstreckungsplans für das Land Nordrhein-Westfalen (Allgemeinverfügung des Justizministeriums vom 16. September 2003 - 4431 - IV B. 28) dem Vollzug der Abschiebungshaft, der Freiheitsstrafe von bis zu drei Monaten und der Ersatzfreiheitsstrafe. Es handelt sich deshalb um eine gewöhnliche Haftanstalt, in der auch von einer Ab- oder Zurückschiebung Betroffene untergebracht sind. Diese Art der Unterbringung widerspricht dem Unionsrecht.

11

b) Daran gemessen ist jedenfalls der weitere Vollzug der Haft rechtswidrig, weil der Betroffene derzeit unter Verstoß gegen die Vorgaben des Unionsrechts untergebracht ist und die Behörde eine Änderung der Unterbringung abgelehnt hat.

Schmidt-Räntsch                      Roth                    Brückner

                          Weinland                 Kazele

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 28. Januar 2014 und der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 13. März 2014 den Betroffenen bis zum 17. März 2014 in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert in allen Instanzen beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein russischer Staatsangehöriger, reiste am 20. Januar 2014 aus den Niederlanden nach Deutschland ein und führte lediglich eine italienische Carta d'Identità (Identitätsausweis), die nach ihrem Aufdruck auf der Rückseite nicht für die Ausreise gilt, und einen italienischen Permesso di Soggiorno (Aufenthaltserlaubnis) bei sich. Eine Recherche in dem EURODAC-Register ergab, dass er im März 2011 in Belgien und im Juni 2011 in Italien Asyl beantragt hatte. Die belgischen Behörden teilten auf Nachfrage mit, dass der Betroffene von dort nach Italien zurückgeführt worden sei. Das Amtsgericht ordnete im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 23. Februar 2014 an, die in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen wurde.

2

Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 20. März 2014 angeordnet. Die Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 13. März 2014 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Zurückschiebung nach Italien am 17. März 2014 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, soweit sie vollzogen worden ist.

II.

3

Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Haft für rechtmäßig. Ihr stehe insbesondere nicht entgegen, dass sie in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen werde. Dort werde zwar auch Strafhaft vollzogen. Das sei aber nach § 62a AufenthG nicht zu beanstanden, da es in Nordrhein-Westfalen keine speziellen Abschiebungshafteinrichtungen gebe. Unerheblich sei auch, dass in dieser Justizvollzugsanstalt Betroffene, die einen Asylantrag gestellt hätten, nicht von solchen getrennt würden, die einen solchen Antrag nicht gestellt hätten. Eine solche Vorgabe folge zwar aus Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/33/EU (ABl. Nr. L 180 S. 96). Die Frist zu deren Umsetzung sei aber noch nicht abgelaufen.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis nicht stand.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Rechtsbeschwerdeschrift enthält zwar keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Betroffenen. Diese Angabe ist aber keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (BGH, Urteile vom 9. Dezember 1987 - IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 333 f. und vom 11. Oktober 2005 - XI ZR 398/04, NJW 2005, 3773 sowie Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 10). Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn ohne die Angabe der ladungsfähigen Anschrift der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens gefährdet ist oder wenn die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt, etwa darauf, dass er das Verfahren aus dem Verborgenen führen will, um sich Ansprüchen gegen ihn zu entziehen (BGH, Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 13, 18 f.). Für das Vorliegen solcher Ausnahmen ist hier nichts ersichtlich.

6

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.

7

a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen jedenfalls deshalb in seinen Rechten verletzt, weil abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 bis 10).

8

b) Die Vorgaben der Richtlinie sind auch für Rücküberstellungen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl. Nr. L 180 S. 31 - sog. Dublin-III-Verordnung) einzuhalten. Die Bedingungen für die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung solcher Rücküberstellungen richten sich zwar gemäß Art. 28 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung nach den Art. 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU, die nach ihrem Art. 31 Abs. 1 bis zum 20. Juli 2015 umzusetzen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Vorgaben der Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis dahin bei Rücküberstellungen nicht einzuhalten wären. Diese gelten zwar nur für die Inhaftierung zur Sicherung einer Rückkehr in das Heimatland. Eine Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (sowohl nach der Dublin-II-Verordnung als auch nach der Dublin-III-Verordnung) wird aber in Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie einer Rückkehr in das Heimatland gleichgestellt. Die Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG sind deshalb bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2013/33/EU auch bei Rücküberstellungen einzuhalten. Das ist hier nicht geschehen und führt zur Rechtswidrigkeit der Haft.

9

c) Die richtlinienkonforme Unterbringung hat das Rechtsbeschwerdegericht unabhängig von einer Rüge des Betroffenen zu prüfen, weil dies eine materielle Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft betrifft und weil die gebotene möglichst wirksame Anwendung des Rechts der Union (effet utile) anders nicht zu erreichen ist. Die Anwendung der genannten Vorschrift steht auch nicht zur Disposition des Betroffenen oder anderer Beteiligter (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - Rs. C-474/13 - Pham, ECLI:EU:C:2014:2096 Rn. 22 f.; Senat, Beschluss vom 25. September 2014 - V ZB 144/12, juris Rn. 6).

10

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Stresemann                           Schmidt-Räntsch                            Czub

                       Weinland                                       Kazele

1
Die Rechtsbeschwerde ist mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG statthaft, auch im Übrigen zulässig und begründet. Die Verlängerung der Haft durch das Amtsgericht und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil abzusehen war, dass die Haft weiterhin in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main I und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 bis 10). Diese Richtlinie ist auf die Haft zur Sicherstellung von Rücküberstellungen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl. Nr. L 180 S. 31 - sog. Dublin-IIIVerordnung ) ebenfalls anzuwenden (vgl. Senat, Beschluss vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, juris Rn. 8). Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.

(1) Soweit sich in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und er auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.

(2) Soweit sich in einer nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt, ist er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht über 1 Million Euro.

(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts, ist von einem Geschäftswert von 5 000 Euro auszugehen.

(4) Wenn sich die Gerichtsgebühren nach den für Notare geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Notare geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden. Wenn sich die Notargebühren nach den für Gerichte geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Gerichte geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden.