Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2010 - VI ZR 177/09

bei uns veröffentlicht am06.07.2010
vorgehend
Landgericht Oldenburg (Oldenburg), 8 O 2487/07, 26.09.2008
Oberlandesgericht Oldenburg, 5 U 174/08, 29.04.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 177/09
vom
6. Juli 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das Berufungsgericht verletzt den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör aus
Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise, wenn es - ohne zuvor einen
Hinweis nach § 139 ZPO auf die beabsichtigte Auslegung ihres Feststellungsantrags
zu geben - diesen überraschend mit der Begründung abweist, er beziehe sich entsprechend
seinem Wortlaut nur auf - nicht vorliegende - Behandlungsfehler im engeren
Sinne, nicht jedoch auch auf - vorliegende - Aufklärungsfehler.
BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 - VI ZR 177/09 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2010 durch den Vorsitzenden
Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen
und den Richter Stöhr

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Grundund Teilurteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 29. April 2009 aufgehoben, soweit es den Feststellungsantrag der Klägerin - Antrag zu Ziff. 2.) - abgewiesen hat.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 24.622,00 €

Gründe:

1
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden geltend gemacht, die ihr aufgrund von ärztlichen Fehlern anlässlich einer Hysterektomie entstanden sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Leistungsklage wegen festgestellter Aufklärungsfehler dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, jedoch den Feststellungsantrag mit der Begründung abgewiesen, dieser beziehe sich entsprechend seinem Wortlaut nur auf (reine) Behandlungsfehler. Da es gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat, möchte die Klägerin mit ihrer vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde eine Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht erreichen , um ihren Feststellungsantrag weiter zu verfolgen.
2
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es - ohne der Klägerin zuvor einen Hinweis nach § 139 ZPO auf die beabsichtigte Auslegung ihres Feststellungsantrags zu geben - diesen überraschend mit der formalen Begründung abgewiesen hat, er beziehe sich nur auf - nicht vorliegende - Behandlungsfehler im engeren Sinne und nicht auch auf - vorliegende - Aufklärungsfehler.
3
a) Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f.). Das Gericht hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere dahin zu wirken, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Das rechtliche Gehör vor Gericht zum Streitgegenstand einer Klage bezieht sich danach nicht allein auf den Sachverhalt und seinen Vortrag, sondern ebenso auf die sachdienliche Fassung der Klageanträge, mit denen eine Partei vor Gericht verhandelt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - NJW-RR 2010, 70). Will das Berufungsgericht einem solchen Antrag abweichend von einer nahe liegenden Auslegung eine engere Bedeutung beimessen, die zur Klageabweisung führt, so muss es die Partei auf die beabsichtigte Auslegung ihres Klageantrages hinweisen. Die betroffene Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Sachantrag klarzustellen und gegebenenfalls den Bedenken des erkennenden Gerichts anzupassen.
4
b) Der Klage- und Berufungsantrag der Klägerin unterliegt der uneingeschränkten Auslegung durch das Revisionsgericht. Danach konnte der Antrag der Klägerin ohne weiteres dahingehend verstanden werden, dass sie mit "Behandlungsfehlern" allgemein eine fehlerhafte Behandlung meinte, sei es nun aufgrund eines Behandlungsfehlers im engeren Sinne oder aufgrund einer fehlerhaften , weil rechtswidrigen Behandlung infolge eines Aufklärungsfehlers. Eine derartige Auslegung lag auch deshalb nahe, weil die Klage von vornherein sowohl auf Behandlungsfehler als auch auf Aufklärungsfehler gestützt war.
5
c) Unter diesen Umständen war es überraschend und verletzte den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, indem das Berufungsgericht den Feststellungsantrag mit der formalen Begründung abgewiesen hat, er beziehe sich nur auf - nicht vorliegende - Behandlungsfehler im engeren Sinne, ohne der Klägerin zuvor einen - zwingend erforderlichen - Hinweis nach § 139 ZPO auf die beabsichtigte Auslegung zu geben. Dann - so macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend - hätte die Klägerin (selbstver- ständlich) klargestellt, dass sich ihr Feststellungsbegehren generell auf eine Haftung der Beklagten erstrecken soll, sei es nun aufgrund eines Behandlungsfehlers oder aufgrund eines Aufklärungsfehlers. Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 26.09.2008 - 8 O 2487/07 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 29.04.2009 - 5 U 174/08 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2010 - VI ZR 177/09

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2010 - VI ZR 177/09

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über
Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2010 - VI ZR 177/09 zitiert 5 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Apr. 2009 - IX ZR 95/06

bei uns veröffentlicht am 23.04.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZR 95/06 vom 23. April 2009 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 1 Unterlässt das Berufungsgericht, auf die Konkretisierung eines unbestimmten Fes
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juli 2010 - VI ZR 177/09.

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Dez. 2016 - VI ZR 116/16

bei uns veröffentlicht am 13.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR 116/16 vom 13. Dezember 2016 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GG Art. 103 Abs.1; ZPO § 256 Abs. 1, § 544 Abs. 7 Das Gericht verletzt den Anspruch der Partei auf rechtlic

Referenzen

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZR 95/06
vom
23. April 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Unterlässt das Berufungsgericht, auf die Konkretisierung eines unbestimmten
Feststellungsantrags hinzuwirken, nach welchem das Eingangsgericht erkannt
hat, verkürzt es das rechtliche Gehör des Berufungsbeklagten, wenn es nunmehr
die Feststellungsklage als unzulässig abweist.
BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06 - KG Berlin
LG Berlin
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel, Vill, Dr. Fischer und. Dr. Pape
am 23. April 2009

beschlossen:
Auf die Beschwerde der Widerklägerin wird die Revision gegen das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 19. Dezember 2005 zugelassen.
Auf die Revision der Widerklägerin wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 93.600 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat auf die Widerklage der Beklagten antragsgemäß festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten alle Schäden zu ersetzen, die ihr infolge unrichtiger Verbuchung, Voranmeldung und Erklärung der Umsatzsteuer in den Jahren 1993 bis Oktober 2000 entstanden sind und noch entstehen. Mit ihrer dagegen erhobenen Berufung hat die Klägerin die Bestimmtheit dieses Ausspruchs gerügt. Die Beklagte ist dieser Rüge entgegengetreten.
2
Nach dem Protokoll der Berufungsverhandlung haben die Parteien die schriftsätzlich angekündigten Sachanträge gestellt. Danach ist die Sach- und Rechtslage erörtert worden. Mit seinem am Schluss der Sitzung verkündeten Urteil hat das Berufungsgericht die landgerichtliche Feststellung aufgehoben und die Widerklage auch insoweit als unzulässig abgewiesen, weil der gestellte Sachantrag nicht hinreichend bestimmt gewesen sei. Die Revision gegen seine Entscheidung hat es nicht zugelassen.
3
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde, in welcher sie eine Verkürzung ihres rechtlichen Gehörs rügt. Hätte das Berufungsgericht auf die nach seinem Urteil mangelhafte Fassung des Feststellungsantrags hingewiesen , so wäre dieser Antrag - wie ausgeführt - bestimmter gefasst worden. Die Beschwerdeerwiderung entnimmt dem Protokoll der Berufungsverhandlung, dass das Gericht auf die nach seiner Ansicht unbestimmte Antragsfassung hingewiesen habe.

II.


4
Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Widerklägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das angefochtene Urteil ist daher nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
5
Gerichtliche 1. Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (BVerfGE 84, 188, 189 f). Die grundrechtliche Gewährleistung des rechtlichen Gehörs vor Gericht schützt auch das Vertrauen der in erster Instanz siegreichen Partei darauf, vom Berufungsgericht rechtzeitig einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen Punkt der Vorinstanz nicht folgen will und aufgrund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des Sachvortrags erforderlich sein kann (BGH, Beschl. v. 15. März 2006 - IV ZR 32/05, NJW-RR 2006, 937 m.w.N.; v. 26. Juni 2008 - V ZR 225/07, Rn. 5). Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Eingangsgericht nach den § 525 Satz 1, § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO insbesondere dahin zu wirken, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Das rechtliche Gehör vor Gericht zum Streitgegenstand einer Klage bezieht sich danach nicht allein auf den Sachverhalt und seinen Vortrag, sondern ebenso auf die sachdienliche Fassung der Klageanträge, mit denen eine Partei vor Gericht verhandelt. Hält das Berufungsgericht einen solchen Antrag abweichend vom Ausspruch der Vorinstanz für unzulässig, weil er seines Erachtens dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht genügt, so muss es auf eine Heilung dieses Mangels hinwirken. Die betroffene Partei muss Gelegenheit erhalten, ihren Sachantrag den Zulässigkeitsbedenken des erkennenden Gerichts anzupassen.
6
2. Sonst gebotene Hinweise des Gerichts können entfallen, wenn die betroffene Partei von der Gegenseite die nötige Unterrichtung erhalten hat (BGHZ 170, 67, 75 Rn. 19; BGH, Beschl. v. 20. Dezember 2007 - IX ZR 207/05, NJW-RR 2008, 581, 582 Rn. 2). Dies gilt aber nicht ohne weiteres für die gerichtliche Pflicht, auf sachdienliche Klaganträge hinzuwirken. Begründeten Anlass zur Änderung ihres Sachantrags hat eine Partei nicht schon dann, wenn die Gegenseite in der Berufungsinstanz das erstrittene Sachurteil wegen seines angeblich unbestimmten Ausspruchs angreift. Denn dieser Angriff wiegt nicht schwerer als das ergangene günstige Sachurteil. Prozessuale Obliegenheiten des Berufungsbeklagten erwachsen deshalb allein aus der gegnerischen Bestimmtheitsrüge im Hinblick auf eine nachträgliche Konkretisierung des Sachantrags noch nicht. Solche Konsequenzen muss der Berufungsbeklagte erst dann erwägen, wenn er durch das Berufungsgericht selbst erfährt, dass es den für ihn günstigen Standpunkt der Vorinstanz insoweit nicht teilt. Ein solcher Hinweis ist nach dem Beschwerdevorbringen hier unterblieben.
7
Die 3. entgegengesetzte Behauptung der Beschwerdegegnerin kann nach § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Der vom Berufungsgericht protokollierte allgemeine Hinweis, dass die Sach- und Rechtslage erörtert worden sei, erlaubt nicht den Beweisschluss, es sei bei dieser Erörterung auf die Behebung des Antragsmangels hingewirkt worden. Die Erörterung kann sich auf die sachlichen Einwände beschränkt haben , welche im Berufungsurteil zur fehlenden Haftung der Klägerin für Tätigkeiten vor dem 1. September 1995 enthalten sind und welche die Klägerin sonst gegen den Vortrag der Widerklage erhoben hat.

III.


8
Für das Verfahren der wiedereröffneten Berufungsinstanz weist der Senat auf Folgendes hin:
9
Durch den konkretisierten Feststellungsantrag, wie er in der Beschwerdeschrift gefasst worden ist, werden die vorherigen Bedenken gegen die Bestimmtheit ausgeräumt. Den Feststellungsantrag alter Fassung hat das Beru- fungsgericht entgegen dem Beschwerdevortrag mit Recht beanstandet, weil zwischen den Parteien gerade streitig war, inwieweit Buchungen und Erklärungen der Klägerin unrichtig gewesen sein sollen. Dieser Streit würde durch die beantragte Feststellung nicht entschieden, selbst wenn zu ihrer Auslegung, wo dies nicht anders möglich ist, der Sachvortrag herangezogen werden kann. Es bedarf zu einer Entscheidung dieses Streits andererseits hier nicht einer Aufgliederung des Urteilsausspruchs für sämtliche einzelnen Buchungen und Vorsteuerabzüge , welche die Klägerin angesetzt hat, weil ihr nicht einzelne Versehen oder Fehlgriffe zur Last gelegt werden, sondern ein Methodenfehler, welcher die gesamte Tätigkeit durchzogen haben soll. Die Feststellung, ob sich dieser Methodenfehler in der Tätigkeit der Klägerin während des gesamten Antragszeitraums findet, gehört zur Sachprüfung der Widerklage. Hierbei wird die Widerklägerin den Steuersachverhalt soweit darzulegen haben, dass das Berufungsgericht imstande ist zu beurteilen, wie dieser seiner Ansicht nach richtigerweise unter Berücksichtigung der damaligen Rechtsprechung und Steuerrichtlinien von Beraterseite zu behandeln gewesen wäre. Die vom Landgericht insoweit angenommene Vermutung, welche sich auf die konkreten Beanstandungen der Finanzverwaltung und das gegen den Geschäftsführer der Widerklägerin geführte Steuerstrafverfahren stützt, ist verfehlt. Im Rahmen dieser Sachprüfung ist dann auch auf die Frage der Passivlegitimation der Klägerin für Tätigkeiten vor dem 1. September 1995 zurückzukommen.
Ganter Raebel Vill
Fischer Pape
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 29.01.2004 - 10 O 513/02 -
KG Berlin, Entscheidung vom 19.12.2005 - 23 U 35/04 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.