Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2017 - VI ZR 439/16
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin nimmt die Beklagte auf materiellen und immateriellen Schadensersatz nach ärztlicher Behandlung in Anspruch.
- 2
- Die Klägerin litt unter einer sog. Hammerzeh-Fehlstellung am linken Fuß. Die Fehlstellung wurde am 16. Januar 2013 im Krankenhaus der Beklagten durch eine Endgelenksarthrodese (Versteifung des Zehs) mittels eines Smart Toe-Implantats operativ versorgt. Da das Implantat in der Folge ausbrach, wurde es am 3. April 2013 im Hause der Beklagten operativ entfernt und stattdessen eine intramedulläre Doppelgewindeschraube eingebracht. Die Schraube musste wegen Überstands im Rahmen einer (weiteren) Revisionsoperation vom 11. Juni 2013 entfernt werden. Die Klägerin machte Behandlungsfehler im Rahmen der Operationen vom 16. Januar und 3. April 2013 sowie im Rahmen der Nachversorgung geltend und führt hierauf ihre Kniebeschwerden zurück.
- 3
- Das Landgericht hat die Klage auf der Grundlage eines schriftlichen orthopädisch -unfallchirurgischen Fachgutachtens samt Ergänzungsgutachten abgewiesen. Von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen hat das Landgericht trotz entsprechenden Antrags der Klägerin abgesehen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Eine Anhörung des Sachverständigen sei nicht erforderlich. Anhaltspunkte für eine Verwechslung der bei den Akten befindlichen intraoperativen Röntgenbilder vom 16. Januar 2013 oder für deren unzureichende Aussagekraft wegen Fehlens der zweiten Ebene bestünden entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Im Übrigen fehle es an einer haftungsbegründenden Kausalität, weil die Kniebeschwerden der Klägerin nicht auf die behaupteten Behandlungsfehler, sondern auf eine unabhängig hiervon vorliegende Fehlstellung und auf Verschleiß zurückzuführen seien.
- 4
- Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie der Sache nach auf Ansprüche aus der ärztlichen Behandlung vom 16. Januar 2013 beschränkt hat.
II.
- 5
- Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass die Klägerin durch die Zurückweisung ihres Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigen in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde.
- 6
- 1. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senat, Urteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, VersR 1998, 342, 343; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, VersR 2002, 120, 121 f.; Beschluss vom 21. Februar 2017 - VI ZR 314/15, juris Rn. 3). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 25. September 2007 - VI ZR 157/06, VersR 2007, 1697 Rn. 3 mwN). Hat das Erstgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senat, Urteil vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95, VersR 1996, 211; Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04, VersR 2005, 1555).
- 7
- 2. Nach dieser Maßgabe reicht die Begründung des Berufungsgerichts, die schriftlichen Ausführungen des Gutachters ließen eine klare Beurteilung zu, für eine Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht aus. Die Klägerin hat bereits im ersten Rechtszug die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Darauf hat sie in ihrer Berufungsbegründung hingewiesen und den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen wiederholt. Sie hat dabei und der Sache nach auch in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO konkrete Gegenstände der Anhörung, insbesondere die Möglichkeit einer Verwechslung der intraoperativen Röntgenaufnahmen vom 16. Januar 2013 sowie die Frage von deren Geeignetheit trotz Fehlens einer zweiten Ebene benannt. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu genügen.
- 8
- 3. Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
- 9
- a) Zwar mag die von der Klägerin behauptete Verwechslung der intraoperativen Röntgenaufnahmen vom 16. Januar 2013 wenig wahrscheinlich sein. Doch wurde der Sachverständige mit der Frage einer möglichen Verwechslung nicht konfrontiert, so dass er keinen Anlass hatte, in Frage zu stellen , ob es sich bei dem Fuß auf dem ihm vorliegenden Röntgenbild auch wirklich um den Fuß der Klägerin handelt. Unabhängig hiervon hatte die Klägerin Klärungsbedarf angemeldet hinsichtlich der fehlenden Bildgebung in zwei Ebenen.
- 10
- b) An der Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes fehlt es auch nicht im Hinblick auf die nach den schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen nicht anzunehmende Kausalität zwischen den behaupteten Behandlungsfehlern und den geltend gemachten Kniebeschwerden. Zum einen macht die Klägerin bezüglich der Operation vom 16. Januar 2013 einen groben Behandlungsfehler geltend, wonach hinsichtlich der Kausalität unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rn. B 262, 263 mwN) eine Beweislastumkehr in Frage käme. Zum anderen stützt die Klägerin ihren Schmerzensgeldanspruch nicht nur auf die Kniebeschwerden, sondern auch auf die Schmerzen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ausgebrochenen Implantat. Jedenfalls insoweit lässt sich eine Klageabweisung allein mit der im Hinblick auf die Knieschmerzen fehlenden Kausalität nicht begründen. Galke Offenloch Oehler Roloff Klein
LG Aurich, Entscheidung vom 22.12.2015 - 5 O 312/14 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 19.08.2016 - 5 U 19/16 -
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Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2017 - VI ZR 439/16 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 40.903,35 €
Gründe:
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluß vom 5. April 2005 - VIII ZR 160/04 - zur Veröffentlichung bestimmt).
2. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, daß das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Befragung der gerichtlichen Sachverständigen abgesehen hat.
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Frage , ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, daß der Gutachter seine Auffassung ändert. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, daß sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - VersR 1997, 509 ff.; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342; vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14; Senatsurteile vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211, 212; vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - aaO und vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342, 343 und vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - VersR 2003, 926). Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muß das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senatsurteil vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - aaO). Dabei kann von der Partei , die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, daß sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt , im voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.).
b) Diesen Anforderungen genügte das Vorbringen des Klägers. Mit Recht verweist die Nichtzulassungsbeschwerde darauf, daß der Kläger im ersten Rechtszug mehrfach die Ladung des Sachverständigen Prof. Dr. H. zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt hat. Der erste Antrag ist unmittelbar nach Eingang des schriftlichen Gutachtens gestellt worden. Mit Beweisbeschluß vom 26. August 2002 hat das Landgericht den Sachverständigen um eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme zur postoperativen Behandlung gebeten. Nach Eingang der Stellungnahme vom 18. November 2002 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2002 eine Reihe von Fragen gestellt und erneut beantragt, den Sachverständigen nach seiner (schriftlichen) Stellungnahme zur mündlichen Erläuterung seiner Begutachtung zu laden, wobei er darauf hingewiesen hat, daß dieser Antrag nur dann aufrechterhalten werde, wenn nach der Ergänzung des Gutachtens bzw. einer weiteren Ergänzung noch Fragen blieben. Das Landgericht hat dem Sachverständigen die vom Kläger gestellten Fragen durch Auflagen- und Beweisbeschluß vom 20. Januar 2003 teilweise vorgelegt und ihn dazu um eine weitere Stellungnahme gebeten. Die erbetene ergänzende Stellungnahme ist unter dem 10. März 2003 erfolgt. Daraufhin hat das Landgericht den Parteien mit Verfügung vom 9. April 2003, zugestellt am 22. April 2003, eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen gesetzt. Am 8. Mai 2003, also nur 16 Tage nach Zustellung dieser Verfügung, hat das Landgericht Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 22. Mai 2003 anberaumt, ohne den Sachverständigen zu laden. Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2003, bei Gericht eingegangen am 9. Mai 2003, hat der Kläger erneut beantragt, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens sowie seines Ergänzungsgutachtens zu laden. Dem hat das Landgericht nicht entsprochen. Am 22. Mai 2003 ist zum letzten Mal mündlich verhandelt worden. Mit Urteil vom 26. Juni 2003 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger u.a. die Verletzung von §§ 397, 402 ZPO gerügt und
erneut beantragt, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seiner Begutachtung zu laden. Diesem Antrag hat das Berufungsgericht nicht stattgegeben.
c) Schon das Landgericht hätte den Sachverständigen laden müssen. War mithin das Verfahren in erster Instanz verfahrensfehlerhaft, so war das Berufungsgericht an die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht gebunden. Es hätte seinerseits den Sachverständigen laden müssen. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Recht der Partei auf mündliche Anhörung des medizinischen Sachverständigen haben auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozeßreformgesetz - ZPO-RG) vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 1887) ihre Gültigkeit behalten. Das Berufungsgericht durfte die auf Grund des Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zugrunde legen. Zwar ist ein Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 ZPO grundsätzlich an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO). Dabei können sich konkrete Anhaltspunkte auch aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. Senatsurteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 199/03 - VersR 2004, 1177, 1178, zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 245 bestimmt; BGH, Urteile vom 12. März 2004 - V ZR 257/03 - WM 2004, 845, 846, zur Veröffentlichung in BGHZ 158, 269 bestimmt und vom 19. März 2004 - V ZR 104/03 - zur Veröffentlichung in BGHZ 158, 295 bestimmt; Begründung des Regierungsentwurfs BT-Drucks. 14/4722, S. 100; MünchKommZPO/Aktualisierungsband-Rimmelspacher , aaO, § 529 Rdn. 12; Rimmelspacher, NJW-Sonderheft aaO, 11, 15; derselbe, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Wurden
Tatsachenfeststellungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen, kann auch die Unvollständigkeit des Gutachtens Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen wecken (vgl. Senatsurteile vom 15. Juli 2003 - VI ZR 361/02 - NJW 2003, 3480, 3481 und vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03 - VersR 2004, 1477, zur Veröffentlichung in BGHZ 159, 254 bestimmt ; Musielak/Ball, aaO, § 529 Rdn. 18; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 529 Rdn. 9).
d) Hiernach begründeten im Streitfall konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit der Feststellungen. Das Landgericht hat den Sachverständigen nicht zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens geladen, obwohl der Kläger dies mehrfach beantragt hatte. Das Recht der Partei, den Sachverständigen persönlich zu hören und diesem auch selbst Fragen zu stellen, bezieht sich auf medizinische Fragen, die für die Entscheidung erheblich sind und für die Erläuterungsbedarf geltend gemacht wird (vgl. OLG Oldenburg, NJWRR 1999, 178, 179). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bedarf der Antrag auf Ladung des Sachverständigen keiner besonderen Begründung. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Sachverständige nicht nur ein Erstgutachten, sondern - wie im Streitfall - ein Ergänzungsgutachten erstattet hat. Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur aus den Gesichtspunkten des Rechtsmißbrauchs und der Prozeßverschleppung (Senatsurteil vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - aaO). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles nimmt ersichtlich auch das Berufungsgericht nicht an. Ist dem Antrag in erster Instanz nicht entsprochen worden, bedarf es in zweiter Instanz entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch keiner Darlegung dazu, weshalb die unterbliebene Anhörung für die angefochtene Entscheidung ursächlich gewesen sei.
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre , war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung auch das weitere Vorbringen des Klägers im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen haben.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.