Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2015 - X ZB 1/15

bei uns veröffentlicht am30.06.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X Z B 1 / 1 5
vom
30. Juni 2015
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Flugzeugzustand
PatG § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 4; EPÜ Art. 52 Abs. 2 Buchst. a, Art. 56

a) Mathematische Methoden sind im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG nur
dann patentierbar, wenn sie der Lösung eines konkreten technischen Problems
mit technischen Mitteln dienen.

b) Eine mathematische Methode kann nur dann als nicht-technisch angesehen
werden, wenn sie im Zusammenhang mit der beanspruchten Lehre keinen
Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften aufweist.

c) Ein ausreichender Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften liegt
vor, wenn eine mathematische Methode zu dem Zweck herangezogen wird,
anhand von zur Verfügung stehenden Messwerten zuverlässigere Erkenntnisse
über den Zustand eines Flugzeugs zu gewinnen und damit die Funktionsweise
des Systems, das der Ermittlung dieses Zustands dient, zu beeinflussen.

d) Ein Gegenstand, der neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht, kann
nicht allein deshalb als nicht patentfähig angesehen werden, weil er im Vergleich
zum Stand der Technik keinen erkennbaren Vorteil bietet.
BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - X ZB 1/15 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Juni 2015 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski,
Dr. Bacher und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird der am 23. Oktober 2014 verkündete Beschluss des 17. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückverwiesen.

Gründe:


1
A. Die Rechtsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung einer Patentanmeldung.
2
Die am 18. Januar 2007 eingereichte Anmeldung betrifft ein Verfahren zur Zustandsermittlung eines Flugzeugs. Anspruch 1 lautet in der zuletzt beanspruchten Fassung: Verfahren zur Ermittlung eines Flugzeugzustandes, nämlich der Position, Geschwindigkeit und Lage des Flugzeugs, umfassend die Schritte: Bestimmung einer Anzahl von Messwerten mit =1,…, einer Trägheitsanlage , welche den Flugzeugzustand bestimmt, wobei die Messwerte Punkte im -dimensionalen Raum darstellen, Verarbeiten der Messwerte in einem Kalman-Filter zur Schätzung des Flugzeugzustandes , dadurch gekennzeichnet, dass für jede Anzahl von Messwerten der Trägheitsanlage eine erste Größe und eine zweite Größe berechnet werden und diese berechneten Größen dem Kalman-Filter zur Weiterverarbeitung zugeführt werden, wobei die Größe der Mittelpunktsvektor und die Größe der Radius einer -dimensionalen Kugel sind, innerhalb welcher alle Punkte mit =1,..., liegen; wobei die Kugel eine möglichst kleine -dimensionale Kugel ist, welche ausnahmslos alle Punkte mit =1,..., der Anzahl von Messwerten enthält.
3
Anspruch 5 betrifft sinngemäß ein System zur Ermittlung eines Flugzeugzustandes , das nach diesem Verfahren arbeitet. Vier weitere Ansprüche sind auf einen dieser Ansprüche rückbezogen.
4
Das Patentamt hat die Anmeldung zurückgewiesen. Die Beschwerde der Anmelderin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihr Begehren aus der Beschwerdeinstanz in vollem Umfang weiter.
5
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht (§ 108 Abs. 1 PatG).
6
I. Die Anmeldung betrifft in der im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren zu beurteilenden Fassung ein Verfahren zur Ermittlung von Position , Geschwindigkeit und Lage eines Flugzeugs.
7
1. In der Beschreibung der Anmeldung, mit der ursprünglich Schutz für ein Verfahren zur Zustandsermittlung eines Körpers begehrt wurde, wird ausgeführt , für die Kontrolle von Fahrzeugen würden in zunehmendem Maße elektronische Systeme eingesetzt. Diese benötigten eine möglichst genaue und zuverlässige Kenntnis des aktuellen Zustands. Einige der dafür relevanten Zustandsgrößen seien einer einfachen Messung nicht zugänglich. Deshalb müssten sie mit Hilfe von Modellen geschätzt werden, wobei die Schätzungen durch einen Vergleich mit Messwerten beobachtbarer Größen abgeglichen werden könnten. Bekannte Systeme lieferten als Messung Punktmengen in einem k-dimensionalen Raum. Bei einigen Systemen, zum Beispiel bei der hochfrequenten Aufzeichnung von Luftdaten eines Flugzeugs, werde jedes Messergebnis durch einen Punkt innerhalb eines zwei- oder mehrdimensionalen Raums dargestellt. Für die Schätzung des Zustands werde die Punktemenge üblicherweise an ein Kalman-Filter weitergeleitet. Diese Systeme wiesen den Nachteil auf, dass die Einzelmessungen im Allgemeinen stark verrauscht seien und dass aufgrund der vom Kalman-Filter zu verarbeitenden Datenmenge eine zeitnahe Ausgabe des geschätzten Zustands nicht möglich sei.
8
Die Anmeldung betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, das eine zuverlässige und schnelle Zustandsschätzung ermöglicht.
9
2. Zur Lösung dieses Problems wird in Anspruch 1 ein Verfahren vorgeschlagen , dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
a) Das Verfahren dient der Ermittlung von Position, Geschwindigkeit und Lage eines Flugzeugs und umfasst folgende Schritte:
b) Mittels einer Trägheitsanlage, welche den Flugzeugzustand bestimmt , wird eine Anzahl von Messwerten mit =1,…, be- stimmt, die Punkte im -dimensionalen Raum darstellen.

c) Diese Messwerte werden zur Schätzung des Flugzeugzustandes in einem Kalman-Filter verarbeitet.
d) Hierzu wird für jede Anzahl von Messwerten eine erste Größe und eine zweite Größe berechnet.

e) Diese berechneten Größen werden dem Kalman-Filter anstelle der einzelnen Messwerte zugeführt.

f) ist der Mittelpunktvektor und der Radius einer - dimensionalen Kugel , innerhalb welcher alle Punkte mit =1,..., liegen.

g) Lage und Größe der Kugel werden so festgelegt, dass die Kugel möglichst klein ist.
10
3. Von zentraler Bedeutung für das beanspruchte Verfahren ist die Auswahl und Berechnung der Daten, die dem Kalman-Filter zugeführt werden.
11
Ein Kalman-Filter ist ein Verfahren, bei dem anhand einer Vielzahl von mit Unsicherheiten behafteten Messwerten durch mathematische Berechnungen ein möglichst zuverlässiger Wert ermittelt wird. Es kann rechnergestützt durchgeführt werden. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit hängt unter anderem von der Anzahl der zugeführten Messwerte ab.
12
Das mit der Anmeldung beanspruchte Verfahren ermöglicht es, dem Kalman-Filter eine geringere Zahl von Messwerten zuzuführen. Hierzu wird eine bestimmte Anzahl von Messwerten, die durch einzelne Punkte in einem - dimensionalen Raum dargestellt sind, zu einer -dimensionalen Kugel zusammengefasst , die bei möglichst geringem Radius alle Einzelpunkte umfasst. Dem Kalman-Filter werden anstelle der einzelnen Punkte lediglich die die Kugel charakterisierenden Daten zugeführt, nämlich der Mittelpunktvektor und der Radius .
13
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
14
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei dem Fachmann, einem Maschinenbauingenieur mit fundierten Kenntnissen in der Messtechnik, insbesondere im Flugzeugbau, durch die veröffentlichte US-Anmeldung 2004/0012522 (D2) nahegelegt.
15
In D2 sei ein System zur Ermittlung des Zustands eines Flugzeugs offenbart , bei dem Messdaten aus einer Trägheitsanlage (Inertial Navigation System , INS) und einem satellitengestützten Navigationssystem (Global Positioning System, GPS) eingesetzt würden. Diese Messwerte würden einem KalmanFilter zugeführt, das den "wahren" Systemzustand abschätze. Bei einem der in D2 offenbarten Verfahren werde dem Kalman-Filter anstelle der Einzeldaten für das jeweilige Iterationsintervall nur der daraus errechnete Mittelwert zugeführt. In D2 werde zudem die Messrauschkovarianz R erwähnt. Für den Fachmann sei in diesem Zusammenhang selbstverständlich, dass dieser Wert auf der Angabe einer Messunsicherheit beruhe, die dem Filter in Gestalt einer geeigneten statistischen Größe zur Verfügung gestellt werden müsse. Aus D2 sei mithin bekannt, dass dem Kalman-Filter anstelle einer großen Menge von Messwerten lediglich zwei repräsentative statistische Größen, nämlich Mittelwert und Messunsicherheit , zugeführt werden könnten.
16
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von dem in D2 offenbarten Verfahren lediglich dadurch, dass zur Repräsentation der Einzelwerte andere Größen eingesetzt würden, nämlich Mittelpunktvektor und Radius der Kugel . Diese Merkmale beruhten allenfalls auf Überlegungen aus der Datenmodellierung, der Statistik und der Geometrie. Sie setzten keine auf technische Überlegungen beruhenden Erkenntnisse voraus und seien daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Der Umstand, dass die zu verarbeitenden Daten technische Daten seien, könne für sich gesehen nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen. Entsprechendes gelte für den Umstand, dass das beanspruchte Verfahren eine stärkere Berücksichtigung von Extremwerten zur Folge habe. Letzteres führe nicht ohne weiteres zu einer Erhöhung der Sicherheit. Die Frage, ob ein festgestellter Extremwert einen "realen Messwert" darstelle oder ein auf äußeren Störeinflüssen beruhendes Artefakt , sei eng verknüpft mit Erwägungen aus der Statistik und daher nicht eindeutig zu beantworten. Zudem sei in den ursprünglichen Unterlagen nicht erwähnt , dass eine stärkere Berücksichtigung von Extremwerten sich in irgendeiner Weise vorteilhaft auswirken könnte.
17
III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
18
1. Zu Recht ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass der Gegenstand der Anmeldung gemäß § 1 PatG dem Patentschutz zugänglich ist.
19

a) Eine Erfindung auf einem Gebiet der Technik im Sinne von § 1 Abs. 1 PatG liegt nach der Rechtsprechung des Senats jedenfalls dann vor, wenn die beanspruchte Lehre den Einsatz technischer Geräte umfasst (BGH, Urteil vom 24. Februar 2011 - X ZR 121/09, GRUR 2011, 610 Rn. 16 - Webseitenanzeige

).

20
Der Gegenstand der Anmeldung erfüllt diese Voraussetzung. Das beanspruchte Verfahren setzt den Einsatz einer Trägheitsanlage in einem Flugzeug voraus. Zudem erfordert die Anwendung des Kalman-Filters den Einsatz einer Datenverarbeitungsanlage.
21

b) Verfahren der elektronischen Datenverarbeitung sind im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG nur dann patentierbar, wenn sie der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Sie sind vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn sie losgelöst von einer konkreten technischen Umsetzung beansprucht werden. Für mathematische Methoden im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG gilt insoweit entsprechendes (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2001 - X ZB 16/00, BGHZ 149, 68, 75 f. = GRUR 2002, 143, 145 - Suche fehlerhafter Zeichenketten).
22
Das mit der Anmeldung beanspruchte Verfahren wird den sich daraus ergebenden Anforderungen gerecht. Es dient der Ermittlung eines Flugzeugzustands durch Auswertung von Messwerten, die technische Parameter betreffen.
23
2. Im Ansatz zutreffend ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass Merkmale, die sich in der Anwendung einer mathematischen Methode erschöpfen , bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht berücksichtigt werden dürfen.
24

a) Nach der Rechtsprechung des Senats und der Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts dürfen bei der Prüfung , ob der Gegenstand einer Anmeldung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, nur diejenigen Anweisungen berücksichtigt werden, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - X ZR 3/12, GRUR 2013, 275 Rn. 41 - Routenplanung; EPA, Stellungnahme vom 12. Mai 2010 - G 3/08, ABl. 2011, 10 = GRUR Int. 2010, 608 Rn. 10.33 ff. - Computerprogramme).
25
Nicht berücksichtigungsfähig sind deshalb Anweisungen, die ausschließlich Aspekte betreffen, die nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 PatG von der Patentierung ausgenommen sind, zum Beispiel die Auswahl oder Verarbeitung von Daten (BGH, GRUR 2013, 275 Rn. 42), die Wiedergabe von Informationen (BGH, GRUR 2013, 275 Rn. 43; Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Rn. 39 - Wiedergabe topografischer Informationen), wirtschaftliche oder geschäftliche Tätigkeiten (EPA, Entscheidung vom 8. September 2000 - T 931/95 ABl. 2001, 441 = GRUR Int. 2002, 87 Rn. 8 - Steuerung eines Pensionssystems / PBS Partnership) oder ästhetische Merkmale (EPA, Entscheidung vom 2. Juni 2006 - T 928/03 Rn. 4.1.2 Video game / Konami).
26

b) Für die nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 PatG als solche von der Patentierung ausgeschlossenen mathematischen Methoden gilt im Grundsatz das Gleiche.
27
Allerdings kann eine mathematische Methode nicht ohne weiteres als nicht-technisch angesehen werden. Technisches Handeln besteht im Arbeiten mit den Mitteln der Naturkräfte (BGH, Beschluss vom 27. März 1969 - X ZB 15/67, BGHZ 52, 74, 77 ff. = GRUR 1969, 672 - Rote Taube; Beschluss vom 19. Oktober 2004 - X ZB 33/03, GRUR 2005, 141, 142 - Anbieten interaktiver Hilfe). Die diesen zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten werden in aller Regel mit Hilfe mathematischer Methoden beschrieben. Die Anwendung solcher Methoden zur Erzielung eines bestimmten technischen Erfolgs ist deshalb ihrerseits dem Gebiet der Technik zuzuordnen. Als nicht-technisch kann eine mathematische Methode nur dann angesehen werden, wenn sie im Zusammenhang mit der beanspruchten Lehre keinen Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften aufweist.
28
3. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts führt die Anwendung dieser Grundsätze dazu, dass die in der Anmeldung beanspruchten Merkmale d bis g bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen sind.
29

a) Diese Merkmale betreffen für sich gesehen zwar Rechenoperationen , die im Wesentlichen die Anwendung statistischer Methoden betreffen. Diese Rechenschritte weisen bei dem beanspruchten Verfahren aber einen hinreichenden Bezug zur gezielten Anwendung von Naturkräften auf. Die mit ihnen bewirkte Zusammenfassung von Messwerten zur Beschleunigung der mit dem Kalman-Filter verbundenen weiteren Rechenschritte dient dem Zweck, anhand der zur Verfügung stehenden Messwerte zuverlässigere Erkenntnisse über den Zustand des Flugzeugs zu gewinnen und damit die Funktionsweise des Systems , das der Ermittlung dieses Zustands dient, zu beeinflussen.
30

b) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob dieses Problem bereits durch andere im Stand der Technik bekannte Verfahren gelöst wurde und ob die Merkmale d bis g im Vergleich zu den im Stand der Technik bekannten Verfahren zu einer Verbesserung führen.
31
Die Patentfähigkeit eines Gegenstands hängt nicht davon ab, ob dieser einen technischen Fortschritt mit sich bringt. Zwar ist es auch nach dem Wegfall dieses nach früherem Recht geltenden Schutzerfordernisses nicht Sinn des Patentrechts, Lehren zu schützen, die technisch unsinnig sind (BGH, Urteil vom 20. März 2001 - X ZR 177/98, BGHZ 147, 137, 143 f. = GRUR 2001, 730, 732 - Trigonellin). Ein Gegenstand, der neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht , kann aber nicht allein deshalb als nicht patentfähig angesehen werden, weil er im Vergleich zum Stand der Technik keinen erkennbaren Vorteil bietet. Ein solcher Gegenstand ist vielmehr jedenfalls dann patentfähig, wenn mit ihm im Vergleich zum Stand der Technik ein anderer Weg aufgezeigt wird.
32
Diesen Anforderungen wird der Gegenstand der Anmeldung nach den vom Patentgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen gerecht. Die vom Stand der Technik abweichende Art, in der mehrere Einzelmesswerte zusammengefasst werden, führt nach den Feststellungen des Patentgerichts dazu, dass Extremwerte stärker ins Gewicht fallen, was in bestimmten Situationen von Vorteil, in anderen Situationen hingegen von Nachteil sein kann. Damit ist ein alternativer Weg zur Ermittlung des Zustands des Flugzeugs aufgezeigt, der jedenfalls nicht als technisch unsinnig angesehen werden kann. Angesichts dessen ist unerheblich, ob eine der in Betracht kommenden Vorgehensweisen insgesamt oder zumindest für bestimmte Anwendungsfälle als vorzugswürdig anzusehen ist.
33
IV. Das Patentgericht wird nach der Zurückverweisung deshalb zu prüfen haben, ob der Gegenstand der Anmeldung auch bei Berücksichtigung der Merkmale d bis g durch den Stand der Technik D2 nahegelegt war.
34
V. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck Grabinski Bacher
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 23.10.2014 - 17 W(pat) 15/11 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2015 - X ZB 1/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2015 - X ZB 1/15

Referenzen - Gesetze

Patentgesetz - PatG | § 4


Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese

Patentgesetz - PatG | § 1


(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. (2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt,

Patentgesetz - PatG | § 108


(1) Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. (2) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt is
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Patentgesetz - PatG | § 4


Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese

Patentgesetz - PatG | § 1


(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. (2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt,

Patentgesetz - PatG | § 108


(1) Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. (2) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt is

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Referenzen

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gehören zum Stand der Technik auch Unterlagen im Sinne des § 3 Abs. 2, so werden diese bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht gezogen.

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

(1) Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen.

(2) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

16
a) Die erforderliche Technizität ist im Streitfall zu bejahen, weil das unter Schutz gestellte Verfahren der datenverarbeitungsmäßigen Abarbeitung von Verfahrensschritten in netzwerkmäßig verbundenen technischen Geräte dient, wobei die von einem Benutzer bei einem Internetbesuch aufgerufenen Webseiten registriert werden und eine anzeigbare Darstellung dieser Seiten erzeugt wird. Dabei handelt es sich um typische Schritte der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten mittels technischer Geräte (vgl. auch BGH, GRUR 2009, 479 Rn. 8 - Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten). Soweit diese (Server, Clients) nicht im Patentanspruch 1 genannt sind, ist dies unschädlich, weil für den Fachmann, als den das Patentgericht zutreffend einen Informatiker ansieht, der über praktische Erfahrung in der Programmierung von Browser-Programmen und Benutzerführungen verfügt, offenkundig ist, dass das Verfahren nach Patentanspruch 1 den Einsatz von Computern in Netzwerken bedingt. Es genügt auch bei einem Verfahrensanspruch für die Erfüllung des Technizitätserfordernisses, wenn die Erfindung eine bestimmte Nutzung der Komponenten einer Datenverarbeitungsanlage lehrt und damit eine Anweisung zum technischen Handeln gibt (BGHZ 185, 214 Rn. 20 mwN - dynamische Dokumentengenerierung ).

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 16/00
vom
17. Oktober 2001
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
Suche fehlerhafter Zeichenketten

a) Das Patentierungsverbot für Computerprogramme als solche
verbietet, jedwede in computergerechte Anweisungen gekleidete
Lehre als patentierbar zu erachten, wenn sie
nur - irgendwie - über die Bereitstellung der Mittel
hinausgeht, welche die Nutzung als Programm für Datenverarbeitungsanlagen
erlauben. Die prägenden Anweisungen
der beanspruchten Lehre müssen vielmehr insoweit der Lösung
eines konkreten technischen Problems dienen.

b) Eine vom Patentierungsverbot erfaßte Lehre (Computerprogramm
als solches) wird nicht schon dadurch patentierbar
, daß sie in einer auf einem herkömmlichen Datenträger
gespeicherten Form zum Patentschutz angemeldet wird.
BGH, Beschl. v. 17. Oktober 2001 - X ZB 16/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Rogge und die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Dr. Melullis, Scharen
und Dr. Meier-Beck
am 17. Oktober 2001

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der Beschluß des 17. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 28. Juli 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerde wird auf 50.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:


A. Die Anmelderin hat am 12. Juli 1993 beim Deutschen Patentamt "Verfahren und Computersystem zur Suche fehlerhafter Zeichenketten in einem Text" zum Patent angemeldet. Mit dem dabei verfolgten Hauptantrag, der auch auf einen Anspruch betreffend ein digitales Speichermedium gerichtet war, ist die Anmelderin erfolglos geblieben. Durch Beschluß vom 6. Juli 1998 ist ein Patent nur in der Fassung des Hilfsantrages der Anmelderin erteilt worden. Die erteilten Patentansprüche 1, 17 und 20 lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur computergestützten Suche und/oder Korrektur einer fehlerhaften Zeichenkette F , in einem digital gespei- i cherten Text, der die entsprechende fehlerfreie Zeichenkette S enthält, i
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß

a) die Auftretenshäufigkeit H(S) der fehlerfreien Zeichen- i kette S ermittelt wird, i

b) die fehlerfreie Zeichenkette S nach einer Regel R verän- i j dert wird, so daß eine mögliche fehlerhafte Zeichenkette f ij erzeugt wird,

c) die Auftretenshäufigkeit H( ) der Zeichenkette f in dem ij ij Text ermittelt wird,

d) die Auftretenshäufigkeiten H( ) und H(S) verglichen wer- ij i den und


e) basierend auf dem Vergleich in Schritt d) entschieden wird, ob die mögliche fehlerhafte Zeichenkette f die ge- ij suchte fehlerhafte Zeichenkette F ist. i
17. Computersystem, insbesondere Textverarbeitungssystem, zur Suche und/oder Korrektur einer fehlerhaften Zeichenkette F i in einem Text, wobei die entsprechende fehlerfreie Zeichenkette S in dem Text vorkommt, i
mit einem ersten Speicher (1) zur Speicherung des Texts,
mit einem zweiten Speicher zur Speicherung der Auftretenshäufigkeit H(S) der fehlerfreien Zeichenkette S und i i
mit einem dritten Speicher (3) zur Speicherung der Auftretenshäufigkeit H(f ) einer möglichen fehlerhaften Zeichenket- ij te f , ij
mit einem vierten Speicher (4) zur Speicherung einer Regel R , j
und mit Prozessormitteln (2), die enthalten:
eine Veränderungseinrichtung (5) zur Veränderung der fehlerfreien Zeichenkette S nach der Regel R , so daû eine mög- i j liche fehlerhafte Zeichenkette f erzeugbar ist, ij

eine Ermittlungseinrichtung (6) zur Ermittlung der Auftretenshäufigkeit H(f ) einer möglichen fehlerhaften Zeichenkette f , ij ij
eine Vergleichseinrichtung (7) zum Vergleich der Auftretenshäufigkeiten H(S ) und
i) und H(fij
eine Zuordnungseinrichtung (8) zur Zuordnung der möglichen fehlerhaften Zeichenkette f zu der fehlerhaften Zeichenket- ij te F basierend auf einem Ausgangssignal der Einrichtung (7) i zum Vergleich, enthalten.
20. Verwendung eines Computersystems nach einem der Ansprüche 17 bis 19 in einem System zur maschinellen optischen Zeichenerkennung,
wobei das System zur maschinellen optischen Zeichenerkennung einen Rohtext erzeugt und den Rohtext zur Suche und/oder Korrektur einer oder mehrerer fehlerhaften Zeichenketten F in das Computersystem eingibt." i
Wegen des Inhalts der übrigen Ansprüche wird auf die Akten des Deutschen Patent- und Markenamts Bezug genommen.
Die Anmelderin hat mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluû vom 6. Juli 1998 ihren zurückgewiesenen Hauptantrag weiterverfolgt. Zuletzt hat sie die Erteilung des Patents auf der Grundlage von Patentansprüchen 1 bis 24
beantragt. Die Ansprüche 1 bis 21 sind mit den Ansprüchen des erteilten Patents identisch. Die weitergehenden Ansprüche sollen wie folgt lauten:
"22. Digitales Speichermedium, insbesondere Diskette, mit elektronisch auslesbaren Steuersignalen, die so mit einem programmierbaren Computersystem zusammenwirken können, daû ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 17 ausgeführt wird.
23. Computer-Programm-Produkt mit auf einem maschinenlesbaren Träger gespeichertem Programmcode zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 17, wenn das Programmprodukt auf einem Rechner abläuft.
24. Computer-Programm mit Programmcode zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 17, wenn das Programm auf einem Computer abläuft."
Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Seine Entscheidung ist veröffentlicht in BPatGE 43, 35 (= BlPMZ 2000, 387). Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihr Begehren nach Patentschutz auch für die Ansprüche 22 bis 24 weiter.
B. Die kraft Zulassung statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Zurückverweisung der Sache an das Bundespatentgericht , weil sich anhand der von diesem getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht abschlieûend beurteilen läût, ob dem Patentanspruch 22 die Paten-
tierbarkeit fehlt, wie das Bundespatentgericht angenommen hat, oder ob dieser Anspruch einen patentierbaren Gegenstand hat.
I. Das Bundespatentgericht hat der Anmeldung im Wege der Auslegung entnommen, der noch streitige Patentanspruch 22 solle sich auf ein übliches Speichermedium beziehen, das sich von anderen maschinenlesbaren Speichermedien dadurch unterscheide, daû es eine Aufzeichnung trage, die im Zusammenwirken mit einem geeigneten Computersystem eine Ausführung des Verfahrens nach einem der in Bezug genommenen Patentansprüche bewirken könne.
Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken und wird im Ergebnis auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen. Sie stellt darauf ab, es handele sich um einen Datenträger, der lediglich das Steuerelement mit einer technischen Schnittstelle zum Computersystem dergestalt darstelle, daû elektronisch auslesbare Steuersignale vorhanden seien, die so mit dem Computersystem zusammenwirkten, daû die Schritte des erfindungsgemäûen Verfahrens ausgeführt würden.
II. Das Bundespatentgericht hat den für Anspruch 22 begehrten Patentschutz schon deshalb versagt, weil dieser Patentanspruch keine Lehre angebe, die wenigstens die wesentlichen Lösungsmittel umfasse. Eine Erfindung im Sinne einer Lehre zum technischen Handeln bestehe in der Lösung eines technischen Problems. Nach Satz 2 Abs. 3 der Beschreibung liege dem Patentbegehren die Aufgabe zugrunde, ein verbessertes Verfahren und Computersystem zur Suche und/oder Korrektur einer fehlerhaften Zeichenkette in einem Text zu schaffen. Das könne jedoch allein durch ein digitales Speicher-
medium nicht gelingen, auf dem, wie Patentanspruch 22 lediglich angebe, eine Aufzeichnung aufgebracht sei. Eine Ausführung des Verfahrens gelinge nur mit einem Computersystem, das in der Lage sei, die einzelnen Teile der Aufzeichnung quasi vollständig zu interpretieren und dadurch eine Durchführung der gewünschten Verfahrensschritte zu bewirken.
Das beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Recht.
Die Feststellung des Bundespatentgerichts, Patentanspruch 22 lehre zur Lösung der in der Anmeldung genannten Aufgabe lediglich das Aufbringen einer Aufzeichnung von durch ein Computersystem erst noch zu interpretierenden Daten, die selbst nicht die zur Durchführung von Verfahrensschritten repräsentativen Steuersignale darstellten, greift zu kurz. Sie läût unberücksichtigt , daû das beanspruchte Speichermedium über die auf ihm aufgebrachten auslesbaren Daten nach dem Wortlaut des Patentanspruchs derart mit einem programmierbaren Computersystem zusammenwirken können muû, daû das insbesondere in dem Anspruch 1 beanspruchte Verfahren ausgeführt wird. Die Anweisung nach Patentanspruch 22 dient danach zur Realisierung eines bestimmten Computerprogramms. Das vorgeschlagene digitale Speichermedium selbst ist ein gegenständliches Mittel zur Ausführung des in dem nachgesuchten Patent ferner vorgeschlagenen Verfahrens; sein bestimmungsgemäûer Einsatz führt - die Ausführbarkeit und technische Brauchbarkeit der angemeldeten Anweisungen vorausgesetzt - zu dem gewünschten Ergebnis. Das reicht für eine im Rahmen der die Anmeldung prägenden Problemstellung liegende Lösung aus.
III. Das Bundespatentgericht hat das Speichermedium mit einer Aufzeichnung gemäû dem Anspruch 22 als ein "Programm für eine Datenverarbeitungsanlage als solches" angesehen und gemeint, daû dieser Anspruch deshalb auch nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 PatG vom Patentschutz ausgenommen sei.
1. Zu dieser Bewertung ist es gelangt, weil der Computerfachmann den mehrdeutigen Begriff "Programm" bei enger Sicht lediglich für den Programmcode und dessen Aufzeichnungen (gleichgültig welche Entwurfsstufe) verwende. Da § 1 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit Abs. 3 PatG nach einer engen Auslegung verlange, umfasse der Begriff "Programm für eine Datenverarbeitungsanlage als solches" eine Programmcodedarstellung oder -aufzeichnung auf einem Klarschriftdatenträger wie Papier oder einem maschinenlesbaren Speichermedium.
Auch diese Auffassung bekämpft die Rechtsbeschwerde zu Recht.

a) Allerdings wird sie in der Literatur verschiedentlich befürwortet (Tauchert , GRUR 1997, 149, 154; Mitt. 1999, 248, 151; van Raden, GRUR 1995, 451, 457; früher auch Schulte, PatG, 5. Aufl., 1994, § 1 Rdn. 74 u. 76). Es gibt aber auch maûgebliche Gegenstimmen. Vor allem ist auf die Spruchpraxis des Europäischen Patentamts zu dem nahezu wortgleichen Art. 52 Abs. 2 Buchst. c, Abs. 3 EPÜ zu verweisen, wonach ein - Datenverarbeitung mittels eines geeigneten Computers betreffender - Gegenstand nicht als "Programm als solches" im Sinne dieser Regelung zu verstehen ist, wenn er - hinreichend qualifizierten - technischen Charakter hat (Entsch. v. 01.07.1998, ABl. EPA 1999, 609, 618 f., 620 f. - Computerprogrammprodukt/IBM; im Ergebnis ebenso
Busche, Mitt. 2000, 164, 171; Singer/Stauder, EPÜ, 2. Aufl., Art. 52 Rdn. 49; Schar, Mitt. 1998, 322, 338; Bernhardt/Kraûer, PatG, 4. Aufl., S. 103; vgl. auch Busse, PatG, 5. Aufl., § 1 Rdn. 45 a.E.). Zu ähnlichen Ergebnissen führt eine in der Literatur vertretene Auffassung, wonach unter "Programm als solches" lediglich der zugrundeliegende, von einer technischen Funktion noch freie Programminhalt zu verstehen ist (so Melullis, GRUR 1998, 843, 851; ähnlich Anders , GRUR 1990, 498, 499).

b) Der Auffassung des Bundespatentgerichts kann aus Rechtsgründen nicht beigetreten werden.
Bei der Bestimmung, was als Programm für Datenverarbeitungsanlagen vom Patentschutz ausgenommen ist, weil es ein Programm als solches ist, kann nicht allein auf das Verständnis von Computerfachleuten zurückgegriffen werden. Die Bestimmung hat vielmehr - wie auch sonst bei der Gesetzesauslegung - ausgehend vom Wortlaut sachbezogen nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zu erfolgen.
aa) Die gesetzliche Regelung ergibt schon nach ihrem Wortlaut zunächst , daû weder Programme für Datenverarbeitungsanlagen schlechthin vom Patentschutz ausgenommen sind, noch daû bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Gesetzes für jedes Computerprogramm Patentschutz erlangt werden kann. Letzteres führt zu der Erkenntnis, daû eine beanspruchte Lehre nicht schon deshalb als patentierbar angesehen werden kann, weil sie bestimmungsgemäû den Einsatz eines Computers erfordert. Es muû vielmehr bei einer Lehre, die bei ihrer Befolgung dazu beiträgt, daû eine geeignete Datenverarbeitungsanlage bestimmte Anweisungen abarbeitet, eine hierüber hinausge-
hende Eigenheit bestehen. Da Datenverarbeitung geeignet erscheint, in nahezu allen Bereichen des menschlichen Lebens nützlich zu sein, kann im Hinblick auf diese Notwendigkeit auûerdem nicht unberücksichtigt bleiben, daû das Patentrecht geschaffen wurde, um durch Gewährung eines zeitlich beschränkten Ausschlieûlichkeitsschutzes neue, nicht nahegelegte und gewerblich anwendbare Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik zu fördern. Das wiederum verbietet, jedwede in computergerechte Anweisungen gekleidete Lehre als patentierbar zu erachten, wenn sie nur - irgendwie - über die Bereitstellung der Mittel hinausgeht, welche die Nutzung als Programm für Datenverarbeitungsanlagen erlauben. Die prägenden Anweisungen der beanspruchten Lehre müssen vielmehr insoweit der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen. Unter diesen Voraussetzungen ist die beanspruchte Lehre dem Patentschutz auch dann zugänglich, wenn sie als Computerprogramm oder in einer sonstigen Erscheinungsform geschützt werden soll, die eine Datenverarbeitungsanlage nutzt.
bb) Diese Abgrenzung der für Datenverarbeitungsanlagen bestimmten Programme, für die als solche Schutz begehrt wird, von computerbezogenen Gegenständen, die § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG nicht unterfallen, führt dazu, daû Ansprüche , die zur Lösung eines Problems, das auf den herkömmlichen Gebieten der Technik, also der Ingenieurwissenschaften, der Physik, der Chemie oder der Biologie besteht, die Abarbeitung bestimmter Verfahrensschritte durch einen Computer vorschlagen, grundsätzlich patentierbar sind. Ansonsten bedarf es hingegen einer Prüfung, ob die auf Datenverarbeitung mittels eines geeigneten Computers gerichtete Lehre sich gerade durch eine Eigenheit auszeichnet , die unter Berücksichtung der Zielsetzung patentrechtlichen Schutzes eine Patentierbarkeit rechtfertigt.

Hiervon ist der Senat bereits bisher im Rahmen seiner neueren Rechtsprechung zu computerbezogenen Patentanmeldungen ausgegangen. So hat er - wenn auch im Hinblick auf die für eine Erfindung i.S.d. § 1 Abs. 1 PatG erforderliche Technizität - eine Gesamtbetrachtung darüber gefordert, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht (BGHZ 143, 255, 263 - Logikverifikation). Das erlaubt in dem hier interessierenden Zusammenhang ebenfalls eine sachgerechte Wertung und Abgrenzung. Auch dabei können deshalb als Beispiele die Sachverhalte herangezogen werden, über die der Senat bereits entschieden hat. Danach kann ein Programm patentiert werden, wenn es in technische Abläufe eingebunden ist, etwa dergestalt, daû es Meûergebnisse aufarbeitet, den Ablauf technischer Einrichtungen überwacht oder sonst steuernd bzw. regelnd nach auûen wirkt (Beschl. v. 13.05.1980 - X ZB 19/78, GRUR 1980, 849, 850 - Antiblockiersystem). Den in der Regel dem Patentschutz zugänglichen Lehren vergleichbar ist auch ein Verfahren, mit dem vermittels einer Datenverarbeitungsanlage durch Prüfung und Vergleich von Daten ein Zwischenschritt im Rahmen der Herstellung technischer Gegenstände erledigt werden kann, wenn diese Lösung durch eine auf technischen Überlegungen beruhende Erkenntnis und deren Umsetzung geprägt ist (BGHZ 143, 255, 264 - Logikverifikation). Gleiches trifft zu, wenn die Lehre die Funktionsfähigkeit der Datenverarbeitungsanlage als solche betrifft und damit das unmittelbare Zusammenwirken ihrer Elemente ermöglicht (BGHZ 115, 11, 21 - Seitenpuffer). Auch Anweisungen, die einen bestimmten Aufbau einer Datenverarbeitungsanlage lehren oder vorsehen, eine solche Anlage auf eigenartige Weise zu benutzen (vgl. BGHZ 67, 22, 29 f. - Dispositionsprogramm), müssen die Voraussetzungen des Patentierungsausschlusses nicht notwendig erfüllen.
cc) Das vom Senat für maûgeblich gehaltene Verständnis von § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG wird durch die Gesetzessystematik bestätigt. Die dargelegte Tragweite des Patentierungsverbots für Computerprogramme entspricht derjenigen von anderen Tatbeständen des § 1 Abs. 2 PatG. Sowohl die dort in Nr. 1 genannten wissenschaftlichen Theorien und mathematischen Methoden als auch die in Nr. 3 genannten Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten sind nur insoweit vom Patentschutz ausgeschlossen, als sie losgelöst von einer konkreten Umsetzung beansprucht werden. Soweit sie hingegen zur Lösung eines konkreten technischen Problems Verwendung finden, sind sie - in diesem Kontext - grundsätzlich patentfähig (BGHZ 67, 22, 26 ff. - Dispositionsprogramm; vgl. auch EPA, Entsch. v. 30.05.2000 - T 27/97, Tz. 3 - Cryptographie à clés publiques/FRANCE TELECOM).
dd) § 1 Abs. 2 Nr.3, Abs. 3 PatG ist bewuût an die europäische Regelung in Artikel 52 Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 3 EPÜ angeglichen worden, um sicherzustellen , daû der Kreis der patentfähigen Erfindungen nach nationalem Recht derselbe ist wie nach dem Europäischen Patentübereinkommen (BT-Drucks. 7/3712, S. 27). Bei der Entstehung des Europäischen Patentübereinkommens herrschte zwar im Hinblick auf die Patentierung von computerbezogenen Lehren keine klare Vorstellung darüber, welche Definition gewählt werden soll. Während der diplomatischen Konferenz zum Abschluû des Übereinkommens wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daû vergeblich versucht worden sei, die Begrifflichkeiten auszufüllen; die Auslegung müsse der Rechtspraxis überlassen bleiben (Dokument M/PR/I, S. 28 Tz. 18, in: Berichte der Münchner Diplomatischen Konferenz über die Einführung eines Europäischen Patenterteilungsverfahrens, herausgegeben von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland; auch abgedr. in: Materialien zum Europäischen
Patentübereinkommen, herausgegeben vom Europäischen Patentamt, Anl. Bd. 3).
Die in das Europäische Patentübereinkommen und das PatG übernommene Wortwahl trägt jedoch dem Anliegen Rechnung, die Entwicklung auf dem damals immer noch relativ neuen Gebiet der Computertechnik nicht durch eine uferlose Ausdehnung des Patentschutzes zu behindern. Dies legt es nahe, Lehren aus Gebieten, die nach traditionellem Verständnis nicht zur Technik gehören, nicht allein deshalb dem Patentschutz zugänglich zu erachten, weil sie mit Hilfe eines Computers angewendet werden sollen. Andererseits würde es über das genannte Ziel hinausgehen, einer Lehre, deren Eigenart durch technische Vorgänge oder Überlegungen geprägt ist, den Patentschutz zu versagen , weil sie auf einem Computer zur Ausführung kommen soll und/oder von einem Teil der Computerfachleute in einem engeren Sinne als Programm für Datenverarbeitungsanlagen angesehen wird.
2. Ob Anspruch 22 hiernach von dem Patentierungsausschluû nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG erfaût wird, kann der Senat nicht abschlieûend beurteilen.

a) Die Anmeldung betrifft die Suche und/oder Korrektur einer fehlerhaften Zeichenkette in einem Text. Das liegt nicht auf technischem Gebiet, auch wenn der zu prüfende Text mit einem computergestützten Textverarbeitungssystem erstellt worden ist. Im vorliegenden Fall ist deshalb - wie ausgeführt - eine Bewertung nötig, ob Anspruch 22 Anweisungen enthält, die den erforderlichen Bezug zur Technik herstellen. Das erfordert eine tatrichterliche Analyse sowie die Feststellung der maûgeblichen Umstände, die das Bundespatentge-
richt - in Konsequenz seines rechtlichen Ausgangspunktes - nicht getroffen hat. Das wird daher nachzuholen sein.

b) Die neuerliche Prüfung ist nicht etwa deshalb entbehrlich, weil mit Anspruch 22 ein Verfahren nicht unmittelbar beansprucht wird. Die in Anspruch 22 enthaltene Lehre kann nicht schon deshalb patentiert werden, weil dieser Anspruch insbesondere auf eine Diskette und damit auf einen körperlichen Gegenstand (Vorrichtung) gerichtet ist.
Nach der Beschreibung in der Patentanmeldung wird bei bekannten Textverarbeitungssystemen auf ein sogenanntes Lexikon zurückgegriffen. Dieses enthält eine Liste von bekannten Wörtern. Zur Fehlersuche werden die Wörter eines eingegebenen Textes mit den Einträgen des Lexikons verglichen. Die Verwendung des Lexikons erfordert einen relativ groûen Speicherplatz. Ferner kann es seinerseits Fehleinträge enthalten. Es muû darüber hinaus ständig aktualisiert werden, was zu weiteren Fehleinträgen führen kann.
Zur Überwindung der hiernach bestehenden Nachteile kommt der durch Anspruch 22 gemachte Lösungsvorschlag nicht ohne Ausführung des insbesondere nach dem erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Verfahrens aus. Ähnlich einem Blatt Papier, das anderweitig benötigte Informationen enthält, kommt dem Speichermedium, das durch Anspruch 22 geschützt werden soll, nur die Funktion eines Informationsträgers zu, der eingesetzt werden kann, wenn die Ausführung des Verfahrens durch einen Computer gewünscht wird. Auch die Rechtsbeschwerde erkennt an, daû der Datenträger als solcher im vorliegenden Fall nicht zur Begründung der Patentfähigkeit beiträgt. Wie die Anmelderin in der Rechtsbeschwerde noch einmal geltend gemacht hat, ist An-
spruch 22 auf eine Lehre für einen solchen Gegenstand nur deshalb gerichtet, um ohne besonderen Nachweis den Vorwurf der Patentverletzung nicht erst bei Ausführung des Verfahrens erheben zu können, sondern Dritte als Patentverletzer bereits dann belangen zu können, wenn Gegenstände gehandelt werden , mit deren Hilfe die Ausführung des Verfahrens gelingt bzw. in Gang gesetzt werden kann. Diesem Wunsch mag zwar die Überlegung zugrunde liegen , daû es Sache des Anmelders ist, den in Frage kommenden Patentschutz durch entsprechende Anspruchsformulierung auszuschöpfen. Das bietet jedoch keinen Grund, die Frage, ob ein angemeldeter Patentanspruch die erforderliche Patentfähigkeit aufweist, allein nach der Kategorie dieses Anspruchs und unabhängig davon zu beantworten, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht.
Der vorstehenden Bewertung der Kategorie des Anspruchs 22 steht auch nicht entgegen, daû der Senat in der in BGHZ 144, 282 ff. veröffentlichten Entscheidung mit dem Stichwort "Sprachanalyseeinrichtung" bei einer Datenverarbeitungsanlage , auf welcher die Bearbeitung von Texten vorgenommen wird, technischen Charakter angenommen hat, weil der Patentanspruch eine industriell herstellbare und gewerblich einsetzbare Vorrichtung betrifft. Denn damals waren es die vorrichtungsmäûig gekennzeichneten Merkmale des zu beurteilenden Patentanspruchs, die der Lösung des Problems dienten, das dem damaligen Schutzbegehren zugrunde lag.

c) Bei der erneuten Befassung wird das Bundespatentgericht daher vor allem die verfahrensmäûigen Anweisungen der in Anspruch 22 in Bezug genommenen Ansprüche 1 bis 17 zu bewerten haben. Diesen Anweisungen liegen ausweislich der Beschreibung der Patentanmeldung Erkenntnisse zugrun-
de, die durch statistische Erhebung gewonnen werden können. Sollten sie (auch) die Lehre nach Anspruch 22 prägen, müûte diesem nach dem Vorgesagten die Patentierbarkeit abgesprochen werden. Allerdings erscheint auch die gegenteilige Bewertung nicht gänzlich ausgeschlossen.
Der Einbeziehung der Patentansprüche 1 bis 17 in die Bewertung des Anspruchs 22 steht nicht entgegen, daû die Erteilung des Streitpatents in der Fassung des Hilfsantrages nicht angefochten ist. In diesem Umfang kann das Patent zwar wegen des im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren geltenden Verbots der reformatio in peius (Sen.Beschl. v. 12.10.1989 - X ZB 12/89, GRUR 1990, 109, 110 - Weihnachtsbrief) in dem anhängigen Verfahren nicht mehr beseitigt werden. Hieraus folgt jedoch keine Bindungswirkung für die hier zu treffende Entscheidung über die Ansprüche 22 bis 24 mit ihrem jeweils Lehren der Ansprüche 1 bis 17 integrierenden vollen Inhalt. Die Patentfähigkeit dieser Ansprüche unterliegt vielmehr der vollen rechtlichen Nachprüfung im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren.
IV. Die Patentschutz für Anspruch 22 versagende Entscheidung des Bundespatentgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
Das Patentamt hat die Zurückweisung des Hauptantrags in der ersten Instanz noch auf die Erwägung gestützt, es fehle an der erforderlichen Einheitlichkeit. Anspruch 22 enthalte ein völlig anderes Lösungsprinzip als die vorangegangenen Ansprüche. Diese rechtliche Beurteilung ist auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht zutreffend.
Danach betreffen alle Ansprüche dieselbe Lehre. Die Ansprüche 1 bis 21 schlagen zur Lösung der gestellten Aufgabe vor, die Suche nach fehlerhaften Zeichenketten im Wege eines bestimmten Verfahrens durchzuführen bzw. einen hierfür geeigneten Computer einzusetzen. Die Ansprüche 22 bis 24 fügen zu diesem Vorschlag lediglich hinzu, sich zur Realisierung des Verfahrens eines Programms auf einem Speichermedium zu bedienen. Dies stellt - vorbehaltlich besonderer Umstände, für deren Vorliegen derzeit nichts ersichtlich ist - lediglich eine besondere Ausprägung der bereits in Anspruch 1 wiedergegebenen Erfindungsidee dar. Eine Zurückweisung wegen Uneinheitlichkeit stünde zudem in Widerspruch mit dem vom Senat aufgestellten Grundsatz , wonach bei der Prüfung der Einheitlichkeit eine unnötige Zerstückelung der Patentanmeldung tunlichst zu vermeiden ist (Sen.Beschl. v. 29.06.1971 - X ZB 22/70, GRUR 1971, 512, 514 - Isomerisierung; Sen.Beschl. v. 25.06.1974 - X ZB 2/73, GRUR 1974, 774, 775 - Alkalidiamidophosphite).
V. Die Zurückverweisung der Sache wegen der Beurteilung des Anspruchs 22 rechtfertigt diese Maûnahme auch im Hinblick auf die ferner noch streitigen Ansprüche 23 und 24, ohne daû es eines näheren Eingehens auf ihren Gegenstand bedürfte. Dem Begehren der Anmelderin läût sich nicht entnehmen , daû sie die Erteilung dieser Ansprüche hilfsweise unabhängig von ihrem Begehren nach Erteilung des Anspruchs 22 erstrebt. Über die Ansprüche 22 bis 24 kann deshalb nur als Ganzes entschieden werden (Busse, PatG, 5. Aufl., Vor § 34 Rdn. 52 m.w.N.; vgl. auch EPA, Entsch. v. 12.05.2000, T 728/98, ABl. EPA 2001, 319, 330 - reines Terfenadin/ALBANY).
C. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 12 b Abs. 1 GKG.
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).
Rogge Jestaedt Melullis
Scharen Meier-Beck
41
b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Verfahren, das sich zur Herbeiführung des angestrebten Erfolgs eines Programms bedient, mit dessen Hilfe eine Datenverarbeitungsanlage so gesteuert wird, dass der gewünschte Erfolg erzielt wird, zwar dem Patentschutz zugänglich, wenn die beanspruchte Lehre Anweisungen enthält, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen. Jedenfalls bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit dürfen aber nur diejenigen Anweisungen berücksichtigt werden, die die Lösung des technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2010 - X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Rn. 31 - Wiedergabe topografischer Informationen ). Dies steht in Einklang mit der ständigen Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (dazu EPA, Beschluss vom 12. Mai 2010 - G 3/08, ABl. 2011, 10 = GRUR Int 2010, 608 Rn. 10.13 ff. - Programs for computers).

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

39
Die übrigen Bestandteile betreffen eine für Navigationszwecke zweckmäßige Projektion der topografischen Daten. Ihre Verwendung in der erfindungsgemäßen Lösung ist daher nicht Teil der technischen Lösung, sondern gehört zu der dieser vorgelagerten Auswahl einer für Navigationszwecke zweckmäßigen kartografischen Darstellung, die dem Fachmann, sofern er sie nicht bereits selbst als zweckmäßig erkennen kann, von dem hierfür zuständigen Fachmann, einem Kartografen, Geografen oder Geodäten , vorgegeben wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 2009 - Xa ZR 22/06, GRUR 2010, 44 = BlPMZ 2010, 187 - Dreinahtschlauchfolienbeutel

(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.

(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.

(3) Als Erfindungen im Sinne des Absatzes 1 werden insbesondere nicht angesehen:

1.
Entdeckungen sowie wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden;
2.
ästhetische Formschöpfungen;
3.
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen;
4.
die Wiedergabe von Informationen.

(4) Absatz 3 steht der Patentfähigkeit nur insoweit entgegen, als für die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten als solche Schutz begehrt wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 33/03
vom
19. Oktober 2004
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 100 49 825.6
BGHR: ja
BGHZ: nein
Nachschlagewerk: ja
Anbieten interaktiver Hilfe
Ein Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems, bei dem von einem
Kunden an seinem Rechner vorgenommene Bedienhandlungen erfaßt, an einen
zentralen Rechner gemeldet, dort protokolliert und mit Referenzprotokollen
verglichen werden, um dem Kunden, wenn er voraussichtlich sonst keinen Auftrag
erteilen wird, an seinem Rechner eine interaktive Hilfe anzubieten, ist als
solches nicht dem Patentschutz zugänglich.
BGH, Beschl. v. 19. Oktober 2004 - X ZB 33/03 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Melullis, die Richter Scharen, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens
und den Richter Dr. Meier-Beck
am 19. Oktober 2004

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 17. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 20. Mai 2003 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 25.000,-- € festgesetzt.

Gründe:


I. Die Rechtsbeschwerdeführerin hat am 25. Juli 2001 ein Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems zum Patent angemeldet.
Die Prüfungsstelle hat die Anmeldung zurückgewiesen, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Im Beschwerdeverfahren hat die Anmelderin den Antrag auf Erteilung eines Patents mit einem Haupt- und einem Hilfsantrag weiterverfolgt. Nach dem Hauptantrag lautet Patentanspruch 1:
"Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems mit wenigstens einem Kunden-Rechner und einem zentralen Rechner, die über ein Netz miteinander verbindbar sind, beinhaltend folgende Schritte [Buchstaben in eckigen Klammern vom Bundespatentgericht hinzugefügt]:
[a] Ein Aufrufen einer Angebotsseite zu wenigstens einem Angebot eines Anbieters durch einen Kunden am Kunden-Rechner wird vom zentralen Rechner erkannt,
[b] die vom Kunden im Zusammenhang mit der Angebotsseite am Kunden-Rechner vorgenommenen Bedienhandlungen werden erfaßt und in Echtzeit an den zentralen Rechner gemeldet,
[c] die gemeldeten Bedienhandlungen werden im zentralen Rechner fortlaufend in ein Protokoll eingetragen, das kontinuierlich mit Referenzprotokollen verglichen wird, und
[d] ergibt das Vergleichen an einem Zeitpunkt mit einer vorgebbaren Wahrscheinlichkeit, daß der Kunde keinen Auftrag zu dem Angebot eingeben wird, so wird dem Kunden am Kunden-Rechner eine interaktive Hilfe angeboten."
Nach dem Hilfsantrag lauten die Merkmale c und d:
[c] die gemeldeten Bedienhandlungen werden im zentralen Rechner fortlaufend in ein Protokoll eingetragen, das kontinuierlich mit Referenzprotokollen , die mit einer vorgebbaren Wahrscheinlichkeit darauf hinweisen, daß der Kunde keinen Auftrag zu dem Angebot eingeben wird, und mittels einer lernenden Struktur bestimmt werden , verglichen wird, und
[d] ergibt das Vergleichen an einem Zeitpunkt, daß der Kunde keinen Auftrag zu dem Angebot eingeben wird, so wird dem Kunden am Kunden-Rechner eine interaktive Hilfe angeboten."
Das Bundespatentgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Anmelderin.
II. Die kraft Zulassung statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Bundespatentgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl nach dem Haupt- wie nach dem Hilfsantrag der Anmelderin dem Patentschutz nicht zugänglich ist.
1. Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems mit wenigstens einem Kunden-Rechner und einem zentralen Rechner, die über ein Netz miteinander verbindbar sind.

Die Beschreibung, die nach dem zuletzt gestellten Antrag dem Patent zugrundegelegt werden soll, erläutert, an einem Klientenrechner seien über das Internet auf Servern gespeicherte Angebotsseiten verschiedener Anbieter mit Angeboten zu Produkten oder Dienstleistungen aufrufbar. Dabei wiesen die aufgerufenen Angebotsseiten zumeist einen virtuellen Warenkorb auf, der vom Kunden gefüllt werden könne. Zum Bestellen der im virtuellen Warenkorb befindlichen Angebote werde auf der aufgerufenen Angebotsseite eine Maske geöffnet, in der zur Bestellausführung eine Lieferadresse und eine Kreditkartennummer eingegeben werden müßten. Dabei hätten Studien gezeigt, daß bei einer überwiegenden Anzahl der Vorgänge trotz gefülltem virtuellen Warenkorb der Bestellvorgang nicht abgeschlossen werde, d.h. kein Auftrag zu einem der Angebote erteilt werde, weil der am Klientenrechner tätige Kunde nicht in der Lage sei, alle Schritte bis zum erfolgreichen Bestellen durchzuführen.
In der US-Patentschrift 6 108 637 sei eine Möglichkeit zum Überwachen eines an einem Rechnersystem angezeigten Inhalts beschrieben. Dabei könnten Überwachungsinformationen erzeugt werden, aus denen Schlüsse über ein Betrachten des angezeigten Inhalts durch einen Betrachter gezogen werden könnten. Des weiteren könne anhand der Überwachungsinformationen ein aktualisierter oder maßgeschneiderter Inhalt über ein Netzwerk von einer Inhaltbereitstellungsstelle an einer Inhaltsanzeigestelle zur Verfügung gestellt werden. In einer Ausführungsform werde dabei das Überwachen an einer Inhaltsanzeigestelle mittels einer Applettechnik eingeleitet und durchgeführt. Es sei beispielsweise überwachbar, wie oft ein an einer Anzeigevorrichtung angezeig-
ter Zeiger in eine vorgebbare Fläche der Anzeigevorrichtung ein- und wieder austrete.
Als Aufgabe der Erfindung wird angegeben, ein verbessertes Verfahren der vorgenannten Art zu schaffen, mit dem unter anderem die Anzahl erfolgreich abgeschlossener Bestellvorgänge erhöht werden kann.
Diese Aufgabe soll durch ein Verfahren mit den Schritten a bis d gelöst werden.
Dadurch sei es dem Anbieter möglich, bei einem drohenden Kaufabbruch einzuschreiten und den Kunden beispielsweise im Rahmen eines individuellen Beratungsgesprächs doch noch zum Eingeben eines Auftrages zu bewegen.
2. Das Bundespatentgericht hat ausgeführt, die beanspruchte Lehre liege nicht auf technischem Gebiet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zu verlangen, daß die prägenden Anweisungen einer beanspruchten Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems dienten. Die in der geltenden Beschreibung angegebene Aufgabe sei jedoch keine Problemstellung technischer Art. Die Problemstellung liege vielmehr auf geschäftlichem Gebiet und sei etwa mit dem Wunsch nach Steigerung des Auftragsvolumens gleichzusetzen. Ein Ansatz in Richtung auf eine Verbesserung der zur Durchführung des Verfahrens verwendeten technischen Mittel (Kundenrechner, Netz, zentraler Rechner) sei in der angegebenen Aufgabe nicht erkennbar. Auch die angegebene Lösung liege nicht auf technischem Gebiet. Im Vordergrund des Patentanspruchs 1 stehe die Lehre, die Anzahl der erfolgreich abge-
schlossenen Bestellvorgänge dadurch zu erhöhen, daß das Bedienverhalten der Kunden ausgewertet und im geeigneten Moment Hilfe angeboten werde. Diese Lehre beruhe nicht auf technischen Überlegungen, sondern hänge von der zutreffenden Auswertung des Bedienverhaltens des Kunden in (verkaufs-) psychologischer Hinsicht ab. Die im Patentanspruch angegebene Implementierung der verkaufspsychologischen Lehre beschränke sich auf eine platte Umsetzung in Datenverarbeitungsschritte, ohne daß Maßnahmen ersichtlich wären , die auf die Überwindung besonderer technischer Schwierigkeiten hinwiesen und somit einen Patentschutz rechtfertigen könnten.
3. Die Rechtsbeschwerde ist demgegenüber der Auffassung, Verfahren , die automatisierte Abläufe zum Gegenstand hätten, welche wiederum nur mit Hilfe von Rechnern möglich seien, seien als technisch anzusehen. Das Bundespatentgericht habe das technische Problem nur unzureichend erkannt. Es gehe nicht lediglich allgemein um den Wunsch nach Steigerung des Auftragsvolumens. Vielmehr sollten durch bestimmte technische Maßnahmen Probleme der Kunden bei der Bedienung des Bestellprogramms erkannt und durch weitere technische, automatisiert ablaufende Maßnahmen Hilfestellungen für den Kunden bei der Bedienung des Programms bereitgestellt werden. Die in Form von Daten hinterlegten, durch verkaufspsychologische Auswertung des Kundenverhaltens gewonnenen Erkenntnisse lösten bestimmte technische Aktionen aus, wie das Bereitstellen der interaktiven Hilfe. Dies könne die Anzahl der aufgerufenen Seiten vermindern und führe zu einer Verkürzung der erforderlichen Onlinezeit und damit zu einer Entlastung des Netzes.
4. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Verfahren, das sich zur Herbeiführung des angestrebten Erfolges eines Programms bedient, mit dessen Hilfe eine Datenverarbeitungsanlage so gesteuert wird, daß der gewünschte Erfolg erzielt wird, nicht schon wegen des Vorgangs der elektronischen Datenverarbeitung dem Patentschutz zugänglich. Da das Gesetz Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche vom Patentschutz ausschließt (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 PatG), muß die beanspruchte Lehre vielmehr Anweisungen enthalten, die der Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln dienen (Sen.Beschl. v. 24.5.2004 - X ZB 20/03, GRUR 2004, 667 - Elektronischer Zahlungsverkehr, für BGHZ vorgesehen; BGHZ 149, 68 - Suche fehlerhafter Zeichenketten).
Nichts anderes gilt, wenn in Rede steht, ob eine beanspruchte Lehre als mathematische Methode (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 PatG), als Regel oder Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG) oder als Wiedergabe von Informationen (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 PatG) nicht als Erfindung anzusehen ist. Sofern Anweisungen beansprucht werden, mit denen ein konkretes technisches Problem gelöst wird, kommt es nicht darauf an, ob der Patentanspruch auch auf die Verwendung eines Algorithmus, einen im geschäftlichen Bereich liegenden Zweck des Verfahrens oder den Informationscharakter von Verfahrensergebnissen abstellt.
Hiervon ist auch das Bundespatentgericht der Sache nach ausgegangen ; daß es dabei nicht auf die Grenzen der Patentierbarkeit nach § 1 Abs. 2 und 3 PatG, sondern auf das Erfordernis der Technizität Bezug genommen hat, nötigt deshalb nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber meint, es sei nicht sachgerecht , an Verfahren höhere Anforderungen als an Vorrichtungen zur Datenverarbeitung zu stellen, denen nach der Rechtsprechung des Senats stets technischer Charakter zukomme (BGHZ 144, 282 - Sprachanalyseeinrichtung), vernachlässigt sie, daß auch § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG zu beachten ist und diese Vorschrift nur Programme für Datenverarbeitungsanlagen, nicht aber solche Anlagen selbst betrifft. Im übrigen ergibt sich im Ergebnis kein Unterschied, da auch bei der vorrichtungsmäßigen Einkleidung einer Lehre, die sich der elektronischen Datenverarbeitung bedient, deren Patentfähigkeit nur dann zu bejahen ist, sofern hierbei die Lösung eines konkreten technischen Problems mit Mitteln gelehrt wird, die neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind (Sen.Beschl. v. 24.5.2004, aaO).

b) Die Auffassung des Bundespatentgerichts, der beanspruchten Lehre liege der nicht-technische Wunsch nach einer Steigerung des Auftragsvolumens zugrunde, erfaßt allerdings, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht, den Sachverhalt nicht vollständig. Welches technische Problem durch eine Erfindung gelöst wird, ist objektiv danach zu bestimmen, was die Erfindung tatsächlich leistet. Die in der Patentschrift angegebene Aufgabe ist demgegenüber als solche nicht maßgeblich, sondern lediglich ein Hilfsmittel für die Ermittlung des objektiven technischen Problems (BGHZ 78, 358, 364 - Spinnturbine II; BGHZ 98, 12, 19 f. - Formstein; Sen.Urt. v. 12.2.2003 - X ZR 200/99, GRUR 2003, 693 - Hochdruckreiniger). Im hier interessierenden Zusammenhang ist zudem zu beachten, daß der Ausschlußtatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 3 PatG schon dann nicht eingreift, wenn wenigstens einem Teil der Lehre ein konkretes technisches Problem zugrundeliegt. Es ist dann unschädlich , wenn dieses Bestandteil eines umfassenderen durch die beanspruchte
Lehre gelösten Problems ist, das seinerseits nicht oder nur teilweise technischen Charakter trägt (Sen.Beschl. v. 24.5.2004, aaO).
Die hier beanspruchte Lehre bewirkt nicht unmittelbar eine Steigerung des Auftragsvolumens. Eine solche Steigerung ist vielmehr lediglich das Endziel oder der wirtschaftliche Zweck der konkreten, durch den Patentanspruch gelehrten Anweisungen. Sie sollen es ermöglichen, (durch das Angebot interaktiver Hilfe) auf den Kunden einzuwirken, wenn mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß er trotz seines mit dem Aufruf der Angebotsseiten bekundeten Interesses andernfalls keinen Auftrag erteilen wird. Darin erschöpft sich die Leistung, die das beanspruchte Verfahren erbringt. Aus ihr folgt wiederum, daß das Problem darin besteht, dem Anbieter rechtzeitig diejenigen Informationen zu verschaffen, aus denen sich eine bestimmte Wahrscheinlichkeit ergibt, die ein zusätzliches Einwirken auf den Kunden zur Folge haben soll.

c) Dieses Problem ist indessen seinerseits nicht technischer Natur, da es nicht notwendigerweise den Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Herbeiführung eines kausal übersehbaren Erfolges erfordert. Es rechtfertigt auch keine andere Beurteilung, daß die Informationsverschaffung automatisch mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung erfolgen soll, denn dies genügt noch nicht zur Annahme eines konkreten technischen Problems im Sinne der Rechtsprechung des Senats.
Ein konkretes technisches Problem liegt schließlich auch nicht den Mitteln zugrunde, mit denen dem Anbieter anspruchsgemäß die benötigten Informationen verschafft werden sollen. Die benötigte Information besteht aus zwei Teilen: zum einen aus einem bestimmten Verhalten des Kunden bei der Bedie-
nung des Computers wie beispielsweise einer längeren Inaktivität, der Aktivierung eines Links oder des Aufrufs einer Standardhilfe (deutsche Offenlegungsschrift 100 49 825, Sp. 4 Z. 26 bis 59), zum anderen aus einem Referenzverhalten , das in Referenzprotokollen festgehalten ist (Merkmal c). Nach der beanspruchten Lehre sollen Mittel angegeben werden, mit deren Hilfe beide Informationen dem Zentralrechner des Anbieters gleichzeitig zur Verfügung gestellt werden, so daß aus ihrem Vergleich die Reaktion auf das Kundenverhalten resultieren kann. Dieses Problem wird dadurch gelöst, daß die am Kundenrechner vorgenommenen Bedienhandlungen erfaßt und in Echtzeit an den Zentralrechner gemeldet werden (Merkmal b). Die technische Prägung dieses Lösungsmittels und damit auch des zugrundeliegenden Problems beschränkt sich wiederum darauf, die Informationserfassung und -übermittlung mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung vorzunehmen. Das genügt nicht, um die beanspruchte Lehre dem Patentschutz zugänglich zu machen.
Die Hinweise der Rechtsbeschwerde, daß das Verfahren unmittelbar das Gebiet der Elektronik/Informatik und damit ein nach herkömmlicher Auffassung technisches Gebiet betreffe und die Schwierigkeiten des Kunden bei der Bedienung des Bestellprogramms mit technischen Mitteln erfaßt würden, führen in diesem Zusammenhang nicht weiter. Der technische Charakter der für das Verfahren benötigten Rechner steht außer Zweifel. Daraus ergibt sich aber noch kein konkretes technisches Problem, das mit den Merkmalen des beanspruchten Verfahrens gelöst würde.
Nichts anderes gilt für die Behauptung, das beanspruchte Verfahren führe zu einer Verkürzung der erforderlichen Onlinezeit und damit entgegen der Annahme des Bundespatentgerichts zu einer Entlastung des Netzes. Selbst
wenn eine solche Entlastung des Netzes einträte, handelte es sich nicht um eine technische Wirkung des beanspruchten Verfahrens, sondern um das Ergebnis eines veränderten Nutzerverhaltens. Daß das Verfahren ein solches Verhalten mag beeinflussen und fördern können, macht dessen Folgen nicht zu einer technischen Wirkung.
5. Auch der Hilfsantrag der Anmelderin, der ihren Hauptantrag in Merkmal c um die Anweisung ergänzt, die Referenzprotokolle mittels einer lernenden Struktur zu bestimmen, ist nicht anders zu würdigen.
Das Bundespatentgericht hat hierzu ausgeführt, dem im Anspruch in allgemeiner Form genannten Umstand, daß zum Entscheiden über das Anbieten von Hilfe eine lernende Struktur verwendet werden solle, komme eine die Patentierbarkeit rechtfertigende Eigenheit nicht zu. Für die Implementierung einer (technischen oder nichttechnischen) Lehre mit einem Datenverarbeitungssystem biete sich dem Datenverarbeitungsfachmann eine breite Palette von Realisierungsmöglichkeiten zur Auswahl. Bei einer als wahrscheinlich anzunehmenden Implementierung der lernenden Struktur durch Software werde der Fachmann für die Realisierung der einen oder anderen Teilaufgabe, wie beispielsweise der Auswertung einer Vielzahl von Parametern, unter den aus der theoretischen Informatik bekannten Algorithmen diejenigen auswählen, die ihm am geeignetsten erschienen. Dabei seien zu den sich anbietenden Algorithmen auch solche komplexer Art zu zählen, wie sie lernende Strukturen darstellten, die nach einer Lernphase auch "intelligente" Entscheidungen optimal ausführen könnten.
Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg mit dem Einwand , die lernende Struktur enthebe den Entwickler des Programms von einer zeitaufwendigen Gewichtung der einzelnen Parameter des Bedienerverhaltens, die lernende Struktur finde selbsttätig eine optimale Gewichtung, um die interaktive Hilfe zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen, wodurch eine sonst erforderliche intellektuelle Leistung ersetzt werde, und der Einsatz einer solchen lernenden Struktur stelle infolgedessen eine technische Verbesserung des Verfahrens dar.
Denn die Feststellung des Bundespatentgerichts, daß das Merkmal der lernenden Struktur lediglich für einen dem Fachmann seiner Art nach bekannten komplexen Algorithmus stehe, greift die Rechtsbeschwerde nicht an. Ein Algorithmus ist aber als solcher ebensowenig dem Patentschutz zugänglich wie ein Programm für Datenverarbeitungsanlagen. Ein konkretes technisches Problem , das mit Hilfe des Algorithmus gelöst würde, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf und ist auch nicht erkennbar.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.
IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 177/98 Verkündet am:
20. März 2001
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : ja
Trigonellin
PatG 1981 § 64; EPÜ Art. 68
Wird ein europäisches Patent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland
sowohl in einem deutschen Beschränkungsverfahren als auch im europäischen
Einspruchsverfahren beschränkt, verbleibt als geschützt nur das, was zugleich
nach beiden Entscheidungen noch unter Schutz steht.
EPÜ Art. 56 (entsprechend PatG 1981 § 4)
Die Zugabe eines weiteren Stoffs zur Rezeptur eines Heilmittels, durch die eine
verbesserte Wirkung des Heilmittels nicht zu erwarten war, kann zur erfinderischen
Tätigkeit nichts beitragen, wenn eine verbesserte Wirkung erwartungsgemäß
durch diese Zugabe nicht eintritt.
BGH, Urteil vom 20. März 2001 – X ZR 177/98 – Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die
Richter Dr. Melullis, Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und den Richter
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 5. Mai 1998 abgeändert : Das europäische Patent 0 289 639 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des am 7. Mai 1987 angemeldeten , mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 289 639 (Streitpatents), das die “Verwendung von Trigonellin zum
Wiederbeleben und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses” betrifft. In der Fassung des erteilten Patents lautete Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache Deutsch:
“Verwendung von Trigonellin als Mittel zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen.”
Durch Beschluß des Deutschen Patentamts vom 14. Mai 1993 ist das Streitpatent auf Antrag der Patentinhaber beschränkt worden. Im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt ist es später – mit einem gesonderten Anspruchssatz für die Bundesrepublik Deutschland – ebenfalls beschränkt worden. Der einzige Patentanspruch lautet nach der Entscheidung des Deutschen Patentamts:
“Verwendung von Trigonellin als Mittel zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen zusammen mit Riboflavin und/oder Nicotinamid und/oder Calciumpantothenat und/oder Folsäure.”
In der Fassung, die das Streitpatent im europäischen Einspruchsverfahren erhalten hat, lautet Patentanspruch 1, an den sich zwei weitere Patentansprüche anschließen:
“1. Verwendung von Trigonellin zusammen mit Riboflavin und/oder Nicotinamid und/oder Calciumpantothenat und/oder Folsäure zum Herstellen eines peroral einzunehmenden, kapselierten Mittels zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen.”

Der Kläger hat unter Hinweis auf die nachveröffentlichte ältere deutsche Patentanmeldung 36 03 601 sowie auf zahlreiche Veröffentlichungen, die bis auf das Jahr 1543 zurückreichen, geltend gemacht, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 wie der abhängigen Patentansprüche 2 und 3 des Streitpatents sei nicht neu, jedenfalls habe es aber keines erfinderischen Zutuns bedurft , um ihn aufzufinden. Die Beklagten haben das Patent nur eingeschränkt verteidigt; der verteidigte Patentanspruch 1 lautet:
“1. Verwendung von Trigonellin zusammen mit Calciumpantothenat und/oder Folsäure zum Herstellen eines peroral einzunehmenden , kapselierten Mittels zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen.”
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es über die verteidigte Fassung hinausging. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, der sich im Berufungsverfahren auch auf mangelnde Ausführbarkeit und Brauchbarkeit sowie darauf stützt, daß die Patentansprüche 2 und 3 den Schutzbereich des Streitpatents erweiterten. Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.
Professor Dr. E. L. , , hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung des Klägers führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents in vollem Umfang. Daß sich der Kläger dabei auf weitere Nichtigkeitsgründe als in erster Instanz stützt, stellt eine sachdienliche Klageänderung dar. Diese ist auch in zweiter Instanz zulässig (vgl. Sen.Urt. v. 24.6.1997 – X ZR 13/94, bei Bausch Bd. I S. 327, 334 – Auspreßvorrichtung; Sen.Urt. v. 7.6.1994 - X ZR 82/91, bei Bausch Bd. I S. 27, 29 – thermoplastische Formmassen ).
I. 1. Gegenstand der Prüfung im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren ist nur noch die beschränkt verteidigte Fassung des Patentanspruchs 1, wie sie im Urteilsausspruch des angefochtenen Urteils formuliert ist. Diese Fassung trägt allen früheren Einschränkungen im nationalen deutschen Beschränkungsverfahren wie im europäischen Einspruchsverfahren Rechnung. Insoweit bestehen keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen unzulässigen Erweiterung. Darüber besteht auch zwischen den Parteien kein Streit.
Das Streitpatent ist sowohl durch den bestandskräftig gewordenen Beschränkungsbeschluß des Deutschen Patentamts als auch durch die beschränkte Aufrechterhaltung im europäischen Einspruchsverfahren geändert worden. Beide Ä nderungen sind für das weitere Verfahren zu beachten (vgl. zur Zulässigkeit von Beschränkungen europäischer Patente nach § 64 PatG Sen.Urt. v. 7.2.1995 – X ZR 58/93, BlPMZ 1995, 322 – Isothiazolon; Sen.Urt. v. 11.6.1996 – X ZR 76/93, GRUR 1996, 862 – Bogensegment). Für die Entscheidung über den Einspruch folgt dies ohne weiteres aus der in Art. 68 EPÜ geregelten Wirkung der in Bestandskraft erwachsenen beschränkt aufrechter-
haltenden Entscheidung. Die Konkurrenz der Entscheidungen im nationalen Beschränkungsverfahren und im europäischen Einspruchsverfahren ist gesetzlich nicht geregelt. Da von der Wirksamkeit beider Entscheidungen auszugehen ist, müssen schon zur Vermeidung der Gefahr späterer Erweiterungen durch eine weniger oder anders beschränkende zweite Entscheidung beide Beschränkungen beachtlich sein. Demnach kann als geschützt insgesamt nur das verbleiben, was zugleich nach beiden Entscheidungen noch unter Schutz steht.
2. Nach der Fassung des Patentanspruchs 1 des erteilten Patents ebenso wie nach der im Beschränkungsverfahren erfolgten Ä nderung soll sich der Schutz noch allgemein auf die “Verwendung von Trigonellin als Mittel zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen” beziehen. Demgegenüber ist es lediglich eine Einschränkung, wenn in dem verteidigten Patentanspruch ebenso wie in Patentanspruch 1 nach der Fassung im Einspruchsverfahren lediglich die Verwendung von Trigonellin zum Herstellen eines Mittels zu einem therapeutischen Zweck unter Schutz gestellt ist. Die Verwendung eines Stoffs für die Herstellung eines Mittels zu einem solchen Zweck ist patentrechtlich bereits Verwendung des Stoffs zu diesem Zweck; diese Verwendung besteht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zwar noch nicht in der Herstellung eines für diesen Zweck objektiv geeigneten Stoffs oder Mittels, wohl aber in dessen zusätzlicher sinnfälliger (“augenfälliger” ) Herrichtung (BGHZ 88, 209, 211, 215 – Hydropyridin m.w.N.). Eine solche sinnfällige Herrichtung hat der Senat etwa in der auf den speziellen Verwendungszweck abgestellten Formulierung und Konfektionierung eines Medikaments sowie in der Dosierung und gebrauchsfertigen Verpackung gesehen (BGHZ 68, 156, 181 – Benzolsulfonylharnstoff; BGH, Beschl. v. 3.6.1982 – X ZB 21/81, GRUR 1982, 548 – Sitosterylglykoside). Mit der Umformulierung
des Patentanspruchs im Einspruchsverfahren sollte lediglich beschränkend auf der Grundlage der zuvor ergangenen Beschwerdeentscheidung (EPA T 143/94 ABl. EPA 1996, 430 = GRUR Int. 1996, 1154 – Trigonellin/MAI) dem Umstand Rechnung getragen werden, daß es sich bei der vorgeschlagenen Behandlung von Haarausfall um eine therapeutische Maßnahme handelt, die nach Art. 52 Abs. 4 EPÜ (ebenso wie nach § 5 Abs. 2 PatG) nicht geschützt werden kann. Nach der von der Praxis des Senats abweichenden grundlegenden Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts G 1/83 (ABl. EPA 1985, 160 = GRUR Int. 1985, 193 – Zweite medizinische Indikation) kann in solchen Fällen nicht jede Verwendung zu einem bestimmten erfinderischen neuen Zweck, sondern nur die Verwendung zur Herstellung eines Mittels für einen solchen Zweck geschützt werden. Die Herstellung des Mittels entspricht im wesentlichen der sinnfälligen Herrichtung im Sinn der Rechtsprechung des Senats. Das eine wie das andere fiel bereits unter den zunächst allgemeiner formulierten Verwendungsschutz.
3. Eine sachliche und als solche unbedenklich zulässige Einschränkung ohne gleichzeitige unzulässige Erweiterung liegt ferner darin, daß nach dem verteidigten Patentanspruch 1 die Verwendung von Trigonellin nur noch zusammen mit Calciumpantothenat und/oder Folsäure geschützt sein soll. Diese Kombinationen waren – neben weiteren Alternativen – bereits in allen früheren Fassungen und im erteilten Patent in den Patentansprüchen 1 und 3 erfaßt. Die weitere Einschränkung auf die Formulierung eines peroral einzunehmenden kapselierten Mittels ist bereits im europäischen Einspruchsverfahren erfolgt und in der Beschreibung des erteilten Patents als bevorzugte Ausführungsform genannt.
II. Das Streitpatent schützt somit in seiner noch verteidigten Fassung die Verwendung von Trigonellin (N-Methylnicotinsäure-betain), eines insbesondere im Samen des Bockshornklees (Trigonella foenum graecum L.) vorkommenden und aus diesem zu gewinnenden Alkaloids (einer Verbindungsgruppe, die Stickstoff enthält und im wäßrigen Milieu im allgemeinen eine Verschiebung der Wasserstoffionenkonzentration zum Alkalischen bewirkt), der Summenformel C H O N-H O, zusammen mit mindestens einem der Stoffe Calciumpanto- 7 7 2 2 thenat, einem aus der Pantothensäure (C H NO ) abgeleiteten Salz, und Fol- 9 16 5 säure (C H N O ), die der B -Vitamingruppe zugerechnet wird. Diese Stoffe 19 19 7 6 2 werden patentgemäß zur Herstellung eines peroral einzunehmenden, kapselierten Mittels verwendet. Das Mittel dient wiederum zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen, wobei jedenfalls in der vorgesehenen Konfektionierung praktisch die Anwendung beim Menschen allein wirtschaftliche Bedeutung hat.
III. Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 des Streitpatents mag im Hinblick auf die dem Stoff Trigonellin patentgemäß beigegebenen weiteren Stoffe Calciumpanthotenat und Folsäure in einem nicht ganz zu vernachlässigenden Grad geeignet sein, die erfindungsgemäßen Wirkungen herbeizuführen. Er ist jedoch im Sinn des Nichtigkeitsgrunds des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 52 ff. EPÜ nicht patentfähig. Er erfüllt nämlich die Anforderungen nicht, die an eine Bejahung der Schutzvoraussetzung der erfinderischen Tätigkeit (Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ) zu stellen sind. Diese setzt nach der Legaldefinition in Art. 56 Satz 1 EPÜ voraus, daß sich die Erfindung für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Grundsätzlich ist dabei auf die Gesamtheit der Merkmale abzustellen (Senat BGHZ 122, 144, 152 – tetraploide Kamille; EPA T 175/84 ABl. EPA 1989, 71, 73 – Kombinationsanspruch/KABELMETAL). Dies
gilt jedoch nicht für solche Lösungsmerkmale, die zur Lösung der Aufgabe nichts beitragen (EPA T 37/82 ABl. EPA 1984, 71, 74 – NiederspannungsSchalter /SIEMENS).
Der Senat geht bei dieser Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von folgenden Tatsachen aus:
Die Verabreichung peroral einzunehmender, kapselierter Mittel zur Förderung des Haarwachstums war bekannt. Das gilt etwa für das Mittel “Pantovigar” , das, wie der Nichtigkeitskläger nachgewiesen hat, in Kapselform vor dem Prioritätszeitpunkt u.a. für verschiedene Anwendungsgebiete bei Haarausfall vertrieben worden ist. Dieses Mittel enthielt u.a. den auch in Patentanspruch 1 des Streitpatents genannten Wirkstoff Calciumpantothenat. Zudem wird die Gabe von Calciumpanthotenat bei Störungen des Haarwuchses auch in anderen Literaturstellen beschrieben, so von Hirsch, Das Haar des Menschen, Journal für medizinische Kosmetik (1956), 351 ff., und in Römpps ChemieLexikon , 8. Aufl. 1979, S. 571. Auch die Gabe von Folsäure zu diesem Zweck ist, wie der gerichtliche Sachverständige unter Hinweis auf die Erläuterungen in Römpps Chemie-Lexikon zur Folsäure wie zu der chemisch dieser eng verwandten Folinsäure und auf den zitierten Aufsatz von Hirsch zur Überzeugung des Senats erläutert hat, für den Fachmann, einen Pharmazeuten mit Kenntnissen auf dem Gebiet der pharmazeutischen Technologie, der pharmazeutischen Biologie und der Pharmakologie, zumindest als naheliegend anzusehen. Es liegt auf der Hand und der Senat ist überzeugt davon, daß auch insoweit wie bei allen Vitaminpräparaten des Vitamin-B-Komplexes eine perorale Anwendung in verkapselter Form in naheliegender Weise in Betracht kam; auch die Beklagten haben das nicht in Zweifel gezogen.

Was die Gabe von Trigonellin betrifft, liegen die Umstände anders. Allerdings ist eine äußerliche Anwendung des in der Volksmedizin seit dem Altertum bekannten Bockshornklees und damit jedenfalls mittelbar des in dessen Samen enthaltenen Stoffs Trigonellin als Haarwuchsmittel wiederholt beschrieben worden, so in der 1985 veröffentlichten französischen Patentanmeldung 2 551 972 (Einreibung mit einer Flüssigkeit, die u.a. zerriebenen Bockshornkleesamen enthält), bei Willfort, Gesundheit durch Heilkräuter (1969), S. 270 f. (“Ä ußerlich wird der Samenaufguß bei Haarschwund ... mit Erfolg genommen. ... Der zerstoßene Samen, mit Olivenöl zu einem Brei vermengt und damit die Kopfhaut oft und gründlich eingerieben, unterbricht den Haarausfall und läßt neue Haare wieder wachsen, wenn nicht tiefere Ursachen den Haarausfall auslösten.”), Madaus, Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Bd. II (1938), S. 1365 (“In der indischen Volksmedizin wendet man Bockshornklee in Öl aufgeweicht zur Förderung des Haarwuchses an ...”) und S. 1366 (“Dänemark: ... äußerlich gegen Kopfschuppen und Haarausfall ...”) sowie in mehreren Kräuterbüchern der Renaissancezeit. Alle diese Veröffentlichungen betreffen jedoch, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend bestätigt hat, allein äußerliche und nicht perorale Anwendungen. Peroral ist lediglich die Applikation als Tee zur Bekämpfung toxischer Leberschädigungen, zur Verbesserung der Leberfunktion und als Leberschutztherapeutikum vorbeschrieben (deutsche Offenlegungsschrift 32 25 056 vom 5.1.1984 unter Hinweis auf eine bekannte Eignung als Kräftigungsmittel); Hinweise auf Wirkungen bezüglich des Haarwuchses finden sich in dieser Veröffentlichung nicht.
Der Senat ist auf Grund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen mit einer vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietenden Sicherheit
überzeugt davon, daß eine haarwuchsfördernde Wirkung des Stoffs Trigonellin bei peroraler Verabreichung ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Umständen:
Gegen eine haarwuchsfördernde Wirkung von Trigonellin, bei dem es sich nur um einen von zahlreichen Inhaltsstoffen des Bockshornkleesamens handelt, spricht zunächst schon, daß Trigonellin in der Literatur (Kirk-Othmer, Encyclopedia of Chemical Technology, 1970, S. 536) als “pharmakologisch inert” beschrieben wird und daß es, Menschen und Hunden gegeben, unverändert ausgeschieden wird. Auch Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis , Sechster Band, 1979, S. 272, beschreibt keine therapeutsche Anwendung von Trigonellin. Von Willfort (aaO S. 269), der vom gerichtlichen Sachverständigen als wenig seriös bezeichnet wird, wird Trigonellin unter die Heil- und Wirkstoffe des Bockshornkleesamens eingereiht, eine bestimmte therapeutische Wirkung wird ihm jedoch nicht zugewiesen. Der gerichtliche Sachverständige hat daraus überzeugend gefolgert, daß eine physiologische Wirkung des Stoffs Trigonellin gleich welcher Art zumindest nicht gesichert ist, er hat insbesondere auch keinen Hinweis darauf finden können, daß Trigonellin zu Vitamin B umgesetzt wird und auf diesem Weg therapeutisch wirksam ist. Dies gilt erst

2

recht für haarwuchsfördernde Wirkungen, die – wenn sie dem Bockshornkleesamen oder Extrakten daraus zukommen – nach den überzeugenden Bekundungen des gerichtlichen Sachverständigen auf andere Inhaltsstoffe zurückzuführen sind.
Für die therapeutische Unwirksamkeit in der geschützten Verabreichungsform spricht weiter, daß bei ihr mit therapeutisch wirksamen Konzentrationen am Wirkort (der Kopfhaut) nicht gerechnet werden kann. Der gerichtliche Sachverständige hat schon in seinem schriftlichen Gutachten die Verkap-
selung als aus pharmazeutischer Sicht unsinnig bezeichnet, wenn damit der Haarwuchs angeregt, verstärkt oder wiederbelebt werden solle; hieran hat er auch in der mündlichen Verhandlung mit überzeugenden Argumenten, insbesondere dem Hinweis auf die sehr langsame und geringe Resorption als quartäre Ammoniumverbindung bei oraler Applikation (so auch Gutachten S. 7 unter Hinweis auf Mutschler, Arzneimittelwirkungen, 7. Aufl. S. 11), festgehalten.
Die von den Beklagten vorgelegten Untersuchungen belegen – soweit sich ihnen überhaupt eine Förderung des Haarwuchses entnehmen läßt –, jedenfalls nicht, daß eine positive Wirkung auf den Stoff Trigonellin und nicht auf weitere in dem probeweise verwendeten Mittel enthaltene Stoffe zurückzuführen ist. Insoweit ist nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen eher von einer erwartungsgemäßen positiven Wirkung der weiteren Komponenten Calciumpantothenat und/oder Folsäure auszugehen.
Daß sich der gerichtliche Sachverständige letztlich nicht in der Lage gesehen hat, von einem naturwissenschaftlich vollständig gesicherten Unwirksamkeitsnachweis auszugehen, steht der Feststellung der Unwirksamkeit durch den Senat nicht entgegen, weil ein derart hohes Beweismaß dem deutschen Recht fremd ist; für die Beurteilung der Schutzfähigkeit europäischer Patente gelten insoweit keine besonderen Regeln.
Eine therapeutische Wirkung der Beigabe von Trigonellin in bezug auf Haarausfall und Haarwachstum konnte bei peroraler Einnahme von trigonellinhaltigen Mitteln nach alledem nicht erwartet werden. Demnach sieht das Streitpatent mit der Lehre, ein trigonellinhaltiges Mittel zu verwenden, eine Maßnahme vor, bei der sich lediglich die zu erwartende Wirkungslosigkeit der Tri-
gonellinbeigabe verwirklicht. Ä hnlich wie in dem Fall, in dem sich ein zu erwartender Erfolg bei Verwirklichung der patentgemäßen Lehre tatsächlich einstellt , dieser Umstand gegen erfinderische Tätigkeit sprechen kann (vgl. EPA T 249/88 – Milchproduktion/MONSANTO, u.a. auszugsweise bei Jaenichen GRUR Int. 1992, 327, 339; EPA T 60/89 ABl. EPA 1992, 268 = GRUR Int. 1992, 771, 775 – Fusionsproteine/HARVARD, Entscheidungsgründe unter 3.2.5., wo entscheidend darauf abgestellt wird, ob es für den Fachmann naheliegend gewesen wäre, die Idee mit einer angemessenen Erfolgserwartung auszuprobieren; vgl. auch Busse PatG 5. Aufl. § 4 PatG Rdn. 103; Kroher in Singer/Stauder EPÜ 2. Aufl. Art. 56 EPÜ Rdn. 41), muß auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sich der zu erwartende Mißerfolg einer Maßnahme verwirklicht, dies als Gesichtspunkt berücksichtigt werden, der einem Heranziehen dieser Maßnahme zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit von vornherein entgegensteht. Andernfalls würde der Patentierung von Lehren Tür und Tor geöffnet, die technisch unsinnig sind; es kann auch nach Wegfall des früher im nationalen Recht geltenden Schutzerfordernisses des technischen Fortschritts nicht Sinn des Patentrechts sein, derartige Lehren zu schützen und zu fördern. Dieser Gesichtspunkt muß auch im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Zugabe eines weiteren Stoffs zur Rezeptur eines Heilmittels, durch die eine verbesserte Wirkung des Heilmittels nicht zu erwarten war, zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen kann, wenn eine verbesserte Wirkung erwartungsgemäß durch diese Zugabe nicht eintritt.
Demnach kann die Zusammensetzung des herzustellenden Mittels aus einer oder zwei einzeln und in Kombination naheliegenden Vitaminkomponenten und einem weiteren, als solchen unwirksamen Stoff erfinderische Tätigkeit
nicht begründen. Auch die anderen Maßnahmen (Verkapselung, Therapieform) enthalten nichts, worauf sich die Annahme erfinderischer Tätigkeit stützen ließe.
Der Senat verkennt nicht, daß andere sachkundige Stellen, insbesondere das Europäische Patentamt und das Bundespatentgericht, in den das Streitpatent und ein Parallelschutzrecht betreffenden Verfahren die Schutzfähigkeit positiv beurteilt haben. Auch wenn dies im Regelfall als gewichtiger Hinweis auf die Schutzfähigkeit anzusehen ist, ergibt sich im vorliegenden Fall daraus nichts zugunsten des Streitpatents, weil die entsprechenden Entscheidungen soweit ersichtlich jeweils zumindest stillschweigend von einer therapeutischen Wirkung von Trigonellin auf den Haarwuchs ausgehen und nicht die vom Senat getroffene Feststellung berücksichtigen, daß eine solche Wirkung nicht vorliegt.
IV. Die Kostenentscheidung beruht nach dem übergangsrechtlich (Art. 29 2. PatGÄ ndG) weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 PatG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Rogge Melullis Keukenschrijver
Mühlens Meier-Beck