Bundesgerichtshof Urteil, 13. Juli 2017 - 3 StR 148/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:130717U3STR148.17.0
bei uns veröffentlicht am13.07.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 148/17
vom
13. Juli 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:130717U3STR148.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Juli 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Hoch als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 7. November 2016 werden verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung sowie wegen Verabredung zum Verbrechen des schweren Raubes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit ihrer ausschließlich auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts gestützten Revision begehrt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Urteils, soweit die Angeklagte im Fall 1 freigesprochen und im Fall 2 lediglich wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung verurteilt worden ist. Die Angeklagte greift ihre Verurteilung mit der allgemeinen Sachrüge an.

I.


2
Nach den Feststellungen wollte der nicht revidierende Mitangeklagte ein Spielcasino überfallen und ließ sich deshalb von der Angeklagten, mit der er befreundet war, unter einem Vorwand dorthin fahren. Während die nichts ahnende Angeklagte davor wartete, betrat der Mitangeklagte maskiert die Spielhalle und versuchte unter Vorhalt einer ungeladenen Gaspistole von der Spielhallenaufsicht Geld zu erlangen, was ihm nicht gelang (Fall 1). Nach Verlassen des Casinos berichtete er der im Fahrzeug wartenden Angeklagten von dem Geschehen und wies sie an, ihn nun zur nächsten Spielhalle zu fahren, um einen neuerlichen Überfall zu unternehmen. Hierzu erklärte diese sich bereit. Sie begab sich zunächst allein in die Räumlichkeiten, um diese auszukundschaften. Sodann informierte sie den Mitangeklagten, der daraufhin allein die Spielothek betrat und unter Vorhalt der Gaspistole 590 € erbeutete. Nach der Tat flüchtete er zusammen mit der Angeklagten, die abfahrbereit im Fahrzeugauf ihn gewartet hatte (Fall 2). Am Folgetag fassten die Angeklagten den Plan zu einem weiteren Überfall, wobei diesmal beide - anders als zuvor - an der Beute partizipieren sollten. Nach gemeinsamer Auswahl des Tatobjekts sollte die Angeklagte den Mitangeklagten zum Tatort fahren und - während dieser auf die gleiche Weise wie zuvor einen Überfall durchführen sollte - warten, um dann das Fluchtauto zu steuern. In Ausführung dieses Plans begaben sie sich zunächst zu einem Rasthof, der ihnen allerdings zu stark besucht erschien, dann zu einer Tankstelle, die bereits geschlossen war und schließlich zu einer weiteren Tankstelle. Dort beobachtete der Mitangeklagte, der ohne Wissen der Angeklagten diesmal eine dieser gehörende scharfe Waffe mit sich führte, nach Ausstieg aus dem Fahrzeug eine Zeitlang den laufenden Tankstellenbetrieb, weshalb der Tankwart Verdacht schöpfte und die Polizei informierte. Als daraufhin eine Polizeistreife erschien, erkannte der Mitangeklagte, dass er das Vorhaben nicht werde zu Ende bringen können. Dies teilte er der etwas entfernt wartenden Angeklagten mit, worauf sie den verabredeten Plan zu einem Überfall nicht mehr umsetzten (Tat 3).
3
Das Landgericht hat die Angeklagte hinsichtlich der Tat 1 freigesprochen. Wegen der Tat 2 hat es die Angeklagte wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung und im Fall 3 wegen Verabredung zu einer solchen Tat verurteilt. Der Mitangeklagte hatte die Angeklagte in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung einer mittäterschaftlichen Beteiligung an den Taten 1 und 2 bezichtigt. Die Strafkammer hat jedoch auf diese Angaben eine Überzeugung von der Mittäterschaft der Angeklagten in diesen beiden Fällen nicht zu stützen vermocht, weil der Mitangeklagte im Ermittlungsverfahren dieser Einlassung widersprechende Angaben gemacht und in der Hauptverhandlung ein Belastungsmotiv eingeräumt hatte.

II.


4
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
5
Die auf eine Verfahrensrüge gestützte und wirksam auf die Fälle 1 und 2 beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, erweist sich als unzulässig.
6
Die Staatsanwaltschaft beanstandet eine Verletzung des § 261 StPO, weil das Landgericht zwei im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführte Briefe des Mitangeklagten, die an seine Ehefrau sowie an die Angeklagte gerichtet waren, in den Urteilsgründen nicht gewürdigt habe, obwohl deren Inhalte für den Schuld- und Strafausspruch von hohem Beweiswert gewesen seien.
7
a) § 261 StPO verlangt eine erschöpfende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Auch wenn das Gericht nicht gehalten ist, auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln, muss es unter Würdigung der dafür und dagegen sprechenden relevanten Beweise und Überlegungen lückenlos darlegen, was für die Bildung seiner Überzeugung maßgebend war. Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden (LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 58 mwN). Dass eine verlesene oder im Selbstleseverfahren eingeführte Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei, kann mit der Verfahrensbeschwerde geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 11. März 1993 - 4 StR 31/93, StV 1993, 459; Urteil vom 16. Oktober 2006 - 1 StR 180/06, NStZ 2007, 115, 116; Beschluss vom 19. August 2008 - 3 StR 252/08, NStZ 2009, 404).
8
b) Eine solche Verfahrensrüge ist vorliegend jedoch nicht in zulässiger Form erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
9
Die Revisionsführerin teilt zwar den Inhalt der beiden - undatierten - Schreiben mit, wobei sich aus dem Brief an die Ehefrau ergibt, dass diese das Schreiben an die Angeklagte als Kassiber weiterschmuggeln sollte. Der Brief an die Angeklagte enthält neben mehreren Anweisungen zur Änderung ihrer bis dahin gegenüber der Polizei gemachten Angaben zu den Überfällen den Satz: "Es war unser beide(r) Idee und geplant haben wir gemeinsam, aber ich will nicht, das(s) du auch in den Knast musst. Ich halte dich soweit wie möglich raus." Indes verschweigt die Revision den Inhalt eines weiteren, ebenfalls undatierten Briefes an die Angeklagte, der nach dem Protokoll auch in der Hauptverhandlung verlesen worden ist. Dieser enthält die Passage "Und ich habe Dich reingezogen ohne dein Wissen. Ich habe Dich benutzt ....Hoffentlich wirst Du nicht angeklagt." Dieser unvollständige Tatsachenvortrag macht die Rüge unzulässig, weil er dem Senat nicht die Überprüfung ermöglicht, ob § 261 StPO tatsächlich verletzt worden ist. Eine Zusammenschau der beiden Schreiben an die Angeklagte offenbart vielmehr die Widersprüchlichkeit der Angaben des Mitangeklagten, mit der sich das Landgericht in den Urteilsgründen eingehend auseinandergesetzt und unter anderem begründet hat, warum es den die Angeklagte belastenden Angaben des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung keinen Glauben geschenkt hat. Das weitere in der Hauptverhandlung verlesene, von der Revision aber nicht mitgeteilte Schreiben ist mithin potentiell geeignet, den Beweiswert der belastenden Passage aus dem von der Revision vorgelegten Brief zu verringern, so dass sie als Beweismittel nicht von so erheblichem Gewicht ist, dass ihre Erörterung bei der Würdigung der widersprüchlichen Angaben des Mitangeklagten zum Umfang der Beteiligung der Angeklagten an den Überfällen geboten gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2001 - 3 StR 285/01, NStZ 2002, 47, 48; Urteil vom 16. Oktober 2006 - 1 StR 180/06, NStZ 2007, 115, 116; Beschluss vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 267/13, NStZ 2014, 606, 607). Wegen des unvollständigen Tatsachenvortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ist es dem Senat daher nicht möglich, in Kenntnis des gesamten für die Rüge relevanten Verfahrensstoffes zu prüfen, ob der von der Revision vorgelegte Brief unter Verstoß gegen § 261 StPO im Rahmen der Beweiswürdigung nicht als relevantes Beweismittel behandelt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. April 1999 - 3 StR 642/98, NStZ-RR 2000, 34; vom 14. August 2003 - 3 StR 17/03, NStZ 2004, 163, 164; vom 1. April 2004 - 1 StR 101/04, NStZ 2005, 222, 223; vom 21. November 2007 - 1 StR 539/07, NStZ-RR 2008, 85).

10
Da die Staatsanwaltschaft ausschließlich eine Verfahrensrüge erhoben hat und diese unzulässig ist, ist ihre Revision insgesamt als unzulässig zurückzuweisen.
11
2. Die Revision der Angeklagten
12
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung der Angeklagten hat keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Becker Schäfer Spaniol Tiemann Hoch

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 13. Juli 2017 - 3 StR 148/17 zitiert 4 §§.

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 180/06
vom
16. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
12. Oktober 2006 in der Sitzung am 16. Oktober 2006, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6. Oktober 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten am 16. Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. August 1998. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat nunmehr das Landgericht Mannheim das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Januar 1998 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin mit Rügen der Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist nicht frei von Rechtsfehlern. Erfolg hat auch eine Verfahrensrüge (Verstoß gegen § 261 StPO) der Nebenklägerin. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

I.


2
Dem Angeklagten H. W. wird vorgeworfen, seine Ehefrau A. , geborene Z. , von der er getrennt lebte, in den frühen Morgenstunden des 29. April 1997 - zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr - in deren Wohnung mit einem Schal stranguliert und so versucht zu haben, sie zu töten.
3
1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:
4
A. W. , nach Scheidung der Ehe - und deshalb auch im Folgenden - wieder Z. , war am 7. März 1996 aus der ehelichen Wohnung in der B. straße in G. ausgezogen. Sie wohnte schließlich - seit Februar 1997 - in der Erdgeschosswohnung des elterlichen Reihenhauses in der E. straße in Bi. . Ihr Vater, Wo. Z. , übernachtete häufig in der darunter liegenden Einliegerwohnung. In dieser Souterrainwohnung hatten auch der Angeklagte und seine Frau zu Beginn ihrer Ehe kurzfristig - von September bis Weihnachten 1994 - gewohnt. Erneut hatte die Geschädigte dort unmittelbar nach der Trennung vorübergehend - von März bis Mai 1996 - Unterschlupf gefunden. Die Wohnungen sind durch die Kellertreppe verbunden.
5
Im Schlafzimmer der Erdgeschosswohnung hatte sich A. Z. in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 zu Bett begeben, einem Doppelbett in dem auch der damals zwei Jahre und einen Monat alte gemeinsame Sohn K. schlief. Spätestens kurz vor 2.18 Uhr betrat eine der Geschädigten bekannte männliche Person die Wohnung. Zugang hatte sich der Mann entweder mit Hilfe eines Schlüssels verschafft oder er war von A. Z. selbst eingelassen worden. Ein Einbruch scheidet aus. Im Wohnzimmer kam es zu einem Streit, in deren Verlauf der Mann laut und erregt drohte: „Ich bring’ dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ A. Z. erwiderte mit weinerlicher, wimmernder Stimme: „Was willsch’en von mir - i heb dir doch nix getan!" In dieser Zeit - so die Strafkammer - entschloss sich der Besucher , A. Z. , die sich zwischenzeitlich in ihr Schlafzimmer begeben hatte, zu töten. Der Mann zog sich zwei aus einer Plastiktüte entnommene Vinyleinweghandschuhe über und schlang einen Wollschal aus der Wohnung der Geschädigten um deren Hals, zog dessen Enden mindestens zwei Minuten lang kräftig zusammen, bis A. Z. , die sich wehrte, das Bewusstsein verlor. Der Täter schleppte sein Opfer in den Flur. Dann wurde er vom Vater der Geschädigten gestört, der an diesem Tag in der darunter befindlichen Einliegerwohnung übernachtete. Um 2.34 Uhr war er durch Poltergeräusche, als deren Ursache er Möbelrücken im Zusammenhang mit laufenden Renovierungsarbeiten seiner Tochter vermutete, geweckt worden und wollte sich bei seiner Tochter über diese nächtliche Störung beschweren, weshalb er die Treppe zur Erdgeschosswohnung hoch stieg. Dem Täter gelang es jedoch, die Kellertüre der Wohnung der Geschädigten zuzuschlagen und durch die Haupteingangstür der Erdgeschosswohnung unerkannt zu entkommen. Wo. Z. befreite seine Tochter von der Strangulation. A. Z. überlebte zwar. Aufgrund der zeitweisen Unterbrechung der Blutzufuhr und damit der Sauerstoffversorgung des Gehirns wurden dessen Nervenzellen jedoch dauerhaft so schwer und weitreichend geschädigt, dass sich die heutige Hirnfunktion im Wesentlichen auf vegetative Funktionen beschränkt.
6
Die Strafkammer vermochte sich nicht mit der für die Verurteilung notwendigen Sicherheit davon zu überzeugen, dass der Angeklagte der nächtliche Besucher und damit der Täter war.

II.


7
Zu den Grundlagen des Tatverdachts:
8
1. A. Z. konnte zur Aufklärung der Tat nichts mehr beitragen. Sie ist aufgrund der erlittenen Schädigungen nicht mehr in der Lage, Sachverhalte aufzunehmen, sinnvoll zu verarbeiten und hierauf zu reagieren. Kommunikation , sei es sprachlich, schriftlich oder auch nur mimisch ist mit ihr nicht mehr möglich.
9
2. Der zur Tatzeit zweijährige Sohn K. W. hat aus entwicklungspsychologischen Gründen (kindliche Amnesie) keine Erinnerung mehr an die damaligen Geschehnisse und entfiel damit für die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ebenfalls als geeigneter Zeuge.
10
3. Auf den Angeklagten fiel der Tatverdacht insbesondere aufgrund folgender Erkenntnisse:
11
A) Den Gründen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Mannheim ist dazu zu entnehmen:
12
a) Es war ein Mann, der A. Z. zu töten versuchte.
13
b) Der Täter war mit der Geschädigten bekannt. Eine Beziehungstat lag nahe. Die Geschädigte betrieb die Scheidung. In diesem Zusammenhang kam es zu Auseinandersetzungen, insbesondere über das Umgangsrecht des Angeklagten mit dem Sohn K. . Dies hätte Anlass zu auch körperlichen Angriffen geben können.

14
c) Am Tatort fanden sich zwei Finger von Vinyleinweghandschuhen, einer im Bett von A. Z. , einer im Flur. Sie stammen von zwei Einweghandschuhen unterschiedlicher Größe, die der Täter bei der Tat trug, und wurden beim Kampf - das Doppelbett wurde verschoben - zwischen dem Täter und der Geschädigten abgerissen. Denn an der Außenseite beider Teile fanden sich ausschließlich DNA-Anhaftungen, die von der Geschädigten stammen. An der Innenseite der Fingerteile wurde jeweils eine DNA-Mischspur gesichert, die Merkmale von mehreren, auch unbekannten Personen enthalten. Nur die DNA des Angeklagten und der Geschädigten konnte in beiden Fingern festgestellt werden. In einem der abgerissenen Handschuhfinger (der im Flur) waren sämtliche Merkmale der DNA des Angeklagten zu finden.
15
d) Der Angeklagte trägt wegen der Schmerzempfindlichkeit zweier teilamputierter Finger im Alltagsleben häufig Einwegplastikhandschuhe, über die er in seiner Wohnung auch in großer Zahl verfügte.
16
e) Am Tatort fand sich im Flur eine Plastiktüte, stammend von der Stadtapotheke P. , darin ein olivfarbenes Dreieckshalstuch, ein Baumwolltaschentuch , ein Latexeinmalhandschuh, vier Vinyleinweghandschuhe, eine Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro-Lights“ mit sieben Gramm Amphetamin, verpackt in sieben verschweißten Plastiktütchen, sowie eine rote Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro“, die auf der Vorder- und Rückseite jeweils von Hand mit einem Kreuz markiert war und drei aufgeschnittene und wieder verklebte Folienbeutel aus Cellophan-Umverpackungen von Zigarettenschachteln enthielt. Das Dreieckshalstuch, das Baumwolltaschentuch und die Vinyleinweghandschuhe stammen - so wurde festgestellt - aus dem Haushalt des Angeklagten.

17
f) An den Enden des zur Strangulierung verwendeten Wollschals fanden sich DNA-Mischspuren. Auch hier kommt der Angeklagte als Miturheber in Betracht.
18
g) An einer Jeanshose der Geschädigten, die am Tatort - im Flur auf dem Boden liegend - sichergestellt wurde, fand sich eine DNA-Mischspur. Der Angeklagte kommt als Mitverursacher in Betracht.
19
h) Als die Wohnung des Angeklagten am Tattag durchsucht wurde, fanden sich im Badezimmer - in der Badewanne ausgebreitet - ein T-Shirt und eine Jogginghose, die noch nass waren.
20
i) Während des Ermittlungsverfahrens legte der Angeklagte am 13. Mai 1997 den Ermittlungsbeamten der Polizei gegenüber ein pauschales Geständnis ab. Zu Einzelheiten befragt verwickelte er sich allerdings in Widersprüche. Der Angeklagte widerrief sein Geständnis alsbald wieder, es habe sich um ein „Gefälligkeitsgeständnis“ gehandelt, zu dem Mitgefangene ihm geraten hätten.
21
j) Des weiteren ergaben sich während der - neuen - Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim folgende belastende Aspekte:
22
aa) Der Angeklagte behauptete (erstmals), er habe seinen Sohn an dessen zweitem Geburtstag am 6. März 1997 in der E. straße besucht. Dieser Besuch sei harmonisch verlaufen. Er habe mit K. gespielt und mit ihm unter anderem - zusammen mit A. Z. - Blumenzwiebeln im Garten des Anwesens gepflanzt. Bei dieser Gelegenheit habe er wie üblich zum Schutz seiner kälteempfindlichen, teilamputierten Finger Einmalhandschuhe getragen. Diese habe er anschließend im Anwesen E. straße auf dem gemauerten Grill der Terrasse zurückgelassen. Dieser Besuch fand nach den Feststellungen des Landgerichts tatsächlich nicht statt. K. war an seinem zweiten Geburtstag krank, da er tags zuvor eine Erdnuss verschluckt hatte, die im Krankenhaus aus dem linken Hauptbronchus entfernt worden war.
23
bb) Darüber hinaus hat der Angeklagte Teile seiner Einlassung vor dem Landgericht Karlsruhe wahrheitswidrig widerrufen. So stellte er beispielsweise erstmals in der neuen Hauptverhandlung in Abrede, jemals ein olivfarbenes Dreieckshaltstuch, wie es am Tatort in der weißen Kunststofftüte aufgefunden wurde, besessen zu haben. Dies ist nach den Feststellungen der Strafkammer widerlegt.
24
B) Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der in den Urteilsgründen zwar nicht erwähnt ist, dem Revisionsgericht aber in der Revisionsbegründungsschrift der Nebenklägerin mitgeteilt wird. Danach war Gegenstand der Hauptverhandlung das im Internet veröffentlichte Dokument „H. s Tagebuch“ (eingeführt im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO), unter anderem mit folgendem Eintrag zum Inhalt eines beschlagnahmten Briefs des Angeklagten an seine damalige Freundin:
25
„Samstag, 03.05.1997 1. Brief an C. (beschlagnahmt) Ich hoffe Du bekommst diesen Brief, wenn es auch über Umwege ist. Scheiß egal. Die wollen mich verurteilen wegen 1. Einbruch, 2. versuchter Mord mit einem B-W-Schal, 3. Drogen. Alle roten Pullis sind sichergestellt worden. Wenn sie sagt, „ja, er war’s“ bin ich für Jahre im Knast. Gestern Mittag habe ich nichts zu essen bekommen (wegen der Fahrt von P nach He. ). Abends, Wurst mit trockenem Brot." (Unterstreichung nur in der Revisionsbegründung)
26
Die Mitteilung dieses Sachverhalts erfolgt zwar im Zusammenhang mit Ausführungen zur Sachrüge. Der Sache nach ist dies jedoch eine - zulässig erhobene - Rüge der Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge).

III.


27
Die Beweiswürdigung der Strafkammer:
28
1. Die Strafkammer hat die oben genannten unter II. 3. A aufgeführten Indizien entweder nicht bestätigt gesehen und im Übrigen als nicht ausreichend zur Überzeugungsbildung hinsichtlich einer Täterschaft des Angeklagten bewertet.
29
a) Die Strafkammer hat insbesondere ausgeschlossen, dass der Täter - dies müsste dann der Angeklagte gewesen sein - die Plastiktüte, aus der er die Einweghandschuhe entnahm, in der Tatnacht mitbrachte, „es war nicht der Angeklagte , der diese Tüte in das Tatortanwesen brachte“. Das Landgericht ist vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass A. Z. die weiße Plastiktüte - derartige Tüten wurden von der Stadtapotheke P. ab Juni 1995 ausgeteilt - mit den vom Angeklagten stammenden Gegenständen, nämlich dem Dreieckstuch, dem Taschentuch sowie den Einweghandschuhen, bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung im März 1996 mitnahm, also schon vor der Tat bei sich verwahrt hatte, und dass sie selbst dann die beiden Zigarettenschachteln und das Amphetamin in die Tüte legte. Denn die Zigarettenschachteln stammten - so hat die Strafkammer festgestellt - nicht vom Ange- klagten, sondern von der Geschädigten, die eine der Schachteln mit einem Kreuz markiert hatte. Dies schließt das Landgericht aus den Bekundungen von Zeugen, wonach die Geschädigte zuweilen Haschisch und Marihuana konsumiert , entsprechend markierte Zigarettenschachteln „zur Aufbewahrung weicher Drogen genutzt“ und „noch im Jahre 1994 gelegentlich Zigarettenschachteln mit einem Kreuz markiert“ habe. Außerdem „war die markierte Zigarettenpackung vom Tatort erst sieben Monate nach der Trennung der Eheleute W. - im Oktober 1996 - in den Handel gelangt“. „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nichts gewusst zu haben , auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte". Die Strafkammer hat dann noch ausgeschlossen , dass der Angeklagte das in der Tüte befindliche Amphetamin „unterschieben“ wollte, um anschließend nach einer „inszenierten“ Aufdeckung eines vermeintlichen Betäubungsmittelbesitzes seiner Frau im Scheidungsverfahren die von ihm gewünschte Ausweitung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn zu erreichen, zumal es hierzu keines nächtlichen Besuches bedurft hätte.
30
b) Hinsichtlich der DNA-Spuren, die vom Angeklagten stammten bzw. herrühren können, hat die Strafkammer jeweils angenommen, dass der Angeklagte diese Spuren zu anderer Zeit ohne Bezug zur Tat hinterlassen haben kann. Die Einweghandschuhe konnte er schon früher benutzt haben. Mit dem Wollschal und mit der Jeanshose konnte er aufgrund familiärer Kontakte ebenfalls auf andere Art und Weise vorher in Berührung gekommen sein.
31
c) Da die in den abgerissenen Fingerteilen der Einweghandschuhe sichergestellte DNA-Mischspur Merkmale von drei beziehungsweise vier Men- schen, darunter von einer nicht bekannten Person enthalte und zudem nicht jede Berührung zur Hinterlassung von Hautpartikeln führen müsse - so die sachverständig beratene Strafkammer -, kommen weitere, auch unbekannte Personen als Täter in Betracht.
32
d) Einen Schlüssel zur einmal auch von ihm genutzten Wohnung in der E. straße hatte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht mehr.
33
e) Die - wechselnde - Erklärung des Angeklagten zu den nassen Kleidungsstücken in der Badewanne (Hantieren mit Heizöl oder Duschen) nimmt die Strafkammer hin.
34
f) Im Aussageverhalten des Angeklagten - behaupteter Besuch beim Sohn K. in der E. straße , Widerruf von Angaben in der ersten Hauptverhandlung - sieht die Strafkammer sein Bestreben, einer erneuten - falschen - Verurteilung zu entgehen, weshalb er auch Zuflucht zu falschen Einlassungen genommen haben mag.
35
g) Dem im Mai 1997 abgelegten und dann widerrufenen Pauschalgeständnis maß die Strafkammer keine belastende Beweisbedeutung zu. Die ergänzenden Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen waren falsch oder widersprüchlich. Das Landgericht folgt der Einlassung des Angeklagten, dass er dieses falsche Geständnis seinerzeit abgegeben habe, „weil er endlich Ruhe vor den Ermittlungsbehörden habe haben wollen und im Übrigen auf ein mildes Urteil gehofft habe“.
36
2. Mit dem Inhalt des in „H. s Tagebuch“ zitierten Brief, d.h. mit dem Satz „Wenn sie sagt, 'ja, er war’s' bin ich für Jahre im Knast“, hat sich die Strafkammer mit keinem Wort auseinandergesetzt, sie hat ihn nicht erwähnt.

IV.


37
1. Die Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.
38
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil das Instanzgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Der Prüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NJW 2005, 1727; BGH, Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03 -; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jeweils m.w.N.). Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen wurde, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BGH NJW 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147, 148).
39
Gemessen an diesen Grundsätzen zeigen sich durchgreifende Mängel in der Beweiswürdigung des Landgerichts:
40
a) Die Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Täter während der verbalen Auseinandersetzung spontan zur Tötung von A. Z. entschlossen hat. Mit der Möglichkeit einer schon früher geplanten, jedenfalls für den Fall des Eintritts bestimmter Umstände schon zuvor ins Auge gefassten Tat, setzt sich die Strafkammer in der Beweiswürdigung nicht auseinander. Die Erörterung dieser Variante hätte sich jedoch aufgedrängt. Denn konkrete Anhaltspunkte für eine Spontantat hat die Strafkammer nicht festgestellt. Allein aus der ausgestoßenen Drohung „Ich bring’ dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden. Demgegenüber kann die Verwendung von Einweghandschuhen nach der Bewertung durch den Sachverständigen KHK D. in seiner Fallanalyse in den vom Landgericht festgestellten Tatablauf nicht ohne weiteres eingepasst werden. Der Charakter der Tat als eskaliertes soziales Geschehen spreche dagegen, dass der Täter Handschuhe überlegt vor dem Angriff auf das Opfer angelegt habe. Dies liegt an sich auf der Hand. Gleichwohl meint das Landgericht lapidar: „Diesem - keinesfalls zwingenden - Schluss des Sachverständigen schließt sich die Kammer jedoch aufgrund der bereits dargelegten Beweisergebnisse nicht an“. Die gebotene Erörterung der zumindest ebenso nahe liegenden Möglichkeit einer geplanten Tat hätte jedoch die übrigen Beweisumstände in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen können.
41
b) In der Konsequenz dieser verkürzten Sichtweise unterlässt das Landgericht die gebotene Erörterung eines weiteren Punktes: Die Strafkammer schließt zwar - von ihrem Standpunkt aus - ohne Rechtsfehler aus, dass der Angeklagte die Absicht hatte, der Geschädigten die Amphetamine mitten in der Nacht „unterzuschieben“, um so Vorteile im Streit um das Umgangsrecht mit K. zu gewinnen. Das Landgericht erörtert aber nicht die bei einer geplanten Tat nahe liegende Möglichkeit, dass mit dem Betäubungsmittel eine falsche Spur hinsichtlich des potentiellen Täterkreises gelegt werden sollte.
42
c) Grundlage der verkürzten Sicht der Strafkammer ist, dass sie „aufgrund der mit einem Kreuz markierten Marlboroschachtel [davon ausgeht], dass sich die am Tatort sichergestellte weiße Kunststofftüte der Stadtapotheke P. früher im Besitz von A. Z. befand“; „es war nicht der Angeklagte , der diese Tüte in der Tatnacht in das Tatortanwesen brachte“. Die Feststellung , die Zigarettenschachteln und das Amphetamin stammten von A. Z. , beruht jedoch ihrerseits auf einer fehlerhaften (lückenhaften) Beweiswürdigung , da wesentliche Aspekte unerörtert geblieben sind.
43
Für die Strafkammer folgt der Besitz der Geschädigten an den Zigarettenschachteln und am Amphetamin aus den Angaben von Zeugen, wonach A. Z. Rauschmittel konsumierte und dieses in mit Kreuzen gekennzeichneten Zigarettenschachteln verwahrte. Erwähnt, aber nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat die Strafkammer, dass die entsprechenden Beobachtungen spätestens im Jahre 1994/Januar 1995 endeten und sich die Bekundungen , soweit sie glaubhaft waren, nur auf den - gelegentlichen - Konsum von Marihuana und Haschisch bezogen, nicht aber auf Amphetamine. Mit der Variante, der Angeklagte könnte in Kenntnis der (früheren) Übung seiner Frau die Zigarettenschachtel - als Täter - zu Täuschungszwecken selbst entspre- chend vorbereitet haben, setzt sich die Strafkammer bei weitem nicht erschöpfend auseinander: „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte.“ Die - nur nebenbei erwähnte - Einlassung des Angeklagten, er habe die Angewohnheit seiner Frau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nicht gekannt, hätte den Feststellungen nicht ohne genaueres Hinterfragen zugrunde gelegt werden dürfen. Denn das Gegenteil liegt nahe, wenn diese Gewohnheit selbst im Bekanntenkreis nicht verborgen blieb. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten allein seinen Angaben folgend eher fern liegende Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind. In diesem Zusammenhang hätte es auch nahe gelegen, den Fragen nachzugehen, ob der Angeklagte selbst Betäubungsmittel konsumierte, ob er in den Wochen vor der Tat Kontakt zu Betäubungsmittelhändlern hatte, ob er rauchte, gegebenenfalls welche Marke. Fanden sich Zigarettenschachteln in der Wohnung des Angeklagten, waren - gegebenenfalls - bei diesen dann die Cellophan-Umverpackungen noch vorhanden? Nutzte er sie als Behältnisse auch für andere Dinge?
44
Dass die Geschädigte, sofern sie die Plastiktüte bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung mitnahm, damit dann noch zwei Mal umzog, bewertet die Strafkammer ebenfalls nicht.
45
d) Die Strafkammer würdigt weiter nicht, dass es außer dem Angeklagten und dem Tatopfer keine Person gibt, die Spuren an den Innenseiten beider ab- gerissener Fingerteile, die von beiden Einmalhandschuhen stammen, hinterlassen hat.
46
e) Dass die vom Täter verwendeten Vinyleinmalhandschuhe aus einer vom Tatopfer selbst in ihrer Wohnung verwahrten Kunststofftüte entnommen worden seien, folgert die Strafkammer auch daraus, dass sich A. Z. zuordenbare DNA-Spuren an der Innenseite der aufgefundenen Fingerteile fanden. „Dies lasse den Schluss zu, …. dass das Opfer die Handschuhe bereits vor der Tat in Besitz gehabt und selbst getragen habe.“ Dies ist zwar für sich betrachtet ein grundsätzlich möglicher und dann revisionsrechtlich hinzunehmender Schluss. Hier hätte es aber der Erörterung bedurft, warum die Strafkammer damit inzident die bloße Verschleppung von Hautepithelzellen des Opfers ausschließt, eine Möglichkeit, die sie hinsichtlich der DNA-Spuren anderer Personen in den Fingerteilen selbst anspricht.
47
f) Selbst wenn es sich um eine Spontantat handelte und die Tüte, aus der der Täter die Einweghandschuhe entnahm, sich schon längere Zeit im Besitz der Geschädigten befand, war dem Angeklagten die Existenz der Plastikhandschuhe in der Tüte jedenfalls bekannt, während dies bei anderen potentiellen Tätern eher fern liegt. Ihm war damit ein rascher Zugriff am ehesten möglich. Dies könnte auch bei einer Spontantat für seine Täterschaft sprechen, was jedenfalls der Erörterung bedurft hätte.
48
g) Bei der Bewertung der in der Badewanne des Angeklagten am 29. April 1997 vorgefundenen Kleidungsstücke lässt die Strafkammer unerörtert, dass der Nässegrad zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur schwer mit seiner ursprünglichen Einlassung vereinbar ist, wonach er diese am Tag vor der Tat (bis 16.00 Uhr) wegen Heizölgeruchs „oberflächlich ausgewaschen“ hat. Vor diesem Hintergrund könnte die neue, in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim vorgetragene Einlassung, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die Kleidungsstücke ausgewaschen habe oder ob sie, nachdem er sie wegen ihres Geruchs in die Badewanne gelegt hatte, beim Haare waschen oder Duschen nass geworden sind, in einem anderen Licht erscheinen. Auch dies hätte der Erörterung bedurft.
49
2. Erfolg hat neben der Sachrüge - rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung - auch die von der Nebenklägerin - der Sache nach - zulässig erhobene Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO, Nichtverwertung des gemäß § 249 Abs. 2 StPO als Inhalt von „H. s Tagebuch“ eingeführten Briefes (Original in Ordner III Seite 139) des Angeklagten, den er „über Umwege“ an seine Freundin C. schicken wollte. Mit der Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden , dass eine verlesene Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei (BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 30; Wahl, Prüfung des rechtlichen Gehörs durch das Revisionsgericht, Sonderheft G. Schäfer S. 73 f.). Dass der Beschwerdeführer seine Beanstandung im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich. Denn ein Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift - wie hier - deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn und Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist; eine Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift ist nicht erforderlich (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 - 5 StR 62/06 - Rdn. 7; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 72; Kuckein in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 19; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 344 Rdn. 10). In der Revisionsbegründung werden die tatsächlichen Grundlagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen. Dies genügt den Anforderungen des § 344 Abs.2 Satz 2 StPO. Weitergehender Ausführungen bedarf es nicht (§ 352 Abs. 2 StPO). In der Revisionshauptverhandlung hat der Nebenklägervertreter auf Nachfrage bestätigt, dass er mit seiner Revisionsbegründung die fehlende Verwertung des verlesenen Tagebuchabschnitts beanstanden wollte - Rüge der Verletzung des § 261 StPO -.
50
Mit diesem Beweismittel von erheblichem Gewicht, mit dem entscheidenden Satz dieses Briefes „Wenn sie sagt, 'ja ich war’s’ bin ich für Jahre im Knast.“ hätte sich die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung auseinandersetzen müssen. Denn Anhaltspunkte dafür, die Geschädigte könnte den Angeklagten zu Unrecht belasten, wenn er nicht der Täter ist, und dass sie damit den wahren Angreifer vor Verfolgung schützen wollte, sind nach dem Inhalt der Urteilsgründe nicht ersichtlich, auch nicht dafür, dass der Angeklagte dies hätte befürchten müssen. Diese schriftliche Äußerung des Angeklagten könnte auch sein widerrufenes Pauschalgeständnis während seiner polizeilichen Vernehmung in einem anderen Licht erscheinen lassen. Dies hätte dann jedenfalls der Erörterung bedurft, wobei dann auch das sonstige Aussageverhalten (Offenbarung von Täterwissen?) zu bewerten gewesen wäre.
51
Dass die Beweisbedeutung dieses den Angeklagten erheblich belastenden Satzes im Lauf der Hauptverhandlung vor der Strafkammer für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich entfallen sein könnte, so dass es einer Erörterung in den Urteilsgründen nicht mehr bedurft hätte, kann bei der Bedeutung dieses Beweismittels hier ausgeschlossen werden.
52
3. Der Senat vermag deshalb nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Vermeidung der aufgezeigten Fehler anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Nack Wahl Boetticher
Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 252/08
vom
19. August 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. August 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Januar 2008 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. a) Der Angeklagte schoss nach einem Streit mit einem Türsteher im Eingangsbereich einer Diskothek mit einer halbautomatischen Selbstladepistole der Marke Ceska, Kal. 9 mm, auf einen Glasschaukasten, der an einer Wand unweit des Eingangs der Diskothek angebracht war. Die Zeugin T. , die gerade im Begriff war, die Diskothek zu verlassen, erlitt durch "abgeprallte Pro- jektilteile oder zersplittertes, herumfliegendes Glas" eine blutende Verletzung an der Stirn. Einen weiteren Schuss, den kurz darauf der Mitangeklagte G. aus derselben Waffe in die Decke über dem Eingangsbereich der Diskothek abgab und der in ähnlicher Weise zu Verletzungen der Zeuginnen F. und S. führte, hat das Landgericht dem Angeklagten nicht zugerechnet.
3
Es hat festgestellt, dass sich der Angeklagte bei den durch den Schuss des Mitangeklagten verletzten Zeuginnen F. und S. entschuldigt und ihnen darüber hinaus jeweils 1.000 Euro Schmerzensgeld bezahlt habe. Bei der Zeugin T. , die durch seine Tathandlung geschädigt wurde, habe er sich lediglich entschuldigt.
4
Seiner Strafzumessung hat das Landgericht den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt und bei Bemessung der Strafe u. a. die vom Angeklagten an die Zeuginnen F. und S. geleisteten Schmerzensgeldzahlungen mildernd berücksichtigt. Die Voraussetzungen des § 46 a Abs. 1 StGB und eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB hat es jedoch mit der Begründung verneint, der Angeklagte habe an die von ihm verletzte Zeugin T. kein Schmerzensgeld gezahlt und sich ihr gegenüber auch nicht um Wiedergutmachung bemüht.
5
b) Mit seiner auf § 261 StPO gestützten Verfahrensbeschwerde wendet sich der Angeklagte gegen die Ablehnung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nach § 46 a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
6
Die Rüge ist zulässig und begründet. Die Revision macht zu Recht geltend , dass in der Hauptverhandlung verlesene Urkunden unvollständig im Urteil gewürdigt worden sind (vgl. BGHR StPO § 261, Inbegriff der Verhandlung 15; BGH StV 1993, 459). Sie trägt zutreffend vor, dass ausweislich des gemäß § 249 Abs. 1 StPO verlesenen Schreibens des Instanzverteidigers vom 21. Januar 2008 der Angeklagte der Zeugin T. über seinen Verteidiger die Zahlung eines bereits hinterlegten Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000 Euro angeboten hat.
7
Der nicht aufgelöste Widerspruch zwischen dem Inhalt dieses Schriftstücks und den Urteilsgründen entzieht der Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich gegenüber der Zeugin T. nicht um Wiedergutmachung bemüht, die Grundlage. Mit Blick auf zwei weitere, ebenfalls in der Hauptverhandlung verlesene Schreiben, die an die Zeugin F. gerichtet waren , ist vielmehr zu besorgen, dass der Strafkammer hinsichtlich der Adressatinnen der Wiedergutmachungsangebote bzw. hinsichtlich erfolgter Schmerzensgeldzahlungen ein Irrtum unterlaufen ist, mithin die Ablehnung eines TäterOpfer -Ausgleichs nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 StGB auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruht.
8
2. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt demgegenüber zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist insbesondere die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe durch seine Tat nicht nur die Tatmodalität des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt, sondern die Körperverletzung auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB herbeigeführt, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Becker Miebach Pfister
von Lienen Sost-Scheible

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 180/06
vom
16. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
12. Oktober 2006 in der Sitzung am 16. Oktober 2006, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 6. Oktober 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten am 16. Januar 1998 wegen versuchten Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. August 1998. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat nunmehr das Landgericht Mannheim das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Januar 1998 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wenden sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin mit Rügen der Verletzung materiellen und formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist nicht frei von Rechtsfehlern. Erfolg hat auch eine Verfahrensrüge (Verstoß gegen § 261 StPO) der Nebenklägerin. Auf die weiteren Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

I.


2
Dem Angeklagten H. W. wird vorgeworfen, seine Ehefrau A. , geborene Z. , von der er getrennt lebte, in den frühen Morgenstunden des 29. April 1997 - zwischen 2.00 Uhr und 3.00 Uhr - in deren Wohnung mit einem Schal stranguliert und so versucht zu haben, sie zu töten.
3
1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:
4
A. W. , nach Scheidung der Ehe - und deshalb auch im Folgenden - wieder Z. , war am 7. März 1996 aus der ehelichen Wohnung in der B. straße in G. ausgezogen. Sie wohnte schließlich - seit Februar 1997 - in der Erdgeschosswohnung des elterlichen Reihenhauses in der E. straße in Bi. . Ihr Vater, Wo. Z. , übernachtete häufig in der darunter liegenden Einliegerwohnung. In dieser Souterrainwohnung hatten auch der Angeklagte und seine Frau zu Beginn ihrer Ehe kurzfristig - von September bis Weihnachten 1994 - gewohnt. Erneut hatte die Geschädigte dort unmittelbar nach der Trennung vorübergehend - von März bis Mai 1996 - Unterschlupf gefunden. Die Wohnungen sind durch die Kellertreppe verbunden.
5
Im Schlafzimmer der Erdgeschosswohnung hatte sich A. Z. in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1997 zu Bett begeben, einem Doppelbett in dem auch der damals zwei Jahre und einen Monat alte gemeinsame Sohn K. schlief. Spätestens kurz vor 2.18 Uhr betrat eine der Geschädigten bekannte männliche Person die Wohnung. Zugang hatte sich der Mann entweder mit Hilfe eines Schlüssels verschafft oder er war von A. Z. selbst eingelassen worden. Ein Einbruch scheidet aus. Im Wohnzimmer kam es zu einem Streit, in deren Verlauf der Mann laut und erregt drohte: „Ich bring’ dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ A. Z. erwiderte mit weinerlicher, wimmernder Stimme: „Was willsch’en von mir - i heb dir doch nix getan!" In dieser Zeit - so die Strafkammer - entschloss sich der Besucher , A. Z. , die sich zwischenzeitlich in ihr Schlafzimmer begeben hatte, zu töten. Der Mann zog sich zwei aus einer Plastiktüte entnommene Vinyleinweghandschuhe über und schlang einen Wollschal aus der Wohnung der Geschädigten um deren Hals, zog dessen Enden mindestens zwei Minuten lang kräftig zusammen, bis A. Z. , die sich wehrte, das Bewusstsein verlor. Der Täter schleppte sein Opfer in den Flur. Dann wurde er vom Vater der Geschädigten gestört, der an diesem Tag in der darunter befindlichen Einliegerwohnung übernachtete. Um 2.34 Uhr war er durch Poltergeräusche, als deren Ursache er Möbelrücken im Zusammenhang mit laufenden Renovierungsarbeiten seiner Tochter vermutete, geweckt worden und wollte sich bei seiner Tochter über diese nächtliche Störung beschweren, weshalb er die Treppe zur Erdgeschosswohnung hoch stieg. Dem Täter gelang es jedoch, die Kellertüre der Wohnung der Geschädigten zuzuschlagen und durch die Haupteingangstür der Erdgeschosswohnung unerkannt zu entkommen. Wo. Z. befreite seine Tochter von der Strangulation. A. Z. überlebte zwar. Aufgrund der zeitweisen Unterbrechung der Blutzufuhr und damit der Sauerstoffversorgung des Gehirns wurden dessen Nervenzellen jedoch dauerhaft so schwer und weitreichend geschädigt, dass sich die heutige Hirnfunktion im Wesentlichen auf vegetative Funktionen beschränkt.
6
Die Strafkammer vermochte sich nicht mit der für die Verurteilung notwendigen Sicherheit davon zu überzeugen, dass der Angeklagte der nächtliche Besucher und damit der Täter war.

II.


7
Zu den Grundlagen des Tatverdachts:
8
1. A. Z. konnte zur Aufklärung der Tat nichts mehr beitragen. Sie ist aufgrund der erlittenen Schädigungen nicht mehr in der Lage, Sachverhalte aufzunehmen, sinnvoll zu verarbeiten und hierauf zu reagieren. Kommunikation , sei es sprachlich, schriftlich oder auch nur mimisch ist mit ihr nicht mehr möglich.
9
2. Der zur Tatzeit zweijährige Sohn K. W. hat aus entwicklungspsychologischen Gründen (kindliche Amnesie) keine Erinnerung mehr an die damaligen Geschehnisse und entfiel damit für die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ebenfalls als geeigneter Zeuge.
10
3. Auf den Angeklagten fiel der Tatverdacht insbesondere aufgrund folgender Erkenntnisse:
11
A) Den Gründen des angefochtenen Urteils des Landgerichts Mannheim ist dazu zu entnehmen:
12
a) Es war ein Mann, der A. Z. zu töten versuchte.
13
b) Der Täter war mit der Geschädigten bekannt. Eine Beziehungstat lag nahe. Die Geschädigte betrieb die Scheidung. In diesem Zusammenhang kam es zu Auseinandersetzungen, insbesondere über das Umgangsrecht des Angeklagten mit dem Sohn K. . Dies hätte Anlass zu auch körperlichen Angriffen geben können.

14
c) Am Tatort fanden sich zwei Finger von Vinyleinweghandschuhen, einer im Bett von A. Z. , einer im Flur. Sie stammen von zwei Einweghandschuhen unterschiedlicher Größe, die der Täter bei der Tat trug, und wurden beim Kampf - das Doppelbett wurde verschoben - zwischen dem Täter und der Geschädigten abgerissen. Denn an der Außenseite beider Teile fanden sich ausschließlich DNA-Anhaftungen, die von der Geschädigten stammen. An der Innenseite der Fingerteile wurde jeweils eine DNA-Mischspur gesichert, die Merkmale von mehreren, auch unbekannten Personen enthalten. Nur die DNA des Angeklagten und der Geschädigten konnte in beiden Fingern festgestellt werden. In einem der abgerissenen Handschuhfinger (der im Flur) waren sämtliche Merkmale der DNA des Angeklagten zu finden.
15
d) Der Angeklagte trägt wegen der Schmerzempfindlichkeit zweier teilamputierter Finger im Alltagsleben häufig Einwegplastikhandschuhe, über die er in seiner Wohnung auch in großer Zahl verfügte.
16
e) Am Tatort fand sich im Flur eine Plastiktüte, stammend von der Stadtapotheke P. , darin ein olivfarbenes Dreieckshalstuch, ein Baumwolltaschentuch , ein Latexeinmalhandschuh, vier Vinyleinweghandschuhe, eine Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro-Lights“ mit sieben Gramm Amphetamin, verpackt in sieben verschweißten Plastiktütchen, sowie eine rote Zigarettenschachtel der Marke „Marlboro“, die auf der Vorder- und Rückseite jeweils von Hand mit einem Kreuz markiert war und drei aufgeschnittene und wieder verklebte Folienbeutel aus Cellophan-Umverpackungen von Zigarettenschachteln enthielt. Das Dreieckshalstuch, das Baumwolltaschentuch und die Vinyleinweghandschuhe stammen - so wurde festgestellt - aus dem Haushalt des Angeklagten.

17
f) An den Enden des zur Strangulierung verwendeten Wollschals fanden sich DNA-Mischspuren. Auch hier kommt der Angeklagte als Miturheber in Betracht.
18
g) An einer Jeanshose der Geschädigten, die am Tatort - im Flur auf dem Boden liegend - sichergestellt wurde, fand sich eine DNA-Mischspur. Der Angeklagte kommt als Mitverursacher in Betracht.
19
h) Als die Wohnung des Angeklagten am Tattag durchsucht wurde, fanden sich im Badezimmer - in der Badewanne ausgebreitet - ein T-Shirt und eine Jogginghose, die noch nass waren.
20
i) Während des Ermittlungsverfahrens legte der Angeklagte am 13. Mai 1997 den Ermittlungsbeamten der Polizei gegenüber ein pauschales Geständnis ab. Zu Einzelheiten befragt verwickelte er sich allerdings in Widersprüche. Der Angeklagte widerrief sein Geständnis alsbald wieder, es habe sich um ein „Gefälligkeitsgeständnis“ gehandelt, zu dem Mitgefangene ihm geraten hätten.
21
j) Des weiteren ergaben sich während der - neuen - Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim folgende belastende Aspekte:
22
aa) Der Angeklagte behauptete (erstmals), er habe seinen Sohn an dessen zweitem Geburtstag am 6. März 1997 in der E. straße besucht. Dieser Besuch sei harmonisch verlaufen. Er habe mit K. gespielt und mit ihm unter anderem - zusammen mit A. Z. - Blumenzwiebeln im Garten des Anwesens gepflanzt. Bei dieser Gelegenheit habe er wie üblich zum Schutz seiner kälteempfindlichen, teilamputierten Finger Einmalhandschuhe getragen. Diese habe er anschließend im Anwesen E. straße auf dem gemauerten Grill der Terrasse zurückgelassen. Dieser Besuch fand nach den Feststellungen des Landgerichts tatsächlich nicht statt. K. war an seinem zweiten Geburtstag krank, da er tags zuvor eine Erdnuss verschluckt hatte, die im Krankenhaus aus dem linken Hauptbronchus entfernt worden war.
23
bb) Darüber hinaus hat der Angeklagte Teile seiner Einlassung vor dem Landgericht Karlsruhe wahrheitswidrig widerrufen. So stellte er beispielsweise erstmals in der neuen Hauptverhandlung in Abrede, jemals ein olivfarbenes Dreieckshaltstuch, wie es am Tatort in der weißen Kunststofftüte aufgefunden wurde, besessen zu haben. Dies ist nach den Feststellungen der Strafkammer widerlegt.
24
B) Hinzu kommt ein weiterer Umstand, der in den Urteilsgründen zwar nicht erwähnt ist, dem Revisionsgericht aber in der Revisionsbegründungsschrift der Nebenklägerin mitgeteilt wird. Danach war Gegenstand der Hauptverhandlung das im Internet veröffentlichte Dokument „H. s Tagebuch“ (eingeführt im Wege des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 StPO), unter anderem mit folgendem Eintrag zum Inhalt eines beschlagnahmten Briefs des Angeklagten an seine damalige Freundin:
25
„Samstag, 03.05.1997 1. Brief an C. (beschlagnahmt) Ich hoffe Du bekommst diesen Brief, wenn es auch über Umwege ist. Scheiß egal. Die wollen mich verurteilen wegen 1. Einbruch, 2. versuchter Mord mit einem B-W-Schal, 3. Drogen. Alle roten Pullis sind sichergestellt worden. Wenn sie sagt, „ja, er war’s“ bin ich für Jahre im Knast. Gestern Mittag habe ich nichts zu essen bekommen (wegen der Fahrt von P nach He. ). Abends, Wurst mit trockenem Brot." (Unterstreichung nur in der Revisionsbegründung)
26
Die Mitteilung dieses Sachverhalts erfolgt zwar im Zusammenhang mit Ausführungen zur Sachrüge. Der Sache nach ist dies jedoch eine - zulässig erhobene - Rüge der Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge).

III.


27
Die Beweiswürdigung der Strafkammer:
28
1. Die Strafkammer hat die oben genannten unter II. 3. A aufgeführten Indizien entweder nicht bestätigt gesehen und im Übrigen als nicht ausreichend zur Überzeugungsbildung hinsichtlich einer Täterschaft des Angeklagten bewertet.
29
a) Die Strafkammer hat insbesondere ausgeschlossen, dass der Täter - dies müsste dann der Angeklagte gewesen sein - die Plastiktüte, aus der er die Einweghandschuhe entnahm, in der Tatnacht mitbrachte, „es war nicht der Angeklagte , der diese Tüte in das Tatortanwesen brachte“. Das Landgericht ist vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass A. Z. die weiße Plastiktüte - derartige Tüten wurden von der Stadtapotheke P. ab Juni 1995 ausgeteilt - mit den vom Angeklagten stammenden Gegenständen, nämlich dem Dreieckstuch, dem Taschentuch sowie den Einweghandschuhen, bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung im März 1996 mitnahm, also schon vor der Tat bei sich verwahrt hatte, und dass sie selbst dann die beiden Zigarettenschachteln und das Amphetamin in die Tüte legte. Denn die Zigarettenschachteln stammten - so hat die Strafkammer festgestellt - nicht vom Ange- klagten, sondern von der Geschädigten, die eine der Schachteln mit einem Kreuz markiert hatte. Dies schließt das Landgericht aus den Bekundungen von Zeugen, wonach die Geschädigte zuweilen Haschisch und Marihuana konsumiert , entsprechend markierte Zigarettenschachteln „zur Aufbewahrung weicher Drogen genutzt“ und „noch im Jahre 1994 gelegentlich Zigarettenschachteln mit einem Kreuz markiert“ habe. Außerdem „war die markierte Zigarettenpackung vom Tatort erst sieben Monate nach der Trennung der Eheleute W. - im Oktober 1996 - in den Handel gelangt“. „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nichts gewusst zu haben , auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte". Die Strafkammer hat dann noch ausgeschlossen , dass der Angeklagte das in der Tüte befindliche Amphetamin „unterschieben“ wollte, um anschließend nach einer „inszenierten“ Aufdeckung eines vermeintlichen Betäubungsmittelbesitzes seiner Frau im Scheidungsverfahren die von ihm gewünschte Ausweitung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn zu erreichen, zumal es hierzu keines nächtlichen Besuches bedurft hätte.
30
b) Hinsichtlich der DNA-Spuren, die vom Angeklagten stammten bzw. herrühren können, hat die Strafkammer jeweils angenommen, dass der Angeklagte diese Spuren zu anderer Zeit ohne Bezug zur Tat hinterlassen haben kann. Die Einweghandschuhe konnte er schon früher benutzt haben. Mit dem Wollschal und mit der Jeanshose konnte er aufgrund familiärer Kontakte ebenfalls auf andere Art und Weise vorher in Berührung gekommen sein.
31
c) Da die in den abgerissenen Fingerteilen der Einweghandschuhe sichergestellte DNA-Mischspur Merkmale von drei beziehungsweise vier Men- schen, darunter von einer nicht bekannten Person enthalte und zudem nicht jede Berührung zur Hinterlassung von Hautpartikeln führen müsse - so die sachverständig beratene Strafkammer -, kommen weitere, auch unbekannte Personen als Täter in Betracht.
32
d) Einen Schlüssel zur einmal auch von ihm genutzten Wohnung in der E. straße hatte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht mehr.
33
e) Die - wechselnde - Erklärung des Angeklagten zu den nassen Kleidungsstücken in der Badewanne (Hantieren mit Heizöl oder Duschen) nimmt die Strafkammer hin.
34
f) Im Aussageverhalten des Angeklagten - behaupteter Besuch beim Sohn K. in der E. straße , Widerruf von Angaben in der ersten Hauptverhandlung - sieht die Strafkammer sein Bestreben, einer erneuten - falschen - Verurteilung zu entgehen, weshalb er auch Zuflucht zu falschen Einlassungen genommen haben mag.
35
g) Dem im Mai 1997 abgelegten und dann widerrufenen Pauschalgeständnis maß die Strafkammer keine belastende Beweisbedeutung zu. Die ergänzenden Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen waren falsch oder widersprüchlich. Das Landgericht folgt der Einlassung des Angeklagten, dass er dieses falsche Geständnis seinerzeit abgegeben habe, „weil er endlich Ruhe vor den Ermittlungsbehörden habe haben wollen und im Übrigen auf ein mildes Urteil gehofft habe“.
36
2. Mit dem Inhalt des in „H. s Tagebuch“ zitierten Brief, d.h. mit dem Satz „Wenn sie sagt, 'ja, er war’s' bin ich für Jahre im Knast“, hat sich die Strafkammer mit keinem Wort auseinandergesetzt, sie hat ihn nicht erwähnt.

IV.


37
1. Die Revisionen haben mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.
38
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn ein Angeklagter deshalb freigesprochen wird, weil das Instanzgericht Zweifel an der Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Der Prüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NJW 2005, 1727; BGH, Urteil vom 16. März 2004 - 5 StR 490/03 -; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jeweils m.w.N.). Ein Rechtsfehler kann auch darin liegen, dass eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen wurde, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen könnten. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. BGH NJW 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147, 148).
39
Gemessen an diesen Grundsätzen zeigen sich durchgreifende Mängel in der Beweiswürdigung des Landgerichts:
40
a) Die Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Täter während der verbalen Auseinandersetzung spontan zur Tötung von A. Z. entschlossen hat. Mit der Möglichkeit einer schon früher geplanten, jedenfalls für den Fall des Eintritts bestimmter Umstände schon zuvor ins Auge gefassten Tat, setzt sich die Strafkammer in der Beweiswürdigung nicht auseinander. Die Erörterung dieser Variante hätte sich jedoch aufgedrängt. Denn konkrete Anhaltspunkte für eine Spontantat hat die Strafkammer nicht festgestellt. Allein aus der ausgestoßenen Drohung „Ich bring’ dich um, ich schlag dich tot - mit mir kannsch du des nett machen!“ kann dies jedenfalls nicht geschlossen werden. Demgegenüber kann die Verwendung von Einweghandschuhen nach der Bewertung durch den Sachverständigen KHK D. in seiner Fallanalyse in den vom Landgericht festgestellten Tatablauf nicht ohne weiteres eingepasst werden. Der Charakter der Tat als eskaliertes soziales Geschehen spreche dagegen, dass der Täter Handschuhe überlegt vor dem Angriff auf das Opfer angelegt habe. Dies liegt an sich auf der Hand. Gleichwohl meint das Landgericht lapidar: „Diesem - keinesfalls zwingenden - Schluss des Sachverständigen schließt sich die Kammer jedoch aufgrund der bereits dargelegten Beweisergebnisse nicht an“. Die gebotene Erörterung der zumindest ebenso nahe liegenden Möglichkeit einer geplanten Tat hätte jedoch die übrigen Beweisumstände in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen können.
41
b) In der Konsequenz dieser verkürzten Sichtweise unterlässt das Landgericht die gebotene Erörterung eines weiteren Punktes: Die Strafkammer schließt zwar - von ihrem Standpunkt aus - ohne Rechtsfehler aus, dass der Angeklagte die Absicht hatte, der Geschädigten die Amphetamine mitten in der Nacht „unterzuschieben“, um so Vorteile im Streit um das Umgangsrecht mit K. zu gewinnen. Das Landgericht erörtert aber nicht die bei einer geplanten Tat nahe liegende Möglichkeit, dass mit dem Betäubungsmittel eine falsche Spur hinsichtlich des potentiellen Täterkreises gelegt werden sollte.
42
c) Grundlage der verkürzten Sicht der Strafkammer ist, dass sie „aufgrund der mit einem Kreuz markierten Marlboroschachtel [davon ausgeht], dass sich die am Tatort sichergestellte weiße Kunststofftüte der Stadtapotheke P. früher im Besitz von A. Z. befand“; „es war nicht der Angeklagte , der diese Tüte in der Tatnacht in das Tatortanwesen brachte“. Die Feststellung , die Zigarettenschachteln und das Amphetamin stammten von A. Z. , beruht jedoch ihrerseits auf einer fehlerhaften (lückenhaften) Beweiswürdigung , da wesentliche Aspekte unerörtert geblieben sind.
43
Für die Strafkammer folgt der Besitz der Geschädigten an den Zigarettenschachteln und am Amphetamin aus den Angaben von Zeugen, wonach A. Z. Rauschmittel konsumierte und dieses in mit Kreuzen gekennzeichneten Zigarettenschachteln verwahrte. Erwähnt, aber nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat die Strafkammer, dass die entsprechenden Beobachtungen spätestens im Jahre 1994/Januar 1995 endeten und sich die Bekundungen , soweit sie glaubhaft waren, nur auf den - gelegentlichen - Konsum von Marihuana und Haschisch bezogen, nicht aber auf Amphetamine. Mit der Variante, der Angeklagte könnte in Kenntnis der (früheren) Übung seiner Frau die Zigarettenschachtel - als Täter - zu Täuschungszwecken selbst entspre- chend vorbereitet haben, setzt sich die Strafkammer bei weitem nicht erschöpfend auseinander: „Die Kammer hat weiter keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung unwiderlegt erklärt hat, von der Eigenart seiner geschiedenen Ehefrau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren nichts gewusst zu haben, auf sonstige Weise in den Besitz der von A. Z. markierten Zigarettenschachteln gekommen sein könnte.“ Die - nur nebenbei erwähnte - Einlassung des Angeklagten, er habe die Angewohnheit seiner Frau, Zigarettenschachteln gelegentlich mit einem Kreuz zu markieren, nicht gekannt, hätte den Feststellungen nicht ohne genaueres Hinterfragen zugrunde gelegt werden dürfen. Denn das Gegenteil liegt nahe, wenn diese Gewohnheit selbst im Bekanntenkreis nicht verborgen blieb. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten allein seinen Angaben folgend eher fern liegende Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind. In diesem Zusammenhang hätte es auch nahe gelegen, den Fragen nachzugehen, ob der Angeklagte selbst Betäubungsmittel konsumierte, ob er in den Wochen vor der Tat Kontakt zu Betäubungsmittelhändlern hatte, ob er rauchte, gegebenenfalls welche Marke. Fanden sich Zigarettenschachteln in der Wohnung des Angeklagten, waren - gegebenenfalls - bei diesen dann die Cellophan-Umverpackungen noch vorhanden? Nutzte er sie als Behältnisse auch für andere Dinge?
44
Dass die Geschädigte, sofern sie die Plastiktüte bei ihrem Auszug aus der ehelichen Wohnung mitnahm, damit dann noch zwei Mal umzog, bewertet die Strafkammer ebenfalls nicht.
45
d) Die Strafkammer würdigt weiter nicht, dass es außer dem Angeklagten und dem Tatopfer keine Person gibt, die Spuren an den Innenseiten beider ab- gerissener Fingerteile, die von beiden Einmalhandschuhen stammen, hinterlassen hat.
46
e) Dass die vom Täter verwendeten Vinyleinmalhandschuhe aus einer vom Tatopfer selbst in ihrer Wohnung verwahrten Kunststofftüte entnommen worden seien, folgert die Strafkammer auch daraus, dass sich A. Z. zuordenbare DNA-Spuren an der Innenseite der aufgefundenen Fingerteile fanden. „Dies lasse den Schluss zu, …. dass das Opfer die Handschuhe bereits vor der Tat in Besitz gehabt und selbst getragen habe.“ Dies ist zwar für sich betrachtet ein grundsätzlich möglicher und dann revisionsrechtlich hinzunehmender Schluss. Hier hätte es aber der Erörterung bedurft, warum die Strafkammer damit inzident die bloße Verschleppung von Hautepithelzellen des Opfers ausschließt, eine Möglichkeit, die sie hinsichtlich der DNA-Spuren anderer Personen in den Fingerteilen selbst anspricht.
47
f) Selbst wenn es sich um eine Spontantat handelte und die Tüte, aus der der Täter die Einweghandschuhe entnahm, sich schon längere Zeit im Besitz der Geschädigten befand, war dem Angeklagten die Existenz der Plastikhandschuhe in der Tüte jedenfalls bekannt, während dies bei anderen potentiellen Tätern eher fern liegt. Ihm war damit ein rascher Zugriff am ehesten möglich. Dies könnte auch bei einer Spontantat für seine Täterschaft sprechen, was jedenfalls der Erörterung bedurft hätte.
48
g) Bei der Bewertung der in der Badewanne des Angeklagten am 29. April 1997 vorgefundenen Kleidungsstücke lässt die Strafkammer unerörtert, dass der Nässegrad zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur schwer mit seiner ursprünglichen Einlassung vereinbar ist, wonach er diese am Tag vor der Tat (bis 16.00 Uhr) wegen Heizölgeruchs „oberflächlich ausgewaschen“ hat. Vor diesem Hintergrund könnte die neue, in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mannheim vorgetragene Einlassung, er könne sich nicht mehr erinnern, ob er die Kleidungsstücke ausgewaschen habe oder ob sie, nachdem er sie wegen ihres Geruchs in die Badewanne gelegt hatte, beim Haare waschen oder Duschen nass geworden sind, in einem anderen Licht erscheinen. Auch dies hätte der Erörterung bedurft.
49
2. Erfolg hat neben der Sachrüge - rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung - auch die von der Nebenklägerin - der Sache nach - zulässig erhobene Formalrüge der Verletzung des § 261 StPO, Nichtverwertung des gemäß § 249 Abs. 2 StPO als Inhalt von „H. s Tagebuch“ eingeführten Briefes (Original in Ordner III Seite 139) des Angeklagten, den er „über Umwege“ an seine Freundin C. schicken wollte. Mit der Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden , dass eine verlesene Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei (BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 30; Wahl, Prüfung des rechtlichen Gehörs durch das Revisionsgericht, Sonderheft G. Schäfer S. 73 f.). Dass der Beschwerdeführer seine Beanstandung im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich. Denn ein Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift - wie hier - deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn und Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist; eine Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift ist nicht erforderlich (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; BGH, Urteil vom 23. Mai 2006 - 5 StR 62/06 - Rdn. 7; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 72; Kuckein in Karlsruher Kommentar zur StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 19; Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 344 Rdn. 10). In der Revisionsbegründung werden die tatsächlichen Grundlagen zu dieser Rüge umfassend vorgetragen. Dies genügt den Anforderungen des § 344 Abs.2 Satz 2 StPO. Weitergehender Ausführungen bedarf es nicht (§ 352 Abs. 2 StPO). In der Revisionshauptverhandlung hat der Nebenklägervertreter auf Nachfrage bestätigt, dass er mit seiner Revisionsbegründung die fehlende Verwertung des verlesenen Tagebuchabschnitts beanstanden wollte - Rüge der Verletzung des § 261 StPO -.
50
Mit diesem Beweismittel von erheblichem Gewicht, mit dem entscheidenden Satz dieses Briefes „Wenn sie sagt, 'ja ich war’s’ bin ich für Jahre im Knast.“ hätte sich die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung auseinandersetzen müssen. Denn Anhaltspunkte dafür, die Geschädigte könnte den Angeklagten zu Unrecht belasten, wenn er nicht der Täter ist, und dass sie damit den wahren Angreifer vor Verfolgung schützen wollte, sind nach dem Inhalt der Urteilsgründe nicht ersichtlich, auch nicht dafür, dass der Angeklagte dies hätte befürchten müssen. Diese schriftliche Äußerung des Angeklagten könnte auch sein widerrufenes Pauschalgeständnis während seiner polizeilichen Vernehmung in einem anderen Licht erscheinen lassen. Dies hätte dann jedenfalls der Erörterung bedurft, wobei dann auch das sonstige Aussageverhalten (Offenbarung von Täterwissen?) zu bewerten gewesen wäre.
51
Dass die Beweisbedeutung dieses den Angeklagten erheblich belastenden Satzes im Lauf der Hauptverhandlung vor der Strafkammer für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich entfallen sein könnte, so dass es einer Erörterung in den Urteilsgründen nicht mehr bedurft hätte, kann bei der Bedeutung dieses Beweismittels hier ausgeschlossen werden.
52
3. Der Senat vermag deshalb nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Vermeidung der aufgezeigten Fehler anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Nack Wahl Boetticher
Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 6 7 / 1 3
vom
12. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
12. Dezember 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 6. Februar 2013 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen A. III. 3., 4. und 5. der Urteilsgründe;
b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen A. III. 1., 2. und 8. der Urteilsgründe mit den Feststellungen unter A. II. 5. und 7. der Urteilsgründe sowie den Feststellungen zu den Erwerbsakten betreffend die Gewinnspielprodukte "Ihr Bonusvorteil", "Deutschland Tipp" und "Allianz-Tipp ABO"; die übrigen Feststellungen zu diesen Einzelstrafen werden aufrechterhalten,
c) mit den zugehörigen Feststellungen aa) im Gesamtstrafenausspruch, bb) soweit das Landgericht festgestellt hat, dass ein Betrag von 731.083,46 € nur deshalb nicht dem Verfall unter- liegt, weil Ansprüche Dritter entgegenstehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges in neun Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen und "festgestellt, dass ein Betrag in Höhe von 731.083,46 € nur deshalb nicht dem Verfall unterliegt, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen." Gegen dieses Urteil richtet sich die mit Verfahrensbeanstandungen und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Sogenannte Gewinnspieleintragungsdienste schließen mit Verbrauchern gegen eine monatliche Gebühr Verträge über deren Eintragung bei diversen (kostenlosen) Gewinnspielen, die im Rahmen von Werbeveranstaltungen unterschiedlicher Firmen angeboten werden. Zur Kontaktaufnahme mit den Kunden und zum Abschluss der Verträge bedienen sich die Gewinnspieleintragungsdienste (interner oder externer) Call-Center. Der telefonische Vertragsschluss wird aufgezeichnet, die Aufzeichnung als "Voice-File" in dem Datensatz des Kunden abgespeichert, der ansonsten aus Name, Anschrift, Geburtsdatum, Telefon und Bankverbindung besteht. Dieses Voice-File wird in der Branche - wenn auch rechtlich unzutreffend - darüber hinaus als Erklärung des Kunden verstanden, weiteren Kontaktaufnahmen zu Werbezwecken zuzustimmen. Ebenfalls in diesem Datensatz wird vermerkt, wenn der Kunde die monatlichen Gebühren nicht zahlt, sei es, weil er den Vertrag storniert hat, bereits abgebuchte Gebühren zurückgebucht werden oder Abbuchungsversuche mangels Kontendeckung scheitern. Regelmäßig unternehmen jedoch die Gewinnspieleintragungsdienste keine Bemühungen, etwaige Forderungen tatsächlich geltend zu machen. Vielmehr werden entsprechende Kunden zukünftig lediglich nicht mehr kontaktiert.
4
Diese Untätigkeit der Gewinnspieleintragungsdienste wollte der Angeklagte , der seit November 2008 als Adresshändler selbständig tätig war und dem deshalb die Usancen der Branche geläufig waren, zu eigenen Zwecken nutzen. Als Verantwortlicher seiner eigenen Unternehmen M. und F. handelnd kaufte und übernahm er von acht Personen Kundendatensätze diverser Gewinnspieldienste , wobei er jeweils verschwieg, dass es ihm darum ging, diejenigen Kunden herauszufinden, gegen die Forderungen bestanden, um diese selbst - unter Einschaltung von Inkassounternehmen - geltend zu machen (A. II. 1. bis 8. der Urteilsgründe). Die Geschäftspartner gingen dementsprechend von einem in der Branche üblichen Kauf von Adressdaten aus, der dazu diente, mit den entsprechenden Kunden zu eigenen Zwecken erneut Kontakt aufzunehmen ; hierfür werden üblicherweise zwischen 0,10 € und etwas über 1 € pro Datensatz bezahlt. Forderungen wurden in keinem Fall übertragen.
5
Unter Übermittlung der auf diese Weise erlangten Kundendaten beauftragte der Angeklagte zwischen März und November 2010 acht Inkassounternehmen mit der Geltendmachung der angeblich ihm zustehenden Forderungen (Fälle A. III. 1. bis 4. und 6. bis 9. der Urteilsgründe). In einem weiteren Fall (A. III. 5 der Urteilsgründe) beauftragte der (gutgläubige) Verantwortliche der C. GmbH das Inkassounternehmen; dieser Gesellschaft hatte der Angeklagte zuvor die - angeblich ihm zustehenden - Forderungen zur Eintreibung abgetreten, wobei ihm vertraglich 73,5 % der durch das Inkasso einge- henden Zahlungen zustanden. Um einen Forderungserwerb gegenüber den Inkassounternehmen nachweisen und um auf etwaige Beschwerden von Schuldnern reagieren zu können, benötigte der Angeklagte Schriftstücke, die den von ihm behaupteten Forderungserwerb (scheinbar) belegten. Daher legte er den acht Datenverkäufern im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit und/oder zeitlich nach der Datenübergabe von ihm - zuletzt unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwaltes - gefertigte Dokumente vor, ohne seine wahre Absicht, einen Forderungserwerb zu erzielen, zu offenbaren. Diese Dokumente wurden von den Geschäftspartnern wiederholt unterzeichnet, oftmals ohne von deren genauem Inhalt im Einzelnen Kenntnis zu nehmen.
6
Die Inkassounternehmen versandten gutgläubig jeweils eine Vielzahl von Forderungsschreiben, auf die insgesamt Zahlungen in Höhe von 1.345.437,02 € geleistet wurden. Hiervon überwiesen sie - im Fall A. III. 5. der Urteilsgründe gemittelt über die C. GmbH - 658.591,17 € an den Angeklagten. Weitere 72.492,99 € standen zur Auszahlung an ihn bereit, als sein diesbezüglicher Anspruch von den Ermittlungsbehörden gepfändet wurde.
7
Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als versuchten Betrug in mittelbarer Täterschaft in neun Fällen gewürdigt. Die Inkassounternehmen hätten als gutgläubige Werkzeuge die Verbraucher über die Forderungsinhaberschaft des Angeklagten getäuscht. Da nicht auszuschließen sei, dass die Angeschriebenen, die die Kammer nicht gehört hat, nur gezahlt hätten, um Ruhe vor weiteren, in der Sache als nicht gerechtfertigt erkannten Forderungsschreiben zu haben, sei jeweils nur von einem Versuch auszugehen gewesen.
8
II. Die Revision wendet sich im Umfang der Aufhebung erfolgreich gegen die Feststellung des Landgerichts, es seien in keinem Fall beim Ankauf von Kundendaten auch Forderungen abgetreten worden. Während hinsichtlich zweier Produkte aus dem Komplex A. II. 2. der Urteilsgründe das Urteil auf eine Verfahrensrüge aufzuheben ist, werden die Feststellungen bezüglich anderer Geschäftsvorgänge (Komplexe A. II. 5. und 7. der Urteilsgründe) bzw. eines einzelnen Produkts ("Allianz-Tipp ABO") von der Beweiswürdigung nicht getragen.
9
1. Bezüglich eines etwaigen Erwerbs von Forderungen aus den Produkten "Deutschland Tipp" und "Ihr Bonusvorteil" hat die Revision mit einer Rüge der Verletzung des § 261 StPO Erfolg. Das Landgericht hat sich insoweit nicht mit allen erhobenen Beweisen auseinandergesetzt und daher seine Überzeugung nicht aus dem vollständigen Inhalt der Beweisaufnahme geschöpft. Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
10
In der Hauptverhandlung vom 28. Juni 2012 überreichte die Verteidigung eine E-Mail des Veräußerers P. H. vom 1. Juni 2010 an den Angeklagten , die sodann "allseits in Augenschein genommen wurde". Dieser Nachricht mit dem Text "Hallo W. , anbei die Rechnung mit der Bitte um schnellstmögliche Überweisung. Beste Grüße P. " war eine Rechnung der Firma des P. H. vom selben Tag an das Unternehmen M. des Angeklagten über "Kosten Inkassoauftrag für das Produkt Deutschland Tipp" in Höhe von 1.444,99 EUR beigefügt.
11
a) Die Rüge ist zulässig. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts war der Beschwerdeführer nicht gehalten vorzutragen, weshalb das Beweismittel zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung noch beweiserheblich war. Die Entscheidung, auf die der Generalbundesanwalt Bezug nimmt (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, NJW 2003, 150, 152), betraf eine anders gelagerte Fallkonstellation. Dort ging es um gemäß § 254 StPO verlesene Vernehmungsniederschriften. Die darin enthaltenen Angaben der vernommenen Per- sonen stehen jedoch in unmittelbarer Wechselwirkung zu den Äußerungen dieser Personen in der Hauptverhandlung oder anderer dort erhobener Beweise, weshalb sich (vermeintliche) Widersprüche zwischen den Inhalten der verlesenen Vernehmungsniederschriften sowie zwischen diesen und den Urteilsgründen in der Hauptverhandlung zweifelsfrei geklärt haben können. Dann besteht kein Anlass mehr, diese in den Urteilsgründen näher zu erörtern; dies ist im Revisionsverfahren indes nicht rekonstruierbar. Um eine solche, in der angeführten Entscheidung ausdrücklich als Ausnahme bezeichnete Konstellation ging es vorliegend jedoch nicht. Der Nachricht lagen keine im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gewonnenen, retrospektiven Angaben zugrunde, sondern ihr Inhalt war selbst Teil des aufzuklärenden Geschehens und im Grundsatz geeignet, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen H. in der Hauptverhandlung zu wecken (s. unten b)). Die Beurteilung der Revisionsrüge bedarf hier daher keiner unzulässigen Rekonstruktion der Hauptverhandlung.
12
Der Zulässigkeit der Rüge steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer - das Protokoll zutreffend wiedergebend - vorgetragen hat, die Urkunde sei in Augenschein genommen worden. Zwar werden durch diese Form der Beweiserhebung regelmäßig nur das Vorhandensein und die Beschaffenheit der Urkunde belegt, nicht aber ihr Inhalt; zu dessen Erfassung bedarf es grundsätzlich der Verlesung (BGH, Beschluss vom 13. April 1999 - 1 StR 107/99, NStZ 1999, 424). Diese strenge Differenzierung findet jedoch dann eine Grenze, wenn auch der gedankliche Inhalt der Urkunde quasi durch einen Blick auf diese erfasst wird. Erschließt sich - wie vorliegend - der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme.
13
b) Die Rüge ist auch begründet. Das Landgericht hätte sich vor dem Hintergrund , dass es die Angaben des Zeugen H. , der in seiner Vernehmung bekundet hatte, dass eine Abtretung von Forderungen zu keinem Zeitpunkt besprochen bzw. vereinbart worden sei, als glaubhaft erachtet hat, mit den Dokumenten auseinander setzen müssen, in denen von einem "Inkassoauftrag" die Rede ist und die daher für einen anderen Kenntnisstand des Zeugen sprechen könnten.
14
c) Auf diesem Unterlassen beruht das Urteil, soweit es um die Produkte "Deutschland Tipp" und "Ihr Bonusvorteil" geht. Dagegen kommt bezüglich des Produkts "Ihr Premium Anteil" ein Forderungsübergang unabhängig vom Vorstellungsbild des Zeugen H. schon deshalb nicht in Betracht, da dieser nicht Gläubiger der entsprechenden Forderungen war.
15
2. Im Fall A. III. 1. der Urteilsgründe hat die Strafkammer zu den von dem beauftragten Inkassounternehmen eingetriebenen Forderungen aus einem Produkt namens "Allianz-Tipp ABO" lediglich mitgeteilt, es existiere kein Vertrag über deren Abtretung. Soweit damit das Fehlen eines schriftlichen Vertrages angesprochen sein sollte, wäre dies zur Begründung der Feststellung, der Angeklagte sei nicht Forderungsinhaber geworden, nicht ausreichend, weil ein Schriftformerfordernis für Forderungsabtretungen nicht besteht. Es fehlt zudem jegliche Beweiswürdigung dazu, weshalb das Landgericht davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte nicht Gläubiger dieser Forderungen geworden sei. Diese war auch nicht aus anderen Gründen entbehrlich: Zwar erscheint es aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs und der im Einzelnen mitgeteilten Datenübermittlung durch den Angeklagten an das Inkassounternehmen möglich, dass es sich insoweit tatsächlich um Forderungen aus dem Produkt "Tippallianz" (Komplex A. II. 1. der Urteilsgründe) handelte, die lediglich im Rahmen der Forderungsschreiben fälschlich eine andere Bezeichnung erhalten haben. Dem Urteil mit hinreichender Sicherheit entnehmen lässt sich dies indes nicht.
16
3. Die Feststellung, bei dem Erwerb von Datensätzen bezüglich des Produkts "Easywin" durch den Angeklagten von einer Person namens K. (Komplex A. II. 7. der Urteilsgründe) sei es nicht zu einer Abtretung bestehender Forderungen gekommen, beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung. Insoweit hat das Landgericht - der Angeklagte hat von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und der Verkäufer war nicht näher identifizierbar - einzig auf eine handschriftliche Erklärung des Inhalts "Hiermit übertrage ich die Gewinnspielkunden von Easywin mit allen Rechten an Herr . Fi. " abgestellt. Diese dokumentiere keine wirksame Forderungsabtretung, da nur von der Übertragung von Kunden die Rede und im Übrigen die Erklärung für eine wirksame Abtretung zu unbestimmt sei.
17
Dies hält revisionsrechtlicher Kontrolle nicht stand. Zum einen hätte sich das Landgericht bereits mit der - angesichts der Geschehensabläufe in den anderen festgestellten Fällen naheliegenden - Möglichkeit auseinandersetzen müssen, ob der schriftlichen Vereinbarung gegebenenfalls eine mündliche anderen Inhalts vorausgegangen sein könnte. Darüber hinaus durfte es nicht lediglich den Wortlaut der schriftlichen Erklärung zum Gegenstand seiner Auslegung machen; Berücksichtigung finden müssen auch die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (BGH, Urteil vom 19. Januar 2000 - VIII ZR 275/98, NJW-RR 2000, 1002, 1003 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 337 Rn. 32). Auch wenn die am Geschäft Beteiligten dem Landgericht nicht zur Verfügung standen, hätte es jedenfalls darstellen müssen, aufgrund welcher Anhaltspunkte es davon ausgegangen ist, dass Umstände, aufgrund derer von einer Forderungsabtretung auszugehen gewesen wäre, tatsächlich nicht gegeben waren.
18
Auch der weitere Hinweis der Strafkammer auf die vermeintlich fehlende Bestimmtheit einer etwaigen Abtretungserklärung (hierzu BGH, Urteil vom 7. Juni 2011 - VI ZR 260/10, NJW 2011, 2713) verfängt nicht, weil ein Schriftformerfordernis nicht besteht und schon deshalb auch diesbezüglich nicht allein auf den Wortlaut, sondern auf die Gesamtumstände abzustellen war. Darüber hinaus begegnet bei Abtretung einer Forderungsmehrheit die Abtretung "aller" Forderungen unter dem Gesichtspunkt der Bestimmbarkeit keinen Bedenken (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 398 Rn. 15).
19
4. Auch zu dem unter A. II. 5. der Urteilsgründe dargestellten Erwerbsakt ist die Würdigung der Strafkammer, der Angeklagte habe keine Forderungen erworben, nicht frei von Rechtsfehlern. Da die Revision bereits mit der Sachrüge durchdringt, bedarf es eines Eingehens auf die zu diesem Komplex erhobenen Verfahrensrügen nicht.
20
Das Urteil kann insoweit schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht sich nicht mit der Frage befasst hat, welches Recht auf die Verträge zwischen dem Angeklagten und dem seit 2005 gewöhnlich in der Türkei lebenden I. anzuwenden war. Die Anwendung deutschen Rechts wäre nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (im Folgenden: Rom-I-VO), die gemäß Art. 2 Rom-I-VO auch dann Anwendung findet, wenn es sich bei dem nach ihren Vorschriften maßgeblichen Recht nicht um das Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union handelt, nur bei entsprechender Rechtswahl durch die Parteien bedenkenfrei. Feststellungen zu einer etwaigen Rechtswahl hat das Landgericht indes nicht getroffen.
21
Da das anzuwendende Recht nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a) Rom-I-VO insbesondere auch für die Auslegung von Verträgen und damit auch der diesen zugrundeliegenden Erklärungen maßgebend ist, es sich bei der Auslegung von Erklärungen jedoch um eine ureigene Aufgabe des Tatrichters handelt (BGH, Beschluss vom 25. Juni 1952 - 5 StR 509/52, NJW 1952, 1186), ist es dem Senat verwehrt, die festgestellten Erklärungen des Angeklagten und des I. selbst nach türkischem Recht auszulegen, um festzustellen, ob unabhängig von der Frage des anzuwendenden Rechts unterschiedliche Ergebnisse ausgeschlossen werden könnten.
22
Darüber hinaus erweist sich die bei der Anwendung deutschen Rechts vorgenommene Beweiswürdigung durch das Landgericht als rechtsfehlerhaft. Die Überzeugung, der Angeklagte habe von I. keine Forderungen aus den jeweiligen Gewinnspielprodukten erworben, hat die Strafkammer im Wesentlichen auf die schriftlichen Vereinbarungen sowie den korrespondierenden E-Mail-Verkehr zwischen dem Angeklagten und dem Veräußerer sowie auf dessen schriftliche Angaben im Ermittlungsverfahren gestützt. Die Beweiswürdigung weist jedoch Lücken auf, weil die Strafkammer den Erklärungsinhalt zweier E-Mail-Nachrichten des I. an den Angeklagten vom 9. und 10. Juni 2010 nur teilweise ausgeschöpft hat. Während I. den Angeklagten in der ersten E-Mail aufforderte, das Inkasso bezüglich Forderungen aus den Produkten "Suberbonus49 und Tippallianz" sofort zu stoppen, teilte er am Folgetag mit, dass der Angeklagte mit den übrigen Produkten machen könne, was er wolle. Nicht zu beanstanden ist zwar die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass der Nachrichteninhalt keinen Rückschluss auf das Vorstellungsbild des I. zum Zeitpunkt der Datenübergabe am 19. Mai 2010 zulasse. Es hätte sich jedoch darüber hinaus mit der sich aufdrängenden Möglichkeit auseinandersetzen müssen, dass in dem Schreiben vom 10. Juni 2010 eine Genehmigung der bis dahin unberechtigten Geltendmachung der Forderungen aus den übrigen Produkten durch den Angeklagten gemäß § 185 Abs. 2 BGB liegen könnte. Jedenfalls wäre der nachfolgende Vertrag vom 14. Juni 2010 im Lichte dieser Nachrichten und des Kenntnisstandes des I. auszulegen gewesen. Dass in diesem Vertrag die Produktnamen - was beiden bewusst war - zur Verschleierung gegenüber den Endkunden um ein Kürzel erweitert wurden, ließe das übereinstimmend Gewollte unberührt (falsa demonstratio non nocet).
23
5. Bezüglich der übrigen Produkte hält die Feststellung des Landgerichts , es sei zu keinem Zeitpunkt zu Forderungsabtretungen gekommen, der revisionsrechtlichen Kontrolle in materiell-rechtlicher Hinsicht stand. Die Auslegung der mündlichen und schriftlichen Erklärungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Begleitumstände hält sich im Rahmen des dem Tatrichter obliegenden Beurteilungsspielraums.
24
Auch die weiteren Verfahrensrügen dringen nicht durch. Hinsichtlich der Produkte "Winteam 77" und "Tippallianz" (Komplex A. II. 1. der Urteilsgründe) gilt dies schon deshalb, weil nach den insoweit rechtfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Verkäufer dieser Datensätze nicht Gläubiger etwaiger Forderungen war, so dass Beanstandungen mit dem Ziel, deren Erwerb durch den Angeklagten zu belegen, ins Leere laufen. Den übrigen Rügen bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.
25
III. Die aufgezeigten Fehler schlagen nur in den Fällen auf den Schuldspruch durch, in denen ein Inkassounternehmen ausschließlich Forderungen eingetrieben hat, die Gegenstand der diesbezüglichen Geschäfte waren. Dies betrifft die Fälle A. III. 3., 4. und 5., in denen jeweils Forderungen aus lediglich einem von dem Zeugen I. erworbenen Gewinnspielprodukt eingetrieben wurden und der Senat die Möglichkeit eines Forderungskaufs schon wegen der fehlenden Feststellung des anzuwendenden Rechts nicht beurteilen kann. Mit aufzuheben sind die zugehörigen Feststellungen, zu denen auch diejenigen zu dem Erwerbsakt von dem Verkäufer I. bezogen auf die Gewinnspielprodukte "Superbonus49", "Maxxikombi 100" und "Bonusrunde 100" zählen (Komplex A. II. 5. der Urteilsgründe). In den übrigen abgeurteilten Fällen kann der Schuldspruch bestehen bleiben, weil ihnen jeweils auch das Inkasso von Forderungen zugrunde liegt, deren Gläubiger der Angeklagte nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nicht geworden ist.
26
In den Fällen A. III. 1. (bezüglich der Produkte "Easywin", "Ihr Bonusvorteil" , "Deutschland Tipp", "Allianz-Tipp ABO" und "Maxxikombi 100"), A. III. 2. (bezüglich der Produkte "Superbonus49", "Bonusrunde 100" und "Maxxikombi 100"), und A. III. 8. (bezüglich der Produkte "Tippallianz", "Max Vorteilsgemeinschaft" , "Deutschland sucht den Supermillionär" und "Hol' Dir den Preis") ist aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler allerdings der Strafausspruch nebst den Feststellungen zu den Erwerbsakten unter A. II. 2., 5. und 7. sowie - bezogen auf das Produkt "Allianz Tipp ABO" - A. III. 1. der Urteilsgründe aufzuheben. Die übrigen Feststellungen zu diesen Strafaussprüchen sind dagegen rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Einzelstrafen in den Fällen A. III. 6. (zwei Jahre und sechs Monate), A. III. 7. (drei Jahre und sechs Monate) und A. III. 9. (zwei Jahre und drei Monate ) haben hingegen Bestand. Die Aufhebung eines Teils der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
27
IV. Da die aufgezeigten Rechtsfehler sich auf die Bestimmung des aus der Tat Erlangten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB (zu diesem Erfordernis in der Konstellation des Versuchs BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 - 1 StR 245/09, wistra 2010, 477, 478 f.) erstrecken, muss auch die Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 StPO aufgehoben werden. Dabei ist mit Blick auf § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB - entgegengesetzt zu der Interessenlage des Angeklagten bei der Frage nach der Vollendung des Betruges - davon auszugehen, dass die jeweiligen Kunden irrtumsbedingt gezahlt haben.
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Die Feststellung kann auch nicht in Höhe von 560.263,28 € aufrecht- erhalten werden. Allerdings sind die Feststellungen zu dem aus den Taten A. III. 6., 7. und 9. Erlangten rechtsfehlerfrei getroffen worden. Jedoch hat die Kammer es versäumt, sich mit der Regelung des § 73c StGB auseinanderzusetzen , was auch im Rahmen einer Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO grundsätzlich geboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 44 mwN). Zwar ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass der Angeklagte über Vermögenswerte verfügt. Deren Umfang hat das Landgericht indes nicht dargestellt; dies wäre jedoch im Hinblick auf den erheblichen Betrag erforderlich gewesen, der von der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO umfasst wurde.
Becker Pfister Schäfer Mayer Gericke

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 101/04
vom
1. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. April 2004 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 18. September 2003 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Der Angeklagte wurde wegen zahlreicher bewaffneter Banküberfälle und weiterer Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt; seine Sicherungsverwahrung wurde angeordnet. Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Der näheren Ausführung bedarf nur folgendes: In der Hauptverhandlung vom 5. Juni 2003 wurde ein Gutachten dazu beantragt, wie lange nasse Socken naß bleiben. Die Revision führt aus: "Der Beweisantrag wurde weder durch Gerichtsbeschluß abgelehnt, noch wurde der Beweis erhoben. Beweis: Hauptverhandlungsprotokoll Seite 1 bis 245". Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde am 5. August 2003 eine Diplom-Textilingenieurin als Sachverständige gehört.
Es wurde also ein Sachverständiger einer bestimmten Fachrichtung gehört , nachdem die Anhörung eines Sachverständigen zu einer Frage dieser Fachrichtung beantragt worden war. Mit der pauschalen Behauptung, der Beweis sei nicht erhoben worden, fehlt die gebotene konkrete Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen die Richtigkeit des Revisionsvorbringens sprechen. Dies entspricht nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an eine zulässige Verfahrensrüge (vgl. BGHSt 40, 218, 240; BGH NStZ-RR 1999, 26, 27). Allerdings trägt die Revision mit Schriftsatz vom 31. März 2004 in ihrer Erwiderung auf den Antrag des Generalbundesanwalts (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) vor, aus sonstigem Akteninhalt ergebe sich, daß die Sachverständige nicht zu dem Thema des Beweisantrags, sondern zu einem anderen Thema gehört worden sei. Dieses Vorbringen ist jedoch ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen, weil es nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO angebracht worden ist (vgl. BGH StV 1999, 407 m.w.N.). Auf die von der Revision aus Rechtsgründen für unverwertbar gehaltene, inhaltlich aber nicht bestrittene Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft, die im Detail die Ausführungen der Sachverständigen zu der Beweisfrage darlegt, kommt es daher nicht an. Gleiches gilt für die hilfsweisen Erwägungen der Revision, jedenfalls ergebe das Vorbringen der Staatsanwaltschaft die inhaltliche Unzulänglichkeit des Gutachtens.
Auch im übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts vom 25. Februar 2004 Bezug, die durch die Erwiderung der Revision nicht entkräftet werden. Nack Wahl Boetticher Schluckebier Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 539/07
vom
21. November 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. November 2007 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allgäu) vom 24. Juli 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in drei Fällen und wegen versuchten schweren Bandendiebstahls sowie wegen Verschaffens von falschen Ausweisen in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und unerlaubter Einreise zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen sowie auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
Die auf § 338 Nr. 8 StPO gestützte Verfahrensrüge, mit der Rechtsanwalt S. die Behinderung von Rechtsanwalt E. , der sich als Wahlverteidiger legitimiert hatte, behauptet, ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
Dazu trägt er vor, Rechtsanwalt E. habe mit Schriftsatz vom 9. Juli 2007 dem Landgericht seine Mandatierung als Wahlverteidiger angezeigt. Das Gericht habe es unterlassen, Rechtsanwalt E. danach eine Ladung zu den Hauptverhandlungsterminen vom 24. und 31. Juli 2007 zukommen zu lassen. Weiterhin habe das Gericht dessen Antrag ignoriert, den Termin vom 24. Juli 2007 aufgrund einer Verhinderung durch andere Gerichtstermine zu verlegen. Dem Hauptverhandlungsprotokoll sei zu entnehmen: "Es wurde bekannt gegeben , dass der frühere Verteidiger, Rechtsanwalt E. , sein Mandat niedergelegt hat".
4
Dieser Vortrag ist unvollständig und daher - zumindest - irreführend. Tatsächlich liegt folgender - auch durch eine sachgerechte Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft Kempten belegter - Verfahrensgang zugrunde.
5
Am 4. Juli 2007 beraumte der Vorsitzende der Strafkammer die Hauptverhandlung auf den 24. und 31. Juli 2007 an. Zugleich wurde Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger bestellt. Fünf Tage danach, mit Schriftsatz vom 9. Juli 2007, zeigte Rechtsanwalt E. seine Beauftragung als Wahlverteidiger an. Am 12. Juli 2007 erhielt er die Akten - aus denen sich die Hauptverhandlungstermine ergaben - zur Einsicht für einen Tag; am 18. Juli 2007 gab er die Akten zurück. Nur einen Tag vor Beginn der Hauptverhandlung, am 23. Juli 2007, stellte er per Telefax um 11.35 Uhr den Antrag, den Termin vom 24. Juli 2007 aufzuheben, da er anderweitige Gerichtstermine habe. Mit einem weiteren Fax um 16.19 Uhr teilte er mit, dass er "aus Gründen, die nicht in der Sache selbst liegen", das Mandat niedergelegt habe.
6
Damit hat Rechtsanwalt S. wesentliche Umstände verschwiegen, die - was ihm bekannt sein musste - zur Beurteilung der Begründetheit der Verfahrensrüge unerlässlich waren. Das gilt zumindest für den Umstand, dass die Mandatsanzeige erst nach der Terminsbestimmung erfolgte, das Datum des Terminsverlegungsantrags - nur einen Tag vor Beginn der Hauptverhandlung - und die gleichfalls noch an diesem Tag mitgeteilte Mandatsniederlegung. Ein vollständiger Vortrag dieses leicht überschaubaren Sachverhalts hätte - was unschwer zu erkennen ist - seiner Rüge den Boden entzogen. Eine Verfahrensrüge , die auf einem derart unvollständigen und irreführenden Vortrag gestützt wird, ist rechtsmissbräuchlich (vgl. EGMR NJW 2007, 2097) und daher unzulässig.
7
Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.