Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2016 - 2 StR 25/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:170216U2STR25.15.0
bei uns veröffentlicht am17.02.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 25/15
vom
17. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:170216U2STR25.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Februar 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, Zeng, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 21. Juli 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und 101,94 g Methamphetamin sowie eine Geldkassette eingezogen. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts besaß der Angeklagte nach seiner bedingten Entlassung aus einer Strafhaft im Dezember 2013 mindestens 100 g Methamphetamin, das er in seiner Wohnung in Tüten verpackte und für den Verkauf vorrätig hielt. Er verwahrte es in einer Geldkassette, die er von der Zeugin J. gekauft hatte und an seinem Arbeitsplatz versteckte.
3
Am 29. Dezember 2013 holte der Angeklagte das Methamphetamin aus dem Versteck, entweder um es zu verkaufen oder um es an einem anderen Ort zu verstecken. Er legte die verschlossene Geldkassette mit dem Methamphetamin in seinen Rucksack, in dem sich auch sein Entlassungsschein der Justizvollzugsanstalt befand. Dann lieh er sich den Pkw der Zeugin J. . Gegen 21.30 Uhr fuhr er damit nach S. , obwohl er keine Fahrerlaubnis hatte.
4
In S. hielt der Angeklagte in der Straße „Am B. “. Dort kam ihm die Polizeistreife der Zeugen G. und W. entgegen. Die Beamten „beschlossen , eine Fahrzeugkontrolle durchzuführen. Grund dafür war, dass es sich um eine abgelegene Stelle handelte, in der es bereits öfter zu kriminellen Handlungen und auch Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz gekommen war und sie es für ungewöhnlich hielten, dass um diese Zeit dort ein Auto hielt.“ Als sie ihr Dienstfahrzeug in der Nähe des Angeklagten anhielten, setzte dieser sein Fahrzeug einige Meter zurück, bis er nicht weiter fahren konnte. Die Beamten stiegen aus und leuchteten mit Taschenlampen in Richtung des Angeklagten , der sich zum Beifahrersitz wandte und dort hantierte. Anschließend stieg der Angeklagte aus dem Fahrzeug aus und ging auf den Polizeibeamten G. zu. Dieser verlangte von ihm den Führerschein und die Fahrzeugpapiere. Der Angeklagte rannte daraufhin weg. Im Laufen verriegelte er das Fahrzeug. Der Angeklagte wurde von den Beamten zu Fuß verfolgt, konnte aber entkommen.
5
Das verschlossene Fahrzeug wurde zunächst durch andere Streifenbeamte überwacht, aber gegen 23.00 Uhr von einem Abschleppdienst zur Verwahrstelle gebracht, wo es gegen 23.45 Uhr eintraf. Der Angeklagte bat seine Freundin, die Zeugin Sc. , zur Verwahrstelle zu fahren, um den Rucksack abzuholen. Dort wurde ihr jedoch die Herausgabe verweigert. Auf Anordnung des Polizeihauptmeisters Sch. wurde gegen 3.15 Uhr das Fahrzeug durch Einschlagen einer Seitenscheibe geöffnet und der Rucksack entnommen. Dieser wurde durchsucht, wodurch der Entlassungsschein der Justizvollzugsanstalt mit den Personaldaten des Angeklagten gefunden wurde. Später wurde auf Anordnung des Polizeihauptkommissars N. nach Rücksprache mit dem Staatsanwalt des Bereitschaftsdiensts auch die Geldkassette aufgebrochen. Darin wurde das Methamphetamin und ein Zettel gefunden, auf dem Geldbeträge notiert waren, die eine Summe von 10.400 Euro ergaben. Dies entsprach dem Verkaufswert des sichergestellten Methamphetamins. Auf dem Zettel fanden sich nach einer kriminaltechnischen Untersuchung auch Fingerabdrücke und DNA-Spuren des Angeklagten.
6
2. Der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestritten hat, hatte bei einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung im Vorverfahren behauptet, er habe die Geldkassette im Auftrag der Zeugin J. transportiert, ohne deren Inhalt zu kennen. Das Landgericht hat diese Einlassung als widerlegt betrachtet. Dazu hat es die Sachbeweise, die bei der Durchsuchung des Fahrzeugs und des Rucksacks gefunden wurden, gegen den Widerspruch der Verteidigung verwertet. Zeugenaussagen der Polizeibeamten zur Auffindesituation sowie die Sachbeweise selbst unterlägen keinem Beweisverwertungsverbot. Für die gewaltsame Öffnung und Durchsuchung des Fahrzeugs sowie der Geldkassette habe § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gebildet. Auf die §§ 102, 105 StPO sei es nicht angekommen.

II.

7
Die Revision ist aus den vom Generalbundesanwalt genannten Gründen unbegründet. Der Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, mit der vom Beschwerdeführer ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich aller Beweismittel, die sich auf das Auffinden von Entlassungsschein, Geldkassette und darin enthaltenen Drogen und Notizen geltend gemacht wird.
8
1. Ob die Verfahrensrüge zulässig ist, kann offenbleiben.
9
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist nicht entschieden, dass die Widerspruchslösung auch für unselbstständige Beweisverwertungsverbote wegen Fehlern bei der Durchsuchung oder Beschlagnahme gilt (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296 f.); dies kann dahinstehen. Jedenfalls hat die Verteidigung vorab der Verwertung aller Sachbeweise und der auf die Auffindesituation bezogenen Zeugenaussagen durch Polizeibeamte widersprochen. Ein solcher Sammelwiderspruch ist zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 - 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38, 39; Beschluss vom 21. Oktober 2014 - 5 StR 296/14, BGHSt 60, 50, 52).
10
Ob die Verfahrensrüge den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, obwohl der Aktenvermerk des Polizeikommissars W. vom 30. Dezember 2013 über die polizeilichen Maßnahmen in der vorangegangenen Nacht nicht mitgeteilt wurde, kann dahinstehen.
11
2. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet, weil kein Beweisverwertungsverbot besteht.
12
a) Für die Durchsuchung des Fahrzeugs der Zeugin J. und des Rucksacks, den der Angeklagte darin mitgeführt hatte, ergab sich aus § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO eine hinreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
13
Nach dieser Vorschrift kann eine Durchsuchung vorgenommen werden, wenn der Betroffene einer Straftat verdächtig ist und seine Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ein Anfangsverdacht , der Anlass zum Einschreiten gibt und zur Erforschung des Sachverhaltes verpflichtet, ist erforderlich, aber auch ausreichend (Kurth NJW 1979, 1377, 1378) und liegt hier vor. Er setzt nur voraus, dass zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen. Der Betroffene braucht noch nicht die Stellung eines Beschuldigten erlangt zu haben. Liegt ein Verdacht einer Straftat in diesem Sinne vor, kann die Durchsuchung der vom Verdächtigen mitgeführten Sachen zur Feststellung seiner Identität durchgeführt werden.
14
Der Angeklagte hatte sich dadurch verdächtig gemacht, dass er sich der Personenkontrolle durch Flucht entzogen hat. Die Abfrage im Zentralen Verkehrsinformationssystem ergab, dass der Pkw auf die Zeugin J. zugelassen war. Diese erklärte bei einer in dem - insoweit von der Revision nicht mitgeteilten - polizeilichen Aktenvermerk über die nächtlichen Ermittlungsmaßnahmen vom 30. Dezember 2013 festgehaltenen informatorischen Befragung durch die in der Nacht ermittelnden Polizeibeamten, dass sie die Wegnahme des Fahrzeugschlüssels und die Benutzung ihres Fahrzeugs nicht bemerkt habe. Die Polizeibeamten gingen deshalb von einer unbefugten Fahrzeugbenutzung oder einem Fahrzeugdiebstahl aus. Insoweit lag ein ausreichender Anfangsverdacht für eine Maßnahme zur Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO vor.

15
§ 163b Abs. 1 Satz 3 StPO gestattet nicht nur die Durchsuchung der Person, sondern auch diejenige der mitgeführten Sachen. Dazu zählt für einen von der Maßnahme betroffenen Fahrzeugführer auch das Kraftfahrzeug (vgl. LR/Erb, StPO, 26. Aufl., § 163b Rn. 40; KK/Griesbaum, StPO, 7. Aufl., § 163b Rn. 23; MünchKomm/Kölbel, StPO, 2016, § 163b Rn. 17; Schmitt in MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 163b Rn. 11; SK/Wolter, StPO, 4. Aufl., § 163b Rn. 36; SSW/Ziegler/Vordermayer, StPO, 2. Aufl., § 163b Rn. 7).
16
Die gesetzliche Erlaubnis zu einer Durchsuchung schließt als unselbstständige Begleitmaßnahme auch die gewaltsame Öffnung des Durchsuchungsobjekts ein (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 105 Rn. 13; LR/Tsambikakis, StPO, 26. Aufl., §§ 105 Rn. 125; SK/Wohlers/Jäger, StPO, 5. Aufl., § 163b Rn. 64). Deshalb war es auch zulässig, durch Zerstörung einer Seitenscheibe die Durchsuchung des Fahrzeuginneren zu ermöglichen. Ferner gehörte die Durchsuchung des Rucksacks, der in dem Fahrzeug gefunden wurde, zu den Maßnahmen, die nach § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO gestattet waren. Dadurch wurde der Entlassungsschein des Angeklagten gefunden und hierdurch seine Identität festgestellt. Hiermit war die Maßnahme zur Identitätsfeststellung allerdings abgeschlossen.
17
b) Die spätere Öffnung und Durchsuchung der Geldkassette war danach aber nicht mehr von § 163b Abs. 1 Satz 3 StPO gedeckt. Dabei handelte es sich um eine Durchsuchung im Sinne der §§ 102, 105 StPO. Die Voraussetzungen dafür lagen nicht vor. Jedoch ergibt sich aus diesem Verfahrensfehler kein Beweisverwertungsverbot.
18
aa) Durchsuchungen dürfen nach § 105 Abs. 1 StPO nur durch den Richter , bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermitt- lungspersonen angeordnet werden. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung ist hier nicht eingeholt worden, obwohl sie ohne Gefahr des Beweismittelverlusts hätte eingeholt werden können. Gefahr im Verzug als Grund für die Annahme einer Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Ermittlungspersonen war jedenfalls nach der Sicherstellung des Fahrzeugs durch Abschleppen zur Verwahrstelle nicht mehr anzunehmen.
19
bb) Aus dem Verfahrensfehler ergibt sich jedoch kein Beweisverwertungsverbot.
20
Ob dies der Fall ist, muss nach der Rechtsprechung im Einzelfall aufgrund einer umfassenden Abwägung des Interesses der Allgemeinheit an der wirksamen Strafverfolgung mit dem Interesse des Betroffenen an der Einhaltung der Verfahrensvorschriften geprüft werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09, 1857/10, BVerfGE 130, 1, 27). Dies gilt auch für eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 289 ff.). Die Abwägung ergibt, dass der Verfahrensfehler die Rechte des Angeklagten bei der Beweisgewinnung nicht erheblich beeinträchtigt hat und das Interesse an der Verwertung der in der Geldkassette gefundenen Sachbeweise überwiegt.
21
Dabei fällt ins Gewicht, dass es um den schwerwiegenden Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten geht, der einschlägig vorbestraft ist. Nachdem seine Identität durch Auffinden des Entlassungsscheins aus der Justizvollzugsanstalt, aus der er bedingt entlassen worden war, bekannt war, ist auch anzunehmen, dass ein Ermittlungsrichter in dem Fall, dass ein Antrag auf Gestattung der Durchsuchung der Geldkassette gestellt worden wäre, höchstwahrscheinlich einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Diese Möglichkeit der hypothe- tisch rechtmäßigen Beweiserlangung ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 291; Urteil vom 15. Februar 1989 – 2 StR 402/88, NStZ 1989, 375, 376 mit Anm. Roxin; KK/Bruns, StPO § 105 Rn. 21; krit. MünchKomm/Hauschild, StPO, 2014, § 105 Rn. 39; LR/Tsambikakis, StPO § 105 Rn. 149). Sie führt dazu, dass aus der ohne richterliche Gestattung erfolgten Durchsuchung kein Beweisverwertungsverbot resultiert. Anhaltspunkte dafür, dass der Richtervorbehalt von den Ermittlungsbeamten bewusst missachtet wurde, liegen nicht vor. Fischer Appl Eschelbach Zeng R'inBGH Dr. Bartel ist verhindert. Fischer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2016 - 2 StR 25/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2016 - 2 StR 25/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 102 Durchsuchung bei Beschuldigten


Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowo
Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2016 - 2 StR 25/15 zitiert 7 §§.

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Strafprozeßordnung - StPO | § 105 Verfahren bei der Durchsuchung


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(1) Ist jemand einer Straftat verdächtig, so können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen; § 163a Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend. Der Verdächtige darf festge

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2016 - 2 StR 25/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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(1) Ist jemand einer Straftat verdächtig, so können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen; § 163a Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Unter den Voraussetzungen von Satz 2 sind auch die Durchsuchung der Person des Verdächtigen und der von ihm mitgeführten Sachen sowie die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zulässig.

(2) Wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist; § 69 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Art dürfen nicht getroffen werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen; Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 3 bezeichneten Art dürfen nicht gegen den Willen der betroffenen Person getroffen werden.

Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist.

(2) Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.

(3) Wird eine Durchsuchung in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.

Nachschlagewerk ja
BGHSt ja
Veröffentlichung ja
Eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung
der Voraussetzungen des für Wohnungsdurchsuchungen
bestehenden Richtervorbehalts kann die Annahme
eines Verbots der Verwertung bei der Durchsuchung gewonnener
Beweismittel rechtfertigen.
BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 18. April 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. April 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Sch.
alsVerteidigerfürdenAngeklagten R. ,
Rechtsanwalt H. ,
Rechtsanwalt Z.
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten G. ,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten R. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Februar 2006 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch den Angeklagten R. und G. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Der Angeklagte R. trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen diesen Angeklagten hat die Strafkammer ferner den Verfall von 1.000 Euro angeordnet. Den Mitangeklagten G. hat das Landgericht von dem Vorwurf freigesprochen, in zwei Fällen ohne Erlaubnis mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Mit ihren vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Freisprechung des Angeklagten G. und beanstandet bezüglich des Angeklagten R. , dass dieser Angeklagte nicht wegen vollendeten unerlaubten Handeltreibens verurteilt worden ist. Der Ange- klagte R. wendet sich mit der allgemein erhobenen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.
2
1. Den Angeklagten liegt Folgendes zur Last:
3
a) Der Angeklagte G. erwarb über 50.000 Ecstasy Tabletten (Wirkstoffgehalt über 3 kg MDMA) und verwahrte sie zum gewinnbringenden Weiterverkauf in der vom Zeugen B. vermieteten Wohnung in der F. Straße in B . G. gab dem Angeklagten R. am 16. Februar 2004 1.000 Euro gegen das Versprechen, aus der Wohnung eine Tüte voller Betäubungsmittel zu holen und diese in den Kofferraum eines in der Nähe geparkten Pkw zu verbringen (Anklagevorwurf 1).
4
b) Der Angeklagte G. erwarb später 3,5 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 412 g THC) und verwahrte dieses zum beabsichtigten gewinnbringenden Weiterverkauf bis zum 18. Februar 2005 in einer Wohnung in der P. - straße in B. (Anklagevorwurf 2).
5
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
a) Zu Anklagevorwurf 1:
6
Der Angeklagte R. erhielt am 16. Februar 2004 von einem ihm nicht weiter bekannten „M. “ 1.000 Euro nebst einem Wohnungsschlüssel, um einen zugeschweißten gefüllten Beutel aus der Wohnung F. Straße zu einem Pkw zu verbringen. R. stellte sich vor, in dem Beutel würden sich mindestens 300 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von nicht mehr als 9 g THC befinden. Als R. am Morgen des 17. Februar 2004 im Begriff war, die Wohnung mit dem Schlüssel zu öffnen, wurde er festgenommen.
7
Das Landgericht hat aufgrund folgender Umstände darüber hinaus gehende Ermittlungsergebnisse wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Beschluss zur Wohnungsdurchsuchung zu erlangen, als unverwertbar erachtet: Am 16. Februar 2004 öffnete der Vermieter wegen eines Wasserschadens gewaltsam die Wohnung. Er informierte die Polizei von seinem Verdacht , in der Wohnung Betäubungsmittel gefunden zu haben. Gegen 15.30 Uhr durchsuchten drei Polizeibeamte die Wohnung und informierten ihre Fachdienststelle von dem möglichen Rauschgiftfund. Deren Mitarbeiter trafen gegen 17.00 Uhr ein, stellten die aufgefundenen Betäubungsmittel sicher und brachten sie zur polizeitechnischen Untersuchungsstelle. Die Polizei „besetzte“ nun die Wohnung, um mögliche Drogenhändler dingfest zu machen. Am nächsten Morgen wurde der Angeklagte R. vorläufig festgenommen, als er versuchte , die Wohnungstür zu öffnen.
8
Das Landgericht hat mit weiteren beweiswürdigenden Erwägungen die Täterschaft des Angeklagten G. in Zweifel gezogen und dazu Folgendes ausgeführt: Das Auffinden einer türkischen Zeitung und DNA eines anderen Mannes – außer der des Angeklagten in aufgefundenen Zigarettenkippen – sowie die G. ausdrücklich entlastende Einlassung des R. sprächen gegen die Täterschaft des schweigenden Angeklagten G. . Ferner hätten die in die Hauptverhandlung eingeführten Telefongespräche des Angeklagten G. und die in seinem Pkw überwachten Gespräche keinen Bezug dieses Angeklagten zu Rauschgift in der F. Straße erbracht.
9
b) Zu Anklagevorwurf 2:
10
Der Angeklagte G. hielt sich während der letzten vier Wochen vor seiner Festnahme am 18. Februar 2005 in der Wohnung des Zeugen Zo. in der P. straße auf. Dies war der Polizei bekannt. Der die Ermittlungen gegen G. führende Zeuge Kriminalkommissar Si. war darüber hinaus am 18. Februar 2005 über den jeweiligen Aufenthaltsort des Tatverdächtigen informiert. Si. erfuhr gegen 15.47 Uhr, dass sich G. um ein Gerät bemühte , um in seinem Fahrzeug – tatsächlich angebrachte – polizeiliche Or- tungs- und Abhörgeräte aufzufinden. Si. erörterte eine deshalb aus polizeilicher Sicht gebotene Festnahme des G. mit dem zuständigen Staatsanwalt. G. wurde mit Zustimmung des Staatsanwalts schließlich um 17.30 Uhr festgenommen, worüber Si. um 20.00 Uhr den Staatsanwalt informierte ; dabei bat er ferner um die Genehmigung, die Wohnung des Zo. durchsuchen zu dürfen. Der Staatsanwalt ordnete die Wohnungsdurchsuchung auf Grund angenommener eigener Eilkompetenz an, ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters zu erwägen und eine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln zu dokumentieren.
11
Das Landgericht hat auch die bei dieser Durchsuchung gewonnenen Beweismittel wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss herbeizuführen, mit einem Beweisverwertungsverbot belegt und ergänzend darauf hingewiesen, dass auf Grund weiterer Umstände das fehlende Bemühen um richterliche Durchsuchungsgenehmigungen nicht lediglich eine einzelne Nachlässigkeit der Ermittlungsbehörden dargestellt hat, sondern in eine Kette weiterer Ermittlungsmängel eingereiht gewesen ist: - Ermittlungsbeamte hatten eine DNA-Probe des Angeklagten G. vor dessen Festnahme durch eine fingierte Verkehrskontrolle erschlichen. Dabei wurde das bei dem Alkoholtest verwendete Mundstück einbehalten und dem Angeklagten auf seinen Rückgabewunsch hin stattdessen ein unbenutztes Austauschstück übergeben.
- Entgegen dem Inhalt eines Durchsuchungsberichts vom 28. Februar 2005 hatten Polizeibeamte gar nicht versucht, einen Durchsuchungsbeschluss für eine der Mutter des Angeklagten G. gehörende Garage zu erlangen.
- Eine dem Angeklagten gehörende wertvolle Werkzeugkiste war – einem polizeilichen Aktenvermerk widersprechend – nicht vernichtet
worden. Sie befand sich weiter im Besitz der Polizei und konnte während der Hauptverhandlung in Augenschein genommen werden.
- Während der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung des Zeugen Zo. wurde diesem mitgeteilt, ein anwaltlicher Beistand wäre nicht nötig, weil es sich „nur um eine Vernehmung“ handeln würde.
- Schließlich machte der Sitzungsstaatsanwalt während der Beweisaufnahme Vorhalte aus staatsanwaltschaftlichen Nachermittlungen, ohne diese zuvor dem erkennenden Gericht übergeben zu haben.
12
3. Die Freisprechung des Angeklagten G. hält den Revisionsangriffen stand.
13
a) Auf die von der Staatsanwaltschaft lediglich erhobene Sachrüge ist der Senat allenfalls befugt, auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen zu prüfen , ob die Subsumtion des Landgerichts dessen verfahrensrechtliche Folgerungen rechtfertigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38). Der weitergehende vom Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht formulierte Revisionsangriff , die im Zusammenhang mit der Annahme von Beweisverwertungsverboten getroffenen Feststellungen des Landgerichts seien lückenhaft – dem sich der Generalbundesanwalt angeschlossen hat –, entzieht sich der Betrachtung. Solches hätte die Erhebung einer Verfahrensrüge mit weitergehendem Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorausgesetzt, die indes nicht vorliegt (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; 48, 240, 250; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 30).
14
b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Landgericht zu Anklagevorwurf 1 für die aus der Wohnung F. Straße stammenden Betäubungsmittel zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat. Die Freisprechung des Angeklagten G. beruht jedenfalls nicht auf einem etwaigen Rechtsfehler. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise insgesamt hinreichend deutlich dahingehend gewürdigt, dass aus sachlichen Erwägungen nicht zu überwindende Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten G. bestanden haben. Solches hat das Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
15
c) Soweit das Landgericht hinsichtlich des in der Wohnung des Zeugen Zo. aufgefundenen Rauschgifts ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat, hält diese Wertung der – hier, wie ausgeführt, von vornherein nur eingeschränkt möglichen – rechtlichen Prüfung stand.
16
aa) Die am 18. Februar 2005 um 20.05 Uhr aufgrund der um 20.00 Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts erfolgte Durchsuchung der Wohnung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor (vgl. BVerfGE 103, 142, 153; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4). Die Anordnung des Staatsanwalts beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz.
17
Bei der hier zu beurteilenden Durchsuchungsanordnung hätte Gefahr im Verzug angenommen werden können, falls die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142, 154; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung steht es aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden , wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter zuwarten, bis etwa die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen (BVerfGE 103, 142, 155; BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es deshalb auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (Stellungnahme des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in BVerfGE aaO S. 148).
18
Solches war hier nach jeglicher kriminalistischer Erfahrung spätestens zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Festnahme des G. am Nachmittag des 18. Februar 2005 der Fall (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 537 jeweils zu ähnlichen Sachverhalten). Die sofortige Suche nach Sachbeweisen am gewöhnlichen Aufenthaltsort des G. drängte sich auf. Nur durch einen alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in der Wohnung befindliches Rauschgift beseitigen. Schon daher konnte die erst um 20.00 Uhr erfolgte Durchsuchungsanordnung – jenseits jeder fehlenden Dokumentation (vgl. BVerfG – Kammer – aaO S. 1639; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) – nicht mehr auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass den Polizeibeamten durch G. s Beobachtung schon mindestens vier Wochen lang dessen Aufenthalt in Zo. s Wohnung bekannt war (UA S. 22) und dass sich die Notwendigkeit einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung aufdrängte, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation entsprang.
19
bb) Die Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt vorliegend die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich der bei der Durchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel.
20
(1) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des sich aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Wohnung zu Tage geförderten Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. L Rdn. 16). So ist – wie auch bei der Prüfung eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen andere Erhebungsvorschriften – davon auszugehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist (BGHSt 44, 243, 249). Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt aaO m.w.N.). Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt aaO m.w.N.). Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes (BGHSt aaO m.w.N.). Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt (BGHSt aaO).
21
(2) Indes können einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig beschädigt wird. Dann wäre jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots – jenseits des in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO normierten – unerträglich (vgl. BGHSt 31, 304, 308; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 5. Aufl. Rdn. 363; Gössel aaO Rdn. 33 und 178). Solches wurde in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beispielsweise angenommen bei der Durchführung von Abhörmaßnahmen unter Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze (BGHSt 36, 396, 398 ff.) oder ohne richterliche Anordnung (BGHSt 31, 304, 306 f.; 35, 32, 34) oder zur gezielten Verleitung des Angeklagten zum unbewussten Schaffen von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten (BGHSt 34, 39), ferner bei der Einbeziehung eines Raumgesprächs zwischen Eheleuten in die Telefonüberwachung (BGHSt 31, 296) und bei akusti- scher Wohnraumüberwachung in einem nicht allgemein zugänglichen, als Wohnung zu bewertenden Vereinsbüro (BGHSt 42, 372, 377 zu § 100c Abs. 1 StPO a.F.) und in einem Krankenzimmer (BGHSt 50, 206).
22
Solchen Fallgestaltungen ist der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt nicht ausreichend ähnlich. Die Durchsuchungsanordnung war dem Staatsanwalt nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet. Gefahr im Verzug lag hier zwar nicht vor. Die Verletzung des Richtervorbehalts hat aber aus objektiver Sicht geringeres Gewicht, als wenn, wie etwa im Falle des § 100b Abs. 1 StPO, der Polizei die Anordnung von Eingriffen der betreffenden Art schlechthin untersagt ist (Roxin NStZ 1989, 376, 379). Zudem kommt bei der hier gebotenen objektiven Sicht dem Umstand Bedeutung zu, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss höchstwahrscheinlich zu erlangen gewesen wäre (vgl. Roxin aaO; ders. Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. S. 182 Rdn. 21). Daran bestehen hier kaum Zweifel, wenngleich eine umfassende Prüfung aufgrund einer nicht ausreichend ausgeführten Verfahrensrüge nicht erfolgen kann. Immerhin waren gegen G. bereits Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 StPO a.F. erlassen, deren Anordnung strengere Voraussetzungen zu erfüllen hatten, als es der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses erfordert hätte.
23
(3) In Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind, sind Beweismittel darüber hinaus unverwertbar, weil der Staat – soweit nicht notstandsähnliche Gesichtspunkte Gegenteiliges ermöglichen sollten (vgl. BGHSt 31, 304, 307; 34, 39, 51 f.) – auch in solchen Fällen aus Eingriffen ohne Rechtsgrundlage keinen Nutzen ziehen darf (Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; vgl. auch Gössel aaO Rdn. 175). Eine Verwertung würde hier gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens verstoßen (vgl. BGHSt 24, 125, 131; Roxin NStZ aaO).
24
So ist eine von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung rechtswidrig – mit der Folge eines Verwertungsverbots –, falls deren Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung nicht mehr vertretbar gewesen ist (BGHSt 41, 30, 34; vgl. auch BGHSt 32, 68, 70; 47, 362, 366; 48, 240, 248; einschränkend BGHSt 51, 1). Für Fälle fehlerhafter Wohnungsdurchsuchungen ist dies in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, falls der Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfGE 113, 29, 61; BVerfG – Kammer – NJW 2006, 2684, 2686; BVerfG – Kammer – Beschluss vom 12. August 2005 – 2 BvR 1404/04; LG Osnabrück StV 1991, 152, 153; AG Offenbach StV 1993, 406, 407 f.; LG Darmstadt StV 1993, 573 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 538; OLG Koblenz NStZ 2002, 660; AG Tiergarten in Berlin StV 2003, 663, 664; StraFo 2007, 73, 74; LG Heilbronn StV 2005, 380, 381; vgl. noch weitergehend AG Braunschweig StV 2001, 393 und LG Saarbrücken StV 2003, 434, 436). Diese Auffassung wird von Stimmen in der Literatur geteilt (Meyer-Goßner aaO § 98 Rdn. 7; Krekeler NStZ 1993, 263, 265). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot für notwendig gehalten (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4), was im Schrifttum ebenfalls vertreten wird (Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 105 Rdn. 119; Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 105 Rdn. 7; grundsätzlich Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; allgemein bei Willkür Nack in KK 5. Aufl. Vor § 94 Rdn. 11; Krekeler/Löffelmann in AnwK-StPO Einleitung Rdn. 141). Diesen Ansätzen folgt der Senat.
25
Die Notwendigkeit der Annahme eines Verwertungsverbots ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit des Richtervorbehalts und zu den inhaltlichen Anforderungen, denen die Durchsuchungsbeschlüsse genügen müssen, angelegt (vgl. allgemein Landau NStZ 2007, 121, 128). Richterliche Durchsuchungsanordnungen sind nach Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme (BVerfGE 103, 142, 153). Vor allem wegen der grund- rechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen (BVerfGE aaO), weshalb die Pflicht, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach kriminalistischen und taktischen Erwägungen frei zu gestalten (BVerfG aaO S. 155). Der bloße abstrakte Hinweis, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zu erlangen, kann Gefahr im Verzug nicht begründen, weil dem korrespondierend die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes , zu sichern (BVerfG aaO S. 156; BVerfG – Kammer – StV 2006, 676). Damit ist das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, für das durch rechtsstaatliche Grundsätze geprägte Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass jedenfalls grobe Verstöße nicht sanktionslos gelassen werden dürfen (Schäfer aaO § 105 Rdn. 118; Krehl JR 2001, 491, 494). Genauso wie es nicht tragbar wäre, bei jeglichem Irrtum der Beamten über die tatsächlichen Voraussetzungen der Gefahr im Verzug oder bei sonstigen weniger gewichtigen Verstößen gegen irgendwelche die Art und Weise der Durchsuchung regelnden Vorschriften auch bei schwerwiegenden Straftaten ein Verwertungsverbot anzunehmen, wäre es für die Rechtsgemeinschaft und ihre Vorstellung vom Recht unerträglich, könnte der verfassungsrechtlich abgesicherte Schutz der Wohnung samt Richtervorbehalt stets folgenlos selbst willkürlich ausgehebelt werden (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 119).
26
Hier liegt schon die Annahme außerordentlich nahe, dass die Polizeibeamten den Richtervorbehalt bewusst ignoriert und die Inanspruchnahme der Eilkompetenz des Staatsanwalts provoziert haben. Das Unterlassen der Polizeibeamten , sich um einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Zo. zu bemühen, ist angesichts des Ganges der Ermittlungen unverständlich. Der Umstand, dass sich G. in der Wohnung des Zo. aufgehalten hat, war den ermittelnden Kriminalbeamten schon mindestens vier Wochen vor der Festnahme des G. bekannt (UA S. 22). Die Verdachtslage, wie sie ferner ersichtlich im Blick auf die nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 StPO a.F.
angeordneten Maßnahmen angenommen wurde und sich zudem durch wenigstens im Allgemeinen auf Rauschgift bezogene Gespräche des G. im überwachten Pkw ergab, machte es immer dringlicher, spätestens zum Zeitpunkt der Festnahme des G. auch die Wohnung des Zo. zu durchsuchen. Vor dem Hintergrund der Vollstreckbarkeit eines Durchsuchungsbeschlusses über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten (BVerfGE 96, 44) wäre mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf der polizeiliche Zugriff für die Ermittlungen förderlich und der Rechtsordnung entsprechend mit Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses ohne Schwierigkeiten vorzubereiten gewesen. Spätestens mit der am 18. Februar 2005 um 15.47 Uhr von den Polizeibeamten gefassten Festnahmeabsicht erlangte die nach kriminalistischer Erfahrungsregel notwendige Wohnungsdurchsuchung und damit die Erlangung eines Durchsuchungsbeschlusses höchste Priorität, die indes gänzlich unbeachtet blieb. Erst zweieinhalb Stunden nach der Festnahme des G. erheischten die Kriminalbeamten – ohne dass ermittlungsbezogene Besonderheiten dies erklären konnten – eine Entscheidung des ebenfalls nur über eine Eilkompetenz verfügenden Staatsanwalts, ohne die mögliche Inanspruchnahme eines Ermittlungsrichters zuvor auch nur erwogen zu haben (vgl. auch AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74 zu Existenz und Bekanntheit des jeweiligen Bereitschaftsrichters

).


27
Der Senat kann es letztlich dahingestellt sein lassen, ob gerade auch im Blick auf das vorhergegangene Erschleichen von DNA-Material des Angeklagten G. und nachfolgende Unkorrektheiten bei den weiteren polizeilichen Ermittlungen aus einer Gesamtschau aller Rechtsverstöße die Annahme einer grundlegenden Vernachlässigung von Richtervorbehalten durch die Polizeibeamten und – daraus abgeleitet – deren vorsätzlicher Missachtung in jedem Einzelfall zu rechtfertigen wäre. Da der Senat die Bewertung der Durchsuchung vom 16. Februar 2004 offen gelassen hat, stützt er sich nicht auf diese Gesamtschau , wie sie das Landgericht vorgenommen hat. Er kann den Feststellungen des Landgerichts jedoch entnehmen, dass jedenfalls der ermittelnde Staatsanwalt – mag er auch möglicherweise von der Polizei in gewisser Weise instrumentalisiert worden sein – objektiv willkürlich eine Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Anordnung gestattet und damit den Richtervorbehalt bewusst ignoriert oder gleichgewichtig gröblich missachtet hat. Solches ergibt die Gesamtschau folgender Umstände (UA S. 21):
28
Dem vom Landgericht als Zeugen vernommenen Staatsanwalt war – selbstverständlich – der Richtervorbehalt bekannt. Bei der Erörterung der Festnahme des G. hatte er an eine Durchsuchung aber „nicht gedacht“ und auf die zeitliche Diskrepanz zwischen Festnahme und Durchsuchung der Wohnung „nicht geachtet“. Selbst zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung – eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit im Sinn des § 104 Abs. 3 StPO – war es nicht von vornherein aussichtslos, zumindest noch eine fernmündliche Genehmigung eines Ermittlungsrichters (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) zu erreichen (vgl. BVerfG – Kammer – StV 2006, 676; AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74; Meyer-Goßner aaO § 105 Rdn. 2). Eine solche einzuholen, hat der Staatsanwalt aber weder erwogen, noch hat er die Voraussetzungen der von ihm in Anspruch genommenen Eilkompetenz dokumentiert (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1639; BGHSt 47, 362, 366; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5). Der Staatsanwalt hat ferner gegen die ihm obliegende Pflicht verstoßen, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehalts durch die Polizei Sorge zu tragen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 160 Rdn. 1 m.w.N.). Damit ist er seiner Funktion als Herr des Ermittlungsverfahrens nicht gerecht geworden , wie seiner Bekundung vor dem Landgericht zu entnehmen ist, die Polizei ermittele „autark“ (UA S. 21), so dass er sich mithin um Rechtsverstöße der in seinem Verfahren ermittelnden Hilfsbeamten nicht zu kümmern habe. Ein Staatsanwalt, der – wie hier – seine gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten bestehende Leitungsfunktion so weitgehend ignoriert, was zu einer Ausschaltung des Ermittlungsrichters über einen Zeitraum von zweieinhalb Stunden geführt hat, und der sich – ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters auch nur zu erwägen – sachlich unbegründet und ohne Dokumentation auf seine Eilkompetenz beruft, missachtet den Richtervorbehalt bewusst oder verkennt ihn in gleichgewichtiger Weise gröblich. Solches rechtfertigt – mangels besonderer ermittlungsbezogener Umstände (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung
4) – das vom Landgericht angenommene Beweisverwertungsverbot.
29
(4) Dem – für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten – Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. BGHSt 31, 304, 306; BGH NStZ 1989, 375, 376; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4; Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 182 Rdn. 21) kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. schon BGHSt 31 aaO; Roxin aaO S. 182 f. Rdn. 21; Gössel aaO Rdn. 178). Die Einhaltung der durch Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs in diesen Fällen stets unterlaufen (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 117) und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden (Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 183 Rdn. 21 m.w.N.). Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten (vgl. Roxin NStZ 1995, 465, 467 f.). Damit würde ein wesentliches Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 379; ders. Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46).
30
(5) Ob vorliegend der Gesichtspunkt einer fehlenden Berührung des Rechtskreises des Angeklagten (vgl. BGHSt[GS] 11, 213, 215 f.; BGHSt 22, 35, 38; 40, 211, 214 f.) der Anerkennung eines Verwertungsverbotes entgegenstehen könnte, bedarf keiner Vertiefung (vgl. dazu Gössel aaO Rdn. 38 ff.). Der Angeklagte war zur Zeit der Durchsuchung ersichtlich berechtigter Mitnutzer der Wohnung des Zo. (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht 8. Aufl. § 540 Rdn. 32; Teichmann in Jauernig, BGB 11. Aufl. § 535 Rdn. 12; jeweils m.w.N.) und damit in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG einbezogen (vgl. BVerfGE 109, 279, 326).
31
(6) Der Senat kann ferner die Beantwortung der Frage dahingestellt sein lassen, ob das angenommene Verwertungsverbot einen Widerspruch des Verteidigers in der Hauptverhandlung vorausgesetzt hätte (vgl. Gössel aaO Rdn. 33 und 174) – was herrschender Tendenz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspräche (vgl. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 11; BGHSt 50, 206, 215 f.; 51, 1; Gössel aaO Rdn. 29 m.w.N.), die indes jenseits der Fälle von dem Rechtsverstoß berührter Verteidigungsrechte, deren effektive Verletzung der Betroffene selbst optimal beurteilen kann und die uneingeschränkt seiner Disponibilität unterliegen, zu hinterfragen wäre – oder ob sich solches im Blick auf die betroffenen, für den Angeklagten nicht zweifelsfrei umfassend disponiblen Rechtsgüter verbieten würde (vgl. BGHSt 51, 1, 3). Die Revision der Staatsanwaltschaft kann jedenfalls aus solchen Erwägungen nicht erfolgreich sein, weil zur Frage, ob und wie der Verwertung der Beweismittel, die sich zu dem Ergebnis der Durchsuchung der Wohnung des Zo. verhalten, widersprochen worden ist, nichts vorgetragen ist (vgl. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot

11).


32
cc) Gegen die gefundene Rechtsauffassung kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, der Schutz der Volksgesundheit – bei dem hier objektiv vorliegenden Verbrechen gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – und die Pflicht des Rechtsstaats zur effektiven Strafverfolgung (vgl. hierzu BGHSt[GS] 42, 139, 157; Landau NStZ 2007, 121, 128 f.) werde so vernachlässigt. Das sichergestellte Rauschgift unterliegt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG, § 76a Abs. 1 StGB der Einziehung. Es wird dem illegalen Rauschgiftmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Sorge um einen Effektivitätsverlust wird vorliegend – jenseits erhobener grundsätzlicher Einwendungen gegen diesen Aspekt (vgl. Roxin NStZ 1997, 18, 20) – schon deshalb relativiert, weil bei Duldung eines bewussten oder gleichgewichtig schweren Rechtsbruchs durch Ermittlungsbeamte ein Ansehensverlust des rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens bei der rechtstreuen Bevölkerung zu befürchten wäre, den es zu verhindern gilt und der seinerseits etwa durch verändertes Anzeige- oder Aussageverhalten infolge schwindenden Vertrauens in die Lauterkeit der Ermittlungsorgane zu Effektivitätsverlusten führen könnte. Ferner wird die Bedeutung des Beweismittelverlustes durch Annahme eines Verwertungsverbots hier dadurch gemindert, dass zur Überführung des Angeklagten andere, im Allgemeinen erfolgversprechende Ermittlungsmethoden (Maßnahmen nach §§ 100a, 100c a.F. StPO) angewandt werden konnten, deren Ergebnisse indes nur im vorliegenden Einzelfall – ohne dass solches von der Revisionsführerin beanstandet worden wäre – zur Überzeugungsbildung des Landgerichts nicht ausgereicht haben.
33
dd) Der Senat ist nicht zu einer Anfrage gemäß § 132 Abs. 2 GVG genötigt. Die Erwägungen des 2. Strafsenats (NStZ 1989, 375, 376) zum hypothetischen Ersatzeingriff waren für die Entscheidung nicht tragend (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 378). Die gefundene Rechtsauffassung stimmt mit der vom 1. Strafsenat (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) vertretenen überein.
34
4. Die die Verurteilung des Angeklagten R. betreffenden Revisionen sind ebenfalls unbegründet. Das Landgericht hat sich auf Grund einer wertenden Betrachtung aller Tatumstände angesichts des Gewinnstrebens des R. , seiner Tatinitiative und seines vorgesehenen vorübergehenden Besitzes des Rauschgifts von einem mittäterschaftlichen Mitwirken des Angeklagten überzeugt. Die Annahme nur eines (untauglichen) Versuchs begegnet keinen Bedenken, weil der Angeklagte seine Kuriertätigkeit zu einem Zeitpunkt ausführen sollte, als das zu transportierende Rauschgift durch polizeilichen Aufgriff bereits aus der Bunkerwohnung entfernt und dadurch der Verfügungsmacht des Auftraggebers des Angeklagten entglitten war (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 1; BGHSt[GS] 50, 252, 263). Auch gegen den Rechtsfolgenausspruch können Bedenken nicht erhoben werden.
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Regelmäßig keine notwendige Verteidigung im Ermittlungsverfahren
schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des Beschuldigten
nach dessen Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls
wegen Mordverdachts.
BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14
LG Berlin –
BESCHLUSS
5 StR 176/14
vom
20. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2014 beschlossen
:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 25. Oktober 2013 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger durch ihre Revision entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel vermag aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgeführten Gründen nicht durchzudringen. Der ergänzenden Erörterung bedarf Folgendes:
2
1. Die Revision beanstandet, dass die Angeklagte unter „Verletzung der § 163a Abs. 3 Satz 2, § 136 Abs. 2, § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO, Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK“ ohne Beiordnung eines Verteidigers zweimal polizeilich und einmal durch den Haftrichter vernommen worden sei. Trotz eines daraus resultierenden Beweisverwertungsverbots seien die Vernehmungsbeamten und der Ermittlungsrichter gegen den Widerspruch der Verteidigung in der Hauptverhandlung über den Inhalt der Vernehmungen vernommen und ein Teil der Feststellungen auf deren Aussagen gestützt worden.
3
a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
4
Am 12. September 2001 wurde die 63 Jahre alte D. gewaltsam getötet in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Ermittlungen verliefen zunächst ergebnislos. Nach deren Wiederaufnahme im Dezember 2012 ergab ein DNSAbgleich einer Speichelprobe der Angeklagten Übereinstimmung unter anderem mit in der Hand der Getöteten gefundenen Haaren. Gegen die Angeklagte wurde am 27. Februar 2013 Haftbefehl erlassen. Am 5. März 2013 wurde sie festgenommen und zur Berliner Mordkommission verbracht. Noch am selben Tag und am Vormittag des folgenden Tages wurde sie jeweils nach ordnungsgemäßer Belehrung auch über ihr Recht auf Verteidigerkonsultation vernommen. Anschließend wurde sie dem Haftrichter vorgeführt. Nach weiterer korrekter Belehrung war sie aussagebereit, erklärte, keinen Anwalt zu benötigen und noch nie einen benötigt zu haben. Zur Sache bekundet sie, sie habe schon bei der Polizei ausgesagt. Was sie dort gesagt habe, sei zutreffend. Auf Vorhalt einer Passage aus einem Vernehmungsprotokoll bekundete sie, dass sie es ja gewesen sein müsse. Sie sei da gewesen und habe die Frau angegriffen. Weiter wolle sie jetzt nichts sagen. Der Ermittlungsrichter ordnete den Vollzug des Haftbefehls an und bestellte der Angeklagten einen Pflichtverteidiger.
5
Am zweiten Hauptverhandlungstag (18. September 2013) widersprach der Verteidiger vorab der Verwertung der polizeilichen und richterlichen Vernehmungen. Nach Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen (§ 238 Abs. 2 StPO) wurden die Polizeibeamten und der Ermittlungsrichter vernommen. Ein weiterer Verwertungswiderspruch erfolgte nicht.
6
b) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts bedurfte es keines gesonderten (zweiten) Verwertungswiderspruchs im Anschluss an die Vernehmung der ge- nannten Beweispersonen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Widerspruch nämlich grundsätzlich auch umfassend vorab erklärt werden; in diesem Fall muss ihn der Verteidiger nach Abschluss der Zeugenvernehmung nicht noch einmal ausdrücklich wiederholen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 – 5 StR 307/03, NStZ 2004, 389; Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 StR 435/12, NJW 2013, 2769, 2771 f., insoweit in BGHSt 58, 301 nicht abgedruckt; KK/Diemer, StPO, 7. Aufl., § 136 Rn. 28). Der durch die Verteidigung erhobene Widerspruch wird auch ansonsten den Anforderungen gerecht.
7
Der Senat kann dahingestellt lassen, ob anderes zu gelten hätte, wenn sich bei freibeweislicher Klärung von der Verteidigung erhobener Beanstandungen etwa gewichtige Anhaltspunkte für deren Haltlosigkeit ergeben haben würden. Dies könnte im vorliegenden Fall für den nach rechtsfehlerfreier Würdigung der Schwurgerichtskammer durch die Beweisaufnahme widerlegten und von der Verteidigung mit der Revision nicht weiterverfolgten Vortrag gelten, die Vernehmungsbeamten hätten die irrige Annahme der Angeklagten ausgenutzt, nicht den Rat eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können, weil sie sich einen solchen nicht zu leisten vermöge. Indessen stützt sich die Revision auf die Erwägung, die Staatsanwaltschaft hätte vor einer Vernehmung zwingend auf die Beiordnung eines Verteidigers hinwirken müssen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO). Dieser Gesichtspunkt wurde durch die Vernehmungen aber nicht berührt.
8
c) Die Rüge ist unbegründet.
9
aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass nach geltendem Recht (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO) auch mit Bedacht auf Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK keine Pflicht besteht, dem Beschuldigten stets bereits frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem dringenden Verdacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen (BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 236 f.; vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, BGHR StPO § 141 Bestellung 8; vom 19. Oktober 2005 – 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182; vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1010). Das gilt auch dann, wenn ein Haftbefehl besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 5 StR 501/03, aaO).
10
Von dieser Rechtsprechung abzurücken, besteht kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2274) den Zeitpunkt der rechtlich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst auf den Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft festgelegt hat. Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO hat die Verteidigerbestellung „unverzüglich“ zuerfolgen, sofern der Haftbefehl nach seiner Verkündung nicht außer Vollzug gesetzt wird (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13097, S. 19). Erst mit der Aufrechterhaltung der Haft nach § 115 Abs. 4 Satz 1 StPO liegt eine Vollstreckung der Untersuchungshaft im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor. Forderungen, frühere Ereignisse, wofür beispielsweise der Erlass eines Haftbefehls oder die Ergreifung des Beschuldigten in Betracht gekommen wären, haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht, aaO, S. 16 f.; siehe auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 5 StR 588/01, aaO, S. 237; Jahn in Festschrift Rissing-van Saan, 2011, S. 275, 277 f. mwN).
11
bb) Diesen gesetzlichen Vorgaben wurde hier mit der sofortigen Verteidigerbestellung nach Anordnung des Vollzugs der Untersuchungshaft entsprochen. Besonderheiten, etwa die Durchführung einer beweissichernden ermittlungsrichterlichen Vernehmung eines wesentlichen Belastungszeugen in Abwesenheit des Beschuldigten (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93, 99 f.), waren nicht gegeben. Der Umstand allein, dass die bislang unbestrafte Angeklagte über keine Erfahrungen mit der Strafjustiz verfügte und mit einem Mordvorwurf konfrontiert wurde, genügt für die Annahme einer von der Verteidigung geltend gemachten Ermessensreduktion auf Null auf Seiten der Staatsanwaltschaft in Richtung auf sofortige Verteidigerbestellung nicht.
12
cc) Allerdings haben die Polizeibeamten gegen § 115 Abs. 1 StPO verstoßen , indem sie die Angeklagte nach ihrer Ergreifung nicht unverzüglich dem zuständigen Gericht vorgeführt, die Vorführung vielmehr zum Zweck der Durchführung polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen aufgeschoben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, BGHR StPO § 128 Abs. 1 Vorführungsfrist 2; Urteil vom 17. November 1989 – 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Dieser Verfahrensfehler verengt jedoch nicht den der Staatsanwaltschaft in § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO übertragenen Beurteilungsspielraum betreffend das Hinwirken auf sofortige Verteidigerbestellung. Vielmehr wäre es – sofern eingebunden – deren Pflicht gewesen, nachhaltig für die Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots nach § 115 Abs. 1 StPO Sorge zu tragen. Infolge der in erster Linie auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG zielenden Schutzrichtung des § 115 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfG [Kammer], NStZ 1994, 551, 552; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 115 Rn. 1), die das Interesse an frühzeitiger Verteidigerbestellung (vgl. auch KK/Graf, StPO, 7. Aufl., § 115 Rn. 1a) gleichsam als Reflex mit umfasst, ver- mag die Verletzung dieser Vorschrift den Zeitpunkt rechtlich zwingender Verteidigerbestellung aber nicht vorzuverlagern.
13
Ein Verwertungsverbot wäre freilich anzunehmen, wenn die Polizeibeamten die gebotene Vorführung bewusst unterlassen hätten, um die Verteidigerbestellung durch den Haftrichter zu umgehen. Dafür sind jedoch keine Anhaltspunkte vorhanden. Hiergegen spricht vielmehr, dass der Haftrichter nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers die aussagebereite Beschuldigte – wie geschehen – in dem in § 115 Abs. 2 StPO bezeichneten Zeitrahmen vor Vollstreckung der Untersuchungshaft ohne vorherige Verteidigerbestellung hat vernehmen dürfen. Es liegt die Annahme nahe, dass die Beamten hier in bloßer Verkennung des § 115 Abs. 1 StPO bestrebt waren, dem zuständigen Gericht eine tragfähige Grundlage für seine Entscheidung über den Vollzug der Untersuchungshaft zu vermitteln.
14
2. Die Verletzung des in § 115 Abs. 1 StPO normierten Unverzüglichkeitsgebots hat die Revision, was sie in ihrer Erwiderung auf die diesen Gesichtspunkt hervorhebende Zuschrift des Generalbundesanwalts auch nicht in Abrede gestellt hat, nicht in einer Verfahrensrüge beanstandet, sich vielmehr ausdrücklich auf die Rüge unterlassener Verteidigerbestellung beschränkt. Damit ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob dieser Verfahrensfehler etwa zur Unverwertbarkeit der von der Angeklagten vor der Polizei, unter Umständen auch vor dem Haftrichter gemachten Angaben hätte führen müssen; hiergegen sprächen die Einhaltung immerhin der in Art. 104 Abs. 3 GG bestimmten Frist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 1995 – 5 StR 547/94, aaO), die nach Vorführung vor den Haftrichter und korrekter Belehrung gleichwohl erfolgte Aussage der Angeklagten, die den Beistand eines Verteidigers ausdrücklich nicht begehrte , sowie die Schwere des Tatvorwurfs. Die Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts; einem Revisionsführer steht es wegen seiner Dispositionsbefugnis zu, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 – 5 StR 318/13, NStZ 2013, 671; Beschluss vom 29. November 2013 – 1 StR 200/13, NStZ 2014, 221, jeweils mwN).
15
Darüber hinaus wäre die Revision mit einer etwa erhobenen diesbezüglichen Verfahrensrüge auch ausgeschlossen. Denn die Verteidigung hat schon den in der Hauptverhandlung erhobenen Verwertungswiderspruch nicht (auch) auf die Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots gestützt, was insoweit eine Rügepräklusion nach sich ziehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 42 ff.; Mosbacher in Festschrift Rissing-van Saan, 2011, S. 357, 375 f.).
16
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der durch die Angeklagte erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Der Senat kann angesichts mangelnden Beruhens dahingestellt lassen , ob angesichts der konkreten Gegebenheiten (glaubhaftes Geständnis der Angeklagten, weitere belastende Indizien) die Mitteilung nur des Ergebnisses des DNA-Gutachtens (Übereinstimmung mit der DNA der Angeklagten) hier ausnahmsweise genügen würde (vgl. zu den Anforderungen BGH, Urteile vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454; vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212).
Basdorf Dölp König
Berger Bellay
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Ermüdung im Sinne von § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO bei seelischer
und körperlicher Erschöpfung.
BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 5 StR 296/14
LG Berlin –
BESCHLUSS
5 StR 296/14
vom
21. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Oktober 2014 beschlossen
:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 25. November 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO, weil sie im Zustand der Ermüdung polizeilich vernommen worden sei. Der Beanstandung kann der Erfolg nicht versagt werden. Das polizeiliche Geständnis vom 10. Dezember 2012 hätte nicht verwertet werden dürfen, weil es unter Verletzung des § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO zustande gekommen ist (§ 136a Abs. 3 Satz 2 StPO).
3
a) Bei Beginn der zum Geständnis führenden Vernehmung um 21.25 Uhr hatte die 23 Jahre alte Angeklagte ausweislich der Urteilsfeststellungen mindestens 38 Stunden nicht geschlafen. In den frühen Morgenstunden des 10. Dezember 2012 hatte sie nach verheimlichter Schwangerschaft allein und dementsprechend unter sehr schwierigen Umständen einen Jungen geboren , den sie aufgrund eines spontanen Entschlusses dann erstickte. Sie erlitt beträchtlichen Blutverlust und war körperlich wie seelisch entkräftet. Bei einem Toilettengang gegen 8.00 Uhr brach sie ohnmächtig zusammen. Ein weiterer körperlicher Zusammenbruch folgte kurze Zeit später. Ihre Mutter fand die Angeklagte gegen Mittag apathisch und weinend vor. Sie äußerte hier und später, nicht mehr leben zu wollen. Am Nachmittag wurde sie ins Krankenhaus verbracht , wo ein Dammriss genäht wurde. Gegen 16.00 Uhr kam sie zur Beobachtung auf eine Station. Von 17.00 Uhr bis 17.30 Uhr wurde sie erstmals von der Polizei als Beschuldigte vernommen. Sie gab an, dass das Kind tot geboren worden sei. Im Anschluss an die Vernehmung wurde der Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt. Um 20.00 Uhr erhielt sie zwei Baldriandragees , weil sie nicht zur Ruhe gelangte. Gegen 20.30 Uhr wurde sie erneut verantwortlich vernommen. Zunächst wurde mit ihr ein lediglich in einem polizeilichen Vermerk erfasstes Vorgespräch geführt, in dem sie die Tat weiterhin leugnete. Um 21.00 Uhr wurde den vernehmenden Polizeibeamten das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung mitgeteilt, wonach von einer Lebendgeburt auszugehen sei. Die Beamten konfrontierten die Angeklagte sogleich mit diesem Ergebnis. Die Angeklagte stritt die Tat weiter ab. Um 21.25 Uhr begann eine nunmehr im Wortlaut schriftlich niedergelegte Vernehmung. Die weinende Angeklagte erklärte zu deren Beginn, es sei gerade ein bisschen viel für sie. Nach anfänglichem weiterem Bestreiten gestand sie die Tat (vgl. UA S. 33). Die Vernehmung endete am Tattag um 23.25 Uhr.
4
b) Bei diesem Verlauf liegt eine Fülle von gewichtigen Gründen vor, aufgrund derer sich die Annahme tiefgreifender Erschöpfung und daraus resultierender Besorgnis der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geradezu aufdrängt (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 30. Oktober 1951 – 1 StR 393/51, BGHSt 1, 376; Urteile vom 24. März 1959 – 5 StR 27/59, BGHSt 13, 60, vom 15. Mai 1992 – 3 StR 419/91, BGHSt 38, 291, 292 f.). Es lag auf der Hand, dass die Angeklagte einer „immer wieder und immer energischer“ geführten konfrontativen Befragung (vgl. Bericht „Ermittlungen Klinikum Buch vom 11. Dezember 2012“, S. 4) wegen ihres Er- schöpfungszustands nicht mehr in freier Willensbetätigung würde standhalten können. Demgemäß hätte es gewichtiger Anhaltspunkte bedurft, um eine Ermüdung im Rechtssinn ausschließen zu können. Allein der subjektive Eindruck der vernehmenden Polizeibeamten, die Angeklagte habe „weder betäubt noch übermüdet“ gewirkt (UA S. 28) bzw. – gar – sie habe „einen den Umständen entsprechenden frischen Eindruck gemacht“ (UA S. 29), kann dafür ebenso wenig genügen wie der Umstand, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Müdigkeit berief und Fragen sinnvoll zu beantworten in der Lage war, noch weniger, dass sie selbständig zur Toilette gehen konnte. Die Wahrnehmungen der behandelnden Ärztin und der Krankenschwester beziehen sich auf den Zustand der Angeklagten am Nachmittag und können für die Beurteilung des Zeitpunkts der Vernehmung in den Nachtstunden schon deshalb kaum etwas hergeben. Bei dieser Sachlage kann der Senat davon absehen, freibeweislich der Frage nachzugehen, wie es erklärt werden kann, dass die entscheidende zweistündige Vernehmung keine andere Dokumentierung erfahren hat, als diejenige in einem Protokoll von lediglich etwas mehr als vier, zudem großzügig formatierten Druckseiten.
5
c) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Verletzung des § 136a StPO ursächlich für das Geständnis der Angeklagten im Ermittlungsverfahren war. Dessen Verwertung steht daher § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO entgegen. Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler.
6
2. Auf die weiteren, in der Sache unbehelflichen Verfahrensrügen kommt es damit nicht mehr an. Zu der nach „§ 163a Abs. 4 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO“ erhobenen Verfahrensrüge ist freilich zu bemerken, dass sie ent- gegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht mangels eines nach Anhörung der Vernehmungsbeamten erhobenen (zweiten) Verwertungswiderspruchs nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig wäre. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verwertungswiderspruch grundsätzlich vorab erklärt werden kann, ohne nach Abschluss der Vernehmung wiederholt werden zu müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 – 5 StR 307/03, NStZ 2004, 389; Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 StR 435/12, NJW 2013, 2769, 2771 f., insoweit in BGHSt 58, 301 nicht abgedruckt; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14, zum Abdruck in BGHSt bestimmt; KK/Diemer, StPO, 7. Aufl., § 136 Rn. 28).
7
3. Für die neue Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen:
8
a) Ein Zustand verminderter Schuldfähigkeit der Angeklagten nach § 21 StGB zur Tatzeit wird im angefochtenen Urteil letztlich rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Angesichts der im Rahmen der zweiten Alternative des § 213 StGB durch die Schwurgerichtskammer bereits ausschlaggebend berücksichtigten Ausnahme- und Überforderungssituation der Angeklagten hätte die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB im Übrigen kaum zu einer milderen Strafe führen können.
9
b) Mit Recht wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass einer Einlassung der Angeklagten, die sich in einer schriftlichen Verteidigererklärung erschöpft , ohne dass Nachfragen beantwortet werden, ein allenfalls sehr untergeordneter Beweiswert zukommen kann.
Basdorf Dölp König
Berger Bellay

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Ist jemand einer Straftat verdächtig, so können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen; § 163a Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Unter den Voraussetzungen von Satz 2 sind auch die Durchsuchung der Person des Verdächtigen und der von ihm mitgeführten Sachen sowie die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zulässig.

(2) Wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist; § 69 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Art dürfen nicht getroffen werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache außer Verhältnis stehen; Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 3 bezeichneten Art dürfen nicht gegen den Willen der betroffenen Person getroffen werden.

Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist.

(2) Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.

(3) Wird eine Durchsuchung in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.

Nachschlagewerk ja
BGHSt ja
Veröffentlichung ja
Eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung
der Voraussetzungen des für Wohnungsdurchsuchungen
bestehenden Richtervorbehalts kann die Annahme
eines Verbots der Verwertung bei der Durchsuchung gewonnener
Beweismittel rechtfertigen.
BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 18. April 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. April 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Sch.
alsVerteidigerfürdenAngeklagten R. ,
Rechtsanwalt H. ,
Rechtsanwalt Z.
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten G. ,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten R. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Februar 2006 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch den Angeklagten R. und G. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Der Angeklagte R. trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen diesen Angeklagten hat die Strafkammer ferner den Verfall von 1.000 Euro angeordnet. Den Mitangeklagten G. hat das Landgericht von dem Vorwurf freigesprochen, in zwei Fällen ohne Erlaubnis mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Mit ihren vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Freisprechung des Angeklagten G. und beanstandet bezüglich des Angeklagten R. , dass dieser Angeklagte nicht wegen vollendeten unerlaubten Handeltreibens verurteilt worden ist. Der Ange- klagte R. wendet sich mit der allgemein erhobenen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.
2
1. Den Angeklagten liegt Folgendes zur Last:
3
a) Der Angeklagte G. erwarb über 50.000 Ecstasy Tabletten (Wirkstoffgehalt über 3 kg MDMA) und verwahrte sie zum gewinnbringenden Weiterverkauf in der vom Zeugen B. vermieteten Wohnung in der F. Straße in B . G. gab dem Angeklagten R. am 16. Februar 2004 1.000 Euro gegen das Versprechen, aus der Wohnung eine Tüte voller Betäubungsmittel zu holen und diese in den Kofferraum eines in der Nähe geparkten Pkw zu verbringen (Anklagevorwurf 1).
4
b) Der Angeklagte G. erwarb später 3,5 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 412 g THC) und verwahrte dieses zum beabsichtigten gewinnbringenden Weiterverkauf bis zum 18. Februar 2005 in einer Wohnung in der P. - straße in B. (Anklagevorwurf 2).
5
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
a) Zu Anklagevorwurf 1:
6
Der Angeklagte R. erhielt am 16. Februar 2004 von einem ihm nicht weiter bekannten „M. “ 1.000 Euro nebst einem Wohnungsschlüssel, um einen zugeschweißten gefüllten Beutel aus der Wohnung F. Straße zu einem Pkw zu verbringen. R. stellte sich vor, in dem Beutel würden sich mindestens 300 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von nicht mehr als 9 g THC befinden. Als R. am Morgen des 17. Februar 2004 im Begriff war, die Wohnung mit dem Schlüssel zu öffnen, wurde er festgenommen.
7
Das Landgericht hat aufgrund folgender Umstände darüber hinaus gehende Ermittlungsergebnisse wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Beschluss zur Wohnungsdurchsuchung zu erlangen, als unverwertbar erachtet: Am 16. Februar 2004 öffnete der Vermieter wegen eines Wasserschadens gewaltsam die Wohnung. Er informierte die Polizei von seinem Verdacht , in der Wohnung Betäubungsmittel gefunden zu haben. Gegen 15.30 Uhr durchsuchten drei Polizeibeamte die Wohnung und informierten ihre Fachdienststelle von dem möglichen Rauschgiftfund. Deren Mitarbeiter trafen gegen 17.00 Uhr ein, stellten die aufgefundenen Betäubungsmittel sicher und brachten sie zur polizeitechnischen Untersuchungsstelle. Die Polizei „besetzte“ nun die Wohnung, um mögliche Drogenhändler dingfest zu machen. Am nächsten Morgen wurde der Angeklagte R. vorläufig festgenommen, als er versuchte , die Wohnungstür zu öffnen.
8
Das Landgericht hat mit weiteren beweiswürdigenden Erwägungen die Täterschaft des Angeklagten G. in Zweifel gezogen und dazu Folgendes ausgeführt: Das Auffinden einer türkischen Zeitung und DNA eines anderen Mannes – außer der des Angeklagten in aufgefundenen Zigarettenkippen – sowie die G. ausdrücklich entlastende Einlassung des R. sprächen gegen die Täterschaft des schweigenden Angeklagten G. . Ferner hätten die in die Hauptverhandlung eingeführten Telefongespräche des Angeklagten G. und die in seinem Pkw überwachten Gespräche keinen Bezug dieses Angeklagten zu Rauschgift in der F. Straße erbracht.
9
b) Zu Anklagevorwurf 2:
10
Der Angeklagte G. hielt sich während der letzten vier Wochen vor seiner Festnahme am 18. Februar 2005 in der Wohnung des Zeugen Zo. in der P. straße auf. Dies war der Polizei bekannt. Der die Ermittlungen gegen G. führende Zeuge Kriminalkommissar Si. war darüber hinaus am 18. Februar 2005 über den jeweiligen Aufenthaltsort des Tatverdächtigen informiert. Si. erfuhr gegen 15.47 Uhr, dass sich G. um ein Gerät bemühte , um in seinem Fahrzeug – tatsächlich angebrachte – polizeiliche Or- tungs- und Abhörgeräte aufzufinden. Si. erörterte eine deshalb aus polizeilicher Sicht gebotene Festnahme des G. mit dem zuständigen Staatsanwalt. G. wurde mit Zustimmung des Staatsanwalts schließlich um 17.30 Uhr festgenommen, worüber Si. um 20.00 Uhr den Staatsanwalt informierte ; dabei bat er ferner um die Genehmigung, die Wohnung des Zo. durchsuchen zu dürfen. Der Staatsanwalt ordnete die Wohnungsdurchsuchung auf Grund angenommener eigener Eilkompetenz an, ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters zu erwägen und eine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln zu dokumentieren.
11
Das Landgericht hat auch die bei dieser Durchsuchung gewonnenen Beweismittel wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss herbeizuführen, mit einem Beweisverwertungsverbot belegt und ergänzend darauf hingewiesen, dass auf Grund weiterer Umstände das fehlende Bemühen um richterliche Durchsuchungsgenehmigungen nicht lediglich eine einzelne Nachlässigkeit der Ermittlungsbehörden dargestellt hat, sondern in eine Kette weiterer Ermittlungsmängel eingereiht gewesen ist: - Ermittlungsbeamte hatten eine DNA-Probe des Angeklagten G. vor dessen Festnahme durch eine fingierte Verkehrskontrolle erschlichen. Dabei wurde das bei dem Alkoholtest verwendete Mundstück einbehalten und dem Angeklagten auf seinen Rückgabewunsch hin stattdessen ein unbenutztes Austauschstück übergeben.
- Entgegen dem Inhalt eines Durchsuchungsberichts vom 28. Februar 2005 hatten Polizeibeamte gar nicht versucht, einen Durchsuchungsbeschluss für eine der Mutter des Angeklagten G. gehörende Garage zu erlangen.
- Eine dem Angeklagten gehörende wertvolle Werkzeugkiste war – einem polizeilichen Aktenvermerk widersprechend – nicht vernichtet
worden. Sie befand sich weiter im Besitz der Polizei und konnte während der Hauptverhandlung in Augenschein genommen werden.
- Während der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung des Zeugen Zo. wurde diesem mitgeteilt, ein anwaltlicher Beistand wäre nicht nötig, weil es sich „nur um eine Vernehmung“ handeln würde.
- Schließlich machte der Sitzungsstaatsanwalt während der Beweisaufnahme Vorhalte aus staatsanwaltschaftlichen Nachermittlungen, ohne diese zuvor dem erkennenden Gericht übergeben zu haben.
12
3. Die Freisprechung des Angeklagten G. hält den Revisionsangriffen stand.
13
a) Auf die von der Staatsanwaltschaft lediglich erhobene Sachrüge ist der Senat allenfalls befugt, auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen zu prüfen , ob die Subsumtion des Landgerichts dessen verfahrensrechtliche Folgerungen rechtfertigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38). Der weitergehende vom Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht formulierte Revisionsangriff , die im Zusammenhang mit der Annahme von Beweisverwertungsverboten getroffenen Feststellungen des Landgerichts seien lückenhaft – dem sich der Generalbundesanwalt angeschlossen hat –, entzieht sich der Betrachtung. Solches hätte die Erhebung einer Verfahrensrüge mit weitergehendem Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorausgesetzt, die indes nicht vorliegt (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; 48, 240, 250; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 30).
14
b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Landgericht zu Anklagevorwurf 1 für die aus der Wohnung F. Straße stammenden Betäubungsmittel zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat. Die Freisprechung des Angeklagten G. beruht jedenfalls nicht auf einem etwaigen Rechtsfehler. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise insgesamt hinreichend deutlich dahingehend gewürdigt, dass aus sachlichen Erwägungen nicht zu überwindende Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten G. bestanden haben. Solches hat das Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
15
c) Soweit das Landgericht hinsichtlich des in der Wohnung des Zeugen Zo. aufgefundenen Rauschgifts ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat, hält diese Wertung der – hier, wie ausgeführt, von vornherein nur eingeschränkt möglichen – rechtlichen Prüfung stand.
16
aa) Die am 18. Februar 2005 um 20.05 Uhr aufgrund der um 20.00 Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts erfolgte Durchsuchung der Wohnung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor (vgl. BVerfGE 103, 142, 153; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4). Die Anordnung des Staatsanwalts beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz.
17
Bei der hier zu beurteilenden Durchsuchungsanordnung hätte Gefahr im Verzug angenommen werden können, falls die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142, 154; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung steht es aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden , wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter zuwarten, bis etwa die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen (BVerfGE 103, 142, 155; BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es deshalb auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (Stellungnahme des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in BVerfGE aaO S. 148).
18
Solches war hier nach jeglicher kriminalistischer Erfahrung spätestens zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Festnahme des G. am Nachmittag des 18. Februar 2005 der Fall (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 537 jeweils zu ähnlichen Sachverhalten). Die sofortige Suche nach Sachbeweisen am gewöhnlichen Aufenthaltsort des G. drängte sich auf. Nur durch einen alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in der Wohnung befindliches Rauschgift beseitigen. Schon daher konnte die erst um 20.00 Uhr erfolgte Durchsuchungsanordnung – jenseits jeder fehlenden Dokumentation (vgl. BVerfG – Kammer – aaO S. 1639; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) – nicht mehr auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass den Polizeibeamten durch G. s Beobachtung schon mindestens vier Wochen lang dessen Aufenthalt in Zo. s Wohnung bekannt war (UA S. 22) und dass sich die Notwendigkeit einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung aufdrängte, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation entsprang.
19
bb) Die Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt vorliegend die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich der bei der Durchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel.
20
(1) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des sich aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Wohnung zu Tage geförderten Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. L Rdn. 16). So ist – wie auch bei der Prüfung eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen andere Erhebungsvorschriften – davon auszugehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist (BGHSt 44, 243, 249). Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt aaO m.w.N.). Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt aaO m.w.N.). Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes (BGHSt aaO m.w.N.). Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt (BGHSt aaO).
21
(2) Indes können einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig beschädigt wird. Dann wäre jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots – jenseits des in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO normierten – unerträglich (vgl. BGHSt 31, 304, 308; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 5. Aufl. Rdn. 363; Gössel aaO Rdn. 33 und 178). Solches wurde in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beispielsweise angenommen bei der Durchführung von Abhörmaßnahmen unter Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze (BGHSt 36, 396, 398 ff.) oder ohne richterliche Anordnung (BGHSt 31, 304, 306 f.; 35, 32, 34) oder zur gezielten Verleitung des Angeklagten zum unbewussten Schaffen von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten (BGHSt 34, 39), ferner bei der Einbeziehung eines Raumgesprächs zwischen Eheleuten in die Telefonüberwachung (BGHSt 31, 296) und bei akusti- scher Wohnraumüberwachung in einem nicht allgemein zugänglichen, als Wohnung zu bewertenden Vereinsbüro (BGHSt 42, 372, 377 zu § 100c Abs. 1 StPO a.F.) und in einem Krankenzimmer (BGHSt 50, 206).
22
Solchen Fallgestaltungen ist der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt nicht ausreichend ähnlich. Die Durchsuchungsanordnung war dem Staatsanwalt nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet. Gefahr im Verzug lag hier zwar nicht vor. Die Verletzung des Richtervorbehalts hat aber aus objektiver Sicht geringeres Gewicht, als wenn, wie etwa im Falle des § 100b Abs. 1 StPO, der Polizei die Anordnung von Eingriffen der betreffenden Art schlechthin untersagt ist (Roxin NStZ 1989, 376, 379). Zudem kommt bei der hier gebotenen objektiven Sicht dem Umstand Bedeutung zu, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss höchstwahrscheinlich zu erlangen gewesen wäre (vgl. Roxin aaO; ders. Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. S. 182 Rdn. 21). Daran bestehen hier kaum Zweifel, wenngleich eine umfassende Prüfung aufgrund einer nicht ausreichend ausgeführten Verfahrensrüge nicht erfolgen kann. Immerhin waren gegen G. bereits Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 StPO a.F. erlassen, deren Anordnung strengere Voraussetzungen zu erfüllen hatten, als es der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses erfordert hätte.
23
(3) In Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind, sind Beweismittel darüber hinaus unverwertbar, weil der Staat – soweit nicht notstandsähnliche Gesichtspunkte Gegenteiliges ermöglichen sollten (vgl. BGHSt 31, 304, 307; 34, 39, 51 f.) – auch in solchen Fällen aus Eingriffen ohne Rechtsgrundlage keinen Nutzen ziehen darf (Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; vgl. auch Gössel aaO Rdn. 175). Eine Verwertung würde hier gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens verstoßen (vgl. BGHSt 24, 125, 131; Roxin NStZ aaO).
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So ist eine von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung rechtswidrig – mit der Folge eines Verwertungsverbots –, falls deren Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung nicht mehr vertretbar gewesen ist (BGHSt 41, 30, 34; vgl. auch BGHSt 32, 68, 70; 47, 362, 366; 48, 240, 248; einschränkend BGHSt 51, 1). Für Fälle fehlerhafter Wohnungsdurchsuchungen ist dies in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, falls der Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfGE 113, 29, 61; BVerfG – Kammer – NJW 2006, 2684, 2686; BVerfG – Kammer – Beschluss vom 12. August 2005 – 2 BvR 1404/04; LG Osnabrück StV 1991, 152, 153; AG Offenbach StV 1993, 406, 407 f.; LG Darmstadt StV 1993, 573 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 538; OLG Koblenz NStZ 2002, 660; AG Tiergarten in Berlin StV 2003, 663, 664; StraFo 2007, 73, 74; LG Heilbronn StV 2005, 380, 381; vgl. noch weitergehend AG Braunschweig StV 2001, 393 und LG Saarbrücken StV 2003, 434, 436). Diese Auffassung wird von Stimmen in der Literatur geteilt (Meyer-Goßner aaO § 98 Rdn. 7; Krekeler NStZ 1993, 263, 265). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot für notwendig gehalten (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4), was im Schrifttum ebenfalls vertreten wird (Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 105 Rdn. 119; Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 105 Rdn. 7; grundsätzlich Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; allgemein bei Willkür Nack in KK 5. Aufl. Vor § 94 Rdn. 11; Krekeler/Löffelmann in AnwK-StPO Einleitung Rdn. 141). Diesen Ansätzen folgt der Senat.
25
Die Notwendigkeit der Annahme eines Verwertungsverbots ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit des Richtervorbehalts und zu den inhaltlichen Anforderungen, denen die Durchsuchungsbeschlüsse genügen müssen, angelegt (vgl. allgemein Landau NStZ 2007, 121, 128). Richterliche Durchsuchungsanordnungen sind nach Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme (BVerfGE 103, 142, 153). Vor allem wegen der grund- rechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen (BVerfGE aaO), weshalb die Pflicht, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach kriminalistischen und taktischen Erwägungen frei zu gestalten (BVerfG aaO S. 155). Der bloße abstrakte Hinweis, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zu erlangen, kann Gefahr im Verzug nicht begründen, weil dem korrespondierend die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes , zu sichern (BVerfG aaO S. 156; BVerfG – Kammer – StV 2006, 676). Damit ist das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, für das durch rechtsstaatliche Grundsätze geprägte Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass jedenfalls grobe Verstöße nicht sanktionslos gelassen werden dürfen (Schäfer aaO § 105 Rdn. 118; Krehl JR 2001, 491, 494). Genauso wie es nicht tragbar wäre, bei jeglichem Irrtum der Beamten über die tatsächlichen Voraussetzungen der Gefahr im Verzug oder bei sonstigen weniger gewichtigen Verstößen gegen irgendwelche die Art und Weise der Durchsuchung regelnden Vorschriften auch bei schwerwiegenden Straftaten ein Verwertungsverbot anzunehmen, wäre es für die Rechtsgemeinschaft und ihre Vorstellung vom Recht unerträglich, könnte der verfassungsrechtlich abgesicherte Schutz der Wohnung samt Richtervorbehalt stets folgenlos selbst willkürlich ausgehebelt werden (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 119).
26
Hier liegt schon die Annahme außerordentlich nahe, dass die Polizeibeamten den Richtervorbehalt bewusst ignoriert und die Inanspruchnahme der Eilkompetenz des Staatsanwalts provoziert haben. Das Unterlassen der Polizeibeamten , sich um einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Zo. zu bemühen, ist angesichts des Ganges der Ermittlungen unverständlich. Der Umstand, dass sich G. in der Wohnung des Zo. aufgehalten hat, war den ermittelnden Kriminalbeamten schon mindestens vier Wochen vor der Festnahme des G. bekannt (UA S. 22). Die Verdachtslage, wie sie ferner ersichtlich im Blick auf die nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 StPO a.F.
angeordneten Maßnahmen angenommen wurde und sich zudem durch wenigstens im Allgemeinen auf Rauschgift bezogene Gespräche des G. im überwachten Pkw ergab, machte es immer dringlicher, spätestens zum Zeitpunkt der Festnahme des G. auch die Wohnung des Zo. zu durchsuchen. Vor dem Hintergrund der Vollstreckbarkeit eines Durchsuchungsbeschlusses über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten (BVerfGE 96, 44) wäre mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf der polizeiliche Zugriff für die Ermittlungen förderlich und der Rechtsordnung entsprechend mit Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses ohne Schwierigkeiten vorzubereiten gewesen. Spätestens mit der am 18. Februar 2005 um 15.47 Uhr von den Polizeibeamten gefassten Festnahmeabsicht erlangte die nach kriminalistischer Erfahrungsregel notwendige Wohnungsdurchsuchung und damit die Erlangung eines Durchsuchungsbeschlusses höchste Priorität, die indes gänzlich unbeachtet blieb. Erst zweieinhalb Stunden nach der Festnahme des G. erheischten die Kriminalbeamten – ohne dass ermittlungsbezogene Besonderheiten dies erklären konnten – eine Entscheidung des ebenfalls nur über eine Eilkompetenz verfügenden Staatsanwalts, ohne die mögliche Inanspruchnahme eines Ermittlungsrichters zuvor auch nur erwogen zu haben (vgl. auch AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74 zu Existenz und Bekanntheit des jeweiligen Bereitschaftsrichters

).


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Der Senat kann es letztlich dahingestellt sein lassen, ob gerade auch im Blick auf das vorhergegangene Erschleichen von DNA-Material des Angeklagten G. und nachfolgende Unkorrektheiten bei den weiteren polizeilichen Ermittlungen aus einer Gesamtschau aller Rechtsverstöße die Annahme einer grundlegenden Vernachlässigung von Richtervorbehalten durch die Polizeibeamten und – daraus abgeleitet – deren vorsätzlicher Missachtung in jedem Einzelfall zu rechtfertigen wäre. Da der Senat die Bewertung der Durchsuchung vom 16. Februar 2004 offen gelassen hat, stützt er sich nicht auf diese Gesamtschau , wie sie das Landgericht vorgenommen hat. Er kann den Feststellungen des Landgerichts jedoch entnehmen, dass jedenfalls der ermittelnde Staatsanwalt – mag er auch möglicherweise von der Polizei in gewisser Weise instrumentalisiert worden sein – objektiv willkürlich eine Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Anordnung gestattet und damit den Richtervorbehalt bewusst ignoriert oder gleichgewichtig gröblich missachtet hat. Solches ergibt die Gesamtschau folgender Umstände (UA S. 21):
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Dem vom Landgericht als Zeugen vernommenen Staatsanwalt war – selbstverständlich – der Richtervorbehalt bekannt. Bei der Erörterung der Festnahme des G. hatte er an eine Durchsuchung aber „nicht gedacht“ und auf die zeitliche Diskrepanz zwischen Festnahme und Durchsuchung der Wohnung „nicht geachtet“. Selbst zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung – eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit im Sinn des § 104 Abs. 3 StPO – war es nicht von vornherein aussichtslos, zumindest noch eine fernmündliche Genehmigung eines Ermittlungsrichters (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) zu erreichen (vgl. BVerfG – Kammer – StV 2006, 676; AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74; Meyer-Goßner aaO § 105 Rdn. 2). Eine solche einzuholen, hat der Staatsanwalt aber weder erwogen, noch hat er die Voraussetzungen der von ihm in Anspruch genommenen Eilkompetenz dokumentiert (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1639; BGHSt 47, 362, 366; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5). Der Staatsanwalt hat ferner gegen die ihm obliegende Pflicht verstoßen, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehalts durch die Polizei Sorge zu tragen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 160 Rdn. 1 m.w.N.). Damit ist er seiner Funktion als Herr des Ermittlungsverfahrens nicht gerecht geworden , wie seiner Bekundung vor dem Landgericht zu entnehmen ist, die Polizei ermittele „autark“ (UA S. 21), so dass er sich mithin um Rechtsverstöße der in seinem Verfahren ermittelnden Hilfsbeamten nicht zu kümmern habe. Ein Staatsanwalt, der – wie hier – seine gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten bestehende Leitungsfunktion so weitgehend ignoriert, was zu einer Ausschaltung des Ermittlungsrichters über einen Zeitraum von zweieinhalb Stunden geführt hat, und der sich – ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters auch nur zu erwägen – sachlich unbegründet und ohne Dokumentation auf seine Eilkompetenz beruft, missachtet den Richtervorbehalt bewusst oder verkennt ihn in gleichgewichtiger Weise gröblich. Solches rechtfertigt – mangels besonderer ermittlungsbezogener Umstände (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung
4) – das vom Landgericht angenommene Beweisverwertungsverbot.
29
(4) Dem – für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten – Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. BGHSt 31, 304, 306; BGH NStZ 1989, 375, 376; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4; Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 182 Rdn. 21) kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. schon BGHSt 31 aaO; Roxin aaO S. 182 f. Rdn. 21; Gössel aaO Rdn. 178). Die Einhaltung der durch Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs in diesen Fällen stets unterlaufen (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 117) und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden (Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 183 Rdn. 21 m.w.N.). Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten (vgl. Roxin NStZ 1995, 465, 467 f.). Damit würde ein wesentliches Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 379; ders. Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46).
30
(5) Ob vorliegend der Gesichtspunkt einer fehlenden Berührung des Rechtskreises des Angeklagten (vgl. BGHSt[GS] 11, 213, 215 f.; BGHSt 22, 35, 38; 40, 211, 214 f.) der Anerkennung eines Verwertungsverbotes entgegenstehen könnte, bedarf keiner Vertiefung (vgl. dazu Gössel aaO Rdn. 38 ff.). Der Angeklagte war zur Zeit der Durchsuchung ersichtlich berechtigter Mitnutzer der Wohnung des Zo. (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht 8. Aufl. § 540 Rdn. 32; Teichmann in Jauernig, BGB 11. Aufl. § 535 Rdn. 12; jeweils m.w.N.) und damit in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG einbezogen (vgl. BVerfGE 109, 279, 326).
31
(6) Der Senat kann ferner die Beantwortung der Frage dahingestellt sein lassen, ob das angenommene Verwertungsverbot einen Widerspruch des Verteidigers in der Hauptverhandlung vorausgesetzt hätte (vgl. Gössel aaO Rdn. 33 und 174) – was herrschender Tendenz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspräche (vgl. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 11; BGHSt 50, 206, 215 f.; 51, 1; Gössel aaO Rdn. 29 m.w.N.), die indes jenseits der Fälle von dem Rechtsverstoß berührter Verteidigungsrechte, deren effektive Verletzung der Betroffene selbst optimal beurteilen kann und die uneingeschränkt seiner Disponibilität unterliegen, zu hinterfragen wäre – oder ob sich solches im Blick auf die betroffenen, für den Angeklagten nicht zweifelsfrei umfassend disponiblen Rechtsgüter verbieten würde (vgl. BGHSt 51, 1, 3). Die Revision der Staatsanwaltschaft kann jedenfalls aus solchen Erwägungen nicht erfolgreich sein, weil zur Frage, ob und wie der Verwertung der Beweismittel, die sich zu dem Ergebnis der Durchsuchung der Wohnung des Zo. verhalten, widersprochen worden ist, nichts vorgetragen ist (vgl. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot

11).


32
cc) Gegen die gefundene Rechtsauffassung kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, der Schutz der Volksgesundheit – bei dem hier objektiv vorliegenden Verbrechen gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – und die Pflicht des Rechtsstaats zur effektiven Strafverfolgung (vgl. hierzu BGHSt[GS] 42, 139, 157; Landau NStZ 2007, 121, 128 f.) werde so vernachlässigt. Das sichergestellte Rauschgift unterliegt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG, § 76a Abs. 1 StGB der Einziehung. Es wird dem illegalen Rauschgiftmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Sorge um einen Effektivitätsverlust wird vorliegend – jenseits erhobener grundsätzlicher Einwendungen gegen diesen Aspekt (vgl. Roxin NStZ 1997, 18, 20) – schon deshalb relativiert, weil bei Duldung eines bewussten oder gleichgewichtig schweren Rechtsbruchs durch Ermittlungsbeamte ein Ansehensverlust des rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens bei der rechtstreuen Bevölkerung zu befürchten wäre, den es zu verhindern gilt und der seinerseits etwa durch verändertes Anzeige- oder Aussageverhalten infolge schwindenden Vertrauens in die Lauterkeit der Ermittlungsorgane zu Effektivitätsverlusten führen könnte. Ferner wird die Bedeutung des Beweismittelverlustes durch Annahme eines Verwertungsverbots hier dadurch gemindert, dass zur Überführung des Angeklagten andere, im Allgemeinen erfolgversprechende Ermittlungsmethoden (Maßnahmen nach §§ 100a, 100c a.F. StPO) angewandt werden konnten, deren Ergebnisse indes nur im vorliegenden Einzelfall – ohne dass solches von der Revisionsführerin beanstandet worden wäre – zur Überzeugungsbildung des Landgerichts nicht ausgereicht haben.
33
dd) Der Senat ist nicht zu einer Anfrage gemäß § 132 Abs. 2 GVG genötigt. Die Erwägungen des 2. Strafsenats (NStZ 1989, 375, 376) zum hypothetischen Ersatzeingriff waren für die Entscheidung nicht tragend (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 378). Die gefundene Rechtsauffassung stimmt mit der vom 1. Strafsenat (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) vertretenen überein.
34
4. Die die Verurteilung des Angeklagten R. betreffenden Revisionen sind ebenfalls unbegründet. Das Landgericht hat sich auf Grund einer wertenden Betrachtung aller Tatumstände angesichts des Gewinnstrebens des R. , seiner Tatinitiative und seines vorgesehenen vorübergehenden Besitzes des Rauschgifts von einem mittäterschaftlichen Mitwirken des Angeklagten überzeugt. Die Annahme nur eines (untauglichen) Versuchs begegnet keinen Bedenken, weil der Angeklagte seine Kuriertätigkeit zu einem Zeitpunkt ausführen sollte, als das zu transportierende Rauschgift durch polizeilichen Aufgriff bereits aus der Bunkerwohnung entfernt und dadurch der Verfügungsmacht des Auftraggebers des Angeklagten entglitten war (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 1; BGHSt[GS] 50, 252, 263). Auch gegen den Rechtsfolgenausspruch können Bedenken nicht erhoben werden.
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(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist.

(2) Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.

(3) Wird eine Durchsuchung in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.