Bundesgerichtshof Urteil, 29. März 2012 - 3 StR 455/11

bei uns veröffentlicht am29.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 455/11
vom
29. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetruges u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 22. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten R. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Computerbetruges in Tateinheit mit Datenveränderung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer hiergegen zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der verfahrensrechtlichen Beanstandung Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die sachlich-rechtlichen Rügen der Beschwerdeführerin nicht bedarf.
2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieb der (in den USA wohnhafte und von dort zur Hauptverhandlung angereiste) Angeklagte über mehrere Firmen kostenpflichtige Internetseiten. Seine Geschäftspartner B. und H. setzten - unter Einbeziehung weiterer Beteiligter , u.a. der Nichtrevidenten - von Juli 2002 bis Ende September 2003 sogenannte "Autodialer" ein. Dabei handelte es sich um Computerprogramme, die keine eigene Benutzeroberfläche hatten und hohe Entgelte verursachende Telefonverbindungen zu Internetseiten herstellten, ohne dass der jeweilige Computernutzer zuvor darauf hingewiesen worden war. Der Angeklagte billigte ab September 2002 den Einsatz verschiedener Arten kostenpflichtiger "Autodialer" , die - wie er wusste - illegal waren. Er akquirierte Kunden, kontrollierte die Zahlungsein- sowie -ausgänge, war für die Abrechnungen und Auszahlungen zuständig und hatte eine zentrale Position innerhalb der arbeitsteilig vorgehenden Gruppe inne. Insgesamt erzielte er aus dem Einsatz der "Autodialer" einen Gewinn von 884.000 €. Der Gesamtschaden betrug über 12.000.000 €.
3
II. Mit Recht macht die Beschwerdeführerin geltend, dass an dem angefochtenen Urteil in der Person des Kammervorsitzenden ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden war (§ 24 Abs. 1 und 2, § 338 Nr. 3 StPO).
4
1. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde:
5
Am 7. Juni 2011, dem ersten Tag der auf vier Tage anberaumten Hauptverhandlung , kam es während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung zu einem Gespräch über die Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrenserledigung. Die Vorstellungen der Verfahrensbeteiligten stimmten hinsichtlich der drei Nichtrevidenten, nicht aber hinsichtlich des Angeklagten überein. Nach den voll geständigen Einlassungen der Nichtrevidenten verlas der Verteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung. Zudem beantwortete der Angeklagte Fragen des Gerichts. Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine weiteren Fragen beantworten. Während einer anschließenden Unterbrechung regte der Vorsitzende gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft an, bereits am folgenden Tag den die Ermittlung führenden Kriminalbeamten KOK Ho. als Zeugen zu hören und dann die Hauptverhandlung zu beenden. Der Staatsanwalt erklärte, es sei ihm voraussichtlich nicht möglich, bis dahin seiner Meinung nach wichtige Unterlagen vom Angeklagten zu erlangen und zu bewerten. Zudem sei er mit der Beschränkung der Zeugen auf KOK Ho. nicht einverstanden, zumal dieser - anders als etwa der Zeuge H. - kein unmittelbarer Tatzeuge sei. Ferner habe er Bedenken gegen das Vorhaben des Vorsitzenden, die Beweisaufnahme dadurch abzukürzen, dass das gegen den Mittäter B. ergangene Urteil verlesen werde und die Angeklagten sich dazu äußern.
6
Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung kündigte der Verteidiger an, sein Mandant werde in begrenztem Umfang Fragen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft beantworten und versuchen, eine von diesem gewünschte Steuererklärung beizubringen. Der Vorsitzende teilte mit, dass die Kammer beabsichtige , sämtliche Zeugen mit Ausnahme des KOK Ho. sowie - mit Blick auf den Staatsanwalt - des Zeugen H. abzuladen und Auszüge aus dem gegen B. ergangenen Urteil im Selbstleseverfahren einzuführen. Es folgte eine Erörterung, inwieweit weitere Zeugen in der Hauptverhandlung gehört werden müssten. Während die Verteidiger auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichteten, erklärte der Staatsanwalt, sich dazu erst nach Befragung des Angeklagten äußern zu können. Der Vorsitzende beharrte darauf, dass weitere Zeugen für die Schuldfrage nicht erforderlich seien und abgeladen werden könnten. Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich "unanständig" zu verhalten und die anderen Verteidiger "in Sippenhaft zu nehmen". Nachdem sich der Staatsanwalt gegen die Diktion verwahrt hatte, erklärte der Vorsitzende , das Wort "unanständig" in Anführungszeichen gesprochen zu haben. Anschließend belehrte er den Angeklagten über die Regelung des § 231 Abs. 2 StPO und fügte hinzu, diese gelte auch für die Mitangeklagten. Dann wollte er die Verhandlung unterbrechen. Davon sah er auf Wunsch des Staatsanwalts zunächst ab und ermöglichte diesem, Fragen an den Angeklagten zu stellen, begrenzte die Fragezeit aber wegen eines - zu diesem Zeitpunkt erstmals mitgeteilten - Termins eines Kammermitglieds auf zehn Minuten. Nach dieser Zeit beendete er die Fragen des Staatsanwalts und wies darauf hin, die Kammer werde nach eigenem Ermessen über die Abladung von Zeugen entscheiden und erwarte für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge. Unmittelbar danach unterbrach er die Sitzung bis zum eine Woche später liegenden nächsten Verhandlungstag.
7
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft reichte noch am selben Tag außerhalb der Hauptverhandlung ein schriftliches Ablehnungsgesuch unter näherer Darstellung des vorstehenden Sachverhalts bei Gericht ein und lehnte darin den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab. Der abgelehnte Richter äußerte sich am Folgetag schriftlich zu dem Gesuch und bestätigte darin den äußeren Verfahrensablauf im Wesentlichen. Die Kammer wies - ohne Beteiligung des abgelehnten Vorsitzenden - mit Beschluss vom 10. Juni 2011 das Ablehnungsgesuch mit der näher ausgeführten Begründung zurück, die Verhandlungsführung des Vorsitzenden sei nicht zu beanstanden und könne die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.
8
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
9
a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Insbesondere sind die Verfahrenstatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hinreichend dargelegt. Auch wenn die Revisionsbegründung selbst den Ablauf des ersten Hauptverhandlungstags nicht geschlossen schildert, kann dieser vorliegend dem Revisionsvorbringen insgesamt - vor allem dem vollständig mitgeteilten Ablehnungsgesuch - ausreichend entnommen werden.
10
b) Die Verfahrensrüge hat in der Sache Erfolg, weil die Ablehnung des Kammervorsitzenden zulässig und bei verständiger Würdigung aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Besorgnis der Befangenheit gegeben war.
11
aa) Das Ablehnungsgesuch genügt den Zulässigkeitsanforderungen und ist insbesondere unverzüglich i.S.d. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht worden. Dass dies nicht bereits in der Hauptverhandlung selbst geschah, ist nach den gegebenen Umständen nicht maßgeblich. Dem zur Ablehnung Berechtigten ist eine gewisse Zeit zum Überlegen und zum Abfassen des Gesuchs zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1995 - 2 StR 19/95, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 mwN). Diese Zeit ist hier bei dem noch am selben Tag eingereichten Gesuch nicht überschritten. Dabei ist auch zu berücksichtigen , dass der Eindruck einer Voreingenommenheit, der sich schon aus dem nachhaltigen und intensiven Hinwirken auf einen Verzicht der Vernehmung von Zeugen ergeben konnte, durch das weitere Verhalten des Vorsitzenden gestützt und verstärkt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, StV 1988, 281).
12
bb) Die Verhandlungsführung des Kammervorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag stellt bei einer Gesamtschau einen Grund dar, der aus Sicht der Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung geeignet war, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Dazu ist entscheidend auf den nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1991 - 3 StR 365/90, BGHSt 37, 298, 302 f.), ohne dass es maßgeblich darauf ankommt , inwieweit dieser Eindruck tatsächlich der inneren Haltung des Richters entspricht. Nach dem Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages musste sich der Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozesserledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2003 - 3 StR 28/03, NStZ 2003, 666, 667; Urteil vom 9. März 1988 - 3 StR 567/87, StV 1988, 281 f.). Dies ergibt sich aus Folgendem :
13
Bereits die beharrlichen und intensiven Versuche des Kammervorsitzenden , den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu einem Verzicht auf die Vernehmung des überwiegenden Teils der Zeugen zu drängen, obwohl der Angeklagte - wie sich aus den Urteilsgründen ergibt - das Gewicht seiner Tatbeiträge zu den ihm zur Last liegenden Straftaten nicht in vollem Umfang eingeräumt hatte und insbesondere für eine schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig waren, sowie seine Wortwahl konnten den Eindruck hervorrufen, ihm fehle gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität. Zwar kann ein Vorsitzender zur Verfahrensförderung bestimmte Prozesshandlungen der Verfahrensbeteiligten anregen, hat dabei aber die gebotene Zurückhaltung zu wahren (BGH, Urteil vom 5. September 1984 - 2 StR 347/84, NStZ 1985, 36, 37). Eine solche Zurückhaltung hat der Kammervorsitzende vermissen lassen.
14
So hatte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorsitzenden zuvor in einer Verhandlungspause unmissverständlich mit nachvollziehbarer Begründung mitgeteilt, er sei derzeit mit einer Beschränkung der Zeugenver- nehmung auf KOK Ho. nicht einverstanden. Dies hinderte zwar den Vorsitzenden nicht, den Zeugenverzicht danach nochmals in der Hauptverhandlung anzusprechen. Der Umstand jedoch, dass er in diesem Zusammenhang den Vorwurf erhob, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft verhalte sich mit seiner Weigerung "unanständig" und nehme die anderen Verteidiger "in Sippenhaft", musste dieser als unzulässigen Druck verstehen, zum Zwecke einer schnellen Verfahrenserledigung gegen seine Überzeugung bereits vor abgeschlossener Befragung des Angeklagten den vom Vorsitzenden gewünschten Zeugenverzicht zu erklären (s. dazu BGH, Beschluss vom 4. Oktober 1984 - 4 StR 429/84, wistra 1985, 27, 28). Die anschließende Äußerung des Vorsitzenden, der Begriff "unanständig" sei mit Anführungszeichen gesprochen gewesen, konnte den durch die drastische Wortwahl hervorgerufenen Eindruck der Voreingenommenheit nicht beseitigen, auch wenn die Abmilderung bei der Bewertung zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 292/11 mwN).
15
Die Besorgnis, der Vorsitzende habe in erster Linie den schnellen Abschluss des Verfahrens und weniger die Ermittlung des wahren Sachverhalts im Blick, wurde noch dadurch verstärkt, dass er zuvor in einer Verhandlungspause erwogen hatte, die Hauptverhandlung nicht erst am dafür vorgesehenen zweiten Verhandlungstag, sondern bereits am Folgetag fortzusetzen und abzuschließen. Ein solches Vorgehen, das im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen durchaus sinnvoll ist, konnte hier im Hinblick auf den Umfang sowie die Komplexität der Anklagevorwürfe den Eindruck der Beschwerdeführerin von einer Voreingenommenheit vertiefen. Dafür ist es nicht von entscheidender Bedeutung , ob der Vorsitzende salopp davon sprach, man könne am nächsten Tag "den Sack zumachen".
16
Der weitere Verfahrensablauf relativierte aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit des Vorsitzenden, sondern war geeignet, diese sogar zu verstärken. Die Belehrung des Angeklagten, es könne nach § 231 Abs. 2 StPO auch in seiner Abwesenheit weiterverhandelt werden, weil er bereits zur Anklage vernommen worden sei, und die zunächst unmittelbar darauf beabsichtigte Unterbrechung der Hauptverhandlung konnten unter Berücksichtigung des vorangegangenen Geschehens aus Sicht der Beschwerdeführerin den Eindruck erwecken, ein Ausbleiben finde die Billigung des Gerichts (vgl. RG, Urteil vom 11. April 1924 - I 180/24, RGSt 58, 149, 152 f.; OLG Köln, Beschluss vom 7. August 1984 - 3 Ss 242/84, StV 1985, 50; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 22).
17
Dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sodann am ersten Hauptverhandlungstag noch Gelegenheit erhielt, den Angeklagten zu befragen, beseitigte den bis dahin hervorgerufenen Eindruck fehlender Neutralität nicht; denn die Fragemöglichkeit war vom Vorsitzenden unvermittelt auf nur zehn Minuten beschränkt worden. Auch wenn der Zeitpunkt der Unterbrechung der Hauptverhandlung verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden ist, konnte die Beschwerdeführerin diese bei einer Gesamtbetrachtung der Verhandlungsführung durchaus als Beschränkung ihres Fragerechts verstehen, weil sie zuvor über die zeitliche Beschränkung nicht informiert worden war.
18
Schließlich wurde der Eindruck der Voreingenommenheit noch dadurch verstärkt, dass der Vorsitzende für den nächsten Sitzungstag die Schlussvorträge erwartete, obwohl sich bislang lediglich die Angeklagten zur Sache eingelassen hatten und der Verlauf sowie das Ergebnis der noch durchzuführenden Beweisaufnahme offen waren.
19
3. Das Ablehnungsgesuch durfte nach alledem nicht zurückgewiesen werden, weil die Verhandlungsführung des Vorsitzenden in ihrer Gesamtheit bei der Staatsanwaltschaft den Eindruck der Voreingenommenheit hervorrufen musste. Deshalb liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vor, der den Senat dazu zwingt, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.
20
Im Falle eines erneuten Schuldspruchs wird näher auf eine Abgrenzung zwischen Betrug und Computerbetrug Bedacht zu nehmen sein (vgl. Buggisch, NStZ 2002, 178, 181; Frank, CR 2004, 123, 125 ff.; Fülling/Rath, JuS 2005, 598 ff.; Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, 2005, Rn. 555 f.; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 263 Rn. 24; jurisPKInternetrecht /Heckmann, 3. Aufl., Kapitel 8 Rn. 155; [ohne nähere Begründung zur rechtlichen Bewertung] LG Essen, Urteil vom 9. März 2007 - 52 KLs 24/06, juris Rn. 84).
21
Zudem können nähere Erörterungen dazu angezeigt sein, inwieweit eine etwaige Beteiligung des Angeklagten als Mittäter an den Betrugstaten sich auch auf den Tatbestand der Datenunterdrückung erstreckte.
22
Im Übrigen erscheint dem Senat nach den Strafzumessungsgründen - insbesondere im Hinblick auf den hohen Gesamtschaden von über 12.000.000 € auch unter Berücksichtigung der strafmildernden Gesichtspunkte - die Strafe unverhältnismäßig milde. Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 29. März 2012 - 3 StR 455/11

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(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern; auch kann er den Angeklagten während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen.

(2) Entfernt der Angeklagte sich dennoch oder bleibt er bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn er über die Anklage schon vernommen war, das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet und er in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass die Verhandlung in diesen Fällen in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden kann.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters, zulässig. Ist die Besetzung des Gerichts nach § 222a Absatz 1 Satz 2 schon vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden, so muss das Ablehnungsgesuch unverzüglich angebracht werden. Alle Ablehnungsgründe sind gleichzeitig vorzubringen.

(2) Im Übrigen darf ein Richter nur abgelehnt werden, wenn

1.
die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekanntgeworden sind und
2.
die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird.
Nach dem letzten Wort des Angeklagten ist die Ablehnung nicht mehr zulässig.

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 28/03
vom
11. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 11. März 2003 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 17. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Zugrunde liegt nach den getroffenen Feststellungen, daß der Angeklagte dem späteren Tatopfer am Tattag nach 18.45 Uhr zufällig auf einem Waldweg begegnete, es in eine Tannenschonung zog und sich entschloß, mit ihm geschlechtlich zu verkehren, wobei er es zu diesem Zweck töten oder in der Tötung geschlechtliche Befriedigung suchen wollte. Die vor ihm fliehende, bis auf die Socken nackte Frau, an der er zuvor mit einem Regenschirm sexuelle Handlungen vorgenommen hatte, erstach er mit insgesamt 47 Messerstichen. Während das Opfer verblutete, vollzog der Angeklagte an ihm den Beischlaf bis zum Samenerguß. Eine DNA-Analyse hat zu dem Ergebnis geführt,
daß das in der Leiche gefundene Sperma dem Angeklagten zuzuordnen ist und dessen Identifizierungsmuster seltener als einmal unter einer Billion nicht blutsverwandter Personen vorkommt. Der Angeklagte hat den Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer eingestanden. Nach dem freiwilligen Geschlechtsverkehr sei er von dem lesbisch veranlagten Opfer beleidigt und geschlagen worden, an das weitere Geschehen habe er keine Erinnerung mehr. Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten macht Mängel in der Beweiswürdigung zum Tatgeschehen sowie zur unmittelbaren Vor- und Nachgeschichte geltend und rügt die fehlerhafte Behandlung mehrerer Beweisanträge. Mit der weiteren Beanstandung , daß an dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden war, hat der Beschwerdeführer Erfolg.

II.

1. Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde: Im Laufe der Hauptverhandlung am 15. Februar 2002 sagte der Zeuge KHK S. aus, daß dem Zeugen Ma. am Tattag um 18 Uhr der Pkw der später getöteten Frau M. entgegen gekommen sei, in dem eine weitere, eventuell männliche Person auf dem Beifahrersitz gesessen habe. Auf die erstaunte Nachfrage des Verteidigers bestätigte der Vorsitzende, daß sich eine solche Aussage nicht in den Ermittlungsakten befinde. Hierzu gab der Zeuge an, er hätte sie in einer der zahlreichen Spurenakten gelesen. Am 19. Februar 2002 übergab KHK S. einen Karton mit den Spurenakten dem Gericht. Im Fortsetzungstermin vom 22. Februar 2002 wies der Verteidiger darauf hin,
daß er noch Einsicht in die Spurenakten nehmen wolle. Er kündigte an, weitere Beweisanträge nach deren Durcharbeitung zu stellen. Der Vorsitzende fragte gleichwohl, ob die Beweisaufnahme geschlossen werden könne. Erneut wies der Verteidiger darauf hin, daß er beabsichtige, die Spurenakten durchzusehen und noch Beweisanträge zu stellen. Daraufhin äußerte der Vorsitzende, man könne heute die Zeit noch nutzen für das Plädoyer des Staatsanwalts. Bei eventuellen Beweisanträgen könne wieder in die Hauptverhandlung eingetreten werden. Die Beweisaufnahme wurde sodann geschlossen, der Staatsanwalt hielt sein Plädoyer. Am selben Tag rief der Vorsitzende in der Mittagszeit den Verteidiger an und fragte, ob er sein Plädoyer nicht einen Tag früher als zu dem ins Auge gefaßten Fortsetzungstermin halten könne. Wieder wies der Verteidiger auf die Durchsicht der Spurenakten, eine Besprechung mit dem Angeklagten sowie auf weitere Beweisanträge hin. Daraufhin äußerte der Vorsitzende, daß die Beweisanträge möglicherweise alle abgelehnt werden könnten. Auf die Frage des Verteidigers, ob denn das Urteil schon feststehe, antwortete er, daß ein Täter, der ein Mordmerkmal erfülle, regelmäßig lebenslänglich bekomme, es sei denn, der Verteidiger präsentiere den wahren Täter, vielleicht den Zwillingsbruder des Angeklagten mit derselben DNA. In seiner dienstlichen Äußerung hat der Vorsitzende zu seiner Bemerkung zur Ablehnung der Beweisanträge ausgeführt, daß er die Möglichkeit gesehen habe, daß die Verteidigung keine oder nur solche Beweisanträge stellen würde, die das Gericht nach kurzer Beratung ablehnen könnte. Seine Antwort zur Frage nach einer lebenslangen Freiheitsstrafe sei lediglich der Hinweis auf eine Binsenwahrheit gewesen. Seine Bewertung mit dem Zwillingsbruder habe sich nur auf den Beweiswert der DNA-Analyse bezogen. Er habe weiter gesagt,
daß Beweisanträge, die darauf abzielten, daß der Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, bevor Frau M. ihrem Mörder begegnet sei, Erfolg haben könnten. In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Vorsitzende geäußert, daß er auf den hohen Beweiswert der DNA hingewiesen habe, daß bei einer statistischen Wahrscheinlichkeit von mehreren Billionen oder Billiarden nur noch ein Zwillingsbruder als möglicher anderer Täter in Frage komme, andererseits aber auch die Möglichkeit bestehe, daß durch die DNA nicht die dem Geschlechtsverkehr nachfolgende Tötung bewiesen werde. Nach Ablehnung dieses Befangenheitsantrages wurde wieder in die Beweisaufnahme eingetreten; das Urteil wurde schließlich vier Monate später verkündet. 2. Bei diesem Sachverhalt ist das Ablehnungsgesuch des Angeklagten zu Unrecht verworfen worden. Die zitierten Äußerungen begründen die Besorgnis der Befangenheit; sie waren geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Denn sie konnten den Eindruck erwecken, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozeßerledigung einer sachgemäßen Aufklärung der Sache vor und sei bereits davon überzeugt, daß der Angeklagte nicht nur den Geschlechtsverkehr mit dem Opfer , sondern auch einen Sexualmord begangen hatte. Angesichts des Umstandes, daß ein Polizeibeamter in der Hauptverhandlung auf eine den Angeklagten entlastende Aussage des Zeugen Ma. hingewiesen hatte, die dem Verteidiger und auch dem Vorsitzenden bislang unbekannt war, und die in Spurenakten enthalten war, die sich bisher nicht bei den Verfahrensakten befanden, und der daraufhin erfolgten Ankündigung des Verteidigers, nach Durcharbeitung der Spurenakten Beweisanträge stellen zu wollen, konnte die vom Vorsitzenden verfügte Beendigung der Beweisaufnah-
me, seine Aufforderung an die Staatsanwaltschaft, das Schlußplädoyer zu halten, und die Äußerung dem Verteidiger gegenüber, daß dessen angekündigte Beweisanträge möglicherweise alle abgelehnt würden, auch in einem besonnenen Angeklagten die Befürchtung wecken, dieser Richter sei ihm gegenüber nicht mehr unbefangen und geneigt, auf das prozessuale Vorgehen seines Verteidigers ihm, dem Angeklagten gegenüber, in einer seiner Sache nachteiligen Weise zu reagieren und die schnelle Sacherledigung einer sachgerechten Aufklärung vorzuziehen (vgl. BGHR StPO § 24 II Vorsitzender 1). Hierbei ist zu berücksichtigen, daß durch das DNA-Gutachten zunächst lediglich bewiesen wird, daß der Angeklagte Geschlechtsverkehr mit dem Opfer hatte. Für die weitere Schlußfolgerung, daß er auch derjenige war, der das Opfer erstochen hatte, kam es auf die Auswertung und Würdigung des gesamten übrigen Spuren- und Beweisbildes an, weil dafür der zeitliche Abstand zwischen Geschlechtsverkehr und Tötungshandlung sowie deren Reihenfolge von Bedeutung sind. Daß sich hierbei durchaus Anhaltspunkte aus den Spurenakten gewinnen ließen, die der Verteidigung Anlaß für Beweisanträge sein konnten, lag nicht fern. Dies belegt bereits die von dem Zeugen KHK S. wiedergegebene Beobachtung eines Zeugen, der in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu der Begegnung des Angeklagten mit dem Opfer eine weitere "eventuell männliche Person" in deren Pkw gesehen haben will. Bei dem vom Gericht angenommenen Geschehensablauf wäre dies eine dritte Person gewesen, deren mögliche Verwicklung in das Geschehen hätte bedacht werden müssen. Wenn sich schon in einem Verfahren das Mißgeschick ereignet, daß Spurenakten, die möglicherweise erhebliche Ermittlungen enthalten, erst im Laufe der Hauptverhandlung auftauchen, wäre zu erwarten gewesen, daß das
Gericht diese selbst im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO eingehend prüft und auch den Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber dem Verteidiger ausreichende Gelegenheit zur Nachholung der Verfahrensvorbereitung gibt, anstatt auf eine schnelle Verfahrensbeendigung zu drängen.

III.

Da bereits diese Verfahrensrüge zur Aufhebung führt, kommt es auf die Begründetheit der weiteren Verfahrens- und Sachrügen nicht mehr an. Der Senat weist jedoch darauf hin, daß auch in weiteren Punkten nicht unerhebliche rechtliche Bedenken bestehen: 1. Das Landgericht hat den Beweisantrag, die nach dem Spurensicherungsbericht an der unbekleideten Leiche aufgefundenen und asservierten Haare einer DNA-Analyse zu unterziehen, die ergeben werde, daß diese Haare weder dem Angeklagten noch dem Tatopfer zuzuordnen seien, abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, es handle sich bei der Beweisbehauptung um eine bloße Vermutung. Im übrigen hat die Kammer die unter Beweis gestellte Tatsache als bedeutungslos bezeichnet, weil sie nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme auch dann, wenn sie erwiesen sei, aus ihr nicht den zwar möglichen, aber nicht zwingenden Schluß ziehen würde, daß die Spurenübertragung durch einen anderen Täter stattgefunden habe. Beide Begründungen sind rechtlich bedenklich. Ein Antragsteller darf auch das, was er nur für möglich hält, also vermutet, zum Gegenstand eines Beweisantrags machen (vgl. Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 44). Eine "aufs Geratewohl" aufgestellte, aus der Luft gegriffene Beweisbehauptung (vgl. BGH StraFo 2003, 95) liegt bei dieser Sachlage, bei der es um die Zuordnung von am Tatort tatsächlich aufgefundenen Spuren geht, ersichtlich nicht vor. Für
eine Behandlung als bedeutungslos fehlt es in Anbetracht des Umstandes, daß nach Sachlage durchaus die Beteiligung einer dritten Person zu prüfen war (vgl. die Beweiswürdigung ab UA S. 30), an einer ausreichenden Begründung. Denn zur Beurteilung der Frage der Erheblichkeit ist die Beweistatsache so, als sei sie bewiesen, in das bisher gewonnene Beweisergebnis einzufügen und als Teil des Gesamtgefüges in seiner indiziellen Beweisbedeutung zu würdigen (vgl. Herdegen aaO Rdn. 74). Damit unterscheidet sich die erforderliche Begründung bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit grundsätzlich nicht von den Begründungserfordernissen bei der Würdigung von durch Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen. Denn die Ablehnung eines Beweisantrages darf nicht dazu führen, daß aufklärbare , zugunsten eines Angeklagten sprechende Umstände der gebotenen Gesamtabwägung im Rahmen der Beweiswürdigung entzogen werden (vgl. BGH StV 1990, 292 f.). Es liegt hier auf der Hand, daß das Schwurgericht ein Beweisergebnis, wonach auf der Haut der Leiche gefundene Haare weder vom Opfer noch vom Angeklagten, sondern von einer dritten Person stammen, nicht ohne jegliche nähere Begründung hätte übergehen dürfen. 2. Das Landgericht ist zwar im Rahmen der Beweiswürdigung der Frage nachgegangen, ob ein unbekannter Dritter in das Geschehen verwickelt war. Es hat sich dabei jedoch nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, daß der
Zeuge Ma. gegen 18.15 Uhr den Pkw des Tatopfers ihm langsam entgegenfahrend wahrgenommen und gemeint hat, am Steuer dieses Fahrzeuges eine Frau und daneben eine weitere - eventuell männliche - Person gesehen zu haben (UA S. 14). Winkler Miebach von Lienen Becker Hubert
5 StR 292/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2011

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Januar 2011 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten S. die durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen; die übrigen Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten K. , Kr. und Se. zu Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren, vier Jahren und sechs Monaten sowie sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es auf eine Jugendstrafe von vier Jahren erkannt. Die teilweise auf Verfahrensrügen und jeweils die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Näherer Erörterung bedarf die vom Angeklagten Se. erhobene Inbegriffsrüge (§ 261 StPO):
3
Zwar hat die Strafkammer ihrer Überzeugungsbildung auch Erkennt- nisse über die „hierarchische“ Organisation von „Rockerclubs“ zugrunde ge- legt (UA S. 23) und unter Heranziehung dieses Beweiszeichens die Beteiligung des Beschwerdeführers Se. an der Tat begründet. Ob die Strafkam- mer allerdings gegen § 261 StPO verstoßen hat, indem sie diese Tatsachen als allgemein- und gerichtskundig behandelt und diese für den Beschwerdeführer nicht erkennbar, etwa durch Hinweis, in die Hauptverhandlung eingeführt und diesem keine Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt hat (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 261 Rn. 7), kann der Senat dahinstehen lassen. Das Urteil beruht ersichtlich nicht auf dem geltend gemachten Rechtsfehler (§ 337 StPO).
4
Den Urteilsgründen ist in diesem Zusammenhang beweiswürdigend zu entnehmen, dass „Motorradclubs streng hierarchisch organisiert sind. Bevor man überhaupt Vollmitglied werden darf, muss man sich hochdienen, indem man übertragene Aufgaben erledigt und seine Gewaltbereitschaft durch tätliche Auseinandersetzungen unter Beweis stellt“ (UA S. 23). An diese Beschreibung unmittelbar anknüpfend gibt die Strafkammer die Einlassung des Mitangeklagten Kr. wieder (UA S. 23, ferner S. 47). Kr. hat sich darin zu einer in diesem weiten Sinne verstandenen „Gehorsamspflicht“ noch nicht „vollwertiger Clubmitglieder“ verhalten. Der Senat schließt mit Blick auf diese Einlassung aus, dass die Erkenntnisse über die hierarchische Struktur allein im Wege der Allgemein- und Gerichtskundigkeit zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden sind. Ob die polizeilichen Zeugen aus der Spezialdienststelle des Landeskriminalamts Berlin Mitteilungen über die Struktur der „Hells Angels“ und „Bandidos“ gemacht haben, was naheliegt, kann sogar dahingestellt bleiben.
5
2. Lediglich ergänzend merkt der Senat an:
6
a) Gegen die Anordnung der Vorsitzenden, sämtlichen im „Rockermilieu“ offen ermittelnden polizeilichen Zeugen aus der Spezialdienststelle des Landeskriminalamts zu gestatten, in der öffentlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit der Angeklagten statt ihrer Personalien nur ihre polizeiliche Kennnummer anzugeben, ist rechtlich nichts zu erinnern. Dieser ersichtlich auf § 68 Abs. 3 Satz 1 StPO gestützten und nach Beanstandung gerichtlich bestätigten Anordnung (§ 238 Abs. 2 StPO) ging eine ausführlich begründete „Bitte“ des Polizeipräsidenten Berlins voraus, in der die Gefährdungslage der Beamten nachvollziehbar dargestellt wurde. Ein Verstoß gegen die – als Ordnungsvorschrift für sich gar nicht revisible – Regelung des § 68 Abs. 3 StPO lag nicht vor (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 14. April 1970 – 5 StR627/69, BGHSt 23, 244, und vom 10. Januar 1989 – 1 StR 669/88, BGHR StPO § 68 Satz 2 Nichtangabe 1; Rogall in SK-StPO, 48. Lfg., § 68 Rn. 52); die gerichtliche Bestätigung der Anordnung beschränkte die Verteidigung daher auch nicht etwa in einem wesentlichen Punkt (§ 338 Nr. 8 StPO). Überdies versäumt es die Revision mitzuteilen, in welcher Weise die Entscheidung nach § 68 Abs. 3 StPO konkret Einfluss auf das Urteil gehabt haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 326 ff.) oder – mit Blick auf die erhobene Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) – welche Beweisergebnisse eine Kenntnis der bürgerlichen Namen der vom Angesicht her bekannten Beamten erbracht und welche Ermittlungsschritte betreffend die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen sie ermöglicht hätte.
7

b) Die von den Angeklagten K. und Se. erhobene Befangenheitsrüge gibt dem Senat erneut Anlass zu dem Hinweis, dass ein Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens oder gar eine Entschuldigung des abgelehnten Richters spätestens in seiner dienstlichen Stellungnahme im Rahmen der Bewertung des § 24 StPO beachtlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 278/05, NStZ 2006, 49, und vom 18. August 2011 – 5 StR 286/11). Die Vorsitzende hat nach der vom Beschwerdeführer beantragten Einvernahme eines Zeugen mit Blick auf dessen am nächsten Tag durchzuführende Vernehmung über ihn Auskünfte zu polizeilichen Erkenntnissen beim Landeskriminalamt eingeholt und diese den übrigen Verfahrensbeteiligten – allerdings nicht bewusst – vorenthalten. Die noch hinreichend klarstellende dienstliche Äußerung der Vorsitzenden und das der Verteidi- gung nach Bemerken des Versehens umfassend zur Verfügung gestellte Ermittlungsergebnis und vollständig eingeräumte Fragerecht tragen einen Grund zur Annahme der Besorgnis der Befangenheit nicht.
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(1) Der erschienene Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Vorsitzende kann die geeigneten Maßregeln treffen, um die Entfernung zu verhindern; auch kann er den Angeklagten während einer Unterbrechung der Verhandlung in Gewahrsam halten lassen.

(2) Entfernt der Angeklagte sich dennoch oder bleibt er bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn er über die Anklage schon vernommen war, das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet und er in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass die Verhandlung in diesen Fällen in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden kann.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.