Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06

bei uns veröffentlicht am13.02.2007
vorgehend
Amtsgericht Charlottenburg, 232 C 87/05, 30.09.2005
Landgericht Berlin, 64 S 448/05, 28.03.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 40/06
vom
13. Februar 2007
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Dr. Wolst und Dr. Frellesen, die Richterin
Dr. Milger sowie den Richter Dr. Koch

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer 64 des Landgerichts Berlin vom 28. März 2006 aufgehoben. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 30. September 2005 gewährt. Der Beschwerdewert wird auf 12.502,44 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Die Klägerin begehrt Räumung einer Mietwohnung. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen das ihr am 17. Oktober 2005 zugestellte Urteil am 15. November 2005 form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist bis zum 19. Januar 2006 verlängert worden. Die - 15 eng beschriebene Seiten umfassende - Berufungsbegründung der Klägerin ist am 20. Januar 2006 beim Berufungsgericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag hat die Klägerin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Fristversäumung beruhe ausschließlich auf einem Versehen einer erfahrenen und zuverlässigen Bürokraft ihres Prozessbevollmächtigten bei der Texterstellung der Berufungsbegründungsschrift. Ihr Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz wegen seines Umfangs am 18. und 19. Januar 2006 - bis nachmittags - in sieben einzelnen Teilen diktiert. Dies habe einer üblichen, seit langem gehandhabten und bewährten Vorgehensweise des Rechtsanwalts entsprochen. Wie auch sonst bei in mehreren Teilen diktierten Schriftsätzen habe eine Angestellte des Rechtsanwalts für jedes Diktat ein gesondertes Textdokument angelegt und die jeweils vom Anwalt nach Durchsicht angeordneten Korrekturen vorgenommen. Bei der Zusammenfügung der Teildokumente zu einem einheitlichen Schriftsatz seien der Schreibkraft am Computer jedoch Bedienungsfehler unterlaufen, die sie zunächst nicht bemerkt habe. Erst beim Ausdruck des zusammengestellten Textes um 23.35 Uhr habe sie festgestellt, dass etwa die Hälfte des Textes fehlte , hingegen andere Textteile sinnentstellend doppelt vorhanden gewesen seien. Die Suche nach dem zunächst verschwundenen Textteil und die Ordnung der falsch zusammengestellten Textpassagen habe fast eine Stunde in Anspruch genommen und erst am 20. Januar 2006 gegen 0.30 Uhr abgeschlossen werden können. Ein solcher Fehler sei der Angestellten, die mit dem verwendeten Programm vertraut und seit mehreren Jahren im Spätdienst mit derartigen Aufgaben bei fristgebundenen Schriftsätzen befasst sei, noch nie unterlaufen.
2
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag durch Beschluss vom 28. März 2006 zurückgewiesen und gleichzeitig die Berufung der Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:
3
Die Klägerin sei nicht ohne ihr Verschulden verhindert gewesen, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten, denn die Fristversäumung beruhe auf einem Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sie sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Die von diesem gewählte Methode, den Schriftsatz aus verschiedenen Textdokumenten zusammenstellen zu lassen, berge von vornherein erhebliche Fehlerquellen, die bei der Behandlung von Fristsachen durch geeignete organisatorische Maßnahmen hätten verhindert werden müssen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte deshalb entweder eine andere Organisation der Erstellung der Berufungsbegründungsschrift wählen oder zum Ausgleich der organisatorischen Schwächen der gewählten Vorgehensweise zusätzlich Zeit einplanen müssen.

II.

4
1. Die gegen den vorgenannten Beschluss des Landgerichts nach § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, unter II 1 bb m.w.N.).
5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
6
Das Berufungsgericht hat der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Unrecht versagt. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden verhindert, die vorgenannte Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts trifft den Prozessbevollmächtigten der Klägerin kein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden.
7
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Prozessbevollmächtigte einer Partei durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür Sorge zu tragen hat, dass ein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1996 - II ZB 19/96, NJW-RR 97, 562 unter II; Beschluss vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688 unter II 2 a aa, st.Rspr.). Hierzu gehört auch, dass der Anwalt durch rechtzeitiges Diktat eines fristgebundenen Schriftsatzes sicherstellt, dass die weiteren Schritte - Schreiben des Textes, Überprüfung und Unterzeichnung durch den Rechtsanwalt , Übermittlung an das zuständige Gericht - noch innerhalb der Frist erfolgen können.
8
b) Nach dem durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten Vortrag der Klägerin ist aber davon auszugehen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den vorstehenden Anforderungen gerecht geworden ist und die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung ausschließlich auf einem Verschulden der Rechtanwaltsgehilfin G. beruht, das sich die Klägerin nicht zurechnen lassen muss.
9
Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter die Einzeldiktate der Berufungsbegründung am Nachmittag des 19. Januar 2006 abgeschlossen hatte und deshalb nach der Organisation seines Schreibdienstes davon ausgehen konnte, dass die verbleibende Zeit ausreichen würde, den Schriftsatz unterschriftsreif fertig zu stellen und nach Durchsicht und Unterschrift noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist an das zuständige Gericht zu übermitteln. Bei der auch sonst im Spätdienst eingesetzten Angestellten G. handelte es sich nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin um eine erfahrene, mit der in der Kanzlei üblichen Verfahrensweise zur Erstellung umfangreicher Schriftsätze und dem dafür verwendeten Programm vertraute Schreibkraft, die auch seit mehreren Jahren darin geübt war, Schriftsätze aus einzelnen Textteilen zusammenzufügen, ohne dass es dabei zu Fehlern gekommen war.
10
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes liegt ein Organisationsverschulden des Anwaltes nicht darin, dass er - am letzten Tag der Frist - den Schriftsatz nicht "in einem Stück" abfasste. Die von ihm gewählte Methode, den Schriftsatz in einzelnen Teilen zu diktieren, barg nach den getroffenen Vorkehrungen keine Fehlerquellen, die die Einplanung eines größeren Zeitpolsters erfordert hätten, denn es handelt sich dabei für eine in der Textverarbeitung erfahrene Schreibkraft um eine Routineaufgabe.
11
Dem Berufungsgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Sorgfaltspflichten verletzt hat, als gegen 23.35 Uhr der Bedienungsfehler seiner Angestellten offenbar wurde. Zwar hat ein Anwalt bei Ausschöpfung einer Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag wegen des damit verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden , um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschluss vom 23. April 1998 - I ZB 2/98, NJW 1998, 2677 unter II; Beschluss vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1502 unter II 2; Beschluss vom 9. Mai 2006 - XI ZB 45/04, NJW 2006, 2637 unter II 2 a). Auch gegen diese erhöhten Sorgfaltsanforderungen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach dem glaubhaft gemachten Sachverhalt aber nicht verstoßen. Die vom Berufungsgericht unterstellte Möglichkeit, den Text erneut aus den Einzeldokumenten zusammenzusetzen , bestand danach vor Fristablauf nicht, weil die Angestellte G. zunächst einen wesentlichen Teil des Textes im Schreibsystem nicht wieder finden konnte. Eine entsprechende Anweisung des Rechtsanwaltes, mit der Zusammenfügung der Einzeltexte erneut zu beginnen, wie sie das Berufungs- gericht für erforderlich gehalten hat, hätte deshalb die Einhaltung der Frist nicht sicherstellen können. Ball Dr.Wolst Dr.Frellesen Dr.Koch Dr.Milger
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 30.09.2005 - 232 C 87/05 -
LG Berlin, Entscheidung vom 28.03.2006 - 64 S 448/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 575 Frist, Form und Begründung der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung der E
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06 zitiert 6 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 575 Frist, Form und Begründung der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung der E

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04

bei uns veröffentlicht am 23.06.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 9/04 vom 23. Juni 2004 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter F

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2003 - V ZB 28/03

bei uns veröffentlicht am 23.10.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 28/03 vom 23. Oktober 2003 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 574 Abs. 2 Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten Partei auf Gewährun

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2003 - VI ZB 50/03

bei uns veröffentlicht am 04.11.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 50/03 vom 4. November 2003 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 Fb a) In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, daß eine mündliche Ei

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2006 - XI ZB 45/04

bei uns veröffentlicht am 09.05.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XI ZB 45/04 vom 9. Mai 2006 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja _____________________ ZPO § 233 B Zur Frage, wie sich ein pflichtbewusster Rechtsanwalt verhalten muss, wenn die Berufun
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2007 - VIII ZB 40/06.

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Jan. 2012 - VIII ZB 95/11

bei uns veröffentlicht am 17.01.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VIII ZB 95/11 vom 17. Januar 2012 in dem Rechtsstreit Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Hessel und die Richter Dr. Achilles, Dr. Schn

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Mai 2017 - VIII ZB 5/16

bei uns veröffentlicht am 09.05.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VIII ZB 5/16 vom 9. Mai 2017 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2017:090517BVIIIZB5.16.0 Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Mai 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richter Prof. D

Referenzen

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und
2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2,
3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.

(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/03
vom
23. Oktober 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten
Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, so ist die nach § 574 Abs. 1
Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unabhängig davon zulässig
, ob sich der Rechtsverstoß auf das Endergebnis auswirkt.
Eine konkrete Anweisung des Anwalts im Einzelfall macht nur dann allgemeine organisatorische
Regelungen obsolet, wenn diese durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung
für die Einhaltung der Frist verlieren; das ist nicht der Fall, wenn die Weisung
nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung
aber darauf beruht, daß es an ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen
dazu fehlt, unter welchen Voraussetzungen eine Frist nach Übermittlung
fristwahrender Schriftsätze per Telefax als erledigt vermerkt werden darf.
BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - LG Konstanz
AGÜberlingen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. Oktober 2003 durch die
Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin
Dr. Stresemann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 2. April 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:


I.


Gegen das ihr am 7. November 2002 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 8. Januar 2003 bei dem Landgericht eingegangen.
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu folgendes ausgeführt : Ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Begründungsschriftsatz am 7. Januar gefertigt und unterzeichnet und die bei ihm beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte W. gegen 17.15 Uhr angewiesen, ihn per Fax an das Landgericht zu senden. Diese habe zwar mehrfach versucht zu faxen, was aber , weil sie versehentlich eine falsche Nummer gewählt habe, erfolglos geblieben sei. Sie habe angenommen, das Empfängergerät sei belegt, und habe sich zunächst anderen Aufgaben zugewendet, darüber aber die Angelegenheit ver-
gessen. Später habe sie die Frist im Kalender als erledigt eingetragen, so daß dem Prozeßbevollmächtigten bei dessen Kontrolle gegen 20.00 Uhr das Versäumnis nicht aufgefallen sei.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.


1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
aa) Allerdings liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein Fall einer Divergenz zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. Juni 2000 (VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006) vor. Eine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründende Abweichung ist nämlich nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts (Senat, BGHZ 151, 42; BGHZ 89, 149, 151). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Berufungsgericht geht - im Einklang mit der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes - davon aus, daß üblicherweise in Anwaltskanzleien auftretende Schwankungen der Arbeitsbelastung die Sorgfalts-
pflicht des Prozeßbevollmächtigten im Hinblick auf die Organisation eines reibungslos und fehlerfrei funktionierenden Geschäftsbetriebs nicht erhöhen. Es meint lediglich, im konkreten Fall hätten Umstände vorgelegen, die über das Übliche einer Mehrbelastung hinausgingen und daher zu besonderen Maßnahmen Anlaß gegeben hätten. Ist diese Auffassung - wie hier (siehe im folgenden ) - falsch, so liegt darin zwar eine rechtsfehlerhafte Würdigung. Doch wird damit kein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes entgegensteht.
bb) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht aber auf einer Würdigung , die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Die Annahme, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe angesichts der "besonderen Situation am Nachmittag" des 7. Januars 2003 eine eigenständige Prüfung der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist vornehmen müssen, entbehrt jeder Grundlage. Unscharf ist schon der Ansatz. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist war an sich nicht gefährdet. Der Prozeßbevollmächtigte hatte den Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und dessen Übermittlung per Fax verfügt. Welche zusätzlichen Maßnahmen er hätte ergreifen sollen, worin sich die nach Auffassung des Berufungsgerichts gebotene erhöhte Sorgfaltspflicht hätte äußern sollen, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht gesagt. Dafür ist auch nichts erkennbar. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxüber-
mittlung kann der Anwalt seinem Personal überlassen (BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003, VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 m. zahlr. Nachw.). Er braucht sie nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren. Im übrigen ist hier nach dem Vorbringen der Beklagten sogar eine Kontrolle erfolgt, die aber wegen des falschen Erledigungsvermerks ohne Befund blieb.
Wenn man in dieser konkreten Situation ein Weiteres von dem Anwalt verlangen wollte, so überspannte man die Sorgfaltsanforderungen. Denn solche Maßnahmen könnten nur in einer Beaufsichtigung des Übermittlungsvorgangs selbst oder in einer sofortigen Kontrolle sogleich nach Durchführung bestehen. Dies kann höchstens ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juni 2000, VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006), wenn ein geordneter Geschäftsbetrieb infolge besonderer Umstände nicht mehr gewährleistet ist. Solche Umstände hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Daß eine Rechtsanwaltsangestellte über ihre normale Dienstzeit hinaus arbeiten muß und daß drei fristgebundene Sachen zusätzlich zu bearbeiten sind, bedingt keine Situation, die ein ausreichend organisiertes Büro nicht bewältigen könnte. Im übrigen sollte die Übermittlung per Telefax zunächst, nur wenige Minuten nach dem üblichen Dienstschluß, erfolgen, und es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Bearbeitung weiterer Fristsachen, die sich bis 19.30 Uhr hinzog, diese einfache Tätigkeit hätte stören oder in einer Weise gefährden können, daß ein Eingreifen des Anwalts erforderlich gewesen wäre.
cc) Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde , ob er sich auf das Ergebnis auswirkt. Insoweit besteht ein Unterschied zum Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO), in dem eine nicht entscheidungserhebliche Frage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision gebietet (Senat, Beschl. v. 25. Juli 2002, V ZR 118/02, NJW 2002, 3180, 3181; Urt. v. 18. Juli 2003, V ZR 187/02, Umdruck S. 9, zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02, NJW 2003, 831). Dieser Unterschied beruht auf folgendem: Anders als das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Rechtsbeschwerde ein Rechtsmittel, das zur Entscheidung über die Sache führt. Dabei hängt - wie stets - die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Fragen der Begründetheit ab. Liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO vor, so ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Ob die angefochtene Entscheidung gleichwohl Bestand hat, ist eine Frage der Begründetheit. Beides miteinander zu verquicken, hieße, die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, weil es an der Begründetheit fehlt. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es demgegenüber nicht um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern nur um die Frage, ob eine Sachüberprüfung im Revisionsverfahren geboten ist. Bei dieser Prüfung kann und muß berücksichtigt werden, ob die unter die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO subsumierbaren Rechts- oder Verfahrensfragen im konkreten Fall entscheidungserheblich sind oder nicht. Sind sie es nicht, besteht kein Anlaß für eine Zulassung; denn es kommt auf sie letztlich nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt , daß sie ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Es ist nicht ausgeräumt, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes (Organisations-) Verschulden vorzuwerfen ist,
das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Das ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten:
Zum einen hat der Anwalt organisatorische Vorkehrungen zu treffen, daß Fristen im Fristenkalender erst dann mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, daß von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1993, II ZB 7/93, VersR 1994, 703; Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 60 m.w.N.). Zum anderen muß der Anwalt bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax die Ausgangskontrolle organisatorisch dahin präzisieren , daß er die damit befaßten Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, der die ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (Senat, Beschl. v. 9. Februar 1995, V ZB 26/94, VersR 1995, 1073, 1074). Er muß ferner Vorsorge für Störfälle treffen, um sicherzustellen, daß der Übermittlungsvorgang entweder vollständig wiederholt wird oder daß der Anwalt selbst über geeignete andere Maßnahmen entscheidet.
Ob solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bestanden, ist nicht vorgetragen worden. Die bloße Angabe, vor Büroschluß werde kontrolliert, ob alle Fristen erledigt seien, erst danach werde die Frist gelöscht, genügt nicht den vorstehenden Anforderungen. Soweit die Beklagte in einem nach Erlaß des angefochtenen Beschlusses bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz nähere Angaben zur Ausgangskontrolle gemacht hat, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Derjenige, der Wiedereinsetzung beantragt, muß die Gründe, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vor-
bringen (BGH, Beschl. v. 12. Mai 1998, VI ZB 10/98, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 Antragsbegründung 3). Zwar können erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH aaO; Beschl. v. 9. Juli 1985, VI ZB 10/85, VersR 1985, 1184, 1185). Das hilft der Beklagten im konkreten Fall aber schon deswegen nicht, weil die ergänzenden Angaben nach Erlaß der Entscheidung gemacht worden sind und daher für das Rechtsbeschwerdegericht nicht verfügbar sind. Seiner Beurteilung unterliegt - anders als im früheren Verfahren der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO a.F.) - nur der in den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt sowie der auf Verfahrensrüge zu beachtende dortige Sachvortrag. Soweit die Rechtsbeschwerde den neuen Sachvortrag mit Hilfe einer Aufklärungsrüge einführen möchte, ist ihr nicht zu folgen. Es bestand für das Berufungsgericht keine Pflicht, die anwaltlich vertretene Beklagte auf die nicht ausreichenden Gründe ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluß darauf , daß entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen organisatorischer Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze nicht deswegen unerheblich, weil der Prozeßbevollmächtigte eine konkrete Einzelweisung erteilt hat. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, daß es auf allgemeine organisatorische Regelungen nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall
konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Urt. v. 6. Oktober 1987, VI ZR 43/87, VersR 1988, 185, 186; Beschl. v. 26. September 1985, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Dabei ist jedoch auf den Inhalt der Einzelweisung und den Zweck der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen Rücksicht zu nehmen. Weicht ein Anwalt von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er stattdessen für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die eine Fristwahrung gewährleisten, so sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01, NJW-RR 2002, 1289). Anders ist es hingegen, wenn die Einzelweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegenzuwirken. So ersetzt z.B. die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle und macht etwa hier bestehende Defizite unerheblich (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Ebenso liegt es, wenn der Anwalt von der Eintragung der Sache in den Fristenkalender absieht und die Anweisung erteilt, den fertiggestellten Schriftsatz in die Ausgangsmappe für die Post zum Berufungsgericht zu legen (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZR 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45). Denn in diesem Fall würde eine Frist als erledigt vermerkt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdn. 23 S. 698).
Besteht hingegen - wie hier - die Anweisung nur darin, die Übermittlung eines Schriftsatzes sofort per Fax zu veranlassen, so fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig , daß Anweisungen darüber bestehen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen. Bestehen sie nicht, entlastet es den Anwalt nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt , eine Übermittlung per Telefax anzuordnen. Dem entspricht es, daß z.B. der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01) einen solchen Übermittlungsauftrag nur für ausreichend erachtet hat, wenn jedenfalls die betreffende Angestellte allgemein angewiesen war, die Telefaxübermittlung jeweils anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts zu kontrollieren.

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 50/03
vom
4. November 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen
sein, daß eine mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine
Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät
und die Fristeintragung deshalb unterbleibt.

b) Werden die (gegen das Vergessen einer lediglich mündlichen Anweisung) getroffenen
organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung
gegen die Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht
, ist ein Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2
ZPO) zu vermuten und der Antrag zurückzuweisen.
BGH, Beschluß vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - LG Saarbrücken
AG Saarbrücken
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. November 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß der 13. Zivilkammer A des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juli 2003 wird als unzulässig verworfen. Der Kläger hat auch die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 1.565,74

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 17. April 2003 die Klage abgewiesen. Die Berufungsfrist lief am 30. Mai 2003 ab. Die Berufung des Klägers ist am 17. Juni 2003 zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beim Landgericht eingegangen. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, er habe am 13. Mai 2003 seine Prozeßbevollmächtigten mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt. Der die Sache bearbeitende Assessor T. habe die Unterlagen zur Neuanlage der Akte, Notierung der Berufungsfrist auf den 30. Mai 2003 und der Berufungsbegründungsfrist auf den 30. Juni 2003 an die Fachangestellte C. verfügt. Bei einer
routinemäßigen Durchsicht der Akte zur Vorbereitung der Berufungsbegründung am 13. Juni 2003 habe T. festgestellt, daß die Berufung nicht eingelegt war und die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im Terminbuch nicht eingetragen gewesen seien. Auf Frage habe die Mitarbeiterin C. mitgeteilt, sie habe trotz entsprechender Weisung versäumt, die Fristen einzutragen. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 8. Juli 2003 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen. Der Kläger habe nichts dazu vorgetragen, in welcher Form der Fristenkalender bei seinen Prozeßbevollmächtigten geführt werde, ob hier eine Wiedervorlagefrist verfügt und ob der Zustellungstag in der Handakte vermerkt worden sei. Eine Überprüfung, ob die Fristeneintragung und -überwachung ausreichend organisiert gewesen sei, sei nicht möglich. Von einem fehlenden Verschulden des zweitinstanzlichen Anwalts an der Fristversäumung könne daher nicht ausgegangen werden. Gegen den ihm am 18. Juli 2003 zugestellten Beschluß des Landgerichts hat der Kläger am 12. August 2003 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Begründungsfrist am 18. September 2003 begründet.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist entgegen der Ansicht des Klägers zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO) nicht erforderlich.
1. Eine Divergenz (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 – NJW-RR 2003, 1366; BGHZ 151, 221, 225 f.) macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend. 2. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (vgl. Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 – aaO; BGHZ aaO). Das kann insbesondere auch bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Fall sein, etwa wenn der angefochtene Beschluß die Partei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BGH, Beschluß vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - VersR 2003, 1144, 1146, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. Senatsbeschluß vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - aaO) beeinträchtigt. Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten muß nach den Darlegungen des Beschwerdeführers im Einzelfall klar zutage treten, also offenkundig sein; ferner muß die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen (vgl. BGHZ aaO und BGH, Beschluß vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - aaO). Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einem entscheidungserheblichen klar zutage tretenden Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte des Klägers; sie ist zudem einzelfallbezogen und erfordert deshalb keine korrigierende Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
a) Dies gilt insbesondere, soweit das Berufungsgericht Angaben zur allgemeinen Organisation und Fristenkontrolle vermißt, obwohl der Kläger eine
Einzelanweisung seines Berufungsanwalts im konkreten Fall zur Fristeintragung vorgetragen hat, die von der Fachangestellten versehentlich nicht berücksichtigt worden sei. Die Rechtsbeschwerde verkennt die für einen solchen Fall in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren , wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Das ist hier nicht der Fall. Die Versäumung der Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden des zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. aa) Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels setzt voraus, daß die Berufungsschrift rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muß der Anwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen (vgl. BGH, Beschluß vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - VersR 2002, 380, 381). Dabei setzt eine wirksame Fristenkontrolle voraus, daß Fristen zur Einlegung und Begründung von Rechtsbehelfen deutlich als solche gekennzeichnet werden. Sie müssen so notiert werden, daß sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen unterscheiden (vgl. BGH, Beschluß vom 21. Juni 2000 - XII ZB 93/00 - VersR 2001, 607, 608). Ferner obliegt dem Prozeßbevollmächtigten eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, daß fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Er hat sicherzustellen , daß eine Frist im Fristenkalender erst dann als erledigt gekennzeichnet wird, wenn der Schriftsatz abgesandt oder zumindest postfertig gemacht ist (vgl. BGH, Beschluß vom 2. März 2000 - V ZB 1/00 - VersR 2000, 1564). Daß die Organisation der Fristenkontrolle im Büro seines Prozeßbevollmächtigten diesen Anforderungen genügt hätte, hat der Kläger weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Das Berufungsgericht hat hiernach ohne Rechtsfehler ein
Verschulden des Klägers bzw. seines Prozeßbevollmächtigten für nicht ausgeschlossen erachtet und dementsprechend den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 1995 - I ZB 15/95 - VersR 1996, 256, 257 und vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94 - VersR 1995, 72, 73). bb) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang darauf, vorliegend komme es auf die allgemeine Organisation der Fristenkontrolle im Büro der Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht an, weil die Fachangestellte eine auf den konkreten Fall bezogene Einzelanweisung zur Fristeintragung versehentlich nicht befolgt habe. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers hierzu nicht übergangen und nicht gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen. Allerdings braucht ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - VersR 1992, 764, 765). Im allgemeinen kann er ferner darauf vertrauen, daß eine sonst zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Weisungen richtig befolgt (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185, 186). In der Anwaltskanzlei müssen jedoch ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, daß die mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. September 2002 - VI ZR 419/01 - NJW 2002, 3782, 3783 und vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435, 436). Wenn ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungsfrist nur mündlich vermittelt wird, dann bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - aaO).

b) Aus demselben Grund ist auch keine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzunehmen. Der Rechtsbeschwerde kann nicht darin gefolgt werden, daß auch bei Beachtung der erforderlichen Organisationsmaßnahmen die Fehlleistung der Büroangestellten nicht vermieden worden wäre. Sie verkennt, daß es nicht darum geht, die Möglichkeit eines Fehlers auszuschließen. Es muß vielmehr Vorsorge dagegen getroffen werden, die Folgen eines Fehlers von Büroangestellten möglichst zu vermeiden. Das aber wäre durch eine Kontrolle der Fristeintragung erreicht worden, beispielsweise in Form der vom Berufungsgericht vermißten Wiedervorlageanweisung, wozu selbstverständlich auch deren Vermerk gehört, oder durch einen deutlich sichtbaren Vermerk auf der Handakte, wenn dessen Bearbeitung durch eine weitere Person sichergestellt worden wäre.
c) Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich einer auf den konkreten Fall bezogenen Einzelanweisung verstoßen hätte. Die hierzu aufgestellten Grundsätze (etwa zum Vertrauen auf die Ausführung durch eine bisher zuverlässige Büroangestellte - vgl. BGH, Beschluß vom 18. Februar 1998 - VIII ZB 1/98 - NJW-RR 1998, 932) betrafen die Übermittlung eines Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht oder eine eigenmächtige Berechnung der
Rechtsmittelfrist trotz anderweitigem Vermerk auf einem Handzettel (vgl. BGH, Beschluß vom 23. November 2000 - IX ZB 83/00 - VersR 2002, 211 f.). Hier dagegen geht es um die unterlassene Ausführung einer lediglich mündlich erteilten Anweisung über die Eintragung einer Rechtsmittelfrist, die schon aufgrund allgemeiner Anweisung hätte sichergestellt werden müssen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 9/04
vom
23. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
am 23. Juni 2004

beschlossen:
1. Unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen wird auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin der Beschluß des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Februar 2004 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2003 als unzulässig verworfen worden ist.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
3. Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 340.441,50 €

Gründe:


I. Unter Abweisung der Widerklage im übrigen hat d as Landgericht die Klägerin zur Zahlung von 340.441,50 € verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte und Widerkläger fristgerecht Berufung eingelegt und diese - eingehend am 3. November 2003 - auch fristgerecht begründet. Die Klägerin hat gegen das ihr am 5. August 2003 zugestellte Urteil am 29. August 2003 "selbständige Anschlussberufung" eingelegt, sodann Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 6. November 2003 beantragt, die ihr gewährt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 6. November 2003, der bei Geri cht erst am 7. November 2003 eingegangen ist, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ihre Berufung begründet. Die Berufungsbegründung endet mit folgendem Zusatz: "V. Da die Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht nach Ablauf der verlängerten Frist zugegangen ist, stelle ich klar, dass die Berufung als unselbständige Anschlussberufung aufrecht erhalten bleibt." Mit am 20. November 2003 beim Oberlandesgericht ei ngegangenem Schriftsatz hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin für diese Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe am letzten Tag der Frist kurz nach 23.00 Uhr von seiner in der Rechtsanwaltskanzlei mitarbeitenden Ehefrau die vierte Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung als Computerausdruck vorgelegt bekommen. Er habe sodann bis 23.15 Uhr noch kleine Änderungen dik-

tiert, unter anderem eine geringfügig andere Anordnung eines Absatzes auf Seite 20 des Schriftsatzes, die Aufhebung einer Absatztrennung auf Seite 14 und eine Änderung der Position eines Geldb etrages von Seite 20 auf Seite 22. Gegen 23.35 Uhr habe er die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung dem Oberlandesgericht per Telefax übermitteln wollen, dabei jedoch festgestellt, daß ganze Textteile gefehlt hätten. Beim Versuch, die Endfassung des Textes im Computer aufzurufen, habe sich gezeigt, daß wesentliche Teile des Textes verschwunden gewesen seien. Seine Ehefrau müsse vergessen haben, die Änderungen und Ergänzungen auf der Festplatte abzus peichern. Deshalb habe die Endfassung der Berufungsbegründung erst nach Mitternacht erstellt werden können.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesg ericht das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Auslegung der von der Klägerin im Zuge des Berufungsverfahrens abgegebenen Erklärungen ergebe, daß sie mit ihrer selbständigen Anschlußberufung eine selbständige Berufung habe einlegen wollen. Als solche sei das Rechtsmittel verspätet begründet und mithin unzulässig. Das Wiedereinsetzungsgesuch bleibe erfolglos, weil den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist treffe. Da er die Frist voll ausgeschöpft habe, habe ihn eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Es sei ihm insoweit möglich und zuzumuten gewesen, in der gegebenen Situation die wenigen Änderungen, soweit sie angesichts der ablaufend en Frist nicht ohnehin verzichtbar gewesen seien, auf der ihm als Ausdruck vorgelegten vierten Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung handschriftlich

zu ergänzen und den so ergänzten Schriftsatz sodann per Fax an das Oberlandesgericht zu versenden.
II. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Kl ägerin hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses , soweit die Berufung als unzulässig verworfen worden ist.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4 und 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings de n Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Denn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verhalten ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, war hier nicht ohne sein Verschulden daran gehindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Zwar darf eine Partei eine Frist grundsätzlich bis zum Ablauf (24.00 Uhr) des letzten Tages ausnutzen. Sie hat in diesem Falle jedoch erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschluß vom 23. April 1998 - I ZB 2/98 - NJW 1998, 2677 unter II m.w.N.; vgl. auch VGH München, Beschluß vom 9. November 2001 - 15 ZB 01.30255 - veröffentlicht in juris ; BVerwG CR 1991, 753).
Diese besonderen Anforderungen hat der Prozeßbevol lmächtigte der Klägerin nicht beachtet. Denn es wäre ihm möglich und zumutbar

gewesen, die am letzten Tag der Frist um kurz nach 23.00 Uhr vorgelegte , ausgedruckte Fassung des vierten (und letzten) Entwurfs der Berufungsbegründung heranzuziehen, um rechtzeitig vor Fristablauf die Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Nach seinem Vorbringen hat er spätestens um 23.40 Uhr entdeckt, daß die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung erhebliche Lücken enthielt, die vermutlich auf einem Fehler seiner Ehefrau beim Abspeichern des Textes beruhten. In dieser Situation war es ihm zuzumuten , die lediglich marginalen Änderungen, die er im Anschluß an die Vorlage der vierten Fassung des Entwurfs noch diktiert hatte, handschriftlich in den Ausdruck einzufügen, um diesen sodann zu unterzeichnen und per Telefax zu versenden (vgl. dazu auch OLG München, OLGR 1994, 165). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von solchen Fällen, in denen es infolge einer Computerpanne kurz vor Fristablauf gänzlich unmöglich wird, einen Text rechtzeitig zu erstellen (OLG Celle NJW-RR 2003, 1439 f.) oder in denen ein defektes Faxgerät die rechtzeitige Übermittlung unmöglich macht (BGH, Beschluß vom 20. Februar 2003 - V ZB 60/02 - NJW-RR 2003, 861 f.).
Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, grundsätzli ch bestimme allein der Rechtsanwalt, wann er eine Rechtsmittelbegründung als fertiggestellt ansehe, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin müsse sich deshalb nicht auf handschriftliche Änderungen und E rgänzungen verweisen lassen, verkennt sie die Bedeutung der Berufungsbegründungsfrist. Es entspricht nicht den erhöhten Anforderungen an die bei der Fristwahrung aufzubringende Sorgfalt, wenn der Prozeßbevollmächtigte wegen nur geringfügigen Textveränderungen die Berufungsbegrün-

dungsfrist verstreichen läßt, um statt dessen auf eine Wiedereinsetzung zu vertrauen.
3. Steht somit zwar fest, daß die Klägerin die Ber ufungsbegründungsfrist versäumt hat, kann dennoch die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig keinen Bestand haben.

a) Die Klägerin hatte ihr Rechtsmittel ursprünglic h als selbständige Anschlußberufung bezeichnet und dabei übersehen, daß diese früher in § 522 Abs. 2 ZPO a.F. geregelte Form der Anschlußberufung dem neuen Zivilprozeßrecht fremd ist (BGH, Beschluß vom 30. April 2003 - V ZB 71/02 - BB 2003, 1356 = NJW 2003, 2388 unter II 2 a; BTDrucks. 14/4722 S. 98). Der Berufungsbeklagte hat nach neuem Recht zwei Möglichkeiten. Er kann sich entweder der Berufung des Gegners anschließen (§ 524 ZPO) oder, falls die Voraussetzungen des § 511 ZPO gegeben sind, selbständig Berufung einlegen. Nur im ersten Fall verliert die Berufung ihre Wirkung, wenn der Gegner sein Rechtsmittel zurücknimmt (§ 524 Abs. 4 ZPO). Wird hingegen eine selbständige Berufung eingelegt, bleibt diese vom Schicksal der gegnerischen Berufung unabhängig. Für sie laufen eigenständige Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und Begründung (§ 520 Abs. 2 ZPO). Welche Möglichkeit der Berufungsbeklagte wählt, steht grundsätzlich in seinem Belieben. Erst wenn die Fristen zur Einlegung oder Begründung der selbständigen Berufung verstrichen sind, ist er - im Rahmen der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO - auf die Anschlußberufung beschränkt (BGH aaO). Daß er sich grundsätzlich zwischen den beiden genannten Möglichkeiten der Berufung entscheiden muß, schließt es nicht aus, die Anschlußberufung

für den Fall zu erklären, daß die Zulässigkeitsvoraussetzungen der selbständigen Berufung nicht erfüllt sind.

b) Hat - wie hier - der Berufungsbeklagte innerhal b der Berufungsfrist ein als selbständige Anschlußberufung bezeichnetes Rechtsmittel einlegt, so ist durch Auslegung seiner prozessualen Erklärungen zu ermitteln , für welche der genannten Möglichkeiten er sich entscheiden will (BGH aaO unter II 2 b). Das Berufungsgericht hat wegen der Anträge der Klägerin auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO und wegen des nachfolgenden Wiedereinsetzungsgesuchs angenommen, der Klägerin sei es darum gegangen, eine selbständige Berufung durchzuführen.
Das ist zwar richtig. Das Berufungsgericht hat dab ei aber erkennbar übersehen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im letzten Absatz des Berufungsbegründungsschriftsatzes selbst auf dessen verspäteten Eingang hingewiesen und aus diesem Grunde klargestellt hat, daß die Berufung nunmehr als unselbständige Anschlußberufung aufrecht erhalten werden solle. Die Klägerin hat damit von der in § 524 ZPO geregelten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Anschlußerklärung hatte hier erst am 5. November 2003 zu laufen begonnen.

c) Selbst wenn die Klägerin ungeachtet der Anschlu ßerklärung vorrangig weiterhin eine selbständige Berufung angestrebt hat, worauf insbesondere das nachträgliche Wiedereinsetzungsgesuch gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hindeutet, ist die Anschließung jedenfalls dahin zu verstehen, daß sie für den Fall der Zurückwei-

sung des Wiedereinsetzungsgesuchs erklärt ist. Deshalb durfte die Berufung der Klägerin nicht verworfen werden.
Legt eine Partei gegen eine bestimmte Entscheidung mehrfach Berufung ein, handelt es sich um dasselbe Rechtsmittel; ihr Begehren richtet sich im Ergebnis nur auf eine sachliche Überprüfung des angefochtenen Urteils. Daher ist über das Rechtsmittel nach ständiger Rechtsprechung einheitlich zu entscheiden (BGH, Beschluß vom 2. Juli 1996 - IX ZB 53/96 - NJW 1996, 2659 unter 2 c). Das gilt auch dann, wenn der Berufungsbeklagte sowohl eine selbständige Berufung einlegt als auch eine Anschlußerklärung nach § 524 ZPO abgibt. Entspricht die zunächst eingelegte Berufung den förmlichen Anforderungen des Gesetzes nicht, darf sie daher auch nicht gesondert als unzulässig verworfen werden (BGH aaO m.w.N.).
Hier liegt zwar eine - aus den oben genannten Grü nden - unzulässige selbständige Berufung vor. Sie durfte aber nicht verworfen werden, solange es möglich blieb (und bleibt), sie als unselbständige Anschlußberufung zu behandeln (vgl. BGH aaO m.w.N.; BGH, Beschluß vom 26. Oktober 1999 - X ZB 15/99 - VersR 2001, 730 m.w.N.).

Die Sache war deshalb nach Aufhebung der Berufungs verwerfung zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht zurück zu verweisen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 45/04
vom
9. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Zur Frage, wie sich ein pflichtbewusster Rechtsanwalt verhalten muss, wenn die
Berufungsbegründung wegen eines erst kurz vor Ablauf der Rechtsmittelfrist aufgetretenen
Defekts des Druckers seines Laptops nicht ausgedruckt werden kann,
in der Kanzlei aber ein weiterer Computer mit Drucker vorhanden war.
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 - XI ZB 45/04 - OLG München in Augsburg
LG Memmingen
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe, die Richter Dr. Müller und Dr. Joeres, die Richterin
Mayen und den Richter Prof. Dr. Schmitt
am 9. Mai 2006

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München in Augsburg vom 30. August 2004 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert beträgt 1.108.100,44 €

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat der Feststellungsklage der Kläger stattgegeben und die Widerklage der Beklagten abgewiesen. Gegen das am 16. Januar 2004 zugestellte Urteil legte die Beklagte, eine Rechtsanwältin , am 16. Februar 2004 Berufung ein. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16. April 2004 ging die 104 Seiten umfassende Berufungsbegründung erst am nächsten Morgen von 00.04 Uhr bis 01.29 Uhr per Fax beim Oberlandesgericht ein. Am 29. April 2004 hat die Beklagte gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
2
Sie macht für die Fristversäumung den Defekt eines Druckers und einen Computerfehler verantwortlich. Nachdem ihre Sekretärin den schon seit einigen Tagen vorliegenden Berufungsbegründungsentwurf am Morgen des 16. April 2004 noch einmal überarbeitet habe, habe sie, die Beklagte, die Arbeit nach Büroschluss fortgesetzt. Der um 22.32 Uhr endgültig fertig gestellte und in ihrem Laptop gespeicherte Schriftsatz habe aber mit Hilfe des an den Laptop angeschlossenen Druckers wegen einer erstmals aufgetretenen Funktionsstörung nicht ausgedruckt werden können. Den an den Computer ihrer Sekretärin angeschlossenen Drucker habe sie ebenfalls zunächst nicht benutzen können, weil die die Berufungsbegründung enthaltende Datei im Speicher dieses Computers wegen eines weiteren unvorhersehbaren technischen Defektes nicht mehr auffindbar gewesen sei. Sie habe die Berufungsbegründungsschrift deshalb unter Verwendung bereits bearbeiteter Einzeldokumente noch einmal hergestellt und um 23.56 Uhr an das Berufungsgericht faxen wollen. Da sie aufgrund emotionaler Erregung zunächst eine falsche Faxnummer des Oberlandesgerichts eingegeben habe, habe mit der Faxübertragung erst nach Mitternacht und damit verspätet begonnen werden können.
3
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass für einen Rechtsanwalt , der eine Frist bis zum letzten Tag ausnütze, grundsätzlich ein besonders strenger Sorgfaltsmaßstab gelte. Danach treffe die Beklagte an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ein Verschulden. Der plötzliche Ausfall des Druckers ihres Laptops sei ohne Bedeutung, weil auch der im Sekretariat stehende Drucker habe benutzt werden können. Zwar sei der Umstand, dass die Berufungsbegründungschrift in dem Speicher des Computers der Sekretärin angeblich nicht mehr auffindbar gewesen sei, für die Fristversäumung ursächlich geworden. Angesichts des nachgewiesenen einwandfreien Zustands und der laufenden Wartung des Computer-Systems sei aber bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die Beklagte den Computer falsch bedient habe. Auch die Verwendung der seit 2001 nicht mehr gültigen Faxnummer des Oberlandesgerichts beruhe auf Fahrlässigkeit. Die Fristversäumung sei außerdem auch deshalb verschuldet, weil die Beklagte sich nach dem gescheiterten Ausdruck der Berufungsbegründungsschrift trotz der fortgeschrittenen Zeit dazu entschlossen habe, diese noch einmal zu erstellen, statt mit einer Übersendung der bereits vollständig ausgedruckt vorliegenden Erstfassung den sichersten Weg zu wählen.
4
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.


5
Rechtsbeschwerde Die ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; 155, 21, 22; Se- natsbeschluss vom 22. November 2005 - XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284), sind nicht erfüllt.
6
1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. In der angefochtenen Entscheidung wird kein abstrakter Rechtssatz aufgestellt, der von einem in einer anderen Entscheidung eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (vgl. Senat BGHZ 152, 182, 186 m.w.Nachw.). Im von der Rechtsbeschwerde angeführten Beschluss des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 17. Mai 2004 (II ZB 22/03, NJW 2004, 2525) ist insoweit lediglich ausgeführt, dass es für einen auf einen vorübergehenden "Computer -Defekt" oder "Computer-Absturz" gestützten Wiedereinsetzungsantrag näherer Darlegungen zur Art des Defekts und zu seiner Behebung bedarf. Solche Ausführungen finden sich im Wiedereinsetzungsantrag nur zum Defekt des mit dem Laptop der Beklagten verbundenen Druckers , nicht aber zum angeblichen Verschwinden der die Berufungsbegründung enthaltenden Datei im Computer der Sekretärin. Insoweit kommt, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, bei lebensnaher Betrachtung lediglich ein Bedienungsfehler der Beklagten in Betracht.
7
2. Das Berufungsgericht hat auch nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Die Auffassung des Oberlandesgerichts , die Beklagte habe nicht hinreichend dargetan, die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt zu haben (§ 233 ZPO), über- spannt unter den gegebenen Umständen und Verhältnissen nicht die an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen.
8
Nach a) ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH, Beschlüsse vom 23. April 1998 - I ZB 2/98, NJW 1998, 2677 und vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, FamRZ 2004, 1481 m.w.Nachw.). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen , wenn von ihm nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217). Diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht gerecht geworden.
9
Aus b) ihrem Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich nicht ausreichend , dass die Fristversäumung wegen eines Defekts ihres Druckers oder eines Fehlers des Computers ihrer Sekretärin unabwendbar war.
10
aa) Für einen Fehler des Computers der Sekretärin mangelt es, wie bereits ausgeführt, an ausreichendem Vorbringen der Beklagten. Für das angebliche Verschwinden der die Berufungsbegründungsschrift enthaltenden Datei im Computer der Sekretärin fehlt, wenn kein Bedienungsfehler der Beklagten vorliegt, jede nachvollziehbare Erklärung. Wenn die Rechtsbeschwerde das angebliche Verschwinden der Datei auf den Ausfall des Druckers zurückführt, so handelt es sich hierbei um eine bloße Vermutung, die von dem Systemspezialisten nicht bestätigt worden ist und für die so gut wie nichts spricht, da der defekte Drucker offenbar nur für den Laptop der Beklagten der aktuelle Drucker war, nicht aber für den Computer der Sekretärin, der mit einem anderen Drucker verbunden war. Überdies ist dem Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht - wie es erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03, NJW-RR 2004, 2525, 2526) - zu entnehmen, dass sie den Computer der Sekretärin auch bei nächtlicher Arbeit und unter Zeitdruck sicher bedienen konnte.
11
bb) Die Ansicht der Beklagten, es sei ihr nicht vorzuwerfen, dass sie den Defekt des Druckers für ihren Laptop und das angebliche Verschwinden der Datei im Computer der Sekretärin zum Anlass genommen habe, aus bearbeiteten Einzeldokumenten die Berufungsbegründung erneut zusammenzustellen und auszudrucken, trifft nicht zu. Die nach den eigenen Angaben der Beklagten im Laptop gespeicherte endgültige Fassung der Berufungsbegründungsschrift hätte - worauf die Beschwerdeerwiderung mit Recht hinweist - mit Hilfe des Druckers des Computers der Sekretärin ausgedruckt werden können, weil offenbar ein gemeinsamer Server vorhanden war. Abgesehen davon ist nicht nachvollziehbar, warum die im Laptop gespeicherte Berufungsbegründung nicht mit Hilfe eines gebräuchlichen Speichermediums (z.B. Diskette oder CD-Rom) in den Computer der Sekretärin übertragen worden und von dort ausgedruckt worden ist. Nichts spricht dafür, dass die Berufungsbegründungsfrist auch dann versäumt worden wäre.
12
c) Unabhängig davon hat die Beklagte die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch deshalb zu verantworten, weil sie es pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, zum Schutz ihres Mandanten den sichersten Weg zu wählen. Wie sich aus ihren eigenen Angaben ergibt, lag am Tag des Fristablaufs gegen 18.00 Uhr eine ausgedruckte vollständige Fassung der Berufungsbegründung vor, als sie diese noch einmal überarbeitete. Diesen Schriftsatz hätte sie per Telefax fristgerecht beim Oberlandesgericht einreichen können, und zwar auch noch als sie um 22.32 Uhr die Endfassung in ihrem Laptop abgespeichert hatte. Dazu war die Beklagte verpflichtet, weil ein pflichtbewusster Rechtsanwalt kurz vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist jedes Risiko meidet, das zu einer Fristversäumung führen oder beitragen kann. Der Einwand der Rechtsbeschwerde, es liege grundsätzlich im freien Ermessen des Prozessbevollmächtigten , welche Fassung eines bestimmenden Schriftsatzes er für endgültig und unterschriftswürdig erachtet, greift hier nicht, zumal für eine wesentliche inhaltliche Änderung der seit 18.00 Uhr ausgedruckt vorliegenden Fassung der Berufungsbegründung nichts vorgetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2004 - IV ZB 9/04, FamRZ 2004, 1481).
Nobbe Müller Joeres
Mayen Schmitt
Vorinstanzen:
LG Memmingen, Entscheidung vom 13.01.2004 - 2 O 1262/03 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 30.08.2004 - 24 U 140/04 -