Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZR 40/10

bei uns veröffentlicht am10.03.2011
vorgehend
Landgericht Bückeburg, 2 O 176/05, 15.05.2009
Oberlandesgericht Celle, 7 U 103/09, 10.02.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 40/10
vom
10. März 2011
in dem Rechtsstreit
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Kuffer, Bauner,
Dr. Eick und Prof. Leupertz

beschlossen:
Der Beschwerde der Klägerin wird teilweise stattgegeben. Das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Februar 2010 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage wegen der Position 18100090 des sechsten Nachtrags (S. -Isokorb, 1.344,60 € netto) und wegen des im Dachgeschoss verwendeten Stahls (10.069 € netto) abgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen. Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde: 50.310,62 €; des stattgebenden Teils: 12.938,46 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Restwerklohn.
2
Sie wurde am 11. April 2003 vom Beklagten mit den Roharbeiten im Rahmen der Errichtung einer Seniorenwohnanlage zu einem Pauschalpreis von 1.106.480,40 € brutto beauftragt. Vertragsbestandteil waren die VOB/B sowie ein von der Streithelferin des Beklagten erstelltes Leistungsverzeichnis vom 27. November 2002, eine Aufstellung der Klägerin vom 6. Februar 2003 und ein weiteres Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003, in das verschiedene Änderungen eingearbeitet worden waren.
3
Die Klägerin hat zuletzt den ihr noch zustehenden Werklohn mit 74.636,16 € errechnet und diesen Betrag eingeklagt. Sie hat dabei Leistungen als zusätzlich in Rechnung gestellt, von denen der Beklagte der Meinung ist, sie seien vom Pauschalpreis umfasst. Das Landgericht hat der Klägerin 58.552,10 € nebst Zinsen zugesprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht diesen nur noch zur Zahlung von 8.241,48 € nebst Zinsen verurteilt. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie will mit der Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

II.

4
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg.
5
1. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht den Zuschlag von 1.344,60 € netto für die Position 18100090 - S. -Isokorb - aus dem 6. Nachtrag nicht zugesprochen hat.
6
a) Das Berufungsgericht führt insoweit aus, die Klägerin könne diesen Betrag nicht verlangen, weil von ihr nicht ausreichend dargetan sei, dass es sich tatsächlich um eine zusätzliche Leistung handele. Damit hat es, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen. Es hätte die Klägerin auf seine Beurteilung hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu ergänzen.
7
b) Zwar stellt nicht jeder Verstoß gegen § 139 ZPO eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Vorschrift geht über das verfassungsrechtlich gebotene Minimum hinaus (BVerfG, NJW-RR 2005, 936, 937). Es bedarf vielmehr im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (BVerfGE 60, 305).
8
Das ist hier jedoch der Fall. Die Klägerin hatte zu dieser Position in erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe den S. -Isokorb zunächst in einer einfachen, dann aber in einer teureren Ausführung gewünscht. Der Beklagte und seine Streithelferin haben sich dazu nicht im Einzelnen geäußert, sondern nur allgemein behauptet, es seien keine Zusatzaufträge erteilt worden. Das Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz wurde die Position vom Beklagten und seiner Streithelferin wiederum nicht ausdrücklich angesprochen, sondern generell die Erteilung von Zusatzaufträgen bestritten.

9
Bei dieser Sachlage stellt es eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Berufungsgericht ohne vorherigen Hinweis im Gegensatz zu der Beurteilung des Landgerichts den Vortrag der Klägerin als nicht ausreichend ansieht (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 197/01, BauR 2002, 1432 = ZfBR 2002, 678).
10
c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Klägerin auf einen entsprechenden Hinweis hin ergänzend dargelegt, dass die Isokörbe im Obergeschoss eingebaut worden seien, an der Decke über dem Erdgeschoss, und dass ihr erst nach Auftragsvergabe insoweit Ausführungspläne übergeben worden seien, die andere Isokörbe vorgesehen hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass dann das Berufungsgericht diese Position als eine vergütungspflichtige zusätzliche Leistung angesehen hätte.
11
2. Das Berufungsurteil beruht des Weiteren auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht der Klägerin einen Betrag von 10.069 € netto für den im Dachgeschoss verwendeten Stahl nicht zuerkannt hat.
12
a) Das Berufungsgericht führt hierzu aus: Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen spreche einiges dafür, dass die von der Klägerin in Ansatz gebrachte größere Stahlmenge bereits im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 berücksichtigt worden sei. Es sei nun Sache der Klägerin zu beweisen , dass ungeachtet dessen tatsächlich mehr Stahl verwendet worden sei, als im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 vorgesehen. Diesen Beweis könne die Klägerin nicht erbringen.
13
Damit hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG erheblichen Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt und abermals gegen seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen.
14
b) Die Klägerin ist in erster Instanz den Ausführungen des Sachverständigen entgegengetreten. Sie hat vorgetragen: Die im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 enthaltene größere Stahlmenge habe mit dem im Dachgeschoss verwendeten Stahl nichts zu tun. Dort sei ursprünglich eine Holzkonstruktion vorgesehen gewesen, was dann geändert worden sei. In ihrer Aufstellung vom 6. Februar 2003, die Vertragsbestandteil geworden sei, sei festgehalten, dass die Stahlkonstruktion der Dachkonstruktion nicht enthalten sei. Bisher sei diese Position auch nicht strittig gewesen.
15
Der Beklagte hat sich hierzu nicht geäußert. Seine Streithelferin hat lediglich ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen könnten die Mengen nicht nachvollzogen werden und seien bereits im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 enthalten; dem sei nichts hinzuzufügen. Sie legt aber nicht dar, warum sie diese Position in ihrer Prüfung der Schlussrechnung vom 11. November 2004 lediglich geringfügig reduziert und in ihrer weiteren Prüfung vom 15. Februar 2005 völlig unbeanstandet gelassen hat. Das Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin noch einmal darauf hingewiesen, dass das Sachverständigengutachten hinsichtlich der Position Stahl im Dachgeschoss angreifbar sei. Es ist daher nichts dafür ersichtlich, dass sie ihren erstinstanzlichen Vortrag nicht mehr aufrechterhalten wollte. Der Beklagte und die Streithelferin haben sich mit der Position in der Berufungsinstanz nicht mehr befasst.
16
Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht den zentralen Vortrag der Klägerin zu dieser Position nicht zur Kenntnis genommen hat. Es hat zudem dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, dass es trotz der gegenteiligen Beurteilung durch das Landgericht und eines fehlenden konkreten Angriffs des Beklagten ohne vorherigen Hinweis die Klage in diesem Punkt abgewiesen hat.
17
c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Klägerin nach dem gebotenen Hinweis auf ihren oben wiedergegebenen Vortrag hingewiesen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, wenn es den Vortrag berücksichtigt hätte.

III.

18
Im Übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde abgesehen, weil sie nicht geeig- net wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Kniffka Kuffer Bauner Eick Leupertz
Vorinstanzen:
LG Bückeburg, Entscheidung vom 15.05.2009 - 2 O 176/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 10.02.2010 - 7 U 103/09 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZR 40/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZR 40/10

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZR 40/10 zitiert 4 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

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(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

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Bundesgerichtshof Urteil, 16. Mai 2002 - VII ZR 197/01

bei uns veröffentlicht am 16.05.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNISURTEIL VII ZR 197/01 Verkündet am: 16. Mai 2002 Fahrner, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZR 40/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Jan. 2017 - XI ZR 365/14

bei uns veröffentlicht am 10.01.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XI ZR 365/14 vom 10. Januar 2017 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2017:100117BXIZR365.14.0 Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Ma

Referenzen

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VII ZR 197/01 Verkündet am:
16. Mai 2002
Fahrner,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Das Berufungsgericht verletzt seine Hinweispflicht aus §§ 139 Abs. 1, 278 Abs. 3
ZPO, wenn es ohne vorherigen Hinweis eine Klage wegen fehlender schlüssiger
Darstellung zur Sachbefugnis abweist, nachdem die Vorinstanz dieser stattgegeben
hatte.
BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 197/01 - OLG Düsseldorf
LG Krefeld
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. April 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Drittschuldnerin in Anspruch. Die Beklagte beauftragte im Januar 1995 die aus den Gesellschaftern H. und K. bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (nachfolgend: H. & K.-GbR) mit den Sanitär- und Heizungsarbeiten an einem Vorhaben in E. zu einem Pauschalpreis. Zu diesem Zeitpunkt betrieben H. und K. unter der Bezeichnung "Fa. H. & K.-GbR" dieses Handwerk. Im Juni 1995 wurde die H + K Industrie- und Rohrleitungsbau OHG, deren persönlich haftende Gesellschafter H. und K. waren (künftig: H. & K.-OHG),
ins Handelsregister eingetragen. Diese erstellte im Juli 1996 eine letzte Abschlagsrechnung für die Arbeiten und machte 125.861,78 DM geltend. Die H. & K.-OHG wurde im Juli 1997 gelöscht. Im März 1998 erwirkte die Klägerin wegen titulierter Ansprüche gegen die H. & K.-OHG einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, in dem die Werklohnforderungen der H. & K.-OHG gegen die Beklagte aus den Bauvorhaben "E." und einem anderen Bauvorhaben gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurden. Die Klägerin hat von der Beklagten 80.000 DM verlangt. Das Landgericht hat der Klage nach Beweisaufnahme über die Berechtigung der gepfändeten Forderung gegen die Beklagte in Höhe von 70.891,17 DM stattgegeben. Die gepfändete Forderung bestehe. Aus dem Werkvertrag der Vollstreckungsschuldnerin stehe noch eine Restvergütung offen. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin, das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Die Beklagte ist in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB, § 26 Nr. 7 EGZPO).

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Pfändung sei ins Leere gegangen und deshalb wirkungslos. Die Klägerin habe nicht schlüssig dargetan, daß die gepfändete Werklohnforderung aus dem Bauvorhaben in E. der H. & K.-OHG als Vollstreckungsschuldnerin zustehe. Der Werkvertrag sei mit der H. & K.-GbR geschlossen worden. Daß und in welcher Weise die später durch Eintragung in das Handelsregister existent gewordene H. & K.-OHG Inhaberin der Werklohnforderung geworden sei, habe die Klägerin nicht dargetan. Denkbar sei eine formwechselnde Umwandlung der BGB-Gesellschaft in eine OHG unter Wahrung der Identität. Denkbar sei aber auch, daß die H. & K.-OHG durch H. und K. unabhängig von der fortbestehenden BGB-Gesellschaft gegründet worden sei und beide Gesellschaften nebeneinander bestanden hätten. Dafür spreche, daß sowohl He. als auch K. es so dargestellt hätten, daß die Gesellschaft bürgerlichen Rechts den das Bauvorhaben E. betreffenden Auftrag ausgeführt hätte und im Jahre 1997 liquidiert worden sei.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Revision beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht gegen die Hinweispflichten aus § 139 Abs. 1, § 278 Abs. 3 ZPO verstoßen hat. 1. Das Gericht genügt seiner Pflicht nach den § 139 Abs. 1, § 278 Abs. 3 ZPO nur, wenn es die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, der von seinem
materiell-rechtlichen Standpunkt aus gesehen entscheidungserheblich ist, unmiûverständlich hinweist und ihnen die Möglichkeit eröffnet, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen. Diese Hinweispflicht besteht grundsätzlich auch in Prozessen, in denen die Partei durch einen Prozeûbevollmächtigten vertreten wird, jedenfalls dann, wenn der Prozeûbevollmächtigte die Rechtslage ersichtlich falsch beurteilt (Senatsurteil vom 27. Oktober 1994 - VII ZR 217/93, BGHZ 127, 254, 260). Das Berufungsgericht hat auf Bedenken hinzuweisen, wenn es entgegen der von der ersten Instanz gebilligten Ansicht das Klagevorbringen nicht als schlüssig ansieht (BGH, Urteil vom 25. Mai 1993 - XI ZR 141/92, NJWRR 1994, 566). 2. Diese Grundsätze verkennt das Berufungsgericht.
a) Die Beklagte hat in erster Instanz die Berechtigung der Klägerin zur Geltendmachung der Forderung nicht wegen des vom Berufungsgericht verneinten Übergangs der Forderung von der GbR auf die OHG in Abrede gestellt. Sie hat die Sachbefugnis der Klägerin aus anderen Gründen in Zweifel gezogen. Als die Klägerin im Laufe des Verfahrens den Pfändungs- und Überweisungsbeschluû erwirkte, hat die Beklagte im Schriftsatz vom 23. März 1998 sogleich eingeräumt, daû die Klägerin ihre Sachbefugnis nunmehr schlüssig dargelegt habe.
b) Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daû die gepfändete Forderung aus dem Bauvorhaben "E." der H. & K.-OHG zusteht. Im Berufungsverfahren ist die Schlüssigkeit im Hinblick auf den Übergang der Forderung von der GbR auf die OHG von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden.
c) Es erweist sich somit als eine unzulässige Überraschungsentscheidung , daû das Berufungsgericht die Klage allein deshalb abgewiesen hat, weil
ein Übergang der Forderung von der H. & K.-GbR auf die H. & K.-OHG nicht schlüssig dargetan sei. Die Frage der Neugründung der OHG oder der formwechselnden Umwandlung wurde von keiner Partei erörtert. Die Klageabweisung wird insofern auf eine neue rechtliche Erwägung gestützt, auf die vor der Entscheidung hätte hingewiesen werden müssen. 3. Auf dem Verstoû gegen die Hinweispflicht beruht das angefochtene Urteil.
a) Die Revision führt aus, die Klägerin hätte nach einem Hinweis des Berufungsgerichts zur Schlüssigkeit vorgetragen, daû die H. & K.-OHG nach Umwandlung Forderungsinhaberin geworden sei. Sie hätte das durch Antrag auf Beiziehung der Handelsregisterakten unter Beweis gestellt. Ferner hätte sie darauf hingewiesen, daû die H. & K.-OHG die letzte Abschlagsrechnung im Juli 1996 für den von der H. & K.-GbR am 21. Januar 1995 geschlossenen Werkvertrag erstellt habe. Die Gesellschaft bürgerlichen Recht sei durch Aufnahme eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes zu einer offenen Handelsgesellschaft geworden. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts habe lediglich ihren rechtlichen Charakter geändert. In diesem Fall liege keine Neugründung vor (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1966 - VIII ZR 195/64, BB 1967, 143).
b) Die Revision weist darauf hin, daû dieses Vorbringen auch nicht im Widerspruch zur Aussage der in erster Instanz vernommenen Zeugen He. und K. stehe. Der Zeuge He. habe in seiner schriftlichen Äuûerung zu dieser Fragestellung keine Angaben gemacht. Der Zeuge K. habe lediglich bekundet, daû die H. & K.-GbR im Jahre 1997 liquidiert und anschlieûend die H. & K.-OHG gegründet worden sei. Abgesehen davon, daû erhebliche Zweifel bestünden, ob K. sich als Laie zu gesellschaftsrechtlichen Fragen fachkundig äuûern könne , seien dessen Angaben nicht mit den Eintragungen im Handelsregister in
Einklang zu bringen. Danach sei die H. & K.-OHG bereits am 30. Juni 1995 im Handelsregister eingetragen und am 18. September 1997 gelöscht worden. Dann könne die H. & K.-GbR nicht im Jahre 1997 liquidiert und anschlieûend die H. & K.-OHG gegründet worden sein.

III.

Danach hat das Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Ullmann Hausmann Kuffer Kniffka Bauner

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.