Bundesgerichtshof Urteil, 29. Sept. 2015 - 1 StR 287/15

bei uns veröffentlicht am29.09.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 2 8 7 / 1 5
vom
29. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. September
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 2. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer unbeschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, insgesamt die Verletzung materiellen Rechts, wobei sie die Anordnung der vom Landgericht abgelehnten Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anstrebt.
2
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Der Beschuldigte, der bereits sieben Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, davon auch zweimal wegen Körperverletzungsdelikten und zweimal wegen Bedrohung, wobei eine der Bedrohungen mit einem gefährlichen Gegenstand vorgenommen wurde, leidet an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des impulsiven Typs (ICD-10: F60.30) und erheblichem Alkoholmissbrauch.
5
Am 3. Juni 2014 konsumierte er nach einem für ihn enttäuschenden Gang zum Arbeitsamt unbekannte Mengen an Bier und Schnaps. Als seine Ehefrau ihm gegen 16.00 Uhr begegnete, beschimpfte der erheblich alkoholi- sierte Beschuldigte sie als „Schlampe“ und dass sie mit anderen Männern schlafe, und folgte ihr auf ihrem Weg zur Bank. Hierbei passierte er den Biergarten eines Spielcenters, in dem sich die Gäste unterhielten und lachten. Der Beschuldigte war der Ansicht, die besagten Biergartengäste würden über ihn lachen, und ging nach Hause, um ein Samuraischwert (Gesamtlänge 98,5 cm, Klingenlänge 69,5 cm) und eine Machete (Gesamtlänge 49 cm, Klingenlänge 36,5 cm) zu holen. Hiermit fuchtelnd stellte er sich gegen 17.00 Uhr vor den Biergarten und rief den circa fünf bis sieben Metern entfernten Biergartengäs- ten, die seines Erachtens zuvor über ihn gelacht hatten, zu: „Dein Kopf gehört mir“ sowie „Rufts die Polizei“. Der Beschuldigte wollte sichmit dieser Drohung rächen, jedoch niemandem wirklich den Kopf abschlagen. Die Geschädigten verließen hierauf den Biergarten und riefen um 17.02 Uhr die Polizei, während der Beschuldigte in seine benachbarte Wohnung zurückkehrte und eine Langwaffe , Modell Carcano 1891, 6,5 mm Kaliber, bei der das Patronenlager ver- schlossen war, so dass die Waffe nicht mehr zum Verschießen von Munition geeignet war, holte.
6
Wieder am Biergarten angekommen richtete der Beschuldigte die Waffe auf die dort ermittelnden Polizeibeamten, PHM R. , PK W. und POK S. , und rief diesen zu, dass es sich um eine scharfe Waffe handele , die geladen sei, und er auch mit dieser umgehen könne. Daraufhin gingen die Polizeibeamten in Deckung und konnten ihre Ermittlungen nicht fortsetzen. Der Beschuldigte legte die Langwaffe ab und nahm erneut das Samuraischwert und die Machete zur Hand, ging mit diesen zur nächsten Kreuzung und forderte mit dem Samuraischwert und der Machete fuchtelnd wiederholt die Polizeibeamten auf, ihn zu erschießen. Dabei ging er zunächst aggressiv auf PHM R. zu, der rückwärts wich und den Beschuldigten aufforderte, die Messer wegzulegen. Als der Beschuldigte sich kurzzeitig neben dem Polizeibus niederkniete , erweckte er den Eindruck, er würde aufgeben, stand dann jedoch wieder auf und ging - erneut mit Samuraischwert und Machete in der Hand - diesmal auf POK S. mit der Forderung zu, ihn zu erschießen. POK S. wich circa 15 Meter mit gezückter Waffe zurück, aber der Beschuldigte schloss immer weiter auf. Auch PHM R. , PHM A. und PK W. hatten jeweils die Dienstwaffe gezückt und waren schussbereit. Als der Beschuldigte nur noch circa zwei Meter von POK S. entfernt war, feuerte PHM R. auf den Beschuldigten. Das Projektil ging durch den rechten Oberschenkel des Beschuldigten und schlug letztlich im linken Knie ein. Da der Beschuldigte nicht direkt zu Boden ging, folgten zwei weitere Schüsse, bis der Beschuldigte überwältigt werden konnte.
7
Der Beschuldigte hatte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht vor, einen der Polizeibeamten zu verletzen und erachtete dies, da er die Messer zuletzt nach unten gerichtet hielt, auch nicht für möglich. Er wollte mit sei- nem Vorgehen ausschließlich die vier Polizeibeamten zur Schussabgabe auf ihn zwingen. Eine Blutprobe des Beschuldigten ergab im Wege der Rückrechnung eine maximale BAK von 2,6 Promille zum Tatzeitpunkt. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten war bei der Tat aufgrund einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
8
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht abgelehnt.

II.

9
Das Urteil hält materiell-rechtlicher Nachprüfung weitgehend nicht stand.
10
1. Die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 63 StGB weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
11
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei den am 3. Juni 2014 begangenen Taten in Folge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen sowie eines leicht- bis mittelgradigen Rauschzustands mit kognitiven Funktionseinbußen wie Stimmungslabilität und deutlichen Aufmerksamkeitsstörungen sicher erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB und nicht ausschließbar sogar aufgehoben im Sinne des § 20 StGB war. Hierbei teilt das landgerichtliche Urteil jedoch nicht mit (wie aber erforderlich, vgl. u.a. BGH, Be- schluss vom 21. Juli 2015 - 2 StR 163/15), welches Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vorliegend erfüllt ist und ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Störung oder einen länger andauernden Defektzustand gehandelt hat. Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 18.November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 mwN). Dies kann schon deshalb nicht offen bleiben, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich an den Zustand des Betroffenen anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und eine Unterbringung nach § 63 StGB nur in Betracht kommt, wenn eine länger andauernde Beeinträchtigung der geistigen oder seelischen Gesundheit vorliegt. Vorübergehende Defekte genügen nicht (BGH, Urteil vom 10. August 2005 - 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371; van Gemmeren in MüKoStGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 31; Schöch in Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 63 Rn. 8). Auch bei Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Alkoholkonsum kann eine Unterbringung nach § 63 StGB angebracht sein, wenn der Beschuldigte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207). Die Ausführungen des Landgerichts hierzu ermöglichen jedoch keine abschließende Beurteilung, ob ein solcher Fall hier gegeben ist.
12
b) Bei der Prüfung der Maßregelanordnung führt das Landgericht weiter aus, der Beschuldigte habe zwar im Zustand sicher verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) rechtswidrige Taten begangen, nämlich Bedrohungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung und versuchte Nötigungen, und es müsse bei dem Beschuldigten auch künftig mit vergleichbaren Taten gerechnet werden. Gleichwohl lehnt es die Maßregelanordnung ab, weil es - sich dem Sachverständigen diesbezüglich anschließend - keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür erkenne, dass der Beschuldigte künftig eine versuchte oder vollendete Körperverletzung begehen werde. Unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Beschuldigten und der hiesigen Tatbegehung, die ebenfalls nicht auf eine Körperverletzung, sondern nur auf Bedrohungs-, Nötigungs- und Widerstandshandlungen abzielte, sei auch für die Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades nur mit Bedrohungs- und Nötigungsdelikten zu rechnen.
13
Zutreffend hat das Landgericht zwar erkannt, dass die Anlasstat selber nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein muss. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustands zu erwarten sind und ob diese erheblich sind (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 15. August 2013 - 4 StR 179/13). Die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose lassen jedoch besorgen, dass es einen zu strengen Maßstab angelegt und verkannt hat, dass es nicht zwingend einer Körperverletzung als künftig zu erwartender Straftat bedarf. Bereits der erneut zu erwartende Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, bei dem jedenfalls von einem unbenannten besonders schweren Fall gemäß § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1972 - 2 StR 264/72), kann als mittlere Kriminalität gewertet werden. Ohnehin müssen die zu erwartenden Taten zwar grundsätzlich im Bereich mittlerer Kriminalität liegen, jedoch ist eine Unterbringung nach § 63 StGB auch unter dieser Schwelle nicht völlig ausgeschlossen. Dann ist allerdings eine besonders sorgfältige Darlegung der Gefährlichkeitsprognose und der konkreten Ausgestaltung der Taten erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571, 573; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75 und vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Auch Todesdrohungen können eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens darstellen, insbesondere wenn diese unter Einsatz gefährlicher Gegenstände ausgesprochen werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77) und den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden beeinträchtigen , da die Bedrohung aus Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - 1 StR 116/14; Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271, 272 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, StraFo 2008, 300, 301).
14
Vorliegend hat sich das Landgericht weder mit der Tatsache, dass sich der Beschuldigte mit einem Samuraischwert und einer Machete bis auf zwei Meter POK S. näherte und mit diesen Gegenständen bereits zuvor die Gäste des Biergartens mit einem derart massiven Auftreten bedroht hatte, dass diese sich ins Gebäude in Sicherheit brachten, noch mit dem Umstand, dass der Beschuldigte zwischenzeitlich eine für die Betroffenen nicht erkennbar funktionsunfähige Langwaffe zur Unterstreichung seiner Drohungen verwendete , auseinandergesetzt. Auch die Vorstrafen des Beschuldigten, unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten und Bedrohungen mit gefährlichen Gegenständen , bleiben in diesem Zusammenhang unerörtert. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Ablehnung der Unterbringung nach § 63 StGB.
15
Das Übermaßverbot nach § 62 StGB würde hier einer Anordnung gemäß § 63 StGB nicht grundsätzlich entgegenstehen. Bei einer Abwägung der Gefahr für die Allgemeinheit aufgrund der vom Beschuldigten begangenen und zu erwartenden Taten gegenüber willkürlichen Opfern und des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der von der Maßregel nach § 63 StGB Betroffenen stünde dieser Eingriff nicht von vorneherein außer Verhältnis (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 2011 - 1 StR 341/11).
16
Die Ablehnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB ist auch nicht deshalb hinzunehmen, weil eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Da das Landgericht sich nicht dazu verhält, ob in erster Linie die Behandlung der Persönlichkeitsstörung oder des Alkoholmissbrauchs oder beider Phänomene erforderlich ist, können die Voraussetzungen des § 72 StGB ebenfalls nicht überprüft werden.
17
2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Enziehungsanstalt nach § 64 StGB ist ohnehin nicht frei von Rechtsfehlern. Die Bejahung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB begegnet rechtlichen Bedenken. Das Landgericht setzt sich insoweit über den Sachver- ständigen hinweg, der „Zweifel geäussert (hat), ob der Beschuldigte kognitiv und intellektuell in der Lage sei, eine Entziehungsbehandlung erfolgreich durchzustehen“ (UA S. 15). Genauere Ausführungen zu den wesentlichen An- knüpfungspunkten und Ausführungen des Sachverständigen lässt das landgerichtliche Urteil jedoch vermissen und verhält sich auch nicht zu der vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen testpsychologischen Zusatzuntersuchung. Zwar darf das Landgericht von der Einschätzung des Sachverständigen abweichen, doch hätte es sich dafür erschöpfend mit dessen Ausführungen auseinandersetzen und diese im Einzelnen darlegen müssen, da andernfalls dem Revisionsgericht eine Prüfung nicht möglich ist, ob der Tatrichter das Gut- achten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat sowie woher sich sein besseres Fachwissen ergibt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (BGH, Urteile vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01 und vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105, 106; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05, NStZ-RR 2006, 242, 243). Dem genügt der bloße Verweis auf die Ernüchterung des Beschuldigten durch die eigenen Verletzungen als Tatfolgen und die dadurch bedingte Therapiebereitschaft nicht.
18
Ohne eine Bestimmung des Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB einerseits und nähere Ausführungen zur Therapierbarkeit der Persönlichkeitsstörung und des Alkoholmissbrauchs andererseits ist die erforderliche Grundlage für die Beurteilung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht nicht gegeben (vgl. z.B. auch BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11).
19
3. Das angefochtene Urteil war daher (sowohl als die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet als auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt worden war) aufzuheben.
20
Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass erneut eine Unterbringung des Beschuldigten angeordnet wird.
21
4. Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Insoweit war die Revision zu verwerfen. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Rothfuß Jäger Cirener Radtke Fischer

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/13
vom
18. November 2013
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2013 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten und Beschuldigten gegen das Urteil
des Landgerichts Freiburg vom 4. Juli 2013 wird als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (nachfolgend: Beschuldigter) von den ihm im Strafverfahren vorgeworfenen Taten freigesprochen. Wegen dieser Taten und derjenigen, wegen derer das Sicherungsverfahren gegen ihn betrieben wird, hat es allerdings gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
2
Der Unterbringung liegt die Begehung von insgesamt 14 rechtswidrigen Taten durch den Beschuldigten zugrunde. Bei diesen handelt es sich überwiegend um Beleidigungen und Bedrohungen (hier vor allem Drohungen mit der Tötung der Bedrohten) sowie in einem Fall (II.3. der Urteilsgründe) um eine vorsätzliche Körperverletzung und in einem weiteren Fall (II.9. der Urteilsgründe) um den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Die Taten richteten sich in der Mehrzahl gegen Personen aus der Nachbarschaft des Beschuldigten.
3
Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Beschuldigten, mit der er die näher ausgeführte Sachrüge erhebt.

II.


4
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Tatgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB angenommen.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
6
a) Der Bestand des Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das sachverständig beratene Landgericht als Eingangsmerkmale gemäß §§ 20, 21 StGB entweder eine auf einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.0) oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) beruhende „andere schwere seelische Abartigkeit“ oder eine durcheine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) bedingte „krankhafte seelische Störung“ angenommen hat. Zwar bedarf es grundsätzlich schon im Hinblick auf den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Anlasstaten sowie deren Bedeutung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose der Feststellung, welche Ursachen bei dem Beschuldigten zu welchem von §§ 20, 21 StGB erfassten Zustand geführt haben (siehe nur van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 37 und 45; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 StR 1/03, NStZ-RR 2003, 168). Ausnahmsweise kann jedoch auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden, wenn mehrere Störungen in Betracht kommen, die aber jeweils die Schuldfähigkeit des Täters sicher beeinträchtigen (vgl. BGH aaO). Allerdings muss der Tatrichter bei einer solchen Konstellation im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose jede der die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Ursachen auf ihre Bedeutung für die Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters hin gesondert untersuchen (BGH aaO; siehe auch van Gemmeren aaO Rn. 45).
7
Beidem ist das Tatgericht noch gerecht geworden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lässt sich entnehmen, dass die bei dem Beschuldigten vorliegende dauerhafte Erkrankung durch wahnhafte Fehlinterpretationen des Verhaltens Dritter, vor allem solcher aus seiner Nachbarschaft, ihm gegenüber geprägt ist (UA S. 18 und 21). Nach den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des Tatgerichts im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bezieht der Beschuldigte an sich völlig neutrale Geschehnisse auf sich und fühlt sich aufgrund der krankheitsbedingten Fehleinordnung in seiner Person angegriffen (UA S. 21). Sein eigenes beleidigendes, Gewalttätigkeiten androhendes und in Einzelfällen auch tatsächlich gewalttätiges Verhalten bewertet er - wiederum krankheitsbedingt - als normale und angemessene Gegenreaktion auf das Verhalten insbesondere seiner Nachbarn, aber auch seiner Umwelt insgesamt (UA S. 18 und 21, 23). In Bezug auf dieses Krankheitsbild hat das Tatgericht auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen dargelegt, dass dieses entweder dem Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren seelischen Abartigkeit zuzuordnen und aufgrund der Erkrankung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest erheblich beeinträchtigt ist. Eine weitere Aufklärung der Grunderkrankung, die möglicherweise eine sichere Zuweisung zu einem der beiden genannten Merkmale gemäß §§ 20, 21 StGB ermöglicht hätte, ist dem Tatgericht (auch) wegen der fehlenden Bereitschaft des Beschuldigten, sich für die Erstellung eines Gutachtens gesondert explorieren zu lassen, nicht möglich gewesen.
8
Das Urteil zeigt - wenn auch sehr knapp - trotz der fehlenden eindeutigen Klassifizierung der beschriebenen chronifizierten Grunderkrankung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dieser und der Begehung der Anlasstaten auf. Sämtliche Anlasstaten seien auf die wahnhafte Fehlinterpretation der Verhaltensweisen seiner Umwelt sowie die völlig situationsunangemessene Reaktion des Beschuldigten als Beharren auf seinen vermeintlichen Rechten zurückzuführen (UA S. 20 f.). Das Tatgericht trägt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose dem Erfordernis Rechnung, angesichts der nicht eindeutigen Zuordnung des Krankheitszustandes des Beschuldigten die möglichen Ursachen der feststehenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gesondert auf ihre Bedeutung für die zukünftige Gefährlichkeit zu untersuchen. Insoweit stellt es im Ergebnis ohne Rechtsfehler im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Einordnungen des Krankheitsbildes des Beschuldigten darauf ab, dass er we- gen der wahnbedingten Fehlwahrnehmung der Verhaltensweisen von Personen in seiner Umgebung deren Verhalten stets auf sich bezieht, von einem Angriff auf seine Rechte ausgeht und sich gegen die entsprechenden Personen mit Bedrohungen und - wegen der zugleich vorhandenen aggressiv-impulsiven Reaktionen - mit erheblichen Körperverletzungen „zur Wehr setzen“ wird.
9
b) Das Urteil bedarf auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Tatgericht festgestellt hat, aufgrund seines Zustandes sei bei dem Beschuldigten die Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich vermindert gewesen, nicht ausschließbar sei dieser sogar unfähig gewesen, das Tatunrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (UA S. 11). Zwar kann im Grundsatz weder bei § 20 noch bei § 21 StGB offen bleiben, ob die jeweilige Anwendung auf der Aufhebung oder der erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 80; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN; zu einem Ausnahmefall kumulativen Fehlens von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167 f.). Es lässt sich hier jedoch wiederum dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose noch entnehmen, dass das Tatgericht von einer sicher feststehenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit und von einer nicht ausschließbaren Aufhebung der Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten ausgegangen ist (UA S. 18). Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eigenständigen Überprüfung insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, angesichts des durch die Wahnvorstellungen hervorgerufenen Realitätsverlustes sei eine Aufhebung des Realitätsbezuges nicht auszuschließen. Sollte ein solcher trotz der Wahnvorstellungen noch erhalten geblieben sein, bestehe sicher wegen der die Krankheit begleitenden psychotischen oder psychosenahen Handlungsantriebe eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In der Gesamtschau lassen sich damit die für die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB notwendigen Feststellungen über die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten entnehmen.
10
2. Im Ergebnis tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit.
11
a) Soweit die Revision sich gegen die die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose tragende Beweiswürdigung richtet, zeigt sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Oktober 2013 genannten zutreffenden Gründen keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 8. November 2013 weisen keinen auf die lediglich erhobene Sachrüge hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler aus.
12
b) Den Darlegungsanforderungen an die Gefährlichkeitsprognose wird ebenfalls genügt.
13
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
14
Das Tatgericht hat den vorgenannten Maßstab berücksichtigt und im Ergebnis ohne Rechtsfehler näher dargelegt, warum nicht nur die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Körperverletzungsdelikte, sondern auch die Bedrohungen, die in der Vergangenheit stets Todesdrohungen zum Inhalt gehabt haben, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens besorgen lassen. Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die massiven Bedrohungen mit näher beschriebenen Tötungsarten nicht lediglich irreal seien, wie sich u.a. aus dem Einsatz gefährlicher Gegenstände wenigstens bei einer Anlasstat ableiten lässt.
15
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hinreichend das Ausbleiben weiterer Anlasstaten seit der Entlassung des Beschuldigten aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2011 berücksichtigt. Da nach der Überzeugung der Kammer dieser Umstand im Wesentlichen auf der bis März 2013 fortlaufend erfolgten ambulanten psychiatrischen Behandlung mit entsprechender, die Symptomatik dämpfender Medikation beruht, die zukünftig nicht ohne weiteres sicher gestellt werden kann, konnte sie ohne Rechtsfehler von der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten des Beschuldigten ausgehen.
16
c) Der Gesamtzusammenhang des Urteils belegt auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
17
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet bei der Anordnung (und der Vollstreckung) der Unterbringung gemäß § 63 StGB, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13; BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13). Dementsprechend darf die Unterbringung nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; BGH aaO). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH aaO).
18
Vorliegend hat sich das Tatgericht zwar auf die Bewertung beschränkt, die Unterbringung des Beschuldigten stehe nicht außer Verhältnis zu den von ihm zukünftig zu erwartenden Straftaten. Allerdings hat es sich, teils im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit, teils im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose , mit den im vorstehenden Absatz genannten Umständen befasst. Dabei hat das Landgericht jedenfalls im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung auch die Möglichkeiten der Einwirkungen auf den Beschuldigten erörtert.
Wahl Rothfuß Cirener
Radtke Mosbacher

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/13
vom
18. November 2013
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2013 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten und Beschuldigten gegen das Urteil
des Landgerichts Freiburg vom 4. Juli 2013 wird als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (nachfolgend: Beschuldigter) von den ihm im Strafverfahren vorgeworfenen Taten freigesprochen. Wegen dieser Taten und derjenigen, wegen derer das Sicherungsverfahren gegen ihn betrieben wird, hat es allerdings gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
2
Der Unterbringung liegt die Begehung von insgesamt 14 rechtswidrigen Taten durch den Beschuldigten zugrunde. Bei diesen handelt es sich überwiegend um Beleidigungen und Bedrohungen (hier vor allem Drohungen mit der Tötung der Bedrohten) sowie in einem Fall (II.3. der Urteilsgründe) um eine vorsätzliche Körperverletzung und in einem weiteren Fall (II.9. der Urteilsgründe) um den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Die Taten richteten sich in der Mehrzahl gegen Personen aus der Nachbarschaft des Beschuldigten.
3
Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Beschuldigten, mit der er die näher ausgeführte Sachrüge erhebt.

II.


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Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Tatgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB angenommen.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
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a) Der Bestand des Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das sachverständig beratene Landgericht als Eingangsmerkmale gemäß §§ 20, 21 StGB entweder eine auf einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.0) oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) beruhende „andere schwere seelische Abartigkeit“ oder eine durcheine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) bedingte „krankhafte seelische Störung“ angenommen hat. Zwar bedarf es grundsätzlich schon im Hinblick auf den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Anlasstaten sowie deren Bedeutung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose der Feststellung, welche Ursachen bei dem Beschuldigten zu welchem von §§ 20, 21 StGB erfassten Zustand geführt haben (siehe nur van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 37 und 45; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 StR 1/03, NStZ-RR 2003, 168). Ausnahmsweise kann jedoch auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden, wenn mehrere Störungen in Betracht kommen, die aber jeweils die Schuldfähigkeit des Täters sicher beeinträchtigen (vgl. BGH aaO). Allerdings muss der Tatrichter bei einer solchen Konstellation im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose jede der die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Ursachen auf ihre Bedeutung für die Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters hin gesondert untersuchen (BGH aaO; siehe auch van Gemmeren aaO Rn. 45).
7
Beidem ist das Tatgericht noch gerecht geworden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lässt sich entnehmen, dass die bei dem Beschuldigten vorliegende dauerhafte Erkrankung durch wahnhafte Fehlinterpretationen des Verhaltens Dritter, vor allem solcher aus seiner Nachbarschaft, ihm gegenüber geprägt ist (UA S. 18 und 21). Nach den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des Tatgerichts im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bezieht der Beschuldigte an sich völlig neutrale Geschehnisse auf sich und fühlt sich aufgrund der krankheitsbedingten Fehleinordnung in seiner Person angegriffen (UA S. 21). Sein eigenes beleidigendes, Gewalttätigkeiten androhendes und in Einzelfällen auch tatsächlich gewalttätiges Verhalten bewertet er - wiederum krankheitsbedingt - als normale und angemessene Gegenreaktion auf das Verhalten insbesondere seiner Nachbarn, aber auch seiner Umwelt insgesamt (UA S. 18 und 21, 23). In Bezug auf dieses Krankheitsbild hat das Tatgericht auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen dargelegt, dass dieses entweder dem Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren seelischen Abartigkeit zuzuordnen und aufgrund der Erkrankung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest erheblich beeinträchtigt ist. Eine weitere Aufklärung der Grunderkrankung, die möglicherweise eine sichere Zuweisung zu einem der beiden genannten Merkmale gemäß §§ 20, 21 StGB ermöglicht hätte, ist dem Tatgericht (auch) wegen der fehlenden Bereitschaft des Beschuldigten, sich für die Erstellung eines Gutachtens gesondert explorieren zu lassen, nicht möglich gewesen.
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Das Urteil zeigt - wenn auch sehr knapp - trotz der fehlenden eindeutigen Klassifizierung der beschriebenen chronifizierten Grunderkrankung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dieser und der Begehung der Anlasstaten auf. Sämtliche Anlasstaten seien auf die wahnhafte Fehlinterpretation der Verhaltensweisen seiner Umwelt sowie die völlig situationsunangemessene Reaktion des Beschuldigten als Beharren auf seinen vermeintlichen Rechten zurückzuführen (UA S. 20 f.). Das Tatgericht trägt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose dem Erfordernis Rechnung, angesichts der nicht eindeutigen Zuordnung des Krankheitszustandes des Beschuldigten die möglichen Ursachen der feststehenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gesondert auf ihre Bedeutung für die zukünftige Gefährlichkeit zu untersuchen. Insoweit stellt es im Ergebnis ohne Rechtsfehler im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Einordnungen des Krankheitsbildes des Beschuldigten darauf ab, dass er we- gen der wahnbedingten Fehlwahrnehmung der Verhaltensweisen von Personen in seiner Umgebung deren Verhalten stets auf sich bezieht, von einem Angriff auf seine Rechte ausgeht und sich gegen die entsprechenden Personen mit Bedrohungen und - wegen der zugleich vorhandenen aggressiv-impulsiven Reaktionen - mit erheblichen Körperverletzungen „zur Wehr setzen“ wird.
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b) Das Urteil bedarf auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Tatgericht festgestellt hat, aufgrund seines Zustandes sei bei dem Beschuldigten die Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich vermindert gewesen, nicht ausschließbar sei dieser sogar unfähig gewesen, das Tatunrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (UA S. 11). Zwar kann im Grundsatz weder bei § 20 noch bei § 21 StGB offen bleiben, ob die jeweilige Anwendung auf der Aufhebung oder der erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 80; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN; zu einem Ausnahmefall kumulativen Fehlens von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167 f.). Es lässt sich hier jedoch wiederum dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose noch entnehmen, dass das Tatgericht von einer sicher feststehenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit und von einer nicht ausschließbaren Aufhebung der Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten ausgegangen ist (UA S. 18). Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eigenständigen Überprüfung insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, angesichts des durch die Wahnvorstellungen hervorgerufenen Realitätsverlustes sei eine Aufhebung des Realitätsbezuges nicht auszuschließen. Sollte ein solcher trotz der Wahnvorstellungen noch erhalten geblieben sein, bestehe sicher wegen der die Krankheit begleitenden psychotischen oder psychosenahen Handlungsantriebe eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In der Gesamtschau lassen sich damit die für die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB notwendigen Feststellungen über die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten entnehmen.
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2. Im Ergebnis tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit.
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a) Soweit die Revision sich gegen die die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose tragende Beweiswürdigung richtet, zeigt sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Oktober 2013 genannten zutreffenden Gründen keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 8. November 2013 weisen keinen auf die lediglich erhobene Sachrüge hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler aus.
12
b) Den Darlegungsanforderungen an die Gefährlichkeitsprognose wird ebenfalls genügt.
13
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
14
Das Tatgericht hat den vorgenannten Maßstab berücksichtigt und im Ergebnis ohne Rechtsfehler näher dargelegt, warum nicht nur die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Körperverletzungsdelikte, sondern auch die Bedrohungen, die in der Vergangenheit stets Todesdrohungen zum Inhalt gehabt haben, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens besorgen lassen. Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die massiven Bedrohungen mit näher beschriebenen Tötungsarten nicht lediglich irreal seien, wie sich u.a. aus dem Einsatz gefährlicher Gegenstände wenigstens bei einer Anlasstat ableiten lässt.
15
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hinreichend das Ausbleiben weiterer Anlasstaten seit der Entlassung des Beschuldigten aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2011 berücksichtigt. Da nach der Überzeugung der Kammer dieser Umstand im Wesentlichen auf der bis März 2013 fortlaufend erfolgten ambulanten psychiatrischen Behandlung mit entsprechender, die Symptomatik dämpfender Medikation beruht, die zukünftig nicht ohne weiteres sicher gestellt werden kann, konnte sie ohne Rechtsfehler von der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten des Beschuldigten ausgehen.
16
c) Der Gesamtzusammenhang des Urteils belegt auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
17
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet bei der Anordnung (und der Vollstreckung) der Unterbringung gemäß § 63 StGB, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13; BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13). Dementsprechend darf die Unterbringung nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; BGH aaO). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH aaO).
18
Vorliegend hat sich das Tatgericht zwar auf die Bewertung beschränkt, die Unterbringung des Beschuldigten stehe nicht außer Verhältnis zu den von ihm zukünftig zu erwartenden Straftaten. Allerdings hat es sich, teils im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit, teils im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose , mit den im vorstehenden Absatz genannten Umständen befasst. Dabei hat das Landgericht jedenfalls im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung auch die Möglichkeiten der Einwirkungen auf den Beschuldigten erörtert.
Wahl Rothfuß Cirener
Radtke Mosbacher

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 6 0 2 / 1 3
vom
1. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1. April 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 2. August 2013
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung und Freiheitsberaubung schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und jeweils in Tateinheit hierzu schwerer sexueller Nötigung und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Berichtigung des Schuldspruchs und der Aufhebung der Maßregel; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben der Nebenklägerin sowie dieser nahe stehender Personen zur Duldung einer dem Beischlaf ähnlichen Handlung - Eindringen mit dem Finger in die Scheide (BGH Urteil vom 28. Januar 2004 - 2 StR 351/03 - NStZ 2004, 440, 441) - genötigt, die diese besonders erniedrigte. Da somit das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB erfüllt war, war die Tat im Urteilstenor nicht als "schwere sexuelle Nötigung", sondern als "Vergewaltigung" zu bezeichnen (siehe nur BGH Beschluss vom 11. Oktober 2012 - 2 StR 161/12).
4
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) unterliegt der Aufhebung. Die Maßregel setzt u.a. die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustands voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (vgl. nur BGHSt 42, 385). Das Vorliegen eines solchen länger andauernden Zustands ist hier nicht belegt.
5
Die Kammer begründet ihn damit, dass der Angeklagte eine rechtswidrige Tat im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit begangen habe. Nach den Feststellungen war bei der Tat infolge einer Kombination aus Minderbegabung, kombinierter Persönlichkeitsstörung und erheblichem Alkoholkonsum die Steue- rungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert. Diese Ausführungen legen es - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - nahe, dass Minderbegabung und Persönlichkeitsstörung nicht alleine, sondern nur im Zusammentreffen mit der vorübergehenden Alkoholisierung zur Annahme des § 21 StGB geführt haben. Ist die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aber auf ein Zusammenwirken zwischen Persönlichkeitsstörung und Alkoholkonsum zurückzuführen, kann ein die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigender Zustand nur angenommen werden, wenn der Angeklagte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistigen-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (siehe nur BGHSt 44, 369, 374 ff.; BGH NStZ-RR 2010, 170). Hierzu enthält das angefochtene Urteil jedoch keine Ausführungen; entsprechende Feststellungen in der neuen Hauptverhandlung erscheinen allerdings möglich.
6
Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Der Senat schließt mit Rücksicht auf das in den Feststellungen zum Ausdruck kommende Tatbild sowie die darauf Bezug nehmenden Ausführungen zur Strafzumessung aus, dass das Landgericht eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte, wenn die Anordnung der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus unterblieben wäre. Fischer Appl Schmitt RiBGH Dr. Ott ist aus Krehl tatsächlichen Gründen an der Unterschrift gehindert. Fischer

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 179/13
vom
15. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beleidigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. August
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 14. Dezember 2012 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte der Beleidigung in acht Fällen und des Missbrauchs von Notrufen schuldig ist.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in neun Fällen und wegen Missbrauchs von Notrufen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet.

I.


2
Der Senat hat das Verfahren in der Hauptverhandlung auf Antrag des Generalbundesanwalts durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 1 der Anklage 36 Js 190/12 wegen Beleidigung verurteilt worden ist. Dies führt zur entsprechenden Änderung des Schuld- spruchs und zum Wegfall der wegen dieser Tat verhängten Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten.
3
In dem nach der Verfahrensbeschränkung verbliebenen Umfang hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
Die Gesamtfreiheitsstrafe kann trotz des Wegfalls der im Fall 1 der Anklage 36 Js 190/12 verhängten Einzelstrafe bestehen bleiben. Angesichts der verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen von zweimal vier Monaten und siebenmal drei Monaten schließt der Senat aus, dass das Landgericht ohne die in dem eingestellten Fall verhängte Einzelstrafe zu einer niedrigeren Gesamtstrafe gelangt wäre.

II.


5
1. Der jetzt 59 Jahre alte Angeklagte ist mehrfach u.a. wegen sexuell motivierter Taten vorbestraft und war auch bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht:
6
Am 9. März 1999 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht W. wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte nachts an einer Bushaltestelle eine Frau mit den Worten „na, hast du heu- te schon gebumst?“ angesprochen und in den Schritt gefasst. Zwei Tage später war er auf dem Fahrrad an zwei Frauen vorbeigefahren und hatte unvermittelt einer mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.
7
Am 30. November 2001 wurden gegen den Angeklagten vom Landgericht Bochum zwei Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten und von zwei Jahren verhängt sowie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Verurteilung lagen u.a. folgende Fälle der Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und der Beleidigung zu Grunde: Am 12. Mai 2001 gegen 23.10 Uhr war der Angeklagte am Omnibusbahnhof in W. an ein fünfzehnjähriges Mädchen herangetreten und hatte sie gefragt „soll ich dir meinen Samen in deine Unterhose tun?“. Am9. Juni 2001 gegen 1.30 Uhr nachts hatte er sich einer Frau auf einem Fahrrad auf der Bahnhofstrafe in W. genähert und sie angesprochen: „Ich habe die Vorhaut zurückgezogen , hast Du Lust?“. Als ihn die Frau aufforderte, zu verschwinden, hatte ihr der Angeklagte in die Pedale getreten, sie mit den Worten „Du alte Hure“ beschimpft und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Am selben Tag um 14.45 Uhr war er mit dem Fahrrad auf einen Schulhof gefahren und hatte sich zwei spielenden achtjährigen Mädchen genähert. Er hatte sie gefragt, ob sie beschnitten seien und ob er mal gucken solle. Als die beiden Mädchen zu einem Klettergerüst gingen, hatte er sich entfernt. Bei allen Taten war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung , einer Störung der Sexualpräferenz und Pädophilie erheblich vermindert.
8
Die Maßregel wurde ab März 2002 in der Sozialtherapeutischen Anstalt L. vollzogen. Das Oberlandesgericht H. erklärte die Unterbringung zum 30. November 2011 aus Verhältnismäßigkeitsgründen für erledigt, der Strafrest wurde zur Bewährung ausgesetzt und es trat Führungsaufsicht ein. Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dass sich aus den Stellungnahmen der Klinik und den vorliegenden Sachverständigengutachten die Gefahr erheblicher Straftaten nicht ableiten lasse.
9
Nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug verbrachte der Angeklagte einen großen Teil seiner Zeit damit, durch die Stadt zu laufen und nach Mädchen und Frauen Ausschau zu halten, die ihn sexuell ansprachen. Er onanierte zwei- bis dreimal pro Woche, wobei er sich u.a. vorstellte, selbst eine Beschneidung an einem zwölf bis dreizehn Jahre alten Mädchen vorzunehmen oder ein solches Mädchen überall anzufassen und dann den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben. Bei Telefonaten oder persönlichen Kontakten konfrontierte er Frauen und Mädchen mit obszönen Aussagen, um sich durch deren Demütigung und Angst zu erregen und dann zu onanieren. Der Angeklagte empfand seine annähernd täglich auftretenden Fantasien als sehr drängend, wobei er zuletzt auch den Drang verspürte, die Angesprochenen berühren zu müssen.
10
2. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung in acht Fällen im vorliegenden Verfahren liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zu Grunde:
11
Der Angeklagte rief im Zeitraum vom 20. Dezember 2011 bis zum 21. Mai 2012 in sieben Fällen bei Frauen an mit Aussagen wie: „Hattest du heu- te unten schon einen drin?“, „Ich möchte meinen Samen bei dir los werden“ oder „ich will dich ficken“. Einer Frau sagte er, dass er sie beschneiden wolle. Am 29. Mai 2012 sprach er eine Frau an einer Bushaltestelle an und fragte mehrfach „Magst Du gerne vögeln?“. Als die Frau drohte, die Polizei zu rufen, erklärte der Angeklagte, dass sie das ruhig machen solle und berührte sie anschließend gezielt an der rechten Hüfte. Bei allen Taten war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert. Das Landgericht hat weitere ähnliche angeklagte Vorwürfe festgestellt. So hatte der Angeklagte u.a. bei zwei Gelegenheiten ein zehn und ein elf Jahre altes Mädchen sexuell motiviert angesprochen. Diese Fälle wurden nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
12
3. Nach dem Gutachten der Sachverständigen liegt beim Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung beruhend auf einer schizoiden Persönlichkeit und schweren dissozialen Auffälligkeiten sowie eine insbesondere von nicht kontrollierbaren sadistischen Neigungen geprägte sexuelle Devianz vor, welche das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erreichen. Die Sachverständige stützte sich bei ihrer Diagnose maßgeblich auf die Angaben des Angeklagten im Rahmen der Exploration. Nach seinen eigenen Schilderungen habe der Angeklagte ab dem Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren sexuelle Erregung verspürt, wenn er fremden Frauen auf das Gesäß geschlagen habe. Bei der Masturbation spiele in seinen sexuellen Fantasien die Demütigung und Angst von Frauen und Mädchen eine erhebliche Rolle. Er sei selbst erleichtert darüber, dass noch nichts Schlimmeres passiert sei. Er stelle sich seit ca. fünfzehn Jahren insbesondere vor, dass er selbst junge Mädchen beschneide , was ihn in besonderem Maße errege, sexuelle Fantasien im Zusammenhang mit Kindern habe er etwa seit dem 30. Lebensjahr. Seine sexuellen Wünsche empfinde er als sehr drängend und für ihn nicht beherrschbar.
13
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bejaht. Bei der kombinierten Persönlichkeitsstörung und der sexuellen Devianz handele es sich um einen länger dauernden Zustand im Sinne des § 63 StGB. Die Persönlichkeitsstörung und die sexuelle Devianz seien sehr verfestigt. Das Krankheitsbild sei trotz der fast zehn Jahre währenden Unterbringung im Maßregelvollzug als nahezu untherapiert anzusehen. Das Krankheitsbild mache es konkret wahrscheinlich, dass der Angeklagte zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde.
Der Angeklagte habe gegenüber der Sachverständigen geschildert, dass es ihm oftmals nicht gelinge, seine Fantasien zu unterdrücken. Dann habe es ihm zunächst genügt, Telefonanrufe mit obszönem Inhalt zu tätigen. Zuletzt habe er aber das Gefühl gehabt, er müsse jemanden berühren, eine Handlungskontrolle werde für ihn zunehmend schwerer. Er sei selbst erleichtert, dass es noch nicht zu weiter gehenden Taten als den angeklagten gekommen sei. Angesichts dessen bestehe die konkrete Gefahr, dass der Angeklagte seine Fantasien in weiter gehender Weise umsetzen werde. Es seien erhebliche Taten – gefährliche Körperverletzungen, Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch von Kindern – konkret wahrscheinlich. Da der Angeklagte insbesondere auf Kinder zugehe, bestehe die jederzeitige Gefahr, dass er bei einem aus seiner Sicht geeigneten Opfer seine Körperverletzungs- und Missbrauchsvorstellungen umsetze.

III.


14
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die für den Angeklagten ungünstige Gefährlichkeitsprognose beruht auf einer umfassenden Gesamtwürdigung der rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachen und weist keinen Wertungsfehler auf.
15
Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) rechtfertigen nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH, Urteile vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 und vom 15. August 2007 – 2 StR 309/07, NStZ 2008, 210, 212). Die Anlasstat selbst muss dabei nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge sei- nes Zustandes zu erwarten sind und ob diese erheblich im Sinne des § 63 StGB sind (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563 und vom 11. September 2008 – 4 StR 284/08; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 63 Rn. 3). Allerdings bedarf die Gefährlichkeitsprognose einer besonders sorgfältigen Darlegung, wenn die Anlasstaten nach ihrem Gewicht dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 – 4 StR 485/99). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerer Delikte durch den Angeklagten bejaht.
16
Das sachverständig beratene Landgericht hat bei seiner Prüfung die wesentlichen prognoserelevanten Umstände bedacht. Dabei hat es zu Recht auch die Sachverhalte, die den eingestellten Taten zugrunde liegen, in seine Prüfung einbezogen, da sie rechtsfehlerfrei festgestellt worden sind.
17
Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer bei der Gesamtabwägung maßgeblich auf die Schilderungen des Angeklagten abgestellt hat und davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nach Entlassung aus dem Maßregelvollzug zunehmend von gewaltbesetzten, gegen schwache Opfer gerichteten sexuellen Fantasien bedrängt wird, seine Fähigkeit, entsprechende Handlungsantriebe zu beherrschen, stetig abnimmt und zuletzt der Drang, „jemanden zu berühren“, beim Angeklagten vorherrschend wurde. Die Schilderungen des Angeklagten korrespondieren mit der Feststellung, dass er einen Großteil seiner Zeit damit verbrachte, nach Mädchen und Frauen, die ihn sexuell ansprechen, Ausschau zu halten und bei der letzten Tat über die sexuelle Beschimpfung und Herabwürdigung hinaus auch den Körperkontakt zu dem Tatopfer suchte. Das Landgericht hat dabei nicht verkannt, dass es in der Zeit zwischen der Entlassung des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug und sei- ner erneuten vorläufigen Unterbringung – also in etwa elf Monaten – dennoch nicht zu erheblichen Delikten gekommen ist. In Übereinstimmung mit der Sachverständigen ist es aber rechtlich beanstandungsfrei vor dem Hintergrund der drängenden Gewaltfantasien des Angeklagten und der Umstände der letzten Tat nachvollziehbar zu der Überzeugung gelangt, dass bei ihm ein vollständiger Zusammenbruch der Impuls- und Handlungskontrolle jederzeit möglich und deshalb damit zu rechnen ist, dass der Angeklagte erhebliche Gewaltdelikte, insbesondere (gefährliche) Körperverletzungen, Vergewaltigungen und sexuelle Missbrauchstaten, mithin erhebliche Taten im Sinne des § 63 StGB begehen wird.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
3.
die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird.

(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR111/14
vom
16. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Juni 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 4. Oktober 2013 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte , und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr freigesprochen und erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Dagegen wendet sich der Angeklagte und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.


3
Der Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO bleibt der Erfolg bereits aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. März 2014 versagt.

II.


4
1. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer hat im angefochtenen Urteil folgende ergänzende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
a) Die Nebenklägerin erregte zu Beginn des Tatzeitraums die Aufmerksamkeit des Angeklagten, als sie 1999 in eine Wohnung zog, die der seinen gegenüber lag. Zuvor hatte keine Bekanntschaft zwischen ihnen bestanden. Obwohl die Nebenklägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie keine nähere Beziehung zum Angeklagten wollte, glaubte dieser an eine gemeinsame Zukunft und sah sich – infolge seiner psychischen Erkrankung – dazu auch berechtigt, da die Nebenklägerin ihm entsprechende „Signale gesandt“ und auch das „passende Sternzeichen“ habe. Daher unternahm er eine große Zahl von Kontaktversuchen, durch die die Nebenklägerin in ihrer Lebensgestaltung zunehmend beeinträchtigt wurde. Zu den Nachstellungshandlungen im Einzelnen wird auf die durch den Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2012 (4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145) im ersten Rechtsgang aufrecht erhaltenen Feststellungen des Landgerichts zum äußeren Tatgeschehen Bezug ge- nommen. Wegen Schwierigkeiten im Verhältnis zum Vater ihres Sohnes, aber auch wegen des Verhaltens des Angeklagten, suchte die Nebenklägerin ab dem Jahr 2000 eine Psychotherapeutin auf. Die mit dieser verabredete Strategie , den Angeklagten zu ignorieren, scheiterte unter anderem daran, dass er sich ihr bei Erledigungen oder Spaziergängen häufig in den Weg stellte und sie auch mit dem Pkw verfolgte. Da dieses Verhalten des Angeklagten nicht nachließ , zog die Nebenklägerin im Jahr 2003 in eine etwa drei Kilometer entfernt liegende Wohnung, wodurch sich ihr Arbeitsweg verlängerte und ihr Sohn nunmehr mit dem Bus zur Schule fahren musste.
6
Nachdem der Angeklagte im Frühjahr 2005 den neuen Wohnort der Nebenklägerin herausgefunden hatte, setzte er seine Nachstellungshandlungen fort, weshalb die Nebenklägerin erneut die in der Zwischenzeit eingestellten Sicherungsmaßnahmen ergriff, z.B. indem sie nur noch in Begleitung Fahrrad fuhr. Ab Anfang 2009 intensivierten sich die Handlungen des Angeklagten, so dass sich die Nebenklägerin wieder in psychotherapeutische Behandlung begeben musste; es wurde eine deutliche Chronifizierung ihrer Angstzustände festgestellt. Die Nebenklägerin äußerte Selbstmordgedanken und erklärte, sie wisse nicht, wie sie weiterleben solle, wenn der Angeklagte von seinen Handlungen nicht ablasse und sie für den Rest ihres Lebens auf die von ihr ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen angewiesen sei. Ab 2011 steigerte sich die depressive , inzwischen mit Medikamenten behandelte Erkrankung der Nebenklägerin zu einer mittelschweren bis schweren Ausprägung und ging auch mit einer allgemeinen Antriebsminderung einher. Die Nebenklägerin litt fast täglich unter Panikattacken und nächtlichem Herzrasen; phasenweise war sie zu einer aktiven Teilnahme am Alltagsleben nicht mehr in der Lage. Zur Verschärfung der Situation trug auch die Tatsache bei, dass der Angeklagte ab Februar 2010 am Arbeitsplatz der Nebenklägerin erschien, so dass auch ihr berufliches Um- feld in die Sicherheitsmaßnahmen einbezogen werden musste. Ihr Arbeitsplatz wurde auf ihren Wunsch in einen schwerer zugänglichen Bereich des Firmengebäudes verlegt, auf dem Weg von und zu ihrem Pkw ließ sich die Nebenklägerin regelmäßig von einem Arbeitskollegen begleiten. Depressive Schübe verursachten in mehreren Fällen länger andauernde Arbeitsunfähigkeit. Als besonders belastend empfand die Nebenklägerin dabei zusätzlich die Szenen, die sich jeweils abspielten, wenn der Angeklagte durch Polizeibeamte oder andere Personen zum Verlassen des jeweiligen Ortes aufgefordert wurde, da er nie freiwillig Platzverweisen folgte und sein Verhalten auch nach Erlass von Abstandsverfügungen , Platzverweisen und zweimaliger Ordnungshaft fortsetzte.
7
b) Bereits im Zeitraum zwischen 1991 und 2000 hatte der Angeklagte ein ähnliches Verhalten gegenüber der damaligen Geschädigten T. gezeigt, die er 1984 zufällig über ihren Zwillingsbruder beim Tennisspielen kennen gelernt hatte. Nach Heirat der Geschädigten mit dem Zeugen F. im Jahr 1991 hatte er ständige Kontaktversuche zu ihr unternommen und sich auch durch massive Ansprachen, anwaltliche Schreiben, Unterlassungsverfügungen und regelmäßige Konflikte mit der Polizei davon nicht abhalten lassen. Er hatte ihr unzählige Briefe und CDs geschickt, sie mit dem Fahrrad oder mit dem Pkw auf dem Weg zur Arbeit verfolgt, wobei er sie teilweise durch dichtes Auffahren bedrängt hatte, so dass sie sich durch den Angeklagten regelrecht „gejagt“ gefühlt hatte. Dieses Verhalten hatte der Angeklagte – zeitweise täglich – auch fortgesetzt, als die Zeugin erkennbar schwanger war. Nach der Geburt der Tochter der Geschädigten im Jahr 1995 hatte der Angeklagte sein nachstellendes Verhalten auch auf das Kind erstreckt. Mehrere Wohnortwechsel hatten den Angeklagten von seinem Verhalten nicht abgehalten; zu Konfrontationen mit der Polizei war es in über 20 Fällen gekommen.
8
c) Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dem Angeklagten könne hinsichtlich der festgestellten Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeugin B. kein Schuldvorwurf gemacht werden, da er zum Zeitpunktder Taten auf Grund einer undifferenzierten Schizophrenie, die mit massiven formalen Denkstörungen sowie inhaltlichen Denkstörungen in Form eines Wahns einhergehe, im Sinne von § 20 StGB schuldunfähig gewesen sei. Seine Geistestätigkeit sei während der gesamten hier in Rede stehenden Zeiträume krankheitsbedingt derart beeinträchtigt gewesen, dass er das Unzutreffende seiner Gedankengänge und die Realitätsferne seiner von ihm als „logisch“ bezeichneten Schlussfolgerungen nicht mit dem in der Gesellschaft geltenden Norm- und Wertesystem habe abgleichen und daher das Unrecht seines Handelns nicht habe erkennen können. Die im Rahmen der stationären Unterbringung abgegebene und in der Hauptverhandlung wiederholte Erklärung, er werde die Nebenklägerin nunmehr in Ruhe lassen und sich in therapeutische Behandlung begeben, sei taktisch motiviert und bezwecke allein die Vermeidung der Unterbringung, die er als ungerechte Behandlung empfinde.
9
2. Zu den Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht, ebenfalls sachverständig beraten, ausgeführt, es bestehe die deutlich erhöhte Gefahr, dass sich der Angeklagte in Freiheit entweder erneut der Nebenklägerin zuwenden oder einen Wechsel seines Tatopfers vornehmen werde. Von einer Gefahr für die Allgemeinheit sei schon deshalb auszugehen, weil, anders als in vielen anderen Fällen der Nachstellung, keine vorherige Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinem Tatopfer bestanden habe. Die Zufälligkeit der Auswahl seines Opfers lasse es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass sich der Angeklagte auch einer anderen fremden Frau zuwenden werde, wenn er nach seiner eige- nen, irrationalen Logik zu der Ansicht komme, dies sei für ihn die ideale Frau. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bei zukünftigen Opfern einer Nachstellung ergebe sich generell aus der Dynamik einer derartigen Tat, im konkreten Fall aber auch aus den Besonderheiten des Wesens und der Erkrankung des Angeklagten und aus der Hartnäckigkeit, Engmaschigkeit und Penetranz der Tatbegehung. Dies schließe auch Folgen für die Opfer entsprechend den in § 238 Abs. 2 StGB erfassten schweren Gesundheitsbeschädigungen ein: Die von der Nebenklägerin wie auch von der Zeugin T. berichteten regelmäßigen Panikattacken, schweren Schlafstörungen und – im Fall der Nebenklägerin – auch Suizidgedanken bei einer Nachstellung wie der durch den Angeklagten begangenen sei nicht nur typisch, sondern zu erwarten. Zwar ließen sich die meisten Betroffenen vom Gedanken des Selbstmordes durch eine psychotherapeutische Begleitung wieder abbringen; ohne diese Begleitung sei es aber durchaus mehrfach zu Suiziden oder Suizidversuchen gekommen.
10
Mildere Maßnahmen zur Abwendung der vom Angeklagten für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr seien mangels gegenwärtiger Therapierbarkeit und Krankheitseinsicht nicht ersichtlich. Ob die Therapiebereitschaft unter Einnahme von Medikamenten erreicht werden könne, sei unsicher. Selbst dann sei beim Angeklagten noch keine Einsicht in das Unrecht der Tat erreicht.

III.


11
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
12
1. Die Strafkammer hat beim Angeklagten eine geistige Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen als nicht nur vorübergehenden, sondern überdauernden Defekt vom Schweregrad des § 20 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Auch der symptomatische Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der festgestellten psychischen Erkrankung ist hinreichend belegt.
13
2. Die Erwägungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose halten – jedenfalls im Ergebnis – rechtlicher Nachprüfung stand.
14
a) Zwar begegnet die Annahme der Strafkammer, vom Angeklagten seien mit höherer Wahrscheinlichkeit Nachstellungstaten mit dem Schweregrad des Qualifikationstatbestands des § 238 Abs. 2 StGB zu erwarten, durchgrei- fenden rechtlichen Bedenken.
15
aa) Insoweit verfehlt die Strafkammer die Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB.
16
Diese ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Die Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Taten von erheblicher Bedeutung begehen wird, muss der Tatrichter dabei nicht nur auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände der Anlasstaten hinreichend darlegen (Senatsurteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29); er muss auch konkrete Anhaltspunkte benennen, die die Erwartung künftiger Straftaten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232).
17
bb) Das Landgericht stützt seine Prognose hier aber maßgeblich nur auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach Gesundheitsbeschädigungen wie die von der Nebenklägerin glaubhaft geschilderten Panikattacken, schweren Schlafstörungen sowie die Gefahr des Todes durch (ernstliche) Gedanken an Suizid seiner beruflichen Erfahrung nach als typische Folgen der festgestellten Nachstellungshandlungen zu erwarten seien. Diese aus medizinischer Sicht – notwendigerweise – abstrahierende Betrachtung vermag den erforderlichen Beleg für künftige konkrete Gefahren im Sinne des § 238 Abs. 2 StGB im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf die Variationsbreite denkbarer Opferreaktionen nicht zu ersetzen. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gezielt psychisch labile Tatopfer auswählt, enthält das Urteil nicht.
18
b) Dieser Mangel der Gefahrprognose führt jedoch nicht zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Unterbringungsanordnung. Dass die Urteilsfeststellungen hier lediglich eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung weiterer Straftaten im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB belegen, so dass nur der Strafrahmen von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe eröffnet ist, steht dem nicht entgegen.
19
aa) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der stän- digen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen , den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, Tz. 43 mwN). Auch wenn dem Gesetz in diesem Zusammenhang eine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände nicht entnommen werden kann, können wegen des außerordentlich beschwerenden Charakters der Maßregel nach § 63 StGB und mit Blick darauf, dass deren Anordnung und Fortdauer vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden (§ 62 StGB), Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne Weiteres dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, Tz. 21 mwN). Hierzu gehört neben den Tatbeständen der Nötigung (§ 240 StGB), der Bedrohung (§ 241 StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) generell auch die Nachstellung im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB, sofern sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergeht (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, Tz. 21, 28; Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2013 aaO und vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, RuP 2008, 226, 227; vgl. auch Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 für die Bedrohung). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2008 aaO).
20
bb) Vor dem Hintergrund der Feststellungen vor allem zur Anlasstat belegen die Urteilsgründe, dass die vom Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden weiteren Nachstellungshandlungen schon im Hinblick auf deren tatauslösende Umstände zu den erheblichen Taten zu rechnen sind, weil sie geeignet sind, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Insoweit hat das Landgericht, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, maßgeblich darauf abgestellt, dass die Anlasstat nicht, wie in Nachstellungsfällen erfahrungsgemäß der Regelfall, aus einer länger bestehenden, sich krisenhaft entwickelnden Paarbeziehung erwachsen ist, der Angeklagte die Nebenklägerin vielmehr völlig zufällig und ausschließlich durch sein wahnhaftes Erleben beeinflusst ausgewählt hat. Das Landgericht hat ferner eingehend festgestellt, dass – zeitlich unmittelbar vor bzw. zeitweise sogar parallel zu der Anlasstat – die Zeugin T. in ähnlicher Weise das zufällige Opfer lang andauernder Nachstellungen durch den Angeklagten wurde. Es kommt hinzu, dass der Angeklagte sowohl die Anlasstat als auch die Nachstellungshandlungen gegenüber der Zeugin T. über einen ungewöhnlich langen Zeitraum hinweg ausführte und sie in beiden Fällen trotz vielfacher Interventionen durch Polizei und Justiz jeweils unbeirrt fortsetzte. Zumindest der Fall, in dem sich der Angeklagte der Nebenklägerin anlässlich einer Fahrt mit dem Fahrrad auf einsamer Strecke plötzlich in den Weg stellte, kommt einem körperlich-aggressiven Übergriff nahe; daneben hat das Landgericht zahlreiche, zum Teil täglich stattfindende Nachstellungshandlungen in Form persönlicher Konfrontationen in unmittelbarer Nähe von Wohnung und Arbeitsstelle der Nebenklägerin festgestellt. Dass mildere Mittel als der Vollzug der Maßregel nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen wie – mehrfach vollstreckter – Ordnungshaft bei dem therapieunfähigen Angeklagten nicht in Betracht kommen, hat die Strafkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei dargelegt.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/13
vom
18. November 2013
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2013 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten und Beschuldigten gegen das Urteil
des Landgerichts Freiburg vom 4. Juli 2013 wird als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (nachfolgend: Beschuldigter) von den ihm im Strafverfahren vorgeworfenen Taten freigesprochen. Wegen dieser Taten und derjenigen, wegen derer das Sicherungsverfahren gegen ihn betrieben wird, hat es allerdings gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
2
Der Unterbringung liegt die Begehung von insgesamt 14 rechtswidrigen Taten durch den Beschuldigten zugrunde. Bei diesen handelt es sich überwiegend um Beleidigungen und Bedrohungen (hier vor allem Drohungen mit der Tötung der Bedrohten) sowie in einem Fall (II.3. der Urteilsgründe) um eine vorsätzliche Körperverletzung und in einem weiteren Fall (II.9. der Urteilsgründe) um den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Die Taten richteten sich in der Mehrzahl gegen Personen aus der Nachbarschaft des Beschuldigten.
3
Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Beschuldigten, mit der er die näher ausgeführte Sachrüge erhebt.

II.


4
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Tatgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB angenommen.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
6
a) Der Bestand des Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das sachverständig beratene Landgericht als Eingangsmerkmale gemäß §§ 20, 21 StGB entweder eine auf einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.0) oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) beruhende „andere schwere seelische Abartigkeit“ oder eine durcheine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) bedingte „krankhafte seelische Störung“ angenommen hat. Zwar bedarf es grundsätzlich schon im Hinblick auf den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Anlasstaten sowie deren Bedeutung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose der Feststellung, welche Ursachen bei dem Beschuldigten zu welchem von §§ 20, 21 StGB erfassten Zustand geführt haben (siehe nur van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 37 und 45; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 StR 1/03, NStZ-RR 2003, 168). Ausnahmsweise kann jedoch auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden, wenn mehrere Störungen in Betracht kommen, die aber jeweils die Schuldfähigkeit des Täters sicher beeinträchtigen (vgl. BGH aaO). Allerdings muss der Tatrichter bei einer solchen Konstellation im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose jede der die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Ursachen auf ihre Bedeutung für die Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters hin gesondert untersuchen (BGH aaO; siehe auch van Gemmeren aaO Rn. 45).
7
Beidem ist das Tatgericht noch gerecht geworden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lässt sich entnehmen, dass die bei dem Beschuldigten vorliegende dauerhafte Erkrankung durch wahnhafte Fehlinterpretationen des Verhaltens Dritter, vor allem solcher aus seiner Nachbarschaft, ihm gegenüber geprägt ist (UA S. 18 und 21). Nach den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des Tatgerichts im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bezieht der Beschuldigte an sich völlig neutrale Geschehnisse auf sich und fühlt sich aufgrund der krankheitsbedingten Fehleinordnung in seiner Person angegriffen (UA S. 21). Sein eigenes beleidigendes, Gewalttätigkeiten androhendes und in Einzelfällen auch tatsächlich gewalttätiges Verhalten bewertet er - wiederum krankheitsbedingt - als normale und angemessene Gegenreaktion auf das Verhalten insbesondere seiner Nachbarn, aber auch seiner Umwelt insgesamt (UA S. 18 und 21, 23). In Bezug auf dieses Krankheitsbild hat das Tatgericht auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen dargelegt, dass dieses entweder dem Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren seelischen Abartigkeit zuzuordnen und aufgrund der Erkrankung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest erheblich beeinträchtigt ist. Eine weitere Aufklärung der Grunderkrankung, die möglicherweise eine sichere Zuweisung zu einem der beiden genannten Merkmale gemäß §§ 20, 21 StGB ermöglicht hätte, ist dem Tatgericht (auch) wegen der fehlenden Bereitschaft des Beschuldigten, sich für die Erstellung eines Gutachtens gesondert explorieren zu lassen, nicht möglich gewesen.
8
Das Urteil zeigt - wenn auch sehr knapp - trotz der fehlenden eindeutigen Klassifizierung der beschriebenen chronifizierten Grunderkrankung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dieser und der Begehung der Anlasstaten auf. Sämtliche Anlasstaten seien auf die wahnhafte Fehlinterpretation der Verhaltensweisen seiner Umwelt sowie die völlig situationsunangemessene Reaktion des Beschuldigten als Beharren auf seinen vermeintlichen Rechten zurückzuführen (UA S. 20 f.). Das Tatgericht trägt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose dem Erfordernis Rechnung, angesichts der nicht eindeutigen Zuordnung des Krankheitszustandes des Beschuldigten die möglichen Ursachen der feststehenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gesondert auf ihre Bedeutung für die zukünftige Gefährlichkeit zu untersuchen. Insoweit stellt es im Ergebnis ohne Rechtsfehler im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Einordnungen des Krankheitsbildes des Beschuldigten darauf ab, dass er we- gen der wahnbedingten Fehlwahrnehmung der Verhaltensweisen von Personen in seiner Umgebung deren Verhalten stets auf sich bezieht, von einem Angriff auf seine Rechte ausgeht und sich gegen die entsprechenden Personen mit Bedrohungen und - wegen der zugleich vorhandenen aggressiv-impulsiven Reaktionen - mit erheblichen Körperverletzungen „zur Wehr setzen“ wird.
9
b) Das Urteil bedarf auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Tatgericht festgestellt hat, aufgrund seines Zustandes sei bei dem Beschuldigten die Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich vermindert gewesen, nicht ausschließbar sei dieser sogar unfähig gewesen, das Tatunrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (UA S. 11). Zwar kann im Grundsatz weder bei § 20 noch bei § 21 StGB offen bleiben, ob die jeweilige Anwendung auf der Aufhebung oder der erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 80; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN; zu einem Ausnahmefall kumulativen Fehlens von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167 f.). Es lässt sich hier jedoch wiederum dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose noch entnehmen, dass das Tatgericht von einer sicher feststehenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit und von einer nicht ausschließbaren Aufhebung der Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten ausgegangen ist (UA S. 18). Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eigenständigen Überprüfung insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, angesichts des durch die Wahnvorstellungen hervorgerufenen Realitätsverlustes sei eine Aufhebung des Realitätsbezuges nicht auszuschließen. Sollte ein solcher trotz der Wahnvorstellungen noch erhalten geblieben sein, bestehe sicher wegen der die Krankheit begleitenden psychotischen oder psychosenahen Handlungsantriebe eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In der Gesamtschau lassen sich damit die für die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB notwendigen Feststellungen über die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten entnehmen.
10
2. Im Ergebnis tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit.
11
a) Soweit die Revision sich gegen die die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose tragende Beweiswürdigung richtet, zeigt sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Oktober 2013 genannten zutreffenden Gründen keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 8. November 2013 weisen keinen auf die lediglich erhobene Sachrüge hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler aus.
12
b) Den Darlegungsanforderungen an die Gefährlichkeitsprognose wird ebenfalls genügt.
13
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
14
Das Tatgericht hat den vorgenannten Maßstab berücksichtigt und im Ergebnis ohne Rechtsfehler näher dargelegt, warum nicht nur die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Körperverletzungsdelikte, sondern auch die Bedrohungen, die in der Vergangenheit stets Todesdrohungen zum Inhalt gehabt haben, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens besorgen lassen. Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die massiven Bedrohungen mit näher beschriebenen Tötungsarten nicht lediglich irreal seien, wie sich u.a. aus dem Einsatz gefährlicher Gegenstände wenigstens bei einer Anlasstat ableiten lässt.
15
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hinreichend das Ausbleiben weiterer Anlasstaten seit der Entlassung des Beschuldigten aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2011 berücksichtigt. Da nach der Überzeugung der Kammer dieser Umstand im Wesentlichen auf der bis März 2013 fortlaufend erfolgten ambulanten psychiatrischen Behandlung mit entsprechender, die Symptomatik dämpfender Medikation beruht, die zukünftig nicht ohne weiteres sicher gestellt werden kann, konnte sie ohne Rechtsfehler von der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten des Beschuldigten ausgehen.
16
c) Der Gesamtzusammenhang des Urteils belegt auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
17
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet bei der Anordnung (und der Vollstreckung) der Unterbringung gemäß § 63 StGB, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13; BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13). Dementsprechend darf die Unterbringung nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; BGH aaO). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH aaO).
18
Vorliegend hat sich das Tatgericht zwar auf die Bewertung beschränkt, die Unterbringung des Beschuldigten stehe nicht außer Verhältnis zu den von ihm zukünftig zu erwartenden Straftaten. Allerdings hat es sich, teils im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit, teils im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose , mit den im vorstehenden Absatz genannten Umständen befasst. Dabei hat das Landgericht jedenfalls im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung auch die Möglichkeiten der Einwirkungen auf den Beschuldigten erörtert.
Wahl Rothfuß Cirener
Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
21
a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/13
vom
18. November 2013
in dem Straf- und Sicherungsverfahren
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2013 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten und Beschuldigten gegen das Urteil
des Landgerichts Freiburg vom 4. Juli 2013 wird als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (nachfolgend: Beschuldigter) von den ihm im Strafverfahren vorgeworfenen Taten freigesprochen. Wegen dieser Taten und derjenigen, wegen derer das Sicherungsverfahren gegen ihn betrieben wird, hat es allerdings gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Den Vollzug der Maßregel hat es zur Bewährung ausgesetzt.
2
Der Unterbringung liegt die Begehung von insgesamt 14 rechtswidrigen Taten durch den Beschuldigten zugrunde. Bei diesen handelt es sich überwiegend um Beleidigungen und Bedrohungen (hier vor allem Drohungen mit der Tötung der Bedrohten) sowie in einem Fall (II.3. der Urteilsgründe) um eine vorsätzliche Körperverletzung und in einem weiteren Fall (II.9. der Urteilsgründe) um den Versuch einer gefährlichen Körperverletzung. Die Taten richteten sich in der Mehrzahl gegen Personen aus der Nachbarschaft des Beschuldigten.
3
Gegen das Urteil wendet sich die Revision des Beschuldigten, mit der er die näher ausgeführte Sachrüge erhebt.

II.


4
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Das Tatgericht hat im Ergebnis ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB angenommen.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304). Dabei muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO, siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
6
a) Der Bestand des Urteils wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das sachverständig beratene Landgericht als Eingangsmerkmale gemäß §§ 20, 21 StGB entweder eine auf einer wahnhaften Störung (ICD-10: F22.0) oder einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0) beruhende „andere schwere seelische Abartigkeit“ oder eine durcheine paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0) bedingte „krankhafte seelische Störung“ angenommen hat. Zwar bedarf es grundsätzlich schon im Hinblick auf den symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den Anlasstaten sowie deren Bedeutung im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose der Feststellung, welche Ursachen bei dem Beschuldigten zu welchem von §§ 20, 21 StGB erfassten Zustand geführt haben (siehe nur van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 37 und 45; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - 2 StR 1/03, NStZ-RR 2003, 168). Ausnahmsweise kann jedoch auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden, wenn mehrere Störungen in Betracht kommen, die aber jeweils die Schuldfähigkeit des Täters sicher beeinträchtigen (vgl. BGH aaO). Allerdings muss der Tatrichter bei einer solchen Konstellation im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose jede der die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Ursachen auf ihre Bedeutung für die Beurteilung der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters hin gesondert untersuchen (BGH aaO; siehe auch van Gemmeren aaO Rn. 45).
7
Beidem ist das Tatgericht noch gerecht geworden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils lässt sich entnehmen, dass die bei dem Beschuldigten vorliegende dauerhafte Erkrankung durch wahnhafte Fehlinterpretationen des Verhaltens Dritter, vor allem solcher aus seiner Nachbarschaft, ihm gegenüber geprägt ist (UA S. 18 und 21). Nach den getroffenen Feststellungen und den Ausführungen des Tatgerichts im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bezieht der Beschuldigte an sich völlig neutrale Geschehnisse auf sich und fühlt sich aufgrund der krankheitsbedingten Fehleinordnung in seiner Person angegriffen (UA S. 21). Sein eigenes beleidigendes, Gewalttätigkeiten androhendes und in Einzelfällen auch tatsächlich gewalttätiges Verhalten bewertet er - wiederum krankheitsbedingt - als normale und angemessene Gegenreaktion auf das Verhalten insbesondere seiner Nachbarn, aber auch seiner Umwelt insgesamt (UA S. 18 und 21, 23). In Bezug auf dieses Krankheitsbild hat das Tatgericht auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Feststellungen dargelegt, dass dieses entweder dem Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung oder einer schweren seelischen Abartigkeit zuzuordnen und aufgrund der Erkrankung die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zumindest erheblich beeinträchtigt ist. Eine weitere Aufklärung der Grunderkrankung, die möglicherweise eine sichere Zuweisung zu einem der beiden genannten Merkmale gemäß §§ 20, 21 StGB ermöglicht hätte, ist dem Tatgericht (auch) wegen der fehlenden Bereitschaft des Beschuldigten, sich für die Erstellung eines Gutachtens gesondert explorieren zu lassen, nicht möglich gewesen.
8
Das Urteil zeigt - wenn auch sehr knapp - trotz der fehlenden eindeutigen Klassifizierung der beschriebenen chronifizierten Grunderkrankung einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dieser und der Begehung der Anlasstaten auf. Sämtliche Anlasstaten seien auf die wahnhafte Fehlinterpretation der Verhaltensweisen seiner Umwelt sowie die völlig situationsunangemessene Reaktion des Beschuldigten als Beharren auf seinen vermeintlichen Rechten zurückzuführen (UA S. 20 f.). Das Tatgericht trägt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose dem Erfordernis Rechnung, angesichts der nicht eindeutigen Zuordnung des Krankheitszustandes des Beschuldigten die möglichen Ursachen der feststehenden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit gesondert auf ihre Bedeutung für die zukünftige Gefährlichkeit zu untersuchen. Insoweit stellt es im Ergebnis ohne Rechtsfehler im Hinblick auf sämtliche in Betracht kommenden Einordnungen des Krankheitsbildes des Beschuldigten darauf ab, dass er we- gen der wahnbedingten Fehlwahrnehmung der Verhaltensweisen von Personen in seiner Umgebung deren Verhalten stets auf sich bezieht, von einem Angriff auf seine Rechte ausgeht und sich gegen die entsprechenden Personen mit Bedrohungen und - wegen der zugleich vorhandenen aggressiv-impulsiven Reaktionen - mit erheblichen Körperverletzungen „zur Wehr setzen“ wird.
9
b) Das Urteil bedarf auch nicht deshalb der Aufhebung, weil das Tatgericht festgestellt hat, aufgrund seines Zustandes sei bei dem Beschuldigten die Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich vermindert gewesen, nicht ausschließbar sei dieser sogar unfähig gewesen, das Tatunrecht einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (UA S. 11). Zwar kann im Grundsatz weder bei § 20 noch bei § 21 StGB offen bleiben, ob die jeweilige Anwendung auf der Aufhebung oder der erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder der Steuerungsfähigkeit beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304; LK-StGB/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 80; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN; zu einem Ausnahmefall kumulativen Fehlens von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167 f.). Es lässt sich hier jedoch wiederum dem Gesamtzusammenhang des Urteils unter Berücksichtigung der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose noch entnehmen, dass das Tatgericht von einer sicher feststehenden erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit und von einer nicht ausschließbaren Aufhebung der Einsichtsfähigkeit im Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten ausgegangen ist (UA S. 18). Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eigenständigen Überprüfung insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, angesichts des durch die Wahnvorstellungen hervorgerufenen Realitätsverlustes sei eine Aufhebung des Realitätsbezuges nicht auszuschließen. Sollte ein solcher trotz der Wahnvorstellungen noch erhalten geblieben sein, bestehe sicher wegen der die Krankheit begleitenden psychotischen oder psychosenahen Handlungsantriebe eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. In der Gesamtschau lassen sich damit die für die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB notwendigen Feststellungen über die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten entnehmen.
10
2. Im Ergebnis tragen die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit.
11
a) Soweit die Revision sich gegen die die Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose tragende Beweiswürdigung richtet, zeigt sie aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Oktober 2013 genannten zutreffenden Gründen keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Auch die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 8. November 2013 weisen keinen auf die lediglich erhobene Sachrüge hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler aus.
12
b) Den Darlegungsanforderungen an die Gefährlichkeitsprognose wird ebenfalls genügt.
13
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
14
Das Tatgericht hat den vorgenannten Maßstab berücksichtigt und im Ergebnis ohne Rechtsfehler näher dargelegt, warum nicht nur die mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Körperverletzungsdelikte, sondern auch die Bedrohungen, die in der Vergangenheit stets Todesdrohungen zum Inhalt gehabt haben, eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Rechtsfriedens besorgen lassen. Zutreffend wird darauf verwiesen, dass die massiven Bedrohungen mit näher beschriebenen Tötungsarten nicht lediglich irreal seien, wie sich u.a. aus dem Einsatz gefährlicher Gegenstände wenigstens bei einer Anlasstat ableiten lässt.
15
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hinreichend das Ausbleiben weiterer Anlasstaten seit der Entlassung des Beschuldigten aus der vorläufigen Unterbringung im Oktober 2011 berücksichtigt. Da nach der Überzeugung der Kammer dieser Umstand im Wesentlichen auf der bis März 2013 fortlaufend erfolgten ambulanten psychiatrischen Behandlung mit entsprechender, die Symptomatik dämpfender Medikation beruht, die zukünftig nicht ohne weiteres sicher gestellt werden kann, konnte sie ohne Rechtsfehler von der Gefahr zukünftiger erheblicher Straftaten des Beschuldigten ausgehen.
16
c) Der Gesamtzusammenhang des Urteils belegt auch die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus.
17
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet bei der Anordnung (und der Vollstreckung) der Unterbringung gemäß § 63 StGB, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13; BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13). Dementsprechend darf die Unterbringung nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301; BGH aaO). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH aaO).
18
Vorliegend hat sich das Tatgericht zwar auf die Bewertung beschränkt, die Unterbringung des Beschuldigten stehe nicht außer Verhältnis zu den von ihm zukünftig zu erwartenden Straftaten. Allerdings hat es sich, teils im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit, teils im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose , mit den im vorstehenden Absatz genannten Umständen befasst. Dabei hat das Landgericht jedenfalls im Zusammenhang mit den Darlegungen zur Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung auch die Möglichkeiten der Einwirkungen auf den Beschuldigten erörtert.
Wahl Rothfuß Cirener
Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 1 1 6 / 1 4
vom
21. Mai 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Gegenstand des Verfahrens ist die Entscheidung über einen Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 413 StPO auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die Strafkammer hat diesen Antrag abgelehnt , weil eine Unterbringung unverhältnismäßig wäre. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die auch vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
2
1. Folgendes ist festgestellt:
3
a) Der 1981 geborene Beschuldigte leidet seit Jahren an paranoider Schizophrenie, die unter anderem von Leibhalluzinationen (Schmerzempfin- den) und einem „bizarren Wahn“ gekennzeichnet ist. Er hält sich nicht für krank. Ihm fehlt auch sonst krankheitsbedingt ein „Bezug zur Realität“, dem- entsprechend sind ihm „rationale Entscheidungen“ nicht mehr möglich. Die Krankheitssymptome gehen bei medikamentöser Behandlung immer wieder zurück. Weil er aber wegen der fehlenden Krankheitseinsicht die Medikamente wiederholt eigenmächtig absetzt, kommt es jeweils alsbald zu einem Rückfall und er muss erneut stationär untergebracht werden. Teilweise erfolgte dies nach Maßgabe von Betreuungsrecht, dessen Anwendung auf seinem verbal aggressiven Verhalten beruhte. Bei seiner letzten Unterbringung vor seiner Unterbringung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens musste er wegen (nicht näher beschriebener) „fremdaggressiver Verhaltensweisen zeitweise fixiert“ werden.
4
b) Auf der Grundlage dieses Zustandes kam es zwischen 2011 und 2013 zu folgenden Taten:
5
(1) Soweit der Beschuldigte nicht arbeitsunfähig war, arbeitete er in einer Gießerei. Er war überzeugt, dass sein Meister und sein Vorarbeiter durch ihr „Wirken“ dafür verantwortlich seien, dass er zunehmende Unterleibsschmerzen spürte. In seinem öffentlichen Facebook–Profil bezeichnete er den Vorarbeiter nicht nur als blöd, sondern er kündigte an, dieser werde „durch ne maschine“ sterben, weil er, der Beschuldigte, den Stecker herausziehe. Auf dem gleichen Weg kündigte er an, dass der Meister bald sterben werde.
6
(2) Eine Mitbewohnerin des Hauses machte er ebenfalls für Schmerzen in seinem Unterleib verantwortlich, nachdem diese wegen von ihm verursachter Lärmbelästigung wiederholt die Polizei gerufen hatte. Mehrfach kündigte er ihr, teilweise mit Beleidigungen („Dreckhure“) verbunden, an, er werde sie umbrin- gen, wenn sie noch einmal die Polizei rufe.

7
(3) Der Beschuldigte war davon überzeugt, die Schwester eines Freun- des denke „ständig an seine Genitalien und sein Hinterteil“ und füge ihm so „dauernd anhaltende Schmerzen im Hintern“ zu. Dafür wollte er sie ins Gesicht schlagen. Als er bei ihr klingelte, öffnete nicht sie sondern ihre Mutter. Unvermittelt schlug er dieser heftig mit der Faust ins Gesicht. Nasenbluten, Kopfschmerzen , Schwindelgefühle und Schwellungen sowie über Wochen ein Monokelhämatom waren die Folge. In der Hauptverhandlung erklärte der Beschul- digte hierzu, auch die Mutter habe ihn „geistig gequält“.
8
2. Beraten von einem ihr „als langjähriger, erfahrener und kompetenter Gutachter“ bekannten Sachverständigen nimmt die Strafkammer Schuldunfä- higkeit an. Während der Sachverständige von fehlender Steuerungsfähigkeit ausgeht, nimmt die Strafkammer in ausdrücklicher Abweichung hiervon fehlende Einsichtsfähigkeit an. Im Übrigen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig Gewaltdelikte zu erwarten, es sei gegenüber früher eine erkennbare Steigerung des Gewaltpotentials auszumachen. Jedoch spreche sein früheres Verhalten dafür, dass mit noch intensiveren Gewaltdelikten nicht zu rechnen sei. Im Blick auch auf die seit Jahren vorhandene Erkrankung spreche der Umstand , dass der Angeklagte bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, gegen die Annahme, eine Unterbringung sei verhältnismäßig. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass für einen „unbefristeten Zeitraum … die Voraussetzungen … einer … Bewährung angesichts der fehlenden Krankheitseinsicht …. nicht vorliegen werden ….“.
9
Insgesamt sei nach alledem eine Unterbringung gegenwärtig unverhältnismäßig.
10
3. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand:
11
a) Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer davon aus, dass Gewaltdelikte , wie etwa Faustschläge ins Gesicht, regelmäßig als im Sinne des § 63 StGB erhebliche Taten anzusehen sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03 mwN). Nicht deutlich, für das Maß der vom Beschuldigten ausgehenden Gefahr aber möglicherweise bedeutsam, wird dagegen, dass auch Bedrohungen, etwa mit dem Tode, als erhebliche Taten zu bewerten sein können, wenn sie aus Sicht der Bedrohten diese nachhaltig und massiv in ihrem elementaren Sicherheitsempfinden beeinträchtigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2008 – 1 StR 153/08).
12
b) Zweifel bestehen auch an der Bewertung der Grundlage der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten:
13
Schuldunfähigkeit kann sowohl auf fehlender Einsichtsfähigkeit beruhen als auch auf fehlender Steuerungsfähigkeit. Zwar liegen gerade in Fällen, in denen – wie hier – im Ergebnis Schuldunfähigkeit angenommen ist, die für die Unterscheidung maßgeblichen Kriterien nicht stets klar auf der Hand. Dennoch kann nach ständiger Rechtsprechung gerade dann nicht auf eine präzise Feststellung verzichtet werden, wenn eine Unterbringung gemäß § 63 StGB im Raum steht (vgl. zusammenfassend Fischer, StGB, 61. Aufl., § 20 Rn. 44a mwN). All dies verkennt auch die Strafkammer nicht, jedoch ist die ihrer Bewertung zu Grunde liegende Würdigung nicht rechtsfehlerfrei dargelegt. Sie beschränkt sich letztlich auf die Feststellung, dass sie die Auffassung des Sachverständigen zum Grund der Schuldunfähigkeit nicht teile. Zwar ist das Gericht grundsätzlich nicht an die Bewertung durch einen Sachverständigen gebunden, jedoch bedarf die Abweichung von der Auffassung eines – hier als hoch qualifiziert angesehenen – Sachverständigen zumal dann näherer Darlegung, wenn das Gericht nach gesetzlicher Wertung in dem in Rede stehenden Zusammenhang regelmäßig sachverständiger Beratung bedarf (vgl. § 246a StPO).
14
c) Unklar ist auch, wieso trotz der aus der Tat gegen die Mutter des Freundes ersichtlichen gesteigerten Gefährlichkeit des Beschuldigten bei den – anders als früher nunmehr zu befürchtenden – künftigen Gewalttaten eine noch intensivere Gewaltanwendung nicht zu erwarten sein soll. Allein der Umstand , dass er früher (noch) keine Gewalt gegen Personen ausgeübt hat, kann dies jedenfalls ohne nachvollziehbare Erläuterung nicht belegen. Dem gegenüber wäre in diesem Zusammenhang auch das festgestellte, aber nicht näher erläuterte Geschehen im Krankenhaus in die Erwägungen einzubeziehen gewesen. Die offenbar aus ärztlicher Sicht bejahte Notwendigkeit einer Fixierung des Beschuldigten wegen seines fremdaggressiven Verhaltens kann für die Beurteilung des Maßes der von ihm früher schon ausgegangenen Gefährlichkeit und damit auch für die Prognose über die künftig von ihm ausgehende Gefährlichkeit erkennbar Bedeutung haben. Allein der Umstand, dass dieses Geschehen zu keinem Straf- oder Ermittlungsverfahren führte – auf diesen Aspekt stellt die Strafkammer insgesamt bei der Bewertung des bisherigen Verhaltens ab – wäre nicht notwendig geeignet, dieses Geschehen zu relativieren. Maßgeblich für die Beurteilung krankheitsbedingter Gefährlichkeit sind in erster Linie zu Tage getretene tatsächliche Verhaltensweisen.
15
d) Im Übrigen ist bei der Entscheidung über eine Unterbringung vom erkennenden Gericht allein auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abzustellen. Die Überlegungen der Strafkammer dazu, ob und wann eine Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, sind nach gesetzlicher Konzeption der Strafvollstreckungskammer (§ 463 StPO i.V.m. § 462a StPO) vorbehalten. Darüber hinaus hat die Strafkammer auch übersehen, dass die Strafvollstreckungskammer – ohne dass es hier auf Weiteres ankäme – eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt zu erklären hat, wenn nach ihrer maßgeblichen Auffassung die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre (§ 67d Abs. 6 Satz 1 StGB). Prognosen über künftige Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer können nicht Teil der Entscheidungsgrundlage des erkennenden Gerichts über eine Unterbringungsanordnung sein. Dem entspricht im Übrigen, dass der Bundesgerichtshof lediglich mit einem Hinweis („obiter dictum“) zum Ausdruck bringt, wenn im Einzelfall im Rahmen der Vollstreckung einer vom Tatrichter rechtsfehlerfrei angeordneten Unterbringung Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte Gewicht haben können (vgl. z.B. Beschlüsse vom 25. April 2013 – 5 StR 85/13 und vom 26. September 2012 – 5 StR 421/12).
16
4. Es mag dahinstehen, ob jeder der aufgezeigten Gesichtspunkte für sich genommen notwendig zur Aufhebung des Urteils führen müsste. Jedenfalls in ihrer Gesamtschau führen sie dazu, dass die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf. Wahl Rothfuß Graf Jäger Mosbacher

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 341/11
vom
30. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16. März 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Sie beanstandet mit der Sachrüge die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Sollte insoweit eine Beschränkung der Revision erfolgen, ist diese unwirksam. Eine getrennte Prüfung von § 63 StGB und der Schuldunfähigkeit i.S.v. § 20 StGB ist nicht möglich, weil das Bejahen von § 20 StGB eine Voraussetzung der Unterbringung nach § 63 StGB ist. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte leidet nach langwierigem Verlauf an einer krankhaften seelischen Störung in Form eines schizophrenen Residuums. Von Januar bis Juli 2011 stand er unter Betreuung, ohne den Kontakt zum Betreuer einzuhalten. Seit ca. 15 Jahren ist er ohne dauerhaften festen Wohnsitz. Er lebt überwiegend im Wald. Die Nutzung von Unterkünften für Obdachlose lehnt er ab. Er trinkt seit Jahren verstärkt Alkohol in Form von Bier und war deswegen wiederholt zur Ausnüchterung in Kliniken. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er durch freiwillige Leistungen Dritter. Er ist vielfach vorbestraft. Die letzten beiden Vorstrafen ergingen wegen einschlägiger Delikte.
4
2. Am 11. Mai 2009 verurteilte ihn das Amtsgericht Nürnberg wegen Beleidigung in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat. Der Angeklagte hatte am 4. Juli 2008 gegen 7.15 Uhr eine ihm unbekannte Frau auf offener Straße mit den Worten beleidigt: "Du blöde Fotze, was schaust du so blöd? Du kriegst ein paar auf Dein Maul" und hatte sich ihr laut schreiend mit erhobener, zur Faust geballter Hand genähert, um sie zu schlagen. Er setzte der Fliehenden nach, konnte aber sein Vorhaben nur deshalb nicht umsetzen, weil zwei Passanten dazwischen gingen.
5
Am 24. Februar 2010 verurteilte das Amtsgericht Nürnberg den Angeklagten wegen einer am 2. Juli 2009 gegen 16.00 Uhr begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten. Er hatte einen damals 9-jährigen Jungen auf der Straße am Nacken gepackt und ihn gegen eine Häckselmaschine gestoßen. Das Kind erlitt eine Rötung im Nackenbereich.
6
3. Am 29. Juni 2010 hielt sich der Angeklagte gegen 18.20 Uhr in Nürnberg auf dem Albrecht-Dürer-Platz auf. Er hatte eine offene Bierflasche in der linken Hand. Die Nebenklägerin lief schnellen Schrittes in seine Richtung. Der Angeklagte nahm sie wahnbedingt als Bedrohung für sich wahr. Als sie an ihm vorbeigehen wollte, sagte er zu ihr: "Immer schön locker bleiben" und schlug ihr mit der rechten Faust ins Gesicht. Er traf sie im Bereich des linken Auges. Anschließend ging er im normalen Tempo weiter.
7
Der Nebenklägerin brach durch den Schlag ein Teil eines oberen Schneidezahnes auf der linken Seite ab. Sie erlitt einen gut vier Wochen lang sichtbaren Bluterguss und eine Schwellung im Gesicht. Sie hatte eine Woche lang starke Schmerzen und ist insofern dauerhaft beeinflusst, dass sie die Straßenseite wechselt, wenn ihr alkoholisierte oder obdachlose Personen begegnen. Sie stellte Strafantrag.
8
4. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 2,56 ‰. Infolge eines akuten psychotischen Schubs fehlte ihm bei der Tatbegehung die Einsicht, Unrecht zu tun. Die sachverständig beratene Kammer geht davon aus, dass der Angeklagte wegen einer krankhaften seelischen Störung in Form eines schizophrenen Residuums dauerhaft in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist. Darüber hinaus komme es in unregelmäßigen Abständen zu akuten psychotischen Schüben, die seine Einsichtsfähigkeit aufheben. Gleichwohl lehnt sie eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ab, weil sie die vom Angeklagten infolge seines Zustandes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Taten als "nicht zwingend erheblich" (UA S. 20) einstuft und daher eine Gefahr für die Allgemeinheit verneint.

II.

9
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
1. Der gehörte Sachverständige, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie , schloss die Alkoholisierung des Angeklagten als Ursache für dessen wahnhaftes Erleben aus. Er prognostizierte, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder zu akuten psychotischen Schüben kommen und der Angeklagte aggressive Handlungen begehen werde, die mit der Anlasstat vergleichbar seien, wenn er nicht medikamentös mit Neuroleptika behandelt werde. Es sei zu erwarten, dass sich die Tatfrequenz, aber nicht die angewendete Gewalt, steigern werde. Nach seiner Auffassung belegten bereits die beiden letzten Vorstrafen einen Hang des Angeklagten zu aggressiven rechtswidrigen Handlungen (UA S. 18).
11
2. Die Ablehnung der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB beruht auf einem Wertungsfehler.
12
Bereits die Anlasstat, die die Kammer selbst der mittleren Kriminalität zuordnet, ist symptomatisch für künftige Taten, die vom Angeklagten infolge seines Zustandes bei einem psychotischen Schub zu erwarten sind. Dass dadurch der Rechtsfrieden erheblich gestört wird, versteht sich aus der Tat selbst. Die mittlere Kriminalität wird vom Anwendungsbereich des § 63 StGB miterfasst (vgl. BGHR § 63 StGB Gefährlichkeit 9 mwN). Die Kammer bezeichnet die beiden Körperverletzungstaten aus den Vorstrafen als mit der Anlasstat vergleichbare Taten, ordnet sie jedoch abweichend vom Sachverständigen als Bagatelldelikte ein, die den Rechtsfrieden nicht erheblich stören. Dabei hat sie nicht hinreichend bedacht, dass der Angeklagte bei Taten, bei denen er sich in einer wahnhaften Bedrohungssituation befindet und ihm die Einsichtsfähigkeit fehlt, Unrecht zu tun, es nicht in der Hand hat, die Verletzungsfolgen seines aggressiven Vorgehens zu steuern. Der Umfang der Verletzungen bleibt vielmehr dem Zufall überlassen, wie die drei Körperverletzungsdelikte zeigen. Nur durch das Eingreifen Dritter blieb es in einem Fall beim Versuch; auch die geringfügige Verletzung des 9-jährigen Jungen hing vom Zufall ab. Vorsätzliche Körperverletzungen gegen bislang völlig unbekannte Personen stören in der Regel den Rechtsfrieden erheblich. Der Täter stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
13
3. Das Übermaßverbot nach § 62 StGB führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Bei einer Abwägung der Gefahr für die Allgemeinheit aufgrund der vom Angeklagten begangenen und zu erwartenden Taten gegen die körperliche Unversehrtheit willkürlicher Opfer und des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des von der Maßregel nach § 63 StGB Betroffenen steht dieser Eingriff hier nicht außer Verhältnis.
14
4. Das Urteil ist wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers insgesamt aufzuheben. Eine beschränkte Aufhebung kommt hier, wie oben dargelegt, nicht in Betracht, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Auch die zugrunde liegenden Feststellungen können nicht bestehen bleiben. Da der Angeklagte das Urteil nicht hätte anfechten können, obwohl die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch ihn festgestellt ist, scheidet die Möglichkeit, ihn belastende Feststellungen - etwa zum äußeren Tatgeschehen - aufrechtzuerhalten von vorneherein aus (vgl. BGHSt 16, 374; BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99). Nack Rothfuß Hebenstreit Elf Jäger

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 190/01
vom
12. Juni 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
12. Juni 2001, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Nack
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Schaal,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Der Angeklagte wurde vom Vorwurf freigesprochen, seine am 26. August 1976 geborene Tochter, die Nebenklägerin, am 11. Juli 1989 zu Handverkehr und am 22. Juli 1989 zu Mundverkehr veranlaßt zu haben, sowie insgesamt elfmal - dreimal vor dem 14. Geburtstag, fünfmal zwischen dem 14. und dem 18. Geburtstag und dreimal im Dezember 1994 - mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Ursprünglich lagen ihm 142 Sexualdelikte zur Last. Nachdem er hiervon am 27. März 1998 freigesprochen worden war, der Senat dieses Urteil auf Revision der Nebenklägerin aber aufgehoben hatte (Urteil vom 29. September 1998 - 1 StR 420/98 -, teilweise abgedruckt in NStZ-RR 1999, 275), war das
Verfahren am 12. August 1999 gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf die genannten Vorwürfe beschränkt worden. Die Revision der Nebenklägerin hat erneut Erfolg.

I.

Die Revision ist in vollem Umfang zulässig. Die Strafkammer geht allerdings davon aus, gegebenenfalls seien die Vorgänge vor dem 14. Geburtstag (nur) gemäß § 176 StGB zu bestrafen, die Vorgänge zwischen dem 14. und dem 18. Geburtstag (nur) gemäß § 174 StGB und die Vorgänge nach dem 18. Geburtstag (nur) gemäß § 173 StGB. Ersichtlich im Hinblick auf den Freispruch ist dies nicht näher ausgeführt. Strebte die Nebenklägerin nur solche Verurteilungen an, wäre die Revision hinsichtlich der Vorwürfe vom Dezember 1994 unzulässig, § 400 Abs. 1 StPO, da § 173 StGB, anders als §§ 176, 174 StGB, kein nebenklagefähiges Delikt ist, § 395 Abs. 1 StPO. 1. Die Nebenklägerin wendet sich gegen die Annahme, ihre Angaben seien insgesamt keine taugliche Verurteilungsgrundlage. Ausweislich der Urteilsgründe behauptet sie auch Gewaltanwendungen und entsprechende Drohungen. Solche Nötigungsmittel sind teilweise näher geschildert, so habe der Angeklagte ihr am 11. Juli 1989 Schläge angedroht und am 22. Juli 1989 habe er ihren Kopf an den Haaren "herauf- und heruntergezogen"; bei einem Geschlechtsverkehr im Winter 1989/90 habe sie vergeblich versucht, ihn von sich "herunterzuwerfen". Auch sonst bezeichnet sie Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung. Hinzu kommt: Zu einem nicht klar mitgeteilten Zeitpunkt, möglicherweise 1993, haben mehrere Ä rzte unabhängig voneinander Verletzungsspuren bei ihr festgestellt, der Angeklagte räumt insoweit "gewalttätige Züchtigungen"
ein. In der Nacht vom 10. auf 11. Dezember schrieb sie, s ie werde seit Juli 1989 vom Angeklagten mißbraucht, zuletzt dreimal seit dem 5. Dezember. Wörtlich heißt es u.a.: "Mir graust ... und wenn ich es nicht mache gibt es Dresche". Träfe all dies zu, käme nicht nur eine Verurteilung nach den genannten Bestimmungen sondern tateinheitlich auch eine Verurteilung wegen der nebenklagefähigen Delikte Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung in Betracht, da früher angewandte Nötigungsmittel später fortgewirkt haben können (vgl. nur BGH StV 1994, 127 m.w.N). 2. Die Strafverfolgung ist auch nicht (wirksam) gemäß § 154 a StPO auf die von der Strafkammer genannten Delikte beschränkt, was der Senat andernfalls bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision von Amts wegen zu beachten hätte. Eine entsprechende Verfahrensbeschränkung vor der Zulassung der Nebenklage wäre mit der uneingeschränkt erfolgten Zulassung gemäß § 397 Abs. 2 Satz 2 StPO wieder entfallen; danach wäre sie nur mit ausdrücklich und klar erteilter Zustimmung der Nebenklage wirksam (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Satz 1 Zulässigkeit 1; Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 154 a Rdn. 26; Hilger in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 402 Rdn. 1; Schoreit in KK 4. Aufl. § 154 a Rdn. 4 m.w.N.). In dem Beschluß vom 12. August 1999 ist jedoch weder § 154 a StPO als Rechtsgrundlage angegeben, noch ist ersichtlich, daß die Nebenklage jemals eine Stellungnahme zu diesem Beschluß abgegeben hätte. Daher führt auch der Verfahrensverlauf nicht zu einer (teilweisen) Unzulässigkeit der Revision.

II.

Der Tatverdacht beruht nur auf den Angaben der Nebenklägerin.
1. Nach der Bewertung der Strafkammer fehlen jedoch teilweise "räumlich -zeitliche Verknüpfungen und Interaktionsschilderungen", nicht alle Angaben seien detailreich, vielfach seien sie nur "allgemein". Konkretere Schilderungen seien demgegenüber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht klar bewiesen oder für sich genommen unglaubhaft. Wie auch der Senat in seinem Urteil vom 29. September 1998 dargelegt habe, könne einem Zeugen, dessen Angaben teilweise unglaubhaft seien, auch im übrigen nicht ohne weiteres gefolgt werden. Angesichts des Aussageverhaltens der Nebenklägerin und des Fehlens objektiver Umstände, die geeignet seien, ihre Angaben zu schützen, sei der Angeklagte daher freizusprechen. 2. Wird der Angeklagte freigesprochen, weil das Gericht Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die Beweisergebnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Demgegenüber kann ein Urteil keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder naheliegende Schlußfolgerungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt sind (ständ. Rspr.; vgl. nur BGH wistra 1999, 338, 339 m.w.N.). Das angefochtene Urteil weist derartige Mängel auf.

III.

Soweit die Strafkammer die Angaben der Nebenklägerin wegen fehlender zeitlicher Präzision und Detailarmut für nicht glaubhaft hält, legt sie schon im Ansatz einen rechtsfehlerhaften Maßstab an; auch ist zu besorgen, daß sie dabei zugleich die Bedeutung des hier wesentlichen Verfahrensablaufs nicht bedacht hat. 1. Die Nebenklägerin behauptet, zwischen ihrem 13. und 19. Lebensjahr vielfach sexuell mißbraucht worden zu sein. Sind derartige Behauptungen, zumal nach weiteren Jahren, zu überprüfen, kann schon wegen dem naheliegend immer wieder ähnlichen Ablauf des eigentlichen Tatgeschehens nicht für jeden einzelnen Vorgang eine zeitlich exakte und detailreiche Schilderung erwartet werden. Ebensowenig kann erwartet werden, daß jedes als solches erinnerliche Detail auch einem zeitlich exakt fixierten Vorgang zugeordnet werden kann (vgl. nur BGHSt 40, 44, 46). Mögen solche Angaben auch nicht immer ohne weiteres hinlänglich zu konkretisieren sein (vgl. BGHSt 42, 107 ff), so sind sie aber nicht schon allein wegen solcher Ungenauigkeiten falsch. 2. In diesem Zusammenhang hat die Strafkammer auch verkannt, daß der von ihr ausdrücklich herangezogene Hinweis des Senats im Urteil vom 29. September 1998 eine wesentlich andere Fallgestaltung betraf:
a) Dem Freispruch vom 27. März 1998 lag zu Grunde, daß sich die Angaben der Nebenklägerin zu drei näher geprüften Einzelfällen wegen konkreter und detaillierter Alibiangaben der Zeugin G. , der Ehefrau des Angeklagten und Mutter der Nebenklägerin, als falsch erwiesen hätten und daher auch die dann nicht weiter geprüften Angaben der Nebenklägerin zu den übrigen Fällen unglaubhaft seien.
Der Angabe der Nebenklägerin, sie sei, erstmals überhaupt, 1989 am Nachmittag des Geburtstags des Angeklagten in der Wohnung mißbraucht worden, hätte G. entgegengesetzt, an diesem Nachmittag sei die Nebenklägerin im Kinderhort gewesen. Außerdem hätte in der Wohnung damals eine Geburtstagsfeier stattgefunden, bei der mehrere Gäste dem Angeklagten gratuliert hätten, was weitere Zeugen detailiert bestätigten. Die Strafkammer hatte jedenfalls als erwiesen angesehen, daß die Nebenklägerin im Kinderhort war, und war daher ihren nicht konkret dargelegten Zweifeln an der Geburtstagsfeier nicht weiter nachgegangen.
b) Da der Aufenthalt im Kinderhort (auch schon) aus anderem Grunde nicht rechtsfehlerfrei festgestellt war, hatte der Senat dieses Urteil aufgehoben. Zugleich hatte er darauf hingewiesen, daß ein absichtlicher Versuch zur Irreführung des Gerichts vorläge und kein erklärliches Versehen, wenn es keine Geburtstagsfeier gegeben hätte. Dies sei gegebenenfalls auch bei der Würdigung anderer Aussagen von G. (die übrigen Zeugen der Geburtstagsfeier hatten sonst keine Angaben gemacht) erkennbar zu bedenken.
c) Ein Versuch, das Gericht absichtlich in die Irre zu führen, kann die Annahme nahe legen, nach Art und Tendenz vergleichbare Angaben des selben Zeugen dienten nur dem selben Zweck. Eine teilweise nur ungenaue Schilderung langjährigen sexuellen Mißbrauchs kann aber im Rahmen der Gesamtbewertung einer Aussage nicht mit ausgeschmückten Lügen - z.B. über eine Geburtstagsfeier, die in Wahrheit nicht stattgefunden hat - gleichgesetzt werden. 3. Die Strafkammer hat auch die Verfahrensbeschränkung (vor I.) nicht klar erkennbar bedacht.

a) So waren etwa für die Zeit zwischen dem 14. und dem 18. Geburtstag (noch) fünf Vorfälle zu prüfen. Hätte die Nebenklägerin nur diese Vorfälle behauptet , würde es sich um eher vereinzelte Vorfälle handeln, über die dementsprechend nicht nur "allgemeine Angaben", sondern eine jedenfalls einigermaßen genaue Schilderung erwartet werden könnte.
b) Tatsächlich war dem Angeklagten aber etwa zur Last gelegt worden, mit der Nebenklägerin zwischen ihrem 14. Geburtstag und seiner (verhältnismäßig kurzen) Inhaftierung am 24. Februar 1993 etwa alle 14 Tage Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, wobei Tatort entweder das Bade- oder das Schlaf- oder das Wohnzimmer gewesen sei. Nach der Verfahrensbeschränkung ging es noch um je einen Vorfall in jedem dieser Zimmer, wobei diese Vorfälle innerhalb des genannten Zeitraums zeitlich nicht näher eingegrenzt waren. Die Nebenklägerin hat ihre ursprünglichen Angaben - Geschlechtsverkehr etwa alle 14 Tage - wiederholt. Diese Angaben sind in zeitlicher Hinsicht jedenfalls wesentlich präziser als der Beschränkungsbeschluß.
c) Im übrigen hat - dies hatte der Senat als Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen - nach der Verfahrensbeschränkung auch für die Zeit zwischen dem 14. und 18. Geburtstag eine noch hinreichend konkrete Verfahrensgrundlage vorgelegen. Es ist aber zu besorgen, daß die Strafkammer durch die sehr weitgehende Verfahrensbeschränkung nicht nur den Gesamtumfang der ursprünglichen Vorwürfe für die Würdigung des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme aus den Augen verloren hat; darüber hinaus kann durch die nachhaltige Verwischung der zuvor wesentlich klareren zeitlichen Konturen auch konkretes Verteidigungsvorbringen erschwert werden (vgl. BGHSt 42, 107, 109). Dies kann sich zwar auf den Freispruch nicht ausgewirkt
haben, im weiteren Verlauf des Verfahrens wird diesem Gesichtspunkt aber Rechnung zu tragen sein (vgl. BGHSt 40, 44, 48; 44, 155, 157).

IV.

Bei einer Beweislage wie hier kann die Entstehung der Beschuldigung (sog. Aussagegenese) bedeutsam sein (ständ. Rspr.; vgl. d. Nachw. b. Kleinknecht /Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 261 Rdn. 11). Dies gilt zunächst für die erste Anschuldigung überhaupt. Führt diese zu keiner Ä nderung der Verhältnisse , können spätere Beschuldigungen ebenso bedeutsam sein, zumal wenn sie gegenüber Personen erfolgten, denen die früheren Behauptungen nicht bekannt waren. Dies gilt insbesondere auch für die Umstände der Strafanzeige, wenn Beschuldigungen gegenüber Privatpersonen nicht ohne weiteres zeitnah zu behördlichen Ermittlungen geführt haben. Die Strafkammer weist auf die Bedeutung der Aussageentstehung hin. Ihre Feststellungen dazu sind aber lückenhaft. Soweit Feststellungen getroffen sind, sind sie (mit einer Ausnahme; vgl. hierzu VII 2 b, c) allenfalls inzident gewürdigt. Dies hängt offenbar damit zusammen, daß sie die Strafkammer im Rahmen der Aussagen zu einzelnen Taten mitteilt, die sie schon anderweitig, jedoch nicht rechtsfehlerfrei, als widerlegt ansieht. 1. Die Strafkammer geht offenbar davon aus, erste Beschuldigungen seien am 15. April 1993 gegenüber der Mutter geäußert worden. Nach den Urteilsfeststellungen ist aber nicht auszuschließen, daß es sich hierbei nicht um die erste Beschuldigung gehandelt hat. Der Angeklagte wurde zwischenzeitlich rechtskräftig zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er am 17. März 1998 eine mit der Nebenklägerin
etwa gleichaltrige Zeugin dazu überredet hatte, in der (ersten) Hauptverhandlung unter Eid falsch auszusagen. Der Zusammenhang bleibt unklar. Die Strafkammer verweist zu den jener Verurteilung zu Grunde liegenden Feststellungen entgegen § 267 StPO nur auf den Akteninhalt (vgl. demgegenüber nur Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 267 Rdn. 2 m.w.N.). Auch im übrigen ergeben die Urteilsgründe keinen klaren Zusammenhang zwischen dieser Zeugin und einer wesentlichen Beweisfrage. Da erfahrungsgemäß erste Anschuldigungen oder zumindest Andeutungen Jugendlicher, sexuell motiviertem Verhalten Erwachsener ausgesetzt zu sein, nicht selten gegenüber Gleichaltrigen erfolgen, ist dies auch hier nicht auszuschließen. Wäre es so, könnte die von der Strafkammer allein angestellte Erwägung, auch ein Unschuldiger könne aus Angst vor Strafe zum Meineid anstiften, Feststellung und Würdigung der Angaben der Nebenklägerin gegenüber dieser Zeugin nicht ersetzen. 2. Die Strafkammer hat geprüft, ob der Angeklagte die Nebenklägerin zwischen Mai und September 1993 zweimal vergewaltigt hat (der tatsächliche Umfang der Beschuldigungen war auch für diesen Zeitraum nicht unerheblich höher). Sie hält diese Angaben nicht nur wegen ihrer Allgemeinheit für unglaubhaft. Auf ihre Bewertung "strahlen" vielmehr auch die Feststellungen zu einem zwar "erwähnenswerten" aber "fragwürdigen" Suizidversuch der Nebenklägerin vom 15. April 1993 aus. Die Annahme der Fragwürdigkeit des Suizidversuchs beruht teilweise auch darauf, wie sich die Nebenklägerin in diesem Zeitraum gegenüber Ä rzten und einem Therapeuten geäußert hat. Offenbar deshalb hielt die Strafkammer eine Prüfung für entbehrlich, ob unabhängig von dem Suizidversuch die Ä ußerungen der Nebenklägerin Rückschlüsse auf Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Beschuldigungen zulassen.

a) In der Nacht des 15. April 1993 schluckte die Nebenklägerin sämtliche erreichbaren Tabletten, bekam Magenkrämpfe und rief den Notarzt. Dann weckte sie die Mutter und sagte, sie habe einen Suizidversuch begangen, weil sie fürchte, vom Angeklagten schwanger zu sein. Sie wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, wo ihr Magen ausgepumpt wurde. Die Nebenklägerin war "um den 15. April" 1993 bei Dr. K. in hausärztlicher Behandlung, ohne etwas von sexuellem Mißbrauch zu erwähnen. Er hatte - ob damals oder zu anderer Zeit wird nicht deutlich - Verletzungsspuren bei der Nebenklägerin festgestellt, die auf "gewalttätige Züchtigungen" zurückgeführt werden, die auch der Angeklagte einräumt. Verletzungen waren auch - zu ebenfalls nicht mitgeteilter Zeit - in einem Krankenhaus festgestellt worden, in dem die Nebenklägerin offenbar aus anderem Grunde war; an sexuellen Mißbrauch dachte dort niemand. Am 19. April 1993 suchte sie den Frauenarzt Dr. B. auf und fragte, ob sie schwanger sein könne, obwohl sie am 12. April ihre Regelblutung gehabt habe. Von einem Suizidversuch erwähnte sie nichts. Am 26. April suchte sie ihn erneut auf und fragte nach Hilfsmöglichkeiten bei sexuellem Mißbrauch. Dr.B. verwies sie an den Therapeuten ( ) Fi. , bei dem sie "daraufhin" vom 8. April bis 11. Mai in Behandlung war. Beim zweiten Besuch am 26. April gab sie an, vom Angeklagten vergewaltigt worden zu sein. Nachdem sie "zunächst" als Begründung für ihren Suizidversuch angegeben hatte, ihr Freund habe sie verlassen, erklärte sie "nun" der Grund sei die Vergewaltigung durch den Angeklagten. Im weiteren Verlauf schilderte sie dem Therapeuten dann im einzelnen vielfachen sexuellen Mißbrauch durch den Angeklagten.
b) Die Strafkammer geht davon aus, der Suizidversuch könne sowohl eine Verzweiflungstat, als auch ein "Hilfeschrei in Richtung Mutter" gewesen
sein. Er könne aber auch nur vorgetäuscht sein. Hierfür spreche, daß die Nebenklägerin den Notarzt gerufen habe, sowie der (auch) angegebene Grund, ihr Freund habe sie verlassen und schließlich ihre Frage nach Schwangerschaft trotz Regelblutung. Sei der Suizidversuch aber nur vorgetäuscht, könne er auch zur grundlosen Belastung des Angeklagten gedient haben.
c) All dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Schon eine ursprüngliche Ernsthaftigkeit des Suizidversuchs ist nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Auch wer einen zunächst ernsthaft gemeinten Suizidversuch begeht , kann dann doch noch Angst vor dem Tod bekommen und seine Entscheidung rückgängig machen wollen. Diese bei jedermann naheliegende Möglichkeit hätte die Strafkammer erst recht bei einem 16 Jahre alten Mädchen erörtern müssen. Auch wenn man der Strafkammer aber darin folgt, daß die Nebenklägerin nicht wirklich aus dem Leben scheiden wollte, spricht das Rufen des Notarztes nicht gegen einen "Hilfeschrei". Wer um Hilfe schreit, erhofft sich dadurch eine Veränderung seiner Lebensumstände, will also - wenn auch nicht mehr so wie bisher - weiter leben. In diesem Sinne "täuscht" er nur vor, er wolle wirklich sterben. Auch das Verhalten gegenüber den Ä rzten und dem Therapeuten ist nicht rechtsfehlerfrei gewürdigt, das gegenüber dem Therapeuten schon nicht rechtsfehlerfrei festgestellt: Soweit die Strafkammer auf die Frage nach einer Schwangerschaft trotz eingetretener Regelblutung abstellt, wäre die naheliegende Möglichkeit zu erörtern gewesen, daß dies auf Unerfahrenheit der damals 16 Jahre alten Nebenklägerin über biologische Zusammenhänge zurückgeht. Dabei wäre auch zu bedenken gewesen, daß der von der Strafkammer gehörte Sachverständige der Nebenklägerin nur "geringes Allgemeinwissen" bescheinigt.
Im übrigen kann es nicht für sondern gegen eine Absicht der Nebenklägerin sprechen, den Angeklagten zu Unrecht zu belasten, daß sie gegenüber dem Hausarzt (und im Krankenhaus) nichts erwähnte, gegenüber dem Frauenarzt erst spät allgemeine Andeutungen über sexuellen Mißbrauch machte und selbst gegenüber dem Therapeuten zunächst nur zögerlich von sexuellem Mißbrauch und seinem Zusammenhang mit dem Suizidversuch berichtete. Die naheliegende Möglichkeit, daß es die Nebenklägerin Überwindung gekostet haben könnte, von sexuellem Mißbrauch durch den eigenen Vater und einem darauf beruhenden Suizidversuch zu sprechen, ist demgegenüber nicht erwogen. Bei alledem sind auch die Ä ußerungen gegenüber der Mutter am 15. April 1993 nicht bedacht, obwohl es, zumals in der konkreten Situation nach dem Schlucken der Tabletten, nahe gelegen haben könnte, daß die Nebenklägerin ihr gegenüber weniger gehemmt war, den Angeklagten zu beschuldigen, als gegenüber Außenstehenden. Im übrigen kann es aber auch keinesfalls so gewesen sein, daß die Nebenklägerin am 26. April zum Therapeuten geschickt wurde, daraufhin ab 8. April bei ihm in Behandlung war und dann beim zweiten Besuch am 26. April von Mißbrauch sprach. Auch sonst erschließt sich der Ablauf der Behandlung nur schwer. Die Nebenklägerin kann jedenfalls nicht "zunächst" am 8. April das Verlassen durch den Freund als Grund für den Suizidversuch vom 15. April angegeben haben, während sie "nun" am 26. April das Verhalten des Angeklagten angab. Unabhängig von alledem wäre auch zu erörtern gewesen, daß es auf eine sehr schwerwiegende geistig-seelische Störung der Nebenklägerin hindeuten würde, wenn sie lediglich zur Falschbelastung des Angeklagten eine massive Selbstbeschädigung vorgenommen hätte - ihr Magen mußte ausgepumpt
werden - und diese Falschbelastung dann aber nicht konsequent durchhält. Andere Anhaltspunkte, die für eine derartige Störung sprechen könnten, sind nicht festgestellt. Nach alledem erweist sich die Annahme, der Suizidversuch könne zur Belastung des Angeklagten nur vorgetäuscht sein, allenfalls als abstrakttheoretisch gedankliche Möglichkeit ohne realen Anhaltspunkt, die daher im Rahmen der Beweiswürdigung kein Gewicht gewinnen kann (vgl. nur Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 4 m.w.N.). 3. Zuletzt soll der Angeklagte dreimal im Dezember 1994 mit der Nebenklägerin Geschlechtsverkehr gehabt haben. In diesem Zusammenhang ist auch festgestellt, daß die Nebenklägerin den Angeklagten damals gegenüber Außenstehenden belastet hat. Diese Feststellungen sind jedoch nicht gewürdigt, offenbar weil die Strafkammer die Tatvorwürfe aus anderen, aber nicht rechtsfehlerfreien , Erwägungen für unglaubhaft hält.
a) Die Nebenklägerin gibt an, letztmals sei es am 10. Dezember zu einer Vergewaltigung gekommen, als sie sich im Badezimmer für die Tanzstunde fertig machen wollte. Nach den Feststellungen der Strafkammer fuhr sie noch am Abend zu dem Zeugen P. , einem Offizier der Bundeswehr, den sie seit einigen Monaten kannte, um bei ihm zu übernachten. Ihr Verhalten bei ihm war "auffällig anders". Als sich P. ihr sexuell nähern wollte, wies sie ihn ab. Von ihm nach dem Grund ihres Verhaltens befragt, schrieb sie auf ein Blatt Papier - die Strafkammer bezeichnet dies als Brief -, er habe unbewußt bei ihr "tiefe Wunden aufgerissen", da sie seit Juli 1989 vom Angeklagten mißbraucht werde. Wenn sie den Wünschen des Angeklagten nicht nachkomme, gebe es "Dre-
sche". Nachdem zuletzt "eineinhalb Monate Pause" gewesen sei, "in dieser Woche dafür gleich dreimal am Montag, Freitag und gestern abend" (vgl. I 1). Danach kam es zu einer "dramatischen Szene" mit "Weinen und Schluchzen". An "diesem Abend" - die Strafkammer spricht vom 10. Dezember, gemeint ist wohl eher der 11. Dezember - fuhr P. z usammen mit seinem Freund ( ) F. , ebenfalls ein Offizier, die Nebenklägerin nach Hause, damit sie Kleider und Medikamente holen konnte. Dort erklärte sie der Mutter: "Ich halts nicht mehr aus" und verließ das Haus eilig durch ein Fenster.
b) Die Strafkammer hält es für nicht glaubhaft, daß es zu den drei Vergewaltigungen gekommen sei. Die Nebenklägerin habe s ich nicht nur an die beiden anderen Vorgänge nicht erinnert, und den letzten Vorfall nur allgemein beschrieben, auch sonst gebe es "Ungereimtheiten": Es sei schon nicht klar, ob es vor dem 10./11. Dezember (so der Zeuge P. ) oder erst danach (so die Nebenklägerin) erstmals zwischen ihnen zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Außerdem habe die Nebenklägerin zu Unrecht behauptet, P. habe auf der Fahrt zu ihr nach Hause eine Waffe dabeigehabt. Dies haben P. und F. - vor ihrem beruflichen Hintergrund nach Auffassung der Strafkammer "nachvollziehbar" - bestritten. Der Zeuge F. hat allerdings angegeben, von der Mitnahme einer Waffe sei gesprochen worden. P. habe aber Angst vor dem Angeklagten gehabt und ihm keinen Vorwand für eine "Notwehrhandlung" geben wollen.
c) Die Erwägungen zu der Waffe sind schon für sich genommen rechtsfehlerhaft , weil sich aufdrängende Gesichtspunkte nicht erörtert sind. Es ist schon nicht ohne weiteres einsichtig, daß der ersichtlich wesentlich jüngere P. , der sich auch noch in Begleitung von F. befand,
mit einer Waffe mehr Angst vor dem Angeklagten gehabt haben sollte, als ohne Waffe. Außerdem wäre zu erörtern gewesen, daß die Zeugen gerade vor ihrem beruflichen Hintergrund auch einen nachvollziehbaren Grund gehabt haben könnten, die Mitnahme einer Waffe in Abrede zu stellen. Insbesondere hat die Strafkammer aber die objektiv geringe Bedeutung der von ihr maßgeblich herangezogenen Gesichtspunkte nicht erkennbar erwogen (vgl. BGH StV 1993, 509; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 62). Ob eine Waffe mitgeführt wurde oder nicht, kann für sich genommen hier den Angeklagten ebensowenig be- oder entlasten wie der Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs zwischen der Nebenklägerin und dem Zeugen P. . Allerdings können im Rahmen der Beweiswürdigung auch für sich genommen wenig gewichtige Gesichtspunkte Bedeutung gewinnen. Gegenläufige Gesichtspunkte, zumal wenn sie einen wesentlich engeren Bezug zu den Vorwürfen haben könnten, dürfen dann aber nicht unerörtert bleiben. Dementsprechend durfte die Strafkammer nicht allein im Hinblick auf die von ihr herangezogenen Umstände davon absehen, das Verhalten der Nebenklägerin gegenüber dem Zeugen P. (z.B. den Brief und die "dramatische Szene") und der Mutter ("Ich halts nicht mehr aus"; Flucht aus dem Fenster) zu würdigen. 4. Es ist nicht festgestellt, wie es zur Strafanzeige gekommen ist. Die Urteilsgründe ergeben lediglich, daß der Angeklagte am 1. März 1995 in Untersuchungshaft genommen wurde. Daraus ergibt sich nicht, daß die Information der Behörden noch in irgendeiner Weise unmittelbar auf die Vorgänge im Dezember 1994 zurückginge. Da die Erstattung einer Strafanzeige noch eine andere Qualität haben kann als Beschuldigungen gegenüber Privatpersonen, wä-
ren deren Umstände festzustellen und in die Würdigung der Aussagegenese einzubeziehen gewesen.

V.

Die Strafkammer hat sich auch nicht rechtsfehlerfrei mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandergesetzt, den sie zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin gehört hatte. 1. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, trotz aller Schwierigkeit der Bewertung seien die Angaben der Nebenklägerin "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit" glaubhaft. Die Strafkammer teilt zunächst ohne weitere Ausführungen mit, der Sachverständige habe damit seine frühere Bewertung modifiziert. Dem Senat ist aus dem von ihm überprüften Urteil vom 27. März 1998 bekannt, daß dieser Sachverständige damals die Angaben der Nebenklägerin "mit großer Wahrscheinlichkeit" für glaubhaft gehalten hat. Es wird nicht klar, ob schon dieser Unterschied nach Auffassung der Strafkammer bedeutsam sein soll. In diesem Fall wären dessen Grundlagen konkret darzulegen und zu bewerten gewesen. Dies gilt um so mehr, als der Sachverständige ausgeführt hat, auch wenn die Nebenklägerin "manchmal gelogen haben möge", sei bei ihr gleichwohl sowohl die generelle als auch die spezielle Glaubwürdigkeit (vgl. hierzu BGH StV 1994, 64 m.w.N.) zu bejahen. In diesem Zusammenhang weist der Senat auch auf folgendes hin: Die Annahme, daß die Nebenklägerin manchmal auch gelogen haben möge, bezieht sich ersichtlich nicht auf den Verfahrensgegenstand, sondern auf überwiegend wenig konkrete, allgemeine Charakterisierungen der Nebenklägerin durch Verwandte und Schulkameradinnen. Unterstellt, die Behauptungen der Nebenklägerin über jahrelangen sexuellen Mißbrauch seien wahr, bedeutete
dies zugleich aber auch, daß sie jahrelang angehalten war, die Wahrheit zu unterdrücken und zu vertuschen. Gerade im damaligen Alter der Nebenklägerin kann dies auch auf ihren übrigen Umgang mit der Wahrheit ausgestrahlt haben. 2. Soweit die Strafkammer konkrete Bewertungen des Sachverständigen zu als solchem feststehenden Geschehen mitteilt, sprechen diese im Grunde ausschließlich für die Richtigkeit der Angaben der Nebenklägerin. So seien etwa die Angaben nach dem Suizidversuch "so originell, daß die Vorgänge wahrscheinlich als real einzustufen seien"; in ähnliche Richtung könnte auch die allerdings nicht leicht verständliche Mitteilung deuten, der Sachverständige hielte "das Aufgeben der Anzeigelatenz nach dem Brief an P. für sehr originell und kaum produziert". Die Strafkammer kommt demgegenüber insgesamt zu einem anderen Ergebnis, ohne das Gutachten konkret zu würdigen. Sie beschränkt sich vielmehr auf die allgemeine Mitteilung, auch die Ausführungen des Sachverständigen seien berücksichtigt. 3. Dies genügt nicht. Wie der Senat auch bereits im Urteil vom 29. September 1998 im einzelnen und unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung dargelegt hatte, ist der Tatrichter allerdings nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt er aber zu einem anderen Ergebnis, muß er sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen , um zu belegen, daß er über das bessere Fachwissen verfügt, nachdem er zuvor glaubte, sachverständiger Beratung zu bedürfen (zuletzt ebenso BGH NStZ 2000, 550, 551 m.w.Nachw.). Anders wäre es nur dann, wenn sich schon auf Grund von Feststellungen, die offensichtlich auch ohne sachverständige Beratung getroffen werden konnten (etwa, daß sich Angeklagter und Neben-
klägerin zu behaupteten Tatzeiten an unterschiedlichen Orten aufgehalten haben ), erwiesen hätte, daß die vom Sachverständigen überprüften Angaben falsch sind. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich.

VI.

Soweit die Strafkammer - über die Behauptungen zum Dezember 1994 hinaus (IV 3) - weitere Anklagevorwürfe näher überprüft hat, beruhen die ihr verbliebenen Zweifel nicht auf rechtsfehlerfreier Grundlage. 1. a) Die Nebenklägerin hat angegeben, erstmals sei sie 1989 am Nachmittag des Geburtstags mißbraucht worden. Der Angeklagte, der zum Geburtstag Ausgang aus der JVA gehabt habe, habe sie im Badezimmer unter Gewaltandrohung zum Handverkehr veranlaßt. Anschließend habe er in das Waschbecken ejakuliert.
b) Objektive Gesichtspunkte, die alledem entgegenstünden, sind nicht festgestellt. Der Angeklagte hatte am 11. Juli 1989 Ausgang aus der JVA. Die Zeugin G. behauptet nicht mehr, die Nebenklägerin sei an diesem Nachmittag im Kinderhort gewesen (III 2 a). Die Strafkammer hält es "durchaus für möglich", daß dieser Vorfall so, wie von der Nebenklägerin geschildert , stattgefunden hat. Gleichwohl sieht sie aber die "personenbezogenen und räumlichen Gegebenheiten" für unaufgeklärt und damit im Ergebnis die Aussagen der Nebenklägerin für zweifelhaft an.
c) Die Grundlagen dieser Zweifel sind nicht zu erkennen. "Personenbezogen" beruft sich der Angeklagte auf die von keinem Zeugen - mehr (III 2 a) - bestätigte Geburtstagsfeier, die die Strafkammer für "äußerst unwahrschein-
lich" hält. G. hatte sich nämlich wenige Tage nach dem Geburtstag in einem Brief an den Angeklagten zu "Deiner Beschwerde, weil Dir keiner zum Geburtstag gratuliert hat" geäußert. "Räumlich" ist in den allein mitgeteilten Angaben, Tatort sei das Badezimmer gewesen und der Angeklagte habe in das Waschbecken ejakuliert, ebenfalls kein unaufgeklärter Widerspruch zu erkennen. 2. a) Die Nebenklägerin gibt an, zum nächsten Vorgang sei es im gleichen Monat beim nächsten Ausgang des Angeklagten aus der JVA an einem schulfreien Samstag am frühen Nachmittag gekommen. Der Angeklagte, der etwa eine Stunde zu Hause gewesen sei, sei in das Schlafzimmer gekommen, als sie gerade Wäsche eingeräumt habe. Er habe, vermutlich wegen vorangegangener Gartenarbeit, Stiefel getragen. Er habe sie aufs Bett "gelegt", sie an den Haaren gezogen und sie zu seiner oralen Befriedigung gezwungen. Das Ejakulat habe "grausig" geschmeckt. Der ganze Vorgang habe nicht viel mehr als fünf Minuten gedauert.
b) Auch insoweit sind objektiv entgegenstehende Umstände nicht festgestellt. Der Angeklagte hatte auch am 22. Juli 1989 Ausgang aus der JVA. Allerdings seien die Angaben der Nebenklägerin durch die "nachvollziehbaren" Angaben der Zeugin G. "relativiert". Diese hatte angegeben, der Angeklagte sei nur etwa zehn Minuten zu Hause gewesen. Außerdem habe er nur einen einzigen Stiefel besessen - zu dieser ungewöhnlichen Behauptung ist nichts Näheres mitgeteilt -, den er für so kurze Zeit kaum getragen habe.
c) Die Angaben der Zeugin G. über die Dauer des Aufenthalts des Angeklagten würden der Richtigkeit der Schilderung der Nebenklägerin nicht einmal dann entgegenstehen, wenn sie zutreffend wären. Sie stehen aber auch schon im Widerspruch zu den Angaben des Angeklagten,
der erklärt hat, er sei an diesem Nachmittag etwa eine Stunde zu Hause gewesen , ohne daß die Strafkammer dies gewürdigt hätte. Von alledem abgesehen, ist diese Behauptung jedoch mit den übrigen Feststellungen unvereinbar: Der Angeklagte kam kurz nach 14 Uhr nach Hause, von dort brachte ihn die Zeugin G. zurück zur JVA, wo er gegen 15.30 Uhr eintraf. Zur Dauer dieser Fahrt ist zwar nichts mitgeteilt, jedoch hatte die gleiche Fahrt am 11. Juli 1989 etwa 25 Minuten gedauert. Danach muß der Angeklagte aber etwa eine Stunde und nicht nur zehn Minuten zu Hause gewesen sein. Zugleich verlieren damit auch alle weiteren Vermutungen der Zeugin G. , die an eine nur kurze Aufenthaltsdauer anknüpfen, ihre Grundlage. Deren Angaben sind daher insgesamt ungeeignet, die Angaben der Nebenklägerin zu "relativieren" und somit in Zweifel zu ziehen. 3. a) Die Nebenklägerin hat angegeben, Anfang Dezember 1989 habe sie der Angeklagte ausgezogen und auf das Bett "geworfen". Nach manuellem Verkehr sei es zu Geschlechtsverkehr gekommen. Sie habe geschrien, er habe ihren Mund zugehalten; ihr Versuch, ihn von sich "runter(zu)werfen", sei gescheitert. Am Schluß habe er sich an ihrer herumliegenden Unterwäsche abgewischt. Das Datum hat sie nicht (noch) weiter präzisiert, es habe aber Neuschnee gelegen.
b) Nachdem sich im Hinblick auf den Neuschnee ergeben hatte, daß ein solcher Vorfall frühestens am 6. Januar 1990 stattgefunden haben konnte, "tendierte" die Nebenklägerin zu diesem Datum. Die Beweiswürdigung der Strafkammer beschränkt sich auf die Bewertung, die Nebenklägerin habe den Vorfall "nicht verläßlich zeitlich" eingeordnet.

c) Freilich kann es Bedenken begründen, wenn ein Zeuge ein zuvor präzise behauptetes Datum austauscht, nachdem sich erwiesen hat, daß die Tat an dem zuerst behaupteten Datum nicht stattgefunden haben kann. Hier hatte die Nebenklägerin jedoch gerade kein präzises Datum genannt. Daher wäre der naheliegende Gesichtspunkt zu erwägen gewesen, daß die Erinnerung nicht an das Datum, sondern an den Neuschnee anknüpfen könnte.

VII.

Erstmals in der (erneuten) Hauptverhandlung hatte die Nebenklägerin zwei bisher nicht von ihr geschilderte Vorgänge behauptet. Sie hat angegeben, diese Vorgänge seien ihr als Ergebnis ihrer "Aufarbeitungstherapie" wieder eingefallen. Die Strafkammer hat zwar erkannt, daß auch diese Angaben, bei denen es sich eher um die Präzisierung alter Vorwürfe als um eigentlich neue Vorwürfe handelt, für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bedeutsam sein können. Ihre Feststellungen sind jedoch lückenhaft und ihre Erwägungen nicht rechtsfehlerfrei. 1. a) Die Nebenklägerin hat angegeben, zu einem nicht näher bestimmten , von ihr aber "spontan" zwischen 1991 und 1993 eingeordneten Zeitpunkt, sei sie mit dem Angeklagten in Richtung B. gefahren, da für sie ein Mofa gekauft werden sollte. Unterwegs sei der Angeklagte in einen Wald abgebogen. Auf der Forststraße habe er zwei Fahrräder schiebende Personen überholt und gefragt "was die sich jetzt wohl denken". Im Anschluß habe er sie vergewaltigt und die Tat als "Anzahlung" für das Mofa bezeichnet.

b) Die Strafkammer beschränkt sich auf die Mitteilung, daß diese Behauptungen "nicht weiter aufgeklärt" werden konnten. Aus dieser Feststellung ergibt sich nichts. Schlüsse auf Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit der Nebenklägerin wären möglich, wenn feststünde, daß ihr ein Mofa gekauft wurde oder daß dies nicht der Fall war. Warum es unaufklärbar bleibt, ob - angeblich offenbar in B. - ein Mofa gekauft wurde, wird nicht deutlich. 2. a) Die Nebenklägerin hat angegeben, nach einer Mandeloperation im Krankenhaus von A. habe sie der Angeklagte, der an diesem Tag (15. Juli 1991) im Raum M. gearbeitet habe, mit seinem Pkw Audi abgeholt , da die Mutter damals selbst in M. im Krankenhaus gewesen sei. Unterwegs sei er in der H. auf den Parkplatz am See gefahren. Er sei um den Pkw herumgelaufen, und habe den Beifahrersitz umgelegt. Er habe sie von vorne vergewaltigt. Dabei sei seine weiße Latzhose halb ausgezogen gewesen. Die Beifahrertür sei offen geblieben.
b) Die Strafkammer hat festgestellt, daß die Angaben zu den Krankenhausaufenthalten zutreffen. Ebenso ergäben weder näher geprüfte Zeiträume und Entfernungen noch sonstige Beweisergebnisse zum Ablauf der Arbeit des Angeklagten an diesem Tage die Unrichtigkeit des Vorbringens der Nebenklägerin. Dennoch sei es unglaubhaft. Es sei schon nicht so detailreich wie ihre Schilderung anderer Fälle, außerdem folge die Unglaubwürdigkeit des Vorwurfs im Hinblick auf seine "Ungeheuerlichkeit" auch aus seiner Entstehungsgeschichte.
c) Auch diese Bewertung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand: Ohne daß dies näherer Darlegung bedürfte, läge der Auffassung, daß die Schilderung für sich genommen detailarm sei, ein überspannter Maßstab zu
Grunde. Jedenfalls ist die Schilderung zumindest ebenso detailliert wie andere Schilderungen, auf die die Strafkammer abgrenzend verweist (vgl. V 1 bis 3). Die "Ungeheuerlichkeit" gerade dieses Vorwurfs wird jedenfalls im Vergleich mit den anderen Vorwürfen nicht erkennbar. Was die Entstehungsgeschichte des Vorwurfs betrifft, so bezweifelt die Strafkammer offenbar nicht, daß sich die Nebenklägerin einer solchen Therapie unterzieht, wobei im übrigen auch zu erwägen gewesen wäre, warum sie dies tut. Daß eine derartige Therapie nicht dazu führen kann, daß verdrängte Erlebnisse wieder ins Gedächtnis geraten, versteht sich jedenfalls nicht von selbst. Dies wäre um so mehr zu erörtern gewesen, als auch der Sachverständige ein solches Ergebnis für "durchaus" möglich hält.
d) Der Senat weist im übrigen darauf hin, daß die übrigen Erwägungen des Sachverständigen zu dieser Schilderung, jedenfalls so, wie sie zusammengefaßt von der Strafkammer mitgeteilt sind, kaum verständlich sind. Danach könne die Schilderung nicht nur - dies ist offensichtlich - Wahrheit oder Lüge sein, sondern auch auf einem Irrtum beruhen. Dieser Vorfall - gemeint ist offenbar Irrtum oder Lüge - berühre die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin nicht, vermindere sie aber. In Abgrenzung zu Lüge kann Irrtum nur bedeuten, daß die Nebenklägerin an ein solches Ereignis glaubt, obwohl es in Wahrheit nicht stattgefunden hat. Dies wäre erforderlichenfalls ebenso zu erläutern wie die Auffassung, daß Lüge oder Irrtum die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einerseits nicht beeinflußten , andererseits aber doch.

VIII.

Die Auffassung, die Angaben der Nebenklägerin seien teilweise nicht glaubhaft und im übrigen fehlten objektive Umstände, die ihre Angaben stützen könnten, ist nach alledem teils objektiv unzutreffend und beruht im übrigen auf einem überspannten Maßstab. 1. Die Angaben der Nebenklägerin sind durch viele signifikante Details gekennzeichnet. Dies ergibt sich schon weitgehend aus den bisherigen Ausführungen , weitere, nicht zugleich konkreten Fällen zugeordnete Detailangaben treten noch hinzu. Diese betreffen etwa die gelegentliche Benutzung von Kondomen, Geschlechtsverkehr auch während der Regelblutung oder eine angebliche Ä ußerung des Angeklagten über die "ausgelutschte Muschi" der Zeugin G. . Soweit objektivierbar und überprüft, haben sich die Angaben der Nebenklägerin überwiegend als richtig und jedenfalls an keiner Stelle als falsch erwiesen , so ist etwa von Alibis keine Rede mehr. Demgegenüber besteht der schwerwiegende Verdacht, daß ihr mit der von mehreren Zeugen abgegebenen Schilderung der Geburtstagsfeier ein ganzes Lügengeflecht entgegengesetzt worden war. In ähnliche Richtung deutet, daß ein weiterer Zeuge zum Meineid angestiftet worden war. 2. Objektive Umstände im Sinne eines Sachbeweises, die zurückliegenden sexuellen Mißbrauch belegen oder widerlegen können, sind demgegenüber nur schwer vorstellbar und können jedenfalls nicht erwartet werden. Jedoch sind eine Reihe von Erkenntnissen über Vorgänge außerhalb des Verfahrens angefallen, die jedenfalls geeignet sein können, die Angaben der Nebenklägerin zu stützen. Sie hat einen Suizidversuch begangen, ist aus dem Eltern-
haus geflüchtet und unterzieht sich noch immer einer Therapie. Darüber hinaus hat sie gegenüber mehreren Zeugen den Angeklagten belastende Angaben gemacht, etwa gegenüber G. , (andeutungsweise) gegenüber Dr. B. , dem Therapeuten Fi. und ihrem Bekannten P. . Die Angaben gegenüber dem Zeugen P. liegen sogar schriftlich vor. Ein Grund für eine dann ungewöhnlich hartnäckige Falschbelastung wird demgegenüber nicht erkennbar, der Sachverständige spricht insoweit von "fehlender Evidenz".

IX.

Ohne daß es noch auf die Verfahrensrügen ankäme - insoweit macht die Revision zutreffend geltend, daß die Strafkammer mehrere, vorsorglich für den Fall eines Freispruchs gestellte Anträge nicht beschieden hat - bedarf die Sache nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung.
Entsprechend auch einer Anregung des Generalbundesanwalts in der Hauptverhandlung vor dem Senat erschien es angemessen, die Sache nunmehr an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO, zweite Alternative). Nack Wahl Herr RiBGH Schluckebier befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Nack Hebenstreit Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 435/09
vom
10. Dezember 2009
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Richter am Amtsgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 10. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft , die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen entfachte die Beschuldigte, die schon tagelang Selbstmordgedanken gehegt und sogar einen entsprechenden Versuch unternommen hatte, unter Verwendung von Brennspiritus ein Feuer im Dachgeschoss des unter anderem von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Mehrfamilienhauses, um sich durch Einatmen von Rauchgasen zu töten. Beim Anblick des Feuers erschrak sie jedoch und verließ fluchtartig den Dachboden; auch ihr anschließender Versuch, sich vor einen Zug zu werfen, scheiterte, weil der Triebwagenführer rechtzeitig eine Schnellbremsung einleitete. Da das Feuer frühzeitig entdeckt wurde, konnten die anwesenden Hausbewohner das Gebäude unverletzt verlassen. Der entstandene Sachschaden beträgt etwa 60.000 €.
3
Die Strafkammer ist - sachverständig beraten - rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Tat wegen einer schweren krankhaften seelischen Störung nicht einsichtsfähig gewesen war. Die Beschuldigte leide seit mehr als 30 Jahren an einer affektiven Störung im Sinne einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (ICD 10: F 32.3). Obwohl sie seit dem Jahre 1993 medikamentös behandelt werde, habe sich ihr Zustand fortlaufend verschlechtert. Zudem seien seit 2006 grenzwertige psychotische Symptome in Form von Beziehungsideen aufgetreten, die auf ihre jeweiligen Nachbarn gerichtet seien. Zwischen Dezember 2006 und Dezember 2007 habe ihre Suizidalität drei stationäre Aufenthalte in einer psychiatrischen Klinik erforderlich gemacht.
4
2. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht mit folgender Begründung verneint:
5
Zwar dauere die schwere krankhafte seelische Störung fort. Entgegen der Auffassung der gehörten Sachverständigen Dr. S. ergebe die Gesamtwürdigung der Person der Beschuldigten und der Anlasstat jedoch nicht, dass von ihr infolge ihres Zustands weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das folge schon daraus, dass die Beschuldigte, obwohl sie seit vielen Jahren an der depressiven Störung leide, bisher weder strafrechtlich in Erscheinung getreten sei noch fremdaggressives Verhalten gezeigt habe. Außerdem sei die Fremdgefährdung bei der Anlasstat nur "bei Gelegenheit" einer beabsichtigten Selbsttötung der Be- schuldigten erfolgt und stünde nicht in Bezug zu der wahnhaften Symptomatik in Form von "grenzwertigen" Beziehungsideen.
6
3. Die Ablehnung der Unterbringung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
a) Der Tatrichter ist zwar nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 2 StR 440/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Will er aber eine Frage, für deren Beantwortung er sachverständige Hilfe in Anspruch genommen hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt , ob er das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten , auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (vgl. BGH aaO; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 = NStZ-RR 2006, 242, 243; Beschluss vom 13. September 2001 - 3 StR 333/01 m.w.N.). Dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen.
8
Soweit das Landgericht entgegen dem Sachverständigengutachten eine qualifizierte Steigerung der affektiven Störung in den letzten beiden Jahren vor der Anlasstat verneint und dabei darauf abstellt, dass die Vorstellung der Beschuldigten , einem "Nachbarschaftsterror" ausgesetzt zu sein, zeitlich und örtlich auf eine frühere Wohnsituation beschränkt sei, lässt es außer Acht, dass die Beschuldigte auch in ihrer neuen Mietwohnung die unbegründete und über- triebene Sorge hegte, ihre Vermieter wollten sie wegen ihrer Krankheit "loswerden" und die Nachbarn würden hinter ihrem Rücken schlecht über sie reden.
9
b) Schon im Ansatz fehl geht die weitere Überlegung der Strafkammer, wonach gegen eine qualifizierte Steigerung der affektiven Störung spreche, dass die Beschuldigte auf den "akustischen Nachbarschaftsterror" nicht mit fremdaggressivem Verhalten reagiert habe. Nach den Ausführungen der Sachverständigen zum Krankheitsbild ist dieses zwar nicht durch Fremdaggression, sondern durch ausgeprägte Suizidalität gekennzeichnet. Da die Beschuldigte bei ihren Selbsttötungsbestrebungen aber, wie die Sachverständige ausgeführt hat, mögliche Folgen für Dritte ausblendet, entsteht aus einer erhöhten Suizidalität auch eine erhöhte Gefahr für die Allgemeinheit.
10
4. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers unterliegt das Urteil insgesamt der Aufhebung. Die Möglichkeit, die Beschuldigte belastende, für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen zum äußeren Tathergang teilweise aufrecht zu erhalten, scheidet aus, da die Beschuldigte das Urteil insoweit nicht hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, NStZ-RR 2000, 300 m.w.N.).
11
Sollte der neue Tatrichter eine fortdauernde Gefährlichkeit der Beschuldigten feststellen, wird er zu prüfen haben, ob die von der Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung, für deren Durchführung bereits ein Betreuer bestellt ist, abgewendet werden kann. In diesem Fall würde es, worauf auch die Revisionsführerin hingewiesen hat, nahe liegen, die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67 b StGB zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07, jeweils m.w.N.).
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 579/05
vom
25. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2006 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. August 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts München II zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 27 Fällen , wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in 43 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Gegen das Urteil wendet der Angeklagte sich mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
I. Die Revision beanstandet die Behandlung von zwei Hilfsbeweisanträgen , die auf die Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten E. und M. G. gerichtet waren und von der Strafkammer unter Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt worden sind. Die Rüge nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO greift durch.
3
1. Gegenstand der Verurteilung sind Misshandlungen und sexuelle Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau E. G. , seines am 1. Mai 1989 geborenen Sohnes M. und seiner am 7. November 1993 geborenen Tochter S. . Das Landgericht hat den nicht vorbestraften Angeklagten für schuldig befunden, in den Jahren 1998 bis 2002 im Abstand von jeweils zwei Monaten den Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau erzwun- gen zu haben, indem er sie würgte und bedrohte (“Wenn ich Dich jetzt umbringe , kannst Du gar nichts tun.”). Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Angeklagte zwischen 1994 und 2000 seinen behinderten Sohn M. fünfzehn Mal, indem er das fünf bis elf Jahre alte Kind auf dessen Bett warf, es mit der einen Hand würgte und mit der anderen vor ihm masturbierende Bewegungen an sich vollzog. Mit der vier bis sechs Jahre alten S. führte der Angeklagte nach den Feststellungen in drei Fällen den Geschlechtsverkehr durch. Daneben kam es - so das Landgericht - wiederholt zu Gewalttätigkeiten, indem der Angeklagte S. mit einem eisernen Pfannenwender und M. mit einem Gürtel schlug, M. zudem in zwei weiteren Fällen mit einem Messer in den Arm schnitt.
4
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat sich in seiner Beweiswürdigung im Wesentlichen auf die jeweiligen Aussagen der Geschädigten zu den an ihnen begangenen Taten gestützt. Ergänzend hat es Angaben der Zeugin E. G. zu Begleitumständen des Missbrauchs von S. und zu den Misshandlungen von M. berücksichtigt, weiterhin Angaben der Zeugin K. G. , Schwester von S. und M. , die einen Fall des Missbrauchs von S. beobachtet haben will. Die Kammer hat die Zeugin S. G. einer aussagepsychologischen Begutachtung unterzogen ; sie ist der Bewertung der Sachverständigen, wonach die Schilderungen der Zeugin keinen Erlebnisbezug aufweisen, Aussageentstehung und –inhalt vielmehr deutliche Hinweise auf suggestive Prozesse und die Entstehung von Scheinerinnerungen ergeben, indes nicht gefolgt. Auch die Zeugin K. G. war im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf Missbrauchsvorwürfe, die sie gegenüber dem Angeklagten erhoben hatte, Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung. Die Sachverständige ist auch hinsichtlich dieser Zeugin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Annahme von Scheinerinnerungen und einer darauf beruhenden Falschaussage nicht zurückzuweisen sei. Die Kammer hat dem in die Verhandlung eingeführten Gutachten keine durchgreifende Bedeutung beigemessen, da es sich hauptsächlich auf Berichte der Zeugin über an ihr selbst begangene Taten beziehe, nicht aber auf solche zu Lasten ihrer Schwester S. .
5
Die Verteidigung hat Hilfsbeweisanträge auf Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zum Beweis dafür gestellt, dass die Aussagen der Zeugen E. und M. G. nicht erlebnisfundiert seien. Die Kammer hat die Anträge abgelehnt, weil sie selbst über die erforderliche Sachkunde verfüge.
6
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ablehnung der Beweisanträge erweist sich in Anbetracht der ungewöhnlichen Besonderheiten des Falles als rechtsfehlerhaft.
7
Die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (BGHSt 8, 130; BGH NStZ 2001, 105). Die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens ist allerdings dann geboten, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 2; BGH StV 1994, 173). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
8
a) Auffälligkeiten im Hinblick auf die Aussage der Zeugin E. G. liegen in ihrer Person und in den Umständen der Aussageentstehung begründet. Den Urteilsfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Zeugin nach ihren eigenen Angaben von ihrem vierten bis zum achtzehnten Lebensjahr in ihrer eigenen Familie sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen ist. Solche Übergriffe habe sie auch von einem Freund hinnehmen müssen, mit dem sie eine Beziehung unterhielt, bevor sie den Angeklagten kennen gelernt habe.
9
Zur Entstehung der den Angeklagten belastenden Aussagen verhält sich das Urteil nicht näher. Ihm ist aber zu entnehmen, dass die Zeugin in Gesprächen mit Ärzten eines psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Angeklagte sich im Jahr 2004 zur Behandlung einer Depression aufgehalten hatte, verbalaggressives Verhalten des Angeklagten geschildert, körperliche Übergriffe jedoch entschieden verneint hatte. Den Inhalt weiterer in diesem Zeitraum geführter Unterredungen der Zeugin mit einem Vertrauten, dem Zeugen Ge. Ei. , teilt das Urteil nicht mit. Aus den polizeilichen Vernehmungen des Zeugen Ei. und der Zeugin G. ergibt sich, dass beide Zeugen zahlreiche intensive Gespräche über die familiäre Situation der Zeugin G. geführt haben. Die Zeugin brachte dabei zunächst ihre Überzeugung zum Ausdruck, in einer glücklichen Ehe und heilen Familie zu leben. Nach dem Eindruck des - von der Zeugin G. als “Hobbypsychologen” beschriebenen - Zeugen Ei. lagen dieser Überzeugung jedoch verdrängte familiäre Probleme zugrunde. Auf Anraten des Zeugen unterzog die Zeugin G. sich einer „Familienaufstellung“; hierbei und hiernach sei ihr nach Aussage des Zeugen Ei. “nach und nach zu Be- wusstsein gekommen, was überhaupt passiert ist”.
10
b) Besonderheiten hinsichtlich des Zeugen M. G. finden sich in dessen organischer Hirnschädigung sowie auch hier in den Umständen der Aussageentstehung. Der Zeuge hatte bei seiner von der Revision mitgeteilten polizeilichen Vernehmung sexuelle Übergriffe und Schläge mit Gegenständen seitens des Angeklagten noch ausdrücklich verneint. Erst in seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung schilderte der Zeuge die Geschehnisse, wie sie später Gegenstand der Feststellungen geworden sind, ohne dass ihm seine frühere gegenteilige Aussage hierbei vorgehalten wurde. Die der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des Zeugen beiwohnende aussagepsychologische Sachverständige vermutete ausweislich eines von der Revision mitgeteilten Aktenvermerkes der Staatsanwaltschaft, dass der Aussage durch Suggestion hervorgerufene Pseudoerinnerungen zugrunde liegen könnten.
11
c) Hinsichtlich beider Zeugen war zudem zu berücksichtigen, dass Sachverständigengutachten über die Glaubwürdigkeit der über ähnliche Missbrauchserfahrungen berichtenden familienangehörigen Zeugen S. und K. G. vorlagen, in welchen die Sachverständige erhebliche Anzeichen für eine wechselseitige innerfamiliäre Beeinflussung der Zeuginnen dokumentiert hatte. Auch wenn die Kammer dem Ergebnis der Gutachten nicht gefolgt ist, boten sie bei Würdigung der Aussagen weiterer als Zeugen vernommener Familienmitglieder doch Anlass für eine besonders kritische Prüfung möglicher suggestiver Einflüsse und hierdurch hervorgerufener Fehlerinnerungen.
12
Vor dem Hintergrund all dieser Besonderheiten durfte die Kammer sich nicht für befugt halten, über die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Aussagen der Zeugen E. und M. G. aus eigener Sachkunde zu entscheiden; vielmehr hätte es der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens bedurft (vgl. BGH NStZ 2001, 105).
13
3. Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung aller Urteilsfeststellungen, soweit sie der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen. Denn die Kammer hat die Aussagen dieser beiden Zeugen zur Feststellung sämtlicher Tatkomplexe in wechselnder Beteiligung herangezogen.
14
Auf die weiteren von der Revision erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen und auf die Sachrüge kommt es hiernach nicht mehr an.
15
II. Der Senat hat Anlaß zu folgendem Hinweis: Der Tatrichter ist nicht gehindert, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders zu beurteilen als ein hierfür herangezogener Sachverständiger, denn das von diesem erstattete Gutachten kann stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein. Er muss dann aber die wesentlichen Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen darlegen, insbesondere die Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf die er seine abweichende Auffassung stützt. Dem Revisionsgericht ist ansonsten keine Prüfung möglich, ob der Tatrichter das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (st. Rspr.; BGH NStZ 2000, 550f.; BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5). Zu den Anforderungen an ein aussagepsychologisches Gutachten , welche von der herangezogenen Sachverständigen hier beachtet wurden, weist der Senat auf BGHSt 45, 164 hin.
16
Im Hinblick auf die bisherige Länge der Untersuchungshaft wird der neue Tatrichter im weiteren Verfahren das Beschleunigungsgebot besonders zu beachten haben.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Herr RiBGH Dr. Graf ist erkrankt und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 267/11
vom
11. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. August
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 30. November 2010 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB wurde nicht erörtert. Die von der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision ist auf das Unterbleiben von Maßregelanordnungen nach den §§ 63, 64 StGB beschränkt.

I.


2
Das sachverständig beratene Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
1. Der Angeklagte leidet spätestens seit dem Jahr 2001 an einer "schizophrenen Psychose mit akustischen und Leibhalluzinationen sowie angedeutetem Wahnerleben". Wegen dieser Erkrankung befand er sich mehrfach in stationärer Behandlung. Zuletzt wurde er am 18. Juli 2008 aus einer psychiatrischen Fachklink entlassen. Seitdem wird er von seiner Hausärztin behandelt, die ihm Neuroleptika verschreibt. Der Angeklagte nimmt gelegentlich Amphetamin sowie seit zehn Jahren alle zwei bis drei Tage 0,5 Gramm Heroinzubereitung zu sich, um auf diese Weise die Halluzinationenzu „verringern“. Mitte des Jahres 2009 setzte er zum wiederholten Male eigenmächtig die ihm verordneten Medikamente ab.
4
Der Angeklagte ist in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im Jahr 2001 verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Die Strafe wurde nach dem Ablauf der Bewährungszeit erlassen. In den Jahren 2006 bis 2008 wurde er zweimal wegen Diebstahls und einmal wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Geldstrafen verurteilt. Zuletzt verurteilte ihn das Amtsgericht Hamm am 30. Januar 2009 wegen eines erneuten Diebstahls rechtskräftig zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dass die abgeurteilten Taten in einem Zusammenhang mit der psychotischen Erkrankung des Angeklagten gestanden haben, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
5
2. Am 2. Januar 2010 brach der Angeklagte zusammen mit einem Begleiter in einem öffentlich zugänglichen Gebäude einen Schrank auf, um darin verwahrte Gegenstände (ein Fernsehgerät und verschiedene Flaschen) zu entwenden. Noch bevor sie etwas wegnehmen konnten, wurden beide gestellt und der Polizei übergeben. Am 11. Februar 2010 entwendete der Angeklagte in einem Drogeriemarkt ein Parfüm im Wert von 15 Euro. Bei der Tat wurde er beobachtet. Noch am selben Tage drang er in die Umkleidekabine einer Sporthalle ein und durchsuchte die dort abgelegte Kleidung einer Jugendfußballmannschaft nach stehlenswerten Gegenständen. Als er ein Mobiltelefon in einem Wert von 150 Euro an sich nehmen wollte, wurde er von einem Betreuer überrascht. Der Angeklagte legte daraufhin das Mobiltelefon zurück und wartete mit dem Betreuer auf die herbeigerufene Polizei. Am 25. März 2010 stach der Angeklagte mit einem Schraubendreher in die Gummiabdichtung der Beifahrertür eines auf einem Firmengelände abgestellten Pkw, um diese aufzubrechen und das Fahrzeug nach stehlenswerten Gegenständen zu durchsuchen. Noch bevor er in das Wageninnere gelangen konnte, wurde er gestellt. Der Tat war ein Streit mit seinen Eltern vorausgegangen, der bei ihm zu einer psychischen Destabilisierung geführt hatte. In allen Fällen verfolgte der Angeklagte die Absicht, das Diebesgut zu verkaufen, um Geld für den Ankauf weiteren Heroins beizubringen.
6
3. Das Landgericht hat die Tat vom 2. Januar 2010 als versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, §§ 22, 23 StGB gewertet. In der Entwendung des Parfums hat es einen vollendeten Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) und in dem Vorfall in der Sporthalle einen versuchten Diebstahl gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, §§ 22, 23 StGB gesehen. Das Geschehen vom 25. März 2010 erfüllt aus Sicht des Landgerichts die Voraussetzungen eines versuchten Diebstahls gemäß §§ 242, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3, §§ 22, 23 StGB.
7
Bei den Taten vom 2. Januar und 11. Februar 2010 hat das Landgericht angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund einer krankhaften seelischen Störung i.S.d. §§ 20, 21 StGB erheblich vermindert war und verhängte gegen den Angeklagten Freiheitsstrafen von zweimal fünf und einmal zwei Monaten; die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten hat es nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt. Hinsichtlich der Tat vom 25. März 2010 ist das Landgericht von einer vollständig aufgehobenen Steuerungsfähigkeit ausgegangen, weil der vorangegangene Streit mit den Eltern die bestehende Psychose verstärkt hat. Insoweit wurde der Angeklagte freigesprochen.
8
4. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat das Landgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt , dass entgegen der angehörten Sachverständigen nicht festgestellt werden könne, dass der Angeklagte infolge seines Zustands für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die begangenen Taten seien nicht von einem erheblichen Gewicht. Auf die Vorverurteilungen könne die Gefahrenprognose nicht gestützt werden, weil ein Zusammenhang mit der Psychose des Angeklagten nicht feststellbar gewesen sei. Die allgemein leicht erhöhte Gefährlichkeit schizophren Erkrankter lasse keinen sicheren Schluss auf die individuelle Gefährlichkeit des Angeklagten zu. Der Angeklagte habe trotz der bestehenden Erkrankung in den Jahren 2001 bis 2006 keine Straftaten begangen. Bei den festgestellten Taten habe er sich der drohenden Festnahme nie entgegengestellt und keinen Widerstand geleistet. Auch wenn angenommen werde, dass der Angeklagte in Zukunft Taten begeht, die den festgestellten Taten vergleichbar sind, stünde seine Unterbringung außer Verhältnis zu deren Bedeutung und dem Grad seiner Gefährlichkeit (§ 62 StGB).

II.


9
Die wirksam auf den unterbliebenen Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung stand.
11
a) Hat jemand - wie vorliegend der Angeklagte - rechtswidrige Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, ordnet das Gericht nach § 63 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn eineGesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dabei kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten , als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfG, NStZ 1986, 185). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
12
b) Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass von dem Angeklagten in Zukunft allenfalls Straftaten zu erwarten sind, die in Art und Schwere den festgestellten Anlasstaten entsprechen.
13
Das Landgericht hat weder den Vorverurteilungen, noch den Ausführungen der angehörten Sachverständigen zu entnehmen vermocht, dass die frühe- ren Straftaten des Angeklagten und damit auch die im Jahr 2001 abgeurteilte versuchte räuberische Erpressung in einem Zusammenhang mit seiner psychotischen Erkrankung standen. Es hat deshalb zu Recht für die Beurteilung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten die Anlasstaten zum Maßstab genommen. Mit ihrem hiergegen erhobenen Einwand, dass Zusammenhänge zwischen der bereits seit 2001 bestehenden Erkrankung und den Vortaten naheliegend seien und entsprechende Feststellungen mit sachverständiger Hilfe in der Hauptverhandlung noch zu treffen gewesen wären, kann die Staatsanwaltschaft nicht durchdringen, da sie eine entsprechende Aufklärungsrüge nicht in zulässiger Form erhoben hat.
14
Auch war das Landgericht nicht gehalten, die Hintergründe der zurückliegenden Taten mitzuteilen. Zwar kann – wie die Revision zutreffend ausführt – auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076), doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Einen Zusammenhang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Angeklagten vermochte das Landgericht jedoch gerade nicht festzustellen.
15
Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter (vgl. Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 313 ff.; Nedopil, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie, S. 153 ff.) kann eine weitergehende Gefahrenprognose nicht begründet werden. Auf die Person des Angeklagten und seine konkrete Le- benssituation bezogene Risikofaktoren, die eine individuelle Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen könnten, lassen sich den getroffenen Feststellungen nicht entnehmen.
16
c) Die Bewertung der Strafkammer, die von dem Angeklagten weiterhin zu erwartenden Diebstahlstaten führen nicht zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens und können deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht rechtfertigen, weist keinen Rechtsfehler auf.
17
aa) Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477f.). Dabei können sich nähere Darlegungen erübrigen, wenn sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergibt, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZRR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Dagegen wird die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, R & P 2008, 226, 227; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; SSW-StGB/Schöch, § 63 Rn. 25 mwN.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Hanack JR 1977, 170, 171).
18
bb) Danach hat das Landgericht die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 63 StGB rechtsfehlerfrei für nicht gegeben erachtet.
19
Diebstahlstaten, die Regelbeispiele des besonders schweren Falles gem. § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen, sind - wie die Revision zutreffend geltend macht - dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen und damit grundsätzlich geeignet, eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1989 - 2 StR 271/89 Tz. 8; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 63 Rn. 17; Münch- KommStGB/van Gemmeren § 63 Rn. 34 mwN).
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Bei der gebotenen Einzelfallbewertung hat die Strafkammer jedoch zu Recht berücksichtigt, dass der Angeklagte bei drei der vier Anlasstaten gestellt werden konnte und seine Festnahme jeweils widerstandslos duldete (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230). Wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche stellen zudem nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter dar. Soweit der Angeklagte seine Diebstahlstaten überhaupt vollenden konnte, war der angerichtete Schaden gering. Die vom Landgericht festgestellte Gewerbsmäßigkeit (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) bezieht sich vorrangig auf die Tatmotivation. Auf den äußeren Zuschnitt der einzelnen Taten und deren Gefährlichkeit hat sie keinen prägenden Einfluss (BGH, Beschluss vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
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Vor diesem Hintergrund weist die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten durch die Strafkammer keinen Rechtsfehler auf. Dies gilt umso mehr, wenn – wie vorliegend der Angeklagte – der Täter nur vermindert schuldfähig ist, sodass gegen ihn eine Strafe verhängt werden kann und sein rechtswidriges Verhalten deshalb nicht sanktionslos bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Urteil vom 23. Juni 1976 – 3 StR 99/76, NJW 1976, 1949).
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d) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht der abschließenden Bewertung der Sachverständigen zur Gefährlichkeit des Angeklagten nicht gefolgt ist, ohne die gutachterlichen Ausführungen der Sachverständigen in allen Einzelheiten mitzuteilen. Denn die Ablehnung der Maßregelanordnung hat die Strafkammer (auch) auf Verhältnismäßigkeitserwägungen gestützt. Ob zu erwartende Straftaten erheblich sind und die Anordnung einer Unterbringung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahrt, ist eine Rechtsfrage , die der Tatrichter zu entscheiden hat (vgl. BVerfG, NStZ 1986, 185).
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2. Schließlich stellt auch der Umstand, dass das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht erörtert hat, keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
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Nach § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO müssen die Gründe für die Nichtanordnung einer Maßregel nur dann angegeben werden, wenn eine Anordnung dieser Maßregel in der Hauptverhandlung beantragt worden ist. Die Revision hat nicht vorgetragen, dass ein Antrag auf Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gestellt worden wäre. Darüber hinaus ist die Nichtanordnung einer Maßregel in den schriftlichen Urteilsgründen nur dann zu erörtern, wenn die Umstände des Einzelfalls dazu drängen (BGH, Urteil vom 9. Juni 1999 – 3 StR 89/99, NJW 1999, 2606). Dies war hier in Bezug auf § 64 StGB nicht der Fall. An einer Psychose leidende Täter, bei denen sich – wie bei dem Angeklagten – eine sekundäre Abhängigkeit von Alkohol oder Betäubungsmitteln ausgebildet hat, sind in aller Regel in einer Entziehungsanstalt nicht erfolgreich behandelbar (vgl. BVerfGE 91, 1, 22; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 140; MünchKommStGB/van Gemmeren § 64 Rn. 58; Heilmann/Scherbaum in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 4, S. 570; Penners, Zum Begriff der „Aussichtslosigkeit“ einer Entziehungskur nach § 64 StGB, 1985, S. 139 f.). Dass bei dem Angeklagten Umstände vorliegen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
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3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels und die Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten folgt § 473 Abs. 1 und 2 StPO.
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RiBGH Bender ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer Quentin

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.