Bundesgerichtshof Urteil, 16. Feb. 2012 - 3 StR 346/11

bei uns veröffentlicht am16.02.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 346/11
vom
16. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
16. Februar 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger I. und G. R. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin F. R. ,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der Nebenkläger, die die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 StGB erstreben. Der Angeklagte beanstandet mit seiner wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision sachlichrechtlich die Strafzumessung des Landgerichts. Die Rechts- mittel der Nebenkläger sind zulässig (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO) und begründet. Auch das Rechtmittel des Angeklagten hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts erstach der Angeklagte seine 34-jährige gehörlose Ehefrau am 10. September 2010 um die Mittagszeit in der Küche der ehelichen Wohnung. Im Einzelnen:
3
Zwischen den Eheleuten, die sich seit dem Jahre 1994 kannten und seit 1998 verheiratet waren, kam es nach der Geburt ihrer dritten Tochter (2008) zu einer Verschlechterung des ehelichen Verhältnisses. Dies schrieb der Angeklagte dem Umstand zu, dass seine Ehefrau, die aufgrund ihrer Gehörlosigkeit weitgehend isoliert gelebt hatte, über den damals in der ehelichen Wohnung eingerichteten Internetzugang erstmals die Möglichkeit bekam, ohne größeren Aufwand mit Bekannten und Verwandten zu kommunizieren. Der Angeklagte hielt ihr vor, sie vernachlässige infolge des hierfür betriebenen Zeitaufwands ihre häuslichen Pflichten. Außerdem mutmaßte er, seine Frau unterhalte über das Internet Kontakte mit anderen Männern, um eine außereheliche Beziehung aufzubauen. Hierüber kam es zwischen den Eheleuten häufiger zum Streit. Zweimal alarmierte die Geschädigte bei solchen Auseinandersetzungen die Polizei, die den Angeklagten der Wohnung verwies, worauf dieser in seiner Gartenlaube übernachtete. Stets versöhnten sich die Eheleute aber wieder, und der Angeklagte kehrte in beiden Fällen in die gemeinsame Wohnung zurück.
4
Im Sommer 2010 meinte der Angeklagte, im Verhalten seiner Ehefrau Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass sie sich heimlich mit einem anderen Mann treffe. Als dies die Geschädigte auf Vorhalt des Angeklagten abstritt, kam es erneut zu einem (verbalen) Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte die Ehewohnung verließ und fortan wieder in seiner Gartenlaube nächtigte.

5
Am Tattag suchte der Angeklagte die Ehewohnung auf, traf die Geschädigte indes nicht an. Aus Wut darüber, dass diese - wie er weiterhin glaubte, wofür er aber keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte hatte und was objektiv nicht der Fall war - im Internet Kontakte mit anderen Männern unterhielt, zerstörte er den vorhandenen Router, verließ die Wohnung und ging zur Arbeit. Nachdem die Geschädigte zurückgekehrt war und die Beschädigung bemerkt hatte, rief sie den Angeklagten an, schimpfte über sein Verhalten und forderte ihn auf, den Internetanschluss wieder herzustellen, anderenfalls werde sie die Polizei unterrichten. Daraufhin verließ der Angeklagte seine Arbeitsstelle und fuhr mit seinem Pkw zur Ehewohnung. Auf dem Weg dorthin bemerkte er seine Ehefrau zu Fuß auf der Straße. Sie hatte eine der beschädigten Komponenten des Internetanschlusses in eine Tüte gepackt und sich auf den Weg zur Polizei begeben. Nachdem der Angeklagte seine Frau angesprochen und diese ihm ihre Absicht mitgeteilt hatte, erklärte sich der Angeklagte bereit, den Internetanschluss wieder instand zu setzen. Gemeinsam fuhren beide mit dem Pkw des Angeklagten zur Ehewohnung. Unmittelbar nachdem die Eheleute diese betreten hatten, entstand zwischen ihnen eine verbale Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Angeklagte seiner Ehefrau deren angebliche Untreue vorhielt. Diese Auseinandersetzung fand in der Küche statt, wobei der Angeklagte stand und seine Ehefrau vor ihm auf einem Stuhl saß.
6
Im Anschluss an eine - "nicht ausschließbar" als Eingeständnis einer außerehelichen Beziehung fehlinterpretierte - Äußerung seiner Frau nahm der Angeklagte aus Wut über deren vermeintliche Untreue einen Küchenstuhl und schlug diesen mit Wucht auf den Kopf seiner ihm - "nicht ausschließbar" - mit dem Oberkörper zugewandten Ehefrau. Nachdem diese daraufhin benommen zu Boden gegangen war, ergriff der Angeklagte ein in der Küche liegendes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 35 Zentimetern und stach damit von oben herab wuchtig mindestens fünfzehnmal auf den Brust- und Halsbereich seiner Frau ein. Er wusste, dass er ihr damit Verletzungen beibrachte, die zum Tode führen. Er wollte seine Frau auch töten, um sie für ihre vermeintliche Untreue zu bestrafen. Die Geschädigte verstarb kurze Zeit danach an dem durch die Stichverletzungen hervorgerufenen starken Blutverlust sowie einer Verletzung der rechten Herzkammer.
7
I. Revisionen der Nebenkläger
8
Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 Abs. 2 StGB (Heimtücke, Tötung aus niedrigen Beweggründen bzw. um eine andere Straftat zu verdecken) abgelehnt. Während die Verneinung eines Verdeckungsmordes nicht zu beanstanden ist, halten jedenfalls die Gründe, mit denen das Landgericht das Vorliegen des Mordmerkmals niedriger Beweggründe verneint hat, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
Zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe hat das Landgericht ausgeführt , tatauslösend und tatbestimmend sei hier der Umstand gewesen, dass der Angeklagte mutmaßte, seine Frau habe sich einem anderen Mann zugewandt. Da der Angeklagte hierdurch das Wohl seiner Kinder und den Kontakt zu diesen gefährdet sah, sehe sich die Kammer an einer Bewertung der Tatmotivation als "niedrig" gehindert. Diese Begründung berücksichtigt wesentliche Umstände der Tat und der Motivation des Angeklagten nicht.
10
Beweggründe sind niedrig im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Tot- schlag - als verachtenswert erscheinen, bedarf einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2003 - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 34 mwN; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 15). Gefühlsregungen wie Eifersucht, Wut, Ärger, Hass und Rache kommen in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Dezember2006 - 4 StR 419/06, NStZ-RR 2007, 111; Fischer, aaO, Rn. 19).
11
Danach begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe seine Ehefrau nicht aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB getötet, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Urteil lässt die erforderliche Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren vermissen. Nicht berücksichtigt hat das Landgericht insbesondere, dass der Angeklagte nach den Feststellungen seine Frau auch getötet hat, um sie für ihre (vermeintliche) Untreue zu bestrafen, und dabei aus Wut über deren vermeintliche Untreue gehandelt hat. Gleichfalls nicht berücksichtigt hat es die für die Einstellung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau und deren Lebensrecht bedeutsame Äußerung bei seiner polizeilichen Vernehmung, er habe nach dem Stuhlschlag gedacht, jetzt müsse er ins Gefängnis , dann mache er sie auch "kaputt". Die für das Landgericht wesentliche Annahme, der Angeklagte habe durch die - von ihm vermutete - Hinwendung seiner Ehefrau zu einem anderen Mann das Wohl seiner Kinder gefährdet gesehen , wird demgegenüber durch die Urteilsgründe nicht eindeutig belegt. Entsprechend eingelassen hat sich der Angeklagte nicht. Festgestellt hat das Landgericht insoweit lediglich, dass sich der Angeklagte bei der Zeugin K. zweimal telefonisch nach dem Wohl seiner Kinder erkundigte und bei einem Telefonat zwei Tage vor der Tat zum Ausdruck brachte, er habe Angst, infolge der - damals schon länger bestehenden - Trennung der Eheleute den Kontakt zu seinen Kindern zu verlieren. Woraus das Landgericht entnimmt, der Angeklagte habe durch die - vermutete - Hinwendung seiner Frau zu einem anderen Mann das Wohl seiner Kinder gefährdet gesehen, erschließt sich danach aus den Urteilsgründen nicht.
12
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
II. Revision des Angeklagten
14
Der Strafausspruch des Urteils hält der rechtlichen Nachprüfung auf die Sachbeschwerde nicht stand.
15
Im Rahmen der Strafzumessung ist das Landgericht davon ausgegangen , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat infolge eines Affektdurchbruchs erheblich vermindert im Sinne von § 21 StGB war. Bei der Bemessung der Strafe im engeren Sinne hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten gleichwohl ohne Einschränkung die "Massivität des Angriffs berücksichtigt, der sich in der Zahl der Stichverletzungen und der Anzahl der geschädigten Organe" gezeigt habe.
16
Diese Erwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann uneingeschränkt strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, soweit ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 375/11 mwN; Fischer, aaO, § 46 Rn. 2). Damit, ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene "Massivität" seines Vorgehens angesichts des in der Beweiswürdigung festgestellten "Affektdurchbruchs im Sinne von § 21 StGB" und der daraus gefolgerten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander.
17
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
18
1. Der neue Tatrichter wird wiederum prüfen müssen, ob der Angeklagte die Tötung heimtückisch im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB begangen hat. Objektiv heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Dabei kommt es grundsätzlich auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an.
19
Danach wird zunächst zu klären sein, welcher Angriff des Angeklagten der erste mit Tötungsvorsatz geführte war. Das Landgericht ist zwar - wie sich allein aus der konkurrenz-rechtlichen Würdigung der Tat im angefochtenen Urteil ergibt - davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei dem zunächst geführten Schlag mit dem Stuhl mit Verletzungsvorsatz handelte; indes hat es diese Annahme nicht begründet. Sie versteht sich auch nicht von selbst, da der Schlag nach den bisherigen Feststellungen wuchtig und gegen den Kopf ausgeführt war und zur Folge hatte, dass die zuvor auf einem Stuhl sitzende Geschä- digte benommen zu Boden ging. Danach könnte auch in Betracht kommen, dass der Angeklagte schon zu diesem Zeitpunkt und nicht erst bei Verwendung des Messers mit Tötungsvorsatz handelte.
20
Vom Ergebnis dieser Prüfung wird es abhängen, an welchen Zeitpunkt für die Frage der Arglosigkeit des Opfers anzuknüpfen sein wird: Kommt es auf die Lage vor dem Stuhlschlag an, so wird zu bedenken sein, dass ein der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen die Arglosigkeit nicht ausschließen, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnimmt. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2007 - 4 StR 467/06, NStZ-RR 2007, 174 mwN). Wesentlich ist, dass der Täter sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Zu bedenken wird auch sein, dass das Opfer auch dann arglos sein kann, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, also sein Opfer etwa von vorne angreift, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04, juris Rn. 6 mwN). In diesem Zusammenhang wird vorliegend auch in den Blick zu nehmen sein, dass der Angeklagte bei keiner der festgestellten früheren streitigen Auseinandersetzungen - auch nicht bei denen, die einen polizeilichen Einsatz zur Folge hatten - gewalttätig gegen seine Ehefrau vorgegangen war. Deshalb und angesichts der dem Streit vorangegangenen einlenkenden Äußerung des Angeklagten , er werde den angerichteten Schaden beheben, wird zu prüfen sein, ob das (gehörlose) Opfer aufgrund der lediglich verbalen Auseinandersetzung vor der Tat keinen tätlichen Angriff gegen sich erwartete oder einen solchen voraussah und die Geschädigte durch den Schlag mit dem Stuhl möglicherweise völlig überrascht wurde. Dafür könnte vorliegend auch sprechen, dass die Untersuchung der Leiche durch den rechtmedizinischen Sachverständigen keine Hinweise auf Abwehrverletzungen des Opfers erbrachte. Sollte hingegen erst der erste Messereinsatz des Angeklagten, als das Opfer nach dem Stuhlschlag bereits benommen am Boden lag, von dem Tötungsvorsatz getragen worden sein, so wäre zum einen zu bedenken, dass die Benommenheit eines vom Täter geschlagenen Opfers gegen dessen Arglosigkeit sprechen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 1997 - 3 StR 68/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 23 sowie vom 6. Mai 2008 - 5 StR 92/08, NStZ 2008, 569). Zum anderen wird der neue Tatrichter aber auch in den Blick nehmen müssen, dass es für das Mordmerkmal der Heimtücke keinen Unterschied macht, ob ein überraschender Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der ursprüngliche - auf Körperverletzung gerichtete - Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 2004 - 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234 mwN; vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04, juris Rn. 11; vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503; vom 2. April 2008 - 2 StR 621/07, NStZ-RR 2008, 238; vgl. auch BGH, Urteile vom 9. Dezember 1986 - 1 StR 596/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; vom 15. Dezember 1992 - 1 StR 699/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 und vom 24. Febuar 1999 - 3 StR 520/98, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 27).
21
2. Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat zu beachten haben, dass das angefochtene Urteil hierzu zum einen nicht völlig eindeutige Feststellungen enthält und zum anderen auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht: Das Landgericht hat einerseits im Sachverhalt festgestellt, der Angeklagte sei "während der Tat in der Lage (gewesen), das Verbotene seines Verhaltens zu erkennen und sich nach dieser Einsicht zu verhalten"; im Rahmen der Beweiswürdigung ist die Kammer - ohne die Auffassung des Sachverständigen hierzu mitzuteilen - andererseits zu dem Ergebnis gekommen, sie habe "nicht auszuschließen" vermocht , dass "die Fähigkeit des Angeklagten, sich gemäß der vorhandenen Einsicht in das Verbotene seines Tuns zu verhalten, infolge eines Affektdurchbruchs im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt" gewesen sei. Für die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit war die - "nicht ausschließbare" - Feststellung des Landgerichts wesentlich, der Angeklagte habe seine Ehefrau - unmittelbar vor dem ersten Angriff auf diese - dahin (miss-)verstanden, dass sie ein außereheliches Verhältnis eingeräumt habe. Diese Feststellung hat keine Tatsachenbasis: Entsprechend eingelassen hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Die von ihm - bei seiner polizeilichen Vernehmung und im Rahmen der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen - aufgestellten Behauptungen, seine Ehefrau habe unmittelbar vor der Tat ihm gegenüber jeweils geäußert, sie habe ihn bzw. er habe sie mit einer Geschlechtskrankheit infiziert bzw. sie habe ein außereheliches Verhältnis zu einem anderen Mann eingestanden und in diesem Zusammenhang auch über verschiedene Praktiken beim sexuellen Umgang mit diesem berichtet, hat die Schwurgerichtskammer mit rechtsfehlerfreier Begründung nicht geglaubt. Weiter hat das Landgericht eine Fehlinterpretation von Äußerungen des Opfers vor der Tat durch den Angeklagten zu einer Infektion mit einer Geschlechtskrankheit sowie hinsichtlich der angeblich berichteten Sexualpraktiken mit einem anderen Mann mit ebenfalls tragfähigen Begründungen verneint. Weshalb das Landgericht demgegenüber nicht hat ausschließen kön- nen, dass der Angeklagte "irgendeine Äußerung seiner Frau in dem Sinne fehlinterpretiert haben könnte, sie räume eine außereheliche Beziehung ein", sondern ein solches Missverständnis unterstellt hat, ist nicht ersichtlich. Allein die hierfür gegebene Begründung, dass der Angeklagte schon vor der Tat davon ausgegangen sei, seine Frau habe eine außereheliche Beziehung, trägt jedenfalls die Annahme einer Äußerung der Geschädigten, die der Fehlinterpretation durch den Angeklagten in dem angenommenen Sinne zugänglich wäre, nicht. Danach erweist sich die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe eine Äußerung seiner Ehefrau dahin (miss-)verstanden, dass sie vor der Tat ein außereheliches Verhältnis eingeräumt habe, rechtsfehlerhaft als bloße Vermutung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11).
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 16. Feb. 2012 - 3 StR 346/11

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt
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Strafprozeßordnung - StPO | § 400 Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers


(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt. (2) De

Strafprozeßordnung - StPO | § 401 Einlegung eines Rechtsmittels durch den Nebenkläger


(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Fri

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels beginnt mit Ablauf der für die Staatsanwaltschaft laufenden Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn das Urteil dem Nebenkläger noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung des Urteils an ihn auch dann, wenn eine Entscheidung über die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß noch nicht ergangen ist.

(2) War der Nebenkläger in der Hauptverhandlung anwesend oder durch einen Anwalt vertreten, so beginnt für ihn die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels auch dann mit der Verkündung des Urteils, wenn er bei dieser nicht mehr zugegen oder vertreten war; er kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nicht wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung beanspruchen. Ist der Nebenkläger in der Hauptverhandlung überhaupt nicht anwesend oder vertreten gewesen, so beginnt die Frist mit der Zustellung der Urteilsformel an ihn.

(3) Hat allein der Nebenkläger Berufung eingelegt, so ist diese, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Nebenkläger noch für ihn ein Rechtsanwalt erschienen ist, unbeschadet der Vorschrift des § 301 sofort zu verwerfen. Der Nebenkläger kann binnen einer Woche nach der Versäumung unter den Voraussetzungen der §§ 44 und 45 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen.

(4) Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 419/06
vom
14. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Dezember
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. April 2006 werden verworfen. 2. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Der Angeklagte rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft in erster Linie die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe durch das Landgericht. Die Nebenklägerin wendet sich mit ihrem Rechtsmittel, mit welchem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, ebenfalls gegen die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Totschlags. Sie vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte des Mordes aus niedrigen Beweggründen, hilfsweise tateinheitlich zum Totschlag des versuchten Verdeckungsmordes, begangen durch Unterlassen, hätte schuldig gesprochen werden müssen. Sämtliche Revisionen erweisen sich als unbegründet.

II.

2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Der Angeklagte war mit der Nebenklägerin verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, der am 10. April 2003 geborene Steffen Lars und das spätere am 23. April 2005 geborene Tatopfer Mike Steven. Nach der Geburt des zweiten Kindes verschlechterte sich aufgrund von Arbeitsüberlastung und sich zuspitzender finanzieller Probleme das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau. Auch im Verhältnis zu seinen Kindern reagierte der Angeklagte zusehends gereizter und aggressiver. Bei den ihm häufig von seiner Ehefrau im Zusammenhang mit der Pflege von Mike übertragenen Aufgaben, etwa beim Ankleiden oder Windelwechseln, ging er sehr ungeduldig und grob, in zwei Fällen sogar mit derartiger körperlicher Kraft vor, dass das Kind erheblich verletzt wurde. In einem Fall, hatte er, als der Säugling beim Ankleiden strampelte, dessen linken Arm so fest gepackt und durch den Ärmel des Kleidungsstücks gezogen , dass das Kind einen Bruch des Oberarms erlitt. Bei einem weiteren Vorfall trug das strampelnde Kind durch einen heftigen Griff des Angeklagten beim Wickeln eine Spiralfraktur des rechten Oberschenkelknochens davon. Diese Vorfälle sind nicht Verfahrensgegenstand.
4
Am Tattag, den 9. Juli 2005, verließ die Nebenklägerin gegen 9 Uhr morgens die eheliche Wohnung zu einem Einkaufsbummel. Die Bitte des Angeklagten , Mike oder wenigstens den älteren Sohn Lars mitzunehmen, hatte sie zuvor abgelehnt. Hierüber war der Angeklagte verärgert, da er bereits am Vortag sowie bei mehreren Gelegenheiten zuvor allein die Pflege und Aufsicht über die Kinder wahrgenommen hatte, während seine Ehefrau Freizeitaktivitäten nachgegangen war. Im Verlauf des Morgens begann Mike zu quengeln und zu schreien. Der Angeklagte war "genervt"; er versuchte zunächst das Kind durch Herumtragen und Schaukeln in seinem Kindersitz zu beruhigen. Weder durch anschließendes Füttern noch Wickeln gelang es ihm jedoch, das Kind vollständig ruhig zu stellen. Durch das fortwährende Schreien seines Sohnes wurde der Angeklagte immer ungeduldiger und gereizter. Hinzu kam, dass er auch den älteren Sohn Steffen zu beaufsichtigen hatte. Schließlich war der Angeklagte bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, um Mike zum Schweigen zu bringen. Zunächst schüttelte er den Säugling so heftig, dass hierdurch Einblutungen in dessen Augen hervorgerufen wurden. Als das Kind daraufhin weiter schrie, schlug ihm der Angeklagte mit der Hand mehrfach mit derart roher Gewalt auf das mit einer Windel bedeckte Gesäß, dass ein großflächiges Hämatom entstand. Da Mike heftig weiter schrie, geriet der Angeklagte in eine derart aggressive , gereizte und ungeduldige Stimmung, dass ihm jedes Mittel recht war, um endlich Ruhe zu bekommen. Er führte - wovon das Landgericht zu seinen Gunsten ausgegangen ist - den Kindersitz, in dem das Kind unangeschnallt saß, mit einem wuchtigen Schlag gegen einen Heizkörper, so dass Mike aus dem Sitz heraus mit dem Kopf gegen den Heizkörper geschleudert wurde. Dem Angeklagten war hierbei bewusst, dass eine solche massive Gewalteinwirkung auch tödliche Verletzungen des erst zehn Wochen alten Kindes zur Folge haben konnte. Er nahm dies jedoch in Kauf, um den Säugling endlich zur Ruhe zu bringen. Mike erlitt infolge des Aufpralls eine Fraktur des linken Scheitelbeins und verlor das Bewusstsein. Gegenüber seiner unmittelbar danach zurückkehrenden Ehefrau versuchte der Angeklagte den Zustand des Kindes zu verheimlichen. Diese bemerkte jedoch eine Beule am Kopf des Kindes und brachte es umgehend in eine Kinderklinik. Noch in der folgenden Nacht verstarb Mike an den schweren Hirnverletzungen, die er durch den Aufprall auf den Heizkörper erlitten hatte.
5
Zu den Beweggründen der Tat hat das Landgericht ausgeführt, mitursächlich für die Tat sei die Verärgerung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau gewesen, die ihn zum Tatzeitpunkt nahezu zwei Tage mit den Kindern allein gelassen hatte, um ihren eigenen Interessen nachzugehen. Diese Verärgerung sei zum Zeitpunkt der Tathandlung jedoch bereits in den Hintergrund gerückt. Bestimmendes und unmittelbar tatauslösendes Motiv sei die Verärgerung und Gereiztheit des Angeklagten über das ständige Schreien des Kindes gewesen. Der ohnehin gegenüber seinen Kindern ungeduldige und leicht reizbare Angeklagte habe nur noch das Ziel gehabt, Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben. Diese Annahme werde durch die Einlassung des Angeklagten gestützt, der von einem ständigen "Plärren" des Kindes sowie seiner sich dadurch immer weiter steigender Gereiztheit berichtet habe. Auch der den Angeklagten noch am Tattag vernehmende Polizeibeamte habe bekundet, nach seinem Eindruck habe der Angeklagte aufgrund des ständigen Schreiens des Kindes die Nerven verloren und nur noch gewollt, dass dieses ruhig sei.

III.

6
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin:
7
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu den Beweggründen der Tat und zur Annahme eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe stellen weitgehend den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch die eigene zu ersetzen (zur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).
8
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint.
9
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache kommen dabei in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36, 45 und 46 jew. m.w.N.). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2006, 338, 340 m.w.N.).
10
b) Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung diese Grundsätze im Blick gehabt. Es hat sich im Ergebnis nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der maßgebliche Beweggrund des Angeklagten für die Tatbegehung, nämlich seine Verärgerung über das ständige Weinen des Kindes verbunden mit dem Bestreben "Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben", Ausdruck einer niedrigen, besonders verachtenswerten Gesinnung des Angeklagten war. Hierbei war für das Landgericht leitend, dass der Angeklagte nahezu zwei Tage mit der Aufsicht und Pflege beider Kinder befasst gewesen war, er vor der Tat mehrfach versucht hatte, Mike mit angemessenen Mitteln, etwa durch Wickeln und Füttern, ruhig zu stellen und das Kind gleichwohl immer wieder, zuletzt unaufhörlich weiter geschrieen hatte. Ersichtlich hat es damit darauf abgestellt, dass der ohnehin leicht reizbare Angeklagte in dieser Situation nervlich überfordert war und es deshalb - und nicht aus einer auf tiefster Stufe stehenden, verwerflichen Gesinnung heraus - zu einem Aggressionsdurchbruch und der Gewaltanwendung gegen das Kind kam (vgl. hierzu BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 1, 31). Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340) und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
11
3. Vergebens rügt die Nebenklage, das Landgericht habe es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, den Angeklagten im Hinblick auf sein Nachtatverhalten wegen eines tateinheitlich durch Unterlassen begangenen versuchten Verdeckungsmordes zu verurteilen. Hat der Täter das Tatopfer - wie hier - mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des zunächst überlebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht "anderen" Straftat fehlt (vgl. Senat, NStZ 2003, 312). Dies gilt selbst dann, wenn - wovon hier nach den getroffenen Feststellungen nicht auszugehen ist - zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (Senat aaO).
12
Die Revision des Angeklagten:
13
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten allgemein erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 375/11
vom
29. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
29. November 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 24. Juni 2011 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
3
1. Am 12. November 2010 suchte der Angeklagte die 2004 von ihm geschiedene S. in deren Wohnung auf. Es störte ihn, dass Frau S. in den Wochen zuvor ein Verhältnis mit dem Zeugen Sch. eingegangen war; insbesondere "hegte er einen Groll" darüber, dass dieser nun an den Unterhaltszahlungen partizipierte, die er - der Angeklagte - seiner geschiedenen Ehefrau leistete. In der Küche kam es deswegen zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und Frau S. . Der Angeklagte "verlor die Kontrolle". Um Frau S. zu töten, fügte er ihr unter Verwendung zweier (vorgefundener) Messer zwölf Stichverletzungen zu, davon zehn im zentralen Bauchbereich, die teilweise die Bauchhöhle eröffneten und innere Organe verletzten. Anschließend versetzte er ihr mit einem Hammer zwei Schläge gegen den Kopf; jedenfalls beim zweiten Schlag lag FrauS. bereits auf dem Boden. Infolge der Bauchverletzungen verblutete sie nach wenigen Minuten. Die Hammerschläge verursachten Impressionsfrakturen mit Eröffnung der Hirnhaut, waren aber für sich nicht tödlich. Infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung "in Gestalt affektiver Entladung", verbunden mit einem "extrem aggressiven Impulsdurchbruch", war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert.
4
2. Bei der Bemessung der Strafe hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten den "brutalen Tathergang" berücksichtigt. Der Angeklagte habe "über den eigentlichen Tötungsakt hinaus" in erheblichem Maße Gewalt angewandt, indem er seinem Opfer zunächst eine Vielzahl schwerer Stichverletzungen und sodann, auch als es bereits am Boden lag, noch erhebliche Kopfverletzungen beigebracht habe.
5
Diese Erwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 - 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; Beschluss vom 16. Juli 2003 - 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362). Damit, ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene "Brutalität" seines Vorgehens trotz des affektbedingten "extrem aggressiven Impulsdurchbruchs" uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander.
Becker Pfister Hubert
Mayer Menges

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 467/06
vom
15. Februar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Februar
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2006 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Kosten der Revisionen des Angeklagten und der Nebenkläger fallen dem jeweiligen Beschwerdeführer zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte , die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt - ebenso wie die Nebenkläger - mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, eine Verurteilung wegen Mordes. Sämtliche Rechtsmittel erweisen sich als unbegründet.

II.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Nach zwei gescheiterten Beziehungen lebte der Angeklagte, der an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden Elementen und narzisstischen Zügen leidet, von 1999 bis zum September 2005 mit Nicole K. , dem späteren Tatopfer, in häuslicher Lebensgemeinschaft, aus der ein gemeinsames Kind hervorging. Auch diese Beziehung war, insbesondere wegen der grundlosen Eifersucht des Angeklagten, spannungs- und streitbeladen und wurde schließlich von Nicole K. beendet. Der Angeklagte konnte sich, wie auch beim Scheitern seiner früheren Beziehungen, mit der Trennung nicht abfinden. Im September 2005 kam es deswegen bei einer von ihm erbetenen Aussprache zwischen ihm und Nicole K. zu einem heftigen Streit, in dessen Verlauf er sie zu Boden warf und ihr ein Messer vor den Körper hielt. Erst als ihr Vater zu Hilfe eilte, ließ er von ihr ab. Bei ihren Abwehrbemühungen erlitt sie eine Schnittverletzung an der Hand. Auch nach diesem Vorfall bemühte sich der Angeklagte weiter um eine Fortsetzung der Beziehung.
4
Am 17. November 2005 wurde der Angeklagte von Arbeitskollegen damit gehänselt, dass Nicole K. "jetzt einen anderen Mann küsse", worauf er antwortete , "dass dies nicht mehr lange der Fall" sein werde. Am Nachmittag begegnete ihm Nicole K. , die auf ihrem Fahrrad durch Schönebeck fuhr. Sie hielt zwar an, lehnte aber eine nochmalige Aussprache über die aus ihrer Sicht endgültig beendete Beziehung ab. Es kam zu einem teilweise lautstark geführten Wortgefecht, wobei der Angeklagte aus Wut so heftig gegen ihr Fahrrad trat, dass sie es nur noch schieben konnte. Den Vorschlag des Angeklagten, sie mit seinem Fahrzeug zu ihrem Fahrtziel zu fahren, lehnte sie ab. Sie hatte Angst, weinte und versuchte, mit ihrem Handy zu telefonieren. Streitend gingen sie etwa fünf Minuten nebeneinander her, wobei sie ihr Fahrrad zwischen ihnen schob. Nunmehr wurde dem Angeklagten bewusst, dass er Nicole K. nicht zurückgewinnen konnte. Aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst, Är- ger und Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung" entschloss er sich, sie zu töten. Er nahm aus seiner Hosentasche ein aufklappbares Taschenmesser mit einer Klingenlänge von neun Zentimetern und versetzte Nicole K. sechs Messerstiche in den Hals- und Brustbereich. Auch durch Rufe einer Zeugin ließ er sich von seinem Tun nicht abbringen. Das Opfer verstarb alsbald an innerem Verbluten. Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw zu Bekannten, von denen er ein Alibi für die Tatzeit erhalten wollte. Danach ging er seinen gewöhnlichen Verrichtungen nach, bis er am Abend festgenommen wurde.

III.


5
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
6
Ohne Erfolg wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger dagegen, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt worden ist.
7
a) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Schwurgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat.
8
Nach der Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt , wobei auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs abzustellen ist (vgl. BGHSt 32, 382, 384). Ein bloßer, der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorangegangenen Streit, dass das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363; 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ 2003, 146).
9
Dass Letzteres hier vorgelegen hat, hat das Landgericht unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und des Verlaufs der dem Tatgeschehen unmittelbar vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht auszuschließen vermocht. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen war Nicole K. bei dem Zusammentreffen mit dem Angeklagten bewusst, dass dieser nach wie vor nicht bereit war, die Trennung zu akzeptieren. Sie wusste, dass er etwa zwei Monate zuvor auf ihre Weigerung zur Fortsetzung der Beziehung mit Tätlichkeiten reagiert und ihr sogar ein Messer vor den Körper gehalten hatte. Dass ihre erneute Ablehnung einer von ihm erbetenen Aussprache ihn wiederum in große Wut versetzte, erkannte sie daran, dass er mit einem Fußtritt ihr Fahrrad massiv beschädigte. Es liegt durchaus nahe, dass sie nach dieser Eskalation weitere Wutausbrüche bis hin zu einem schweren Angriff auf ihren Körper befürchtete. Dafür spricht, dass sie Angst vor dem Angeklagten hatte, weinte und nicht bereit war, sich von ihm in seinem Pkw zu ihrem Fahrtziel bringen zu lassen. Demgegenüber folgt aus der Tatsache, dass Nicole K. während der andauernden verbalen Auseinandersetzung nicht versuchte, sich vom Angeklagten zu entfernen, und statt dessen ihn mit Worten zu beschwichtigen suchte, nicht ohne Weiteres die Arglosigkeit des späteren Opfers. Auf die Frage, ob das Opfer gesehen hat, wie der Angeklagte unmittelbar vor dem Zustechen das Messer zog und aufklappte, kommt es nicht an, weil das Opfer zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr arglos war.
10
b) Das Landgericht hat auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint.
11
Es ist zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe Nicole K. aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst, Ärger und Enttäuschung über das Scheitern der Beziehung" getötet. Es hat nicht feststellen können, welches dieser Motive für die Tötung ausschlaggebend gewesen ist und hat deshalb die Motivation des Angeklagten insgesamt nicht als auf niedrigster Stufe stehend angesehen.
12
Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung stand. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen , wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und besonders verwerflich sind (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2004, 34; 2006, 338, 340 m.w.N.).
13
Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass bei der Tötung auch Wut und Ärger des Angeklagten über das Scheitern der Beziehung eine Rolle gespielt haben. Dass es - trotz der Reaktion des Angeklagten auf die Hänseleien seiner Arbeitskollegen am Vormittag des Tattages - diese Motivation nicht als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet indes keinen rechtlichen Bedenken. Vielmehr ist anhand der Vorgeschichte der Tat belegt, dass gleichbedeutend tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung des Angeklagten über die Trennung und über das Erkennen, dass sich seine Lebensgefährtin endgültig von ihm abgewandt hatte, waren. Hinzu kommt, dass der Angeklagte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung aufweist, auf Grund derer er sein Selbstwertgefühl einerseits nur über die Beziehung zu einer Partnerin definiert , andererseits aber nicht in der Lage ist, eine längerfristige Beziehung beizubehalten. Vor diesem Hintergrund hält es sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340), dass das Landgericht die für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet hat.
14
2. Die Revision des Angeklagten
15
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben; insbesondere begegnet auch die Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit keinen rechtlichen Bedenken.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 145/04
vom
20. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Juli 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 21. Oktober 2003 mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die der Nebenkläger. Die von den Nebenklägern erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig , weil sie nicht ausgeführt wurde (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge beanstanden die Revisionen die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke und erstreben eine Verurteilung wegen Mordes. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, Frau B. , wie schon häufiger zuvor , Streit. Sie verließ die Wohnung, schlug die Tür zu und ging bis zum Beginn der in das Erdgeschoß führenden Treppe. Der Angeklagte folgte ihr und holte sie ein. Sie sagte nun zu ihm, daß er gut im Bett sei und ihr im Haushalt helfe, jedoch in der Gesellschaft unmöglich sei. Sie sei etwas Besseres und er nichts. Danach drehte sie sich um und begann, die Treppe hinunterzugehen. Mit einem Angriff des Angeklagten rechnete sie nicht. In der Beziehung war es nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Der ca. 1,85 m große und 90 kg schwere Angeklagte war durch die Worte seiner Lebensgefährtin erregt und wollte diese zunächst zurückhalten. Er packte mit der linken Hand die ca. 1,60 m große Frau, die ihm den Rücken zugedreht hatte, am Hals und würgte sie. Gleichzeitig hielt er ihr mit der rechten Hand den Mund zu und preßte ihren Hinterkopf gewaltsam gegen seine Brust. Als der Angeklagte seine Lebensgefährtin in den Würgegriff genommen hatte, entschloß er sich, sie solange zu würgen, bis sie tot sei. Unter Ausnutzung seiner körperlichen Überlegenheit würgte er sie mindestens eine Minute lang, bis sie entsprechend seiner Absicht verstorben war. Abwehrverletzungen wurden beim Tatopfer nicht festgestellt. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe sie nur festhalten und nicht töten wollen. 2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Zwar sei die Frau objektiv arglos gewesen und habe mit einem Angriff des Angeklagten nicht gerechnet, als sie die Treppe hinuntergehen wollte. Es gebe jedoch keinen Nachweis dafür, daß der Angeklagte diese Arglosigkeit
bewußt zur Tötung ausgenutzt habe. Vielmehr sei die Kammer überzeugt, daß der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt habe, als er die Frau gepackt hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei sie dann nicht mehr arglos gewesen. Die Hauptverhandlung habe auch nicht ergeben, daß es vor der Tat zu keinem Wortwechsel gekommen, der Angeklagte der arglosen Frau von der Wohnung bis zur Treppe nur nachgeschlichen sei und diese dann, ohne irgendeine Vorwarnung , erwürgt habe.

II.

Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewußtes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten verneint hat. 1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, daß der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.Nachw.). Das Opfer muß gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.
2. An diesen Maßstäben gemessen, hält die Bewertung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Der erste Angriff auf das Opfer war hier ein Würgegriff von hinten an den Hals. Ein solcher verbunden mit dem gleichzeitigen Zuhalten des Mundes und gewaltsamen Pressen des Hinterkopfes gegen die Brust stellt nach seinem objektiven Erscheinungsbild einen tätlichen Angriff auf das Leben dar. Beweisanzeichen dafür, daß der Angeklagte diese Vorgehensweise gewählt hat, um Frau B. zurückzuhalten, lediglich am Weggehen zu hindern, hat das Landgericht nicht festgestellt. Das äußere Tatgeschehen, das in Fallgestaltungen der vorliegenden Art besonderen Beweiswert für die subjektive Tatseite hat, legt vielmehr den Schluß nahe, daß dieser Angriff mit Tötungsvorsatz erfolgte , zumal der Angeklagte Frau B. dann auch tatsächlich erwürgt hat. Sich dazu aufdrängende Darlegungen fehlen. Ferner sieht das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er habe seine Lebensgefährtin nur festhalten und nicht töten wollen, insoweit als widerlegt an, als er ab Beginn des Würgevorgangs mit direktem Tötungsvorsatz handelte, nicht aber beim Setzen des Würgegriffes. Bei einem derart massiven einheitlichen tätlichen Angriff hätte erörtert werden müssen, warum das Landgericht nicht von einer einheitlichen Motivation ausgegangen ist. Im übrigen läßt der festgestellte Geschehensablauf eine zeitliche Zäsur dahingehend nicht erkennen, daß das Opfer den Angriff auf sein Leben erkannt hätte, als der Angeklagte den Tötungsvorsatz faßte, und ihm deshalb auch noch hätte ausweichen können, somit nicht arglos gewesen sei.
b) Selbst wenn der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt haben sollte, als er Frau B. in den Würgegriff genommen hatte, so schließt dies
die Arglosigkeit seines Opfers nicht von vornherein aus. Wie bereits oben ausgeführt , ist das Merkmal der Arglosigkeit auch dann gegeben, wenn bei offen feindseligem Verhalten das Opfer die Tötungsabsicht noch im letzten Augenblick erkennt, aber nicht mehr reagieren kann. Dabei macht es keinen Unterschied , ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird, oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, daß der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Der vorausgegangene Wortwechsel beseitigte hier nach der Überzeugungsbildung des Landgerichts die Arglosigkeit des Opfers nicht. Es wurde vielmehr durch den ersten tätlichen Angriff von hinten in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran gehindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen.
c) Für das bewußte Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535). Wenn der Angeklagte seine Lebensgefährtin in der beschriebenen Art und Weise von hinten packte, der gegenüber er trotz vieler Streitigkeiten noch nie Gewalt ausgeübt hatte, liegt die Annahme nahe, daß er sich des überraschenden Angriffs bewußt war. Die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewußtsein verneint, sind nur auf dem Hintergrund der zeitlichen Einordnung des Tötungsvorsatzes und der daraus folgenden rechtsfehlerhaften Bewertung der Arglosigkeit nachvollziehbar. Daraus hat das Landgericht nicht tragfähige Schlüsse auf das Ausnutzungsbewußtsein gezogen. Der Annahme
eines solchen steht auch die Erregung des Angeklagten nicht entgegen. Das Landgericht hat nicht festgestellt, daß der Angeklagte die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht in sein Bewußtsein aufgenommen hat. 3. Bei dieser Sachlage liegt Mord in der Begehungsform der Heimtücke nahe. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

5 StR 92/08

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 6. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2008 beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Oktober 2007 wird mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, dass die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld entfällt.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen; jedoch wird die Gebühr um ein Zehntel ermäßigt, und es werden je ein Zehntel der entstandenen Auslagen und der notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Ferner hat der Angeklagte die durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.

G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Das Rechtsmittel ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wurde der Angeklagte , ein wohlhabender Metzgermeister, von dem Bordellbetreiber T. im November 2006 um 300.000 Euro betrogen. Der Angeklagte erstrebte die Rückzahlung dieses Betrages und vereinbarte mit T. für den späten Abend des 20. Februar 2007 einen Besuch in seinen Geschäftsräumen zur Überga- be einer Darlehenssumme von 25.000 Euro. Diesen Betrag wollte der Angeklagte als Teilrückzahlung behalten und T. zur Zahlung der restlichen 275.000 Euro nötigen, widrigenfalls er den Betrüger zu erschießen beabsichtigte. T. weigerte sich indes auch unter Vorhalt eines Revolvers durch den Angeklagten, dessen Forderungen nachzukommen. Nach einer sich aus dem Arbeitszimmer in den Flur verlagernden Auseinandersetzung schoss der Angeklagte T. in den rechten Unterbauch. Das Opfer sackte lebensgefährlich verletzt zusammen, der Tod wäre spätestens nach 30 Minuten eingetreten. Der Angeklagte verbrachte sein Opfer in den Zerlegeraum der Metzgerei und tötete es durch einen kräftigen Stich ins Herz. Nach Beseitigung des PKW des T. zerlegte der Angeklagte den Leichnam, fügte innere Organe den Schlachtabfällen hinzu, um ein späteres Auftreiben der Leichenteile zu verhindern und versenkte diese in einem See.
3
2. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke ist vorliegend nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 22, 77, 79; 32, 382, 384; BGH NJW 1991, 1963, 1964) für den Zeitpunkt der Schussabgabe nicht zu beanstanden. Der Angeklagte war nach den letztlich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Tötung des Betrügers entschlossen , falls dieser den Schaden nicht wiedergutmachen wollte. Er täuschte T. den Abschluss eines für diesen gewinnbringenden Darlehensvertrages vor, lockte ihn, das Vertrauen des Opfers hierdurch missbrauchend , zu einer günstigen Tatzeit in die zur Tatausführung sehr gut geeigneten Geschäftsräume und hielt dort die Tatwaffe bereit. Diese vom Angeklagten getroffenen Vorkehrungen für die Tatausführung führten beim Opfer zu einem vorgreifenden und noch im Tatzeitpunkt fortwirkenden Entzug von Verteidigungsmöglichkeiten (vgl. BGHSt 22, 77, 79; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 211 Rdn. 7).
4
Der Angeklagte hat darüber hinaus die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auch noch während der Ausführung des tödlichen Messerstichs ausgenutzt. Zwar befand sich sein Opfer zu diesem Zeitpunkt im Zustand der Bewusstlosigkeit, der nach der – freilich vom Schrifttum angegriffenen (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 42 m.w.N.) – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einer Annahme von Arglosigkeit in der Regel entgegensteht (BGHSt 23, 119, 120; BGH StV 2000, 309 m.w.N.). Diesen Zustand hatte der Angeklagte indes durch einen von Tötungsvorsatz getragenen – sogar todestauglichen – Schuss bereits unter Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers selbst herbeigeführt. Bei dieser Sachlage stellt die unmittelbare Herbeiführung des Todes durch eine weitere Tötungshandlung im Zustand der Bewusstlosigkeit des Opfers immer noch ein Ausnutzen der vom Täter zuvor hervorgerufenen und noch fortwirkenden Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers dar. Eine Aufspaltung des vom einheitlichen Tötungsvorsatz getragenen Geschehens in einen versuchten Heimtückemord in Tateinheit mit Totschlag wegen Wegfalls des Mordmerkmals während der weiteren Tatausführung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 1963 – 5 StR 128/63; Fischer aaO Rdn. 106) kommt demnach nicht in Frage. Der Angeklagte ist des Heimtückemordes schuldig.
5
3. Jedoch hat die Annahme der besonderen Schwere der Schuld – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGHSt [GS] 40, 360, 370) – keinen Bestand. Sie beruht auf Wertungsfehlern (vgl. BGHSt 42, 226, 227).
6
Der Umstand, dass der Angeklagte mehrere Monate nach der Tat im Rahmen der psychiatrischen Exploration erklärt hatte, die Person, die den Herzstich ausgeführt habe, komme aus der Familie des Opfers, erscheint angesichts der Offenbarungssituation und der erdrückenden Beweislage als bloßer Ausdruck verzweifelt untauglicher Verteidigungsbemühungen vor einer drohenden Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe und offenbart keine besondere Missachtung der Angehörigen des Opfers. Der auf die Beseitigung von Tatspuren ausgerichtete Umgang des Angeklagten mit der Leiche des Tatopfers, der die Voraussetzungen des Vergehenstatbestandes des § 168 StGB noch nicht erfüllt (vgl. BGH NStZ 1981, 300; Fischer aaO § 168 Rdn. 17), kann für sich allein nicht als wesentlich schuldsteigernd betrachtet werden (vgl. demgegenüber – im Sachverhalt anders – BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 11).
7
Weitere schuldsteigernde Umstände hat das Landgericht nicht benannt (UA S. 45); sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld hat demnach zu entfallen.
Basdorf Brause Schaal Schäfer Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 319/03
vom
22. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin S. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin von P. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 16. Dezember 2002 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Die Kosten der Revisionen der Nebenklägerinnen und des Angeklagten fallen dem jeweiligen Beschwerdeführer zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen, mit denen die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel - ebenso wie die Nebenklägerinnen, die überdies das Verfahren beanstanden - eine Verurteilung wegen Mordes. Der Angeklagte wendet sich in erster Linie dagegen, daß das Landgericht das Vorliegen einer verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen hat.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft wird vom Generalbundesanwalt nicht vertreten.
Die Revisionen haben keinen Erfolg.
Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte lebte mit der damals 28jährigen Melanie S. , dem späteren Tatopfer, und dem gemeinsamen Sohn in häuslicher Lebensgemeinschaft. Da der Angeklagte im Übermaß Alkohol trank und in alkoholisiertem Zustand gegenüber seiner Lebensgefährtin auch gewalttätig wurde, zog diese Anfang Januar 2002 mit dem Sohn aus der gemeinsamen Wohnung aus. In der Folgezeit bedrohte der Angeklagte, der sich mit der Trennung nicht abfinden konnte und seither noch mehr dem Alkohol zusprach, Melanie S. mehrfach mit dem Tode und griff sie überdies mehrere Male anläßlich zufälliger Zusammentreffen tätlich an, weil sie seiner Aufforderung, zu ihm zurückzukehren, nicht nachkam. Auch Dritten gegenüber äußerte er unter Alkoholeinfluß, er werde Melanie S. umbringen. Am 17. Juli 2002 suchte Melanie S. den Angeklagten in dessen Wohnung auf, um Fragen im Zusammenhang mit einem Besuchstermin für den gemeinsamen Sohn zu klären. Sie hatte zuvor eine Wohnungsnachbarin des Angeklagten gebeten, in seine Wohnung nachzukommen , falls sie nicht zurückkehre. Melanie S. machte dem Angeklagten Vorhaltungen wegen seines verwahrlosten Aussehens und kündigte an, er werde seinen Sohn nicht mehr sehen, wenn er so weitermache. Als der Angeklagte sie fragte, ob sie mit einem anderen Mann zusammen sei, antwortete Melanie S. zunächst ausweichend. Beide gelangten danach vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Dort bejahte schließlich Melanie S. die vom Ange-
klagten erneut gestellte Frage. Diese Antwort machte den Angeklagten wütend. Er warf Melanie S. auf das Bett und setzte sich auf sie. Sie versuchte zunächst , ihn wegzudrücken, was ihr jedoch nicht gelang. Der Angeklagte faßte daraufhin "aus Wut, Verzweiflung und endgültiger Verlustangst und Trauer um das Scheitern der Beziehung" den Entschluß, Melanie S. zu töten. Er würgte sie mindestens drei Minuten bis zum Eintritt des Todes. Im Zeitpunkt der Tat wies er eine Blutalkoholkonzentration von 2 ‰ auf.

II.


1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen
Das Urteil weist keine Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.

a) Soweit die Nebenklägerinnen beanstanden, das Landgericht habe die Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO verletzt, greifen die Verfahrensrügen aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen nicht durch.

b) Ohne Erfolg wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerinnen in sachlich-rechtlicher Hinsicht dagegen, daß der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt worden ist.
aa) Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist das Schwurgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß der Angeklagte nicht die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers ausgenutzt, mithin nicht heimtückisch im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat.
Nach der Rechtsprechung kommt es bei heimtückisch begangenem Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (vgl. BGHSt 32, 382, 384). Zwar kann das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter mit bereits gefaßtem Tötungsvorsatz ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15; BGH NStZ 1999, 506). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof erwogen, Arglosigkeit des Tatopfers auch dann anzunehmen, wenn - wie hier - der überraschende Angriff zunächst nicht mit Tötungsvorsatz, sondern nur mit Verletzungsvorsatz geführt wird, jedoch der ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt, daß der Überraschungseffekt zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter zum auf Tötung gerichteten Angriff schreitet. Voraussetzung für die Annahme von Arglosigkeit soll aber auch in einem solchen Fall sein, daß dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen bleibt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 16 und 27).
Es kann dahingestellt bleiben, ob hiernach Heimtücke schon deshalb entfällt, weil es dem Tatopfer gelang, sich zunächst gegen den ersten noch nicht mit Tötungsvorsatz geführten Angriff zur Wehr zu setzen.
Denn Melanie S. war nach den Feststellungen schon aufgrund des der Tötung unmittelbar vorausgegangenen Wortwechsels mit dem Angeklagten nicht mehr arglos. Zwar schließt ein bloßer der Tat vorausgegangener Wortwechsel , eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Mißtrauen Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tät-
lichkeit entnommen hat. Erforderlich ist vielmehr für die Beseitigung der Arglosigkeit auch bei einem vorausgegangenen Streit, daß das Opfer mit einem tätlichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363; 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21; BGH NStZ 2003, 146).
Daß letzteres hier vorgelegen hat, ergibt sich sowohl aus der Vorgeschichte der Auseinandersetzung als auch aus ihrem Verlauf selbst. Melanie S. war bei ihrem Besuch beim Angeklagten bewußt, daß dieser nach wie vor nicht bereit war, die Trennung zu akzeptieren, und auf ihre Weigerung, zu ihm zurückzukehren, in der Vergangenheit mit massiven Tätlichkeiten reagiert und sie bereits mehrfach mit dem Tode bedroht hatte. Zuletzt war es einen Monat vor der Tat zu einem tätlichen Angriff durch den Angeklagten gekommen. Aus Angst hatte sie ihm deshalb auch verheimlicht, daß sie zwischenzeitlich eine neue Beziehung eingegangen war. Am Tattag suchte sie die Wohnung des Angeklagten erst auf, nachdem sie - ersichtlich aus Sorge vor Tätlichkeiten des Angeklagten - eine Nachbarin gebeten hatte, nachzukommen, falls sie nicht zurückkehre. Diese Vorgeschichte darf bei der Beurteilung der Arglosigkeit und der Kenntnis des Angeklagten hiervon nicht außer acht gelassen werden (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21). Hieraus ergibt sich jedoch, daß Melanie S. am Tattag nicht nur einer Begegnung mit dem Angeklagten mit generellem Mißtrauen begegnete, sondern jedenfalls spätestens ab dem Zeitpunkt, als der Angeklagte das Gespräch auf das Eingehen einer neuen Partnerschaft lenkte und sich erkennbar nicht mit ausweichenden Antworten abfinden wollte, auch konkret mit einem schweren tätlichen Angriff rechnete. Daß sie die früheren Todesdrohungen des Angeklagten nicht ernst nahm (UA 11) und sich deshalb möglicherweise keines Angriffs auf ihr Leben versah, belegt ihre Arglosigkeit im Tatzeitpunkt nicht. Vielmehr ist von einer Arglosigkeit eines Tatopfers
schon dann nicht mehr auszugehen, wenn es, wie hier, einen schweren Angriff auf seinen Körper befürchtet (BGHR aaO).
bb) Das Landgericht hat auch das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei verneint.
Es ist zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe Melanie S. aus "Wut, Verzweiflung, endgültiger Verlustangst und Trauer um das Scheitern der Beziehung" getötet. Es hat nicht feststellen können, daß eines dieser Motive für die Tötung ausschlaggebend gewesen ist und hat deshalb die Motivation des Angeklagten insgesamt nicht als auf niedrigster Stufe stehend angesehen.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung stand. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung nur dann auf niedrigen Beweggründen , wenn das Hauptmotiv oder die vorherrschenden Motive, welche der Tat ihr Gepräge geben, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verwerflich sind (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 20, 25; BGH, Urteil vom 9. September 2003 - 5 StR 126/03).
Ein solcher Fall ist nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer hat das Landgericht nicht verkannt, daß die Tötung der Melanie S. unmittelbar nach deren "Geständnis" über das Eingehen einer neuen Partnerschaft erfolgte und bei der Tötung auch Eifersucht und Wut des Angeklagten darüber, daß sie sich einem anderen Mann zugewandt hatte, eine Rolle spielten (UA 21 und 23). Daß das
Schwurgericht diese Motivation nicht als tatbeherrschend angesehen hat, begegnet indes keinen rechtlichen Bedenken. Vielmehr ist anhand der Vorge- schichte der Tat belegt, daß gleichbedeutend tatauslösend und tatbestimmend auch Gefühle der Verzweiflung des Angeklagten über die Trennung, über seine in der Folgezeit entstandene perspektivlose Lebenssituation und über das Erkennen , daß sich seine Lebensgefährtin endgültig von ihm abgewandt hatte, waren. Vor diesem Hintergrund hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei die für den Angeklagten bestimmenden Motive in ihrer Gesamtheit nicht als niedrig im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gewertet (vgl. BGH NStZ 2004, 34).
2. Die Revision des Angeklagten
Auch die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
Die Erwägungen, mit denen das sachverständig beratene Schwurgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer affektiven Bewußtseinsstörung beziehungsweise einer Persönlichkeitsstörung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit abgelehnt hat, sind nicht zu beanstanden.
Zwar ist das Landgericht davon ausgegangen, daß unter anderem wegen der "Verlustangst" des Angeklagten eine "affektive Beeinflussung" bei der Tatausführung vorgelegen habe. Eine affektive Erregung stellt jedoch bei vorsätzlichen Tötungsdelikten, zumal, wenn wie hier, gefühlsmäßige Regungen bei der Tat eine Rolle spielen, eher den Normalfall dar (vgl. Saß, Der Nervenarzt 1983, 557, 558). Ob die affektive Erregung einen solchen Grad erreicht hat, daß sie zu einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung geführt hat, kann des-
halb nur anhand von tat- und täterbezogenen Merkmalen beurteilt werden, die als Indizien für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 4, 7, 9 jew. m.w.N.; BGH StV 1993, 637). Diese Gesamtwürdigung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen. Es hat darauf abgestellt, daß der Angeklagte das Tatgeschehen "beherrscht" und "zweckmäßig" gehandelt habe. Dies wird durch die Feststellungen insoweit belegt, als der Angeklagte selbst das Gespräch auf das - wie er wußte - für ihn stark emotionsbelastete Thema einer neuen Partnerschaft der Melanie S. lenkte, er mithin nicht unvorhergesehen in die tatauslösende Situation gestellt wurde. Für eine erhaltene Introspektionsfähigkeit spricht zudem die Reflektion seiner Tatmotivation (vgl. Saß aaO, 569), etwa seine Einlassung , er sei wütend gewesen, nachdem Melanie S. die Aufnahme einer Beziehung zum Zeugen M. eingeräumt habe. Das Landgericht hat ferner zutreffend hervorgehoben, der Angeklagte habe eine detailreiche Erinnerung an das Tatgeschehen. In seine Abwägung hat es die alkoholische Beeinflussung des trinkgewohnten Angeklagten zur Tatzeit ebenso wie sein Nachtatverhalten in nicht zu beanstandender Weise einbezogen. Es hat insbesondere berücksichtigt, daß der Angeklagte im Anschluß an die Tat sowohl mit der Zeugin Sch. als auch mit einem Polizeibeamten situationsangepaßte und - orientierte Telefongespräche führte. Wenn das Schwurgericht diese in der Tatsituation und im Nachtatverhalten liegenden Indizien zusammenfassend dahin gewürdigt hat, daß ein rechtlich relevanter Ausnahmezustand des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht vorlag, so hält sich diese Wertung noch innerhalb des dem Tatrichter insoweit eröffneten Beurteilungsspielraums.
Eine andere rechtliche Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Tat- vorgeschichte. Nach den Feststellungen befaßte sich der Angeklagte bereits seit der Trennung von Melanie S. mit dem Gedanken diese zu töten, falls sie nicht zu ihm zurückkehrte. Diese Überlegungen werden nicht nur durch die vielfachen, von ihm eingeräumten Todesdrohungen gegenüber dem Tatopfer und entsprechenden Ankündigungen gegenüber dritten Personen belegt, sondern auch durch die Vorfälle vom Februar 2002, als der Angeklagte Melanie S. in einer der Tat vergleichbaren Situation erstmals heftig würgte und von anderen Personen von einem weiteren Vergehen gegen seine ehemalige Lebensgefährtin abgehalten werden mußte, sowie durch den Vorfall vom April 2002, als er Schrauben unter die Reifen ihres Fahrzeugs legte, möglicherweise um einen Verkehrsunfall herbeizuführen. Derartige Ankündigungen der Tat und vergleichbare aggressive Handlungen gegen das spätere Tatopfer im Vorfeld sind jedoch ebenfalls deutliche Anzeichen dafür, daß der Angeklagte nicht infolge einer Bewußtseinsstörung in ein gedanklich nicht vorbereitetes Tatgeschehen geraten ist (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 11 m.w.N.; Saß aaO, 567).
Die Urteilsfeststellungen ergeben auch keine Anhaltspunkte dafür, daß das Persönlichkeitsgefüge des Angeklagten bei der Tatausführung infolge einer schon längere Zeit vor der Tat bestehenden ambivalenten Täter-OpferBeziehung mit chronischen Affektanspannungen schwer erschüttert war. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß bei einer solchen Situation auch ein "Vorgestalten" der Tat in der Phantasie bis hin zu Ankündigungen und Vorbereitungshandlungen der Tat mit einem tatauslösenden affektiven Durchbruch vom Schweregrad des § 21 StGB vereinbar sein können (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 6 und 11 m.w.N.). Eine solche Konfliktentwicklung hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Die Beziehung zwischen dem Angeklagten und Melanie
S. gestaltete sich seit der Trennung gerade nicht ambivalent; vielmehr unternahm lediglich der Angeklagte einseitige Versuche, Melanie S. zu einer Rückkehr zu bewegen, während diese an der Trennung festhielt. Auch die Stimmungsschwankungen des Angeklagten, seine zunehmende Verwahrlosung und die damit einhergehende Vernachlässigung sozialer Belange waren nach den Urteilsfeststellungen nicht Folgen einer Konfliktentwicklung im Rahmen einer ambivalenten Täter-Opfer-Beziehung, sondern standen, worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist, in untrennbarem Zusammenhang mit dem übermäßigen Alkoholkonsum des Angeklagten, den er nach der Trennung noch weiter gesteigert hatte. Angesichts dieser Umstände ist gegen die Annahme des Landgerichts, beim Angeklagten habe zur Tatzeit weder eine schuldmindernde affektive Bewußtseinsstörung noch eine schwere andere seelische Abartigkeit aufgrund einer schweren Persönlichkeitsstörung vorgelegen , aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.

III.


Eine gegenseitige Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten und der Nebenklägerinnen findet nicht statt, weil beide Revisionen erfolglos sind (vgl. BGHR StPO § 473 Abs. 1 Satz 3 Auslagenerstattung 1).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 145/04
vom
20. Juli 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Juli 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 21. Oktober 2003 mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die der Nebenkläger. Die von den Nebenklägern erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig , weil sie nicht ausgeführt wurde (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge beanstanden die Revisionen die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke und erstreben eine Verurteilung wegen Mordes. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, Frau B. , wie schon häufiger zuvor , Streit. Sie verließ die Wohnung, schlug die Tür zu und ging bis zum Beginn der in das Erdgeschoß führenden Treppe. Der Angeklagte folgte ihr und holte sie ein. Sie sagte nun zu ihm, daß er gut im Bett sei und ihr im Haushalt helfe, jedoch in der Gesellschaft unmöglich sei. Sie sei etwas Besseres und er nichts. Danach drehte sie sich um und begann, die Treppe hinunterzugehen. Mit einem Angriff des Angeklagten rechnete sie nicht. In der Beziehung war es nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Der ca. 1,85 m große und 90 kg schwere Angeklagte war durch die Worte seiner Lebensgefährtin erregt und wollte diese zunächst zurückhalten. Er packte mit der linken Hand die ca. 1,60 m große Frau, die ihm den Rücken zugedreht hatte, am Hals und würgte sie. Gleichzeitig hielt er ihr mit der rechten Hand den Mund zu und preßte ihren Hinterkopf gewaltsam gegen seine Brust. Als der Angeklagte seine Lebensgefährtin in den Würgegriff genommen hatte, entschloß er sich, sie solange zu würgen, bis sie tot sei. Unter Ausnutzung seiner körperlichen Überlegenheit würgte er sie mindestens eine Minute lang, bis sie entsprechend seiner Absicht verstorben war. Abwehrverletzungen wurden beim Tatopfer nicht festgestellt. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe sie nur festhalten und nicht töten wollen. 2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Zwar sei die Frau objektiv arglos gewesen und habe mit einem Angriff des Angeklagten nicht gerechnet, als sie die Treppe hinuntergehen wollte. Es gebe jedoch keinen Nachweis dafür, daß der Angeklagte diese Arglosigkeit
bewußt zur Tötung ausgenutzt habe. Vielmehr sei die Kammer überzeugt, daß der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt habe, als er die Frau gepackt hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei sie dann nicht mehr arglos gewesen. Die Hauptverhandlung habe auch nicht ergeben, daß es vor der Tat zu keinem Wortwechsel gekommen, der Angeklagte der arglosen Frau von der Wohnung bis zur Treppe nur nachgeschlichen sei und diese dann, ohne irgendeine Vorwarnung , erwürgt habe.

II.

Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewußtes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten verneint hat. 1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, daß der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.Nachw.). Das Opfer muß gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.
2. An diesen Maßstäben gemessen, hält die Bewertung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Der erste Angriff auf das Opfer war hier ein Würgegriff von hinten an den Hals. Ein solcher verbunden mit dem gleichzeitigen Zuhalten des Mundes und gewaltsamen Pressen des Hinterkopfes gegen die Brust stellt nach seinem objektiven Erscheinungsbild einen tätlichen Angriff auf das Leben dar. Beweisanzeichen dafür, daß der Angeklagte diese Vorgehensweise gewählt hat, um Frau B. zurückzuhalten, lediglich am Weggehen zu hindern, hat das Landgericht nicht festgestellt. Das äußere Tatgeschehen, das in Fallgestaltungen der vorliegenden Art besonderen Beweiswert für die subjektive Tatseite hat, legt vielmehr den Schluß nahe, daß dieser Angriff mit Tötungsvorsatz erfolgte , zumal der Angeklagte Frau B. dann auch tatsächlich erwürgt hat. Sich dazu aufdrängende Darlegungen fehlen. Ferner sieht das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er habe seine Lebensgefährtin nur festhalten und nicht töten wollen, insoweit als widerlegt an, als er ab Beginn des Würgevorgangs mit direktem Tötungsvorsatz handelte, nicht aber beim Setzen des Würgegriffes. Bei einem derart massiven einheitlichen tätlichen Angriff hätte erörtert werden müssen, warum das Landgericht nicht von einer einheitlichen Motivation ausgegangen ist. Im übrigen läßt der festgestellte Geschehensablauf eine zeitliche Zäsur dahingehend nicht erkennen, daß das Opfer den Angriff auf sein Leben erkannt hätte, als der Angeklagte den Tötungsvorsatz faßte, und ihm deshalb auch noch hätte ausweichen können, somit nicht arglos gewesen sei.
b) Selbst wenn der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt haben sollte, als er Frau B. in den Würgegriff genommen hatte, so schließt dies
die Arglosigkeit seines Opfers nicht von vornherein aus. Wie bereits oben ausgeführt , ist das Merkmal der Arglosigkeit auch dann gegeben, wenn bei offen feindseligem Verhalten das Opfer die Tötungsabsicht noch im letzten Augenblick erkennt, aber nicht mehr reagieren kann. Dabei macht es keinen Unterschied , ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird, oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, daß der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Der vorausgegangene Wortwechsel beseitigte hier nach der Überzeugungsbildung des Landgerichts die Arglosigkeit des Opfers nicht. Es wurde vielmehr durch den ersten tätlichen Angriff von hinten in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran gehindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen.
c) Für das bewußte Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535). Wenn der Angeklagte seine Lebensgefährtin in der beschriebenen Art und Weise von hinten packte, der gegenüber er trotz vieler Streitigkeiten noch nie Gewalt ausgeübt hatte, liegt die Annahme nahe, daß er sich des überraschenden Angriffs bewußt war. Die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewußtsein verneint, sind nur auf dem Hintergrund der zeitlichen Einordnung des Tötungsvorsatzes und der daraus folgenden rechtsfehlerhaften Bewertung der Arglosigkeit nachvollziehbar. Daraus hat das Landgericht nicht tragfähige Schlüsse auf das Ausnutzungsbewußtsein gezogen. Der Annahme
eines solchen steht auch die Erregung des Angeklagten nicht entgegen. Das Landgericht hat nicht festgestellt, daß der Angeklagte die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht in sein Bewußtsein aufgenommen hat. 3. Bei dieser Sachlage liegt Mord in der Begehungsform der Heimtücke nahe. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 113/06
vom
27. Juni 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
27. Juni 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung -
Staatsanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22. November 2005 mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen , aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke. Die Revision wird vom Generalbundesanwalt vertreten und erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte lebte vorübergehend im Haushalt seiner Cousine M. B. , des späteren Tatopfers, zu der er eine intime Beziehung unter- hielt. Am Abend des 28. Februar 2005 kamen in ihm unbegründete Eifersuchtsgedanken auf. Er steigerte sich derart hinein, dass er nicht einschlafen konnte. Der Angeklagte, der alkoholabhängig ist, aber seit sieben Jahren abstinent lebte , wurde alkoholrückfällig. Er trank heimlich 0,5 Liter 40 %-igen Calvados.
4
Am nächsten Morgen, dem 1. März 2005, bemerkte M. B. die Alkoholisierung des Angeklagten. Sie erklärte ihm, dass sie mit einem Alkoholiker nichts zu tun haben wolle und äußerte Unverständnis über seine Eifersucht. Im Rahmen dieses Streitgesprächs trat der Angeklagte von hinten an M. B. heran und nahm sie mit seinem rechten Unterarm mindestens 20 bis 30 Sekunden in einen Halswürgegriff. Dadurch erlitt sie leichte Verletzungen im Bereich der inneren Halsorgane. Mit der linken Hand ergriff er nun mit erst jetzt sicher nachweisbarem Tötungsvorsatz ein Küchenmesser und versetzte ihr damit zwei Messerstiche in den Bauchbereich, die die Leber kreuzförmig durchstachen. Dann löste er den Unterarmgriff und fügte ihr einen oberflächlichen Bauchstich und einen oberflächlichen Stich in die linke seitliche Brustwand zu. Danach versetzte er ihr fünf weitere Stiche in den Rücken-, Lenden- und seitlichen Rumpfbereich, wobei sie möglicherweise bereits am Boden lag, sich in einer Drehbewegung befand oder er um sie herumgegangen war. Von diesen Stichen führten drei binnen weniger Minuten zum Tode durch Verbluten und Zusammenbruch der Atmung.
5
Die Tat erfolgte zwischen 7.00 und 8.00 Uhr, nachdem die beiden Söhne des Tatopfers zur Schule gegangen waren. Der Angeklagte trank nach der Tat noch 0,1 Liter Calvados. Nach vorangegangenen anderen Telefonaten benachrichtigte er um 11.04 Uhr die Polizei. Die ihm um 12.01 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,09 o/oo.
6
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Auch das Vorliegen des Mordmerkmals Heimtücke hat es ausgeschlossen. Zwar sei das Opfer objektiv arg- und wehrlos gewesen, als der Angeklagte es von hinten in den Unterarmwürgegriff genommen habe, für diesen Zeitpunkt sei aber ein Tötungsvorsatz nicht sicher feststellbar gewesen. Als der Angeklagte dann zum Messer gegriffen habe, sei das Opfer nicht mehr arglos gewesen. Im Übrigen gebe es keinen Nachweis für ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten. Zwar habe ein gewisses Vertrauens- und Überraschungsmoment vorgelegen. Ein Ausnutzungsbewusstsein wäre aber nur dann nachweisbar, wenn der Angeklagte die Angriffsmöglichkeit von hinten, etwa durch ein Veranlassen der Getöteten sich umzudrehen, gezielt herbeigeführt hätte. Auch spreche die hochgradige Alkoholisierung des Angeklagten gegen eine Bewusstseinsbildung bezüglich der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.
7
Im Anschluss an die Anhörung von zwei Sachverständigen ist das Landgericht von einer nicht ausschließbar erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholintoxikation im Sinne von § 21 StGB zur Tatzeit ausgegangen.

II.

8
Die rechtliche Bewertung des Landgerichts zur objektiven und subjektiven Tatseite eines heimtückisch begangenen Mordes ist nicht frei von Rechtsfehlern. Insoweit ist der festgestellte Sachverhalt auch nicht erschöpfend gewürdigt.
9
1. Die objektiven Voraussetzungen der Heimtücke können selbst dann erfüllt sein, wenn der Unterarmwürgegriff von hinten nicht mit Tötungsvorsatz erfolgte und der Angeklagte einen solchen Vorsatz erst fasste, als er nach dem Messer griff. Dies schließt die Arglosigkeit des Opfers nicht von vornherein aus.
10
Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.N.). Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt , die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs. Dabei macht es aber keinen Unterschied, ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke

3).

11
Jedenfalls letztere Konstellation ist hier gegeben. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt der Angeklagte das Opfer 20 bis 30 Sekunden im Unterarmwürgegriff, den er von hinten ausgeführt hatte, bevor er sich entschloss , es zu töten. Das Opfer hatte in dieser Lage nach Erkennen der Gefahr keine Möglichkeit mehr, sich gegen den Tötungsangriff zur Wehr zu setzen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen. Dann war das Opfer - an den aufgezeigten Maßstäben gemessen - aber auch zu diesem Zeitpunkt infolge Arglosigkeit wehrlos.
12
2. Die Verneinung eines Ausnutzungsbewusstseins des Angeklagten entbehrt einer tragfähigen Grundlage.
13
a) Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535).
14
Es ist nicht erforderlich, wie das Landgericht meint, dass der Täter die Angriffsmöglichkeit von hinten durch eigenes Veranlassen gezielt herbeiführt. Wenn der Angeklagte hier seinem Opfer von hinten den Unterarm um den Hals legte und es würgte, so liegt die Annahme nahe, dass er sich des überraschenden Angriffs bewusst war. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht ein Ausnutzungsbewusstsein verneint, sind in der rechtlichen Bewertung in zweifacher Hinsicht fehlerhaft. Einerseits bedarf es des bewussten Herbeiführens eines Hinterhaltes nicht, andererseits liegt - wie oben ausgeführt - eine rechtsfehlerhafte Bewertung der Arglosigkeit zugrunde.
15
b) Soweit das Landgericht ausführt, auch die hochgradige Alkoholisierung des Angeklagten spreche gegen eine Bewusstseinsbildung bezüglich der Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, fehlt dafür jedwede Begründung. Im Hinblick auf die Ausführungen zur nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit infolge Alkoholisierung versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte den Überraschungseffekt nicht in sein Bewusstsein aufgenommen habe.
16
Die Alkoholisierung beeinträchtigte danach die Fähigkeit des Angeklagten zur Unrechtseinsicht nicht. Eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit wurde nicht positiv festgestellt, sondern konnte nicht ausgeschlossen werden. Nach Auffassung des Sachverständigen K. , der aufgrund der Blutprobe eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,29 o/oo für die Tatzeit von 7.00 Uhr und eine solche von 3,09 o/oo für die Tatzeit von 8.00 Uhr errechnete, zeigte der Angeklagte angesichts dieser Alkoholisierung erstaunlich wenige Ausfallerscheinungen, was darauf schließen lasse, dass er doch nicht ganz trocken gewesen sei. Bei der Berechnung der Tatzeit-BAK hat der Sachverständige den festgestellten Nachtrunk außer Acht gelassen. Unter Berücksichtigung des Nachtrunks bewege sich die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit - so der Sachverständige - dann "am unteren Ende der Nichtausschließbarkeit". Das Landgericht hätte bei einer erschöpfenden Würdigung des Sachverhalts diese Ausführungen in seine Erwägungen einbeziehen und sich damit auseinandersetzen müssen.
17
3. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können daher bestehen bleiben. Insoweit ist das Urteil nicht angegriffen.
18
4. Die Überprüfung des Urteils zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
19
5. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass der Begriff der "Erheblichkeit" in § 21 StGB ein Rechtsbegriff ist. Über das Vorliegen seiner Voraussetzungen ist nach ständiger Rechtsprechung vom Gericht in eigener Verantwortung zu entscheiden und nicht vom Sachverständigen. Dabei fließen normative Überlegungen ein (BGHSt 8, 113, 124; 43, 66, 77). Der Tatrichter hat Gelegenheit , auch darüber neu zu befinden. Nack Wahl Boetticher Schluckebier Elf

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 517/11
vom
7. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 7. Dezember 2011 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 357 StPO beschlossen:
I. Auf die Revisionen der Angeklagten A. und R. gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. Juli 2011 wird das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, 1. hinsichtlich des Angeklagten A.

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 5. der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen worden ist,
b) im Ausspruch über die in den Fällen II. 1.b, II. 4. und II. 7. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, 2. hinsichtlich des Angeklagten R.

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 5. der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen worden ist,
b) im Ausspruch über die im Fall II. 4. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, 3. hinsichtlich des Angeklagten P.

a) im Ausspruch über die in den Fällen II. 1. b und II. 7. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe, 4. hinsichtlich des Angeklagten S.

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 5. der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen worden ist,
b) im Ausspruch über die im Fall II. 4. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. II. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten A. und R. werden verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten A. und R. , an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A. ), unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (P. ), Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R. ) sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (S. ) zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und drei Monaten (A. ), zwei Jahren und sechs Monaten (P. ), zwei Jahren (R. ) sowie zwei Jahren und neun Monaten (S. ) verurteilt. Außerdem hat es die Angeklagten A. und S. von weiteren Tatvorwürfen freigesprochen. Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten A. und R. Revision eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Der Angeklagte A. hat sein Rechtsmittel wirksam auf die Verurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen II. 5. und II. 7. der Urteilsgründe, sämtliche Einzelstrafen und die Gesamtstrafe beschränkt. Die Rechtsmittel haben in dem ausgeurteilten Umfang Erfolg und führen nach § 357 Satz 1 StPO zu einer Erstreckung der Aufhebung auf die nicht revidierenden Mitangeklagten S. und P. . Im Übrigen waren sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte A. dem Angeklagten P. 300 bis 500 Gramm Amphetamine „mittlerer Qualität“ für 300 Euro. Das Rauschgift wurde weder von dem Angeklagten P. noch von anderen Abnehmern beanstandet (Fall II.1. b der Urteilsgründe). Vier Tage nach diesem Vorfall fuhr der Angeklagte A. in Absprache mit dem Angeklagten S. nach Venlo und kaufte dort für 1.000 Euro von einem Rauschgifthändler na- mens „Ar. “ ein Kilogramm Amphetamin „zumindest durchschnittlicher Qualität“. Das Rauschgift verbrachte er anschließend über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet und übergab es dem Angeklagten S. , der zuvor auch das Kaufgeld zur Verfügung gestellt hatte. Der Angeklagte R. war für den Angeklagten S. sowohl bei dem der Bereitstellung des Kaufgeldes dienenden Treffen mit dem Angeklagten A. , als auch bei der Übernahme des Rauschgiftes als Fahrer tätig. Die Angeklagten A. und R. erhielten für ihre Dienste von dem Angeklagten S. 500 (A. ) bzw. 200 (R. ) Euro (Fall II. 4. der Urteilsgründe). In einem weiteren Fall fuhren die Angeklagten A. und S. gemeinsam zu dem Rauschgift- händler „Ar. “ nach Venlo. Dabei benutzten sie verschiedene Fahrzeuge. Der Angeklagte S. wurde von dem Angeklagten R. begleitet, der dafür den PKW seiner Freundin zur Verfügung gestellt hatte. In Venlo kaufte der Angeklagte S. von „Ar. “ für 3.500 Euro „drei Kilogramm Amphetamine“, die anschließend von dem Angeklagten A. in dessen Pkw über die niederländisch -deutsche Grenze auf das Bundesgebiet verbracht wurden. Während der Fahrt wurde der Angeklagte A. von den Angeklagten S. und R. von deren PKW aus überwacht. Der Angeklagte A. erhielt für seine Fahrdienste einen Kurierlohn. Der Abnehmer des Angeklagten S. verlangte nach der Übernahme der Betäubungsmittel die Lieferung einwandfreier Ware oder die Rückgabe des Kaufgeldes. Das Landgericht hat angenommen, dass es sich um „Amphetamin von schlechter Qualität“, nicht jedoch um einen „Ersatzstoff“ gehandelt hat (Fall II. 5. der Urteilsgründe). Schließlich fuhr der Angeklagte A. nochmals in die Niederlande und kaufte dort im Auftrag des Angeklagten P. 1.050 Gramm Marihuana zu einem Preis von 4.000 Euro. Das Kaufgeld hatte der Angeklagte P. zur Verfügung gestellt, der das gesamte Marihuana gewinnbringend verkaufen und dem Angeklagten A. einen Kurierlohn zahlen wollte. Nachdem der Angeklagte A. das Rauschgift im Kofferraum seines PKW über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet verbracht hatte, wurde er festgenommen. Das sichergestellte Marihuana war „von zumin- dest durchschnittlicher Qualität“ (Fall II. 7. der Urteilsgründe).

II.


3
1. Die Verurteilung der Angeklagten A. , S. und R. im Fall II. 5. der Urteilsgründe wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A. und S. ) sowie Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R. ) hat keinen Bestand , weil das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass es sich bei der von dem Angeklagten A. über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet verbrachten Substanz um eine Amphetaminzubereitung gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III BtMG gehandelt hat und deshalb der objektive Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG verwirklicht ist.
4
Grundsätzlich ist der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung frei (§ 261 StPO); von ihm gezogene Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein. Getroffene Feststellungen sind erst dann rechtsfehlerhaft, wenn sie sich von einer festen Tatsachengrundlage sehr entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (BGH, Urteil vom 31. Juli 1996 – 1 StR 247/96, NStZRR 1997, 42, 43) und deshalb keine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit mehr für ihre Richtigkeit besteht (BGH, Urteil vom 19. Januar 1999 – 1 StR 171/98, NJW 1999, 1562, 1564). So liegt es hier.
5
Die von dem Angeklagten A. als Amphetamin angekaufte Substanz wurde von dem Abnehmer des Angeklagten S. beanstandet und dabei eine vollständige Neulieferung oder eine Rückzahlung des gesamten Kaufpreises verlangt. Danach liegt es nicht völlig fern, dass es sich bei der tatgegenständlichen Substanz nicht nur um ein Gemisch mit einem niedrigen Amphetaminbase -Anteil, sondern um ein Falsifikat gehandelt hat. Tatsachen oder Erfahrungssätze , die gleichwohl eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Amphetaminzubereitung begründen könnten, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Der Umstand, dass die Einlassungen der Angeklagten keinen Anhaltspunkt für die Annahme eines Falsifikats ergeben haben, ist ohne Aussagekraft, weil den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann, dass von den beteiligten Angeklagten eine Qualitätsprüfung vorgenommen worden ist. Auch die Tatsache, dass der Lieferant „Ar. “ seine Ware beim Verkauf als Amphetamin bezeichnet hat, sagt nichts Durchgreifendes über deren Beschaffenheit aus.
6
Die Aufhebung betrifft aufgrund des untrennbaren Zusammenhanges auch die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A. und S. ) bzw. Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R. ). Hinsichtlich des nicht revidierenden Angeklagten S. folgt sie jeweils aus § 357 Satz 1 StPO, weil er von dem aufgezeigten Rechtsfehler in gleicher Weise betroffen ist, wie die Angeklagten A. und R. .

7
2. Die in den FälIen II. 1. b, II. 4. und II. 7. der Urteilsgründe gegen die jeweils beteiligten Angeklagten verhängten Einzelstrafen sind aufzuheben, weil das Landgericht keine konkreten Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der umgesetzten Betäubungsmittel getroffen hat und im Fall II. 7. mit der erfolgten Sicherstellung ein bestimmender Strafzumessungsgrund außer Betracht geblieben ist. Bei dem Angeklagten A. fehlt es zudem an hinreichenden Feststellungen zu der von ihm geleisteten Aufklärungshilfe.
8
a) Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge bestimmt (BGH, Beschluss vom 9. November 2011 – 4 StR 390/11, Tz. 5; Beschluss vom 9. November 2010 – 4 StR 521/10, NStZ-RR 2011, 90; Beschluss vom 29. Juni 2000 – 4 StR 202/00, StV 2000, 613; Urteil vom 24. Februar 1994 – 4StR 708/93, NJW 1994, 1885, 1886). Hierzu bedarf es deshalb konkreter Feststellungen. Dabei ist es in der Regel erforderlich, den Wirkstoffgehalt in Gewichtsprozenten anzugeben oder als Gewichtsmenge zu bezeichnen. Beschreibungen wie gute, mittlere, durchschnittliche oder schlechte Qualität sind nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sich den Urteilsgründen oder allgemeinem Erfahrungswissen ein Bezugsrahmen entnehmen lässt, der die Ableitung eines bestimmten Mindestwirkstoffanteils zweifelsfrei ermöglicht (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 – 2 StR 167/08, NStZ-RR 2008, 319; Beschluss vom 27. April 2004 – 3 StR 116/04, StV 2004, 602, 603; Weber, BtMG 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 822). Stehen die tatgegenständlichen Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung der anderen ausreichend sicher festgestellten Umstände (Herkunft , Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) die Wirkstoffkonzentration – notfalls unter Anwen- dung des Zweifelssatzes – durch eine Schätzung festlegen (BGH, Beschluss vom 21. April 2005 – 3 StR 112/05, NStZ 2006, 173, 174; Körner/Patzak, BtMG 7. Aufl., § 29a Rn. 195).
9
Die Feststellung, dass die Amphetaminzubereitung im Fall II. 1. b der Urteilsgründe von „mittlerer Qualität“ und im Fall II. 4. der Urteilsgründe von „durchschnittlicher Qualität“ gewesen sei, lässt nicht erkennen, von welcher Wirkstoffmenge das Landgericht ausgegangen ist. Einen Bezugsrahmen, der eine hinreichende Konkretisierung ermöglichen könnte, hat es nicht aufgezeigt. Er ergibt sich auch nicht aus allgemeinem Erfahrungswissen. Amphetaminzubereitungen können auf jeder Handelsstufe durch die Beimengung von Zusatzstoffen leicht in ihrer Zusammensetzung verändert werden. Sie sind daher im illegalen Betäubungsmittelhandel mit Wirkstoffkonzentrationen zwischen weniger als 5 und bis zu 80 % erhältlich (vgl. Körner/Patzak, BtMG 7. Aufl., § 29a Rn. 226; Weber, BtMG 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 822). Auf der letzten Handelsstufe werden infolge mehrfacher Streckung häufig nur noch Zubereitungen mit einer geringen Wirkstoffkonzentration umgesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2004 – 3 StR 116/04, StV 2004, 602, 603). Von den in den Jahren 1999 bis 2004 bei den Landeskriminalämtern, Zolltechnischen Prüf- und Lehranstalten und dem Bundeskriminalamt begutachteten Proben wiesen zwischen 62 und 64 % einen Wirkstoffanteil von weniger als 10 % auf (vgl. Weber, BtMG 3. Aufl., Anhang H Tab. 1.1 – Amphetamin). Soweit das Landgericht mit den offenkundig bedeutungsgleich verwendeten Bezeichnungen „mittlere Qualität“ und „durchschnittliche Qualität“ eine Wirkstoffkonzentration entsprechend der signifikanten Häufung von Wirkstoffkonzentrationen im Bereich von 10% gemeint haben sollte , wäre nicht erklärlich, warum bei dem Angeklagten A. auch im Fall II. 1. b der Urteilsgründe (Rohmenge 300 bis 500 Gramm) die Annahme eines minder schweren Falles mit der Begründung verneint werden konnte, dass eine „deutlich nicht geringfügige Menge“ vorgelegen habe (UA 26).
10
Auch die in Fall II. 7. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des sichergestellten Marihuanas („zumindest durchschnittliche Qualität“) sind unzureichend. Der Tetrahydrocannabinol-Anteil von Marihuana hat sich – insbesondere aufgrund neuer Zuchttechniken – in der jüngeren Vergangenheit ständig erhöht (vgl. Patzak/Goldhausen NStZ 2011, 76, 77 und NStZ 2007, 195, 196) und unterliegt lokalen Schwankungen. Dies macht auch hier eine konkrete Angabe des Wirkstoffgehalts unerlässlich (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 – 2 StR 167/08, NStZ-RR 2008, 319; Weber, BtMG 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 836). Weitere rechtliche Bedenken gegen die Vorgehensweise des Landgerichts ergeben sich zudem aus der Tatsache, dass eine exakte Feststellung des Wirkstoffanteils durch ein entsprechendes Gutachten ohne Weiteres möglich gewesen wäre (BGH, Beschluss vom 14. Juni 1996 – 3 StR 233/96, NStZ 1996, 498, 499).
11
Der Senat vermag mit Rücksicht auf die festgestellten Rohmengen und die weiteren Umstände auszuschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler den Schuldspruch gefährdet (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 1996 – 3 StR 233/96, NStZ 1996, 498, 499).
12
b) Der Strafausspruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe leidet auch deshalb an einem durchgreifenden Rechtsfehler, weil das Landgericht weder bei der Erörterung eines minderschweren Falls gemäß § 30 Abs. 2 BtMG, noch bei der konkreten Strafbemessung berücksichtigt hat, dass das Marihuana vor der Durchführung des geplanten Umsatzes sichergestellt werden konnte. Zwar hat der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 StPO nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte mitzuteilen (BGH, Urteil vom 7. November 2007 – 1 StR 164/07, NStZ-RR 2008, 343), doch ist mit der Sicherstellung ein Strafmilderungsgrund unerwähnt geblieben, dessen Berücksichtigung sich aufdrängen musste (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1990 – 2 StR 588/89, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 10).
13
c) Schließlich begegnet der Strafausspruch bei dem Angeklagten A. in allen Fällen auch deshalb rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht nur lückenhafte Feststellungen zu der von ihm geleisteten Aufklärungshilfe getroffen hat und das Revisionsgericht deshalb nicht überprüfen kann, ob eine Erörterung der Milderungsmöglichkeit des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG rechtsfehlerfrei unterblieben ist.
14
Das Landgericht hat dem Angeklagten A. bei der Strafzumessung zugutegehalten, dass er „frühzeitig“ und umfassend geständig war. Ob ohne seine Angaben ein Tatnachweis möglich gewesen wäre, hält es für „ungewiss“. Auch wurden die deckungsgleichen Geständnisse der Mitangeklagten „mög- licherweise“ erst infolge des Geständnisses des AngeklagtenA. abgege- ben. Dies legt die Annahme nahe, dass der Angeklagte A. durch seine Angaben die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass gegen die Mitangeklagten mit Erfolg ein Strafverfahren geführt werden konnte. Danach wäre die Milderungsmöglichkeit des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG jedenfalls dann zu erörtern gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 171/09, NStZ-RR 2009, 320, 321; Urteil vom 17. Juni 1997 – 1 StR 187/97, NStZ-RR 1998, 25), wenn sich der Angeklagte noch vor dem nach § 31 Satz 2 BtMG iVm. §46b Abs. 3 StGB maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. dazu Körner/Patzak, BtMG 7. Aufl. § 31 Rn. 27) geständig gezeigt hat. Konkrete Feststellungen hierzu lassen sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.

15
d) Die Aufhebung des Strafausspruches bei den nicht revidierenden Angeklagten P. (Fällen II. 1. b und II. 7. der Urteilsgründe) und S. (Fall II. 4. der Urteilsgründe) beruht auf § 357 Satz 1 StPO. Durch die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 5. der Urteilsgründe und der Einzelstrafen haben bei allen Angeklagten die Gesamtstrafenaussprüche ihre Grundlage verloren.
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin