Bundesgerichtshof Urteil, 08. Nov. 2017 - 2 StR 125/17

bei uns veröffentlicht am08.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 125/17
vom
8. November 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Verdachts des Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:081117U2STR125.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Schmidt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , in der Verhandlung, als Verteidiger des Angeklagten Y. ,
Rechtsanwalt , in der Verhandlung, als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtsanwältin , in der Verhandlung, als Vertreterin des Nebenklägers R. S. ,
Rechtsanwältin , in der Verhandlung und bei der Verkündung, als Vertreterin des Nebenklägers K. S. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers K. S. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 16. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte Y. freigesprochen wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der genannten Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen, soweit sie die Freisprechung des Angeklagten M. betrifft. Die hierdurch entstandenen Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten M. fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des tateinheitlich begangenen Totschlags, der gefährlichen Körperverletzung sowie eines Waffendelikts freigesprochen. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers K. S. . Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet. Die Revision des Nebenklägers K. S. , die sich nur gegen den Freispruch des Angeklagten Y. richtet, ist begründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte M. die frühere Gaststätte „ “ angemietet und zusam- men mit dem Angeklagten Y. als Drogenverkaufsstelle für Kokain und Marihuana genutzt. Der Hintereingang wurde mit Kameras überwacht, die Bilder auf einen Monitor im Gastraum übertragen.
3
Der Angeklagte Y. hatte aufgrund von Drogeneinkäufen bei I. K. Schulden in Höhe von 15.000 bis 18.000 Euro. I. K. drängte zunehmend auf deren Bezahlung und verbreitete die Drohung, er werde den Angeklagten Y. „plattmachen“. Dieser nahm die Drohung ernst. Der Neffe des Gläubigers, S. K. , hatte hingegen ein „fast freundschaftliches Verhältnis“ zu Y. und versuchte zu vermitteln, was aber erfolglos blieb. Der Angeklagte Y. erfuhr, dass I. K. gesagt habe, er, der Angeklagte, sei ein „Feind“ und I. K. werde ihn „kriegen“. Spätestens hiernach war dem Angeklagten Y. klar, dass I. K. ihn mithilfe seiner Anhänger angreifen könnte. Ihm war auch bekannt, dass I. K. eine scharfe Pis- tole besaß und nicht lange „fackelte“. Deshalb hatte er sich zu seinem Schutz eine Selbstladepistole im Kaliber 9 mm beschafft, obwohl er dafür keine waffenrechtliche Erlaubnis hatte. Der Angeklagte M. , der ebenfalls von den Drohungen erfahren hatte, lieh sich zum Selbstschutz eine geladene Schreckschusspistole.
4
Am Abend des 31. Mai 2015 hielten sich die Angeklagten und der Zeuge St. in der Drogenverkaufsstelle auf. I. K. versammelte sieben bis zehn hilfswillige Personen um sich, die zur Unterstützerszene des „MC T. “ gehörten, darunter die späteren Tatopfer S. K. und H. S. . I. K. plante, mit Gewalt gegen den Angeklagten Y. vorzugehen, um ihn zur Tilgung seiner Schulden zu zwingen. Die Männer fuhren mit drei Fahrzeugen zu der Drogenverkaufsstelle der Angeklagten. I. K. war mit einer Pistole bewaffnet. S. K. hatte einen Schlagring bei sich, H. S. verfügte über Handschuhe mit Sandeinlagen.
5
Die Angeklagten erkannten am Monitor der Überwachungsanlage, dass am Hintereingang des Gebäudes Autos vorfuhren und mehrere Personen ausstiegen. Dem Angeklagten Y. war sofort klar, dass es sich um Mitglieder der „T. “ handelte, die im Begriff waren, die Drohungen des I. K. wahr zu machen. Er sah, wie sich H. S. und S. K. dem Hintereingang näherten, holte seine Pistole unter der Theke des Gastraums hervor und ging in den Hausflur, wobei er die Pistole möglicherweise vorne in den Hosenbund schob.
6
Der Angeklagte M. ergriff die Schreckschusspistole und folgte Y. . Worte wurden nicht gewechselt. Ob der Angeklagte Y. überhaupt bemerkte, dass M. ihm folgte, war nicht festzustellen.
7
Der Angeklagte Y. war der Überzeugung, dass er einer Auseinan- dersetzung mit den „T. “ nicht gewachsen sei. Er hoffte, dass sich diese von seiner Pistole abschrecken lassen würden, zumal S. K. ihm bisher wohlgesonnen war. Der Angeklagte Y. entschloss sich deshalb dazu , die Tür zu öffnen. Kaum hatte er die Hintertür zur Gaststätte einen Spalt weit geöffnet, als diese von den Angreifern mit Wucht aufgestoßen wurde. H. S. preschte, dicht gefolgt von S. K. , in den Flur. Der Angeklagte Y. wurde geschlagen, wobei H. S. die Handschuhe mit den Sandeinlagen und S. K. seinen Schlagring verwendete. Bei diesem Geschehen, möglicherweise schon durch das Aufstoßen der Tür, erlitt der Angeklagte Y. einen Nasenbeinbruch. Es gelang ihm, im Zuge der tumultartigen Auseinandersetzung seine Pistole zu ziehen und vier Schüsse abzugeben. Er wollte sich dadurch gegen die Angreifer verteidigen. Deren Tod durch Schussverletzungen nahm er billigend in Kauf.
8
H. S. wurde von drei Schüssen getroffen, S. K. von einem aufgesetzten Schuss. Die Reihenfolge der Treffer und die konkrete Kampflage zur Zeit der einzelnen Schüsse konnte nicht festgestellt werden.
9
Ein Schuss traf H. S. an der linken Wange; das Projektil durchdrang den Körper nahezu senkrecht von oben nach unten und durchbohrte da- bei das Herz. Bei den weiteren Treffern handelte es sich um „Sekundäreinschüsse“ , die H. S. in den Oberschenkel und in die rechteGesäßhälfte trafen. Der vom Kopf bis durch das Herz nach unten verlaufende Schusskanal war nach Ansicht des Landgerichts dadurch bedingt, dass der Oberkörper des Geschädigten H. S. vorgebeugt war.
10
S. K. erlitt einen Durchschuss des linken Unterbauchs, der aber nicht die Bauchhöhle eröffnete und nicht konkret lebensgefährlich war. H. S. wurde dagegen tödlich getroffen. Er konnte sich noch nach draußen schleppen, brach aber vor dem Haus zusammen und starb dort.
11
Der Angeklagte M. griff nicht in das Geschehen ein, sondernzog sich zurück, nachdem die ersten Schüsse gefallen waren.
12
2. Das Landgericht hat angenommen, die Handlungen desAngeklagten Y. seien durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Es habe ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf dessen körperliche Unversehrtheit vorgelegen. Die Schussabgabe sei geeignet gewesen, den Angriff sofort zu beenden. Sie sei auch erforderlich gewesen, weil die bewaffneten Angreifer als gefährlich einzuschätzen gewesen seien. Von dem Angeklagten M. habe der Angeklagte Y. keine große Hilfe erwarten können; er habe zur Zeit der Schussabgabe nicht einmal gewusst, dass dieser anwesend gewesen sei. Für eine Androhung des Waffeneinsatzes vor der Abgabe der Schüsse sei kein Raum gewesen. In dem Kampfgeschehen habe für den Angeklagten Y. auch keine Möglichkeit bestanden, zunächst weniger gefährliche Körperteile zu treffen. Eine gezielte Schussabgabe hätte einen „zumindest kurzen“ Abstand zu den Angreifern vorausgesetzt. Die beiden „Primäreinsschüsse“ seien aber aus nächster Nähe abgefeuert worden. Der Angeklagte Y. habe mit Verteidigungswillen gehandelt. Sein Notwehrrecht sei auch nicht durch eigenes Vorverhalten eingeschränkt gewesen. Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr erstrecke sich im Umfang der Anklage zugleich auf das Führen der halbautomati- schen Kurzwaffe. Der vorherige länger andauernde Besitz der Waffe sei nicht Gegenstand der Anklage gewesen.
13
Der Angeklagte M. habe keinen kausalen Tatbeitrag geleistetund für strafbare Beihilfe fehle es zudem an einer rechtswidrigen Haupttat.

II.


14
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers K. S. sind begründet, soweit der Angeklagte Y. freigesprochen wurde. Die Beweiswürdigung zur Rechtfertigung der Schüsse ist rechtlich zu beanstanden.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), weshalb es ihm obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Das Urteil muss aber erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184; BGH, Urteil vom 14. September 2017 - 4 StR 45/17).
16
b) Nach diesem Maßstab ist die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft. Sie weist Lücken und Unklarheiten auf. Zudem fehlt es an einer erschöpfenden Gesamtwürdigung aller Umstände.
17
aa) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Schüsse „in kurzer Auf- einanderfolge“ abgegeben wurden und eine bestimmte Schussreihenfolge nicht festzustellen gewesen sei. Dabei hat es sich nicht mit der Einlassung des Angeklagten Y. auseinandergesetzt, wonach dieser zunächst nur zwei Schüsse abgegeben habe, worauf H. S. von ihm abgelassen und den Hausflur verlassen habe. Eine Auseinandersetzung mit diesen Angaben wäre aber erforderlich gewesen, weil sich hieraus Anhaltspunkte für eine bestimmte Schussabfolge ergeben und dies Einfluss auf die Annahme einer für das gesamte Tatgeschehen fortdauernden Notwehrsituation haben könnte. H. S. wurde von drei Schüssen getroffen, die ihn an unterschiedlichen Körper- stellen getroffen haben. Einer der Schüsse war ein „Primäreinschuss“, der aus einer Entfernung zwischen fünf und fünfzig Zentimetern in die linke Wange ein- drang und tödlich war; die anderen beiden waren „Sekundäreinschüsse“, darun- ter einer, der H. S. am Gesäß getroffen hat. Mit Blick auf die Einlassung des Angeklagten, die auf eine gewisse Zäsur des Geschehens hindeutet, und angesichts der Einschussstellen, aus denen sich jedenfalls ergibt, dass die Schüsse H. S. nicht unmittelbar aufeinanderfolgend in der gleichen Körperposition getroffen haben, hätte das Landgericht erörtern müssen, ob etwa der Schuss auf das Gesäß abgegeben worden ist, als H. S. sich nach den ersten beiden Schüssen - entsprechend der Einlassung des Angeklagten - bereits entfernte und jedenfalls von ihm kein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff mehr ausging. Eine unterschiedliche Bewertung der verschiedenen Schüsse scheint angesichts der Möglichkeit, dass sie verschiedenen Phasen des Geschehens zugeordnet werden können, möglich.
18
bb) Zur Entstehung des auffälligen Schusskanals des tödlichen Treffers durch ein Projektil, das den Körper nahezu senkrecht von oben nach unten durchschlug, hat das Landgericht zwei Hypothesen erörtert, nämlich das Ste- hen des Angeklagten Y. in überhöhter Position oder die Schussabgabeauf den ihm mit vorgebeugtem Oberkörper begegnenden Geschädigten. Die erste Hypothese hat es verworfen, die zweite hingenommen, obwohl ein Vorbeugen um annähernd 90 Grad alleine durch den Angriff nicht ohne weiteres erklärbar erscheint. Die Bildung weiterer Hypothesen hat das Landgericht unterlassen, obwohl dies angesichts des ungewöhnlichen Schusskanals angezeigt gewesen wäre. So hätte etwa das Einknicken des Angreifers nach einem anfänglichen Schuss in den Oberschenkel mit anschließendem Schuss in den Kopf jedenfalls auch einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden müssen.
19
cc) Unklar bleibt die Wertung des Landgerichts, dass der Angeklagte Y. keine gezielten Schüsse habe abgeben können. Dabei wären die unterschiedlichen Entfernungen zu berücksichtigen gewesen. Der tödliche Treffer wurde aus einer geringen Entfernung von fünf bis fünfzig Zentimetern auf den Kopf des vorgebeugten H. S. abgegeben. Der Schuss auf S. K. war sogar ein aufgesetzter Schuss, der ihn zwingend dort treffen musste, wo die Pistole auf dem Körper auflag. Hinsichtlich der beiden weiteren „Sekun- däreinschüsse“, die H. S. getroffen haben, hat das Landgericht keine Feststellungen zu Schusskanälen und Schmauchspurantragungen getroffen. Auch hat es nicht erklärt, was es unter Primär- und Sekundäreinschüssen versteht (vgl. dazu Niewöhner/Wenz in: Müller/Schlothauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 69 Rn. 20 f.). Daher ist seine Überlegung nicht nachvollziehbar, dass der Angeklagte Y. durch die Nähe zuden Angreifern an einer gezielten Schussabgabe auf nicht vitale Körperpartien gehindert gewesen sei.
20
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet, soweit sie den Freispruch des Angeklagten M. betrifft.
21
Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte M. entgegen dem Anklagevorwurf nicht aufgrund eines gemeinsam mit Y. gefassten Tatentschlusses gehandelt. Auch für die Annahme von Beihilfe ist mangels eines die Haupttat fördernden Tatbeitrags kein Raum, weil das Landgericht rechtlich unbedenklich angenommen hat, der Angeklagte Y. habe dessen Anwesenheit bei dem eigentlichen Tatgeschehen nicht einmal bemerkt.
Krehl Eschelbach Zeng
Bartel Schmidt

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 08. Nov. 2017 - 2 StR 125/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 08. Nov. 2017 - 2 StR 125/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 08. Nov. 2017 - 2 StR 125/17 zitiert 1 §§.

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
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vom
1. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Verdachts des Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:010217U2STR78.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 25. Januar 2017 in der Sitzung am 1. Februar 2017, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Zeng, Dr. Grube,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten C. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Pflichtverteidiger für den Angeklagten K. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreter der Nebenkläger N. R. und St. K. ,
Rechtsanwältin in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreterin der Nebenkläger L. F. und S. B. , Rechtsanwalt in der Verhandlung vom 25. Januar 2017 als Vertreter der Nebenkläger I. B. und A. B. ,
Justizangestellte in der Verhandlung vom 25. Januar 2017, Justizangestellte in der Sitzung am 1. Februar 2017 als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger N. R. und St. K. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 5. August 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revisionen der Nebenkläger I. B. und A. B. und der Nebenkläger L. F. und S. B. wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es die Tat zu Lasten der Geschädigten S. K. betrifft. Im Übrigen werden die Revisionen dieser Nebenkläger als unzulässig verworfen. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten C. B. vom Vorwurf des Totschlags und den Angeklagten K. B. vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger haben, soweit sie sich im Rahmen ihrer jeweiligen Nebenklagebefugnis halten, mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Nebenkläger I. B. und A. B. und der Nebenkläger L. F. und S. B. sind unzulässig, soweit sie die Tat zum Nachteil des Geschädigten H. K. betreffen.

I.

2
Die zugelassene Anklage legt den Angeklagten folgendes zur Last:
3
Am 6. Juni 2014 habe der Angeklagte C. B. auf der „M. “ in Ma. im Rahmen eines Streits mit anschließender Rangelei dem Geschädigten H. K. ein von diesem mitgeführtes Messer abgenommen und hiermit insgesamt 17 Mal auf den Bauch- und Rückenbereich des Geschädigten eingestochen, bis dieser infolge der massiven Stichverletzungen verstorben sei.
4
Die Ehefrau des H. K. , die Geschädigte S. K. , habe mit einem Beil bewaffnet die Auseinandersetzung aus unmittelbarer Nähe beobachtet , ohne in das Geschehen einzugreifen. Der Angeklagte K. B. sei sodann von einem hinteren Teil des Geländes zu dem Kampfgeschehen hinzugekommen und habe erkannt, dass sein Sohn C. den Geschä- digten H. K. getötet habe. Daraufhin habe er sich entschlossen, die Geschädigte S. K. durch gezielte Kopfschüsse aus einer von ihm mitgeführten Pistole zu töten, um die Überführung seines Sohnes zu verhindern. In Ausführung seines Tatplans habe der Angeklagte K. B. daraufhin der Geschädigten aus kurzer Distanz zweimal hintereinander in deren Arm /Schulter-/Kopfbereich geschossen, wodurch S. K. sofort, wie vom Angeklagten K. B. beabsichtigt, verstorben sei. Die Angeklagten hätten anschließend die Kampfspuren zu verwischen gesucht, die Tatwerkzeuge beiseite geschafft und das getötete Ehepaar zunächst unter einem Sandhaufen, in der Nacht darauf in einer Jauchegrube vor der Ranch vergraben. Das Auto der Getöteten habe der Angeklagte K. B. auf einem Supermarktparkplatz in Ma. abgestellt.

II.

5
Zu den den Angeklagten zur Last gelegten Taten hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
6
1. Der Geschädigte H K. und seine Tochter waren seit Mai 2007 Pächter der „M. “, eines sich außerhalb des Stadtrands von Ma. befindlichen Grundstücks mit direktem Zugang zum Mainufer. Im März 2012 schlossen der Geschädigte und seine Ehefrau, die Geschädigte S. K. , mit den beiden Angeklagten einen Untermietvertrag, der diesen gegen einen Mietzins von monatlich 906 Euro in bar das Recht einräumen sollte, ein auf dem Anwesen befindliches Gebäude zu Wohnzwecken und Teile des Grundstücks für Tierhaltung zu nutzen. Den Geschädigten war bekannt, dass sie zu dieser Untervermietung nicht berechtigt waren und das Grundstück zu Wohnzwecken nicht genutzt werden durfte.
7
Ab dem Jahr 2013 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Angeklagten und den Geschädigten zunehmend. Grund hierfür war zum einen, dass die Angeklagten aufgrund ihrer äußerst angespannten finanziellen Situation den vereinbarten Mietzins nicht immer pünktlich zum jeweiligen Monatsanfang an die Geschädigten zahlen konnten. Die Geschädigten, die nur über geringe Einkünfte verfügten, waren auf diese Zahlungen dringend angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten und den Mietzins für eine von ihnen auf Mallorca angemietete Wohnung entrichten zu können. Infolge der unregelmäßigen Zahlung der Miete kam es daher immer wieder zu verbalen Streitigkeiten zwischen den ihre Forderungen vehement einfordernden Geschädigten und den Angeklagten. Zu Konflikten zwischen den Angeklagten und Geschädigten trug zum anderen bei, dass Letztere nicht mit der Haltung der auf dem Hof lebenden Ziegen durch den Angeklagten C. B. einverstanden waren und deshalb mehrfach das staatliche Veterinäramt zu Kontrollen veranlassten. Dass sich die Angeklagten und Geschädigten täglich auf dem Gelände der Ranch begegneten, verschärfte das vorhandene Konfliktpotential zusätzlich. Auf die häufigen aggressiven Anwürfe der Geschädigten, die in Beleidigungen und Drohungen gipfelten, reagierten die Angeklagten passiv, demütig und verängstigt. Aufgrund der stetig zunehmenden Angst vor etwaigen Übergriffen der Geschädigten bewahrten die Angeklagten spätestens seit Dezember 2013 eine Pistole griffbereit hinter der Eingangstür des von ihnen bewohnten Gebäudes der Ranch auf.
8
In den letzten Wochen vor der Tat kam es beinahe täglich zu immer lautstärkeren – und seitens der Geschädigten sehr emotional und aggressiv geführten – Auseinandersetzungen zwischen den Geschädigten und den Angeklagten. Nachdem der Eigentümer des Grundstücks Ende April 2014 erstmals erfahren hatte, dass das Grundstück zu Wohnzwecken untervermietet worden war, forderte dessen Rechtsanwalt Anfang Mai 2014 die Geschädigten und An- geklagten schriftlich auf, das illegale Untermietverhältnis zu beenden. Am 2. Juni 2014 suchten die Angeklagten ihren Rechtsanwalt auf, der ihnen dazu riet, keinerlei Mietzins mehr an die Geschädigten zu entrichten und ihnen zusicherte , sich mit dem Grundstückseigentümer in Verbindung zu setzen, um eine direkte Anmietung oder einen Erwerb des Grundstücks zu erreichen. Am selben Tag zahlten die Angeklagten im Anschluss an das Beratungsgespräch für Juni 2014 dennoch einen (Teil-) Mietzins in Höhe von 450 Euro an die Geschädigten. Sie waren hiernach jedoch definitiv nicht mehr bereit, weitere Zahlungen zu leisten.
9
Am 6. Juni 2014 zwischen 13.02 Uhr und circa 13.30 Uhr befanden sich die Geschädigten auf dem Grundstück der Ranch direkt vor dem Eingang des von den Angeklagten bewohnten Gebäudes. Hierbei führte der Geschädigte H. K. – wie üblich – ein Messer mit sich. Die Geschädigten hatten sich vorgenommen – wie mit den Angeklagten zuvor am 2. Juni 2014 verabredet – den noch offenen Mietzins für den Monat Juni 2014 zu erhalten und waren zur Durchsetzung ihrer Forderung bereit, falls erforderlich, auch Gewalt anzuwenden.
10
Während sich der Angeklagte K. B. im hinteren Teil des Grundstücks mit den Tieren beschäftigte, traf der Geschädigte H. K. an der Eingangstür des bewohnten Gebäudes den Angeklagten C. B. an und forderte ihn zur unverzüglichen Zahlung des restlichen Mietzinses für Juni 2014 sowie zusätzlich auch des Mietzinses für Juli 2014 auf. Als der Angeklagte gegenüber H. K. und dessen Ehefrau, die ein Beil mit sich führte, trotz Drohungen mit Gewalt jede weitere Zahlung ablehnte und von der Einschaltung seines Anwalts berichtete, zog H. K. das von ihm mitgeführte Messer und setzte es dem von ihm am Hals festgehaltenen C. B. auf die Brust. Als sich der Angeklagte C. B. zu wehren versuchte, stach H. K. mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer in Richtung des Oberkörpers des Angeklagten, der den Stich jedoch ablenken konnte. Im weiteren Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung gelang es C. B. , dem Geschädigten H. K. das Messer abzunehmen und sich durch einen Stich in dessen Oberkörper aus dem Griff am Hals zu lösen. Sein anschließender Versuch, von der Ranch zu flüchten, scheiterte, weil ihm die noch immer mit dem Beil bewaffnete Geschädigte S. K. den Fluchtweg versperrte. Dadurch gelang es dem Geschädigten H. K. , ihn einzuholen, in den Schwitzkasten zu nehmen und die wieder vor die Eingangstür verlagerte, zwischenzeitlich auf dem Boden geführte Auseinandersetzung fortzusetzen.
11
Währenddessen kam der Angeklagte K. B. zum Geschehen hinzu. Als er sah, dass sein Sohn mit dem Rücken auf dem Boden liegend mit dem auf ihm sitzenden H. K. kämpfte, und die Geschädigte S. K. mit einem Gegenstand in der Hand neben beiden kniete, versuchte er zunächst vergeblich S. K. wegzustoßen. Daraufhin begab er sich in den Vorraum des Hauses und ergriff die dort gelagerte Pistole.
12
Trotz der Fixierung seiner rechten Hand durch die linke Hand des Geschädigten H. K. war es dem Angeklagten C. B. nunmehr unter erheblicher Kraftanstrengung möglich, mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer noch insgesamt drei Stiche in den oberen Brustbereich des auf ihm sitzenden Geschädigten H. K. anzubringen, der ihn weiterhin mit seiner rechten Hand am Hals festhielt und versuchte, ihm das Messer zu entwinden.
13
In der Zwischenzeit kam der Angeklagte K. B. mit der Pistole zum Geschehen zurück. Als er erkannte, dass die Geschädigte S.
K. ein Beil in der Hand hielt und ausholend dazu ansetzte, hiermit auf C. B. einzuhacken, schoss er – um seinen Sohn vor dem Angriff mit dem Beil zu verteidigen – aus einer Entfernung von mindestens zwei Metern zwei Mal auf den Arm-/Schulterbereich der S. K. , die dadurch am Rücken getroffen wurde und sofort verstarb.
14
Der Angeklagte K. B. zog nun den Geschädigten von seinem Sohn herunter, woraufhin H. K. leblos auf dem Rücken neben C. B. zum Liegen kam. Der Angeklagte C. B. kniete sich daraufhin neben H. K. , der – was er nicht erkannte – bereits infolge beidseitigen Pneumothorax verstorben war, und fügte diesem mit dem Messer weitere 12 Stiche in den Brustkorb zu.
15
Der Angeklagte K. B. entschied sich gegen eine Verständigung der Polizei, da er davon ausging, dass diese ihnen das Tatgeschehen nicht glauben würde. Gemeinsam mit seinem Sohn, der – noch unter dem Einfluss des Tatgeschehens stehend – die Anweisungen seines Vaters mechanisch ausführte, beseitigten die Angeklagten die Tatspuren, parkten das Fahrzeug der Geschädigten auf dem Parkplatz eines Supermarkts, warfen das Tatmesser und das Beil in den Main, versteckten die Pistole und vergruben die Leichen auf dem Gelände der Ranch. Aufgrund von Hinweisen des Angeklagten C. B. vom 14. Oktober 2014 konnten die Leichname der Geschädigten später dort aufgefunden werden.
16
2. Das Landgericht hat die Einlassungen der Angeklagten zum Tatgeschehen , der die weiteren Beweisergebnisse nicht widersprächen, als unwiderlegbar angesehen. Unter Zugrundelegung der Einlassungen hat es angenommen , das Handeln des Angeklagten C. B. sei durch Notwehr gerechtfertigt. Der Geschädigte H. K. habe den Angeklagten C.
B. rechtswidrig angegriffen, indem er mit der linken Hand an dessen Hals griff und mit dem in seiner rechten Hand geführten Messer auf ihn einstach. Dieser Angriff sei auch noch nach dem Entwinden des Messers nicht beendet gewesen, da der Geschädigte den Angeklagten weiter mit seiner linken Hand am Hals festgehalten und um das Messer gekämpft habe. Über diese fortdauernde Intensität der Kampflage hinaus habe die jederzeitige Möglichkeit eines Eingreifens der anwesenden und mit einem Beil bewaffneten Ehefrau des Geschädigten bestanden. Als der Angeklagte C. B. auf den bereits verstorbenen Geschädigten H. K. weiter einstach, habe er sich im Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB befunden.
17
Hinsichtlich der vom Angeklagten K. B. auf die Geschädigte S. K. abgegebenen zwei Schüsse hat das Landgericht angenommen , diese seien als Nothilfe gerechtfertigt. Dadurch, dass die Geschädigte S. K. gerade mit dem Beil ausholte, um auf den Angeklagten C. B. einzuhacken, habe sie diesen rechtswidrig angegriffen.

III.

18
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenkläger N. R. und St. K. haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Nebenkläger I. und A. B. sowie der Nebenkläger L. F. und S. B. haben mit der Sachrüge Erfolg, soweit sie sich im Rahmen ihrer sich aus §§ 395 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 401 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Nebenklagebefugnis halten, im Übrigen sind sie unzulässig. Wegen des Erfolgs der Sachrüge bedarf es keines Eingehens auf die Verfahrensrügen. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
19
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag.
20
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris, mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen aus- zugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).
21
2. Diesen Anforderungen an die Beweiswürdigung genügt das Urteil nicht.
22
a) Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass das Landgericht die im Rahmen der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht gebotene nähere Dokumentation früherer Einlassungen der Angeklagten unterlassen und den Zeitpunkt der jeweiligen Einlassungen in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt hat.
23
Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, hat der Tatrichter sich seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung des Angeklagten aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR48/86, BGHSt 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Einlassung im Laufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung spricht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 – 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21).
24
Zwar hat die Kammer in den Urteilsgründen dargestellt, dass die Einlassung der Angeklagten über ihre Verteidiger durch Verlesung von vorbereiteten, schriftlichen Erklärungen in der Hauptverhandlung erfolgte (UA S. 57). Auch werden inhaltliche Angaben hierzu gemacht (UA S. 27, 51 bis 56). Es bleibt jedoch offen, zu welchem Zeitpunkt im Rahmen der mehrtägigen Hauptverhandlung diese Einlassungen verlesen wurden und ob und insbesondere mit welchem Inhalt sich die Angeklagten vor diesem Zeitpunkt eingelassen haben. Dass es frühere Einlassungen der Angeklagten gegeben hat, folgt bezüglich des Angeklagten C. B. aus der Erwähnung eines Hinweises zum Fundort der Leichen (UA S. 27) und bezüglich des Angeklagten K. B. aus der Mitteilung, dass er am 8. Juni 2014 vom Zeugen KOK P. zur Sache vernommen worden ist (UA S. 35). Das Urteil teilt auch nicht mit, wie im Einzelnen sich der Angeklagte C. B. im Rahmen des letzten Wortes geäußert hat. Insoweit wird lediglich wiedergegeben, dass der Angeklagte anschaulich geschildert habe, noch immer beinahe jede Nacht vom Tatgeschehen zu träumen (UA S. 83).
25
b) Das Landgericht hat darüber hinaus den Anwendungsbereich des Zweifelssatzes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 Rn. 44, NStZ-RR 2015, 83, 85 mwN). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – 3 StR 136/01, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24).
26
Nachdem das Landgericht bei der Bewertung des Kampfgeschehens und der Interessenlage der Beteiligten zunächst zu der Annahme gelangt war, dass „Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sowohl der Geschädigte H. K. als auch der Angeklagte C. B. am Tattag das Tatmesser mitgebracht und als Erstes eingesetzt haben könnten, da beide ohnehin messergewohnt waren“ (UA S. 59), ist es unter rechtsfehlerhafter Anwendung des Grund- satzes „in dubio pro reo“ der Einlassung der Angeklagten gefolgt und zu deren Gunsten davon ausgegangen, dass „der Streit am Tattag von den Geschädig- ten begonnen wurde und der Geschädigte H. K. hierbei derjenige war, der das Tatmesser mit sich führte, dieses auch zog und zuerst gegen den Angeklagten C. B. einsetzte“ (UA S. 62).
27
c) Die Beweiswürdigung weist zudem durchgreifende Lücken auf.
28
aa) Die Wertung des Landgerichts, es sei kein Motiv der Angeklagten ersichtlich , mit den Geschädigten am Tattag zunächst einen verbalen Streit und sodann gar eine körperliche Auseinandersetzung zu beginnen (UA S. 61), beruht auf lückenhaft gebliebenen Erwägungen.
29
Das Landgericht stellt insoweit darauf ab, dass die Angeklagten nach dem Beratungsgespräch mit ihrem Rechtsanwalt wussten, dass der mit den Geschädigten geschlossene Untermietvertrag illegal war und sie den Geschädigten deshalb künftig keine Mietzinszahlungen mehr schuldeten. Außerdem habe ihnen der Anwalt zugesichert, mit dem Eigentümer Kontakt aufzunehmen und zu versuchen, für die Angeklagten einen Mietvertrag über das Grundstück direkt mit dem Eigentümer ohne Einschaltung der Geschädigten abzuschließen (UA S. 61, 79). Das Landgericht sieht die Angeklagten daher in einer „geradezu komfortablen Lage“, weshalb sie auch keine Veranlassunggehabt hätten, mit den Geschädigten Streit zu beginnen (UA S. 62).
30
Bei dieser Wertung hat das Landgericht nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die Angeklagten bereits eine Woche zuvor ein Schreiben der Stadt Ma. erhalten hatten, aus dem sich ergab, dass die Ranch künftig an die Angeklagten nicht mehr zu Wohnzwecken vermietet werden durfte (UA S. 38). Der Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken standen nicht nur die Bestimmungen des Pachtvertrags, sondern auch öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen (UA S. 37). Da die Zeugin Kl. über den eingeschalteten Rechtsanwalt die Räumung des Grundstücks von den Angeklagten verlangt hatte (UA S. 37), hatten diese daher Anfang Juni das Ende des Mietverhältnisses über das Grundstück und die Zwangsräumung zu befürchten. Für sie bestand daher nicht nur die Gefahr, ihre Wohnung auf der Ranch, sondern vor allem ihren Lebensmittelpunkt und die von ihnen auf dem Grundstück betreuten Tiere zu verlieren, an denen der Angeklagte C. B. besonders hing und die sein Lebensinhalt waren. Selbst in dem von ihrem Rechtsanwalt ins Spiel gebrachten Fall der eigenen Anmietung des Grundstücks hätten die Angeklagten ihre Wohnmöglichkeit verloren. Den drohenden Verlust der bisherigen Lebensumstände der Angeklagten hätte die Strafkammer bei der Frage, ob die Angeklagten Anlass hatten, mit den Geschädigten einen Streit zu beginnen , mitberücksichtigen müssen.
31
bb) Die Wertung der Kammer, eine geplante Tötung der Geschädigten seitens der Angeklagten scheide aus, blendet einen wesentlichen Aspekt des festgestellten Geschehensablaufs aus. So erklärt das Landgericht die – gegen den unmittelbar zuvor erteilten Rat ihres Rechtsanwalts am 2. Juni 2014 erfolgte – Zahlung der Angeklagten in Höhe von 450 Euro an die Geschädigten mit dem Ziel, „zunächst weiteren Streitigkeiten und Anfeindungen der Geschädigten zu entgehen“ (UA S. 50). Nicht in die Wertung einbezogen hat das Landgericht jedoch den festgestellten Umstand, dass die Angeklagten noch am selben Tag mit den Geschädigten verabredet hatten, am 6. Juni 2014 den offenen Restbetrag zu bezahlen und sich die Geschädigten gerade aus diesem Grund am Tattag zur Ranch begaben (UA S. 10, 18). Dass die Angeklagten am 2. Juni 2014 mit den Geschädigten die Verabredung einer weiteren Geldübergabe trafen, ist im Übrigen nicht mit der vom Landgericht getroffenen Annahme in Einklang zu bringen, die Angeklagten seien nach der Teilmietzinszahlung „definitiv nicht mehr bereit [gewesen], weiteren Mietzins an die Geschädigten zu entrichten“ (UA S. 18).
32
cc) Auch hinsichtlich der Geschehnisse am Tattag zwischen 11 Uhr und 13 Uhr weist die Beweiswürdigung eine Lücke auf. Wie das Landgericht aufgrund der Angaben diverser Zeugen festgestellt hat, waren die Geschädigten regelmäßig täglich zwischen 11 und 13 Uhr auf der Ranch (UA S. 12 ff.; 28 ff., 46 ff.). Nach ihrer (insoweit vom Landgericht nicht in Zweifel gezogenen) Aussage traf die Zeugin S. die Geschädigte auch am 6. Juni 2014 gegen 11 Uhr nahe der Ranch, als diese mit ihren Hunden am Mainufer spazieren ging (UA S. 68). Diese Aussage hat das Landgericht nicht zum Anlass genommen, sich mit der naheliegenden Frage auseinanderzusetzen, ob sich die Geschädigten bereits etwa zwei Stunden vor der Tat auf der Ranch aufgehalten haben und was zwischen 11 Uhr und der zwischen 13.02 Uhr und circa 13.30 Uhr angesetzten Tatzeit auf der Ranch geschehen ist.
33
dd) Bei der Würdigung der Einlassung des Angeklagten C. B. zum Tathergang hat die Kammer nicht erörtert, dass die Einlassung zum auslösenden Ereignis für den Messereinsatz durch den Geschädigten H. K. in offenkundigem Widerspruch zur Tatvorgeschichte steht. Der Angeklagte hat sich eingelassen, der Geschädigte habe ein Messer gezogen, nachdem er durch ihn davon erfahren habe, dass der Eigentümer der Ranch von dem illegalen Untermietverhältnis nunmehr Kenntnis erlangt habe (UA S. 52). Demgegenüber ist das Landgericht im Rahmen der Tatvorgeschichte davon ausgegangen, dass die Geschädigten von dem Schreiben bereits mindestens eine Woche vor der Tat Kenntnis erhalten hatten (UA S. 17, 37, 38, 60).
34
d) Schließlich fehlt es auch an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände. Die Beweiswürdigung der Strafkammer lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl. Senat, Urteil vom 17. September 1986 – 2 StR 353/86; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 1; BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85).
35
3. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten gewonnen hätte. Vors.RiBGH Prof. Dr. Fischer Appl Eschelbach ist wegen Krankheit an der Unterschrift gehindert. Appl Zeng Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 45/17
vom
14. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2017:140917U4STR45.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. September 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Franke, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 15. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls, wegen versuchter Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Vom (tatmehrheitlich angeklagten) Vorwurf der Vergewaltigung zum Nachteil der Nebenklägerin hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich die Nebenklägerin gegen den Freispruch. Ihr Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten insoweit Folgendes zur Last:
3
Der Angeklagte habe in der Nacht zum 19. September 2015, bekleidet mit einer grünen Bomberjacke, einer orange-roten Baseballkappe und Handschuhen , die 17-jährige Nebenklägerin im Stadtgebiet von P. am Genick gepackt, ihr den Mund zugehalten und sie unter ihrer erfolglosen körperlichen Gegenwehr in einen nahe gelegenen Park gezerrt. Dort habe er sich, nachdem die Nebenklägerin auf den Boden gefallen und auf dem Rücken zu liegen gekommen war, auf deren Hände gekniet, ihre Leggings zerrissen und habe mit der sich fortdauernd wehrenden Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr ausgeübt, wobei er ihr seinen Unterarm auf den Mund hielt, um Hilfeschreie zu unterbinden. Danach habe er sie an den Haaren gepackt und sie für den Fall einer Offenbarung der Tat mit dem Tode bedroht, woraufhin sie habe flüchten können.
4
2. Das Landgericht hat diesen Sachverhalt nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen vermocht. Selbst wenn, so die Strafkammer , die von der Nebenklägerin geschilderte Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden haben sollte, könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine andere Person und nicht der Angeklagte als Täter infrage komme.

II.


5
Der Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung hat keinen Bestand; er leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
6
1. Es ist schon zweifelhaft, ob das Urteil den formellen Anforderungen genügt, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an eine Freispruchsbegründung zu stellen sind (vgl. dazu BGH, Urteile vom 25. September 1990 – 1 StR 448/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 5; vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10). Die danach regelmäßig erforderlichen zusammenhängenden Feststellungen zu den für erwiesen erachteten Tatsachen enthalten die Urteilsgründe nicht. Ob dies hier einen sachlich-rechtlichen Mangel darstellt oder ob tatsächlich keine Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen möglich waren (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. November 1996 – 1 StR 405/96, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 12), kann aber letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
7
2. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO), weshalb es ihm obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Urteil muss aber erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH aaO).
8
3. Gemessen daran begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
a) Zum einen weist sie Lücken auf, weil die Strafkammer nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise dargelegt hat, warum sie dem Gutachten der aussagepsychologischen Sachverständigen Dipl.-Psych. B. nicht gefolgt ist, wonach die Angaben der Nebenklägerin zur Tat und zum Täter mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ erlebnisfundiert seien.
10
aa) Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, einem Sachverständigen zu folgen. Kommt er aber zu einem anderen Ergebnis, so muss er sich konkret mit den Ausführungen des jeweiligen Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass er über das bessere Fachwissen verfügt (BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 – 5 StR 181/12, NStZ 2013, 55, 56). Vor allem muss er die Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die er seine abweichende Auffassung stützt (BGH, Urteil vom 20. Juni 2000 – 5 StR 173/00, NStZ 2000, 550, 551) und unter Auseinandersetzung mit diesen seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine Nachprüfung möglich ist (BGH, Urteile vom 11. Januar 2017 – 2 StR 323/16, NStZ-RR 2017, 222 f.; vom 14. Juni 1994 – 1 StR 190/94, NStZ 1994, 503).
11
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar referiert die Strafkammer die gutachterliche Stellungnahme der aussagepsychologischen Sachverständigen, die sich ihrerseits erkennbar an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten methodischen Anforderungen orientiert (vgl. dazu BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164), in aller Breite in den Urteilsgründen. Sie versäumt es aber, eine eigene Bewertung der Ergebnisse des Gutachtens vorzunehmen und im Einzelnen zu erläutern, aus welchem Grund sie sich der Gutachterin nicht anzuschließen vermocht hat. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als im Hinblick auf das wesentliche Glaubhaftigkeitskriterium der Aussagekonstanz die Beurteilung der Sachverständigen von der Strafkammer, „das Kerngeschehen betreffend“, ausdrücklich geteilt wird (UA 44). Der allgemeine Hinweis darauf, die Bewertung der Angaben der Nebenklägerin durch die Gutachterin (mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ erlebnisfundiert)reiche zur Überführung des Angeklagten nicht aus und deren Bekundungen stünden der Einlassung des Ange- klagten auch vor dem Hintergrund des Gutachtens „unvereinbar gegenüber“, kennzeichnet letztlich nur das abstrakte Problem der Aussage-gegen-AussageKonstellation , ohne dieses nach den konkreten Umständen des Falles unter Einschluss des psychologischen Gutachtens zu erörtern. Der Senat kann danach auch nicht überprüfen, ob der Einschätzung der Strafkammer in Bezug auf die Ausführungen der psychologischen Sachverständigen die erforderliche Sachkunde zugrunde liegt.
12
b) Soweit das Landgericht die Frage, ob sich die Tat zum Nachteil der Nebenklägerin überhaupt ereignet hat, letztlich offen gelassen hat, begegnen ihre Ausführungen zur Begründung ihrer Zweifel aus weiteren Gründen durchgreifenden Bedenken.
13
aa) Das Landgericht hat darauf abgestellt, „zweifelsfreie“ Rückschlüsse darauf, dass die Nebenklägerin Opfer einer Vergewaltigung geworden sei, habe ihre körperliche Untersuchung im Krankenhaus nicht ergeben. Die vom behandelnden Arzt festgestellte leichte Blutung im Vaginalbereich könne auch andere Ursachen als eine Vergewaltigung gehabt haben, etwa den Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund am Nachmittag des 18. September 2015, sie könne auch im Zusammenhang mit einer Menstruation der Nebenklägerin oder mit „anderen Ursachen“ entstanden sein. Auch die leichten Kratzspuren und die dadurch verursachte Rötung im Dekolleté der Nebenklägerin ließen keine „zwangsweisen“ Rückschlüsse auf ein Vergewaltigungsgeschehenzu, würden ein solches allerdings auch nicht gänzlich ausschließen.
14
bb) Diese Ausführungen lassen schon nicht erkennen, dass das Landgericht bedacht hat, dass Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit ist, sondern ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 – 5 StR 358/03 mwN). Die Beweiswürdigung erweist sich an dieser Stelle ferner als lückenhaft. Denn mit Blick auf mögliche Ursachen für die Blutung im Vaginalbereich wäre erörterungsbedürftig gewesen, dass der von der Nebenklägerin bekundete Geschlechtsverkehr mit ihrem Freund bereits sieben Stunden vor der geschilderten Tat stattfand. Im Bereich bloßer Vermutung liegt die als weitere mögliche Erklärung in Betracht gezogene Menstruationsblutung, die weder in den Bekundungen der Nebenklägerin noch in sonstigen Umständen eine Stütze findet, ebenso die nicht näher tatsachenfundierten „anderen Ursachen“. Gänzlich un- erörtert bleibt in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Nebenklägerin den ermittelnden Polizeibeamten nach der Tat eine zerrissene Leggings übergab , was ihre Tatschilderung in einem wesentlichen Punkt bestätigte. Schließlich werden die für und gegen das Vorliegen einer Straftat sprechenden Indizien nicht zueinander in Bezug gesetzt.
15
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler der Aussage der Nebenklägerin zur Tatbegehung gefolgt wäre, infolgedessen auch die sich aus der Aussage ergebenden und die weiteren Beweisanzeichen für eine Täterschaft des Angeklagten anders als geschehen gewichtet hätte und zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Unabhängig davon begegnet die Beweiswürdigung zur Frage einer Tatbegehung gerade durch den Angeklagten für sich genommen ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
aa) Die Nebenklägerin hat konstant bekundet, dass der Täter bei der Tatausführung ein Fahrrad mit sich geführt, eine grüne Bomberjacke sowie eine orangefarbene bzw. rote Baseballkappe getragen und beim Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzt habe. Der den P. er Dialekt sprechende Täter habe ferner Handschuhe getragen und eine Tätowierung auf der Wange gehabt, bestehend aus einer oder mehrerer Tränen. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens wurden in der Wohnung der Lebensgefährtin des Angeklagten Kleidungsstücke der genannten Art sichergestellt, ferner weist die Wange des Angeklagten eine entsprechende Tätowierung auf.
17
In den Urteilsgründen werden diese Beweisanzeichen wie folgt gewürdigt :
18
Dass der Angeklagte im Besitz einer grünen Bomberjacke und einer roten Baseballkappe gewesen sei, stelle kein gewichtiges Indiz für seine Täterschaft dar, da es sich um Massenkleidungsstücke handle und die Nebenklägerin konkrete Erkennungszeichen wie eine besondere Marke nicht erkannt habe. Tätowierte Tränen im Gesicht, die der Angeklagte aufweise, seien keine Seltenheit , so dass nicht vollständig auszuschließen sei, dass sich in P. weitere Personen aufgehalten hätten, welche ebenfalls eine solche Tätowierung hätten. Im Übrigen sei sich die Nebenklägerin zunächst nicht sicher gewesen, auf welcher Seite und wie viele Tränen im Gesicht des Täters zu erkennen waren.
19
bb) Abgesehen davon, dass es sich bei der Annahme, in P. gebe es mehrere Personen mit einer Tätowierung ähnlich derjenigen des Angeklagten , um eine nicht mit Tatsachen belegte Vermutung handelt, fehlt auch die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse.
20
(1) Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermittelnkönnen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110 f. mwN).
21
(2) Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die dargelegten Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt im vorliegenden Fall den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung auch deshalb nicht, weil zu bedenken gewesen wäre, dass sich die von der Nebenklägerin geschilderte Tat in der Nacht zum 19. September 2015 nach 24.00 Uhr nicht weit von der Wohnung seiner damaligen Lebensgefährtin, der Zeugin D. , entfernt ereignet haben soll und dem Angeklagten sein Fahrrad dort zur Verfügung stand. Allein die Zeugin D. hat den Angeklagten für den Tatzeitraum (laut Anklagevorwurf in der Nacht zum 19. September nach Mitternacht) entlastet. Das Alibi des (einzig) neutralen Zeugen W. , der den Angeklagten und die Tochter der D. in derTatnacht mit seinem Taxi an der Wohnung der D. absetzte, reicht ausweislich seiner Angaben in der Hauptverhandlung nur bis 24.00 Uhr.
22
Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln ein geringeres Gewicht beigemessen und sich letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
23
Soweit der Angeklagte vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden ist, bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.


24
Der Senat hebt den Freispruch daher auf und verweist die Sache insoweit an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Sollte das Landgericht zu einer Verurteilung gelangen, wird es unter Auflösung der bisherigen Gesamtstrafe eine neue Gesamtstrafe zu bilden haben (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1976 – 2 StR 572/76; vom 18. Februar 2016 – 1 StR 409/15; Beschluss vom 26. Januar 1999 – 4 StR 556/98). An der in seinem Urteil vom 14. Januar 2016 (4 StR 361/15) geäußerten Rechtsauffassung, wonach im Fall der Aufhebung eines Teilfreispruchs auf Revision der Nebenklage auch die in demselben Verfahren für nicht angefochtene Taten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe der Aufhebung unterliegt, hält der Senat nicht mehr fest (vgl. für den ver- gleichbaren Fall einer auf einen Teilfreispruch beschränkten Revision der Staatsanwaltschaft Senatsurteil vom heutigen Tag – 4 StR 303/17).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin